Donnerstag, 28. September 2017

Düsterbrühe

Ich höre nicht auf zu hoffen, dass Chelsea Wolfe mich irgendwann tatsächlich ernsthaft interessiert. Die Tatsache, dass die Kalifornierin auf einem meiner Lieblingslabel gesignt ist, regelmäßig mit großartigen Künstler*innen kollaboriert und seit Jahren nur wahnsinnig gute Kritiken abbekommt, haben bei mir das Gefühl bestärkt, dass es ja irgendetwas tolles und besonderes an ihrer Musik geben muss. Leider habe ich das bis dato nie wirklich gefunden. Sicher, eine wirklich schlechte Platte hat Wolfe noch nie gemacht und ihr Stil ist eine gute Mischung aus Gothrock, verschiedenen Spielarten von Metal und einer gewissen Singer-Songwriter-Grundstimmung, doch habe ich bei ihr nie etwas anderes gehört, das ich nicht bei anderen Acts auch haben kann. Und ich muss sagen, daran ändert sich auch mit Hiss Spun wenig. Nachdem vor zwei Jahren Abyss schon ordentlich tief in den musikalischen Abgrund schaute, macht sie hier erneut ihre bisher düsterste Platte, die sich noch ein Stückchen weiter ins Einzugsgebiet von Gothic und Metal wagt. In Vex gibt es zum ersten Mal geschriene Backing-Vocals und in fast allen Songs sind die Riffs grantiger und böser gespielt als zuvor. Außerdem schleichen sich mehr oder weniger unauffälig langsam Industrial-Elemente und finstere Synth-Passagen in die Stücke ein, die mitunter an die alten Sachen von Grimes erinnern. Das ist alles ganz toll und schön, aber im Grunde genommen ist Wolfe immer noch die in Schönheit siechende Indie-Morticia Addams, die sie schon vor fünf Jahren war. Und das ist und bleibt die große Schwachstelle in ihrer Musik: Die sakralen, okkulten Riffs können hier so böse und nihilistisch sein wie sie wollen, wenn Frau Wolfe darüber singt wie die Neunziger-Doom-Lana del Rey, dann ist das einfach nicht spannend. Ihr Gesang in diesen 12 Stücken kennt ganz genau eine Intensitätsstufe, was die meisten der Tracks hier trotz gutem instrumentalem Backing unglaublich monoton und generisch macht. Für zwei bis drei Tracks findet man das noch gut, aber danach wird Hiss Spun mit jeder Sekunde langweiliger. Wer bei Twin Fawn noch wach ist, der kann sich ruhig Fan nennen. Zusätzlich zu allem Übel ist diese Platte auch noch ziemlich langweilig produziert, die starken Mitten sind an sich okay, aber wenn es dann tatsächlich ein oder zweimal im Song einen ordentlichen instrumentalen Ausbruch gibt, hat dieser keinerlei Schlagkraft. Auf der anderen Seite ist der Mix auch nicht besonders detailliert. Zwar sind auf diese Art und Weise momentan viele Rockalben produziert, allerdings ist Hiss Spun eines, dass diesen Mangel nicht durch vielseitiges Songwriting wieder ausgleichen kann. Dumm gelaufen. So wird Hiss Spun zum bis dato vielleicht schwächsten überbewerteten Album von vielen überbewerteten Alben von Chelsea Wolfe. In einem anderen Universum hätte aus diesen Songs vielleicht ein ganz okayes Doomrock-Projekt werden können, aber das Schicksal hatte mal wieder andere Pläne. Diese beinhalten übrigens auch nicht, dass ich den Rummel um diese Künstlerin diesmal auch nur ansatzweise verstehe. Was solls, versuchen werde ich es trotzdem weiter.





Persönliche Highlights: Spun / 16 Psyche / Vex / Two Spirit / Scrape

Nicht mein Fall: Particle Flux / Twin Fawn / Offering / Static Hum

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Mittwoch, 27. September 2017

All These Things That I've Done

Es scheint 2017 irgendwie unwirklich, ein neues Album der Killers zu hören. Man kann sich kaum noch erinnern, wann man sich das letzte mal wirklich aktiv mit ihrer Musik beschäftigt hat und ihre großen Hits wie Mr. Brightside oder Human, die mal eine Generation von versnobten Emo-Indiekids geprägt haben, wirken von heute aus tausende Jahre alt. Es ist ein bisschen wie ein Filmriss: Das letzte, woran man sich erinnern kann ist, wie sich die Band nach dem chaotischen Day & Age von 2009 feierlich in eine längere Pause verabschiedete und fast eine Dekade später wacht man plötzlich auf und wundert sich, was diese seltsame Gruppe noch von einem will. Und oh mein Gott, was ist eigentlich die ganze Zeit passiert? Welches Jahr haben wir? Man muss sich erstmal ordnen und sortiert dann nach und nach die Dinge: Da war zum Beispiel das Soloalbum von Brandon Flowers 2010, das war sogar überraschend gut. Und zwei Jahre später gab es sogar nochmal ein richtiges Band-Album, von dem aber niemand Notiz nahm, obwohl es eigentlich ganz okay war. Danach wird es wieder still. Die Killers haben es seit Day & Age irgendwie geschafft, von riesigen Popstars (theoretisch hätten sie auch das werden können, was die Kings of Leon letztendlich geworden sind) zum gefühlten Nichts zu werden, das auf einmal wieder auftaucht und Aufmerksamkeit will. Und um der Liebe willen, die ich einmal für diese Band empfunden habe, will ich das auch tun. Denn so beschissen und belanglos wie zunächst gedacht ist Wonderful Wonderful gar nicht. Auch 2017 ist der Stil des Quartetts aus Las Vegas ein Balanceakt aus kraftmeierndem Springsteen-Americana-Rock, circa Born in the USA und glimmerndem New Wave-Synthpop vom Typ Ultravox und A-Ha und die Songs, die dabei entstehen, sind hier wieder die gleichen wie auf ihren ersten beiden Alben. Brandon Flowers singt große, bedeutingsschwangere Stadion-Refrains über breit produzierte Keyboard-Flächen, hinter denen ein bodenständiges Rock-Instrumentarium steht und die Basis abdeckt. Gerade zu Songs wie Tyson vs. Douglas oder the Man möchte man sich die Band mit Vokuhilas und Stirnbändern vor dem Star Sprangled Banner vorstellen, nur eben mit schicken Anzügen, weil sie am Ende doch noch zu glamourös sind. Und obwohl die Power-Hooks nur äußerst selten das songwriterische Niveau erreichen, das damals Read My Mind oder Somebody Told Me hatten, versagen sie nicht komplett in ihren Avancen. Life to Come beispielsweise hat einen besseren Bono-Refrain als die meisten neuen Sachen von U2, the Calling ist der rockige Kontrapunkt, den diese LP braucht und the Man könnte man mit etwas gutem Willen sogar als Hit bezeichnen. Man muss sich aber auch nichts vormachen: So auf dem Level wie in den Zweitausendern sind die Killers hier bei weitem nicht. Sogar das ziemlich zusammengeschusterte und löchrige Day & Age hatte damals mehr Fokus als die Songs hier und alles in allem ist diese Band doch sehr zahnlos geworden (Oh Gott, die Texte!). Wonderful Wonderful präsentiert eine ziemlich potemkinsche Version der Killers, die so sein soll wie auf Hot Fuss und Sam's Town, aber bei der vieles nicht mehr so richtig sitzt und die Farbe langsam abblättert. Ein Comeback will ich diese LP gar nicht erst nennen, denn dafür ist die ganze Nummer viel zu lahmarschig gemacht und inszeniert. Nein, die Killers wollen wahrscheinlich einfach nur in Ruhe ihre Musik weitermachen und die dabei vielleicht noch anfallende Kohle abgreifen, bevor es gar keine mehr gibt. Hätten sie Popstars sein wollen, hätten sie schon vor Jahren anders gehandelt oder sich wenigstens mit einer ordentlichen Schlammschlacht getrennt. So können sie die neuen Songs jetzt eine Saison lang abtouren und mit ihren Ü-30-Fans gemeinsam darauf warten, dass sie dann doch endlich Mr. Brightside spielen. Denn die kommen auch nur noch, weil das Lied damals lief, als sie auf der Wohnheimparty rumgemacht haben.





Persönliche Highlights: the Man / Life to Come / Tyson vs. Douglas / the Calling / Have All the Songs Been Written?

