Dienstag, 31. März 2015

Fuchs sein fetzt doch

THE PRODIGY
The Day is My Enemy
Vertigo
2015















The Day is My Enemy ist so ein Album, von dem ich eigentlich nicht viel erwarte, aber auf das ich mich trotzdem höllisch gefreut habe. Denn warum sollte man sich nicht auf eine Prodigy-Platte freuen? Auf die Briten ist schließlich immer Verlass. Darauf, dass es wieder mal eine ordentliche Portion ultrabreites Druffie-Core-Geballer gibt. Darauf, dass bei ihnen auch Dubstep und Chiptune nach 1999 klingen und darauf, dass Keith Flint auch mit fast 50 noch immer wie ein Kobold auf Ecstasy rumschreien kann. the Prodigy waren schon in ihren Anfangstagen nicht wirklich ein Fest des guten Geschmacks, warum sollte man diesen also zwanzig Jahre später aus ihnen herauskitzeln wollen? Die Band selbst betont ja, dass man ihre Platten um Gottes Willen nicht so ernst nehmen sollte. Und da man mit dem Maßstäben eines Kritikers hier sowieso nicht weit kommt, ist auch das neue Album wieder dazu gut, guten Gewissens die Rübe auf Durchzug zu stellen und flugs zur bunten Kirmes umzudekorieren. Zur illustren Ü-30-Party kommen dann auch die ähnlich mittelenglisch-knarzigen Sleaford Mods und Flux Pavillion, die sich als Gäste perfekt in das psychedelische Techno-Chaos einfügen. Fehlt eigentlich nur noch Tom Meighan. Und wie the Day is My Enemy mit dem Titeltrack startet, wird die LP auch jeder Erwartung gerecht. The Prodigy malen ihre punkig und dreckig angehauchten Sound-Bilder wieder mit allen Farben, hängen dabei wunderbar in der eigenen Schleife und machen einem glauben, dass die späten Neunziger doch keine so doofe Zeit waren. Das Päckchen Ecstasy gibts gratis dazu. Ich könnte jetzt sagen, dass das alles ja furchtbar ewig gestrig ist und the Prodigy keine Musik machen, die ihrem Alter und Erfahrungsschatz angemessen erscheint. Aber das wäre eine Lüge. The Day is My Enemy ist ein großartiges Album. Genauso wie Always Outnumbered, Never Outgut großartig war und Invaders Must Die gar nicht so mies, wie alle behaupten. Hasst mich, aber diese Band ist meine Meinung nach eine der Einzigen, die auf ihre ganz eigene Weise Art und Weise die ewige Jugend erlangt hat. Und die nach 25 Jahren Dauer-Rave so gut wie alles darf. Songs Wall of Death und Ibiza nennen, gehört da unbedingt dazu. Am Ende wollt ihr doch auch jetzt noch nicht gehen und lieber noch ein bisschen in dem dreckigen Kellerclub moshen, den the Prodigy seit 1992 unterhalten. Denn dort vergeht die Zeit nicht so schnell wie sonst überall.
8/11

Bester Song: Ibiza

Nicht mein Fall: -

Weiterleitung:
Review zu the Mindsweep (Enter Shikari):
zum Review

Review zu 48:13 (Kasabian):
zum Review

Sonntag, 29. März 2015

Together We Fall

WINO & CONNY OCHS
Freedom Conspiracy
Exile On Mainstream
2015















Never change a winning team. Das haben sich wohl auch Wino und Conny Ochs gedacht, als sie sich für ihre zweite Kollaboration zusammen setzten und Freedom Conspiracy schrieben. Die heilende Wirkung, die 2012 die erste gemeinsame Platte Heavy Kingdom hatte, wieder einzufangen. Um das zu verstehen, muss man sich einmal drei Jahre zurückversetzen. Damals trafen sich ein vollkommen ausgebrannter deutscher Hardrock-Veteran und ein Jungspund, der in der eigenen Selbstüberschätzung zu ersticken drohte. Zusammen nahmen sie ein paar unspektakuläre Blues-Nummern auf, die jedoch die größtmögliche Wirkung hatten. Das erste Mal seit langem hörte man, dass der alte Wino es noch immer auf dem Kasten hatte und dass Conny Ochs zu mehr taugte als zum Kleiderbügel der deutschen Classic-Rock-Gemeinde. Heavy Kingdom war kein spektakuläres Album, aber Grund genug, die Paarung ein weiteres Mal auszuprobieren. Wieder wird das Songwriting durch akustische Blues-Nummern dominiert, beide Kollaborateure fließen als Komponisten ein. Doch schon im Ansatz merkt man, dass hier nicht alles so funktionieren wird wie auf dem Quasi-Debüt. Die Bedingungen sind einfach andere. Mit dem ersten Album zeigten beide Künstler, dass sie etwas können. In den drei Jahren seitdem hat zumindest Ochs aber auch bewiesen, dass er mehr kann. Er hat sich als Solokünstler etabliert und tourt durch ganz Europa. Sich wieder mit dem noch immer etwas biederen Wino zusammen zu setzen, lässt alte Wunden wieder aufreißen. Die von ihm geschriebenen Songs auf Freedom Conspiracy sind seine vielleicht schlechtesten seit dem letzten Album von Baby Universal. Und auch sein Partner trägt nicht viel dazu bei, das zu verbessern. Damit stagnieren die beiden auf dem Niveau von vor drei Jahren, obwohl sie eigentlich beide schon viel weiter sein könnten. Zum Teil ist diese Platte sogar ein immenser Rückschritt. Es gibt hier gute Momente, doch diese sind kaum der Rede wert. Denn im großen und ganzen ist Freedom Conspiracy kein Projekt, auf das man stolz sein kann. Wenn es nach mir ginge, sollten beide Parteien lieber an ihren eigenen Karrieren arbeiten, ehe sie sich wieder zum Songs schreiben treffen. Mitunter könnte das dann auch mal richtig gut werden.
5/11

Beste Songs: Crystal Madonna / Shards

Nicht mein Fall: Foundation Chaos

Weiterleitung:
Review zu Slow Shelter (Baby Universal):
zum Review

Special zu Schlachthaus, Baby! (Zombie Joe):
zum Review

CWTE auf Facebook

Samstag, 28. März 2015

Punkrock für die Mittelschicht

LOVE A
Jagd und Hund
Rookie
2015















Wenn man bei deutschsprachigem Indie-Punk auf der sicheren Seite stehen wollte, hörte man Love A. Die waren nicht so langweilig wie Matula und Adolar, nicht so akustisch wie Clickclickdecker, nicht so Pop wie Vierkanttretlager und nicht so wild und unberechenbar wie Captain Planet. Ihre beiden ersten Alben Eigentlich (2011) und Irgendwie (2013) sowie ihre Konzerte kann man guten Gewissens sowohl jedem Deutschpunk-Fan als auch jedem Feuilleton-Leser empfehlen und hat dabei selbst auch noch das Gefühl, da eine richtig gute junge Band entdeckt zu haben. Mit Jagd und Hund soll dem jetzt ein Ende gesetzt werden. Dass die Trierer beim dritten Album ihre Komfortzone verlassen, kann der aufmerksame Beobachter schon am Titel der LP erkennen und zahlreiche Splits in den vergangenen Jahren bereiteten einen schon darauf vor, dass hier nicht alles so bombenfest sitzt wie auf den Vorgängern. Und tatsächlich: Love A driften auf Jagd und Hund auseinander. Es geht weg vom Kern aus Punk und hin zu neuen Ufern, die hier erstmal vorrangig Indiepop und Deutschpop heißen. Viele der Songs sind gediegener, es wird mehr gesungen als geschimpft und auch die Haltung der Band hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Das Medium Punk wird hier nicht mehr nur aus der Ich-Perspektive angesprochen, sondern sorgfältig von allen Seiten ausgeleuchtet. Man kann das als Beginn der Biederkeit sehen, aber auch als Reifungsprozess. Für ihre umfassende Sicht der Dinge hier gehen Love A nämlich auch Risiken ein. Den Unmut der Szene-Hardliner und die Sympathie nationalsozialistischer Blogs haben sie sich schon beim letzten Album zugezogen. Das in die richtige Richtung zu koordinieren, ist nun die Aufgabe von Jagd und Hund. In seinen Texten setzt sich Jörkk Mechenbier gegen Radikalisierungstendenzen ein und fordert das einzig vernünftige: Erst denken, dann handeln. Musik für FDP-Wähler ist die Platte deshalb lange noch nicht. Love A fangen beim Verändern bloß bei sich selbst an. Das heißt dann auch mal Songs, die an Tocotronic erinnern, Synthie-Einflüsse und balladeske Strukturen. Besonders toll finde ich diese Entwicklung zwar nicht, doch sie ist wenigstens konsequent. Es ist und bleibt eben das dritte Album. Ich will nicht sagen, dass es das schlechteste der Band bisher ist, sondern eher das gewöhnungsbedüftigste. Große Abenteuer waren bisher nicht das Metier von Love A. Das soll aber nicht heißen, dass das nicht noch werden könnte. Hier geht die Popsong-Variante der Trierer noch an einigen Stellen schief, doch sie lernen hier auch schon, wie das richtig geht. Geben wir ihnen noch zwei Jahre Zeit und sie haben sich vielleicht komplett neu erfunden. Was ihr Publikum währenddessen macht, ist allerdings noch unklar. Wobei an guten deutschen Punk-Acts ja weiß Gott kein Mangel besteht. Die benutzerdefiniert besten Optionen stehen in diesem Post ganz oben.
7/11

