Donnerstag, 30. Dezember 2021

Saisonrückblick 2021 : Finale : Die 30 besten Alben

Ich hüte mich auf diesem Format normalerweise davor, einen Saisonrückblick wie diesen auf die Weise zu verhunzen, dass ich einem Jahr als solches versuche, auf Biegen und Brechen eine Art Charakter zuzuweisen. In letzter Konsequenz sind die Zeiträume, die ich hier gewöhnlich als "die Saison" beschreibe, ja auch nur willkürliche Sequenzen von 365 Tagen in denen willkürlich Releases stattfinden die darüber hinaus keine höhere Bedeutung verbindet. Trotzdem werde ich mich an dieser Stelle in die Nesseln setzten und sagen ja, 2021 war irgendwie komisch. Zum ersten Mal hatte das musikalische Jahr für mich von Anfang Januar bis in die letzten paar Wochen etwas, das mich als Gesamtheit zum Nachdenken brachte und dass sicherlich am ehesten durch das gefühlte Fehlen von etwas charakterisiert werden kann. Der Sorte Musik, die bei so gut wie Allen, die sich in den letzten eingehend mit Musik beschäftigen und darüber ihren Senf posten, für ein anerkennendes Innehalten sorgte und über die man nicht nur vor dem Erscheinen viel reden kann, sondern die auch nachhaltig begeistert. Zwar gab es durchaus einige hochgelobte Platten und darunter auch welche, die entsprechend erfolgreich waren. Ganz zu schweigen davon, dass wahrscheinlich jede*r musikbegeisterte Mensch seine ganz individuellen Highlights hatte, die deshalb ja nicht weniger relevant sind. Was mir allerdings fehlte, war in vielen Momenten die Sorte "großer" Releases, von der der überwigenden Teil der Nerd-Community viel positives zu sagen hatte und deren Hype vielleicht auch ein bisschen übertrieben wurde. Zumindest gab es diese nicht in dem Maße, wie ich das in der jüngeren Vergangenheit erlebt habe, als sogenannte "instant classics" (ich verabscheue diesen Begriff, aber er meint in dem Kontext durchaus etwas) eigentlich jedes Jahr erschiendn. Vieles davon lag mit Sicherheit an der weiterhin weltweit grassierenden Covid-19-Pandemie, die nach einem kreativ durchaus fruchtbaren 2020 mit vielen spannenden Lockdown-Platten in der Saison danach viel eher einen lähmenden Charakter hatte. Releases namhafter Künstler*innen wurden weiterhin verschoben, Konzerte und Touren fanden auf Sparflamme statt und statt wie vergangene Saison in der Isolation kreativ zu werden, schlugen sich viele Acts durch ein intransparentes Geflecht aus vereinzelten Liveterminen, Onlineshows, digitaler Promo und abgesagten Gigs. Wobei der Großteil dieser Aktionen nicht mehr die mitfühlende Wir-stehen-das-alle-zusammen-durch-Wirkung hatte wie letztes Jahr, sondern sowohl von Seiten der Produzierenden als auch von den Konsumierenden nur noch als nervend empfunden wurde. Und was in diesem undurchsichtigen Wirrwarr dann alles studiotechnisch passierte, war im Vergleich zu 2020 leider auch nur ein schwacher Trost. Von der kurzen Distanz aus, von der ich auf 2021 zurückblicke, wirkt es für mich daher wie eines der "verlorenen" Musikjahre wie 1990, 1976 oder 2002, die historisch von einer gewissen Erschöpfung geprägt waren und an die sich nur noch wenig erinnert wird. Nur dass diese Erschöpfung hier eben nicht (ausschließlich) popkultureller Natur, sondern zusätzlich durch höhere Gewalt begründet ist. Aber vielleicht hat mein Eindruck der ganzen Sache auch ganz einfach damit zu tun, dass ich dieses Jahr sehr viel weniger Zeit hatte, ständig über neue Platten zu schreiben und es mir an manchen Tagen eher wie lästige Arbeit vorkam, einen Artikel zu verfassen oder neue Musik zu hören, als dass es die schönste Nebensache der Welt gewesen wäre. Die gute Nachricht bei dem ganzen Schlamassel: So oder so hat die Hängepartie dieser Saison nicht gereicht, um meine Leidenschaft für dieses fantastische Hobby von mir ernsthaft in Frage zu stellen und selbst in den nervigsten Phasen war es nie eine Option, die Flinte ins Korn zu werfen. Was vor allem deshalb eine persönliche Errungenschaft ist, weil es in ein paar Tagen tatsächlich zehn Jahre sein werden, die ich nun in der einen oder anderen Form Musik im Internet erforsche und regelmäßig Texte darüber schreibe. Und obwohl schon lange nicht mehr alle davon online sind, ist dieses hier inzwischen auch die zehnte Liste, in der ich meine 30 Lieblingsalben der Saison aufzähle. Seit meiner ersten von 2012 hat sich dabei in Format und Herangehensweise einiges geändert, nicht aber, dass dieser Post mein absolutes Highlight jeder Saison ist, in dem auch diesmal wieder sehr viel Arbeit und Hirschmalz steckt. Und soviel ich in der bisherigen Einleitung auch darüber gemeckert habe, wie stagnierend und ereignisarm 2021 war, so sehr spricht alles, was im folgenden geschrieben steht, eine ganz andere Sprache. Denn betrachte ich mal meine ganz persönlichen Highlights, war dieses Jahr echt alles andere als verloren und in vielen Momenten sogar ziemlich spannend. Mehr denn je waren es dabei zwar die unerwarteten Acts, die mich positiv beeindruckten, die sorgten dann aber auch für die richtig tollen Überraschungen und forderten immer wieder meine Hörgewohnheiten heraus: Grandiose Entdeckungen aus Gegenden mit eher dürftiger Szene-Infrastruktur, skurrile Internetphänomene die eigentlich eher Accounts als Künstler*innen sind, um die Ecke denkende Unangepasste und ein ganzer Haufen Bands, die ich künstlerisch schon gar nicht mehr auf dem Zettel hatte. Hiphop wurde mir dabei ein noch zentraleres Thema als die letzten Jahre schon, elektronische Musik inspirierte mich so sehr wie noch nie und bei einem ganzen haufen Platten war es eigentlich gar nicht mehr möglich, derartige stilistische Festlegungen zu treffen. Wenn diese Liste also einen Selling Point hat, dann definitiv den, dass hier wahrscheinlich jede*r die ein oder andere Neuentdeckung finden dürfte, die vielleicht nicht schon auf jeder anderen Liste steht. Wobei ein paar Empfehlungen an euch natürlich das beste sind, worauf ich hoffen kann. Abgesehen natürlich davon, dass die nächsten zehn Jahren genauso geil werden.


Ein paar wichtige Disclaimer:

1. Diese Liste ist zu 100 Prozent subjektiv und reflektiert nicht mehr und nicht weniger als meine eigene Auffassung. Wenn etwas hier nicht auftaucht, kenne ich es entweder nicht oder ich fand es nicht so nennenswert, dass es hier auftaucht.