Nicht mein Fall: Rut

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Dienstag, 26. September 2017

Norwegische Verhältnisse

Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich Bands wie Wolves in the Throne Room als Musikfan eine ganze Menge zu verdanken habe. Als Teil der ersten Generation atmosphärischer Black Metal-Bands schufen sie in den Zweitausendern gemeinsam mit Kollegen wie Agalloch, Krallice und Alcest die Basis für das, was in den letzten fünf Jahren durch die zweite Welle der Bewegung mit Liturgy, Deafheaven und Der Weg einer Freiheit zu einem meiner Lieblingsthemen wurde und mich nicht zuletzt zu dem Black Metal-Fan gemacht hat, der ich heute bin. Ohne die Vorarbeit der Weaver-Brüder wäre vielleicht noch heute die Musik von Emperor das Maximum an Fremdeinflüssen in der Szene und man würde sich noch immer nicht ohne Corpsepaint vor die Tür trauen. Gemessen am immensen Einfluss dieser Band ist es vielleicht komisch, dass Wolves in the Throne Room selbst nie zu meinen Favoriten in diesem Bereich gehört haben. Abgesehen davon, dass ich großen Respekt vor ihrer Leistung als Anschubser des Genres habe, finde ich die Platten, die dafür hauptverantwortlich waren, eher so lala. Es ist nun einfach mal so, dass die zweite Welle der Bewegung wesentlich mehr Möglichkeiten hatte, sich in ihren Songs kreativ auszutoben und Alben wie Diadem of 12 Stars oder Black Cascade sich im Nachhinen nicht mehr mit der Schlagkraft eines Sunbather oder Aesthethica messen können. Die alte Schule ist eben ein bisschen langweilig geworden. Und eigentlich nahmen auch Wolves in the Throne Room das zuletzt als Anlass, sich mehr oder weniger endgültig aus diesem Sachgebiet zu entfernen. Ihr letzter Longplayer Celestite von 2014 war mit komplett elektronischer Instrumentierung und stilistischer Ausrichtung an Künstlern wie Jean-Michel Jarre oder Tangerine Dream eine komplette Abwendung vom bisherigen Stil und in meinen Augen gleichzeitig ihre wahrscheinlich beste Arbeit. Ob der Qualität dieser LP war es absolut nicht auszuschließen, dass die US-Amerikaner danach in dieser Richtung weitermachen könnten und damit auch noch erfolgreich sein könnten. Ein Teil von mir wollte es bestimmt auch so. Stattdessen präsentiert das Duo jetzt mit Thrice Woven sein bisher vielleicht konservativstes Werk, das mehr als jedes vorherige Album mit den Wurzeln des Black Metal kuschelt. Statt atmosphärischer Ambient-Gitarrenflächen und Postrock-Momenten gibt es hier das Komplettpaket aus finsteren Riff-Mäandern, Schlagzeug-Kaskaden, gutturalen Scream-Vocals und grottenschlechtem Proberaum-Sound, gegen das die Band ursprünglich ma angetreten war. Man muss dabei fair sein, komplett norwegisch ist diese Platte noch nicht. Überall hier glimmen zarte europäische Folk-Einflüsse durch und hier und da gibt es sogar wieder Synthesizer, doch die Tendenz ist schon auffällig. Wolves in the Throne Room wollen hier stinknormalen 08/15-Black Metal spielen. Man muss ihnen das auf jeden Fall gönnen, denn nachdem sie das Genre schon einmal revolutioniert haben, können sie sich hier zum ersten mal richtig freispielen. Und die Handgriffe der alten Schule beherrschen sie auf jeden Fall. Es muss sich dann aber auch niemand wundern, dass Thrice Woven in Sachen Originalität einige Defizite hat. Wer hier erwartet, irgendwelche neuen stilistischen Impulse oder Umwälzungen zu hören, den muss ich enttäuschen: Diese fünf Songs klingen nicht anders als die des lokalen Vereins der Corpsepaint-Freunde im Proberaum nebenan. Sowohl kompositorisch als auch klanglich unterscheinden sich WITTR hier nur minimal vom Großteil generischer Genre-Bands, die man überall hören kann und dass sie an und zu ein paar Harfen oder Keyboards einbauen, macht die Suppe jetzt nicht wirklich fett. Die Tracks sind ohne Frage alle gut geschrieben, doch sie sind eben auch nichts besonderes und teilweise sogar ziemlich hingeschlampt. Vor allem die Produktion der Platte ist eine ziemliche Katastrophe, die so nicht hätte sein müssen. Die Gitarren sind viel zu matschig abgemischt, das Schlagzeug klingt dünn und statt wenigstens konsequent auf LoFi zu setzen, packt die Band immer wieder monumentale Synth-Parts und sogar Chöre in den Mix. Was alles in allem irgendwie den Eindruck erweckt, dass Wolves in the Throne Room nicht so richtig wissen, was sie hier wollen. Für ein Grundlagen-Album ist Thrice Woven am Ende doch zu progressiv, aber wirklich mutige Schritte nach vorn macht es auch nicht. Die Gebrüder Weaver schreiben hier eine handvoll akzeptabler Songs, aber bauen diese nicht richtig aus. Unterm Strich kann man also sagen, dass wir hier eine der eher schwächeren Arbeiten von ihnen erleben. Das ist total okay, weil sich die Band offenkundig gerade stilistisch neu formieren muss und sowas nun mal nicht immer gleich reibungslos funktioniert. Allerdings hätten sie auch einfach noch eine Elektro-Platte machen können, oder?





Persönliche Highlights: Born From the Serpent's Eye / Angrboda / Fires Roar in the Palace of the Moon

Nicht mein Fall: Mother Owl, Father Ocean

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Montag, 25. September 2017

Don't Wanna Take My Sound Back

Wer hätte gedacht, dass ein Album von Enter Shikari für mich einmal eines der wichtigsten Releases dieses Monats werden würde? Ich ganz sicher nicht. Noch vor zweieinhalb Jahren stampfte ich die Briten mitsamt ihrem letzten Album the Mindsweep und drei von elf Punkten ganz schön ein und gedachte eigentlich, nie wieder über sie zu schreiben. Für mich war das Quartett aus Sheffield damals der Wurmfortsatz grauenvoller Post-Emo-New-Metal-Dubstep-Bands, die nicht in mein edgy Bild von guter Musik im Jahr 2015 passten und deshalb als Thema ganz schnell verschwinden mussten. Nun finde ich diesen Ansatz Musik zu hören inzwischen nicht nur sehr falsch und arrogant, auch habe ich in Vorbereitung auf diese LP noch einmal the Mindsweep gehört und fand es plötzlich ziemlich geil. Enter Shikari sind vielleicht etwas oldschool und nicht unbedingt unglaublich edgy, aber ihre Musik zeichnet sich immerhin durch eine beachtliche Kreativität aus und hat die Eigenschaft, wenig von gängigen Trends zu halten. Und wenige Dinge zeigen diese Qualitäten besser auf als ihre neue LP the Spark: Nachdem 2012 bereits A Flash Flood of Colour einen wesentlich bunteren und stilistisch offeneren Sound suchte, ist dieses neue Material endgültig das bisher Pop-affinste der Briten. Schon die Leadsingle Live Outside überraschte mich mit der vielleicht nervigsten Ohrwurm-Hook des Sommers (ja, schlimmer als Despacito!) und einem deutlich melodischerem Songwriting und die fertige Platte stellt sicher, dass das auch definitiv kein Zufall war. Schon der Opener the Sights begrüßt die Hörenden mit einem Bilderbuch-Weezer-Refrain und obwohl kurz danach wieder bekanntere Elemente wie gerappte Lines und elektronisches Gefritzel dazu kommen, setzt er doch ein klares Zeichen für den Gesamtklang dieses Albums. The Spark ist Pop und will auch gar nichts anderes sein. Und bevor jetzt vielleicht einige Oldschool-Fans, die den Schock vom letzten Mal noch verdauen müssen, komplett in Ohnmacht fallen: Es ist der beste Schritt, den Enter Shikari machen konnten. Der Stil der letzten beiden Platten wusste in meinen Augen immer nicht so richtig, wohin mit sich selbst und war bisweilen ein wenig unfokussiert. Mangelnden Fokus kann man diesen neuen Songs indes definitiv nicht vorwerfen und die Tatsache, dass diese Band hier weiß, was sie tut, lässt the Spark trotzdem zu einem sehr kredibilen Projekt werden. Enter Shikari hier Sellout-Vorwürfe zu machen, wäre so ziemlich das letzte, was mir einfallen würde. Dass es hier mehr Melodien gibt, bedeutet nicht automatisch, dass die Texte an Schärfe verlieren, sich die musikalischen Kanten glätten oder das Mixing langweilig klingt. Im Gegenteil: Durch den pralleren Sound kommt hier wesentlich mehr von dem rüber, was die Band sagen will und auch wenn Rou Reynolds hier weniger schreit, als Sänger ist er ja auch nicht schlecht. Und wenn in Songs wie Rabble Rouser trotzdem noch eindeutige Grime-Einflüsse durchblitzen oder Take My Country Back politische Konsens-Zeilen liefert, bleibt im Kern ja doch viel vom ursprünglichen Spirit des Kollektivs übrig. Im Prinzip rennen Enter Shikari hier aber offene Türen ein. Wer als Fan 2017 nicht damit klarkommt, dass seine Lieblingsband sich ihre Einflüsse von so ziemlich überall holt und auch  mal was anderes ausprobiert, hatte die letzten fünf Jahre genug Zeit zum rumheulen. Dieses Album ist letztendlich nichts anderes als konsequent. Aber vor allem es ist ziemlich geil. Und ich bin gerade froh, dass ich das mal über eine LP von Enter Shikari sagen kann.