Bester Song: Der Beste Club der Welt

Nicht mein Fall: Stagnation

Weiterleitung:
Review zu Auf Allen Festen (Matula):
zum Review

Review zu die Kälte der neuen Biederkeit (Adolar):
zum Review

CWTE auf Facebook

Freitag, 27. März 2015

True Story

SUFJAN STEVENS
Carrie & Lowell
Asthmatic Kitty
2015















Er ist wieder da. Sufjan Stevens. Nicht als Musiker im allgemeinen, doch als der Künstler, als den ihn die meisten, mich eingeschlossen, so sehr lieben. Als den Querdenker des Folk, als den ambitioniertesten aller Barden, als Akustik-Genie. Der Typ, der uns vor gut zehn Jahren Meisterwerke wie Illinois, Seven Swans und Michigan schenkte, hat wieder zu diesen zurückgefunden. Nach Ausflügen in Neo-Klassik, Electronica und sogar HipHop ist Carrie & Lowell wieder ein Album, das hauptsächlich von Gitarren getragen wird. Im momentanen Kontext wahrscheinlich das letzte, was man von Stevens 2015 erwartet hätte. Und obwohl der Multiinstrumentalist aus Detroit mit spielerischer Leichtigkeit auch die Herstellung von Kaugummi, das menschliche Nervensystem oder Einen Versandhauskatalog vertonen könnte, hat er sich diesmal für ein ziemlich bescheidenes aber künstlerisch sehr relevantes Rahmenthema entschieden: Familie. 2012 verstarb Sufjan Stevens' Mutter Carrie, was ihn dazu veranlasste, einige sehr intime Songs über seine Beziehung zu ihr, seine Kindheit und seinen Stiefvater Lowell zu schreiben. Diese finden sich nun auf diesem 45-minütigen Longplayer wieder, der sicherlich der bisher persönlichste des Künstlers ist. Viele Namen echter Personen werden genannt und es wird in den alten Fotos gekramt, was schon für den ein oder anderen sehr emotionalen Moment verantwortlich ist, bei dem sensible Hörer ruhig ein paar Tränen verdrücken können. Bei aller Wichtung, die dieses Album auf Gefühle und Erzählungen legt, fehlt mir hier jedoch irgendwie die Persönlichkeit des Sufjan Stevens. Ich erwarte von einem Album wie diesem keine Orchester-Arrangements, Electronica-Flächen oder Band-Eskapaden. Der klein gehaltene Rahmen passt schon zum Überbau. Doch man merkt auch deutlich, dass dadurch viel von Charisma des Songwriters futsch geht. Der sogenannte Erretter des Folk klingt auf Carrie & Lowell die meiste Zeit nach Akustik-Barde X, den man sich auf jeder Starbucks-CD anhören kann. Gut, Stevens schreibt vielleicht bessere Texte, aber dennoch fehlt mir auf diesem Album fast überall irgendetwas. Die Songs variieren kaum, viele Instrumente klingen ziemlich bearbeitet und der Gesang des Künstlers ist so eintönig wie noch nie. Die Folge ist die erste seiner Platten, die ich ganz schön mittelmäßig finde. Klar kann kein Interpret der Welt immer nur super sein, trotzdem tut es immer wieder weh. Und bei Sufjan Stevens ganz besonders. Denn wer sich vornimmt, sämtlichen US-Staaten ein eigenes Album zu widmen und einen klassischen Opus über eine Fernverkehrsstraße schreibt, der sollte so ein kleines Akustik-Ding doch mit links meistern. Doch anscheinend ist genau das sein wunder Punkt. Ein absolut verzeihliches Manko, solange Carrie & Lowell eine Ausnahme bleibt. Und was Stevens als nächstes macht, kann sowieso keiner wissen. Bleibt also nur zu hoffen.
7/11

Bester Song: Fourth of July

Nicht mein Fall: All of Me Wants All of You

Weiterleitung:
Review zu Benji (Sun Kil Moon):
zum Review

Review zu Vestiges & Claws (José González):
zum Review

CWTE auf Facebook

Donnerstag, 26. März 2015

Exportschlager

DER WEG EINER FREIHEIT
Stellar
Season of Mist
2015













Guter Black Metal muss nicht immer aus Skandinavien oder Nordamerika kommen. Schon seit einigen Jahren werden auch in Mitteleuropa mit einigem Erfolg Nachwuchstalente der fiesesten aller Metal-Spielarten gefördert, die auch bei mir sehr häufig Anklang gefunden haben. Namen wie Celeste, Fjørt, Paysage D'Hiver oder An Autumn for Crippled Children höre ich immer gerne und freue mich, dass einige dieser Künstler inzwischen auch international anerkannt werden. So zum Beispiel die Würzburger Band Der Weg einer Freiheit, die ihr drittes Album Stellar erstmals auf dem namhaften Szene-Label Season of Mist veröffentlicht. Und man kann keiner Partei diesen Deal verdenken, schafft er doch für alle Beteiligten neue Möglichkeiten. Die Plattenschmiede bekommt einen der talentiertesten jungen Black-Metal-Acts Europas (denn nicht weniger sind DWEF im Moment) und die Band kann ihren Songs endlich in dem Volumen vertonen, die ihnen wirklich gerecht werden. Nicht, dass ihre früheren Longplayer nicht auch heftig und imposant geklungen hätten, doch man merkt schon deutlich, dass die Möglichkeiten auf Stellar um einiges größer sind. Mit Synths, Streichern und einer wesentlich ambitionierteren Produktion haben sich die Bayern hier ordentlich breit gemacht. Der Vergleich zu den Kollegen von Fjørt liegt also nicht nur wegen den nach wie vor deutschen Texten nahe. DWEF zeigen hier ordentlich Gespür für Dynamik, abwechslungsreiches Songwriting und auch Zeitgeist. Die Gitarren hier driften das ein ums andere Mal in den Shoegaze ab und die bereits genannten Streicher- und Electronica-Sahnehauben machen Stellar zu einer versierten Stilmischung. Wo im Opener Repulsion noch zum größten Teil gesungen wird, ist die Band spätestens beim vierten Track Verbund am musikalischen Nordpol angekommen, wobei sie in keiner der beiden Disziplinen schlecht abschneiden. Nikita Kamprads romantisch angehauchte und poetische Lyrics tun ihr übriges. Wenn hier dann alle Elemente ineinander greifen und die Platte als ganzes zum Wirken kommt, kann man sich sicher sein: Der Weg einer Freiheit wollen bei den ganz großen mitspielen. Über die kleine deutsche Szene sind sie spätestens jetzt hinausgewachsen und erobern langsam aber sicher die Welt. Was wieder mal eine Gelegenheit wäre, auf die Musik-Exporte der Heimat stolz zu sein.
9/11

Beste Songs: Verbund / Eiswanderer

Nicht mein Fall: -

Weiterleitung:
Review zu D'Accord (Fjørt):
zum Review

Review zu Animale(s) (Celeste):
zum Review

CWTE auf Facebook

Mittwoch, 25. März 2015

Witzigkeit kennt keine Grenzen

ACTION BRONSON
Mr. Wonderful
Vice Records
2015















Bei all den mies bis mittelmäßig umgesetzten Platten namhafter Rapper, die sich mit Vintage-Instrumentals befassten, ist es eigentlich ein schlechter Witz, dass ausgerechnet Action Bronson es jetzt besser macht. Wo er doch eigentlich zu den Interpreten gehört, die man bisher eher weniger ernst nahm. Es wäre zwar etwas zu einfach, den US-Amerikaner als Comedy-MC abzustempeln, dennoch sind seine Texte nie ohne ein Augenzwinkern oder auch mal fiesen Sarkasmus formuliert. Was nicht heißt, dass der Junge keine relevanten Kommentare abgeben kann. Einige seiner Songs reflektieren auf eine Weise das Verhalten seiner HipHop-Kollegen, die man sich von anderen öfter wünschen würde. Gerade beim Stichwort Sexismus zeigt Bronson Courage wie kaum ein anderer und stellt damit fast immer einen erfrischenden Gegenentwurf zum restlichen Game dar. So auch auf seinem zweiten Longplayer Mr. Wonderful, der nicht nur durch den schon angesprochenen vorbildlichen Umgang mit Retro-Samples besticht, sondern auch gerade dadurch besticht, dass man auch über ihn lachen darf. Wenn Action Bronson mit Geld, Fame und leichten Mädchen prahlt, wirkt er nicht im geringsten arrogant. Eher nimmt man ihm die Rolle des elfjährigen Posers ab, der ein bisschen auf den Putz hauen will. Ganz einfach, weil er das mit der Ernsthaftigkeit schon im ersten Track vermasselt hat. In Brand New Car hört man den MC mehrmals aussteigen und sich beschweren, dass man doch über diesen Beat unmöglich rappen könne. Nicht wirklich skilled, aber dafür sympathisch wie Sau. Und guten Humor beweist Bronson auch auf Albumlänge: Ein Song wie Thug Love Story 2017 the Musical muss einfach für sich selbst sprechen und wer sich traut, Only in America von einem grauenvollen Hair-Metal-Instrumental begleiten zu lassen, der hat wahrscheinlich die größten Eier von allen. Und wenn man ehrlich ist, kann der Typ es sich mit dieser Platte wirklich leisten, allen den Finger zu zeigen. Denn abgesehen von ein paar doofen Stellen ist Mr. Wonderful der spannende und witzige Gegenentwurf zu vielen nicht so gelungenen Arbeiten dieser Tage. Da ist es mir dann sogar mal egal, dass lustige Musik eigentlich nicht so mein Ding ist. Auf eine Eminem-Coolness-mäßige Art ist das hier aber okay. Mehr als das. Das ist fett. Das ist qualitativ hochwertiger HipHop. Das ist Action Bronson. Ein richtig guter Junge.
9/11

Beste Songs: Terry / Actin Crazy / Thug Love Story 2017 the Musical / Only in America

