Sonntag, 28. Februar 2021

Aktualisierte Wachstumsprognosen

Julien Baker - Little Oblivions
JULIEN BAKER
Little Oblivions
Matador
2021

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

[ indierockig | ambitioniert | düster ]

Was die kleine, aber unglaublich spannende Bubble lyrischer, emotional intensiver Indierock-Songwriter*innen aus Amerika angeht, die sich in den letzten drei bis fünf Jahren im Windschatten des Neunziger-Revivals herausgebildet hat, habe ich mich inzwischen einigermaßen zum Kenner und Liebhaber entwickelt. Viele Platten, die aus dieser stilistischen Nische kommen, habe ich in der Vergangenheit hier besprochen, die meisten davon mit sehr wohlwollendem Resultat. Und mein anfängliches Gespür, dass sich aus dieser Bubble heraus etwas tolles entwickeln würde, das mehr als nur eine kurze Phase sein würde, war ebenfalls grundlegend richtig. Nur habe ich mich rückblickend mehr oder weniger völlig damit verkalkuliert, wer aus dieser Bubble diejenigen sein würden, die diese Musik bekannt machen. Wo ich diesbezüglich anfangs vor allem auf den Output von Snail Mail, Frankie Cosmos und im weiteren Sinne Press Club setzte, gingen die großen Lorbeeren stattdessen immer an die, die ich zunächst nicht so sehr auf dem Schirm hatte. Im wesentlichen an die drei Künstlerinnen Soccer Mommy (ihr kommerzielles Debüt besprach ich erst mit einigen Monaten Verspätung), Phoebe Bridgers (Mein Artikel zu Punisher ist wenige Wochen alt und erschien, nachdem sie in den Best Ofs von 2020 alles abgeräumt hatte) und Julien Baker. Wobei mein Versäumnis in letzterem Falle besonders fatal ist. Denn bis zu diesem Artikel habe ich über sie noch nicht mehr verfasst als einen kurzen Eintrag in meiner alten Schnelldurchlauf-Rubrik, der noch dazu reichlich desinteressiert war. Dabei gilt ihr Katalog aus den letzten fünf Jahren unter den Musiknerds dieser Welt schon lange als echte Goldgrube. Ihr Debüt Sprained Ankle von 2015 wird vom Geheimtipp langsam zum echten Dauerbrenner, Turn Out the Lights erntete 2017 durchweg große Zustimmung von der Kritik und als sie ein Jahr später gemeinsam mit Phoebe Bridgers und Lucy Dacus die Supergroup Boygenius gründete, zementierte sich ihr exklusiver Status als Indiedarling endgültg. Stand 2021 ist sie also bereits an einem Punkt ihrer Karriere, an dem sie auf kritische Erfolge aufbauen kann und sich kreativ diversifiziert. Und Little Oblivions ist definitiv ein Album, dem man diese neue Größe anmerkt und das mich damit auch langsam wirklich überzeugt. Der Grund dafür, dass ich Bakers Output so lange ignorierte war ja nicht, dass ich etwas gegen sie persönlich hatte, sondern eher, dass ich ihre Songs lange Zeit etwas gewöhnlich fand. Und in dieser Hinsicht musste sie sich für mich schon noch irgendwie beweisen. Was sie mit diesen zwölf Tracks aber auf jeden Fall schafft. Vor allem dadurch, dass ihr gesamtes künstlerisches Konzept auf dieser LP den nächsten Schritt in Richtung Mainsteam geht und damit in ein Territorium, das Baker gut zu Gesicht steht. Eine minimalistische oder nonkonformistische Künstlerin war sie ja sowieso noch nie und eingängig konnte sie durchaus sein, weshalb der größere Sound, den sie hier erschafft, ihr wirklich hilft. Durch eine vielschichtigere Instrumentierung, ein paar clevere Tricks in der Produktion und ein überdurchschnittlich gutes Mastering gelingt es hier, viele vorherige Schwachstellen ihrer Ästhetik ansprechend zu verkitten und eine Platte zu machen, die auf unangestrengte Weise nach dem nächstgrößeren Goldfischteich klingt. Und das gute Songwriting im Kern bleibt ja trotzdem erhalten. Gerade lyrisch beeindruckt mich Baker mit ihren selbstmitleidigen Songs und düsteren Gedanken das erste Mal so richtig, wobeu besonders Zeilen wie "Say it's not so cut and dry / Oh, it isn't black and white / What if it's all black, baby? / All the time" im Opener Hardline auf jeden Fall anders finster sind. Ähnlich wie bei Kollegin Bridgers befindet sich dieses Album inhaltlich an einem sehr düsteren Ort, den es mit sehr fantasievollen Texten auskleidet, ohne die man so viel Trübsinn aber gar nicht vermuten würde. In diesem Fall ist der Eindruck sogar noch stärker, da Baker auf klanglicher Ebene viel bunter arbeitet und manchmal auch vorsichtig in Richtung Heartland Rock und Americana abdriftet. Ein unvereinbarer Gegensatz ist das aber trotzdem nicht, eher eine willkommene Überraschung. Und ehrlich gesagt fallen mir wenige Songwriter*innen von ihrem Schlag ein, bei denen das schon mal so reibungslos funktioniert hat. Einen Wachstumsschub wie ihn Julien Baker auf Little Oblivions vollzieht - inhaltlich wie klanglich - schaffen kaum Künstler*innen ihrer Zunft, ohne nachher gefällig, belanglos oder pretenziös zu klingen. Hier hingegen ist das Ergebnis stimmig, das Konzept glaubwürdig und hat obendrein einige der besten Songs dieser Frau am Start. Und es ist beeindruckend mit anzusehen, wie sie sich proportional zu ihrem Erfolg auch kreativ entwickelt. Mittlerweile seit über einer halben Dekade.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡⚫⚫⚫ 08/11

Persönliche Höhepunkte
Hardline | Heatwave | Faith Healer | Relative Fiction | Bloodshot | Ringside | Favor | Highlight Reel

Nicht mein Fall
-

Samstag, 27. Februar 2021

Bamboo Machine Music

Senyawa - AlkisahSENYAWA
Alkisah
Phantom Limb
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ animalisch | improvisiert | brutal | schräg ]

