Ich hüte mich auf diesem Format normalerweise davor, einen Saisonrückblick wie diesen auf die Weise zu verhunzen, dass ich einem Jahr als solches versuche, auf Biegen und Brechen eine Art Charakter zuzuweisen. In letzter Konsequenz sind die Zeiträume, die ich hier gewöhnlich als "die Saison" beschreibe, ja auch nur willkürliche Sequenzen von 365 Tagen in denen willkürlich Releases stattfinden die darüber hinaus keine höhere Bedeutung verbindet. Trotzdem werde ich mich an dieser Stelle in die Nesseln setzten und sagen ja, 2021 war irgendwie komisch. Zum ersten Mal hatte das musikalische Jahr für mich von Anfang Januar bis in die letzten paar Wochen etwas, das mich als Gesamtheit zum Nachdenken brachte und dass sicherlich am ehesten durch das gefühlte Fehlen von etwas charakterisiert werden kann. Der Sorte Musik, die bei so gut wie Allen, die sich in den letzten eingehend mit Musik beschäftigen und darüber ihren Senf posten, für ein anerkennendes Innehalten sorgte und über die man nicht nur vor dem Erscheinen viel reden kann, sondern die auch nachhaltig begeistert. Zwar gab es durchaus einige hochgelobte Platten und darunter auch welche, die entsprechend erfolgreich waren. Ganz zu schweigen davon, dass wahrscheinlich jede*r musikbegeisterte Mensch seine ganz individuellen Highlights hatte, die deshalb ja nicht weniger relevant sind. Was mir allerdings fehlte, war in vielen Momenten die Sorte "großer" Releases, von der der überwigenden Teil der Nerd-Community viel positives zu sagen hatte und deren Hype vielleicht auch ein bisschen übertrieben wurde. Zumindest gab es diese nicht in dem Maße, wie ich das in der jüngeren Vergangenheit erlebt habe, als sogenannte "instant classics" (ich verabscheue diesen Begriff, aber er meint in dem Kontext durchaus etwas) eigentlich jedes Jahr erschiendn. Vieles davon lag mit Sicherheit an der weiterhin weltweit grassierenden Covid-19-Pandemie, die nach einem kreativ durchaus fruchtbaren 2020 mit vielen spannenden Lockdown-Platten in der Saison danach viel eher einen lähmenden Charakter hatte. Releases namhafter Künstler*innen wurden weiterhin verschoben, Konzerte und Touren fanden auf Sparflamme statt und statt wie vergangene Saison in der Isolation kreativ zu werden, schlugen sich viele Acts durch ein intransparentes Geflecht aus vereinzelten Liveterminen, Onlineshows, digitaler Promo und abgesagten Gigs. Wobei der Großteil dieser Aktionen nicht mehr die mitfühlende Wir-stehen-das-alle-zusammen-durch-Wirkung hatte wie letztes Jahr, sondern sowohl von Seiten der Produzierenden als auch von den Konsumierenden nur noch als nervend empfunden wurde. Und was in diesem undurchsichtigen Wirrwarr dann alles studiotechnisch passierte, war im Vergleich zu 2020 leider auch nur ein schwacher Trost. Von der kurzen Distanz aus, von der ich auf 2021 zurückblicke, wirkt es für mich daher wie eines der "verlorenen" Musikjahre wie 1990, 1976 oder 2002, die historisch von einer gewissen Erschöpfung geprägt waren und an die sich nur noch wenig erinnert wird. Nur dass diese Erschöpfung hier eben nicht (ausschließlich) popkultureller Natur, sondern zusätzlich durch höhere Gewalt begründet ist. Aber vielleicht hat mein Eindruck der ganzen Sache auch ganz einfach damit zu tun, dass ich dieses Jahr sehr viel weniger Zeit hatte, ständig über neue Platten zu schreiben und es mir an manchen Tagen eher wie lästige Arbeit vorkam, einen Artikel zu verfassen oder neue Musik zu hören, als dass es die schönste Nebensache der Welt gewesen wäre. Die gute Nachricht bei dem ganzen Schlamassel: So oder so hat die Hängepartie dieser Saison nicht gereicht, um meine Leidenschaft für dieses fantastische Hobby von mir ernsthaft in Frage zu stellen und selbst in den nervigsten Phasen war es nie eine Option, die Flinte ins Korn zu werfen. Was vor allem deshalb eine persönliche Errungenschaft ist, weil es in ein paar Tagen tatsächlich zehn Jahre sein werden, die ich nun in der einen oder anderen Form Musik im Internet erforsche und regelmäßig Texte darüber schreibe. Und obwohl schon lange nicht mehr alle davon online sind, ist dieses hier inzwischen auch die zehnte Liste, in der ich meine 30 Lieblingsalben der Saison aufzähle. Seit meiner ersten von 2012 hat sich dabei in Format und Herangehensweise einiges geändert, nicht aber, dass dieser Post mein absolutes Highlight jeder Saison ist, in dem auch diesmal wieder sehr viel Arbeit und Hirschmalz steckt. Und soviel ich in der bisherigen Einleitung auch darüber gemeckert habe, wie stagnierend und ereignisarm 2021 war, so sehr spricht alles, was im folgenden geschrieben steht, eine ganz andere Sprache. Denn betrachte ich mal meine ganz persönlichen Highlights, war dieses Jahr echt alles andere als verloren und in vielen Momenten sogar ziemlich spannend. Mehr denn je waren es dabei zwar die unerwarteten Acts, die mich positiv beeindruckten, die sorgten dann aber auch für die richtig tollen Überraschungen und forderten immer wieder meine Hörgewohnheiten heraus: Grandiose Entdeckungen aus Gegenden mit eher dürftiger Szene-Infrastruktur, skurrile Internetphänomene die eigentlich eher Accounts als Künstler*innen sind, um die Ecke denkende Unangepasste und ein ganzer Haufen Bands, die ich künstlerisch schon gar nicht mehr auf dem Zettel hatte. Hiphop wurde mir dabei ein noch zentraleres Thema als die letzten Jahre schon, elektronische Musik inspirierte mich so sehr wie noch nie und bei einem ganzen haufen Platten war es eigentlich gar nicht mehr möglich, derartige stilistische Festlegungen zu treffen. Wenn diese Liste also einen Selling Point hat, dann definitiv den, dass hier wahrscheinlich jede*r die ein oder andere Neuentdeckung finden dürfte, die vielleicht nicht schon auf jeder anderen Liste steht. Wobei ein paar Empfehlungen an euch natürlich das beste sind, worauf ich hoffen kann. Abgesehen natürlich davon, dass die nächsten zehn Jahren genauso geil werden.
Ein paar wichtige Disclaimer:
1.
Diese Liste ist zu 100 Prozent subjektiv und reflektiert nicht mehr und
nicht weniger als meine eigene Auffassung. Wenn etwas hier nicht
auftaucht, kenne ich es entweder nicht oder ich fand es nicht so
nennenswert, dass es hier auftaucht.
2. Diese Liste ist nicht endgültig. Es kann vorkommen, dass ich meine Meinung zu Einträgen hier ändere oder hinterfrage.
RP BOO
ESTABLISHED!