Nicht mein Fall: -

Weiterleitung:
Review zu Strange Journey Vol. 3 (CunninLynguists):
zum Review

Review zu Bestiary (Hail Mary Mallon):
zum Review

CWTE auf Facebook

Single-Review: Kill the DJ

AMNESIA SCANNER
Angels Rig Hook
Gum Artefacts
2015















Ich bin mir in keinster Weise im klaren, mit was wir es hier genau zu tun haben. Das fängt schon beim Format an: An sich ist Angels Rig Hook ein einziger großer Track ohne erkennbare Unterbrechungen, mit einer Länge von etwas über 14 Minuten könnte man die Sache aber ebenso glaubwürdig als EP verkaufen. Noch schwieriger wird es allerdings, Amnesia Scanner stilistisch und künstlerisch zu verorten. Über den Produzenten oder die Produzentin findet man keinerlei nährere Information und trotz eines recht beachtlichen Backing-Katalogs ist dieser Mensch scheinbar ein Phantom. Das ist schade, denn seine Musik könnte das nächste große Ding im glitzernden Online-Universum der Sample-basierten elektronischen Musik werden. Die Einflüsse hier kommen sichtlich erkennbar aus EDM, House, Trap und HipHop, weisen aber auch das berühmt-berüchtigte Vaporwave-PC Musik-Virus auf, das klassische Clubmusik hier um jeden Preis in die experimentelle Ecke drängen will. Die Elastizität der Dance-Beats wird hier aufs derbste Strapaziert, was letztendlich zu einer totalen Abstraktion des ganzen führt. Vom Sound her sind die Samples auf Angels Rig Hook die Art von Pop-Klängen, die auf jeder Abiparty laufen. Allerdings werden diese von Amnesia Scanner so sytematisch verhackstückt, dass sie am anderen Ende des Systems als verspulte Collagen wieder ausgespuckt werden. Da wird das Crescendo, das in jedem Club-Song immer dann kommt, bevor der DJ den Bass dropt, tolldreist auf Minimaltempo gepitcht, da werden Trap-Rhythmen mit Vollgas durch den Phaser gejagt und an jeder Ecke irgendein abgefahrenes Spoken-Word-Sample eingespielt. Zu einem richtigen Song wird Angels Rig Hook dadurch nie, dafür aber zu einem psychedelischen Erlebnis der ganz besonderen Art. Es ist schön zu sehen, wie hier die typischsten Elemente der modernen Popmusik zu etwas gemacht werden, dass vom Ausgangsprodukt weiter nicht entfernt sein könnte. Allerdings gilt: Sobald man zu diesen Klängen ernsthaft tanzen kann, sollte man sich über seinen Ketamin-Konsum Gedanken machen. Dieser Track ist weniger für den Club gemacht als für kauzige Avantgardisten, die EDM gerne mal mit ihren entrückten Fühlern betasten wollen. Zu denen gehöre dann wohl auch ich. Denn obwohl Angels Rig Hook in seiner Gesamtheit äußerst gewöhnungsbedürftig ausfällt, finde ich den Song absolut fantastisch. Auf größere Projekte von Amnesia Scanner besteht allerdings wenig Hoffnung, da der Künstler oder die Künstlerin sich momentan noch auf das Fachgebiet sehr langwieriger Singles konzentriert. Allerdings werde ich mich so gut es geht darüber auf dem laufenden halten. Denn Potenzial hat dieser Sound durchaus. Man muss nur kaputt genug sein.

CWTE auf Facebook

Dienstag, 24. März 2015

Kurz und schmerzlos

GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR
Asunder, Sweet and Other Distress
Constellation
2015













Es braucht beim neuen Godspeed-Album erstmal zwei Blicke, um sich sicher zu sein. Vierzig Minuten? Nochmal geschaut: Vierzig Minuten. Das ist alles? Keine Überlänge diesmal? Das bedeutet im Klartext ja, nur eine Schallplatte zu hören und den kürzesten Longplayer (was für eine spöttische Bezeichnung) der Kanadier seit Slow Riot for New Zerø Kanada von 1999. Und der wurde damals als EP verkauft. Aber was solls: Size does matter after all und ich will ja nicht so tun, als würde ich mich nicht über jeden Furz freuen, den die Postrock-Riesen in den letzten Jahren absondern. Rar haben sie sich ja schon immer gemacht, aber nach dem Comeback 2010 erstmal eine LP mit (natürlich trotzdem großartigem) Recycling-Material zu kriegen, war nicht unbedingt das, was ich mir erhofft hatte. Fünf Jahre später das erste Mal neue Songs zu hören (die vier hier vorhandenen wurden explizit als solche bezeichnet) ist dann schon eine andere Hausnummer. Auch wenn sich die Band hier sehr manierlich im Rahmen hält, was sie sonst eher selten tut. Sieben der zehn Minuten vom Opener Peasantry gab es ja schon als Vorab-Häppchen, die Album-Version hängt jetzt noch einen eigenen kleinen Song hinten dran, der überraschend poppig ausfällt. Für ein apokalyptisches Rock-Orchester haben Godspeed bis hierhin ziemlich gute Laune. Mit Lambs Breath folgt dann jedoch das obligatorisch brummende Ambient-Drone-Stück, dass wieder nach rumpelnden Maschinen und Helikopter-Schrauben klingt. Auf diesen Teil haben die Kanadier diesmal wesentlich mehr Sorgfalt verwendet. Wo die Drones auf Allelujah! Don't Bend, Ascend! noch eher schmückendes Beiwerk waren, sind sie hier für die besten Momente verantwortlich. Um ehrlich zu sein, finde ich es sogar ein Stückchen besser als das klassische Peasantry. Der Opener ist prima, wird aber hier ziemlich schnell abgefrühstückt, obwohl die Idee auch über die doppelte Länge getragen hätte. Danach das majestätisch kriechende Lambs Breath zu hören, das nach zehn Minuten in den etwas sakraleren Titeltrack übergeht, macht da schon mehr her. Zum Schluss folgt mit dem gut eine Viertelstunde ausfüllenden Piss Crowns Are Trembled das wie gewohnt epische Schlussstück, das etwas geduldiger vorgeht als der Opener. Dieses baut zum Ende wieder den Druck auf, den der Anfang der Platte schon hatte und mach Asunder, Sweet and Other Distress somit zum Spiegel seiner selbst. Eine schöner Kniff, der die Sache rund macht und ein wenig über die Tatsache hinweg tröstet, dass die Band hier so kurz angebunden ist. Dass das neue Godspeed-Album diesmal kürzer tritt, klingt im Gesamtkontext wie eine bewusste stilistische Entscheidung, die man mögen oder doof finden kann. Die großen Sinfoniker der Rockmusik sind bescheidener geworden und versuchen nicht mehr, die Welt mit Songs aus den Angeln zu heben. Das haben sie ja eh schon mal hinbekommen. Ein bisschen schade ist es dabei um die schönen großen Songs, aber auch das weniger ambitionierte steht ihnen gut. Wobei man doch noch das Gefühl hat, dass Godspeed es dabei nicht belassen werden und irgendwann doch wieder bei zweieinhalb Stunden herauskommen. Bis dahin macht diese LP aber alles richtig. Und ist in diesem sensationellen Monat ein weiteres Highlight.
9/11

Beste Songs: Lambs Breath / Asunder, Sweet

Nicht mein Fall: -

Weiterleitung:
Review zu Fuck Off Get Free We Pour Light On Everything (Thee Silver Mt. Zion):
zum Review

Review zu Leave Me Like You Found Me (William Ryan Fritch):
zum Review

CWTE auf Facebook

Retro-Review: Volle Kraft voraus!

KRAFTWERK
Radio-Aktivität
Kling Klang
2015















Ich muss wieder mal eingestehen, dass ich geschlampt habe. Zwar habe ich, als ich die Kandidaten für die Umfrage zu den Retro-Reviews ausgesucht habe, nicht verhindern können, dass einige großartige Platten unter den Tisch fallen. Allerdings sind mir andere auch einfach so durch die Lappen gegangen. Und da ich diese zu besprechen nicht versäumen will, kommen jetzt noch zwei bis drei Retro-Posts hinzu. Keine Angst, die Information über aktuelle Platten bleibt oberste Priorität, diese Art von Zusatzmaterial kommt nur dann, wenn ich mal ausnahmsweise freie Spitzen habe. Zu oft sollte das nicht vorkommen. Ferner habe ich gerade auch einfach mal Lust, ein bisschen über Kraftwerk zu schreiben. Da ich ihre Musik gerade sehr intensiv höre, kam es mir sehr gelegen, dass eines ihrer wichtigsten Alben dieses Jahr seinen vierzigsten Geburtstag feiert. Einige werden mir sicherlich widersprechen, dass Radio-Aktivität im Vergleich zu anderen Platten der Düsseldorfer Band gar nicht sooo wichtig war, rein zeitlich liegt es zwischen Autobahn von 1974 und Trans-Europa-Express von 1977 eher zwischen den beiden vielleicht berühmtesten Werken der Elektro-Pioniere. Doch man muss auch anerkennen, dass die vorliegende Scheibe die beiden jeweils anderen zu dem gemacht hat, was sie im heutigen Zeitkontext sind und den Stil von Kraftwerk darüber hinaus definiert hat. Zur Erklärung: Als 1974 Autobahn erschien, nannte man die Musik, die die Band spielte, noch Krautrock. Hütter und Schneider experimentierten schon viel mit elektronischem Instrumentarium, doch Gitarren, Schlagzeug und Bass waren ebenfalls noch zu hören. Diese Symbiose sorgte für großartige Songs, doch die vier Tüftler wollten noch weiter gehen. Elektronische Musik in Reinform war das Ziel. Dafür wurde mit Karl Bartos ein weiterer Visionär rekrutiert, der sich an vielen Kompositionen beteiligte und die restlichen Mitglieder für Spielereien wie Vocoder und elektronisches Schlagzeug erwärmte. Mit ihm gelang das Experiment, ein komplettes Kraftwerk-Album mit elektronischem Instrumentarium aufzunehmen zu ersten Mal. Und wenn das kein großer Schritt ist, weiß ich auch nicht. Fast noch bemerkenswerter ist, dass Radio-Aktivität eben nicht nach überspitzter Pionierarbeit klingt, sondern die Band hier echte Hits schreibt. Stücke wie der Titelsong, Ätherwellen oder Antenne würden sich auch heute noch ganz gut im Radio machen. Und wenn man erst erfährt, wie hier in Form von Intervallen Quantensprünge und Wellenfrequenzen imitiert werden, hat man erst recht Respekt vor diesen Komponisten. Für die ersten Schritte der elektronischen Musik klingt das hier schon sehr weit entwickelt. Dieses Album macht somit auch die Bahn frei für spätere kreative Höhenflüge wie Trans-Europa-Express, Computerwelt oder die Mensch-Maschine. In gewisser Weise hat Radio-Aktivität für Kraftwerk die Prägung eines weiteren Debüts, von dem die Künstler selbst am meisten gelernt haben. Und was über kurz oder lang zum Erfolgsrezept des Elektropop wurde.