2. Diese Liste ist nicht endgültig. Es kann vorkommen, dass ich meine Meinung zu Einträgen hier ändere oder hinterfrage.








RP Boo - Established!
30
RP BOO
ESTABLISHED!
Planet Mu










 
Footwork /// Es ist ein bisschen ein ausgelutschter Handgriff und in meinen Augen sogar ein winziges bisschen diskriminierend, jegliche künstlerisch ambitionierte Musik aus Hiphop-Kontexten mit der Arbeit von Jean-Michel-Basquiat zu vergleichen und auch in diesem Fall passt es nur bis zu einem bestimmten Punkt. Doch erkenne ich im Schaffen von RP Boo - besonders auf diesem neuesten Album von ihm - schon einige Parallelen. Vor allem die, dass der Output dieses Typen anscheinend vor allem von abgehobenen Feuilleton-Journalist*innen gefeiert wird, in seiner gesamten Wesensart aber ein Ausdruck eines tief sitzenden Szene- und Kulturverständnisses ist, das all diese Leute (inklusive mir) niemals verstehen können. In diesem Fall das der Chicagoer Footwork-Bewegung, dessen wichtigstes Schlachtschiff RB Boo die gesamten letzten 30 Jahre über war und die er hier nach wie vor eisern repräsentiert. Auf Established!, seinem gerade mal vierten Longplayer, bringt er aber nicht nur den verwegenen Kunsthoschis dieser Welt den Sound seiner Hood bei, er ist dabei auch noch irre witzig und immer wieder für Überraschungen gut. An nicht wenigen Stellen auf dieser LP finden sich dabei in grobe Brocken geschlagene Popkultur-Referenzen, die mich häufig sogar an die frühe Vaporwave-Bewegung und dämliche Internet-Mashups erinnern und letztlich vor allem zur Folge haben, dass Established! nicht nur in drei Welten gleichzeitig stattfindet, sondern irgendwie auch in seiner ganz eigenen. Und die ist von allen wahrscheinlich die schrägste.

Das beste daran: Wie unglaublich rhythmisch vertrackt der Beat von Be Of It! wird, sobald die Bläsersamples einsetzen.

 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Wolves in the Throne Room - Primordial Arcana 29
WOLVES IN THE THRONE ROOM
PRIMORDIAL ARCANA
Relapse
 








 
 
Black Metal /// Einen gewissen Hang zu Kitsch und Esoterik hatten Wolves in the Throne Room ja schon immer, früher war ihre Musik dabei aber immer sehr entrückt und verwegen, sodass man es nur merkte, wenn man wirklich hinter die Kulissen schaute. Glücklicherweise hat sich das mit der Zeit aber ein bisschen gegeben und spätestens seit ihrer letzten LP von 2017 beobachte ich genüsslich, wie ihr biernernster Black Metal mit jedem Album ein bisschen schnulziger und weicher wird. Primordial Arcana als bisheriger Höhepunkt der wildromantischen Metamorphose klingt dabei mehr denn je nach den verwunschenen Wäldern des Pazifischen Nordwestens, nach magischen Winternächten am Kaminfeuer, nach dunklen Kavernen und allerlei Flora und Fauna, die darin kreucht und fleucht. Elemente aus Dungeon Synth und Pagan Metal sowie atmosphärische Field Recordings sind dabei ein immer wichtigerer Bestandteil des Sounds und sorgen an vielen Stellen für melodische Schnörkeleien, die man von dieser Band bisher nur selten kannte. An manchen Stellen sorgt zwar auch dafür, dass Wolves in the Throne Room nicht mehr ganz so den intellektuellen Anspruch haben wie früher und weniger edgy sind, wenn ich dafür aber ein so gelungenes Songwriting und so viel klangliche Verspieltheit bekomme, kann ich das sehr gut verkraften.

Das beste daran: Die unfassbar geilen Synths in Underworld Aurora.

Zum Artikel
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Amenra - De doorn
28
AMENRA
DE DOORN
Relapse
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Sludge Metal /// In den Neunzigern hätte man gesagt, dass Amenra sich jetzt ausverkauft hätten. Nach über zwei Dekaden als kreatives Zentrum der Genter Extreme-Metal-Zelle und Flagschiff des legendären Church of Ra-Kollektivs veröffentlichen die Belgier hier ihr erstes Album beim Labelriesen Relapse und verlassen damit die DIY-Gefilde, in denen sie so lange wurzelten. Was geschäftlich wie künstlerisch eine Entscheidung ist, die gehörig hätte schief gehen können und die vor allem auch bereitwillig den Support der treuen Fangemeinde aufs Spiel setzt. Aber keine Panik: Amenra sind immer noch Amenra, auch wenn der äußere Anstrich diesmal ein bisschen schicker und sauberer ist. De Doorn ist das erste Album der Belgier mit mehr als einer Zahl als Titel, man genehmigt sich in Sachen Sound ein paar der netten Relapse-Privilegien und probiert sich an lyrischen Spoken Word-Passagen zwischen den sludgigen Wellenbrechern. Abgesehen davon ist aber alles beim alten. Vor allem die urige Kernkompetenz der klaftertiefen Riffs und monolithischen Gitarrenwände haben Amenra dabei nicht verlernt, sie ist hier sogar so gut wie selten zuvor und profitiert davon, dass die einzelnen Instrumente diesmal ein bisschen cleaer produziert sind. Und was an neuen Elementen dazukommt, dient in meinen Augen ebenfalls dazu, diese Stärken noch weiter herauszuarbeiten und das klangliche Konzept der Band auf spannende Weise zu diversifizieren. Und obwohl De Doorn damit auch nicht mein neues Lieblingsalbum von ihnen wird, kann ich doch eines mit ganzer Überzeugung sagen: Amenra wissen ganz genau, was sie da getan haben. Und es hat sich ausgezahlt.

Das beste daran: Der fast schon theatralisch flüsternde Chor im Mittelteil von Ogentroost.

Zum Artikel
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Aesop Rock x Blockhead - Garbology 27
AESOP ROCK x BLOCKHEAD
GARBOLOGY
Rhymesayers











Hiphop /// Nachdem meine letzte Saison mit Aesop Rock eine etwas enttäuschende und bittere war, die mich zum ersten Mal ernsthaft an meiner Bereitschaft zweifeln ließ, diesem Rapper weiter in seine Kaninchenhöhle aus kryptischen Referenzen und reizüberflutendem Songwriting zu folgen, war ich dieses Jahr doch sehr angetan zu sehen, mit welcher Leichtigkeit er es schaffte, das mit Spirit World Field Guide verlorene Vertrauen Stück für Stück wieder zurückzuholen. Schon viele der Singles, die er im Laufe des Jahres veröffentlichte, waren angenehm locker und unkompliziert und als er im Herbst dann auch noch zum ersten Mal seit 2007 seinen alten Sidekick Blockhead als Produzenten für ein neues Album verpflichtete, wich meine Skepsis doch sehr schnell der Vorfreude. Und die zahlte sich letztlich auch aus, denn der resultierende Longplayer der beiden erfüllte nicht nur sämtliche meiner hochgesteckten Erwartungen, sondern war bei näherer Betrachtung nicht weniger als der beste Aesop-Longplayer seit den späten Zwotausendern. Und obwohl bedeutet das keinesfalls bedeutet, dass seine letzten Jahre ohne Blockhead verschwendet gewesen wären und er als Produzent nichts taugen würde (im Gegenteil, er kann das eigentlich recht gut), fühlt sich Garbology letztlich doch auf angenehme Weise an wie die konsequente Rückkehr eines der größten Hiphop-Dreamteams des neuen Jahrtausends, die hier aus dem Stand eine Energie abrufen, die es in dieser Form schon eine ganze Weile nicht mehr gab.

Das beste daran: Wie Aesop in All the Smartest People dämliche Smalltalk-Dialoge mit seinen Nachbarn mimt.

 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Blurr Thrower - Les voûtes26
BLURR THROWER
LES VOÛTES
Les Acteurs De L'Ombre
 
 









Black Metal /// Ich sehe es mittlerweile fast ein bisschen als eine heilige Tradition an, dass ein Album wie dieses irgendwo unter meinen besten 30 auftaucht und auch dieses Jahr musste ich nicht lange warten, bis dieses seinen Weg zu mir fand. Worum es dabei geht ist schnell umrissen: nihilistisch-atmosphärischer Black Metal mit viel kaskadischer Schwungmasse, idealerweise irgendwo aus Mitteleuropa und gerne mit leichtem Postrock- oder Shoegaze-Einschlag zum abschmecken. Und obwohl Les Voûtes, das zweite Album des anonymen französischen Ein-Mann-Projekts Blurr Thrower, in vielen Punkten eine ziemlich ruppige Angelegenheit ist und es inhaltlich auch viel mit traditionellen Black Metal-Entwürfen teilt, passt es wegen seiner epochalen Lärmflächen, seiner ätherischen Dynamik und auch ein bisschen wegen der vielen Verbindungen in die hippe Pariser Kunstszene sehr gut auf diesen Platz. Im Sinne eines Servicegedankens bedeutet das vor allem, dass es höchstwahrscheinlich all jenen gefallen wird, die in der Vergangenheit schon Wiegedood, Downfall of Gaia oder Der Weg einer Freiheit mochten und im Sinne der Tradition, dass ich auch 2021 jedem Zeitgeist zuwider meinem Faible für solche Platten treu bleibe. Denn wie schon gesagt: Sie passieren immer wieder. Und noch tückischer: Sie hören nicht auf, richtig gut zu sein.