Persönliche Highlights: the Sights / Live Outside / Rabble Rouser / Undercover Agents / the Revolt of the Atoms / An Ode to Lost Jigsaw Pieces

Nicht mein Fall: Shinrin-Yoku

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Sonntag, 24. September 2017

the Revolution is Never Coming

Die Zeiten, in denen Godspeed You! Black Emperor eine Sensationsband waren, sind mittlerweile eindeutig vorbei. Nachdem die Kanadier 2012 mit ihrem Comeback-Album Allelujah! Don't Bend, Ascend! zumindest der Postrock-Welt noch einmal ordentlich den Kopf verdrehten und es mal kurz wieder so war wie damals bei Lift Your Skinny Fists..., ist seit einer Weile ziemlich Ruhe eingekehrt bei den Orchestral-Punks von einst. Brav wie eine Bande von Major-Sklaven macht das antiautoritäre Kollektiv inzwischen alle zwei Jahre eine neue Platte, die ein bisschen am kompositorischen Mikrokosmos des maximalistischen Instrumentalrock herumdoktort und das auch ganz erfolgreich tut, aber Kontinente werden hier schon lange nicht mehr verschoben. Zuerst fand ich diese Tendenz ehrlich gesagt ein klein wenig ärgerlich und trauerte den großen Epen nach, aber je länger diese Geschichte jetzt schon geht, desto mehr habe ich mich mit ihr angefreundet. Das letzte Album Asunder, Sweet and Other Distress von 2015 triggerte mich, weil es mit läppischen vierzig Minuten Spielzeit nicht meinen überzogenen Ansprüchen gerecht wurde, doch mittlerweile muss ich zugeben, dass ich nicht nur meinen Frieden damit gefunden habe, sondern die LP sogar richtig gerne mag. Tatsächlich empfinde ich es im Nachhinein als eine gute Entscheidung, mal kleinere Brötchen zu backen und nicht immer gleich die neue Bibel der Rockmusik machen zu wollen. Und diese Einsicht hilft mir zweieinhalb Jahre später auch, mit Luciferian Towers klarzukommen. Denn wo Asunder sich 2015 wie die Diätportion Godspeed anfühlte, ist die neue Platte ganz oberflächlich gesehen nicht mehr als eine Vorspeise. Zwar geht sie mit 43 Minuten ganze 180 Sekunden länger als ihr Vorgänger, doch gibt es hier weder einen Track über zehn Minuten (Skandal!) noch ein wirklich erkennbares Konzept, dass dieses entschuldigt. Mein Vergangenheits-Ich von vor zwei Jahren wäre im Dreieck gesprungen. Doch die klügere Person, die ich jetzt bin, nimmt es gelassen hin: Weniger und kürzere Songs bedeutet ja nicht gleich, dass diese schlechter sind, oder? Naja, zumindest nicht direkt. Allerdings muss man schon sagen, dass Godspeed hier eines ihrer bisher langweiligsten Alben gemacht haben. Und das liegt unter anderem schon ein bisschen daran, dass sie größere Unternehmungen hier geschickt umgehen. So sind beispielsweise Bosses Hang und Anthem for No State Stücke, die zusammen je auf gute 15 Minuten kommen würden (die Dreiersplittung bei beiden existiert ja quasi nur auf dem Papier), die aber diesen Umfang nicht voll ausnutzen wollen. Beide Tracks mäandern und gniedeln halbe Ewigkeiten vor sich hier und durchlaufen dabei viele wunderschöne Einzelpassagen, doch finden dabei nie wirklich einen roten Faden. Wo Songs wie Storm oder Mladic von früheren Platten zumindest immer eine eindeutige Richtung hatten, in die sie sich mit aller gegebenen Geduld bewegten, verharren Godspeed hier teilweise ein wenig auf der Stelle und wissen nicht so richtig weiter. Anthem for No State schafft es dabei noch irgendwie, ein würdevolles Finale für die LP hinzuschustern und spielerisch zu beeindrucken, aber Bosses Hang hinterlässt im Mittelteil des Albums irgendwie ein größeres Fragezeichen. Man weiß tatsächlich nicht, ob dieses musikalische Ödland jetzt weise Absicht war, um mit den Hörgewohnheiten der Fans zu brechen oder einfach nur Schludrigkeit. In beiden Fällen ist das Ergebnis nicht das gewünschte. Wie gut, dass die beiden Ouvertüre-Tracks Undoing A Luciferian Towers und Fam/Famine zeigen, dass es auch besser geht und Luciferian Towers am Ende doch noch zu einem soliden Gesamteindruck verhelfen. Dieser wird zwar auch ein wenig davon getrübt, dass Godspeed hier rein klanglich-kompositorisch ihr letztes Album nochmal aufnehmen, aber wenigstens machen die ganzen Streicher- und Blechbläser-Passagen auch beim fünfzehnten Mal noch Spaß. Am Ende des Tages ist das hier eine LP, die durchaus funktioniert und die Kanadier vor ihrem musikalischen Erbe nicht bloßstellt, aber mit der die Band weder stilistisch wachsen wird noch ihre Fans herausfordert. Vielleicht haben Godspeed ja wirklich Gefallen an der Gemütlichkeit der Routine gefunden und überlassen das Feld der Randale jetzt langsam den jungen Wilden. Gemessen daran, dass sie gefühlt mal die radikalste Rockgruppe des Planeten waren, wäre das allerdings schon ein bisschen wie bei Joschka Fischer. Und was noch viel wichtiger ist: Wer sollen denn bitte diese jungen Wilden sein, von denen ich da spreche?





Persönliche Highlights: Undoing A Luciferian Towers / Fam/Famine / Anthem for No State, Pt. I / Anthem for No State Pt. II / Anthem for No State Pt. III

Nicht mein Fall: Bosses Hang, Pt. I 

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Samstag, 23. September 2017

Don't Stop Me Now (Cause I'm Having A Good Time)

2017 ist die Rockmusikwelt an einem Punkt, an dem zweiköpfige Garagenrock-Lärmbands eines der abgedroschendsten und langweiligsten Konzepte überhaupt geworden sind. Besonders originell waren Gruppen wie die Black Keys, Royal Blood oder Japandroids noch nie und nachdem sich die White Stripes vor sechs Jahren aufgelöst haben, haben von den vielen, die versuchten, ihr künstlerisches Erbe anzutreten, wenige Erfolg gehabt. Eine der großen Ausnahmen, die in diesem Bereich seit Eh und Je große Überzeugungsarbeit leisten, sind die Kanadier von Death From Above 1979. Mit ganzen 2 Longplayern in sage und schreibe elf aktiven Jahren (nicht mitgezählt die Bandpause von 2006 bis 2011) haben Jesse Keeler und Sebastien Graigner eine der solidesten und coolsten Rock-Diskografien des neuen Jahrtausends, die die Grantigkeit und Virtuosität von Jack White mit dem Punch von Daft Punk und der Catchyness von Michael Jackson verbindet. Sowohl ihr 2004 veröffentlichtes Debüt You're A Woman, I'm A Machine als auch ihren eine Dekade jüngeren Nachfolger the Physical World kann ich jedem Freund gut gemachter Rockmusik wärmstens empfehlen und wenn ihr gerade dabei seid, könnt ihr euch Outrage! is Now gleich auch noch geben. Jüngst nach der letzten Namensänderung (Das "1979" musste 2004 nach einem Rechtsstreit mit dem Label von James Murphy dran) veröffentlicht das Duo hier seinen bis dato sicherlich gefälligsten und poppigsten Longplayer. Album Nummer drei baut mehr als seine Vorgänger auf radiotaugliche Strukturen, einen klareren Sound und in großem Maße auch auf den Einsatz von Synthesizern. Doch wo man jetzt selbstverständlich erstmal denkt, dass dadurch der Sound von Death From Above vielleicht ein Stückchen verwässert und abgeschwächt wird, ist hier tatsächlich eher das Gegenteil der Fall. Durch das wesentlich aufgeräumtere Songwriting, griffigere Melodien und die Tendenz dazu, auch mal Atempausen zu lassen, klingt die Band sogar noch ein bisschen fetter als zuvor. Natürlich sind Songs wie Freeze Me oder All I C is U & Me ein wenig subtiler als die der ersten beiden Platten, doch das ist alles Strategie. Denn dadurch, dass man weniger erwartet, bekommt man automatisch mehr. Heftige Baller-Orgien wie Nomad, Caught Up oder NVR 4EVR wären vorher vielleicht gar nicht aufgefallen, doch hier scherbeln sie gleich doppelt und dreifach. Kontraste heißt das Zauberwort. Und natürlich tut es auch was zur Sache, dass es die epische Mitsing-Hook zum berstigen Gitarrenriff gleich dazu gibt. Sogar die geschickt eingesetzten Synth-Parts unterfüttern die Catchiness der Tracks noch zusätzlich. Alles ist hier perfekt darauf abgestimmt, das Maximum an Banger-Potenzial herauszuholen und ich muss sagen, das Death From Above damit sehr erfolgreich sind. Outrage! is Now ist erneut eine Offenbarung an großartig gemachter Rockmusik, die Bock auf mehr macht und der Band dazu verhilft, auch mit dem dritten Album im Folge einen stabilen Durchschnitt von 9,0 Punkten in Besprechungen zu halten. Ich kenne wenige Acts, bei denen ein Konzept so nachhaltig funktioniert wie bei denen hier und obwohl man sich jedes Mal denkt, wie unzeitgemäß das hier eigentlich klingt, findet man es doch jedes Mal wieder geil. Und ich freue mich darauf, das noch viele Male erneut festzustellen.