Beste Songs: Ätherwellen / Sendepause / Die Stimme der Energie / Antenne

Nicht mein Fall: Radioland

Weiterleitung:
Review zu Mannequin (Sun & Sail Club):
zum Review

Review zu Mess (Liars):
zum Review

CWTE auf Facebook

Montag, 23. März 2015

Sargnagel

EARL SWEATSHIRT
I Don't Like Shit, I Don't Go Outside
Tan Cressida
2015















Earl Sweatshirt mag Scheiße wirklich nicht. Die letzte Woche sollte das die Musikindustrie schmerzhaft zu spüren bekommen. Über Twitter beschimpfte der MC mehrmals garstig sein Label Columbia und kündigte wutentbrannt an, seine neue Platte so schnell wie möglich auf eigene Faust zu veröffentlichen. Das Business hatte Earl stinkig gemacht und über kurz oder lang doch wieder zum Rebellen, der er vor ein paar Jahren noch war. So zumindest sollte das ganze in der Öffentlichkeit aussehen. Dass niemand so richtig wusste, was den Künstler eigentlich so wütend machte, dass er zufällig die komplett gleiche Nummer abzieht wie Death Grips vor drei Jahren und dass I Don't Like Shit... jetzt irgendwie doch auf Columbia erscheint, lassen die Sache allerdings ein wenig ungeschickt wirken. So Punk wie wir alle denken sollen, scheint der Junge am Ende nicht zu sein. Dankbar bin ich ihm trotzdem. Denn er sorgte für kurze Zeit dafür, dass es wieder mal etwas mehr Wind um eines der Odd-Future-Mitglieder gab. Seitdem Tyler, the Creator 2011 Goblin veröffentlichte, wurde jede Gelegenheit genutzt um festzustellen, wie irrelevant die gehypte Gang in Wahrheit ist. Und das entspricht meiner Meinung nach nicht der Wahrheit. Die Wende für den HipHop haben die wenigen inzwischen erschienenen Platten zwar alle nicht gebracht, waren aber trotzdem alle ziemlich gut und mitunter nah dran, doch noch das Spiel zu drehen. So zum Beispiel Doris, das letzte Album von Earl, auf dem er sich als der vielleicht talentierteste MC des Kollektivs neben Tyler herauskristallisierte. Und auch wenn er mich nicht so richtig überzeugen konnte, wollte ich doch definitiv mehr von ihm hören. Dass das jetzt so lange gedauert hat, finde ich schon ein bisschen schade. Und für zwei Jahre Wartezeit eine LP von gerade mal 29 Minuten zu kommen, ist auch nicht ganz das wahre. Aber immerhin ist sie da. Außerdem versprach sie schon von Anfang an eine ganze Menge. Als letzte Woche die erste Single Grief erschien, klang die genau nach dem, was ich mir vorgestellt hatte. In dem Song spricht er darüber, wie das Musikbusiness ihn als Künstler behandelt, räumt ein, dass er einige Songs auf Doris doof findet und verspricht auch, dass er sich für die neue Platte mehr Mühe gegeben hat. Gute Vorsätze für einen, der noch viel zu gewinnen hat. Allerdings fragt man sich, wo diese geblieben sind, sobald man I Don't Like Shit einmal gehört hat. Ich hatte am Vorgänger unter anderem kritisiert, dass er stellenweise etwas zu lethargisch geraten war und teilweise eher wie ein Hörbuch als wie ein Musikalbum klang. Ich hatte durch das immerhin interessante Grief auf Besserung gehofft, doch im Endeffekt sind viele der neuen Songs noch schlurfiger und öder sind als beim letzten Mal. Und obwohl Earl hier tolle Texte schreibt, hat er trotzdem nicht die erzählerischen Fähigkeiten eines Milo, um so etwas zu überspielen. Und wenn die müden Zeilen von Earl schon nach 29 Minuten langweilig werden, läuft definitiv etwas gewaltig schief. Ein Manko, dass leider auch die paar Gäste hier nicht wirklich ausmerzen können. Dabei sind die Features von Na-kel und Da$h gar nicht mal übel, Wiki von Ratking hingegen macht hier schon wieder alles noch schlimmer. Am Ende muss man die Hauptschuld für das ziemlich langweilige neue Album trotzdem Earl selber in die Schuhe schieben. Die große Überraschung ist dem Rapper mit dieser Platte absolut nicht gelungen. Eher die große Ernüchterung. Und wenn auch Tyler sich in Zukunft nicht mehr hauptsächlich der Musik widmen will, bedeutet das wahrscheinlich auch, dass wir Odd Future mehr oder weniger vergessen können. Denn die besten haben mittlerweile versagt. Ich bereue es trotzdem nicht, bis jetzt gehofft zu haben. Für einen kurzen Moment hatte ich noch mal Recht behalten. Das war es absolut wert.
7/11

Beste Songs: Huey / Grief / Inside / Wool

Nicht mein Fall: Mantra / AM Radio

Weiterleitung:
Review zu Doris (Earl Sweatshirt):
zum Review

Review zu A Toothpaste Suburb (Milo):
zum Review

CWTE auf Facebook

Sonntag, 22. März 2015

Be Here Now

DEATH GRIPS
The Powers That B Part 2: Jenny Death
Thirdworlds
2015















So. Das ist es jetzt also. Das inoffiziell wichtigste Album, das 2015 erscheinen wird. Das Album, das schon vor seiner Veröffentlichung so viel Publikumsresonanz bekam wie kein anderes in diesem Jahr. Der heilige Gral des Hipstertums, nach dem bis jetzt alle gesucht haben. Das Ziel der Sehnsucht, die Antwort auf das ohrenbetäubende "When" des gesamten Internets. Jenny Death Now! Soviel kann man ab jetzt sagen. Weniger ist bei dieser Platte schon jetzt nicht drin. Die Sensation war perfekt, bevor sie überhaupt passierte. Und so albern ich zu viel Hype um etwas noch nicht mal erschienenes und insbesondere das Brimborium um diesen einen Longplayer finde, eines muss ich eingestehen: Das, worauf wir seit Mai 2014 warten, ist tatsächlich nicht weniger als die Zukunft der Popmusik. Death Grips haben zum jetzigen Zeitpunkt eine so tiefe Kerbe in die Musikwelt gerissen, dass man sie unter keinen Umständen mehr ignorieren kann. Und was aus dieser Kerbe kommt, ist nicht weniger als der Sound von morgen. Wenn man diese Band hört, fragt man sich nicht mehr, wo der rebellische Geist der heutigen Generation geblieben ist und warum die Künstler nicht mehr richtig schocken. Dieses Trio hat sich Rebellion und Schock auf den Leib geschrieben wie niemand sonst im Moment und mit Jenny Death ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die ganze Welt es erfahren soll. Keine leichte Aufgabe für ein einziges Album, aber auch keine, die Death Grips nicht meistern könnten. Die Frage sollte eher lauten: Wer wenn nicht sie? Es ist dabei elementar wichtig, die neue Platte unabhängig vom ersten Teil der Powers That B-Serie zu betrachten. Sicherlich sind die zehn Songs hier (von denen einer sogar der Titeltrack ist) irgendwie schon ein Element des ganzen, doch die Band dahinter hat sich seit Niggas On the Moon schon wieder erheblich verändert. Dass Part 2 etwas vollkommen anderes ist als sein Vorgänger, merkt man sofort. Wo die Kalifornier vor gut einem Jahr mit dem ersten Teil ihr vielleicht erstes vergleichsweise konservatives Werk vorlegten, ist Jenny Death ein Neuanfang im besten Sinne. Die Tracks sind wahnsinnig bissig, zeigen weitaus größeres aggressives Potenzial und erinnern sogar wieder an Exmilitary, ihr absolut fantastisches Debüt. Stärkere Rock-Einflüsse und Zach Hills Schlagzeug prägen hier wieder das klangliche Bild und die Vocals von MC Ride sind hier so gut wie lange nicht mehr. Er schreit zum einen lauter und irrer als vorher, leistet sich auf der anderen Seite aber auch größere "ruhige" Passagen, die für spannende Kontrastierung sorgen. Man könnte der Einfachheit halber sagen, dass Jenny Death in seiner Ganzheit so großartig klingt wie die erste Single Inanimate Sensation schon war. Doch wenn man ehrlich ist, stimmt das nicht ganz: Jenny Death klingt besser. Und zwar ein ganzes Stück besser. Was hier passiert, gehört tatsächlich zu den aufregendsten Dingen, die ich von dieser Band je gehört habe. Womit es unter den aufregendsten Dingen, die ich überhaupt je gehört habe, ziemlich gut abschneiden dürfte. Absolut alles hier ist bis zum bersten mit Energie aufgeladen und kurz davor, zu explodieren. Sogar das als Single nicht ganz so überzeugende On GP wirkt im Albumkontext absolut souverän und neu. Womit endgültig auch die letzten Zweifel an der Relevanz von Jenny Death abgehakt wären. Diese Platte ist die Essenz der Zukunft und die bisher beste Arbeit dieser einzigartigen Band. Alles, was auf diesen zehn Songs passiert, klingt fantastisch und ist gleichzeitig herausfordernd und erschreckend zeitgemäß. Ob die Welt für die Death Grips schon bereit ist, ist eine andere Frage. Doch die Death Grips sind bereit. Mit gefletschten Zähnen und Killerblick haben die drei Musiker lange genug gewartet. Jenny Death ist der finale Angriff. Und dass er die Pop-Welt verwüsten wird, ist bei diesen Songs mehr als wahrscheinlich. Und er wird mich stolz darauf machen, Teil dieser Generation zu sein.
11/11