Das beste daran: Wenn Amnios sich nach siebeneinhalb Minuten auf voller Pumpe in den ambienten Postrock zurückzieht und es damit tatsächlich jedes Mal schafft, mich kalt zu erwischen.

 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
J Balvin - Jose25
J BALVIN
JOSE
Sueños Globales, LLC
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Reggaetón /// 2020 war J Balvin der Typ der mir zeigte, wie kompositorisch spannend und unpeinlich moderner Reggaetón sein kann, wenn dieser richtig gemacht ist und weil dieser Typ künstlerisch anscheinend sehr konsequent ist, ist er es auch, der ein Jahr später - zumindest meiner Meinung nach - das Opus Magnum ebendieses modernen Reggaetón gemacht hat. Sicher ist die Platte dabei weder ein rekordebrechend erfolgreiches Album gewesen (zumindest nicht für die Verhältnisse der generellen Latinpop-Goldgräberstimmung der jüngeren Vergangenheit) noch ist es in irgendeiner Weise visionär, in meinen Augen ist das aber auch gar nicht sein Maßstab. Denn viel eher sehe ich es als das monolithische Gesamtwerk, das sowohl der stürmischen Karriere seines Schöpfers als auch dem Reggaetón-Hype an sich die kunterbunte Krone aufsetzt und am lautesten die dekadenkte Party feiern will, die in diesen Songs so oft besungen wird. Mit Erfolg: Auf den fast 90 Minuten dieser LP gibt es so gut wie keinen blinden Fleck, alles ist unglaublich stimmig und obwohl Jose nur selten die fettestmöglichen Banger abliefert, ist es durchweg ein Album, das für die richtige Stimmung sorgt und besagte Party niemals enden lässt, zu der natürlich auch jede*r von Balvins Homies eingeladen wurde. Ist es dabei besonders intelligent? Nicht wirklich. Aber immerhin intelligent genug, sein Pulver für vibige Latinpop-Moods nicht in ein paar quotenstarken Hits zu verschießen, sondern eine Platte zu machen, die als Gesamtheit funktionert. Was sich am Ende ja auch kommerziell lohnt, weil so das ganze Ding gut streambar ist und jeder Song ein potenzieller Knüller ist.

Das beste daran: Dass mit In Da Getto der beste Song der Platte gleichzeitig ein kleines Comeback für Skrillex, den verlorenen Sohn der Zwotausendzehner, ist.

 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////


Every Time I Die - Radical24
EVERY TIME I DIE
RADICAL
Epitaph










 
Metalcore /// Ein Metalcore-Album unter den besten 30 Platten des Jahres ist 2021 schon eine ziemliche Kuriosität, allerdings auch nur bedingt, wenn wir dabei von Every Time I Die reden. Denn nicht nur hält die Band aus Buffalo mittlerweile seit Dekaden mit durchweg extrem stabilen Platten die Fahne für ihre Generation der Szene hoch, sie wird dabei auch noch kontinuierlich besser. Dass sie bei mir irgendwann in so einer Liste landen würden, war also eher eine Frage der Zeit und fühlt sich für mich inzwischen mehr nach überfälliger Anerkennung meinerseits an als nach einer Überraschung. Wobei Radical auch nur eine weitere Platte ist, die auf wunderbare Weise an den musikalischen Konzepten feilt, die die Band schon vor Jahren als Marschrichtung ausgemacht hat und seitdem nur noch sehr gut patcht: Viel lauter und grantiger Metalcore gepaart mit ein paar gut platzierten Altrock-Songs zur Abwechslung, die jedes Mal ein bisschen feingeistiger und ambitionierter werden und langsam die besten Momente ihrer Musik ausmachen. Wem das hier also gefällt, sollte auch mit dem vorherigen Output der New Yorker Freude haben, weil die stilistische und qualitative Distanz dazu angenehm kurz ist. Ihr bestes Album seit mindestens zehn Jahren machen sie am Ende. Und wenn die Konjunkturkurve von hier aus so weiterverläuft, wird das definitiv nicht ihr letztes Highlight bleiben.

Das beste daran: Wenn Hostile Architecture von der holprigen Bridge in den letzten Breakdown übergeht und nochmal alle Kanonen abfeuert.

 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Endless Boogie - Admonitions23
ENDLESS BOOGIE
ADMONITIONS
No Quarter
 









 
Psychrock /// Lange Platten mit langen Songs und nudeligen Jam-Eskapaden sind auf diesem Format schon seit etlichen Jahren ein wiederkehrender Bestandteil solcher Listen und ein Album wie Admonitions aufgrund seiner ausufernden Songlängen und monotonen Nudelei hervorzuheben, käme mir an dieser Stelle vor wie eine Wiederholung ohnehin offensichtlicher Parameter. Ja, das hier ist ein weiteres dieser Alben, die in kiffig-verjammten fünf- bis fünfundzwanzigminütigen Longtracks psychedelischen Bluesrock abgrooven und vom Grundsatz her ist fast alles daran auf die gleiche Weise ahnbar wie es genial ist. Und ja, wahrscheinlich wird es unter euch auch eh nur denjenigen Gefallen, die eh schon auf sowas abfahren. Was mich an Endless Boogie allerdings abseits der üblichen Checkpoints fasziniert, ist die Art, wie sie das Medium Zeit scheinbar ganz bewusst in ihr Songwriting einfließen lassen und hier nicht nur die längste Platte dieser Liste machen, sondern vor allem auch eine, der man das extrem anmerkt. Soll heißen, dass die Songs dieser LP sich anfühlen - und an dieser Stelle muss ich kurz esoterisch werden - als würde ich durch eine Art schwarzes Loch in ein Paralleluniversum gesogen, in dem jede Sekunde auf der Erde ein Menschenleben dauert und in dem selbst der knackigste Schweinegroove irgendwann zur hypnotischen Spirale wird, durch die ich in die Ewigkeit blicke. Was für einige definitiv heißen wird, dass diese Platte eher langweilig klingt, für mich als Genießer solcher Ausflüge aber etwas sehr besonderes und faszinierendes ist, das aber nur mit der entsprechenden Geduld klappt. Zum Glück hat diese Band davon aber mehr als genug.

Das beste daran: Paul Majors dämonisches Krächzen in Disposable Thumbs.

Zum Artikel
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Tirzah - Colourgrade 22
TIRZAH
COLOURGRADE
Domino
 










Schlafzimmerpop /// Als Tirzah Mastin 2018 mit ihrem Debütalbum zum ersten mal in meinen Top 30 war, machte sie eine sehr minimalistische und entspannte Variante von schlurigem Schlafzimmer-R'n'B, der vor allem durch seinen offen zur Schau gestellten Dillettantismus irgendwie fasnzinierend war und unter den vielen Leuten, die zu dieser Zeit sehr ähnliche Platten machten, einen angenehmen Unterschied darstellte. 2021 ist sie mit ihrem zweiten Album Colourgrade wieder Teil der Liste, diesmal jedoch als eine völlig veränderte Musikerin. Zwar klingen ihre Songs zum größten Teil immer noch so wie vor dem ersten Kaffee im Pyjama aufgenommen, nur ist daran so gut wie nichts mehr niedlich oder gemütlich. Viel eher ist das hier ein kunstiges Experimentalalbum, das stilistisch dem avantgardistischen Electronica von Arca, Holly Herndon und James Ferraro nacheifert und auf dem die Kreativität von Tirzah mehr herausfordernd als verspielt und naiv ist. Eine der wenigen Sachen, die sich dabei nicht wirklich ändert ist, wie fasziniert ich letzltlich vom Gesamteindruck bin und wie mich die Arbeitsweise der Künstlerin dahinter begeistert. Und dass diese eine spannende Zukunft vor sich hat, glaube ich nach diesem Album natürlich weiterhin. Auch wenn die mit ziemlicher Sicherheit ein ganzes Stück anders aussieht als ich ursprünglich vermutet hatte.