Persönliche Highlights: Nomad / Freeze Me / Caught Up / Outrage! is Now / Never Swim Alone / NVR 4EVR

Nicht mein Fall: Statues

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Freitag, 22. September 2017

Heavy Metal Fun Time

Es hätte sicherlich bessere Zeitpunkte gegeben, um damit anzufangen, Arch Enemy zu hören. Die schwedische Melodic Death Metal-Band aus Halmstad ist mittlerweile schließlich schon seit über 20 Jahren aktiv und hat in dieser Zeit ein gutes Dutzend Platten veröffentlicht, keine davon habe ich vor Will to Power gehört. Doch wie dieses, ihr inzwischen elftes Album, zeigt, fängt man besser spät als nie damit an. Denn was das Kollektiv hier an Qualitäts-Hochglanz-Metal vom Stapel lässt, ist definitiv ganz ordentlich. Unter den zahlreichen Arch Enemy-Fans, die dieses Format ab und zu lesen, gibt es sicherlich viele, die mir sehr viel über die stilistische Vielfalt alter LPs und die künstlerische Entwicklung der Band in zwei Dekaden erzählen können, doch mir reicht um ehrlich zu sein auch dieser erste Eindruck für den Anfang. Insofern dass ich entgegen all meiner Erwartungen sehr angetan von dem bin, was ich hier höre. Die SchwedInnen spielen sehr schnelle, polierte und epochale Songs, die wenig mit der Spielart von Death Metal zu tun haben, die ich hier normalerweise bespreche. Nichtsdestotrotz fehlt es dieser Musik mitsamt ihren großzügigen Synth-Passagen, klinisch produzierten Gitarren und expliziten Helene Fischer-Momenten an nichts, um dennoch jede Menge klangliche Schlagkraft, hymnisches Songwriting und unversauten Pommesgabel-Pathos mitzugeben. In vielerlei Hinsicht erinnert mich Will to Power damit an den Effekt, den ich Anfang des Jahres mit Gods of Violence von Kreator hatte: Wir erleben hier eine Platte, die nicht darum verlegen ist, in vielen Momenten extrem kitschig zu sein, diesen Kitsch aber auch in wahnsinnig gute Komposition verpacken kann. Und im Gegensatz zu vielen anderen Melodic-Metal-Gruppen geben Arch Enemy durch ihren Schritt zum Epochalen nicht ihr Talent für fette Riffs und rasante Breaks auf. Tracks wie the World is Yours oder the Eagle Flies Alone sind ebenso gut darin, den melodisch-technischen Overkill zu verursachen wie darin, ein dreckiges, lärmiges Gitarrensolo oder eine mörderische Schlagzeug-Break durchzuballern. Und neben allem noch so geilen Evanescence-Geseier versteht es Sängerin Alissa White-Gluz trotzdem, auch auf gutturaler Ebene abzuliefern. Letzteres zeigt sich vor allem im wesentlich Death-lastigeren zweiten Teil der LP, der sehr auf schnelles Thrash-Riffing, finstere Akkordfolgen und infernalisches Geschrei setzt und mit Dreams of Retribution und First Day in Hell vielleicht meine Lieblingssongs dieses Albums hervorbringt. Zwar sind die virtuosen Pop-Momente des ersten Teils auch nicht übel und erfüllen ihren Zweck, aber danach nochmal richtig auf die Fresse zu bekommen, ist eben immer noch am geilsten. Und obwohl Arch Enemy definitiv eher zu den gefälligeren Metalbands gehören, können sie das nicht schlechter als die meisten anderen Death Metal-Acts, die ich kenne. Die SchwedInnen sind vielleicht nicht die Art von edgy, hartgesottener Band, die man hier sonst sieht, aber insofern ist dieses Album eine echt gute Horizonterweiterung für mich. Lange habe ich diese Musik aufgrund ihrer Mainstream-Avancen geschmäht, aber mehr als Snobismus war das eigentlich nicht. Wenn jemand solide, unterhaltsame Songs schreibt (und das tun Arch Enemy), dann sollte man das auch feiern dürfen. Und wenn Will to Power kein feierbares Album ist, dann hat einer von uns den Spaß am Heavy Metal verloren. Ich für meinen Teil finde, er fängt gerade erst an.





Persönliche Highlights: the Race / the World is Yours / the Eagle Flies Alone / Reason to Believe / Murder Scene / First Day in Hell / Dreams of Retribution / My Shadow and I / A Fight I Must Win / City Baby Attacked By Rats

Nicht mein Fall: Blood in the Water

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Donnerstag, 21. September 2017

Am Ende kommen Touristen

Ich habe mittlerweile genug von Amalie Bruun gesehen, dass es einigermaßen unmöglich geworden ist, sie irgendwie einseitig betrachten zu können. Vor etwas mehr als zwei Jahren kam das ehemalige Model und dänische Folk-Sternchen mit ihrer neu gegründeten Band Myrkur und deren abgefahrenen Metal-Debüt M in meine Welt und ist seitdem ziemlich omnipräsent gewesen. Im Vorprogramm von Deafheaven sah ich sie kurz danach erstmals live, ihren Konflikt mit den Hardlinern der Kvlt Police verfolgte ich in jedem Detail und irgendwo zwischen ihrem Live-Album Mausoleum von 2016 und einem ihrer vielen Facebook-Videos, in denen sie auf historischen Instrumenten dänische Volkslieder spielt, bin ich wohl ein Fan dieser Band geworden. Myrkur repräsentieren Black Metal auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Catchiness, schreiben Stadionrock-Hymnen mit Screamo-Parts als wäre es das normalste der Welt und fördern ganz nebenbei die tollsten Sachen aus dem Volksliedgut ihrer Heimat zutage. Um die Zukunft des Heavy Metal und seiner Entwicklung willen ist es nur gut und richtig, diese Musik zu bewundern. Und das mache ich nach wie vor. Nur muss ich ebenfalls zugeben, dass mir Myrkur während der Promophse zu ihrem zweiten Album Mareridt dann doch etwas too much wurden. Die Songkonzepte veränderten sich kaum noch, das Wechselspiel aus lauschigen Folk-Passagen und okkulten Blastbeat-Wasserfällen war inzwischen bekannt und man konnte mittlerweile Wetten darauf abschließen, wie viele Takte es noch bis zur nächsten Break oder zum Refrain waren. Der Überraschungseffekt, den die Band am Anfang ihrer Karriere so gekonnt ausspielte, war ausgetrudelt und vieles, was hier passierte, nicht mehr wirklich aufregend. Mein großer Wunsch für die kommende LP war also die, dass Myrkur sich etwas einfallen ließen, um die absolut geniale Ästhetik ihrer Songs irgendwie über die Zeit zu retten. Und man muss leider sagen, bemüht haben sie sich nicht wirklich. Das originellste, was Mareridt anzubieten hat, sind eine handvoll Tracks in englischer Sprache, eine wesentlich gefälligere Produktion und einen Gastauftritt des bösen Zwillings von Amalie Bruun, Chelsea Wolfe. Es ist offensichtlich, dass die Dänen hier sehr darauf setzen, den überraschenden Mainstream-Drift ihres ersten Albums noch zu verstärken, was ja eigentlich nicht schlecht ist. Nur ist die Ausführung des ganzen denkbar schlampig geraten. Statt auf einen starken Gesamtklang zu gehen und den Flow der Platte abzurunden, haben Myrkur hier versucht, Hits zu schreiben. Was leider ein bisschen verunglückt ist. Nicht nur klingen Songs wie Ulvinde oder Funeral fast exakt wie vom Vorgänger, sie sind auch bei weitem nicht so catchy wie die bisherigen Sachen. Und das, obwohl dem epochalen, sinfonischen Sound dieser Stücke viele tolle Black Metal-Momente zum Opfer fallen mussten. Stattdessen gibt es wesentlich mehr Synthsizer, Streicher, akustische Gitarren und cleanen Gesang von Bruun. Das ist an sich auch nicht per se schlecht so: Es ist erstaunlich, wie viele unterschiedliche Instrumente man auf Mareridt hört und gerade für das Mixing muss ich hier mein Kompliment geben, doch es werden auch viele große Stärken von Myrkur abgetötet. Eine fatale Entscheidung ist beispielsweise das, was hier mit den Vocals angestellt wurde: Sowohl die klar gesungenen Parts als auch das Geschrei von Bruun ist an den meisten Stellen mit Effekten zugekleistert oder total unnatürlich gepitcht (oder gibt es auf Børnehjem etwa ein Yolandi Vi$$er-Feature, von dem ich nichts weiß?), und das, obwohl die Sängerin in Natura eine fantastische Stimme hat. Auch werden die Songs durch das Fehlen von Metal-Einschlägen gerne ein bisschen monoton und schmalzig, Howard Shore-Orchestrierung sei Dank. Statt nach cleverem Folk-Pop-Metal-Amalgam hört sich Mareridt stellenweise an wie die billige Kitschpop-Adaption des Soundtracks von Die zwei Türme. Und nein, das ist kein gutes Zeichen. Alles in Allem wirkt diese Platte dadurch schon recht zusammengeschustert. Trost kann dabei lediglich spenden, dass es am Ende doch eine ganze Reihe cooler Einzeltracks gibt, die für sich gesehen ganz tauglich sind. So zum Beispiel der astrale Titelsong, das sehr folkige Kætteren, das zwischen Lana del Rey und Sinéad O'Connor pendelnde Crown und nicht zuletzt die am Ende doch noch erfolgende Black Metal-Erlösung Måneblôt. Zum Scheitern verurteilt sind Myrkur also bei weitem nicht. Spätestens bei der nächsten Tour werden viele Fans sicherlich ihren Frieden mit diesen Songs finden und vielleicht gibt es dann auch ein paar mehr Gitarren dazu. Was Konservenmusik angeht, beginne ich mir jedoch langsam Sorgen um diese Band zu machen. Wenn schon das zweite Album der Dänen so ein vom Hype zerficktes Konsenswerk geworden ist, wie sollen Myrkur dann bitte die Jahre ohne den Hype überstehen? Wenn es so weitergeht, wird es sich irgendwann rächen, dass diese ganze Sache eigentlich nie mehr als die Folge einer Modeerscheinung waren. Dabei hoffe ich echt, dass sie am Ende doch mehr ist.