Als jemand, der in diesem Format nun schon ein paar Jahre lang über Musik schreibt und der darüber auch immer ein bisschen die Veränderung des eigenen Geschmacks reflektiert, kann ich mittlerweile mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass ein Teil von mir auf ganz schön schräge Sachen steht. Besonders in den letzten zwei Jahren hat sich bei mir ein Hang zu gewissen Außenbereichen von Popmusik, den ich schon immer ein bisschen hatte, noch einmal kritisch verschärft und ich würde mittlerweile sogar so weit gehen, dass ich mich für ein bestimmtes Projekt proportional zu seinem Weirdness-Faktor mehr oder weniger interessiere. Wobei immer die Frage ist, wie seltsam eine einzelne Platte eigentlich sein kann und woran genau man das eigentlich festmacht. Ein Beispiel: Auf wenige Alben war ich in der vergangenen Woche so gespannt wie auf dieses hier, ein improvisiertes Noise-Folk-Monster zweier Avantgarde-Künstler aus Indonesien, von denen einer selbst Instrumente aus Bambus und Öltonnen baut und der andere eine Gesangstechnik kultiviert hast, die Jodeln und Kehlkopfgesang mischt. Gemeinsam arbeiten diese unter dem Pseudonym Senyawa hier ihr bereits zehntes Album aus und schon anhand der Bandcamp-Beschreibung habe ich diesbezüglich einen kleinen Nerd-Ständer bekommen. Obwohl das Ergebnis auf Alkisah letztendlich gar nicht mal sooo abgefahren ist. Sicher, die acht sogenannten "Songs" dieser LP sind allesamt völlig unstrukturiert, dissonant, repetetiv und herausfordend, der Gesang klingt wie eine Reihe archaischer Blutrituale, die Produktion ist furchtbar krachig und alles hat irgendwie den Anstrich von unzugänglicher Kunstigkeit. Doch sollte man zufällig schon Bands wie Daughters, Oranssi Pazuzu oder die letzten Platten von Scott Walker mögen (was bei mir rein zufällig der Fall ist 😉), sollte man sich auf dieser LP relativ leicht zurechtfinden. Und richtig gut ist die Platte sowieso. Nicht nur mag ich die animalische Schlagkraft und Avantgarde-Haltung, mit der Senyawa hier Musik machen, auch das Songwriting und die klanglichen Elemente sind extrem stark. Das beginnt schon mit den repeteiven, metallischen, ein bisschen an frühe Swans-Sachen erinnernden Mantra-Rhythmen, die auf Alkisah I in das Geschehen einführen und überrascht mich danach mit immer neuen Winkelzügen. So klingt Menuju Muara an vielen Stellen wie die Industrial-Version eines Haka-Tanzes (ihr wisst schon, so ein Ding), das am Ende in eine Kakophonie aus Field Recordings umfällt, Kabau und Alkisah haben mit ihrer düsteren Postpunk-No Wave-Aura fast etwas Stooges- oder Velvet Underground-mäßiges und immer wieder erinnern die Kompositionen natürlich an Experimental-Größen wie die Einstürzenden Neubauten oder Yoko Ono, die in den Bereichen Instrumenten-Selbstbau und eigenwillige Vokaltechniken ja jeweils Koriphäen sind. Innerhalb der performativen Urschreitherapie, die die beiden mit diesen Parametern abziehen, gibt es also eine große Vielfalt und wahnsinnig viel Dynamik und Spannung. Das heißt trotz des nicht nicht ganz eingehaltenen Weirdness-Versprechens ist das hier wahnsinnig interessant und genial gemacht und überzeugt durch die Art, wie Senyawa hier ihr Handwerk vorführen. Und wenn sowohl Kunst als auch Technik so fantastisch gemacht sind, bin ich der letzte, der sich beschwert. Vor allem dann, wenn es trotzdem für die notwendige Nerd-Credibility sorgt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Alkisah I | Menuju Muara | Kabau | Alkisah II | Kiamat

Nicht mein Fall
Kekuasaan

Freitag, 26. Februar 2021

Erdgeist im Laptop

Dravier - Earth Mirage
DRAVIER 
Earth Mirage
Not Not Fun
2021

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ ätherisch | synthetisch | fließend ]

Das Artwork von Earth Mirage verrät uns eigentlich schon sehr gut, wo die Reise hier hingeht: Ein bewusst vergilbtes Kasetten-Layout in verhaltenen blau- und grüntönen, retrofuturistische Pixelschrift, ein etwas esoterisches Motiv im Blickfang: Auf dieser Platte wird es ätherisch und ein bisschen oldschool. Und selbst wenn die Musik von Caleb Draves aka Dravier eigentlich nicht in ein eindeutig definierbares Klischee passt, klingt sie trotzdem irgendwie vertraut. Nach Dokusoundtracks aus den Siebzigern und Achtzigern, nach meditativen New Age-Samplern, nach niedlichen Indiegames mit groben Framerates, nach Karel Svoboda und nach der mystischen Agenda von Vaporwave. Seit seinen ersten künstlerischen Schritten vor fünf Jahren hat Draves über 40 Alben und EPs veröffentlicht, von denen die meisten anscheinend in ähnliche Bereiche synthetisch-esoterischer Soundscapes fallen und zwischen Post-Internet und oldschooligem Ambientpop einen Mittelweg finden. Und Earth Mirage ist im weitesten Sinne einfach eine weitere davon. Auf stattlichen 61 Minuten fließen hier synthetische Schwaden ineinander, verbinden sich sanfte Rhythmen und bilden sich Flächen aus gleißender Klangtapete. Klangästhetisch hat der Ansatz des Kaliforniers dabei durchaus etwas von samplebasierter Vapor-Chiptune-Grundformel und erinnert an einige eher atmosphärische Projekte der Bewegung. Gleichzeitig ist er aber viel organischer, dicher und vor allem surrealer. An vielen Stellen wäre es in meinen sogar angebracht, das hier New Age zu nennen. Und dann ist da natürlich auch die ganze große Ambient-Vergangenheit, die dieses Album in sich aufsaugt. Von Tangerine Dream über Brian Eno und Aphex Twin bishin zu Tim Hecker und Nicolas Jaar lassen sich hier viele Einflüsse aus der langen Historie der nuancierten Stille herauslesen und dass Dravier ein Gespür dafür hat, wird sehr schnell deutlich. Allein die Geduld die er aufbringt, um Stücke wie Awakening, Shadow Brushes oder Coral über ungemütliche Längen zu ziehen und wie er dabei zwar repetetiv, aber niemals monoton wird, begeistern mich zutiefst. Und wenn es darum geht, wie er die Songs hier klanglich auskleidet, kann ich ebenfalls nur gutes sagen. Die Produktion hier ist vielleicht nicht ganz so detailliert wie die eines KJ Rothweiler oder Tim Hecker und trägt immer ein kleines bisschen retrofixierte Patina mit sich herum. Dennoch ergibt sich dadurch - ähnlich wie im Hiphop bei J Dilla oder Nujabes - eine ebenfalls sehr starke Atmosphäre, die noch ein bisschen wärmer und kuscheliger ist. Selbst in Tracks wie Sub Rosa Grotto oder Glass Steam Bath, in denen die Stimmung eigentlich eher unterkühlt ist. Und stimmig ist Earth Mirage auf jeden Fall durchweg. Auch wenn es vielleicht nicht geschadet hätte, eines dieser zehnminütigen Monster wegzulassen (kommt es halt auf die nächste, dieser Typ macht sowieso zehn davon im Jahr), wird das Album nicht effektiv anstrengend. Höchstens vielleicht, wenn man den Fehler macht, es analytisch zu hören. Als berührungsunintensives, ambientes Meditationswerk ist es aber absolut vorzüglich und ich kann es sehr empfehlen. Tatsächlich würde ich sogar sagen, dass diese LP eine sein könnte, mit der auch Ambient-Skeptische Hörer*innen recht gut in die Materie finden werden, da hier einfach klanglich sehr viel passiert. Und wer weiß, vielleicht bleibt es ja nicht mal die beste von Caleb Draves in dieser Saison. Die einzige wird es ganz bestimmt nicht bleiben.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
A Glass Steam Bath | Palm Dance | Soaring View | Shadow Brushes | Sub Rosa Grotto | Coral | Fractals | the Falls | Fisheye