Das beste daran: Wie Tirzah manchmal tausend Meter vom Beat weg singt und dabei trotzdem richtig super klingt.

Zum Artikel
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Twin Shadow - Twin Shadow21
TWIN SHADOW
TWIN SHADOW
Cheree Cheree
 
 









Psychedelic Pop /// Nachdem Twin Shadow schon mit seinem letzten Album Caer von 2018 unter den besten zehn Platten des damaligen Jahres landete, dürfte klar sein, was insgesamt von ihm als künstlerische Persönlichkeit halte. Umso erstaunlicher ist die ganze Sache aber nochmal, wenn man bedenkt wie himmelweit der klangliche und ästhetische Unterschied zwischen diesen beiden Platten ist und um wie viel der New Yorker in der Zwischenzeit nochmal gewachsen ist. Wo er auf besagtem Vorgänger im wesentlichen unterkühlten Synthpop und notalgische Rockballaden spielte, entfernt er sich spätestens hier von jeder stilistischen Zuschreibung und schreibt ein Album voller exotischer Para-Sommerhits, die mit Dub, Afrobeat und Funk genauso souverän jonglieren wie mit zeitgenössischem R'n'B und der Sorte von flamboyantem Indiepop, die am ehesten noch Vampire Weekend und the Cat Empire machen. Was ist nicht nur deshalb ein Wagnis ist, weil er hier nach Jahren, die er für die richtige Austarierung des einen Sounds brauhte, nochmal etwas vollkommen neues ausprobiert, sondern auch weil er dabei Gefahr läuft, manchmal ein bisschen zu optimistisch und selbstzufrieden zu klingen. Weil er aber ein so toller Musiker ist, empfinde ich das hier in keinem Moment als anstrengend, sondern als extrem sympathisch. Und diese Platte vielleicht als die beste, die der Typ bis jetzt gemacht hat.
 
Das beste daran: Dass Johnny & Jonnie total klingt wie ein Kinderlied. Und das auf die bestmögliche Weise.
 
Zum Artikel
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Kings of Leon - When You See Yourself20
KINGS OF LEON
WHEN YOU SEE YOURSELF
RCA
 
 







 
 
Indierock /// When You See Yourself hat dieses Jahr von vielen Musiknerds ziemlich auf den Deckel gekriegt und ein bisschen kann ich auch verstehen, wieso. Als Angehörige der gerade ziemlich uncoolen vorletzten Indierock-Generation sind die Kings of Leon ein leichtes Ziel für den unvermeidlichen Backlash und dass ihre neue Platte nicht gerade ein Donnerwetter ist, hilft da nur bedingt. Was in meinen Augen aber immer unterschätzt wird ist, dass dieses Album das erste der Band ist, das eben nicht für eine Laufkundschaft geschrieben wurde, sondern für die, die es wirklich wollen. Die Songs auf When You See Yourself sind die Kings of Leon für Liebhaber*innen und Gourmets ihrer Musik, die idealerweise schon ein paar Jahre ihre Songs hören und nicht nur für die Rockstarjahre dabei waren. Denn für die verbirgt sich unter der Oberfläche dieser unscheinbaren Southern Rock-Balladen ein kompositorisch wie technisch extrem feinsinniges Gesamtwerk, das fast nur über seine Details funktioniert und diese Band zum ersten Mal schöngeistig klingen lässt. Auf keiner ihrer vorherigen Platten hört man jedes Instrument so filigran herausgeschält wie hier, auf keinem werden Zwischentöne so präzise gesetzt und selten klang Caleb Followill - in meinen Augen einer der besten Rocksänger der letzten zwanzig Jahre - so formvollendet und tiefschürfend. Wobei der Band selbst ebensoviel Anerkennung gehört wie ihrem Produzenten Markus Dravs, der hier nicht zum ersten Mal ein gutes Album zu einem bemerkenswerten macht und damit nicht unwesentlich dafür sorgt, dass die Kings of Leon eine der wenigen Acts ihrer Generation bleiben, die nie eine miese Platte gemacht haben. Und ja, das meine ich so wie es da steht.

Das beste daran: Wenn im Refrain von the Bandit nochmal kurz das Stadionrock-Gen von Only By the Night auflebt.

 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Blanck Mass - In Ferneaux19
BLANCK MASS
IN FERNEAUX
Sacred Bones










 
Electronica /// Gehöre ich jetzt endlich auch zu den coolen Kids, weil ich ein Album von Ben Power unter meinen Lieblingsplatten des Jahres habe? Anscheinend  nicht, war In Ferneaux doch aus irgendeinem Grund in dieser Saison die LP von ihm, die viele seiner Fans eher so lala fanden und als mittelmäßig beiseits kehrten. Verstehen kann ich diesen Eindruck ehrlich gesagt nur zum Teil, denn ich wurde durch diese Platte erst so richtig angefixt. Sicher ist dieses aus lediglich zwei langen und sehr wechselhaften Tracks bestehende Stück in vielen Punkten nicht so intensiv wie die endlos powernden letzten Sachen von ihm, andererseits hat das vor allem damit zu tun, dass der Sound, den er darauf etablierte, hier nochmal wesentlich besser dramaturgisch aufgearbeitet wird und so viel mehr mehr kann als nur komatös zu ballern. Vieles an diesem Album erinnert mich dabei auf eine seltsame Weise an die Pionierbands des Postrock, die ihre Platten ebenfalls durch viele Phasen laufen ließen, nur um am Ende ein Gesamtwerk zu erhalten, das vor allem durch seine Kontinuität beeindruckend ist und in dem ekstatische Momente nur ein Teil der Gesamtformel sind. Aber wenn man diese Art von künstlerischer Vielschichtigkeit nicht möchte, dann will ich sie auch niemandem aufschwatzen. Ich für meinen Teil mag sie, auch wenn ich damit wohl weiterhin eher die Ausnahme bin.

Das beste daran: Wenn man nach dem Ende von Phase I schon denkt, dass es nicht mehr geiler wird und Phase II anschließend erst so richtig loslegt.

Zum Artikel
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
IDK - USEE4YOURSELF 18
IDK
USEE4YOURSELF
Clue | Warner
 









 
Hiphop /// Schon vor 2021 war IDK in meinen Augen ein Rapper, der sich extrem viele Gedanken über seine Musik machte und dabei auch stets weitreichendere Motivationen zeigte als nur die, möglichst viele Banger zu schreiben und von allen den längsten zu haben. Dass es trotzdem bis zu diesem Jahr dauerte, dass dieses Potenzial tatsächlich realisiert wurde und er ein wirklich bemerkenswertes Album machte, ist aber gar nicht so schlimm. Denn so ist er auf USee4Yourself nicht nur künstlerisch auf der bisherigen Höhe seines Schaffens, er kann sich inzwischen auch die namhafte Unterstützung leisten, um ambitioniertere Visionen umzusetzen als auf seinen Vorgängern und dafür das entsprechend große Besteck in die Hand zu nehmen. Die Gästeliste dieser LP ist dadurch ebenso beeindruckend wie die Dichte an fantastischen Songs und dass das Ergebnis am Ende doch ziemlich viele Banger umfasst, ist eher der nette Nebeneffekt eines durch die Bank weg hochwertigen Hiphop-Projektes als fest geplantes Hauptziel. Das einzige blöde an der Sache ist halt nur, dass ein fantastisches Stück Musik wie dieses erst zu einem Zeitpunkt kommt, an dem das Aufmerksamkeitsfenster des Mainstream gegenüber jemandem wie IDK langsam zugeht. Und ehrlicherweise machen J. Cole und Kanye auch einfach schon ein bisschen länger solche Platten, was diese hier ein bisschen wie einen Abklatsch wirken lässt. In meinen Augen allerdings schadet das USee4Yourself als eigentliches Werk kein bischen und zeigt letztlich doch noch, dass dieser Typ bei den großen mitspielen kann.
 