Persönliche Highlights: Mareridt / Måneblôt / Crown / Ulvinde / Gladiatrix / Kætteren

Nicht mein Fall: the Serpent / De Tre Piker / Børnehjem

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Mittwoch, 20. September 2017

Aufgewärmt und eingewechselt

Man hatte sich in den letzten zehn Jahren an Motorpsycho als eine der routiniertesten Bands des Universums gewöhnt. Seit 2006 stand die Besetzung Snah-Saether-Kapstad, einmal im Jahr erschien eine neue LP und es gab eine ausgedehnte Tour. Daran hatten sich die Fans gewöhnt und wenn man sich bewusst machte, wie reibungslos das funktionierte, glaubte keiner daran, dass es sich irgendwann nochmal ändern würde, am wenigsten wahrscheinlich die Musiker selbst. Und dennoch passierte es letztlich, genauergesagt im letzten Herbst. Nachdem Mitte der Nullerjahre mit Håkon Gebhardt schonmal ein Drummer von Motorpsycho das Handtuch warf, war es mit Kenneth Kapstad diesmal wieder der Mann hinter den Kesseln, der sich absetzte. Das mag auf den ersten Blick nach keinem großen Verlust klingen (zumindest nicht so dramatisch wie ein Weggang der verbleibenden beiden Mitglieder, die seit jeher den Löwenanteil des Songwritings stemmen), doch schmerzhaft war es schon. Kapstads energischer, rockiger Stil war auf den neueren Alben der Norweger prägnant und in dieser Konstellation von musikalischen Genies ist es nie einfach, jemanden einfach so zu ersetzen. Was nicht heißt, dass es unmöglich ist. Mit Tomas Järmyr sitzt seit einem knappen Jahr nun nicht nur ein weiterer Youngstar der Trondheimer Jazz-Szene am Schlagzeug, sondern auch ein langjähriger Weggefährte der Band. Es könnte also deutlich schlimmer sein. Und die Tatsache, dass es schon jetzt einen neuen Longplayer der neuen Formation gibt, spricht für den Neuzugang. Nicht nur das, mit the Tower haben sich Motorpsycho ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt. Die neue Platte ist mit 84 Minuten Spieldauer die längste seit dem legendären Über-Epos the Death Defying Unicorn von 2012 und darüber hinaus ein stilistischer Schmelztiegel sondersgleichen. In einem Monster-Track nach dem anderen spielt sich das Trio hier zwischen Doom, Progrock, Jazz, Stoner und Glamrock die Bälle zu und klingt dabei so groovig wie lange nicht. Und obwohl das zunächst nach ziemlich großen Ansprüchen für eine Band klingt, die sich erstmal neu finden muss, wird auf den zweiten Blick sehr schnell der pädagogische Zweck dieses Projektes klar. Zwar ist the Tower kompositorisch durchaus anspruchsvoll und alles andere als eine leichte Übung, doch ist es dabei weder so konzeptuell verwinkelt wie Death Defiying Unicorn oder Here Be Monsters, noch so experimentell-farbenfroh wie Behind the Sun. Diese Platte hört sich mit ihren endlosen Jams und dick aufgetragenen Rocksongs so an, als hätte sie den Akteuren vor allem sehr viel Spaß gemacht. Und um ein neues Mitglied in den Vibe dieser Musik einzuführen, gibt es tatsächlich keine bessere Variante. Motorpsycho lassen in Sachen eigene Ansprüche hier die Luft raus und machen eine Reihe von Stücken, mit denen sie sich ein bisschen kaputtspielen und einpegeln können. Das sorgt auf der einen Seite für den etwas blöden Effekt, dass the Tower nicht so wirklich die Klasse hat, die die letzten Projekte so cool machte und songwriterisch etwas hinterherhumpelt. Man muss sich nichts vormachen, das hier ist die vielleicht langweiligste LP der Norweger seit dem ziemlich missglückten Still Life With Eggplant von 2013. Stücken wie Intrepid Explorer oder A.S.F.E. fehlt irgendwie konstant der gewisse Punch und beim 15-minütigen Prog-Epos A Pacific Sonata hätte die Hälfte an endlosem Gegniedel vollkommen ausgereicht. In überraschend vielen Momenten verzetteln sich die die drei Musiker hier gehörig und kommt nicht so richtig in die Gänge. Auf der anderen Seite tut es aber auch gut, dass sie es hier wieder etwas simpler angehen. Songs wie Bartok of the Universe oder In Every Dream House dürften beispielsweise live wesentlich besser flutschen als viele Nummern der letzten paar Alben und überhaupt ist es cool, mal wieder ein paar Tracks von dieser Band zu hören, die tatsächlich nur als solche funktionieren sollen und nicht nebenbei auf Albumkontext und Gesamtästhetik schielen (Ich verrate mich mit diesem Satz gerade selbst). Unter anderen Umständen wäre zumindest so ein genialer Song wie Stardust niemals passiert. In vielen Punkten erinnert mich the Tower dabei tatsächlich an frühere Werke wie Trust Us oder It's A Love Cult, bei denen Motorpsycho noch wesentlich unstrukturierter zu Werke gingen. Das hier ist ein Album, das nicht gedacht, sondern gespielt werden will. Damit ist es auf Konserve vielleicht ein bisschen weniger geil, aber man könnte es ja auch als Vorbereitung fürs nächste Konzert sehen. Ich für meinen Teil werde das zumindest tun, da ich in zwei Monaten beabsichtige, Motorpsycho endlich auch mal live zu sehen.