Nicht mein Fall
Echo Dance

Donnerstag, 25. Februar 2021

Cool for the Summer

Tash Sultana - Terra Firma

TASH SULTANA
Terra Firma
Lonely Lands Records
2021













[ gemütlich | groovy | sommerlich ]

Um ganz ehrlich zu sein: Ich musste im Vorfeld dieser Besprechung tatsächlich noch einmal googeln, warum genau Tash Sultana jetzt eigentlich so berühmt ist. Für diejenigen, die es auch nicht wissen: Mit Jungle hatte sie vor fünf Jahren einen viralen Hit, außerdem ist sie eine dieser Künstler*innen, die in der Zeit danach wohl ziemlich gut auf Festivals ankamen und dadurch in vielen einschlägigen Sommerplaylisten landete. Wobei ich für meinen Teil sagen würde, dass sie diesen Erfolg auch verdient hat oder zumindest, dass ich ihn nachvollziehen kann. Als Virtuosin diverser Instrumente ist die Australierin ohne Zweifel talentiert, hat darüber hinaus eine einnehmende Bühnenpräsenz und macht insgesamt Musik, auf die man sich irgendwie einigen kann. Trotz einer spürbaren technischen Finesse ist sie nie kompliziert oder unzugänglich, ist sowohl gefällig als auch organisch und funktioniert live genauso gut wie allein als Klangtapete im Schlafzimmer. Sicher ist Sultana dabei als boho-hippieske Loop-Künstlerin mit merklichem Straßenmusik-Hintergrund auch irgendwie die Sorte Act, die bei mir immer ein bisschen Fremdscham auslöst, doch macht sie ihren Job am Ende zu gut, als dass ich wirklich ein Problem damit hätte. Und mit Terra Firma legt sie nun auch auf Platte ein weiteres wasserdichtes Zeugnis ihrer Arbeit ab. Schon ihr Debüt Flow State von 2018 habe ich als solide, wenngleich etwas sehr gechillte LP in Erinnerung und auch auf dem Nachfolger geht Sultana diesen Weg konsequent weiter. Selbst wenn das Artwork dazu eher nach Heavy Metal oder Psytrance aussieht. Im Vergleich zum Erstling lehnt sich die Australierin hier ein bisschen stärker in Richtung Neo-Soul und R'n'B und weniger zum psychedelischen Pop, doch ist die Grundlinie auch hier die gleiche: Coole und sommerliche Indiepop-Songs mit minimaler Hörherausforderung, die herrlich in schnufflige Strand- und Cocktail-Playlisten passen. Musik also, die bei mir in wenigen Hinsichten Begeisterungsstürme auslösen wird, gegen die man aber auch wenig einzuwenden hat. Und das gilt für so gut wie alle Aspekte dieser Platte. Das Songwriting hier profitiert auf jeden Fall davon, dass Sultana ihre Instrumente zu spielen versteht, kann aber in gewissen Momenten auch sehr formelhaft und (gerade lyrisch) unspezifisch sein. Klanglich ist das Ding sehr klar und hochauflösend produziert, was einerseits schön die Details herauskehrt, allerdings auch ein bisschen geleckt wirkt. Und im einzelnen hat hier fast jeder Song Elemente, die ich klasse finde als auch welche, die mir suspekt sind. Wobei wenige davon im großen Kontext wirklich auffallen. Kleinere Ausreißer im Gesamtsound ergeben sich hier eigentlich nur dann, wenn Sultana in Dream My Life Away und Willow Tree Gäste einlädt sowie in der etwas deplatzierten Pianoballade Maybe You've Changed. Ansonsten ist dieses Album durchweg so stimmig wie es vorhersehbar ist. Was am Ende eine Sache ist, die für mich doch deutlich in eine positive Richtung tendiert. Sicher, Terra Firma ist absolut kein Meisterwerk und ich kann sogar verstehen, wenn jemand es langweilig fände, doch in meinen Augen ist genau das der Kompetenzbereich von Leuten wie Tash Sultana. Diese Eigenschaften machen die LP zum optimalen Futter für alle möglichen Playlisten, zu einer ziemlich genialen Klangtapete, zur perfekten Study-and-Relax-to-Musik und zum niedrigschwelligen Soundtrack mit verkraftbarer Schlagkraft. Und klar gibt es auch in diesem Bereich Platten, die ich euch eher ans Herz legen würde als diese hier, doch finde ich das hier keinesfalls verkehrt. Möglicherweise werde sogar ich ein oder zwei Songs hier diesen Sommer auflegen, wenn der Heimbalkon wieder als Lockdown-gerechte Badestrand-Alternative herhalten muss. Von Festivals, auf denen man sie live sehen könnte, will ich mal gar nicht anfangen.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡⚫⚫⚫ 08/11
 
Persönliche Höhepunkte
Musk | Greed | Coma | Blame It On Society | Sweet & Dandy | Willow Tree | Let the Light In | I Am Free
 
Nicht mein Fall
-
 

Dienstag, 23. Februar 2021

Desert Sessions

Animal Collective - Crestone ANIMAL COLLECTIVE
Crestone
Domino Soundtracks
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ ätherisch | psychedelisch | minimalistisch | collagig ]