Das beste daran: Der aberwitzige UK Garage-Beat, den ausgerechnet die Neptunes für Keto gebaut haben.
 
Zum Artikel
 
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Bicep - Isles17
BICEP
ISLES
Ninja Tune










 
Electronica /// Ich habe eine ganze Weile überlegt, was eigentlich genau das Attribut oder das Alleinstellungsmerkmal ist, das die Musik von Bicep so besonders macht und dafür sorgt, dass sie auf der einen Seite Songs schreiben, für die Musiknerds snobbige Expertenbegriffe wie Progressive Breaks oder Future Garage aus der Mottenkiste zerren, die auf der anderen Seite aber auch monumentale Hits und Ohrwürmer fabriziert, die diese Band jüngst ein bisschen zu Promis machte. Isles, ihr zweiter Longplayer nach dem Überraschungerfolg des Debüts von 2017, schafft dabei das wunderbare Kunststück, alle beiden dieser Zielgruppen weiter mitzunehmen und quasi gleichzeitig ein ganzes Stück verkünstelter und abstrakter zu werden, dabei aber immernoch verdammt tanzbar und eingängig zu sein. Biceps Songs als Musik für Kopf und Körper zu bezeichnen, ist in meinen Augen daher wahrscheinlich die treffendste Beschreibung und die Besonderheit des Duos am Ende irgendwie die, dass sie zwischen diesen Welten keine Widersprüche entstehen lassen. Beziehungsweise, dass man über ihre Musik viel nachdenken kann, wenn man das möchte, dass man das aber auch nicht muss. Und das bedeutet übrigens nicht, dass diese ein Kompromiss wäre, sondern viel eher dass es nicht kompliziert sein muss, um schlau zu sein. Und dafür mag ich es dann immer gleich noch ein bisschen mehr.

Das beste daran: Apricots, obwohl oder gerade weil es der offensichtliche Anschlusshit zu Glue ist.

Zum Artikel
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Lambchop - Showtunes16
LAMBCHOP
SHOWTUNES
Merge | City Slang
 










Kunstpop /// Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, warum es mich gerade bei Lambchop so freut, dass sie nach über zehn Jahren der okayen, mittelmäßigen und ernsthaft fragwürdigen Platten hier doch nochmal eine richtig starke gemacht haben, aber wahrscheinlich liegt es daran, dass ich immer irgendwie wusste, dass sie das Zeug dazu haben. Und konsequenterweise ist der größte Unterschied zwischen Showtunes und seinen Vorgängern letztlich auch der, dass die Band hier so viel mutiger ist als zuvor. Dass sie hier keinen zaghaften Autotune-Country oder seichter Pianopop machen, sondern mit ihrer ganzen Kraft kunstig und herausfordernd sein wollen und dabei auch das Selbstbewusstsein haben, diese Kunstigkeit zur wesentlichsten Eigenschaft ihrer Platte zu machen. Wobei man ihnen das hier nicht nur sehr gut abkauft, es gibt ihrer Musik sogar in ein gänzlich neues Image, das ihnen ein ganzes Stück besser zu Gesicht steht als das der ehrenwerten aber abgehalfterten Indieband, als die sie bei Vielen lange galten. Denn hier zeigen sie zum einen, dass in ihnen noch jede Menge kreative Energie steckt und zum anderen, dass sie selbst von ihren Fans in den letzten Jahren vielleicht ein bisschen falsch eingeordnet wurden. Und obwohl ich mir ein Album wie dieses von ihnen lange gewünscht habe, hatte auch ich nicht das auf dem Schirm, was es letztendlich geworden ist. Weshalb das schönste daran sicherlich der Überraschungseffekt ist.

Das beste daran: Dass das Ding auch klanglich gesehen eines der besten Alben des Jahres ist.

 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Baby Keem - The Melodic Blue15
BABY KEEM
THE MELODIC BLUE
pgLang
 










Hiphop /// Ein bisschen glaube ich ja immer noch, dass Baby Keem die letzten Jahre über einfach von den Little Homies in einem Labor gezüchtet wurde, beziehungsweise the Melodic Blue eigentlich das Werk eines cleveren Ghostwriters ist, der den jungen Rapper hier Anonymus-mäßig als Sockenpuppe benutzt, um nicht selbst das Gesicht seiner Kunst zu sein. Denn dass ein Rookie wie Keem schon auf seinem ersten Album so formvollendet, kreativ und abgebrüht klingt, kann einfach nicht mit rechten Dingen zugehen, zumal ja vorher nicht mal eines seiner Mixtapes bei den Hypebeasts im Internet die Runde machte. Ein Karrierestart wie der seine ist ganz einfach zu glatt, um Zufall zu sein und wenn man über seine Verbindungen zu Kendrick Lamar und dessen Kreativzirkel bescheid weiß, weiß man auch, dass es tatsächlich ganz und gar kein Zufall ist. Trotzdem wäre es naiv, die Qualität dieser LP ausschließlich auf gut platziertes Vitamin B zu schieben, denn das wäre ganz einfach ignorant gegenüber dem wahnsinnigen Talent, das dieser Künstler ganz offensichtlich hat und hier auch in so vielen Momenten zeigt. Und ganz ehrlich: Am Ende des Tages ist es vor allem cool, dass so jemand hier von so einflussreichen Leuten supportet wird, denn von selbst wäre dieser Typ wahrscheinlich gar nicht erst entdeckt wurden und eine der besten Rapplatten des Jahres hätte womöglich nie existiert.

Das beste daran: Ich wollte in Verbdindung mit dieser LP ka eigentlich nicht mehr über Kendrick Lamar reden aber meine Fresse, wie geil ist dieser Typ hier?

Zum Artikel
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Trippie Redd - Trip at Knight 14
TRIPPIE REDD
TRIP AT KNIGHT
1400 Entertainment Inc. | TenThousand Projects










 
Trap /// Würde man mich danach fragen, welche weitreichendere Bedeutung ein Album wie Trip at Knight für die Karriere von Trippie Redd hat, würde ich es am ehesten als  vorläufigen Meilenstein bezeichnen. In seiner finalen Form ist der Kalifornier hier definitiv noch lange nicht angekommen und der spannendste Teil seiner Laufbahn ist in meinen Augen nach wie vor der Teil der noch kommt, trotzdem ist das hier mindestens ein wesentlicher Knotenpunkt seiner Diskografie. Nicht nur in der Hinsicht, dass er mit Trip at Knight seine bisher beste Platte gemacht hat, sondern auch dahingehend, dass er sich stilitisch vom Großteil seiner Zeitgenoss*innen absetzt. Schon auf seinen Soundcloud- und Emotrap-Projekten der vergangenen Jahre zeigte sich Trippie Redd als jemand, der vieles richtig machte und mit dem künstlerisch zu rechnen war, hier jedoch ist er zum ersten Mal jemand, der tatsächlich visionär arbeitet und eine potenzielle Zukunft für Traprap als Gesamtheit aufzeigt. Kopfüber wirft er sich hier dafür in die Arme grellbunter Hyperpop-Stylings und ist damit nicht nur in Sachen Trends auf der Höhe der Zeit, die schrillen Beats und überzogenen Produktionselemente auf Trip at Knight passen auch noch wie angegossen zu seinem flamboyanten Charakter, der dadurch ebenfalls nochmal extra Feuer unterm Hintern bekommt. Und obwohl Playboi Carti im letzten Winter theoretisch der Erste war, der diese ganze Nummer stilistisch vorlegte, ist Redd doch wieder mal derjenige, der daraus auch ein gutes Gesamtergebnis fabrizieren kann. Wobei von meiner Seite aus die Hoffnung besteht, dass er das nicht zum letzten Mal tut.