Planet Mu
Footwork /// Es ist ein bisschen ein ausgelutschter Handgriff und in meinen Augen sogar ein winziges bisschen diskriminierend, jegliche künstlerisch ambitionierte Musik aus Hiphop-Kontexten mit der Arbeit von Jean-Michel-Basquiat zu vergleichen und auch in diesem Fall passt es nur bis zu einem bestimmten Punkt. Doch erkenne ich im Schaffen von RP Boo - besonders auf diesem neuesten Album von ihm - schon einige Parallelen. Vor allem die, dass der Output dieses Typen anscheinend vor allem von abgehobenen Feuilleton-Journalist*innen gefeiert wird, in seiner gesamten Wesensart aber ein Ausdruck eines tief sitzenden Szene- und Kulturverständnisses ist, das all diese Leute (inklusive mir) niemals verstehen können. In diesem Fall das der Chicagoer Footwork-Bewegung, dessen wichtigstes Schlachtschiff RB Boo die gesamten letzten 30 Jahre über war und die er hier nach wie vor eisern repräsentiert. Auf Established!, seinem gerade mal vierten Longplayer, bringt er aber nicht nur den verwegenen Kunsthoschis dieser Welt den Sound seiner Hood bei, er ist dabei auch noch irre witzig und immer wieder für Überraschungen gut. An nicht wenigen Stellen auf dieser LP finden sich dabei in grobe Brocken geschlagene Popkultur-Referenzen, die mich häufig sogar an die frühe Vaporwave-Bewegung und dämliche Internet-Mashups erinnern und letztlich vor allem zur Folge haben, dass Established! nicht nur in drei Welten gleichzeitig stattfindet, sondern irgendwie auch in seiner ganz eigenen. Und die ist von allen wahrscheinlich die schrägste.
Das beste daran: Wie unglaublich rhythmisch vertrackt der Beat von Be Of It! wird, sobald die Bläsersamples einsetzen.
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WOLVES IN THE THRONE ROOM
PRIMORDIAL ARCANA
Relapse
Black Metal ///
Einen gewissen Hang zu Kitsch und Esoterik hatten Wolves in the Throne
Room ja schon immer, früher war ihre Musik dabei aber immer sehr entrückt
und verwegen, sodass man es nur merkte, wenn man wirklich hinter die Kulissen schaute. Glücklicherweise hat sich das mit der Zeit aber ein bisschen
gegeben und spätestens seit ihrer letzten LP von 2017 beobachte ich genüsslich,
wie ihr biernernster Black Metal mit jedem Album ein bisschen schnulziger und weicher wird. Primordial Arcana
als bisheriger Höhepunkt der wildromantischen Metamorphose klingt dabei
mehr denn je nach den verwunschenen Wäldern des Pazifischen
Nordwestens, nach magischen Winternächten am Kaminfeuer, nach dunklen Kavernen und allerlei
Flora und Fauna, die darin kreucht und fleucht. Elemente aus Dungeon
Synth und Pagan Metal sowie atmosphärische Field Recordings sind dabei
ein immer wichtigerer Bestandteil des Sounds und
sorgen an vielen Stellen für melodische Schnörkeleien, die man von
dieser Band bisher nur selten kannte. An manchen Stellen sorgt zwar auch dafür, dass Wolves in the Throne Room nicht mehr ganz so den
intellektuellen Anspruch haben wie früher und weniger edgy sind,
wenn ich dafür aber ein so gelungenes Songwriting und so viel klangliche
Verspieltheit bekomme, kann ich das sehr gut verkraften.
Das beste daran: Die unfassbar geilen Synths in Underworld Aurora.
Zum Artikel////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
28
AMENRA
DE DOORN
Relapse
Sludge Metal /// In den Neunzigern hätte man gesagt, dass Amenra sich jetzt ausverkauft hätten. Nach über zwei Dekaden als kreatives Zentrum der Genter Extreme-Metal-Zelle und Flagschiff des legendären Church of Ra-Kollektivs veröffentlichen die Belgier hier ihr erstes Album beim Labelriesen Relapse und verlassen damit die DIY-Gefilde, in denen sie so lange wurzelten. Was geschäftlich wie künstlerisch eine Entscheidung ist, die gehörig hätte schief gehen können und die vor allem auch bereitwillig den Support der treuen Fangemeinde aufs Spiel setzt. Aber keine Panik: Amenra sind immer noch Amenra, auch wenn der äußere Anstrich diesmal ein bisschen schicker und sauberer ist. De Doorn ist das erste Album der Belgier mit mehr als einer Zahl als Titel, man genehmigt sich in Sachen Sound ein paar der netten Relapse-Privilegien und probiert sich an lyrischen Spoken Word-Passagen zwischen den sludgigen Wellenbrechern. Abgesehen davon ist aber alles beim alten. Vor allem die urige Kernkompetenz der klaftertiefen Riffs und monolithischen Gitarrenwände haben Amenra dabei nicht verlernt, sie ist hier sogar so gut wie selten zuvor und profitiert davon, dass die einzelnen Instrumente diesmal ein bisschen cleaer produziert sind. Und was an neuen Elementen dazukommt, dient in meinen Augen ebenfalls dazu, diese Stärken noch weiter herauszuarbeiten und das klangliche Konzept der Band auf spannende Weise zu diversifizieren. Und obwohl De Doorn damit auch nicht mein neues Lieblingsalbum von ihnen wird, kann ich doch eines mit ganzer Überzeugung sagen: Amenra wissen ganz genau, was sie da getan haben. Und es hat sich ausgezahlt.
Das beste daran: Der fast schon theatralisch flüsternde Chor im Mittelteil von Ogentroost.
Zum Artikel
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AESOP ROCK x BLOCKHEAD
GARBOLOGY
Rhymesayers
Hiphop /// Nachdem
meine letzte Saison mit Aesop Rock eine etwas enttäuschende und bittere
war, die mich zum ersten Mal ernsthaft an meiner Bereitschaft zweifeln ließ, diesem Rapper weiter in seine Kaninchenhöhle aus kryptischen
Referenzen und reizüberflutendem Songwriting zu folgen, war ich dieses
Jahr doch sehr angetan zu sehen, mit welcher Leichtigkeit er es
schaffte, das mit Spirit World Field Guide verlorene Vertrauen Stück für Stück wieder
zurückzuholen. Schon viele der Singles, die er im Laufe des Jahres
veröffentlichte, waren angenehm locker und unkompliziert und als er im
Herbst dann auch noch zum ersten Mal seit 2007 seinen alten Sidekick
Blockhead als Produzenten für ein neues Album verpflichtete, wich meine
Skepsis doch sehr schnell der Vorfreude. Und die zahlte sich letztlich auch aus, denn der
resultierende Longplayer der beiden erfüllte nicht nur sämtliche meiner
hochgesteckten Erwartungen, sondern war bei näherer Betrachtung nicht
weniger als der beste Aesop-Longplayer seit den späten Zwotausendern.
Und obwohl bedeutet das keinesfalls bedeutet, dass seine letzten Jahre ohne Blockhead
verschwendet gewesen wären und er als Produzent nichts taugen würde (im Gegenteil, er
kann das eigentlich recht gut), fühlt sich Garbology letztlich doch
auf angenehme Weise an wie die konsequente Rückkehr eines der größten
Hiphop-Dreamteams des neuen Jahrtausends, die hier aus dem Stand eine
Energie abrufen, die es in dieser Form schon eine ganze Weile nicht mehr gab.
Das beste daran: Wie Aesop in All the Smartest People dämliche Smalltalk-Dialoge mit seinen Nachbarn mimt.
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BLURR THROWER
LES VOÛTES
Les Acteurs De L'Ombre
Black Metal /// Ich sehe es mittlerweile fast ein bisschen als eine heilige Tradition an, dass ein Album wie dieses irgendwo unter
meinen besten 30 auftaucht und auch dieses Jahr musste ich nicht lange
warten, bis dieses seinen Weg zu mir fand. Worum es dabei geht ist
schnell umrissen:
nihilistisch-atmosphärischer Black Metal mit viel kaskadischer
Schwungmasse, idealerweise irgendwo aus Mitteleuropa und gerne mit
leichtem Postrock- oder Shoegaze-Einschlag zum abschmecken. Und obwohl Les Voûtes,
das zweite Album des anonymen französischen Ein-Mann-Projekts Blurr
Thrower, in vielen Punkten eine ziemlich ruppige Angelegenheit ist
und es inhaltlich auch viel mit traditionellen Black Metal-Entwürfen teilt, passt es wegen seiner
epochalen Lärmflächen, seiner ätherischen Dynamik und auch ein bisschen
wegen der vielen Verbindungen in die hippe Pariser Kunstszene sehr gut
auf diesen Platz. Im Sinne eines Servicegedankens bedeutet das vor allem, dass es
höchstwahrscheinlich all jenen gefallen wird, die in der Vergangenheit
schon Wiegedood, Downfall of Gaia oder Der Weg einer Freiheit mochten
und im Sinne der Tradition, dass ich auch 2021 jedem
Zeitgeist zuwider meinem Faible für solche Platten treu bleibe. Denn wie schon
gesagt: Sie passieren immer wieder. Und noch tückischer: Sie hören nicht
auf, richtig gut zu sein.