Beste Songs: Turned Off / The Powers That B / Beyond Alive / On GP / Death Grips 2.0

Nicht mein Fall: -

Weiterleitung:
Review zu Government Plates (Death Grips):
zum Review

Review zu No Love Deep Web (Death Grips):
zum Review

CWTE auf Facebook

Samstag, 21. März 2015

Die Super-Ex

LAURA MARLING
Short Movie
Caroline
2015















Es ist bestimmt schön, wenn man zu den Künstlern gehört, die nie irgendwas falsch machen. Zu den Damien Jurados, Sharon van Ettens und Patti Smiths dieser Welt, die einfach noch nie ein schlechtes Album aufgenommen haben. Die nicht zu langweilig sind und sich nicht in wüste musikalische Abenteuer verstricken. Musik, vor der sich das Feuilleton verneigt und die trotzdem von echten Kennern gehört wird. Musik wie die von Laura Marling. Short Movie ist der mittlerweile fünfte Longplayer der Britin und entzieht sich schon wieder jeder Kritik. Dreizehn Songs, über die man einfach nicht meckern kann, versammelt die Songwriterin hier auf einer Platte, die auch als Gesamtwerk super funktioniert. Dabei spielt sie gekonnt zwischen akustischen Songs und E-Gitarren, wobei einige Tracks wie False Hope oder Don't Let Me Bring You Down vielleicht die rockigsten sind, die sie bisher aufgenommen hat. Daran muss man sich bei ihr erstmal gewöhnen, doch am Ende hat es den gleichen Effekt wie letztes Jahr auch bei Angel Olsen. Mit dem Unterschied, dass Marling noch ein bisschen bessere Texte schreibt und dabei auch gerne mal den bösen Blick aufsetzt. Als Sängerin vertraut sie hier relativ selten auf die trauriges-Mädchen-Tour, sondern setzt auch gerne mal den bösen Blick auf. Wenn sie in Don't Let Me Bring You Down ernsthaft fragt: "do I look like I'm fucking around?", weiß man als Hörer, dass mit ihr nicht unbedingt gut Kirschen essen ist. Sowieso möchte man hier ziemlich selten die Person sein, über die Marling singt. Short Movie weißt Züge eines Trennungsalbums auf, obwohl ich das hier nicht so ohne weiteres unterstellen will. Es ist nur so, dass Stücke wie Warrior oder Strange das irgendwie nahelegen. Und das Gefühl, mies behandelt geworden zu sein, glaubhaft transportieren. Das liegt auch daran, dass hier wirklich alles daran gesezt wurde, die Stimmungen der Tracks optimal umzusetzen. Nicht nur in der Wahl der Begleitinstrumente, sondern auch im Sound. Ich übertreibe nicht wenn ich sage, dass Short Movie für mich das Album mit der bisher besten Produktion im Jahr 2015 ist. Das merkt man vor allem dadurch, dass hier alle Facetten von Marlings Stimme zum Ausdruck kommen und man quasi die Haltung der Sängerin dahinter hören kann. Es ist, als würde man die Songs der Platte direkt ins Ohr gesungen bekommen. Ganz davon abgesehen, dass sich die Britin wieder einmal als wahnsinnig talentierte Musikerin ausweist. Und so sehr man sich auch anstrengt, über mehr als Details kann man sich bei diesem Ergebnis nicht aufregen. Laura Marling bleibt auch mit LP Nummer fünf absolut unverwundbar und spitze. Neun Punkte, setzen.
9/11

Beste Songs: Warrior / False Hope / Strange / Howl

Nicht mein Fall: Gurdjeff's Daughter

Weiterleitung:
Review zu Burn Your Fire for No Witness (Angel Olsen):
zum Review

Review zu Morning Phase (Beck):
zum Review

CWTE auf Facebook

Donnerstag, 19. März 2015

Retro-Review: Tradition verpflichtet

THE POGUES
Rum, Sodomy & the Lash
Stiff Records
1985















Dies hier ist wieder ein Review eines Albums, welches sich aus der im Januar gehaltenen Umfrage ergeben hat und ich war bei der Auswertung der Werte angenehm überrascht, dass ihr euch unter anderem für diese Platte entschieden habt. Denn so hat nicht nur ein Außensaiter Slayer, den Dead Kennedys und den Talking Heads die meiste Sympathie abgeluchst, sondern auch eine Band, die ich bereits höre, seit ich denken kann. Rum, Sodomy & the Lash lief bei uns zu Hause, wenn ich als Dreikäsehoch im Piratenkostüm durch die Küche berserkerte. Umso schöner ist es, dass das Album auch heute noch hoch in meiner Gunst steht. In vielerlei Hinsicht. Als aller erstes gebührt den Pogues große Anerkennung als eine der Initiatoren des Folk-Punk. Fast jede Band von heute, die sich räudiger Kneipenmusik mit Flöten und Banjos verschrieben hat, klingt nach einer ziemlich peniblen Kopie dieser Platte und dabei meistens noch weniger lebendig. Dabei ist dieses Projekt eigentlich schon Teil des Sellouts der Band. Die 1981 gegründete Formation kommt eigentlich aus dem Punk, war gut mit the Clash befreundet und veröffentlichte auf dem berüchtigten Indie-Label Stiff Records. Besonders machte sie allerdings schon immer ihr Faible für die englische Volksmusik. Schon früh setzten die Pogues zusätzliches Instrumentarium ein und spielten eine Mischung aus eigenen Kompositionen und Traditionals. Die meist vom Leben auf der Straße, von der Seefahrt und vom Alkohol handelnden Texte und Shane MacGowans zermarterte Stimme verschmolzen hier perfekt nostalgische Verehrung der Vergangenheit und No-Future-Gossen-Chic. Über kurz oder lang machte das die Pogues auch einem größeren Publikum bekannt, das nicht mehr in die Vorstadt-Pubs passte. Rum, Sodomy & the Lash ist das Produkt dieser Entwicklung. Das von niemand geringerem als Elvis Costello produzierte Album klingt im Vergleich zu seinen Vorgängern ein ganzes Stück dicker aufgetragen, protzt mit verschwenderischem Einsatz von Instrumenten und wesentlich besseren Kompositionen. Hier sollte 1985 definitiv ein Mainstrem-Publikum angesprochen werden, welches der Band auch schneller als gewollt zu lief. Die vielen unterhaltsamen Songs und ein Haufen gute Kritiken machten the Pogues vom Geheimtipp zum Großereignis. Im Nachhinein gesehen der Anfang vom Ende der Gruppe. Sänger MacGowans schon vorher exorbitanter Alkoholgenuss nahm nach dem Erfolg von Rum, Sodomy & the Lash gefährliche Ausmaße an und aus den romantischen Punks wurde mehr und mehr ein Stadion-Act. All das ändert aber nichts an der tatsächlichen Qualität dieser einen Platte. Die Londoner liefern hier ein Folkrock-Original, das auch nach 30 Jahren noch vorbildlich zeigt, wie Pop und Volksmusik zusammenfinden können. Songs wie the Sick Bed of Cuchulainn, Billy's Bones oder the Gentleman Soldier klingen sowohl nach seliger Pub-Idylle als auch nach dreckiger Sex Pistols-Attitüde. Wobei MacGowans Texte und Kompositionen sich lückenlos in die tatsächlichen Volkslieder und Cover einfügen, ein Talent, das ich sonst noch nirgendwo so beobachtet habe. Außerdem schafft die Band es spielend leicht, im einen Moment einen hedonistischen Gassenhauer zu reißen und im nächsten verwunschen-romantische Balladen zu klimpern, wobei sie auch mit spielerischer Leichtigkeit Klassiker wie Jesse James oder And the Band Plays Waltzing Matilda interpretiert. Und spätestens, wenn im letztgenannten Song und Closer am Ende eben diese legendäre Waltzing Matilda angestimmt wird, weiß man, was the Pogues hier großes leisten. Ob man es nun ein Porträt der britischen Kultur nennt, eine moderne Interpretation von Volksliedgut oder ein Punk-Album, dass den Punk im 19. Jahrhundert sucht. Auf alle Fälle ist es auch heute noch ein wahnsinnig gutes Gesamtwerk und wenn man mich fragt auch die größte Nummer im Folk-Punk überhaupt. Und nicht zuletzt eine Platte, die ich schon mein ganzes Leben lang mag und wahrscheinlich auch noch weiter mögen werde. Ein persönlicher Klassiker.