Persönliche Highlights: Bartok of the Universe / Stardust / In Every Dream House (There's A Dream of Something Else) / the Maypole

Nicht mein Fall: A.S.F.E. / Intrepid Explorer / A Pacific Sonata

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Dienstag, 19. September 2017

Manic Pixie Dreampop

Ich hatte immer gedacht, ich wäre der einzige Mensch, der auf Alvvays steht. Als im Sommer 2014 das selbstbetitelte Debüt der Kanadier erschien, war der Bogen, was den lässig-melancholischen Surfpop-Shoegaze der Band anging, eigentlich schon lange überspannt und ihre berühmten Kolleg*innen wie Beach House und Best Coast nur noch Schatten ihrer selbst. Dennoch hatte diese kleine, unscheinbare Platte damals sofort eine unglaubliche Größe und songwriterische Energie, die mich auf den ersten Blick ansteckte und bis heute nicht mehr losgelassen hat. Songs wie Marry Me Archie, Adult Diversion und Party Police sind für mich im Nachhinein nicht nur Lieblingssongs dieses Jahres, sondern All Time Favourites geworden und das Album läuft bei mir noch immer ziemlich regelmäßig. Schön war es deshalb auch festzustellen, dass es langfristig nicht nur mir so ging, sondern Alvvays im Internet tatsächlich eine ganz solide Fangemeinde haben, die gemeinsam mit mir nun drei ganze Jahre auf einen Nachfolger warten konnte. Die Erwartungen dafür waren auf meiner Seite logischerweise ziemlich hoch und zunächst war ich auch eher skeptisch, was diese neue LP anging. Die ersten Singles, die im Sommer veröffentlicht wurden, packten mich in keinster Weise so wie das Debüt damals und ich befürchtete schon, dass es das jetzt gewesen sein könnte mit meinem Fandom. Aber zum Glück stellte sich nun heraus, dass Antisocialites einer dieser Fälle ist, in denen erst das Gesamtbild der Platte wirklich einen Eindruck davon vermittelt, was hier abgeht. Und das zeigt die Band nach wie vor auf höchstem Niveau. Im Vergleich zum Vorgänger haben Alvvays hier stilistisch noch ein bisschen herumgeschraubt und präsentieren sich wesentlich vielseitiger als zuletzt. Das Instrumentarium klingt breiter, in Not My Baby sind sogar kurz Streicher zu hören und in Sachen Songwriting haben sich die Kanadier ein paar Tricks von den Beatles und Beach Boys abgeschaut. Alles in allem klingt Antisocialites damit eine ganze Ecke runder und poppiger, was aber auch kreativer und bunter bedeutet. Ohnehin ist der Weg zu noch mehr Hit-Potenzial der einzig richtige für Alvvays, die das Zeug für perfekte Popsongs in ihrer DNA zu haben scheinen. Keyboarder Kerri MacLellan und Gitarrist Alec O'Hanley interagieren optimal und zaubern immer wieder die großartigsten Melodien aus dem Ärmel, die Molly Rankin dann mit ihrer märchenhaften Manic Pixie Dreamgirl-Stimme garniert. Was kann da bitteschön schief gehen? Selbst Songs wie das eigentlich ein bisschen öde Already Gone oder das ein bisschen zu überzuckerte Lollipop sind am Ende richtig gute Songs und gerade letzteres hätte das Zeug, ein Fanfavorit zu werden. Alvvays wissen eben einfach, was gut ist. Und es ist ein Fakt, dass sie sich mit Antisocialites ein weiteres Mal mitten in mein Herz gespielt haben. Möglicherweise finde ich diese Platte sogar ein Mü besser als ihren Vorgänger. Nur dass es diesmal echt schade ist, dass sie wieder nur 32 Minuten lang geht.





Persönliche Highlights: In Undertow / Dreams Tonite / Plimsoll Punks / Hey / Lollipop (Ode to Jim) / Saved By A Waif

Nicht mein Fall: Already Gone

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Montag, 18. September 2017

We Never Get Out of Style

Im Gegensatz zu den meisten Meschen, die die Musik von the National gerne hören, war ich nie besonders stolz darauf. Tatsächlich schäme ich mich bisweilen, als unbescholtener 21-jähriger mit herrlich schlechtem Geschmack auf eine Gruppe viel zu alter Männer in Anzügen zu stehen, die seit fast zwei Jahrzehnten nur traurige Songs schreiben können. Ich habe mich oft gefragt, warum das so ist, und meine Antwort ist bis heute keine bessere als die, dass die Band wahrscheinlich einfach gut ist. Ihre Musik, obgleich extrem deprimierend, ist immer dynamisch und lebendig, wird trotz eines sehr eingefahrenen Rezeptes nie langweilig und Matt Berninger hat mehr Charisma als viele ihm zutrauen. Diese Formel hat dafür gesorgt, dass the National inzwischen niemanden mehr überraschen müssen und sie trotzdem von Heerscharen an Indiefans angehimmelt werden. Und auf diese Art und Weise geht auch ihr mittlerweile siebtes Album Sleep Well Beast wieder sehr reibungslos über die Bühne. Im Vorfeld der Platte war ich ehrlich gesagt ein wenig unsicher, ob das passieren würde, weil es neben großartigen Singles wie Day I Die und Guilty Party auch einige eher sonderbare gab. Doch wenn ich jetzt die kompletten 57 Minuten Musik höre, zeigen sich die New Yorker hier so zuverlässig und solide wie immer: Es gibt faule Stellen, aber die hat man mittlerweile akzeptiert, weil das Gesamtwerk hinhaut. Und weil man das hier für jenen National-typischen Rotweinfahne- und Marcel-Proust-Vibe macht, der sowieso unsterblich geworden ist. Das weiß die Band inzwischen auch selbst ganz gut, weswegen sie sich dafür hier besonders große Mühe gegeben hat. Rein klanglich ist Sleep Well Beast ihr bisher vielleicht bestes, weil detailreichstes Album. Die vielen Nuancen, Zwischentöne und Facetten in den Instrumenten, Berningers Stimme und den handverlesenen Synthesizern sind hier so aufwendig und mit Fingerspitzengefühl gemixt, dass the National eine völlig neue Ebene ihrer Komposition erreichen. Durch die neue Tiefe, die der Sound hier bietet, müssen die Musiker gar nicht mehr laut werden, um das volle komplexe emotionale Spektrum ihrer Songs darzustellen. Dass sie es trotzdem machen, ist natürlich umso schöner. Day I Die und the System Only Dreams in Total Darkness sind wesentlich rockigere Nummern als alles vom letzten Longplayer der Band und so etwas räudiges wie Turtleneck hätte ich von ihnen eigentlich schon gar nicht mehr erwartet. Da war sie also doch noch, die kleine Überraschung. Abgesehen davon spielen the National aber im großen und ganzen ihren Stiefel. Einige Stücke wie Walk It Back sind etwas düsterer als zuletzt, doch mehr als Kleinigkeiten dürften wohl nur den Hardcore-Fans auffallen. Was dabei weiterhin festzustellen ist ist, dass die Band ihre Sache sehr gut macht. Nach dem doch etwas faden Trouble Will Find Me schaffen die New Yorker hier wieder ein Konsenswerk, das mich auf ganzer Linie mit ihnen versöhnt, weil es klingt wie fünfzig Quadratmeter schwarzer Samt. Es ist dabei wie immer nichts wirklich großes dabei, aber auf mysteriöse Weise ist das ganze extrem anziehend. Also alles wie immer. Es plagt mich schon ein bisschen, dass ich in diesem Post nichts weltbewegendes verkünden kann, aber so funktionieren the National eben. Und dass sie das so tun, ist tausendmal besser, als wenn sie es nicht tun würden. Ende der Beweisführung.





Persönliche Highlights: Day I Die / Walk It Back / Born to Beg / Turtleneck / Guilty Party / Carin at the Liquor Store / Sleep Well Beast