Das beste daran: Wenn Amnios sich
nach siebeneinhalb Minuten auf voller Pumpe in den ambienten Postrock
zurückzieht und es damit tatsächlich jedes Mal schafft, mich kalt zu
erwischen.
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J BALVIN
JOSE
Sueños Globales, LLC
Reggaetón ///
2020 war J Balvin der Typ der mir zeigte, wie kompositorisch
spannend und unpeinlich moderner Reggaetón sein kann, wenn dieser
richtig gemacht ist und weil dieser Typ künstlerisch anscheinend sehr
konsequent ist, ist er es auch, der ein Jahr später - zumindest meiner
Meinung nach - das Opus Magnum ebendieses modernen Reggaetón gemacht
hat. Sicher ist die Platte dabei weder ein rekordebrechend
erfolgreiches Album gewesen (zumindest nicht für die Verhältnisse der
generellen Latinpop-Goldgräberstimmung der jüngeren Vergangenheit) noch
ist es in irgendeiner Weise visionär, in meinen Augen
ist das aber auch gar nicht sein Maßstab. Denn viel eher sehe ich es als
das
monolithische Gesamtwerk, das sowohl der stürmischen Karriere seines
Schöpfers als auch dem Reggaetón-Hype an sich die kunterbunte Krone
aufsetzt
und am lautesten die dekadenkte Party feiern will, die in diesen Songs
so oft besungen wird. Mit Erfolg: Auf den fast 90 Minuten
dieser LP gibt es so gut wie keinen blinden Fleck, alles ist unglaublich
stimmig und obwohl Jose nur selten die fettestmöglichen Banger
abliefert, ist es durchweg ein Album, das für die richtige Stimmung
sorgt und besagte Party niemals enden lässt, zu der natürlich auch
jede*r von Balvins Homies eingeladen wurde. Ist es dabei besonders
intelligent? Nicht wirklich. Aber immerhin intelligent genug, sein
Pulver für vibige Latinpop-Moods nicht in ein paar quotenstarken Hits zu
verschießen, sondern eine Platte zu machen, die als Gesamtheit
funktionert. Was sich am Ende ja auch kommerziell lohnt, weil so das ganze
Ding gut streambar ist und jeder Song ein potenzieller Knüller ist.
Das beste daran: Dass mit In Da Getto der beste Song der Platte gleichzeitig ein kleines Comeback für Skrillex, den verlorenen Sohn der Zwotausendzehner, ist.
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EVERY TIME I DIE
RADICAL
Epitaph
Metalcore ///
Ein Metalcore-Album unter den besten 30 Platten des Jahres ist 2021
schon eine ziemliche Kuriosität, allerdings auch nur bedingt, wenn wir
dabei von Every Time I Die reden. Denn nicht nur hält die Band aus
Buffalo mittlerweile seit Dekaden mit durchweg extrem stabilen Platten
die Fahne für ihre Generation der Szene hoch, sie wird dabei auch noch
kontinuierlich besser. Dass sie bei mir irgendwann in so einer Liste
landen würden, war also eher eine Frage der Zeit und fühlt sich für mich inzwischen mehr nach überfälliger Anerkennung meinerseits an als nach einer
Überraschung. Wobei Radical auch nur eine weitere Platte ist, die
auf wunderbare Weise an den musikalischen Konzepten feilt, die die Band
schon vor Jahren als Marschrichtung ausgemacht hat und seitdem nur noch
sehr gut patcht: Viel lauter und grantiger Metalcore gepaart mit ein
paar gut platzierten Altrock-Songs zur Abwechslung, die jedes Mal ein
bisschen feingeistiger und ambitionierter werden und langsam die besten
Momente ihrer Musik ausmachen. Wem das hier also gefällt, sollte auch
mit dem vorherigen Output der New Yorker Freude haben, weil die
stilistische und qualitative Distanz dazu angenehm kurz ist. Ihr bestes
Album seit mindestens zehn Jahren machen sie am Ende.
Und wenn die Konjunkturkurve von hier aus so weiterverläuft, wird das
definitiv nicht ihr letztes Highlight bleiben.
Das beste daran: Wenn Hostile Architecture von der holprigen Bridge in den letzten Breakdown übergeht und nochmal alle Kanonen abfeuert.
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ENDLESS BOOGIE
ADMONITIONS
No Quarter
Psychrock /// Lange Platten mit langen Songs und nudeligen Jam-Eskapaden sind auf diesem Format schon seit etlichen Jahren ein wiederkehrender Bestandteil solcher Listen und ein Album wie Admonitions aufgrund seiner ausufernden Songlängen und monotonen Nudelei hervorzuheben, käme mir an dieser Stelle vor wie eine Wiederholung ohnehin offensichtlicher Parameter. Ja, das hier ist ein weiteres dieser Alben, die in kiffig-verjammten fünf- bis fünfundzwanzigminütigen Longtracks psychedelischen Bluesrock abgrooven und vom Grundsatz her ist fast alles daran auf die gleiche Weise ahnbar wie es genial ist. Und ja, wahrscheinlich wird es unter euch auch eh nur denjenigen Gefallen, die eh schon auf sowas abfahren. Was mich an Endless Boogie allerdings abseits der üblichen Checkpoints fasziniert, ist die Art, wie sie das Medium Zeit scheinbar ganz bewusst in ihr Songwriting einfließen lassen und hier nicht nur die längste Platte dieser Liste machen, sondern vor allem auch eine, der man das extrem anmerkt. Soll heißen, dass die Songs dieser LP sich anfühlen - und an dieser Stelle muss ich kurz esoterisch werden - als würde ich durch eine Art schwarzes Loch in ein Paralleluniversum gesogen, in dem jede Sekunde auf der Erde ein Menschenleben dauert und in dem selbst der knackigste Schweinegroove irgendwann zur hypnotischen Spirale wird, durch die ich in die Ewigkeit blicke. Was für einige definitiv heißen wird, dass diese Platte eher langweilig klingt, für mich als Genießer solcher Ausflüge aber etwas sehr besonderes und faszinierendes ist, das aber nur mit der entsprechenden Geduld klappt. Zum Glück hat diese Band davon aber mehr als genug.
Das beste daran: Paul Majors dämonisches Krächzen in Disposable Thumbs.
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TIRZAH
COLOURGRADE
Domino
Schlafzimmerpop /// Als Tirzah Mastin 2018 mit ihrem Debütalbum zum ersten mal in meinen Top 30 war, machte sie eine sehr minimalistische und entspannte Variante von schlurigem Schlafzimmer-R'n'B, der vor allem durch seinen offen zur Schau gestellten Dillettantismus irgendwie fasnzinierend war und unter den vielen Leuten, die zu dieser Zeit sehr ähnliche Platten machten, einen angenehmen Unterschied darstellte. 2021 ist sie mit ihrem zweiten Album Colourgrade wieder Teil der Liste, diesmal jedoch als eine völlig veränderte Musikerin. Zwar klingen ihre Songs zum größten Teil immer noch so wie vor dem ersten Kaffee im Pyjama aufgenommen, nur ist daran so gut wie nichts mehr niedlich oder gemütlich. Viel eher ist das hier ein kunstiges Experimentalalbum, das stilistisch dem avantgardistischen Electronica von Arca, Holly Herndon und James Ferraro nacheifert und auf dem die Kreativität von Tirzah mehr herausfordernd als verspielt und naiv ist. Eine der wenigen Sachen, die sich dabei nicht wirklich ändert ist, wie fasziniert ich letzltlich vom Gesamteindruck bin und wie mich die Arbeitsweise der Künstlerin dahinter begeistert. Und dass diese eine spannende Zukunft vor sich hat, glaube ich nach diesem Album natürlich weiterhin. Auch wenn die mit ziemlicher Sicherheit ein ganzes Stück anders aussieht als ich ursprünglich vermutet hatte.