Beste Songs: the Sick Bed of Cuchulainn / I'm A Man You Don't Meet Every Day / Billy's Bones

Nicht mein Fall: A Pistol for Paddy Garcia

Weiterlesen:
Review zu Gehen oder Bleiben (Feine Sahne Fischfilet):
zum Review

Review zu I Will Be A Pilgrim (Arch Garrison):
zum Review

CWTE auf Facebook

Dienstag, 17. März 2015

der heilige Lärm

LITURGY
the Ark Work
Thrill Jockey
2015















Es sagt etwas über Liturgy aus, dass the Ark Work das Album ist, auf das ich mich in diesem Jahr am meisten gefreut habe. Die Geschichte der Platte ist bis hierhin eine Geschichte von Enttäuschungen, die enttäuscht wurden. Wie das funktioniert, möchte ich vorher mal kurz erklären. Der Beginn von allem ist der zweite Longplayer der New Yorker, Aesthetica. Nachdem dieser 2011 erschienen war, war Heavy Metal für mich eine komplett neue Angelegenheit. Ich hatte damals noch nichts von Bands wie Wolves in the Throne Room oder Krallice gehört, aber das war auch nicht nötig. Auch jetzt noch finde ich den Klang dieser Platte einzigartig und revolutionär wie weniges sonst. Was Deafheaven zwei Jahre später mit diesem Sound anstellten, war grandios, aber im Prinzip nichts neues. Liturgy waren die echten Umdenker des Black Metal. Nur sah es lange Zeit so aus, als würde auf diesen Knall nichts folgen. Zunächst verließ mit Drummer Greg Fox ausgerechnet das Mitglied die Band, das zum originellen Charakter von Aesthetica am meisten beigetragen hatte. Seine vertrackten Rhythmen und Tempo-Schlaufen waren das Knochenmark des Trios. Ein erster Wermutstropfen in einem Glas, welches noch sehr voll werden sollte. Mit der Begründung von Survival, Hunter Hund-Hendrix' neuer Band, wurde das Gefüge von Liturgy noch brüchiger. Damals war ich mir nicht einmal sicher, ob es so etwas wie Liturgy überhaupt noch gab. Als Ende 2014 dann die Ankündigung eines neuen Albums durchsickerte, war ich zunächst weiterhin skeptisch. So wie es aussah, war vom ursprünglichen Line-Up nur Hendrix selbst übrig geblieben, der ja noch nie um seine Bescheidenheit bekannt war. Die Ankündigung eines elektronisch geprägten Sounds auf the Ark Work ließ dem Fan in mir dann noch zusätzlich das Herz in die Hose rutschen. Viele verbanden erste Höreindrücke mit der Musik von Death Grips, die nun gar nicht meiner Vorstellung eines neuen Liturgy-Longplayers entsprachen. Erst vor kurzem dann kam die Erleichterung. In Interviews sah man die Band wieder in Originalbesetzung und erste Singles der Platte machten gar keinen so schlechten Eindruck. Die Vorfreude war wieder da. Und soll jetzt auch schon wieder vorbei sein. Denn the Ark Work ist da, was bedeutet, dass das eingetreten ist, was ich vor einem Jahr noch für unmöglich hielt. Weshalb ich mich vorsehen musste, meine ehrliche Meinung nicht so oft im eigenen Hype zu ersaufen. Denn eine Herausforderung haben uns Liturgy auch mit diesem Album gegeben. Eine, die höchstwahrscheinlich polarisieren wird. Zunächst mal die gute Nachricht für Aesthetica-Fans: Den euphorischen Blackgaze-Sound und die ADHS-Drums hört man auch hier zur Genüge. Von den besten Momenten des Vorgängers ist hier sogar noch mehr dabei, auch wenn die Band hier teilweise ganze Akkordfolgen kopiert. The Ark Work klingt dabei noch einen Zacken psychedelischer und ist teilweise ein einziger Gitarren-Orgasmus, aber Reizüberflutung gehörte ja schon immer zum Repertoire von Liturgy. Der Teil, mit dem die meisten alten Fans wahrscheinlich eher Probleme haben werden, sind die Synthesizer. Der Opener Fanfare könnte nicht mehr nach Billig-Keyboards und Windows 95 klingen und ist wahrscheinlich für jeden erstmal ein harter Brocken. Dass er trotzdem die Atmosphäre echter Fanfaren einfängt, ist die eigentliche Leistung des Tracks. Doch damit nicht genug: in Follow prescht die Band zwar schon merklich in Richtung Metal, doch polyrhythmische Glitches und Roboter-Sounds machen auch diesen Song zur stilistischen Grenzerfahrung. Wer jetzt Panik bekommen hat, der kann sich beruhigen. Was danach folgt, ist dem, was vor ein paar Jahren auf Aesthetica passierte, schon ähnlicher. Doch auch für Leute wie mich, denen die neue Richtung der Band gefällt, bieten diese Stücke noch genug. Der erste richtige Rocksong kommt erst nach ungefähr zwanzig Minuten mit Haelegen, der sehr an Veins of God erinnert und der vielleicht düsterste Track der Platte ist. Mit Reign Array folgt kurz danach ein echtes Highlight. Der Song tarnt sich zunächst als sakrale Synth-Prog-Ballade im Final Fantasy-Stil, nur um in der Mitte zu einem der vielleicht größten Blackgaze-Moment der bisherigen Geschichte aufzubrechen. Mit eksatatischem Dur-Riffing, Stacatto-Drums und Glöckchen an der Spitze reißt in diesem Moment der Himmel auf und wenn man Glück hat, kann man ein oder zwei Engel am Firmament sehen. Ein Orgelkonzert von Johann Sebastian Bach könnte diesen Moment nicht besser wiedergeben. Definitiv der Höhepunkt des gesamten Albums. Danach folgen noch zwei ziemlich gute Songs, die jedoch im Vergleich zum eben geschehenen das Nachsehen haben. Es ist fast ein bisschen schade um sie. Wenn auch nicht um die Platte als ganzes. Denn die zeigt einmal mehr, dass Liturgy zu den besten gehören. Im Black Metal sowieso, aber auch generell. Nicht jeder Band gelingt es, so harmonisch Metal, Electronica, HipHop, Experimental und Klassik in einem Werk zu vereinen, dass gerade mal knapp über 50 Minuten geht. Und wenn Hunter Hunt-Hendrix dann mit sowas hausieren geht, ist das sein gutes Recht. Er hat mit the Ark Work einen ultimativen Hybriden geschaffen, der all den utopischen Versprechungen gerecht wird. Darüber ein Buch zu schreiben, klingt schon nach wenigen Hördurchgängen nach keiner komplett absurden Idee mehr. Hier zehn von elf Punkten zu vergeben ist bei einem solchen Epos Ehrensache. Schließlich weiß ich ja auch, worauf ich mich da drei Jahre lang gefreut habe.
11/11

Beste Songs: Kal Valhaal / Quetzalcoatl / Reign Array

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Celestite (Wolves in the Throne Room):
zum Review

Review zu Shelter (Alcest):
zum Review

CWTE auf Facebook

Montag, 16. März 2015

Zu Gast bei Freunden

CANCER BATS
Searching for Zero
BMG
2015















Schon in einem früheren Post habe ich mal ausführlich meine lange gemeinsame Geschichte mit der Musik der Cancer Bats erläutert, die bis heute irgendwie anhält. Denn obwohl ich nicht finde, dass die Kanadier den hochwertigsten Hardcore der Welt machen und mittlerweile auch andere Acts lieber gewonnen habe, wird für diese Jungs wohl immer ein Platz in meinem Herzen bleiben. Ganz einfach weil der zwischen Punk, Metal, Southern Rock und Blues angesiedelte Stil der Band mir nie zu langweilig wird und die Cancer Bats auch immer das notwendige kleine Stück nach vorn schauen. Am Beispiel von Searching for Zero kann man das wieder ganz gut feststellen. Ein Album wie dieses hätte nicht nach einem Hail Destroyer kommen können, dazu brauchte es die Zwischenschritte der letzten Jahre. 2012 spielte Dead Set On Living zum ersten Mal erfolgreich mit Blues-Einflüssen, war aber auch noch ausreichend im Metalcore verwurzelt, um an alten Standards festzuhalten. Seitdem ist die Band wieder einen Schritt voraus gegangen. Auf der neuen Platte hat sie sich dem mittlerweile doch etwas uncool gewordenen Sound komplett entledigt und geht hier eine spannende, neue Symbiose aus Core-Versatzstücken, Punk-Geschepper und an Motörhead und Black Sabbath erinnernden Retro-Schnipseln ein. Das Ergebnis erinnert teilweise an Pulled Apart by Horses oder Every Time I Die. Kollegen, die ich auch immer gern höre. Ich habe mir den Spaß gemacht und zum Vergleich mal ein paar alte Sachen angehört. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass sich die Cancer Bats seit meinem Erstkontakt mit ihnen fast musikalisch mit mir weiter entwickelt haben. Songs wie Pneumonia Hawk sind immer noch super, aber auf Searching for Zero merkt man schon, dass sich die Band hier vom damals sehr angesagten Metalcore-Sound in eine wesentlich versiertere Richtung entwickelt hat. Und ich stelle mit Staunen fest, dass ich sie hier immer noch richtig gut finde. Also nicht nur so Nostalgie-gut, sondern messbar gut. Die Cancer Bats schreiben hier Hits wie nie zuvor, finden die Balance zwischen Vintage und modernem Sound, man kann mitsingen, muss aber nicht. Darüber hinaus klingt hier absolut jedes Instrument wunderbar, wobei besondere Betonung auf den Bass gelegt werden sollte. Jaye Schwarzer reißt hier in jedem Song ein mörderisches Brett, dass jeden Riff zum klanglichen Mammutbaum werden lässt. Und das ganze zehn Mal. Ich kann es als alter Fan schlecht einschätzen, aber Searching for Zero sollte auch den Leuten zusagen, die die Cancer Bats nie zuvor gehört haben. Ebenso wie sie als Einstiegsplatte für Hardcore-Neulinge funktionieren sollte. Ich habe mit der Band in dieser Beziehung ja persönliche Erfahrung. Und obwohl ich am Anfang dachte, ich würde dieses Album nur der eigenen Erinnerung wegen besprechen, habe ich mich hier scheinbar aufs neue in die Kanadier verliebt. Was ein bisschen so ist, als ob man nach langer Zeit wieder mit einem Freund abhängt, den man ewig nicht gesehen hat. Wer das schonmal erlebt hat, weiß, wie cool das ist. Und so cool ist Searching for Zero.
9/11

Beste Songs: Arsenic in the Year of the Snake / All Hail

Nicht mein Fall: Dusted

Weiterlesen:
Review zu Dead Set On Living (Cancer Bats):
zum Review

Review zu From Parts Unknown (Every Time I Die):
zum Review

CWTE auf Facebook

Am Ende auch nur Metal...