Dass die Karriere von Animal Collective in den letzten zehn Jahren vorsichtig gesagt keine einfache Sache war, ist 2021 zum Glück kein wirklicher Hot Take mehr. Auch wenn viele Zwotausender-Fans auch nach den glorreichen Zwotausendern noch lange so taten als wäre alles gut, rückblickend gesehen war das, was mit dieser Band zwischen 2009 und jetzt passierte, nicht weniger als eine gehörige Identitätskrise. Eine die schwer war, eine die lang dauerte und eine, die mehr als eine recht fragwürdige Platte zur Folge hatte. Allerdings auch eine, von der man im Nachhinein sagen kann, dass sie sowohl notwendig als auch richtig war. Notwendig deshalb, weil nach einem Album wie Merriweather Post Pavillion, das über mehrere Jahre die komplette Indieszene Kopf stehen ließ, einfach ein klarer Schnitt gemacht werden musste. Richtig deshalb, weil die vier Musiker auf der anderen Seite der Krise als gestärkte und mutigere Band hervortreten, die sich neu gefunden hat. Die Animal Collective der Zwanziger sind vielleicht nicht mehr die farbenfroh-psychedelische Adrenalin-Truppe, die auf tausend Kanälen Trips ballert, dafür aber eine ziemlich guter experimenteller Kunstpop-Think Tank, der wahnsinnig viel von Klang, Atmosphäre und auch von leisen Tönen versteht. Dass sie nicht mehr immer als ganze Formation Platten veröffentlichen hat ihnen dabei genauso geholfen wie ein neuer Fokus auf Kollaborationen, der sich gerade in den vergangenen vier Jahren stark in Form von Soundtracks und konzeptuellen Werken äußerte. Und wo dazu bisher noch nicht immer das Etikett 'Ambient' passte, ist es spätestens auf dieser neuesten LP der Fall. Wobei sich Animal Collective ein weiteres Mal um die Veröffentlichung eines offiziellen neuen Albums herumdrücken. Crestone ist nach Tangerine Reef von 2018 ein weiterer experimenteller Filmscore, diesmal aus der Feder von Deakin und Geologist, der für das gleichnamige Debüt der Regisseurin Marnie Hertzler komponiert wurde. An dieser Stelle ein paar Worte zum Film, denn was da im Begleitschreiben auf der Bandcamp-Seite stand, klang einfach zu geil, um es hier außen vor zu lassen. Ich zitiere: "Crestone follows a group of SoundCloud rappers who live in solitude, growing weed and making music for the internet. When an old friend arrives to make a movie, reality and fiction begin to blur." Es sieht also aus, als hätten AnCo sich hier ein weiteres Mal Material ausgesucht, das Weirdness-technisch sehr zu ihnen passt. Und wieder gelingt es ihnen dabei großartig, eine gewisse Atmosphäre einzufangen. Zwar habe ich den Film hierzu nicht gesehen (was ich definitiv noch tun will!), doch scheinen ein paar ganz bestimmte Parameter hier ganz klar eine Rolle zu spielen. Zum einen das karge Ambiente einer Wüste, zum anderen ein Hauch von Psychedelik und der Suche nach Freiheit und Selbstbestimmung. Und wie das beides auf dieser LP eingefangen und ausbalanciert wird, ist nicht weniger als genial. Wie schon auf ihrer Amazonas-Platte Meeting of the Waters vor vier Jahren arbeiten Animal Collective hier viel mit Field Recordings, die mitunter fast gleichwertig in die soften elektronischen Flächen der 16 Tracks verwoben sind und eine Geräuschcollage erschaffen, die extrem einnehmend ist. Manchmal gehen dabei Naturgeräusche nahtlos in Synthetik über, manchmal gibt es kleinere bratzige Ausreißer wie in Wake Up Ryan oder Sloppy's Dream, manchmal spricht aber auch jemand. Alles hier hat insgesamt aber ein sehr angenehmes, flauschiges Hörgefühl, das wirklich nach innerer Einkehr und ruhigem Optimismus klingt. Wobei Crestone in seinen 34 Minuten nie langweilig wird, sondern oft sogar richtiggehend überraschend ist. Selbst wenn es hier keine visuelle Komponente dazu gäbe, wäre der musikalische Teil also ein ziemlich unfickbares psychedelisches Ambient-Album mit reichlich cleverer Sound-Tüftelei und atmosphärischer Magie dahinter. Was heißt wäre, es ist genau das, und damit mit Sicherheit eines der besten Projekte, die diese Band jemals zustande gebracht hat. Für mich persönlich ist das hier letztlich nicht nur ein guter Soundtrack oder ein an sich gelungener Longplayer, sondern irgendwie der Moment in der Karriere von Animal Collective, der mich endgültig davon überzeugt, dass sie wieder da sind und die Schlangenhaut ihrer früheren Inkarnationen abgelegt haben. Es bahnte sich nach den letzten paar Platten zwar schon irgendwie an, doch erst mit Crestone würde ich zum definitiv sagen, dass ihnen ein Meisterwerk gelungen ist. Eines, das für mich persönlich selbst manchem Highlight aus den Zwotausendern Konkurrenz machen kann. Und dafür müssen sie hier nicht mal ein Genre neu erfinden.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡🟢10/11

Persönliche Höhepunkte
Eye in the Sky | Boxing & Breathing | Scravengers | Wake Up Ryan | Sloppy's Dream | Sand That Moves | EBS | Sad Boy Sleeping | Ramshack | Smoke & Broken Mirror | Zapata Falls | Cotton Candy Sky (Dead God Theme)

Nicht mein Fall
-

Montag, 22. Februar 2021

R U Still in 2 It? Cause I'm Still Into It

Mogwai - As the Love Continues MOGWAI 
As the Love Continues
Rock Action
2021

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

[ epochal | cineastisch | atmosphärisch ]

Man kann die Musik von Mogwai in den letzten 25 Jahren als vieles bezeichnen, und die Tatsache, dass Lyrics im Oeuvre der Schotten stets eine seltene Erscheinung waren, hat mit der Zeit sicher so einige extravagente Zuschreibungen dafür provoziert: fast immer war sie ätherisch, oft traumwandlerisch, bestenfalls fantasievoll, stellenweise rabiat und meistens sanftmütig. Ein Begriff, den ich für ihren Output jedoch bisher selten verwendet hätte, wäre so etwas wie bombastisch oder episch. Ganz einfach deshalb, weil sie das in meinen Augen nie waren. Gerade im Verhältnis zu vielen artverwandten Acts der Postrock-Bewegung, die ergreifenden Kitsch und schwungvollen Pathos gerne Mal dick auftragen, war diese Band zu solchen Späßen immer nüchtern eingestellt und übte sich stattdessen in Selbstbeherrschung. Nur selten brauchte es von ihnen große Ausbrüche und kathartische Crescendi, um mindestens genauso wirkungsvolle und cineastische Instrumentalmusik zu machen. Mehr noch, an vielen Stellen wurde solcherlei emotionales Muckterum sogar schlichtweg verweigert. Was sicherlich einer der Gründe ist, warum selbst große Teile ihres frühen Materials noch immer nicht so ausgelutscht oder formelhaft klingen wie vergleichbare Sachen vieler Kolleg*innen. Und gerade in den letzten Jahren wurde ihre Distanz zu den Elementen des klassischen Postrock noch mal bewusster und größer, weshalb ein Album wie As the Love Continues, das zum ersten Mal seit ihrem Debüt die große Show abfeuern will, definitiv eine Überrschung ist. Auch wenn diese sich zunächst gleichsam hinter der üblichen Pragmatismus-Fassade versteckt. Heißt im Klartxt, dass klanglich und kompositorisch hier vieles hier bei den Parametern bleibt, die die Schotten innerhalb der letzten Dekade für sich setzten. Ihr wisst schon, der etwas verkantete und klobige Riffrock, der zu gleichen Teilen durch altertümliche Electronica-Elemente ergänzt wird, insgesamt sehr stagnierende Songstrukturen und eine größere Bereitschaft, auch mal etwas breitbeinig und sperrig zu sein. Insgesamt also eine Ästhetik, die von der Sache her keine großen Bögen spannen will. Bereits im Opener To the Bin My Friend, Tonight We Vacate Earth merkt man jedoch, dass Mogwai ebendiesem Sound auf diesem Album plötzlich Flügel wachsen lassen und ihn an vielen Stellen ein bisschen frei machen. Wenn hier nach zweieinhalb Minuten einernder Introduktion die dicken Synthflächen losrollen, öffnen sich Stück für Stück die musikalischen Fluttore und eine Schicht nach der anderen fegt über den Song hinweg. Danach wird die Platte zwar erstmal wieder ruhiger, ein hoher Maßstab an Theatralik ist aber gesetzt. Wobei das eigentlich tolle an dieser LP ist, mit welcher Finesse die Band diese Spannung über die kompletten 61 Minuten hier aufrecht erhält und auf wie viele verschiedene Weisen das passiert. Mit Ritchie Sacramento wird im Mittelteil ein weiterer dieser verkappten Arenarock-Songs vom Stapel gelassen, die Mogwai bereits auf ihrem letzten Album etablierten, Ceiling Granny klingt fast nach der Schablone für einen Poppunk-Song, Fuck Off Money steigt vom unscheinbaren Vocoder-Experiment zum epochalen Synth-Monster auf und in Midnight Flit werden sogar die großen Hollywood-Streicher ausgepackt. Nicht jeder Moment auf As the Love Continues ist dabei ultimativ episch, vieles ist aber die beste Version dieser Songs, die ich bis jetzt von ihnen gehört habe. Was angesichts der Tatsache beachtlich ist, dass diese klangliche Ästhetik bereits seit Ende der Zwotausender der Modus Operandi dieser Gruppe ist. Und spätestens wenn die Schotten auf  It's What I Want to Do, Mum den Deckel mit der gleichen Strahlkraft wieder schließen, mit der sie ihn eine Stunde zuvor öffneten, weiß man, dass sie hier eine besondere Platte gemacht haben. Im Sinne von: eine der besten ihrer gesamten Diskografie. Und das ist nach allem, was ich von ihnen gehört habe, tatsächlich doch nochmal eine Überraschung. Ich für meinen Teil bezeichne mich selbst durchaus als so etwas wie einen Fan von Mogwai und mag so manche Platte von ihnen sehr gerne. Gerade die letzten zehn Jahre war es aber  nicht immer einfach mit ihnen. Und vielleicht war ich nach dem durchwachsenen Every Country's Sun und einer vorhersehbaren Soundtrack-Platte zu viel schon kurz davor, meine Leidenschaft für ihre Musik langsam zu verlieren. Mit As the Love Continues ballern sie jetzt aber doch noch die Platte hin, von der ich nie wusste, dass ich sie brauchte und die an allen Enden einfach passt. Und nicht dass ich mich irgendwie beschwert hätte. Es wäre auch völlig okay gewesen, wenn dieses Projekt nicht mehr gekommen wäre und Happy Songs for Happy People und Young Team mir zur Glückseligkeit bis ans Ende meiner Tage hätten reichen müssen. Dass es anders gelaufen ist und wir hier eine LP kriegen, die in dieser Gesellschaft locker mitspielen kann, ist trotzdem ein Traum. Und das ist bei allem Cineasmus und Pathos das eigentlich epische an dieser Platte. Dass Mogwai es lohnenswert machen, nach wie vor ihr Fan zu sein. Und dass der Plattentitel somit letztlich auch meine Empfindungen spiegelt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
To the Bin My Friend, Tonight We Vacate Earth | Here We, Here We, Here We Go Forever | Dry Fantasy | Ritchie Sacramento | Drive the Nail | Fuck Off Money | Ceiling Granny | Midnight Flit | Pat Stains | It's What I Want to Do, Mum