Das beste daran: Wie Tirzah manchmal tausend Meter vom Beat weg singt und dabei trotzdem richtig super klingt.
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TWIN SHADOW
TWIN SHADOW
Cheree Cheree
Psychedelic Pop /// Nachdem Twin Shadow schon mit seinem letzten Album Caer von
2018 unter den besten zehn Platten des damaligen Jahres landete, dürfte
klar sein, was insgesamt von ihm als künstlerische Persönlichkeit
halte. Umso erstaunlicher ist die ganze Sache aber nochmal, wenn man
bedenkt wie himmelweit der klangliche und ästhetische Unterschied
zwischen diesen beiden Platten ist und um wie viel der New Yorker in der
Zwischenzeit nochmal gewachsen ist. Wo er auf besagtem Vorgänger im wesentlichen unterkühlten Synthpop und notalgische Rockballaden
spielte, entfernt er sich spätestens hier von jeder stilistischen
Zuschreibung und schreibt ein Album voller exotischer Para-Sommerhits,
die mit Dub, Afrobeat und Funk genauso souverän jonglieren wie mit
zeitgenössischem R'n'B und der Sorte von flamboyantem Indiepop,
die am ehesten noch Vampire Weekend und the Cat Empire machen. Was ist
nicht nur deshalb ein Wagnis ist, weil er hier nach Jahren, die er für
die richtige Austarierung des einen Sounds brauhte, nochmal etwas
vollkommen neues ausprobiert, sondern auch weil er dabei Gefahr läuft,
manchmal ein bisschen zu optimistisch und selbstzufrieden zu klingen.
Weil er aber ein so toller Musiker ist, empfinde ich das hier in keinem Moment als
anstrengend, sondern als extrem sympathisch. Und diese Platte vielleicht
als die beste, die der Typ bis jetzt gemacht hat.
Das beste daran: Dass Johnny & Jonnie total klingt wie ein Kinderlied. Und das auf die bestmögliche Weise.
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KINGS OF LEON
WHEN YOU SEE YOURSELF
RCA
Indierock /// When You See Yourself
hat dieses Jahr von vielen Musiknerds ziemlich auf den Deckel gekriegt
und ein bisschen kann ich auch verstehen, wieso. Als Angehörige der
gerade ziemlich uncoolen vorletzten Indierock-Generation sind die Kings
of Leon ein leichtes Ziel für den unvermeidlichen Backlash und dass ihre neue Platte nicht gerade ein
Donnerwetter ist, hilft da nur bedingt. Was in meinen Augen aber immer
unterschätzt wird ist, dass dieses Album das erste der Band ist, das eben
nicht für eine Laufkundschaft geschrieben wurde, sondern für die, die es wirklich wollen. Die Songs auf When You See Yourself sind die Kings
of Leon für Liebhaber*innen und Gourmets ihrer Musik, die idealerweise
schon ein paar Jahre ihre Songs hören und nicht nur für die Rockstarjahre dabei waren. Denn für die verbirgt sich unter
der Oberfläche dieser unscheinbaren Southern Rock-Balladen ein
kompositorisch wie technisch extrem feinsinniges Gesamtwerk, das fast
nur über seine Details funktioniert und diese Band zum ersten Mal schöngeistig klingen lässt. Auf keiner ihrer vorherigen Platten
hört man jedes Instrument so filigran herausgeschält wie hier, auf
keinem werden Zwischentöne so präzise gesetzt und selten klang Caleb
Followill - in meinen Augen einer der besten Rocksänger der letzten
zwanzig Jahre - so formvollendet und tiefschürfend. Wobei der Band selbst ebensoviel
Anerkennung gehört wie ihrem Produzenten Markus Dravs, der hier nicht
zum ersten Mal ein gutes Album zu einem bemerkenswerten macht und damit
nicht unwesentlich dafür sorgt, dass die Kings of Leon eine der wenigen
Acts ihrer Generation bleiben, die nie eine miese Platte gemacht haben. Und ja, das meine ich so wie es da steht.
Das beste daran: Wenn im Refrain von the Bandit nochmal kurz das Stadionrock-Gen von Only By the Night auflebt.
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BLANCK MASS
IN FERNEAUX
IN FERNEAUX
Sacred Bones
Electronica /// Gehöre
ich jetzt endlich auch zu den coolen Kids, weil ich ein Album von Ben
Power unter meinen Lieblingsplatten des Jahres habe? Anscheinend nicht, war In Ferneaux
doch aus irgendeinem Grund in dieser Saison die LP von ihm, die viele
seiner Fans eher so lala fanden und als mittelmäßig beiseits kehrten. Verstehen kann ich diesen Eindruck ehrlich gesagt
nur zum Teil, denn ich wurde durch diese Platte erst so richtig angefixt. Sicher ist dieses aus lediglich zwei langen und sehr
wechselhaften Tracks bestehende Stück in vielen Punkten nicht so
intensiv wie die endlos powernden letzten Sachen von ihm, andererseits
hat das vor allem damit zu tun, dass der Sound, den er darauf
etablierte, hier nochmal wesentlich besser dramaturgisch aufgearbeitet
wird und so viel mehr mehr kann als nur komatös zu ballern. Vieles an
diesem Album erinnert mich dabei auf eine seltsame Weise an die Pionierbands des
Postrock, die ihre Platten ebenfalls durch viele Phasen laufen ließen,
nur um am Ende ein Gesamtwerk zu erhalten, das vor allem durch seine
Kontinuität beeindruckend ist und in dem ekstatische Momente nur ein
Teil der Gesamtformel sind. Aber wenn man diese Art von künstlerischer
Vielschichtigkeit nicht möchte, dann will ich sie auch niemandem
aufschwatzen. Ich für meinen Teil mag sie, auch wenn ich damit wohl
weiterhin eher die Ausnahme bin.
Das beste daran: Wenn man nach dem Ende von Phase I schon denkt, dass es nicht mehr geiler wird und Phase II anschließend erst so richtig loslegt.
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IDK
USEE4YOURSELF
Clue | Warner
Hiphop ///
Schon vor 2021 war IDK in meinen Augen ein Rapper, der sich extrem
viele Gedanken über seine Musik machte und dabei auch stets
weitreichendere Motivationen zeigte als nur die, möglichst viele Banger
zu schreiben und von allen den längsten zu haben. Dass es trotzdem bis
zu diesem Jahr dauerte, dass dieses Potenzial tatsächlich realisiert
wurde und er ein wirklich bemerkenswertes Album machte, ist aber gar
nicht so schlimm. Denn so ist er auf USee4Yourself nicht nur
künstlerisch auf der bisherigen Höhe seines Schaffens, er kann sich
inzwischen auch die namhafte Unterstützung leisten, um ambitioniertere
Visionen umzusetzen als auf seinen Vorgängern und dafür das entsprechend
große Besteck in die Hand zu nehmen. Die Gästeliste dieser LP ist
dadurch ebenso beeindruckend wie die Dichte an fantastischen Songs und
dass das Ergebnis am Ende doch ziemlich viele Banger umfasst, ist eher
der nette Nebeneffekt eines durch die Bank weg hochwertigen
Hiphop-Projektes als fest geplantes Hauptziel. Das einzige blöde an der
Sache ist halt nur, dass ein fantastisches Stück Musik wie dieses erst
zu einem Zeitpunkt kommt, an dem das Aufmerksamkeitsfenster des
Mainstream gegenüber jemandem wie IDK langsam zugeht. Und ehrlicherweise
machen J. Cole und
Kanye auch einfach schon ein bisschen länger solche Platten, was diese
hier ein bisschen wie einen Abklatsch wirken lässt. In meinen
Augen allerdings schadet das USee4Yourself als eigentliches Werk kein bischen und zeigt letztlich doch noch, dass dieser Typ bei den großen mitspielen kann.