HARM'S WAY
Rust
Deathwish Inc.
2015















Da wird sich aber jemand gefreut haben, dass jemand seine Band so mag. So sehr, dass er sie gleich auf sein Label geholt hat. Harm's Way heißt die neue Entdeckung auf Deathwish, dem besten Metal-Label zurzeit und dem Nebenjob von Converge. Und wer schon mal schon mal Converge gehört hat, für den wird auch die Veröffentlichung von Rust auf eben diesem Label kein Zufall sein. Denn dreimal dürft ihr raten, nach welchem bekannten Metalcore-Act sich die Chicagoer Band ziemlich anhört. Sie aus purer Selbstbeweihräucherung zu signen, will ich Kurt Ballou und Jacob Bannon damit nicht unterstellen, es fällt nur irgendwie auf. Und Harm's Way sind bei allen Ähnlichkeiten auch für sich ausreichend talentierte Musiker, um einen so fetten Deal zu rechtfertigen. Ihr räudiger, wahnsinnig rhythmischer Deathcore macht hier riesigen Spaß und auch die Produktion ist, wie immer bei Herrn Ballou, ein wahrer Ohrenschmaus. Das Riffing, die Drums und nicht zuletzt die sehr wechselhaften Vocals von Sänger Chris Mills sind auf den Punkt gesetzt und klingen unglaublich gut. Für die Melancholiker gibt es sogar ein paar überzeugende ätherische Momente, von denen ich mir allerdings mehr gewünscht hätte. Was aber auf nur 33 Minuten auch zu viel gewollt sein kann. Man muss die LP sowieso viele Male hören, um wirklich an die Schätze in den Songs hier zu kommen. Wenn sich der Converge-Schatten erstmal verzogen hat, kommen viele spannende Einflüsse zum Vorschein. Da hört man die Deftones und Machine Head, Celtic Frost und Eyehategod. Das macht Rust nicht unbedingt origineller, aber auch nicht weniger unterhaltsam. Den Titel ihrer Platte haben Harm's Way gut gewählt: Rost. Ein Begriff der auch zum Sound dieses Albums passt. Ein bisschen oldschool, manchmal etwas bewegungslos, aber ziemlich dreckig und am Ende auch nur Metal. Mit diesen Songs wird das Quartett aus Chicago nicht viel zu schon existierenden Sounds hinzufügen, aber es zelebriert sie. Und liefert ein von vorne bis hinten exzellentes Gesamtergebnis ab, das sich auch in einem hippen Schuppen wie Deathwish sehen lassen kann. Für Ballou und Bannon geht diese Platte ja eh runter wie Öl. Mit dem können sie dann auch ihre rostigen Metallgelenke schmieren (*schenkelklopf*).
8/11

Beste Songs: Cancerous Ways / Ease My Mind

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Jane Doe (Converge):
zum Review

Review zu Burn My Eyes (Machine Head):
zum Review

CWTE auf Facebook

Sonntag, 15. März 2015

Deleted Scenes

WILL BUTLER
Policy
Merge
2015















Ausgerechnet Will Butler. Damit hatte wahrscheinlich keiner gerechnet. Dass er das erste prominente Mitglied von Arcade Fire sein würde, dass sich an einem Soloalbum versucht. Dass es früher oder später einer der vielen Mitglieder tun würde, war nach dem immensen Erfolg mit der Band abzusehen. Teilzeit-Violinistin Sarah Neufeld war 2013 die allererste, die das tat. Mit einigem Erfolg in der Avantgarde-Szene. Aber das der schüchterne Gitarrist Will den nächsten Schritt unternimmt, war doch irgendwo überraschend. Eher hätte man das von seinem großen Bruder und Sänger Win, dem Kanye West des Indiepop, erwartet. Oder von Regine Chassange, der dazugehörigen Kim Kardashian. Butler ist demgegenüber ein Künstler, der weniger von sich verspricht. Er hat nicht den medialen Rückhalt und ist auf der Bühne nicht so präsent wie die anderen. Aber seinen Einfluss auf den Stil von Arcade Fire kann man auf Policy dann doch ganz gut hören. Der Gesang ist zwar ungewohnt und die Kompositionen bei weitem nicht so pompös wie die seiner Hauptband, aber sein hektischer, rock'n'rolliger Gitarrenstil ist unverkennbar. Man kann sich gut vorstellen, dass einige der Songs hier schon mal als Outtakes existiert haben, bevor Butler sie auf ein Soloalbum gepackt hat. Das zeigt sich auch in der Anordnung. Vom Typus her sind die Tracks sehr verschieden und wirken nicht so, als wären sie in einer Schreibphase entstanden. Dafür liefern sie uns einen Eindruck davon, wie vielseitig der Songwriter arbeiten kann. Stücke wie Take My Side uns What I Want spielen eindeutig mit klassischem Rock'n'Roll und Garagenrock, während Anna ein toller Popsong ist, der sich auch für eine coole Saxofon-Begleitung nicht zu schade ist. Und obwohl am Ende nicht mehr als 27 Minuten Material zusammen kommt, ist Policy eine grundsolide Platte. Kein Soloalbum, das viel Aufmerksamkeit will, sondern aus Songs besteht, die der Welt sonst vielleicht enthalten geblieben wären. Und schade wäre das schon gewesen.
8/11

Beste Songs: Take My Side / What I Want / Sing to Me

Nicht mein Fall: Witness

Weiterlesen:
Review zu Funeral (the Arcade Fire):
zum Review

Review zu Burn Your Fire for No Witness (Angel Olsen):
zum Review

CWTE auf Facebook

Samstag, 14. März 2015

Good News

MODEST MOUSE
Strangers to Ourselves
Epic
2015















Am Ende ist es ein Highlight geworden. Auch ohne Krist Novoselic oder Big Boi auf der Platte hat wohl kaum ein Album (außer Jenny Death) seit Dezember letzten Jahres so viel Platz in den Blogs gefunden wie Strangers to Ourselves, der erste Modest Mouse-Longplayer seit 2009. Die wilden Spekulationen um die Gäste und ein ganzer Präsentkorb voller interessanter Singles heizten den Hype um die neue Scheibe fast wöchentlich an und letztendlich war auch ich endlich mal wieder auf neues Material von dieser Band gespannt. Von den letzten zwei bis drei Platten der Indie-Schwergewichte war ich ehrlicherweise nicht besonders angetan und brachte dies auch schon in einigen Reviews zum Ausdruck. Nach sechs Jahren Pause scheinen Modest Mouse jedoch in einer neuen stilistischen Dimension angekommen zu sein, die wieder einiges an Spannung verspricht. Als ich im Januar zum ersten Mal Lampshades on Fire hörte, das mit Reggea-, Funk- und Disco-Einflüssen spielte, war ich zunächst zwar ziemlich perplex, aber auch schnell begeistert. Ihren poppigen Sound, der viele der alten Songs langweilig machte, hatten sie jetzt auf ein ganz neues Konzept ausgerichtet, das nicht nur kurzweiliger war, sondern dem Habitus von Modest Mouse wider Erwarten auch stand. Die Kombination aus karibischer Lebensfreude, verbitterter Indie-Attitüde und Verspieltheit erinnerte entfernt an die glorreichen Tage von the Clash oder die Afrobeat-Phase von Arcade Fire und machte mich neugierig auf das, was da kommen würde. Von den weiteren Singles wissen wir inzwischen, dass Strangers to Ourselves auch über weniger schnittige Elemente verfügt, doch auch die passen hier ziemlich gut in das Gesamtkonzept. Der eröffnende Titeltrack ist gleich mal so einer und schafft auf Anhieb das, was viele ähnlich konzipierte Stücke auf den Vorgängeralben nicht hinbekommen haben: Emotional sein. Und er ist damit nicht der letzte. Das als Einzelgänger etwas verlorene Coyotes wird in der Dramaturgie der Platte zu einem meiner Lieblingsmomente. Womit wir bei der größten Stärke von Strangers to Ourselves wären: seiner Strukturierung. Bei jedem Track hier hat man das Gefühl, dass genau das genau jetzt kommen muss. Was übrigens nicht auf Kosten der Frequenz an Überraschungen geht, die geboten werden. Dank dieser Dynamik macht es einen Riesenspaß, Modest Mouse hier beim Spielen zuzuhören. Eine vitale, aufgeweckte, mutige Band mit einem unwiderstehlichen, räudigen Charme. Eine Band, die sich nach einer langen Flaute endlich wieder gefangen hat. Nicht, dass es die Neue mit einem Lonesome Crowded West aufnehmen könnte, aber sie ist absolut solide und Welten besser als das, was man Mitte der Nuller teilweise hören musste. In meinen Augen eine Entwicklung, die nicht besser hätte laufen können. Und das ganz ohne fremde Hilfe.
8/11

Beste Songs: Strangers to Ourselves / Lampshades on Fire / Shit in Your Cut / Coyotes

Nicht mein Fall: Be Brave

Weiterlesen:
Review zu Good News for People Who Love Bad News (Modest Mouse):
zum Review