Nicht mein Fall
-

Sonntag, 21. Februar 2021

Länger, Größer, Lascher

TRIPPIE REDD & TRAVIS BARKER
Neon Shark vs. Pegasus (Deluxe: Presented By Travis Barker)
1400 Entertainment | Ten Thousand Projects
2021 









[ angsty | großkotzig | trippy ]

Es ist in meinen Augen nicht weniger als eine der dämlichsten Schnapsideen in der gesamten Existenz von Cloudrap gewesen, als sich vor ziemlich genau einem Jahr Lil Uzi Vert die Sache mit den überbordenenden Deluxe-Versionen ausdachte und es ihm kurz danach alle gleichtaten. Der hoffentlich recht kurzlebige Trend, im Anschluss eines neuen, meist für sich schon unter immenser Länge ächzenden Albums noch ein weiteres wenige Wochen später als Anhängsel zu veröffentlichten, ist aus sehr offensichtlichen Gründen ein ebenso enervierender wie sinnloser PR-Move, den schon ab dem ersten Moment niemand so richtig cool fand. Zumal er in so gut wie allen Fällen nur für noch mehr schlechte Musik sorgte als wirklich etwas künstlerisch beizutragen. Doch nachdem es 2020 von vielen Genre-Zugpferden wie Lil Baby, Nav und eben Lil Uzi Vert gemacht wurde, scheinen es gerade alle wichtigen Cloudrapper*innen genauso machen zu müssen. Und wie man in diesem jünsten Fall von Trippie Redd sieht, ist lediglich ein solches Deluxe-DLC manchen nicht mehr genug. Bereits im letzten Herbst erschien von ihm im Anschluss an sein letztes offizielles Album Pegasus die Erweiterungs-EP Spooky Sounds, die die Aufgaben einer klassischen Bonustrack-Version eigentlich vortrefflich abhakte. Doch war das für ihn anscheinend erst der Anfang. Keine vier Monate später hat er mit Neon Shark vs. Pegasus eine weitere Ausbauvariante des gleichen Longplayers am Start, die diesmal auch definitiv zum großen Besteck gehört. Nicht nur besteht sie nochmal aus 14 komplett neuen Songs, die eine gute Dreiviertelstunde Material füllen (gemeinsam mit dem nochmal aufgewärmten Hauptalbum kommt man somit auf fast zwei Stunden), auch ist das hier stilistisch eine ganz andere Baustelle. Denn mit dieser LP begibt sich nach Vorreiter*innen wie Kid Cudi, Machine Gun Kelly und Princess Nokia nun ein weiterer bekannter Rapper auf einen ausführlichen Exkurs in Richtung Emorock und Pop-Punk. Und wo das PR-technische Rollout dieser Platte für mich im Vorfeld eine deutliche rote Fahne war, war ich unabhängig davon auf die musikalische Ausarbeitung aus diversen Gründen sehr gespannt und definitiv optimistisch. Denn wenn ein Projekt aus der Szene diesen Crossover-Spagat stil- und verheißungsvoll anging, dann war es definitiv diese Platte. Allein schon deshalb, weil die Basis stimmt. In der wachsenden Emotrap-Bubble der letzten Jahre ist Trippie Redd für mich schon eine ganze Weile jemand, der mit Platten wie Love Letter to You 4 oder ! Überzeugungsarbeit leistete und der allgemein einen ziemlich wasserdichten Katalog vorweisen kann. Dass er sich Travis Barker dann auch den ehemaligen Drummer von Blink-182 als offiziellen Sparringpartner dazuholt, ist der nächste clevere Schritt. Denn der bringt nicht nur das nötige Expertenwissen in Sachen Rockmusik mit, er ist auch erfahren in der Arbeit mit Rap-Künstler*innen und hat diese Art von Crossover in der letzten Dekade quasi von der anderen Seite aufgezogen. Dass obendrein Leute wie Machine Gun Kelly, Scarlxrd, ZillaKami und Chino Moreno hier auftauchen, die ebenfalls zu einer gewissen Rap-Meets-Rock-Schnittmenge gehören, ist der dritte Pluspunkt. Neon Shark vs. Pegasus hatte also schon vor seinem Release viele Dinge auf der Habenseite. Weshalb ist es letztlich umso mehr enttäuscht, dass das Ergebnis relativ ernüchternd und durchwachsen ausfällt. Eine Sache, die auch ein bisschen damit zu tun hat, welche Ambitionen hier dahinter stecken. Denn bisher war die ganze Emotrap-Nummer für Trippie Redd sowas wie ein gut gemachter Nebenquest, der mit wenig Aufwand betrieben wurde und für diese Verhältnisse ausgesprochen gut war. Hier jedoch wird die ganze Sache plötzlich ernst. Da werden echte Instrumente aufgenommen, Travis Barker spielt das Schlagzeug live ein, es sind altehrwürdige Rockstars anwesend und es ist ein richtiges Album statt eines Tapes. Statt eines Experiments muss diese Musik jetzt also auf einmal ein Statement sein, und gerade daran verhebt sich Neon Shark vs. Pegasus oft. In den allermeisten Songs beharrt diese LP auf dem drögen Crooner-Singsang-Emobeat-Format, das es schon auf den Mixtapes gab, nur wirkt das hier plötzlich sehr lahmarschig und unkreativ. Drumherum passieren wahnsinnig viele Dinge, die eigentlich nach mehr aussehen, aber nie richtig zur Geltung kommen. Viele Tracks hier haben geniale Einzelparts, die im aufgeschwämmten Mix der Platte aber überhaupt keine Anschlusspunkt funden und in der ätherischen Masse der Stücke irgendwie versanden. Sachen wie den wirklich coolen Drumbeat im Opener Pill Breaker, das Gitarrenriff von Swimming, die Hook von Red Sky oder das akustische Intro von Leaders machen an sich Hoffnungen, werden aber fast nie weitergedacht und bleiben als Bruchstücke unbefriedigend. Und im Gegensatz zu Pegasus, auf dem ein sehr atmosphärisches, vibiges Modell gut funktionierte, gibt es hier zu viele Ausreißer und klanglich konträre Ansätze, die an der Ästhetik rütteln. Und zusätzlich dazu noch eine ganze Rihe Momente, die effektiv mies sind. Female Shark hat eine unglaublich nervige Hook, in mehreren Songs treten Trippie Redds dürftige Chops als Sänger unangenehm zutage und dass Chino Moreno hier mit reingezogen wurde, tut mir unglaublich Leid für ihn. Für mich persönlich offenbart sich die Mittelmäßigkeit dieses Projekts aber erst so richtig im letzten Song Dead Desert mit Scarlxrd und ZillaKami, der mit Abstand der beste und actionreichste auf diesem Album ist. Erst wenn hier nach gut 45 Minuten plötzlich doch noch die Fetzen fliegen, merkt man so richtig, wie blass und gesichtslos vieles vorher war und was dieses Konzept kann, wenn es mal mit etwas mehr Bums angegangen wird. Ich will an dieser Stelle nicht unfair sein, Neon Shark vs. Pegasus ist in meinen Augen kein totaler Reinfall und hat definitiv seine Momente. Nur scheitert es zu oft daran, den nächsten stilistischen Schritt zu gehen und tritt dabei in ein paar unangenehme Fettnäpfchen. Nur zum Vergleich habe ich, während ich das hier schreibe, nochmal Love Letter to You 4 gehört und war erstaunt, wie viel klarer Trippie genau das gleiche dort macht. Und nicht nur kompositorisch, auch in Sachen klangliche Vielfalt und sogar in der Produktion. Ich für meinen Teil kann also definitiv sagen, dass ich das hier einen Rückschritt für ihn empfinde. Beziehungsweise scheint er auf sich alleine gestellt empirisch gesehen besser zu sein als mit Schützenhilfe von Travis Barker oder irgendwelchen Promis. Und das sollte hier in meinen Augen auch die Lektion für die Zukunft sein: Manchmal ist es besser, einfach sein Ding zu machen und nicht um jeden Preis die große Nummer zu schieben. Und ja, das gilt definitiv auch für weitere Deluxe-Versionen irgendwelcher alten Platten.