Das beste daran: Der aberwitzige UK Garage-Beat, den ausgerechnet die Neptunes für Keto gebaut haben.
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BICEP
ISLES
Ninja Tune
Ninja Tune
Electronica ///
Ich habe eine ganze Weile überlegt, was eigentlich genau das Attribut
oder das Alleinstellungsmerkmal ist, das die Musik von Bicep so
besonders macht und dafür sorgt, dass sie auf der einen Seite Songs
schreiben, für die Musiknerds snobbige Expertenbegriffe wie Progressive
Breaks oder Future Garage aus der Mottenkiste zerren, die auf der
anderen Seite aber auch monumentale Hits und Ohrwürmer fabriziert, die diese Band jüngst ein bisschen zu Promis machte. Isles,
ihr zweiter Longplayer nach dem Überraschungerfolg des Debüts von 2017,
schafft dabei das wunderbare Kunststück, alle beiden dieser Zielgruppen
weiter mitzunehmen und quasi gleichzeitig ein ganzes Stück
verkünstelter und abstrakter zu werden, dabei aber immernoch
verdammt tanzbar und eingängig zu sein. Biceps Songs als Musik für Kopf
und Körper zu bezeichnen, ist in meinen Augen daher wahrscheinlich die
treffendste Beschreibung und die Besonderheit des Duos am Ende irgendwie
die, dass sie zwischen diesen Welten keine Widersprüche entstehen
lassen. Beziehungsweise, dass man über ihre Musik viel nachdenken kann,
wenn man das möchte, dass man das aber auch nicht muss. Und das
bedeutet übrigens nicht, dass diese ein Kompromiss wäre, sondern viel eher dass es nicht
kompliziert sein muss, um schlau zu sein. Und dafür mag ich es dann
immer gleich noch ein bisschen mehr.
Das beste daran: Apricots, obwohl oder gerade weil es der offensichtliche Anschlusshit zu Glue ist.
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LAMBCHOP
SHOWTUNES
Merge | City Slang
Kunstpop /// Ich
habe ehrlich gesagt keine Ahnung, warum es mich gerade bei Lambchop so
freut, dass sie nach über zehn Jahren der okayen, mittelmäßigen und ernsthaft
fragwürdigen Platten hier doch nochmal eine richtig starke gemacht
haben, aber wahrscheinlich liegt es daran, dass ich immer irgendwie
wusste, dass sie das Zeug dazu haben. Und konsequenterweise ist der
größte Unterschied zwischen Showtunes und seinen Vorgängern letztlich auch
der, dass die Band hier so viel mutiger ist als zuvor. Dass sie hier keinen
zaghaften Autotune-Country oder seichter Pianopop machen, sondern mit ihrer ganzen Kraft kunstig und herausfordernd sein wollen und
dabei auch das Selbstbewusstsein haben, diese Kunstigkeit zur
wesentlichsten Eigenschaft ihrer Platte zu machen. Wobei man ihnen das
hier nicht nur sehr gut abkauft, es gibt ihrer Musik sogar in ein gänzlich neues
Image, das ihnen ein ganzes Stück besser zu Gesicht steht als das der
ehrenwerten aber abgehalfterten Indieband, als die sie bei Vielen lange galten. Denn hier zeigen sie zum einen, dass in ihnen noch jede
Menge kreative Energie steckt und zum anderen, dass sie selbst von ihren Fans in den
letzten Jahren vielleicht ein bisschen falsch eingeordnet wurden. Und
obwohl ich mir ein Album wie dieses von ihnen lange
gewünscht habe, hatte auch ich nicht das auf dem Schirm, was es
letztendlich geworden ist. Weshalb das schönste daran sicherlich der
Überraschungseffekt ist.
Das beste daran: Dass das Ding auch klanglich gesehen eines der besten Alben des Jahres ist.
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BABY KEEM
THE MELODIC BLUE
pgLang
Hiphop /// Ein
bisschen glaube ich ja immer noch, dass Baby Keem die letzten Jahre
über einfach von den Little Homies in einem Labor gezüchtet wurde,
beziehungsweise the Melodic Blue eigentlich das Werk eines cleveren
Ghostwriters ist, der den jungen Rapper hier Anonymus-mäßig
als Sockenpuppe benutzt, um nicht selbst das Gesicht seiner Kunst zu
sein. Denn dass ein Rookie wie Keem schon auf seinem
ersten Album so formvollendet, kreativ und abgebrüht klingt, kann
einfach nicht mit rechten Dingen zugehen, zumal ja vorher nicht mal
eines seiner Mixtapes bei den Hypebeasts im Internet die Runde machte.
Ein Karrierestart wie der seine ist ganz einfach zu glatt, um Zufall zu
sein und wenn man über seine Verbindungen zu Kendrick Lamar
und dessen Kreativzirkel bescheid weiß, weiß man auch, dass es
tatsächlich ganz und gar kein Zufall ist. Trotzdem wäre es naiv, die
Qualität
dieser LP ausschließlich auf gut platziertes Vitamin B zu schieben, denn
das wäre ganz einfach ignorant gegenüber dem wahnsinnigen Talent, das
dieser Künstler ganz offensichtlich hat und hier auch in so vielen
Momenten zeigt. Und ganz ehrlich: Am Ende des
Tages ist es vor allem cool, dass so jemand hier von so einflussreichen
Leuten
supportet wird, denn von selbst wäre dieser Typ wahrscheinlich gar nicht
erst entdeckt wurden und eine der besten Rapplatten des Jahres hätte
womöglich nie existiert.
Das beste daran:
Ich wollte in Verbdindung mit dieser LP ka eigentlich nicht mehr über
Kendrick Lamar reden aber meine Fresse, wie geil ist dieser Typ hier?
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TRIPPIE REDD
TRIP AT KNIGHT
1400 Entertainment Inc. | TenThousand Projects
Trap /// Würde man mich danach fragen, welche weitreichendere Bedeutung ein Album wie Trip at Knight
für die Karriere von Trippie Redd hat, würde ich es am ehesten als vorläufigen
Meilenstein bezeichnen. In seiner finalen Form ist der Kalifornier hier
definitiv noch lange nicht angekommen und der spannendste Teil seiner
Laufbahn ist in meinen Augen nach wie vor der Teil der noch kommt, trotzdem ist das
hier mindestens ein wesentlicher Knotenpunkt seiner Diskografie. Nicht nur in der
Hinsicht, dass er mit Trip at Knight seine bisher beste Platte
gemacht hat, sondern auch dahingehend, dass er sich stilitisch vom Großteil
seiner Zeitgenoss*innen absetzt. Schon auf seinen Soundcloud- und
Emotrap-Projekten der vergangenen Jahre zeigte sich Trippie Redd als
jemand, der vieles richtig machte und mit dem künstlerisch zu rechnen
war, hier jedoch ist er zum ersten Mal jemand, der tatsächlich visionär
arbeitet und eine potenzielle Zukunft für Traprap als Gesamtheit
aufzeigt. Kopfüber wirft er sich hier dafür in die Arme grellbunter
Hyperpop-Stylings und ist damit nicht nur in Sachen Trends auf der Höhe
der Zeit, die schrillen Beats und überzogenen Produktionselemente auf Trip at Knight
passen auch noch wie angegossen zu seinem flamboyanten Charakter, der
dadurch ebenfalls nochmal extra Feuer unterm Hintern bekommt. Und obwohl
Playboi Carti im letzten Winter theoretisch der Erste war, der diese ganze Nummer stilistisch vorlegte, ist Redd doch wieder mal derjenige, der daraus auch ein
gutes Gesamtergebnis fabrizieren kann. Wobei von meiner Seite aus die
Hoffnung besteht, dass er das nicht zum letzten Mal tut.