Das beste daran: Dass selbst die Features der schwierigen Kollegen wie Polo G und Drake echt cool geworden sind.

Zum Artikel  
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Black Dresses - Forever in Your Heart13
BLACK DRESSES
FOREVER IN YOUR HEART
Die-Ai-Wei
 
 







 
 
Industrial /// Wenige Dinge haben mich dieses Jahr so geärgert wie mein Versäumnis, die Black Dresses nicht schon auf ihren früheren Platten in dem Maße gecheckt zu haben, um ihre Musik in adäqueter Weise abzufeiern und zu sehen, was für ein Geschenk diese für die potenzielle Zukunft der Popmusik ist. Nicht nur in der Hinsicht, dass sie die im Moment eine der extremsten Phänotypen von Hyperpop vertreten, die viele schon eher in den Definitionsbereich des Industrial einordnen und klanglich an Schmerzgrenzen gehen, sie wissen auch, was es technisch dafür braucht. Mehr noch als ihr Durchbruchsalbum Peaceful As Hell vom letzten Jahr ist Forever in Your Heart eine Platte, die ihr größtes Erneuerungspotenzial in der Weise entfaltet wie aus aufgenommen, gemischt und und (nicht) ausbalanciert wird. Die Art, wie die beiden Künstler*innen hier bewisst ganze Spuren bis zur Unkenntlichkeit übersteuern, digitale Glitches als wesentliches Songwriting-Element einsetzen und vor allem mit ihrer radikal unverbrauchten Vokaltechnik arbeiten, ist in meinen Augen eine kleine Offenbarung und ergibt in Summe eines der zukunftsweisenden Alben, die ich 2021 gehört habe. Auch wenn es dabei nicht unbedingt immer ein einfaches ist.

Das beste daran: "Pussy like a bulldozer / drooling and grinding"

 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Pink Siifu - GUMBO'! 12
PINK SIIFU
GUMBO'!
Dynamite Hill
 
 








 
Hiphop /// Dass Gumbo'! ein Album mit wahnsinnig vielen sehr unterschiedlichen und teilweise sogar gegensätzlichen Elementen ist, die es alle zu ebenso chaotischen wie bewundernswerten Song-Gebilden zusammenschraubt, ist in meinen Augen vielleicht seine bemerkenswerteste Eigenschaft und die Sache, die mich daran immer wieder fasziniert. Wie kann eine Platte so tief in den Traditionen des Southern Rap verwurzelt sein und gleichzeitig so radikal und ikonoklastisch klingen? Wie schafft Siifu es, strukturell so unkonventionell zu arbeiten und dabei trotzdem Banger am Fließband zu produzieren? Und warum fühlt sich Gumbo'! trotz seiner sehr lockeren und extrem wechselhaften Konzeptualität an wie eine vollwertige Definition der Hiphop-LP als musikalisches Gesamtwerk? Wahrscheinlich ist die Artwort auf alle diese Fragen am Ende die, dass Siifu es einfach drauf hat und man hier gar nicht so viel drüber nachdenken sollte, doch finde ich die Platte auch zu clever, um sie einfach als glücklichen Zufall zu akzeptieren. Dann schon eher, dass sie viel zu genial ist und schlichtweg nicht verstanden werden soll. Obwohl das am Ende wahrscheinlich genauso wenig stimmt.

Das beste daran: Wie Songs hier immer wieder mitten in der Hook weggecuttet werden und in anderen zwei völlig unterschiedliche Motive ohne jeglichen Übergang zusammengeleimt sind.

 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Gallery S. - The Many Hands of God 11
GALLERY S
THE MANY HANDS OF GOD
Haus of Altr
 
 






 
 
 
Drum & Bass /// Selten fand in der Vergangenheit meine lang gehegte Leidenschaft für Drum & Bass mal ihren Weg in dieses Format, was meistens daran lag, dass meine diesbezüglichen Highlights schon das ein oder andere Jahr her sind und ich in der gegenwärtigen Szenelandschaft keine wirklichen Andockpunkte fand. Zum Glück hat der Untergrund mit Wyatt D. Stevens aber seit einiger Zeit so etwas wie einen neuen Shooting Star gefunden, der darüber hinaus auch einiges an Talent mitbringt und dieses in den letzten Jahren mit gleich zwei Projekten unter Beweis stellte (Drei, wenn man seine Tätigkeit als Labelchef von Haus of Altr. mitzählt). Neben dem quantitativ sehr fruchtbaren MoMa Ready ist Gallery S dabei so etwas wie sein Edelformat, auf dem er die wirklich glänzenden Perlen seiner Arbeit präsentiert und dem er 2021 ein weiteres Referenzwerk hinzufügte. The Many Hands of God nimmt dafür das rhythmische Gerüst eines atmosphärischen Breakbeat-Albums und entführt es in die Katakomben von Deep House und Triphop, wo es innerhalb von 37 Minuten das volle Programm an nokturnaler Clubmusik-Behandlung abbekommt. Das Ergebnis wirkt dann erstmal ziemlich düster und schummrig, offenbart aber proportional zu den Hördurchläufen eine sehr ätherisch durchleuchtete Qualität, die in ihren besten Momenten fast schon sakrale Attribute hat. Wobei für mich vor allem die Frage aufkommt, wann ich das letzte mal ein D&B-Album mit so vielen Layern gehört habe.

Das beste daran: Wie the Mastermind Effect am Ende fast was von chilligem New Age-Kram hat.

Zum Artikel

////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Armand Hammer & The Alchemist - Haram 1o
ARMAND HAMMER & THE ALCHEMIST
HARAM
Backwoodz Studios
 








 
Hiphop /// Klar war ich skeptisch, als ich Haram in diesem Frühjahr die ersten paar Male hörte und zu meiner großen Überraschung miterleben musste, wie Armand Hammer den armen Alchemist, sonst der unverbesserliche Sonnenschein des zeitgenössischen Indierap, in ihre düstere Vorhölle misanthropischer Nerdlyrik herabzogen und zu einem von ihnen machten. Und klar war ich auch verstört von einem weiteren so unbequem sitzenden Album der New Yorker, das scheinbar alles daran setzte, die vor drei Jahren mit Paraffin angelockte Fanbase konsequent zu vergraulen und unter den verbliebenen Anhängern auch noch massiv schlechte Laune zu verbreiten. Mittlerweile sollte ich aber auch ganz genau wissen, dass gerade das die magische Formel dieser beiden Rapper ist, bei der nach dem anfänglichen Schock über die Unzugänglichkeit des Gehörten eben durch selbige eine einzigartige Intelligenz offenbart wird, die nicht zuletzt deshalb so hässlich ist, weil sie ihren Hörer*innen eben keinen Honig ums Maul schmieren will, sondern mit der harten Realität konfrontiert, die genauso düster und ekelhaft ist wie zwei Schweineköpfe als Cover. Und wie jedes Jahr endet die Geschichte auch 2021 wieder damit, dass ich von ihrer neuen Platte auf morbide Weise fasziniert bin und sehr genau weiß, was ich an dieser Band habe. Zumindest bis sie mich beim nächsten Mal wieder in die Spirale schicken.

Das beste daran: Die schräge Poesie der ersten Strophe von Indian Summer, in der Billy Woods sich ein weiteres Mal als lyrisches Ausnahmetalent zeigt.