Nicht mein Fall: -

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Sonntag, 17. September 2017

Kleiner blauer Schmetterling


Es war vor etwas mehr als 2 Jahren, dass die beiden fanzösischen Brüder und Spieleentwickler Raoul Barbet und Michel Koch dem Gaming-Mainstream mit einem kleinen Multiple-Choice-Adventure namens Life is Strange einen deftigen Klapser versetzten. Der Titel, der sich um eine junge Frau dreht, die mit Superkräften ausgestattet eine Kleinstadt vor einer Naturkatastrophe bewahren muss und gleichzeitig versucht, den Kontakt zu ihrer ehemaligen besten Freundin wieder zu knüpfen, war 2015 ein Geheimtipp für Zocker*innen mit Niveau. Dabei war es weniger die Spannung am spielen selbst, die diesen Effekt verursachte, sondern  vor allem die Handlung und die Tatsache, dass Life is Strange es schaffte, den Spielenden eine sehr glaubwürdige Atmosphäre zu vermitteln, die eher an eine Netflix-Serie erinnerte als an ein Adventure-Game. Ich selbst habe die ganze Geschichte damals lediglich durch Let's Plays auf Youtube verfolgt und kam trotzdem in den Genuss des fantasievollen Soges der Story. Und dieser kam nicht zuletzt auch dadurch zustande, dass die Entwickler das Ganze mit einem handverlesenen Soundtrack ausschmückten, der für mich nicht weniger zum Fanliebling wurde als jede*r einzelne der Hauptcharaktere. Zwar wurden hier lediglich alte und darüber hinaus auch recht bekannte Songs von Künstler*innen wie den Bright Eyes, Mogwai, Sparklehorse oder Alt-J recyclet, doch passten diese wahnsinnig gut in die organische und traumtänzerische Stimmung des Spiels. Einige Nummern wie Alt-Js Something Good wurden mir erst durch Life is Strange wirklich zugänglich. Und weil es anscheinend nicht nur mir so ging, das Game im Laufe des Jahres mit Preisen überschüttet wurde und sich bis heute ein hartnäckiges Fandom darum hält, haben die beiden Entwickler vor einigen Wochen ein Prequel-Spinoff davon veröffentlicht. Dieses hört auf den Namen Before the Storm und dreht sich um die Vorgeschichte einer der Hauptpersonen des ersten Teils. Müßig zu erwähnen, dass die Erwartungen an den Titel in der Fangemeinde immens hoch sind. Und weil dies beim ersten Teil schon so wichtig war, übertragen sich diese natürlich auch auf den dazugehörigen Soundtrack. Was die Entscheidung, die dafür hier getroffen wurde, einigermaßen mutig macht. Es wäre ein einfaches gewesen, auch für Teil 2 wieder ein paar alte Lieblingslieder von renommierten Indiebands herauszukramen, die schon irgendwie für den richtigen Vibe gesorgt hätten. Stattdessen verpflichten die Entwickler mit Daughter hier eine einzige Band, die sich um den gesamten Soundtrack kümmern soll. In Anbetracht des gigantischen Hypes eine nicht ungefährliche Sache. Doch andererseits, wieso nicht? Durch ein Auftragswerk wie dieses kann die Komposition gezielter auf das Spiel abgestimmt werden, die Atmosphäre wird zusammenhängender und außerdem sind Daughter für diesen Job tatsächlich keine schlechte Wahl. Der smoothe, gediegene Indiepop der Briten passt sehr gut zur Ästhetik des Life is Strange-Kosmos, besitzt eine gewisse Organik und kann sich sowohl zurückhalten und im Hintergrund plätschern als auch nach vorne gehen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Auf ihrem Debüt If You Leave von 2013 schätzte ich diese Qualitäten sehr. Allerdings dürfen Fans der Band in diesem Fall doch mit etwas anderen Vorgaben rechnen. Music From Before the Storm ist ein Score und so klingt er eben auch. Statt nach the XX und Florence & the Machine klingen die Vier hier eher nach verhaltenen Bands wie Caspian oder Múm. Viele Tracks hier sind instrumental oder nur sehr spärlich besungen, große kompositorische Kontraste gibt es kaum und zum so hören ist diese Platte vielleicht ein kleines bisschen ereignislos. Gerade deswegen sollte sie im Spiel aber umso besser funktionieren. Daughter untermalen sehr farbenfroh, nutzen viele verschiedene Instrumente und vermitteln vor allem Stimmungen. Für gewöhnlichen Indiepop ist diese Musik sehr impressionistisch und grenzt in Stücken wie Dreams of William oder Glass fast an Postrock-Momente. Damit arbeitet die Band vielleicht nicht auf Höchstleistung, aber sie klingt dennoch ziemlich großartig. Zumal alles hier erstklassig produziert ist und es hier trotz allem so etwas wie einen Albumkontext gibt, der auch noch prima funktioniert. Und für diejenigen, die doch noch einen "richtigen" Daughter-Song wollen, gibt es mit A Hole in the Earth am Ende sogar noch einen kleinen Megahit. Somit dürften sowohl Fans der Band als auch die des Spiels irgendwie zufrieden sein. Zwar fragt man sich schon, ob eine Vorgehensweise wie beim ersten Teil nicht doch besser gewesen wäre, doch als Alternative ist das hier an sich auch sehr gut. Und solange ich am Ende jeder Episode wieder kurz vorm Nervenzusammenbruch bin, kann ich das durchaus verkraften.





Persönliche Highlights: Glass / the Right Way Around / Witches / All I Wanted / I Can't Live Here Anymore / Dreams of William / Improve / Voices / A Hole in the Earth

Nicht mein Fall: Burn It Down

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Samstag, 16. September 2017

Prioritäten klären

Dass ich nie ein besonders großer Fan von LCD Soundsystem war, hat wahrscheinlich größtenteils biografische Gründe. Als ich Ende der Nullerjahre so langsam anfing, mich ernsthaft für Musik zu interessieren, lösten sich die New Yorker gerade auf und zu jener Zeit klang sowieso jede zweite Band wie eine billige Kopie von ihnen. Allerdings kann ich mich auch nach reiflicher Beschäftigung in den letzten Jahren noch immer nicht wirklich mit ihrer Diskografie anfreunden und bis auf wenige Songs (fast alle von ihrem letzten Album This is Happening) interessieren mich James Murphy und seine distinguierte Diskopunk-Partytruppe doch eher wenig. Dementsprechend kalt ließ mich Anfang diesen Jahres auch die Nachricht über ihr Comeback und alles, was in Zusammenhang damit in den letzten Monaten aufgeschäumt wurde. Ich hatte zu all diesen Dingen keinerlei emotionalen Bezug und war um ehrlich zu sein ein bisschen genervt davon. Die Besprechung zu American Dream wäre ich demzufolge sicherlich mit einer ziemlichen Null-Bock-Attitüde angegangen, doch das Schicksal gab mir im Frühjahr letztendlich doch noch einen Angelpunkt für dieses Album, nämlich Call the Police. Die erste Single der LP vom April gehört in diesem Moment zu meinen absoluten Lieblingssongs des bisherigen Jahres und schaffte es bei ihrer Veröffentlichung sofort, mir nach acht Jahren Skepsis das Konzept LCD Soundsystem näher zu bringen. Somit entstand bei mir die Hoffnung, dass American Dream vielleicht doch ganz geil werden würde. Und siehe an, Murphy und Kollegen haben diesmal echt nicht zu viel versprochen. Der vierte Longplayer der New Yorker macht wenig anders als die drei davor, aber vieles besser. Die nostalgisch aufgeladenen, ausgedehnten Disco-Jams, wie man sie auch schon von vor der Trennung kennt, hört man hier fast unverändert, was Fans der Band auf jeden Fall glücklich machen wird. Gleichzeitig sind diese aber auch üppiger instrumentiert, knalliger gemixt und melodisch fetter, was irgendwie neu ist. Und mich freudig stimmt, weil diese Aspekte mir gerade auf den frühen LCD-Platten immer zu kurz kamen. Die faden, trockenen Indie-Brocken der Nullerjahre sind hier zu vollwertigen, großen Popsongs gereift, die diese Band schon immer verdient hat. Alles daran passt so viel besser zum künstlerischen Anspruch dieser MusikerInnen und nicht zuletzt zum gesanglichen Charisma von Murphy. Songs wie Dance Yrself Clean oder Drunk Girls vom Vorgänger fingen damit zwar auch schon an, aber hier erleben wie diese neue Reichhaltigkeit auf Albumlänge. Und es ist ziemlich fantastisch. Zumindest in meinen Augen. Besonders exemplarisch für diese Entwicklung finde ich den Track Change Yr Mind, der zunächst zwar noch sehr nach der Frühphase der Band klingt, dann aber ganz plötzlich in einen gigantischen Refrain purzelt und von da ab eigentlich ein Selbstläufer ist. Im Prinzip funktioniert diese Bezeichung für das ganze Album: James Murphy braucht 2017 keine lyrischen Spitzen und cleveren Anspielungen mehr (so gut waren die eh nie!), denn die Musik trägt sich komplett von selbst. Im besten Fall auch locker über zehn Minuten, wie in How Do You Sleep oder Black Screen. Schön, dass LCD Soundsystem diese Stärke ihres Songwritings endlich mal so richtig zelebrieren. Denn die Folge daraus ist in meinen Augen nicht weniger als ihr bisher bestes Album, auch wenn viele Fans von früher das vielleicht anders sehen. Doch mir ist auch klar, dass für mich die Selling Points diese Band andere sind als für viele von denen. Mir ist ein strahlender Glitzerpop-Song wie Call the Police eben wesentlich lieber als ein verschnicktes, aber staubtrockenes Daft Punk Are Playing at My House. Und wenn das bedeutet, dass LCD Soundsystem mit diesem Album eine Veränderung ihres Publikums hinnehmen müssen, dann wird ihnen das sicherlich auch recht sein. Denn scheinbar haben sie American Dream ja sowieso nur für die Kohle gemacht.