Das beste daran: Dass selbst die Features der schwierigen Kollegen wie Polo G und Drake echt cool geworden sind.
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BLACK DRESSES
FOREVER IN YOUR HEART
Die-Ai-Wei
Industrial ///
Wenige Dinge haben mich dieses Jahr so geärgert wie mein Versäumnis,
die Black Dresses nicht schon auf ihren früheren Platten in dem Maße gecheckt zu haben, um
ihre Musik in adäqueter Weise abzufeiern und zu sehen, was für ein
Geschenk diese für die potenzielle Zukunft der Popmusik ist. Nicht nur
in der Hinsicht, dass sie die im Moment eine der extremsten Phänotypen
von Hyperpop vertreten, die viele schon eher in den Definitionsbereich
des Industrial einordnen und klanglich an Schmerzgrenzen gehen, sie
wissen auch, was es technisch dafür braucht. Mehr noch als ihr
Durchbruchsalbum Peaceful As Hell vom letzten Jahr ist Forever in Your Heart
eine Platte, die ihr größtes Erneuerungspotenzial in der Weise
entfaltet wie aus aufgenommen, gemischt und und (nicht) ausbalanciert
wird. Die Art, wie die beiden Künstler*innen hier bewisst ganze Spuren
bis zur Unkenntlichkeit übersteuern, digitale Glitches als wesentliches
Songwriting-Element einsetzen und vor allem mit ihrer radikal
unverbrauchten Vokaltechnik arbeiten, ist in meinen Augen eine kleine
Offenbarung und ergibt in Summe eines der zukunftsweisenden Alben, die
ich 2021 gehört habe. Auch wenn es dabei nicht unbedingt immer ein einfaches ist.
Das beste daran: "Pussy like a bulldozer / drooling and grinding"
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PINK SIIFU
GUMBO'!
Dynamite Hill
Hiphop /// Dass Gumbo'!
ein Album mit wahnsinnig vielen sehr unterschiedlichen und teilweise
sogar gegensätzlichen Elementen ist, die es alle zu ebenso chaotischen
wie bewundernswerten Song-Gebilden zusammenschraubt, ist in meinen Augen
vielleicht seine bemerkenswerteste Eigenschaft und die Sache, die mich
daran immer wieder fasziniert. Wie kann eine Platte so tief in den
Traditionen des Southern Rap verwurzelt sein und gleichzeitig so radikal und ikonoklastisch klingen? Wie schafft Siifu es,
strukturell so unkonventionell zu arbeiten und dabei trotzdem Banger am Fließband zu produzieren? Und warum fühlt sich Gumbo'! trotz
seiner sehr lockeren und extrem wechselhaften Konzeptualität an wie eine
vollwertige Definition der Hiphop-LP als musikalisches Gesamtwerk?
Wahrscheinlich ist die Artwort auf alle diese Fragen am Ende die, dass
Siifu es einfach drauf hat und man hier gar nicht so viel drüber
nachdenken sollte, doch finde ich die Platte auch zu clever, um sie
einfach als glücklichen Zufall zu akzeptieren. Dann schon eher, dass sie
viel zu genial ist und schlichtweg nicht verstanden werden soll. Obwohl
das am Ende wahrscheinlich genauso wenig stimmt.
Das beste daran:
Wie Songs hier immer wieder mitten in der Hook weggecuttet werden und
in anderen zwei völlig unterschiedliche Motive ohne jeglichen Übergang
zusammengeleimt sind.
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GALLERY S
THE MANY HANDS OF GOD
Haus of Altr
Drum & Bass ///
Selten fand in der Vergangenheit meine lang gehegte Leidenschaft für
Drum & Bass mal ihren Weg in dieses Format, was meistens daran lag,
dass meine diesbezüglichen Highlights schon das ein oder andere Jahr her
sind und ich in der gegenwärtigen Szenelandschaft keine wirklichen
Andockpunkte fand. Zum Glück hat der Untergrund mit Wyatt D. Stevens
aber seit einiger Zeit so etwas wie einen neuen Shooting Star gefunden, der
darüber hinaus auch einiges an Talent mitbringt und dieses in den
letzten Jahren mit gleich zwei Projekten unter Beweis stellte (Drei,
wenn man seine Tätigkeit als Labelchef von Haus of Altr. mitzählt).
Neben dem quantitativ sehr fruchtbaren MoMa Ready ist Gallery S dabei so
etwas wie sein Edelformat, auf dem er die wirklich glänzenden Perlen
seiner Arbeit präsentiert und dem er 2021 ein weiteres Referenzwerk
hinzufügte. The Many Hands of God nimmt dafür das rhythmische
Gerüst eines atmosphärischen Breakbeat-Albums und entführt es in die
Katakomben von Deep House und Triphop, wo es innerhalb von 37 Minuten
das volle Programm an nokturnaler Clubmusik-Behandlung abbekommt. Das
Ergebnis wirkt dann erstmal ziemlich düster und schummrig, offenbart
aber proportional zu den Hördurchläufen eine sehr ätherisch
durchleuchtete Qualität, die in ihren besten Momenten fast schon sakrale Attribute hat. Wobei für mich vor allem die Frage aufkommt, wann ich das letzte
mal ein D&B-Album mit so vielen Layern gehört habe.
Das beste daran: Wie the Mastermind Effect am Ende fast was von chilligem New Age-Kram hat.
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ARMAND HAMMER & THE ALCHEMIST
HARAM
Backwoodz Studios
Hiphop /// Klar war ich skeptisch, als ich Haram in
diesem Frühjahr die ersten paar Male hörte und zu meiner großen
Überraschung miterleben musste, wie Armand Hammer den armen Alchemist,
sonst der unverbesserliche Sonnenschein des zeitgenössischen Indierap,
in ihre düstere Vorhölle misanthropischer Nerdlyrik herabzogen und
zu einem von ihnen machten. Und klar war ich auch verstört von
einem weiteren so unbequem sitzenden Album der New Yorker, das
scheinbar alles daran setzte, die vor drei Jahren mit Paraffin angelockte
Fanbase konsequent zu vergraulen und unter den verbliebenen Anhängern
auch noch massiv
schlechte Laune zu verbreiten. Mittlerweile sollte ich aber
auch ganz genau wissen, dass gerade das die magische Formel dieser
beiden
Rapper ist, bei der nach dem anfänglichen Schock über die
Unzugänglichkeit des Gehörten eben durch selbige eine einzigartige
Intelligenz
offenbart wird, die nicht zuletzt deshalb so hässlich ist, weil sie
ihren
Hörer*innen eben keinen Honig ums Maul schmieren will, sondern mit der
harten
Realität konfrontiert, die genauso düster und ekelhaft ist wie zwei
Schweineköpfe als Cover. Und wie jedes Jahr endet die Geschichte
auch 2021 wieder damit, dass ich von ihrer neuen Platte auf morbide
Weise fasziniert bin und sehr genau weiß, was ich an dieser Band habe.
Zumindest bis sie mich beim nächsten Mal wieder in die Spirale schicken.
Das beste daran: Die schräge Poesie der ersten Strophe von Indian Summer, in der Billy Woods sich ein weiteres Mal als lyrisches Ausnahmetalent zeigt.