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 05/11

Persönliche Höhepunkte
Swimming | Red Sky | Dreamer | It's Coming | Frozen Ocean | Dead Desert

Nicht mein Fall
Female Shark | Geronimo | Sea World | Save Yourself

Samstag, 20. Februar 2021

You Got A Killer Scene There

Black Dresses - Forever in Your HeartBLACK DRESSES
Forever in Your Heart
Die-Ai-Wei
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ krachig | aufgekratzt | aggressiv | schräg ]

Eine Sache, die ich am Phänomen Hyperpop spätestens seit dem letzten Jahr echt cool finde, ist die Art und Weise, wie sich hier im einundzwanzigsten Jahrhundert etwas etabliert, das tatsächlich viele klassische Merkmale einer traditionellen Szene hat. Nach gut 20 Jahren, in denen viele musikbasierte Pop-Phänomene vorwiegend online stattfinden und subkulturelle Parameter sich verschieben, ist das schon einigermaßen selten geworden. Und obwohl auch bei Hyperpop natürlich viel im Internet ausgetragen wird und die Bubble in dieser Hinsicht keineswegs revisionistisch ist, besteht die Basis - zumindest noch - aus einer relativ festen Gruppierung echter Menschen, die gemeinsam in verschiedenen Konstellationen Songs schreiben. Am besten zu sehen ist das natürlich nach wie vor im britischen Post-PC Music-Camp, in dem Künstler*innen wie A.G. Cook, Charli XCX und Sophie (R.I.P.) schon vor Jahren musikalische Think Tanks formten, doch auch auf der anderen Seite des Atlantiks hat sich ein solches Konstrukt schon vor einiger Zeit herausgebildet. Wobei ich sagen würde, dass dessen Herz im Frühjahr 2021 vor allem in der Symbiose zweier Gruppen zu finden ist: 100 Gecs und Black Dresses. Erstere sind dabei sicher diejenigen, die mit 1000 Gecs vor zwei Jahren das bisher wichtigste Einzelwerk fabriziert haben, letztere in meinen Augen aber vielleicht noch wichtiger. Vordergründig als die Untergrund-Formation, die extrem wichtige Vorarbeit für Sound und Ästhetik des amerikanischen Hyperpop-Ablegers geleistet hat, der im Vergleich zu den Briten wesentlich experimenteller und dreckiger klingt. Aber auch als Duo, dessen beide Mitglieder mit zahlreichen anderen wichtigen Projekten zusammenhängen (unter anderem Anarchy99, Food House und Backxwash). Ganz zu schweigen vom großen Verdienst, die amerikanische Bubble zu einem subkulturellen Safespace für nonbinäre Künstler*innen zu machen. Sollte Hyperpop also irgendwann mal in den Geschichtsbüchern landen, wären Black Dresses an der Stelle die Stooges, wo 100 Gecs die Ramones sind. Und genug beliebte Platten haben sie inzwischen auch schon veröffentlicht. Love and Affection for Stupid Little Bitches kursierte 2019 noch eher in erlauchten Expert*innenkreisen, der Nachfolger Peaceful as Hell vom letzten Jahr hatte dann schon wesentlich mehr Crossover-Potenzial und war ein ziemlicher Hit in der Szene. Doch obwohl kurze Zeit später eigentlich die Auflösung des Projektes angekündigt wurde, stehen die beiden nun ein Jahr später mit einer neuen Platte da, was mich sehr glücklich macht. Denn Trennungsgrund der beiden war nach eigenen Angaben, dass die Band mit wachsendem Erfolg immer wieder Zielscheibe transphobischer Pöbeleien wurden, was Forever in Your Heart nachträglich ein bisschen zum empowernden "Jetzt erst recht"-Statement macht. Und musikalisch cool ist es obendrein. Nachdem ich mich mit Peaceful as Hell zuletzt erst eine Weile eingrooven musste, bin ich mittlerweile langsam vertraut genug mit der Ästhetik des amerikanischen Hyperpop, dass ich das hier dafür schätzen kann, was es ist. Heißt im Klartext: aufgekratzter, lärmiger und bohrender Industrial-Pop mit Noise-Koeffiziente, leichtem Metal-Einschlag und reichlich Internethumor. Forever in Your Heart ist dabei etwas weniger klar konzeptuell als sein Vorgänger, doch führen Black Dresses auch hier die inhaltliche Idee von Sehnsucht und positiver Attitüde weiter, die ich schon daran sehr mochte. Denn obwohl durch die gequälte und sehr unbehagliche Musik eine große Schere zwischen Form und Inhalt entsteht, ist die Botschaft des ganzen doch nach wie vor stark. Abgesehen davon, dass diese Kontrastierung sehr wahrscheinlich Absicht ist. Einflusstechnisch nimmt die Platte recht vieles mit, von Marylin Manson (igitt!) über Trent Reznor (cool) bishin zu M.I.A. (falls diese mal eine Metal-Phase gehabt hätte), außerdem natürlich die Kernelemente des amerikanischen Hyperpop. Dabei habe ich hier das erste Mal das Gefühl, dass über einen typischen Szene-Sound hinausgedacht wird und die Black Dresses ästhetisch weiterdenken. Besonders cool finde ich an vielen Stellen die sehr skizzenhaften Gesangstakes, die oftmals aufgenommen sind wie einfache Sprachmemos und mit ihrer Anti-Perfektion herrlich in dieses klangliche Bild passen. Trotzdem gibt es an anderen Stellen großartige Hooks und/oder Melodiepassagen, die nach einem durchdachten und bewussten Projekt klingen. Mit Can't Keep It Together ist hier sogar ein verhältnismäßig hymnischer Closer am Start, der die LP zum Schluss perfekt abrundet. Und obwohl es auf den fast 60 Minuten Musik so manchen Schönheitsfehler gibt, der noch Luft nach oben lässt (die zweite Hälfte von Understanding ist ziemlich nervig und We'll Figure It Out auf unangenehme Weise repetetiv), ist es der Spirit der Platte, der mich sehr abholt. Nachdem es bei mir lange genug gedauert hat, bis ich dieses ganze Hyperpop-Konstrukt überhaupt richtig verstanden hatte, ist es jetzt großartig zu hören, hier die verschiedenen Ausprägungen zu sehen und Entwicklungen zu beobachten. Und Forever in Your Heart fühlt sich für mich an wie ein Glied, das in dieser Kette wichtig sein könnte. Zum einen der Symbolik wegen, dass die Band mit diesem Triumph aus ihrer "Auflösung" zurückkehrt, zum anderen weil es extrem gut ist und viele neue Ideen hat. Wenn wir tatsächlich gerade in einer Phase sind, in der sowas wie ein kleiner Kanon für die stilistische Masse namens Hyperpop entsteht, dann sind die Black Dresses spätestens mit diesem Album ein Teil davon. Und klar ist es für solche Beurteilungen eigentlich viel zu früh, aber so würde ich es zumindest gerne sehen. Denn wann hat man schon mal die Gelegenheit, einer Szene beim entstehen zuzuschauen?