 
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Frédéric D. Oberland - Même Soleil09
FRÉDÉRIC D. OBERLAND
MÊME SOLEIL
IIKKI
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Electronica /// Schon die Platten seiner Band Oiseaux-Tempête liebte ich während der letzten Dekade für ihre atmosphärische Großzügigkeit und die ausufernden Movements, mit denen sie weit über jegliche Stilgrenzen hinwegschebten. Auf seinen Soloalben, von denen dieses hier bereits das fünfte ist, bringt Chefdenker Frédéric Oberland das Ganze aber nochmal auf ein völlig neues Level der kompositorischen Abstraktion, das in seiner klanglichen Reichhaltigkeit nicht minder faszinierend ist. Seine ätherisch-drückenden Mäander zieht er auf Même Soleil wie Spannlaken über endlos weite Klangflächen, für die selbst die dehnbare Bezeichnung Electronica als unzureichend und schubladenhaft erscheint. Über die 40 Minuten dieser LP changiert Oberland dabei immer wieder zwischen apokalyptischem Postrock, flirrendem Free Jazz, finsterem Synthpop, Ambient und Drone, wobei immer mindestens zwei dieser Sachen gleichzeitig passieren. Das macht Même Soleil an vielen Stellen noch ungreifbarer als den eh schon ziemlich nebulösen Kram von Oiseaux-Tempête, für mich als Fan der Band ist es gerade deshalb aber auch der logische nächste Schritt für jemanden wie ihn. Und im allermindesten eine gute Zwischenbeschäftigung, bis es von denen endlich wieder mal neues Material zu hören gibt.

Das beste daran: Wenn À Notre Nuit die ganzen stilistischen Exkurse der Platte am Ende nochmal in einem Song bündelt.

////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Senyawa - Alkisah08
SENYAWA
ALKISAH
Phantom Limb
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Avantgarde /// Ok Freunde, weirder als auf dieser Platte wird es 2021 nicht mehr und schon allein die einführenden Parameter dieses Albums lesen sich wie eine abgefuckte und gleichsam faszinierende Megafreakshow, die man entweder liebt oder hasst: Senyawa ist das Projekt zweier indonesischer Avantgarde-Musiker, von denen der eine auf selbstgebauten Instrumenten aus Bambus und Öltonnen eine von Gamelan inspirierte Gattung von experimentellem Folk spielt und der andere eine Gesangstechnik kultiviert hat, die die Techniken Jodeln und Kehlkopfgesang mischt und dabei größtenteils improvisatorisch performt wird. Gemeinsam kreieren die beiden auf Alkisah, ihrem insgesamt bereits zehnten Album, damit so etwas wie den feuchten Traum eines jeden Experimentalmusiknerds, der ein bisschen klingt wie ein  in einer Mülltonne eingesperrter betrunkener Affe, auf der anderen Seite aber auch wie ein durchweg formvollendetes Gesamtwerk, das sehr genau weiß, was es von sicht selbst will und mit kleinlicher Akribie umgesetzt wurde. Wobei ich nicht mal unbedingt sagen würde, dass diese Platte besonders unzugänglich wäre, denn einen doppelten Boden oder ein tieferes Verständnis gibt es dabei eigentlich nicht. Man muss es eben nur mögen.
 
Das beste daran: Dass Senyawa ihre besten Tricks auch nur bei Blixa Bargeld gelernt haben.
 
Zum Artikel 

////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
For Those I Love - For Those I Love07
FOR THOSE I LOVE
FOR THOSE I LOVE
September Recordings
 










Electronica /// For Those I Love ist ein Album, auf dem ein Mann Texte über den Suizid seines besten Freundes und Bandkollegen schreibt und das als solches im wesentlichen dazu dient, die tief sitzende Trauer dieses Mannes zu verarbeiten und in Perspektive zu setzen. Trotzdem wäre es falsch zu sagen, dass es sich hierbei um ein deprimierendes Album handelt. Oder zumindest ist es das nicht ausschließlich. Sicher, vor dem Hintergrund der tragischen Story um seine Entstehung und auch in den Texten von David Balfe an sich findet sich eine extrem greifbare Schwermut, die mich als Hörenden in die tiefsten Tiefen seiner Gefühlswelt schleudert, trotzdem ist neben all der Trauer, der Frustration und den Schuldgefühlen vor allem auch Platz für die schönen Seiten des Lebens. Denn wenn For Those I Love eines ist, dann eine Hommage an die Freundschaft zweier Menschen, die zwar jäh beendet wurde, in ihrer Stärke aber darüber triumphiert. Der Leitsatz der LP, den Balfe hier immer wieder deklamiert, ist "I have a love and it never fades", und genau danach hört sich diese Musik an. Die Geschichten über gemeinsame Erinnerungen und gegenwärtigen Schmerz, die Balfe mit seinem dicken irischen Dialekt so einfühlsam erzählt, laufen wahrscheinlich auch deshalb immer über clubbige Proghouse-Beats und klingen nach dem, was diese Platte letztendlich beschreibt: Dem Alltag zweier Männer in ihren Zwanzigern, die das ganze Leben noch vor sich hatten. Bis einer sich dazu entschied, einen anderen Weg zu gehen.

Das beste daran: Wie Balfe immer wieder Sprachmemos und alte Soundschnipsel des Verstorbenen einspielt, um seine Stories zu kolorieren.

 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Clap Your Hands Say Yeah - New Fragility06
CLAP YOUR HANDS SAY YEAH
NEW FRAGILITY
Die-Ai-Wei
 








 
 
Indiepop /// Es ist inzwischen gut und gerne 15 Jahre her, dass die Art von Indiepop, die Clap Your Hands Say Yeah auf New Fragility spielen, das letzte mal so richtig cool war und schon damals gehörten die New Yorker ja irgendwie zu den Bands, die für ebendiese Art Musik bekannt waren. Nur hat es bei ihnen eben eine Weile länger gedauert, dass die damit wirklich ihren künstlerischen Zenit in Form dieses Albums erreichtten. Was 2007 mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Sensation des Jahres bei Pitchfork hätte sein können, wirkte in diesem Frühjahr leider nur noch ziemlich aus der Zeit gefallen und juckte selbst von den ehemaligen Indierock-Hypebeasts niemanden mehr. Was schade ist, denn was die Gruppe hier leistet, empfinde ich wahrhaftig als etwas sehr besonderes und schönes. Denn nicht nur ist hier absolut jeder Song unfassbar gut geschrieben und performt, auch die pompöse Aufmachung mit epischen Streichern und schnieker Hochglanzproduktion tut einiges für die imposante Wirkung dieser LP. Und ja, sicherlich spielt für mich persönlich dabei auch eine gewisse Nostalgie für die Indiemusik der ausgehenden Zwotausender eine Rolle, die aber auch nicht völlig willkürlich ist. Denn wie gesagt, gute Platten gibt es von Clap Your Hands Say Yeah auch aus dieser Zeit. Nur ist diese hier eben eine ganze Ecke besser.

Das beste daran: Die pittoreske Arcade Fire-Violine in Went Looking for Trouble.

Zum Artikel
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Yeahman - Ostriconi05
YEAHMAN
OSTRICONI
Wonderwheel
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Downtempo /// Es gibt wahrscheinlich nichts über dieses Album zu sagen, das sich nicht wie ein furchtbares Klischee anhört und für manche vielleicht auch ein bisschen eine rote Fahne darstellt: Es klingt wie eine Weltreise für die Ohren, es versprüht sommerliche Vibes wie bunte Seifenblasen und es zeugt von jener bemerkenswerten Leichtigkeit, die meistens die Art von ekelhaften Nichtsnutzen an den Tag legt, die auf Instagram ständig mit Gemüsebowls, Coachella-Outfits und Surfvideos nerven. Bei alledem bleibt mir persönlich aber ein Eindruck als wesentlichster in Erinnerung: Ostriconi schafft es, trotz solcher Assoziationen nicht nur ein erträgliches Album zu sein, sondern ein durchweg faszinierendes, das mich immer wieder aufs neue begeistert. Dabei erfindet es weder irgendwelche Räder neu noch ist es sonderlich deep, es sorgt einfach nur für eine wahnsinnig positive Stimmung, die eine sehr einfache Magie ihr Eigen nennt und die - so ungern ich das auch zugebe - vielleicht auch deshalb so geil ist, weil es ein bisschen die Sehnsüchte nach exotischen Traumstränden, Sand in den Schuhen und Gemüsebowls triggert, die ich selbst habe. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich dieses Jahr so manches Mal auf diese Platte als Methadon zurückgegriffen, wenn mal wieder keine Sonne in Sicht war.