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FRÉDÉRIC D. OBERLAND
MÊME SOLEIL
IIKKI
Electronica ///
Schon die Platten seiner Band Oiseaux-Tempête liebte ich während der
letzten Dekade für ihre atmosphärische Großzügigkeit und die ausufernden
Movements, mit denen sie weit über jegliche Stilgrenzen hinwegschebten.
Auf seinen Soloalben, von denen dieses hier bereits das fünfte ist,
bringt Chefdenker Frédéric Oberland das Ganze aber nochmal auf ein
völlig neues Level der kompositorischen Abstraktion, das in seiner
klanglichen Reichhaltigkeit nicht minder faszinierend ist. Seine
ätherisch-drückenden Mäander zieht er auf Même Soleil wie
Spannlaken über endlos weite Klangflächen, für die selbst die dehnbare
Bezeichnung Electronica als unzureichend und schubladenhaft erscheint.
Über die 40 Minuten dieser LP changiert Oberland dabei immer wieder zwischen
apokalyptischem Postrock, flirrendem Free Jazz, finsterem Synthpop,
Ambient und Drone, wobei immer mindestens zwei dieser Sachen
gleichzeitig passieren. Das macht Même Soleil an vielen Stellen
noch ungreifbarer als den eh schon ziemlich nebulösen Kram von
Oiseaux-Tempête, für mich als Fan der Band ist es gerade deshalb aber
auch der logische nächste Schritt für jemanden wie ihn. Und im
allermindesten eine gute Zwischenbeschäftigung, bis es von denen endlich
wieder mal neues Material zu hören gibt.
Das beste daran: Wenn À Notre Nuit die ganzen stilistischen Exkurse der Platte am Ende nochmal in einem Song bündelt.
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Avantgarde /// Ok
Freunde, weirder als auf dieser Platte wird es 2021 nicht mehr und
schon allein die einführenden Parameter dieses Albums lesen sich wie
eine abgefuckte und gleichsam faszinierende Megafreakshow, die man entweder
liebt oder hasst: Senyawa ist das Projekt zweier indonesischer
Avantgarde-Musiker, von denen der eine auf selbstgebauten Instrumenten
aus Bambus und Öltonnen eine von Gamelan inspirierte Gattung von
experimentellem Folk spielt und der
andere eine Gesangstechnik kultiviert hat, die die Techniken Jodeln und
Kehlkopfgesang mischt und dabei größtenteils improvisatorisch performt
wird. Gemeinsam kreieren die beiden auf Alkisah, ihrem insgesamt
bereits zehnten Album, damit so etwas wie den feuchten Traum
eines jeden Experimentalmusiknerds, der ein bisschen klingt wie ein in einer Mülltonne eingesperrter
betrunkener Affe,
auf der anderen Seite aber auch wie ein durchweg formvollendetes Gesamtwerk, das sehr
genau weiß, was es von sicht selbst will und mit kleinlicher Akribie umgesetzt wurde. Wobei ich nicht mal unbedingt
sagen würde, dass diese Platte besonders unzugänglich wäre, denn einen doppelten
Boden oder ein tieferes Verständnis gibt es dabei eigentlich nicht.
Man muss es eben nur mögen.
Das beste daran: Dass Senyawa ihre besten Tricks auch nur bei Blixa Bargeld gelernt haben.
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FOR THOSE I LOVE
FOR THOSE I LOVE
September Recordings
Electronica /// For Those I Love ist ein Album, auf dem ein Mann Texte über den Suizid seines besten Freundes und Bandkollegen schreibt und das als solches im wesentlichen dazu dient, die tief sitzende Trauer dieses Mannes zu verarbeiten und in Perspektive zu setzen. Trotzdem wäre es falsch zu sagen, dass es sich hierbei um ein deprimierendes Album handelt. Oder zumindest ist es das nicht ausschließlich. Sicher, vor dem Hintergrund der tragischen Story um seine Entstehung und auch in den Texten von David Balfe an sich findet sich eine extrem greifbare Schwermut, die mich als Hörenden in die tiefsten Tiefen seiner Gefühlswelt schleudert, trotzdem ist neben all der Trauer, der Frustration und den Schuldgefühlen vor allem auch Platz für die schönen Seiten des Lebens. Denn wenn For Those I Love eines ist, dann eine Hommage an die Freundschaft zweier Menschen, die zwar jäh beendet wurde, in ihrer Stärke aber darüber triumphiert. Der Leitsatz der LP, den Balfe hier immer wieder deklamiert, ist "I have a love and it never fades", und genau danach hört sich diese Musik an. Die Geschichten über gemeinsame Erinnerungen und gegenwärtigen Schmerz, die Balfe mit seinem dicken irischen Dialekt so einfühlsam erzählt, laufen wahrscheinlich auch deshalb immer über clubbige Proghouse-Beats und klingen nach dem, was diese Platte letztendlich beschreibt: Dem Alltag zweier Männer in ihren Zwanzigern, die das ganze Leben noch vor sich hatten. Bis einer sich dazu entschied, einen anderen Weg zu gehen.
Das beste daran: Wie Balfe immer wieder Sprachmemos und alte Soundschnipsel des Verstorbenen einspielt, um seine Stories zu kolorieren.
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CLAP YOUR HANDS SAY YEAH
NEW FRAGILITY
Die-Ai-Wei
Indiepop /// Es ist inzwischen gut und gerne 15 Jahre her, dass die Art von Indiepop, die Clap Your Hands Say Yeah auf New Fragility
spielen, das letzte mal so richtig cool war und schon damals gehörten
die New Yorker ja irgendwie zu den Bands, die für ebendiese Art Musik bekannt waren.
Nur hat es bei ihnen eben eine Weile länger gedauert, dass die damit
wirklich ihren künstlerischen Zenit in Form dieses Albums erreichtten. Was 2007 mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Sensation des Jahres bei
Pitchfork hätte sein können, wirkte in diesem Frühjahr leider nur noch
ziemlich aus der Zeit gefallen und juckte selbst von den ehemaligen
Indierock-Hypebeasts niemanden mehr. Was schade ist, denn was die Gruppe
hier leistet, empfinde ich wahrhaftig als etwas sehr besonderes und schönes. Denn nicht nur ist hier absolut jeder Song unfassbar gut
geschrieben und performt, auch die pompöse Aufmachung mit epischen Streichern und
schnieker Hochglanzproduktion tut einiges für die imposante Wirkung
dieser LP. Und ja, sicherlich spielt für mich persönlich dabei auch eine
gewisse Nostalgie für die Indiemusik der ausgehenden Zwotausender eine
Rolle, die aber auch nicht völlig willkürlich ist. Denn wie gesagt, gute
Platten gibt es von Clap Your Hands Say Yeah auch aus dieser Zeit. Nur
ist diese hier eben eine ganze Ecke besser.
Das beste daran: Die pittoreske Arcade Fire-Violine in Went Looking for Trouble.
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YEAHMAN
OSTRICONI
Wonderwheel
Downtempo /// Es
gibt wahrscheinlich nichts über dieses Album zu sagen, das sich nicht
wie ein furchtbares Klischee anhört und für manche vielleicht auch ein bisschen
eine rote Fahne darstellt: Es klingt wie eine Weltreise für die Ohren,
es versprüht sommerliche Vibes wie bunte Seifenblasen und es zeugt von
jener bemerkenswerten Leichtigkeit, die meistens die Art von ekelhaften
Nichtsnutzen an den Tag legt, die auf Instagram ständig
mit Gemüsebowls, Coachella-Outfits und Surfvideos nerven. Bei alledem bleibt mir
persönlich aber ein Eindruck als wesentlichster in Erinnerung: Ostriconi schafft
es, trotz solcher Assoziationen nicht nur ein
erträgliches Album zu sein, sondern ein durchweg faszinierendes, das
mich immer wieder aufs neue begeistert. Dabei erfindet es weder
irgendwelche Räder neu noch ist es sonderlich deep, es sorgt einfach nur
für eine wahnsinnig positive Stimmung, die eine sehr einfache Magie ihr
Eigen nennt und die - so ungern ich das auch zugebe - vielleicht auch
deshalb so geil ist, weil es ein bisschen die Sehnsüchte nach exotischen
Traumstränden, Sand in den Schuhen und Gemüsebowls triggert, die ich
selbst habe. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich dieses Jahr so manches
Mal auf diese Platte als Methadon zurückgegriffen, wenn mal wieder keine Sonne in Sicht war.