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡⚫⚫ 09/11

Persönliche Höhepunkte
PEACESIGN!!!!!!!!!!!!!!!!! | Heaven | Silver Bells | Waiting42moro | Gone in An Instant | Perfect Teeth | Zero Ultra | Mistake | (Can't) Keep It Together

Nicht mein Fall
We'll Figure It Out

Freitag, 19. Februar 2021

Ein Hauch von Geschichte

Gal Costa - Nenhuma dorGAL COSTA
Nenhuma Dor
Biscoito Fino
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ pittoresk | nostalgisch | historisch ] 

Es ist für mich immer eine ziemliche Lektion in Demut, wenn ich im Rahmen dieses Formats über Künstler*innen spreche, deren musikalische Aktivitäten inzwischen 50 oder mehr Jahre umspannen und die Kataloge beinhalten, die nicht nur unzählige Trends und Phasen, sondern vor allem auch persönliche Umbrüche verkraftet haben. Und klar denke auch ich dabei in erster Linie an die Rolling Stones, Hawkwind, Neil Young oder Paul McCartney, manchmal stößt man auf solche eisernen Acts aber auch eher zufällig, so wie ich letzte Woche bei Gal Costa und ihrem jünsten Album Nenhuma Dor. Wobei es mich in diesem Fall tatsächlich ein bisschen wunderte, dass diese Frau überhaupt noch Musik macht. Mit 75 Jahren ist sie ein echtes Urgestein der brasilianischen Popmusik, das ich für meinen Teil nur aufgrund eines einzigen Albums kenne, das selbst schon 52 Lenze auf dem Buckel hat. Besagte LP (ihre erste selbstbetitelte von 1969) ist für mich persönlich aber auch ein absolutes persönliches Highlight und nach aktuellem Stand meine Lieblingsplatte aus dieser Saison, weshalb die Person Gal Costa bei mir grundsätzlich auf Interesse stößt. Vor allem dann, wenn sie in diesem Alter nach wie vor so aktiv und kreativ arbeitet. Und Nenhuma Dor ist in diesem Sinne auch nicht einfach nur irgendein Album. Zwischenzeitlich mal unter dem Titel Gal 75 gehandelt, ist es für die Karriere der Künstlerin eine Art Geburtstags-LP, die einerseits ihr persönliches Jubiläum feiert, andererseits die 55 Jahre, die ihre Karriere nun schon dauert. Folglich ist das vorliegende Material auch vornehmlich nostalgischer Natur und sehr mit Erinnerungen verwoben. Alle zehn Tracks auf diesem Projekt sind neuinterpretierte Aufnahmen diverser alter Songs, die jeweils in Kollaboration mit einer bekannten Figur der brasilianischen Popmusik entstand. Zugegeben, die meisten dieser Gäste sind auch für mich böhmische Dörfer, doch beflisseneren MPB- und Bossa Nova-Enjoyer*innen könnten Leute wie Seu Jorge, Rodrigo Amarante oder Zeca Veloso vielleicht ein Begriff sein. Und viel wichtiger ist sowieso das, was dieses Album damit erschafft. Denn wenn so viele, teils recht bekannte Menschen zusammenkommen um Songs aus über einem halbem Jahrhundert zu performen, die für ihr eigenes Schaffen sehr einflussreich waren, dann wird hier zwangsläufig auch eine Geschichte der brasilianischen Popmusik an sich erzählt. Sicher, Gal Costa war nicht durchweg eine prägende Figur und ist nicht der Anfang und das Ende eines gigantischen Kosmos an Subgenres und Bewegungen, doch ist sie eine Chronistin, die vieles miterlebt hat. Es ist also vielleicht ein bisschen vergleichbar mit dem Unplugged-Konzert von Udo Lindenberg, in dem auch die halbe deutsche Popmusik dabei war und weihräucherte, obwohl dieser Typ lediglich ein Teil der ganzen Geschichte ist. Und im Gegensatz zu Lindenberg ist das bei Gal Costa sogar noch richtig geschmackvoll. Zwar sind die psychedelischen Vibes ihrer frühen Sachen definitiv ausradiert und vieles ist sehr brav und kammerpoppig geworden, kompositorisch halten viele Songs aber noch immer ordentlich vor. Und als Sängerin ist Costa mit 75 noch immer erstaunlich nonchalant und sanft. Klanglich ist dabei vieles sehr MPB-typisch, aber eher im Sinne eines modernen Klassizismus als tatsächlicher Vintage-Attitüde. Ich persönlich war dabei natürlich am meisten neugierig auf die Neubearbeitung von Baby, des einzigen Stückes vom alten Lieblingsalbum, die leider ein bisschen nach akustischer Radioperformance klingt, aber auch keinesfalls mies. Wobei mein emotionalster Moment hier tatsächlich ganz am Ende kommt, wenn Costa die Platte mit dem titelgebenden Nenhuma Dor beendet. Denn nicht nur bedeutet dieser Name übersetzt "kein Schmerz", auch stammt der Song von ihrem Debüt, das sie gemeinsam mit Caetano Veloso aufnahm. Dessen Sohn Zeca übernimmt hier nun dessen Featurepart und schließt damit einen Kreis, der über ein halbes Jahrhundert alt ist. Was spätestens an dieser Stelle dazu führt, dass ich irgendeine Art von Emotionalität und Nostalgie für den Output dieser Frau und für brasilianische Popmusik an sich empfinde, obwohl ich damit keine echte Vergangenheit habe. Wo ich das in erster Linie mysteriös finde, spricht es auf jeden Fall auch dafür, was dieses Album kommuniziert. Selbst jemand wie ich, der nicht die Historie dieser Bewegungen kennt, der nicht die Sprache spricht, der kaum Leute aus der Gästeliste kennt und nur eine LP der Hauptakteurin, kann hier zumindest ein bisschen die Geschichte schnuppern, die sich in diesem Projekt verbirgt. Und das ist unglaublich faszinierend.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡⚫⚫⚫ 08/11