Das beste daran: Die kleine Armee toller Featuregäste, die kein Mensch kennt und die alle richtig fantastisch sind.

Zum Artikel
 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Dravier - Earth Mirage04
DRAVIER
EARTH MIRAGE
Not Not Fun
 










Ambient /// Earth Mirage ist eines jener Alben die gerade im Bereich des ambienten Electronica des öfteren vorkommen und die ich für meinen Teil immer das Problem verbinde, dass man über sie nicht besonders gut schreiben kann. Denn was soll schon viel zu berichten sein über die wabernden instrumentalen Klanggebilde dieses Briten namens Caleb Draves, die völlig nebulös irgendwo zwischen esoterischer Zen-Meditationsmusik und minimalistischem Experimentalpop pendeln und von denen man nie so richtig weiß, ob sie jetzt aus analogen Samples, exotischen Midi-Schnipseln oder aus ganz altmodisch selbstgespielten Instrumenten bestehen. Dass diese Platte so mystisch und ungreifbar ist und dass sie immer ein bisschen klingt wie von Aliens oder einer archaischen Spezies Hohlerdenbewohnener*innen aufgenommen, macht in meinen Augen aber auch ihren größten Reiz aus und passt irgendwie zur Ästhetik, die sie vermittelt. Dass unterm Strich letztlich also auch hier wieder ein "man muss es gehört haben um es zu vestehen"-Disclaimer steht, sollte daher als ausdrückliche Einladung in die schleierhafte Welt von Dravier verstanden werden. Weil die schönsten Dinge manchmal die sind, die ein bisschen rätselhaft bleiben.

Das beste daran: Wenn die Keyboards in Soaring View so richtig oll nach den schäbigen VHS-Naturdokus aus dem Biounterricht klingen.

 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Sóley - Mother Melancholia
03
SÓLEY
MOTHER MELANCHOLIA
Die-Ai-Wei
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Kammerpop /// Gruselige Alben scheinen in den letzten Jahren auf diesem Format ein bisschen Konjunktur zu haben und auch wenn Mother Melancholia auf eine andere Art und Weise gruselig ist als die Platten von Clipping oder Backxwash, die ich damit sonst so meine, ist es ergebnisteschnich doch kein großer Unterschied und an vielen Stellen sogar ein ganzes Stück effektiver. Heißt im Klartext: Was Sóley hier macht, ist ein verdammt nochmal extrem schaurige Musik und hat dieses Jahr vor allem dadurch einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Wer die Isländerin wie ich bis dato eher als nymphenhafte Indiesongwriterin mit einem Hang zur schöngeistigen Melancholie kannte, erlebt hier ihre schattenhafte Kehrseite, die auch vor apokalyptischen Drone-Eskapaden und geisterhaften ASMR-Ambient-Soundscapes nicht zurückschreckt. Womit sie hier nicht nur ein extrem stimmiges Album aufnimmt, sondern vor allem auch ein ziemlich experimentelles, das mich durch den Mut beeindruckt, auch mal bewusst hässlich und finster zu sein. Ohne das wäre vieles hier zwar immer noch bemerkenswert geschrieben und fantastisch performt gewesen, so ist es aber auch eine Platte, die mich zum Innehalten bringt und auch auf die unangenehme Weise dafür sorgt, dass ich sie im Kopf behalte.

Das beste daran: Wie In Heaven das Album nach dem düsteren Drone-Doppel von Parasite und Desert langsam wieder an die Oberfläche zieht.

Zum Artikel

////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
Mogwai - As the Love Continues 02
MOGWAI
AS THE LOVE CONTINUES
Rock Action








 
 
 
Postrock /// Auch für mich ist es noch jetzt eine wahnsinnige Überraschung, dass ich 2021 von einem Mogwai-Album so hin und weg bin und selbst nachdem in meiner Besprechung im Februar der erste Schock darüber abreagiert war, war ich mir noch immer nicht ganz im Klaren, was die Schotten da eigentlich fabriziert hatten: Nämlich nicht weniger als ihren verdammt nochmal besten Longplayer seit Happy Songs for Happy People von 2003, ihrem zu Recht als unanfechtbarer Postrock-Klassiker geltenden Opus Magnum. Und obwohl das alles natürlich nur meine Ansicht der Dinge ist und gerade bei Mogwai jede*r ein bisschen seine eigenen Präferenzen hat, kann ich dieses Urteil für mich persönlich doch inzwischen mit einer gewissen Sicherheit fällen. Denn As the Love Continues präsentiert nicht nur die coolste Version des Sounds, an dem die Band seit inzwischen gut 15 Jahren auf die ein oder andere Weise herumopert, es bringt sie auch auf ein Level klanglicher Größe und Dramatik, das man bei ihnen bisher noch nie erlebt hat. Wenn ich von diesem Album also in so hohen Tönen spreche, dann weiß ich auch ganz genau, wieso ich das mache. Weil die Musik auf dieser LP in so vielen Momenten mein Herz ein bisschen höher schlagen lässt. Und das ist immerhin das Herz eines Fans.

Das beste daran: Dass in Form von Midnight Flit jetzt endlich auch die Kombination von Mogwai und großem Sinfonieorchester existiert und dass das Ergebnis so geil ist wie ich es mir immer vorgestellt habe.


////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
 
 
K.I.Z - Rap über Hass01
K.I.Z
RAP ÜBER HASS
Vertigo
 
 














 
Hiphop /// Ja verdammt, am Ende musste ich es einfach tun. Und wenn ich an dieser Stelle ganz ehrlich mit mir selbst bin, dann habe ich mich tatsächlich ein bisschen vor diesem Resultat gefürchet: Am Ende des Jahres steht an der Spitze dieser Liste das neue Album von K.I.Z, einer asozialen Spaßrap-Gruppe mit fragwürdigem Ruf, von der man eigentlich glauben sollte, sie hätten ihre besten Tage schon hinter sich und die hier eigentlich auch nur durch die gleichen Sachen überzeugen wie eh schon die letzten 20 Jahre über. Wobei ich auch hier ganz ehrlich sagen muss: Es war auch irgendwie unausweichlich. Schon direkt nach meiner Besprechung im Mai hatte ich irgendwie das Gefühl, hier eines der ganz großen Highlights der laufenden Saison auf dem Schirm zu haben, hoffte aber doch irgendwie, dass es am Ende nicht mein Album des Jahres werden würde. Ich meine ganz ernsthaft: Wie würde das denn aussehen? Doch Monat für Monat kam und je öfter ich in dieser Zeit zu Rap über Hass zurückkehrte, desto klarer wurde mir die Unvermeidbarkeit dieser Positionierung und auch wenn es einige Alben gab, die für mich zumindest eine Weile lang als Alternative infrage kamen, waren es am Ende doch immer K.I.Z, die mich mehr überzeugten. Weshalb ich irgendwann eben doch aufhörte mich zu sorgen und lernte, den Gedanken an Rap über Hass als Album des Jahres zu lieben. Und nun zum dritten Mal ganz ehrlich: Selten zuvor war die Sache dabei so klar wie in diesem Fall. Das hier ist auf seine ganz eigene Art und Weise eine fantastische Rapplatte und ich meine es ernst wenn ich sage, dass ich mit dieser LP wahrscheinlich noch sehr lange meinen Spaß haben werde. Und auf eine verrückte Weise passt sie am Ende des Tages auch irgendwie zu einem so weirden Jahr wie 2021.

Das beste daran: Dass nach zehn Jahren endlich auch mal ein deutschsprachiges Album hier auf der Eins steht.