Persönliche Highlights: Oh Baby / Other Voices / I Used To / Change Yr Mind / Call the Police / American Dream / Emotional Haircut

Nicht mein Fall: Tonite

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Freitag, 15. September 2017

Feelings aus der Asche

Bereits seit dem Beginn seiner Karriere ist der Bezug, den die Musik von Casper zu Deutschrap hat, ein Lieblingsthema derer, die über ihn sprechen. Benjamin Griffey ist von Anfang an ein Ausnahmekünstler gewesen und sein stilistischer Mut war auch für mich immer ein wichtiger Selling Point seiner Platten. Wo Hin zur Sonne vor zehn Jahren die Szene stichelte, XOXO ihre Grenzen auslotete und Hinterland sie transzendierte, kann man sich 2017 endgültig fragen, ob man Casper überhaupt noch als Rapper bezeichnen sollte. Die Singles, die im Vorfeld zu Lang lebe der Tod veröffentlicht wurden, zeigten eine eindeutige Tendenz weg von gehaltvollen gespitteten Bars, hin zu großen Hooks, instrumentalen Auswüchsen, jeder Menge Features außerhalb des HipHop-Bereichs, nur leider überraschend wenig von Griffey selbst. Was in meinem Fall für ziemliche Enttäuschung sorgte. Sowohl auf dem Titelsong als auch bei Keine Angst hatte ich das Gefühl, dass hier zwar gute und sehr eingängige Hits geschrieben wurden, die jedoch inhaltlich wenig zu bieten hatten und vor allem der Leute wegen gut waren, die darauf eigentlich Gäste waren. Zusammen mit der Tatsache, dass das Release des Albums um nicht weniger als ein Jahr verschoben wurde, machte sich dadurch bei mir das Gefühl breit, dass Lang lebe der Tod wohl eine reichlich verkopfte Angelegenheit werden würde. Und so richtig freuen konnte ich mich deshalb nicht darauf. Im Nachhinein gesehen war das aber vielleicht ganz gut, denn tatsächlich ist das hier keine LP, die einen Hype verdient gehabt hätte. Insofern, dass es Caspers bisher schwächste und sinnloseste geworden ist. Nicht nur schmort der Bielefelder hier total in seinem eigenen Saft, featured nur seine berühmten Freunde (Portugal.the Man, Lil B, Ahzumjot) und lässt sich die Stadion-Beats von Produzent Markus Ganter schneidern, das hat er vorher auch gemacht. Der wirkliche Unterschied ist, dass er hier selbst so gut wie gar nichts beiträgt. Zwar rappt Casper hier durchaus noch viel und lässt sich auch in keine Strophe reinreden, doch vermitteln kann er dabei so gut wie überhaupt nichts. Seine Bars beschränken sich fast immer auf abgegriffene Floskeln, mit denen er unglaublich oberflächliche Themen zu bebildern versucht, die so spannend und neu sind wie das Wahlprogramm der Union. Das schlimmste dabei ist aber, wie krampfhaft er dabei trotzdem versucht, provokant und kritisch zu sein und mit stumpfen Zeilen auf eine Hörerschaft einsticht, die so viel besseres gewohnt ist. Insbesondere Songs wie Morgellon und Lass sie gehen ächzen vor Plattitüden und sind textlich ungefähr so deep wie die letzten Sachen der Toten Hosen. Und das in einer Zeit, in der scheinbar jeder Depp einen bedeutungsvollen politischen Track hinbekommt. Dabei kann Casper genau diese Sachen durchaus sehr gut: Blut sehen war vor sieben Jahren thematisch genau das gleiche wie der Titeltrack hier, nur eben in glaubwürdig. Und wenn ihr behauptet, dass Songs wie Michael X oder 230409 euch kalt gelassen haben, dann lügt ihr. Es gab eine Zeit, da war Griffey der Beste in solchen Sachen. 2017 sind davon nur noch die großen Instrumentals und ein paar ganz coole Sprüche in Alles ist erleuchtet übrig. Lang lebe der Tod fehlt jede Kraft, jede Leidenschaft und vor allem der Charakter des Hauptakteurs, der bisher immer so dermaßen wichtig war. Das meiste hier hingegen könnte auch von jedem anderen Rapper stammen, wäre es nicht so weit entfernt von der stilistischen Mitte des Genres. Es reicht, um die nächsten zwei Jahre Arenen auszuverkaufen und bei Diffus anderthalb Stunden mit Jan Wehn zu philosophieren, doch ich bezweifle, dass sich diesmal jemand die Songzeilen tätowieren lassen wird. Das Phänomen Casper scheitert hier an seiner eigenen Strategiesierung, weil es das wichtigste vergessen hat: die Emotionen. Und wenn die Fehlen, hilft auch kein Lil B und kein Blixa Bargeld dieser Welt. Vielleicht wäre es wirklich das beste, wenn Benjamin Griffey wieder ein Rap-Album machen würde.





Persönliche Highlights: Alles ist erleuchtet / Keine Angst

Nicht mein Fall: Sirenen / Lass sie gehen / Morgellon / Deborah

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Es ist Zeit

Eine Sache, die ich an Mogwais Musik seit ihrer Gründung stets bewundert habe und die mich über viele Jahre hat Fan bleiben lassen, ist die, dass die Band anscheinend immer genau weiß, wann etwas spannendes nicht mehr spannend ist. 2003 war das die klassische (Post)-rockband-Aufstellung, es folgte mit Happy Songs for Happy People ein Album mit Synthesizern. 2008 war auch das nicht mehr genug, also stürzten die Schotten mit the Hawk is Howling kurzfristig große Teile ihres Kompositionsschemas um. Und weil selbst das spätestens seit Rave Tapes von 2014 nicht mehr so richtig funzte und die Band im letzten Jahr mit dem Atomic-Soundtrack endgültig den Weg einer Electronica-Gruppe einschlug, mussten langsam mal wieder neue Impulse her. Warum also nicht mal das offensichtliche versuchen? Bereits seit Happy Songs... experimentieren Mogwai mit dem Thema Gesang, bisher meistens eher schüchtern. Auf den Nuller-Alben der Band gab es zumeist lediglich einen Song mit Vocals pro LP, und meistens waren diese entweder sehr weit nach hinten gemixt und/oder mit so vielen Effekten zugekleistert, dass von Inhalt kaum noch etwas übrig blieb. Mehr als ein versuchsweises Stilmittel war das ganze also nicht. Bis jetzt. Denn obwohl Every Country's Sun nach wie vor ein instrumental dominiertes Album ist, gibt es nicht nur mehr Stücke mit Gesang (nämlich ganze 2!), vor allem ist dieser hier auch als solcher zu erkennen. Schon vor einem Monat war ich begeistert von der Eingängigkeit, die Mogwai bei Party in the Dark plötzlich mitbrachten und auch in Eternal Panther (leider nicht auf der fertigen LP) und dem eher balladesken 1000 Foot Face funktioniert das Rezept Vocals ausgesprochen gut. Und man könnte den Schotten dafür tatsächlich eine neue Innovationsstufe ihres Songwritings bescheinigen, wäre der ganze Rest der Platte nicht so ernüchternd regressiv. Wenn man von all den coolen, neuen Moves hier die Dinge abzieht, die Mogwai hier zum dritten Mal aufwärmen, bleibt am Ende fast nur Party in the Dark als tatsächlich komplett neuer musikalischer Impuls übrig. Der Rest der Platte ist zwar auch nicht schlecht, aber zeigt die Band lediglich im Rückspiegel. Der Großteil der Tracks hier könnte locker auch auf einem der letzten beiden Alben sein, im Fall von Coolverine oder 1000 Foot Face sogar noch aus den frühen Nullerjahren. Was die Band hier verarbeitet, hört sich an wie sehr viele Überbleibsel von Ideen, die es irgendwann mal nicht mehr auf alte Platten geschafft haben und nun einfach hier durch den Wolf gedreht werden. Darunter sind zwar zu großen Teilen richtig coole wie der Acid Rock-Verschnitt Battered At A Scramble, das überraschend treibende Old Poisons oder der Crescendo-Postrock-Standard Don't Believe the Fife, doch kopieren sich Mogwai dabei lediglich selbst. Und ich war eigentlich immer der Meinung, gerade sie hätten das nicht nötig. Um der Kurzsichtigkeit der Songs wegen würde ich Every Country's Sun eigentlich gerne hassen, nur sind die Ergebnisse am Ende eben doch zu gut. An manchen Stellen gefällt mir die LP sogar bei weitem besser als ihr Vorgänger. Man könnte daraus argumentieren, dass in diesem Fall ein "Back to the Roots-Album" tatsächlich mal funktioniert hat, aber so will ich das hier nicht sehen. Für mich ist diese Platte höchsten ein schmerzhafter Ausrutscher mit guter B-Note. Das alles ändert nichts daran, dass Mogwai eine wahnsinnig gute Band sind und noch immer bessere Sachen machen als 90% der gesamten Postrock-Fraktion. Es täuscht aber auch nicht darüber hinweg, dass sie zum ersten Mal in ihrer Karriere an einem Punkt sind, an dem sie selbst nicht mehr so richtig weiter wissen. Die Spannung zumindest ist gerade ein bisschen raus.





Beste Songs: Party in the Dark / Aka 47 / 1000 Foot Face / Don't Believe the Fife / Battered at A Scramble / Old Poisons / Every Country's Sun

Nicht mein Fall: Coolverine / Brain Sweeties / Crossing the Road Material

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