Persönliche Höhepunkte
Avarandado | Só Louco | Coração Vagabundo | Negro Amor | Nenhuma Dor

Nicht mein Fall
Paula E Bebeto

Mittwoch, 17. Februar 2021

Es war doch alles schlecht

Audio88 & Yassin - TodeslisteAUDIO88 & YASSIN
Todesliste
Normale Musik
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ misanthropisch | politisch | schlau ] 

Dass der überwiegende Teil unserer unmittelbaren Gesellschaft nach etlichen Jahren schlechter Nachrichten langsam keinen Bock mehr hat, ist inzwischen kein neues Phänomen mehr. Irgendwo zwischen Klimawandel, Überbevölkerung, Pandemie, Rassismus, Patriarchat und Kapitalismus den Optimismus zu verlieren und einfach nicht mehr an das Happy End zu glauben, ist spätestens nach 2020 unter Menschen meiner Generation gefühlt ein Standard geworden und dass solche Stimmungen auch musikalisch verhandelt werden, ist richtig und wichtig. Gerade auch im Deutschrap hat sich dabei in den letzten zehn Jahren ein Feld von Künstler*innen wie Zugezogen Maskulin, Edgar Wasser und Der Täubling abgesetzt, die eine gewisse Misanthropie zum zentralen Element ihres Outputs machen und die - was für ein Zufall - auf diese Weise einige der besten Platten der letzten Dekade fabriziert haben. Wobei kaum jemand die Negativität und den gerechten Zorn dieser grundlegenden Stimmung so formvollendet vertont hat wie Audio88 aus Berlin. Spätestens mit seiner letzten Soloplatte Sternzeichen Hass von 2017 brachte er viele ekelhafte Zustände in Deutschland messerscharf auf den Punkt und war so hasserfüllt, dass man ihn dafür einfach lieben musste. Und weil 2021 davon nichts besser geworden ist, macht er natürlich auch weiter damit. Todesliste ist das bereits fünfte Album seiner andauernden Kollaboration mit Kollege und Kumpel Yassin, mit dem er mittlerweile eigentlich ein klassisches Deutschrap-Duo bildet. Ihr letztes gemeinsames Album Hallelujah erschien 2016, in der Zeit seitdem haben beide erstmal viel solo gearbeitet. Meine persönlichen Favoriten waren diese Art von Kollaborativ-Platten lange Zeit eher nicht, da es in meinen Augen doch eine recht große Diskrepanz in Talent und Performance der beiden gab. Wo Audio88 nach Normaler Samt, meinem Erstkontakt mit ihnen, sehr schnell einer meiner deutschsprachigen Lieblingsrapper wurde, war Yassin für mich immer nur ein Anhängsel, der recht wenig beitrug. Seine Parts waren zwar an sich auch zufriedenstellend und nicht selten clever, dabei aber nie mehr als die Summe ihrer Teile. Und vor allem als es in der Zwischenzeit fast parallel Soloplatten von beiden gab, wurde diese Fallhöhe nochmal besonders deutlich. Die gute Nachricht: Todesliste ist das erste Audio-und-Yassin-Album, das dieses Problem gar nicht mehr hat und auf dem Yassin in meinen Augen endlich gleich mal zieht. Mehr noch, in Tracks wie Todi sind seine Strophen sogar ein bisschen besser als diese des Kollegen. Was diesmal aber vor allem funktioniert, ist die Zusammenarbeit und die inhaltliche Fokussierung der beiden Rapper, die hier anscheinend die selben verachtenden Ansichten über viele ihrer Mitmenschen haben, die sie in die Welt herausschreien. Da geht es in Vater Mutter Kind um die Stigmatisierung armer Familien, in Fließbandjob um die Entfremdung vom Thema Rap, in Freunde um toxische Arschlöcher im Bekanntenkreis und in Ende in Sicht um die Vorfreude auf die nahende Apokalypse. Viele Songs sind dabei wieder mit dem fiesen, finsteren Sarkasmus geschrieben, der auch Sternzeichen Hass schon so gut machte und auch ein bisschen an die letzte LP von Testo und Grim erinnert. Musikalisch gibt es auch durchaus Parallelen zu K.I.Z oder der Antilopen Gang, wobei Todesliste im Unterschied zu denen definitiv kein Chartmaterial ist. Und auch nicht immer sind Audio88 und Yassin nur witzig-böse. Gerade in Songs wie Lauf oder Cottbus, die sich detailliert mit rechten Bewegungen in Deutschland auseinandersetzen, wird es schnell mal bitterernst und so gar nicht mehr komisch. Dass die beiden solche Stücke können ist mir neu, ich freue mich aber sehr darüber. Denn wichtig sind sie auf jeden Fall, und wenn diese beiden ihren Schalk verlieren, dann weiß man wenigstens, dass es wirklich nicht lustig ist. Das Konzept des gesellschaftlich angespitzten Rant-Tracks funktioniert auf Todesliste zwar nicht zu hundert Prozent gut (Gerade WUP ist mir persönlich manchmal ein bisschen zu on the nose), einige der Beats sind etwas latschig und an die lyrische Schärfe von Sternzeichen Hass kommen die beiden hier selten ran, trotzdem ist diese LP insgesamt ein gutes und vor allem relevantes Statement. Und letztlich macht es das, was ihm an kompositorischer Würze fehlt, mit seiner starken Eingängigkeit wett und hat somit vielleicht das Crossover-Potenzial, das ein Grim104, ein Täubling oder ein Audio88 solo nicht haben. Und dass mehr Menschen diese Songs hören, wäre definitiv ein positives Signal. Denn es macht zwar schlechte Laune, aber wenigstens mit Recht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡⚫⚫⚫ 08/11

Persönliche Höhepunkte
Schlechtes Gewissen | Plus 1 | Vater Mutter Kind | Lauf | Cottbus | Klingelton | Fließbandjob | Ende in Sicht

Nicht mein Fall
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