DRIVE LIKE JEHU
Yank Crime
Headhunter | Interscope
1994
[ aggressiv | drängend | clever ]
Ein weiteres Mal ist es an dieser Stelle leider das traurige Ableben eines Musikers, das mich hier zu einer Albumbesprechung inspiriert und mich anhält, seinem Werk - oder zumindest einen entscheidenden Teil davon - zu gedenken. Die Rede ist in diesem Fall von Rick Froberg, einem Urgewächs der kalifornischen Hardcore-Szene, dessen Platten in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Favoriten von mir waren. Dass das nicht immer bewusst der Fall war, erahne ich allerdings teilweise erst jetzt und lerne noch einige neue Dinge. So wusste ich auf der einen Seite zwar schon lange, dass Froberg zuletzt im wesentlichen als Sänger der Hot Snakes tätig war, die ich immer wieder als großartige Hardcore- und Punk-Formation kennen und lieben lernte und über die ich auch auf Drive Like Jehu kam, unbekannt war mit jedoch zum Beispiel seine Beteiligung bei der Band Obits, deren Song I Want Results von 2011 immerhin mal ein ziemlicher Playlisten-Dauerbrenner von mir war. Und da haben wir noch gar nicht mal über die handvoll anderen Bands geredet, in denen Froberg während der leider viel zu kurzen 55 Jahre seines Lebens aktiv war. An dieser Stelle soll es dann aber doch einmal mehr um die Gruppe gehen, über die bei ihm immer alle reden und die trotz ihrer sehr überschaubaren Diskografie einen echten Hardcore-Klassiker auf dem Kerbholz hat: Drive Like Jehu mit ihrem zweiten und letzten Album Yank Crime. Dem Album, das wie wenige andere als Taufpate für das in den Neunzigern aufkeimende Subgenre des Posthardcore gilt und dessen Verdienst für selbiges ich auch als jemand anerkennen muss, der eigentlich gerne einen großen Bogen um diese Stilzuschreibung macht. Denn an Yank Crime erkennt man wirklich sehr gut, wie sich aus der rohen und aggressiven Ursuppe des Genres etwas schält, das mehr sein will als nur angepisstes Geholze und dabei sogar ein bisschen technisch und ausufernd sein darf. Klar ist es dabei auch wichtig festzustellen, dass es bereits vorher Gruppen wie Minutemen, NoMeansNo, Hüsker Dü oder Slint gab, die solche Ideen vorformulierten (letztere sogar um einiges radikaler als Drive Like Jehu) und einen sehr progressiven Sound hatten. Ganz davon abgesehen, dass auch von dieser Band bereits ein Debüt existierte, das man stilistisch irgendwo in diesem Bereich verorten kann. Statt also zu sagen, dass Yank Crime den Posthardcore linear weiterführte, würde ich eher sagen, dass er ihn in die Breite erweiterte und um eine weitere Facette ergänzte. Denn unter den Hardcore-Bands der frühen Neunziger sind Drive Like Jehu heimlich so etwas wie altmodische Rockstars: Im Zentrum ihres Songwritings steht weder das stumpfe Gefauche des Achtziger-Punk-Spirits, das nur seine Messages in den Mittelpunkt stellt noch das verwegen-entrückte Lamento der ersten Emo/Math/Postrock-Generation, sie wollen richtige Songs schreiben. Und dafür ist es in erster Linie ungemein hilfreich, dass sie mit John Reis einen der talentiertesten und grandiosesten Gitarristen des Punkrock unter sich haben, der auf diesem Album eine seiner vielleicht größten Glanztaten abfährt. Klar ist diese dann vorwiegend durch ihre brachiale und kantige Natur gezeichnet und sehr in den Traditionen der Szene verflochten, man hört aber auch einen leicht psychedelischen Thurston Moore-Einflüss dabei raus, ebenso wie umfangreiche Emo-Versatzstücke wie von Slint oder Rites of Spring. Beeindruckend ist für mich dabei vor allem seine Wandelbarkeit und Dynamik, die sich auf der einen Seite in messerscharfen Riff-Granaten wie Human Interest oder Here Come the Rome Plows äußert, auf der anderen aber auch minimalistisch und düster sein können wie in Super Unison oder Sinews. Und weil nicht wenige Songs hier auch mal deutlich die Fünf-Minuten-Marke überschreiten (mit elf Tracks kommt Yank Crime auf eine Länge von knapp einer Stunde, was für Punk-Verhältnisse schon recht umfangreich ist), kann das auch mal beides in einem Song stattfinden. Extrem kohärent ist das Album am Ende trotzdem und trotz seiner vielen Nuancierungen keine besonders dynamische Angelegenheit. Ein Problem ist das aber nie, weil die stilleren Momente gerade dafür reichen, dass das ansonsten stattfindende Dauerfeuer in über einer Stunde nicht nervtötend wird. Um aber mal zu Rick Froberg zurückzukommen: Auch der sollte bei alledem nicht unerwähnt bleiben. Denn obwohl der Faktor Gesang bei der Übershow von John Reis definitiv eine untergeordnete Rolle spielt, nimmt er die von der Gitarrenarbeit ausgehende Marschrichtung optimal mit. Als ein Sänger, der sowohl herrlich kaputt schreien kann als auch ein untersetzt sprechsingendes Gen-X-Lamento beherrscht, ist er in jedem Moment die perfekte Ergänzung für Reis und den Rest der Band, der den Sound des Albums wunderbar abrundet. Und letzteres ist am Ende wahrscheinlich auch der Aspekt von Yank Crime, der es zu so einer großen Nummer machte oder der zumindest dafür sorgt, dass man hier so viele später bekannte Bands und Künstler*innen heraushört: Die angezeckte Gesangsperformance eines Dennis Lyxzén von Refused, den derwischhaften Gitarrenstil eines Omar Rodriguez-López bei At the Drive-In, in den leisen Momenten die perkussiven Strophenteile von American Football, in den lauten den rumpelnden Indierock von Modest Mouse. Und obwohl mit Drive Like Jehu nach diesem Album Schluss war, bleibt es zum Glück kein Mysterium, wie die Symbiose aus John Reis und Rick Froberg zukünftig klingen würde, denn beide gründeten nur wenige Jahre später mit den Hot Snakes die inoffizelle Nachfolgeband dieses Projekts, die klanglich auch bis zuletzt deren Erbe fortführten. Wobei nach Frobergs Tod leider auch deren Zukunft ungewiss ist...
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡⚫⚫ 09/11
Persönliche Höhepunkte
Here Come the Rome Plows | Golden Brown | Super Unison | New Intro | New Math | Human Interest | Sinews | Hand Over Fist | Bullet Train to Vegas
Nicht mein Fall
-
Hat was von
Refused
Songs to Fan the Flame of Discontent
Slint
Spiderland