Das beste daran: Die kleine Armee toller Featuregäste, die kein Mensch kennt und die alle richtig fantastisch sind.
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DRAVIER
EARTH MIRAGE
Not Not Fun
Ambient /// Earth Mirage ist eines jener Alben die gerade im Bereich des ambienten Electronica des öfteren vorkommen und die ich für meinen Teil immer das Problem verbinde, dass man über sie nicht besonders gut schreiben kann. Denn was soll schon viel zu berichten sein über die wabernden instrumentalen Klanggebilde dieses Briten namens Caleb Draves, die völlig nebulös irgendwo zwischen esoterischer Zen-Meditationsmusik und minimalistischem Experimentalpop pendeln und von denen man nie so richtig weiß, ob sie jetzt aus analogen Samples, exotischen Midi-Schnipseln oder aus ganz altmodisch selbstgespielten Instrumenten bestehen. Dass diese Platte so mystisch und ungreifbar ist und dass sie immer ein bisschen klingt wie von Aliens oder einer archaischen Spezies Hohlerdenbewohnener*innen aufgenommen, macht in meinen Augen aber auch ihren größten Reiz aus und passt irgendwie zur Ästhetik, die sie vermittelt. Dass unterm Strich letztlich also auch hier wieder ein "man muss es gehört haben um es zu vestehen"-Disclaimer steht, sollte daher als ausdrückliche Einladung in die schleierhafte Welt von Dravier verstanden werden. Weil die schönsten Dinge manchmal die sind, die ein bisschen rätselhaft bleiben.
Das beste daran: Wenn die Keyboards in Soaring View so richtig oll nach den schäbigen VHS-Naturdokus aus dem Biounterricht klingen.
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SÓLEY
MOTHER MELANCHOLIA
Die-Ai-Wei
Kammerpop /// Gruselige Alben scheinen in den letzten Jahren auf diesem Format ein bisschen Konjunktur zu haben und auch wenn Mother Melancholia
auf eine andere Art und Weise gruselig ist als die Platten von Clipping
oder Backxwash, die ich damit sonst so meine, ist es ergebnisteschnich
doch kein großer Unterschied und an vielen Stellen sogar ein ganzes
Stück effektiver. Heißt im Klartext: Was Sóley hier macht, ist ein verdammt nochmal extrem schaurige Musik und hat dieses Jahr vor allem
dadurch einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Wer die Isländerin wie
ich bis dato eher als nymphenhafte Indiesongwriterin mit einem Hang zur
schöngeistigen Melancholie kannte, erlebt hier ihre schattenhafte
Kehrseite, die auch vor apokalyptischen Drone-Eskapaden
und geisterhaften ASMR-Ambient-Soundscapes nicht zurückschreckt. Womit
sie hier nicht nur ein extrem stimmiges Album aufnimmt, sondern vor
allem auch ein ziemlich experimentelles, das mich durch den Mut
beeindruckt, auch mal bewusst hässlich und finster zu sein. Ohne das
wäre vieles hier zwar immer noch bemerkenswert geschrieben und
fantastisch performt gewesen, so ist es aber auch eine Platte, die mich
zum Innehalten bringt und auch auf die unangenehme Weise dafür sorgt,
dass ich sie im Kopf behalte.
Das beste daran: Wie In Heaven das Album nach dem düsteren Drone-Doppel von Parasite und Desert langsam wieder an die Oberfläche zieht.
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MOGWAI
AS THE LOVE CONTINUES
Rock Action
Postrock /// Auch für mich ist es noch jetzt eine wahnsinnige Überraschung, dass ich 2021 von einem Mogwai-Album so hin und weg bin und selbst nachdem in meiner Besprechung im Februar der erste Schock darüber abreagiert war, war ich mir noch immer nicht ganz im Klaren, was die Schotten da eigentlich fabriziert hatten: Nämlich nicht weniger als ihren verdammt nochmal besten Longplayer seit Happy Songs for Happy People von 2003, ihrem zu Recht als unanfechtbarer Postrock-Klassiker geltenden Opus Magnum. Und obwohl das alles natürlich nur meine Ansicht der Dinge ist und gerade bei Mogwai jede*r ein bisschen seine eigenen Präferenzen hat, kann ich dieses Urteil für mich persönlich doch inzwischen mit einer gewissen Sicherheit fällen. Denn As the Love Continues präsentiert nicht nur die coolste Version des Sounds, an dem die Band seit inzwischen gut 15 Jahren auf die ein oder andere Weise herumopert, es bringt sie auch auf ein Level klanglicher Größe und Dramatik, das man bei ihnen bisher noch nie erlebt hat. Wenn ich von diesem Album also in so hohen Tönen spreche, dann weiß ich auch ganz genau, wieso ich das mache. Weil die Musik auf dieser LP in so vielen Momenten mein Herz ein bisschen höher schlagen lässt. Und das ist immerhin das Herz eines Fans.
Das beste daran: Dass in Form von Midnight Flit jetzt endlich auch die Kombination von Mogwai und großem Sinfonieorchester existiert und dass das Ergebnis so geil ist wie ich es mir immer vorgestellt habe.
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K.I.Z
RAP ÜBER HASS
Vertigo
Hiphop /// Ja verdammt, am Ende musste ich es einfach tun. Und wenn ich an dieser Stelle ganz ehrlich mit mir selbst bin, dann habe ich mich tatsächlich ein bisschen vor diesem Resultat gefürchet: Am Ende des Jahres steht an der Spitze dieser Liste das neue Album von K.I.Z, einer asozialen Spaßrap-Gruppe mit fragwürdigem Ruf, von der man eigentlich glauben sollte, sie hätten ihre besten Tage schon hinter sich und die hier eigentlich auch nur durch die gleichen Sachen überzeugen wie eh schon die letzten 20 Jahre über. Wobei ich auch hier ganz ehrlich sagen muss: Es war auch irgendwie unausweichlich. Schon direkt nach meiner Besprechung im Mai hatte ich irgendwie das Gefühl, hier eines der ganz großen Highlights der laufenden Saison auf dem Schirm zu haben, hoffte aber doch irgendwie, dass es am Ende nicht mein Album des Jahres werden würde. Ich meine ganz ernsthaft: Wie würde das denn aussehen? Doch Monat für Monat kam und je öfter ich in dieser Zeit zu Rap über Hass zurückkehrte, desto klarer wurde mir die Unvermeidbarkeit dieser Positionierung und auch wenn es einige Alben gab, die für mich zumindest eine Weile lang als Alternative infrage kamen, waren es am Ende doch immer K.I.Z, die mich mehr überzeugten. Weshalb ich irgendwann eben doch aufhörte mich zu sorgen und lernte, den Gedanken an Rap über Hass als Album des Jahres zu lieben. Und nun zum dritten Mal ganz ehrlich: Selten zuvor war die Sache dabei so klar wie in diesem Fall. Das hier ist auf seine ganz eigene Art und Weise eine fantastische Rapplatte und ich meine es ernst wenn ich sage, dass ich mit dieser LP wahrscheinlich noch sehr lange meinen Spaß haben werde. Und auf eine verrückte Weise passt sie am Ende des Tages auch irgendwie zu einem so weirden Jahr wie 2021.
Das beste daran: Dass nach zehn Jahren endlich auch mal ein deutschsprachiges Album hier auf der Eins steht.