Review zu Reflektor (the Arcade Fire):
zum Review

CWTE auf Facebook

Donnerstag, 12. März 2015

Full House

PROJECT PABLO
I Want to Believe
1080p
2015















2015 hat Grimes getötet. Zumindest für mich ein bisschen. Der Deal mit Def Jam Records und das immer größer werdende Fandom tun der Kanadierin meiner Meinung nach nicht wirklich gut und ihre letzten Singles waren nicht das, was ich an ihr immer so mochte. Gleichzeitig befindet sich die Homezone in Vancouver, in der die Produzentin vor einigen Jahren zum Star wurde, momentan in voller Blüte und entwickelt sich kontinuierlich im Untergrund weiter. Das Indielabel 1080p, das die Lauscher tief in dieser Szene verwurzelt hat, ist deren Verbindung zur Außenwelt und nunmehr auch meine Antenne in die Welt der entrückten Badezimmer-Raves. Beinahe wöchentlich erscheinen hier neue Alben junger Künstler, die Witch House und Vaporwave noch immer nicht für tot erklärt haben und heimlich weiter an großartigen Windows 95-Beats und Saxofon-Samples basteln. Bereits im Januar hatte ich von dem Duo Neu! Balance berichtet, die dann auch gleich zu einer Herzensangelegenheit wurden. Mit Patrick Holland aka Project Pablo kommt nun die zweite große Nummer aus der kanadischen Elektro-Schmiede, die einiges verspricht. Der ebenfalls aus Vancouver stammende Produzent hat sich zwar eigentlich der House-Musik verschrieben, doch er selbst stellt diesem ausgelutschten Begriff gerne ein elegantes "hybrid" voran. Was heißt, dass die ganzen Einflüsse aus Ambient, Vaporwave, Techno und sogar Disco und Minimal Electro hier ein einen angenehm einlullenden Mix verknetet werden, der genau dem Ideal dieses Szene-Sounds entspricht. An der ganzen Sache ist zwar nichts wirklich originelles, aber eine Art retrofuturistisches Flair stellt sich beim Hören schon ein. Passend dazu ist die physische Veröffentlichung dieser Songs nur auf MC beschränkt. Die Drumsounds auf I Want to Believe klingen durchgängig nach den ganz alten Chicago-House-Singles, in denen das Genre erstmal erfunden werden musste. Entsprechend unbeschwert klingt hier das Gesamtergebnis und entsprechend viel Platz hat Holland, die Zeit zwischen den Beats mit reichlich vaporisiertem Synth-Käse auszukleiden. Das klingt alles nach ziemlichem Poser-Kram, doch irgendwie kann man Project Pablo diesen Vorwurf nicht machen. Die Verwendung komischer Samples auf diesem Album ist äußerst überschaubar und zu dancy oder kitschig wird es eigentlich nie. Viel mehr besitzt diese Platte die Tugend, die viele 1080p-Releases dieser Tage in sich tragen: Weniger ist mehr. Denn wenn hier mal ein akzentuierter Beat oder ein Gesangspart kommt, versagt dieser nie seine Wirkung, sondern darf voll ausgekostet werden. Und die Baseballkappen tragenden kanadischen Scenester wackeln noch ein bisschen entrückter mit ihren Armen und Beinen. Wie auch Neu! Balance macht Project Pablo Musik, die am besten direkt im Club serviert wird. Dass sie auch im Albumkontext funktioniert, ist da nur umso besser. I Want to Believe ist das versprochene neue Highlight auf 1080p, das mir das Label ein weiteres Mal sympathischer macht. Über ein mieses Grimes-Album könnte es mich dennoch nicht vertrösten. Da muss schon noch mehr her.
9/11

Beste Songs: Why, Though? / the Fuss / Always

Nicht mein Fall: Movin' Out

Weiterlesen:
Review zu Rubber Sole (Neu! Balance):
zum Review

Review zu Ghost Culture (Ghost Culture):
zum Review

CWTE auf Facebook

Mittwoch, 11. März 2015

Den Umständen entsprechend

STEVEN WILSON
Hand. Cannot. Erase.
KScope
2015















Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, über Steven Wilson dieses Mal kein Wort zu verlieren. So sehr, wie ich den Briten in den letzten zwei Jahren gedisst habe und mir dadurch den Unmut vieler Leser zugezogen habe, wollte ich diesmal lieber ruhig bleiben. Und ich kann auch hier nochmal wiederholen, wie furchtbar überproduziert seine letzten beiden Soloplatten waren und wie sehr seine Arbeit als Soundingeneur das letzte Opeth-Album verhunzt hat. Von einem Epigonen des modernen Progrock ist Wilson meiner Meinung nach so weit entfernt wie Snoop Lion von den Wailers. Allerdings muss ich auch eingestehen, dass er schon einige gute Songs geschrieben hat und seine Arbeit bei Porcupine Tree ebenfalls gewürdigt gehört. Der Anlass dafür, seinen dritten Longplayer als Einzelgänger zu besprechen waren einige gute Kritiken von Blogs, die den Künstler normalerweise nicht als unantastbares Genie handeln, sondern ihm vorher wie ich eher skeptisch gegenüber standen. Es musste also doch was dran sein an Hand. Cannot. Erase. Trotzdem erstmal ein bisschen Hintergrundinformation. Die elf Songs auf dem Album erzählen die Geschichte eines real existierenden Kriminalfalls aus London, bei dem eine Frau drei Jahre nach ihrem Ableben von ihren Angehörigen gefunden wurde. Wilson nutzt diese Tatsachen, um darum ein sozialkritisches Konzept um Kommunikation, Gesellschaft und Anonymität zu spinnen. Von der Machart her eigentlich ganz cool. Auch wenn sich das ganze textlich nie aus dem Rahmen von perfekt strukturierten Popsongs bewegt, die nun mal die Handschrift des Künstlers sind. Doch der macht auf Hand. Cannot. Erase zum ersten Mal nicht den Fehler, den die Vorgänger machten. Denn während die versuchten, sich mit ihren doch eher schwachen Kompositionen und der Feinschliff-Produktion den Klassikern des Prog anzunähern, ist die neue Platte mit ihren Pop-Ambitionen sehr souverän. Dafür, dass Steven Wilson scheinbar immer noch im Jahr 2002 lebt, sind die Tracks hier sogar relativ modern. Und auch vom Songwriting her kann der Künstler hier viel mehr vorweisen. Ich würde so weit gehen, zu sagen, dass dies hier seine beste Solo-Arbeit bisher ist und dass ich viele Aspekte daran sehr mag. Natürlich kratzt mich noch immer die durchgestylte Produktion und der gespielte Pathos vieler Songs. Aber davon werden wir Steven Wilson wahrscheinlich nie entwöhnen. Für die Verhältnisse ist Hand. Cannot. Erase also vielleicht das bestmögliche Ergebnis. Und mal ein Grund, den Typen nicht in Grund und Boden zu haten.
7/11

Bester Song: 3 Years Older

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Pale Communion (Opeth):
zum Review

Review zu In Absentia (Porcupine Tree):
zum Review

CWTE auf Facebook

Atzenmusik (Leider geil II)

ZUGEZOGEN MASKULIN
Alles Brennt
Buback Tonträger
2015















Ich bin wieder mal spät dran. Alles Brennt erschien eigentlich schon Mitte Februar und sorgte schon da für einiges an Aufmerksamkeit. Die Tatsache, dass so ziemlich jeder nicht komplett bescheuerten Rap-Platte nachgesagt wird, die Rettung der deutschen HipHop-Szene zu sein, machte Zugezogen Maskulin ganz kurz zu Stars und Helden, was aber jetzt schon wieder vorbei ist. Dass ich mich nicht zu einem Review dieser aus den MCs Grim 104 und Testo bestehenden Band bewegen konnte war, dass es mir zunächst unmöglich war, dieses Album zu hören, weil ich es so furchtbar fand. Von der Revolution des Deutschrap war Alles Brennt meiner Meinung nach Galaxien weit entfernt und kam mir eher vor wie die Vorstadt-Rüpel-Kopie von K.I.Z. Ich konnte und wollte Zugezogen Maskulin nicht ernst nehmen, also schrieb ich auch nicht über sie. Aber dann ist das passiert, was mir viel zu oft mit mittelmäßigem HipHop passiert: Ich beginne, ihn heimlich zu mögen. Es fängt damit an, dass man irgendwo noch mal einen Song hört und gar nicht sooo schlimm findet, noch mal auf die Platte zurück kommt und sich am Ende dabei erwischt, wie man beim Smalltalk ironischerweise aus Plattenbau O.S.T. zitiert. Die Folge daraus: Ich konnte Alles Brennt nicht weiter totschweigen. Eine weitere Beschäftigung mit dem Album und ein paar Hördurchgänge später kann ich aufrichtig sagen: Ich habe mich mit Zugezogen Maskulin angefreundet. Auch aus einem kritischen Standpunkt heraus. Denn die Texte der beiden hier sind zwar ziemlich asozial, verfügen aber über großartige Punchlines und besitzen die Energie, die man am HipHop doch cool findet, obwohl man es sich gerne ausreden möchte. Ganz davon abgesehen funktioniert die Produktion auf dieser Platte ebenfalls wie bei wenigen anderen. Ob die beiden das mit dem provokativen Proll-Gehabe gut hinbekommen, darf jeder unter die persönliche moralische Lupe nehmen. Ich persönlich kann darüber mittlerweile wunderbar lachen, allerdings müssen Songs wie Endlich wieder Krieg nicht für jeden was sein. Die Gefahr, so etwas falsch zu verstehen, ist relativ groß. Deswegen empfehle ich Alles Brennt nur für Leute, die schon etwas hartgesottener in Sachen Deutschrap sind. Ich bin das nach diesem Album definitiv. Auch wenn es etwas länger gedauert hat.
9/11

Beste Songs: Plattenbau O.S.T. / Grauweißer Rauch / Endlich wieder Krieg

Nicht mein Fall: Alles Brennt

Weiterlesen:
Review zu RTJ2 (Run the Jewels):
zum Review

Review zu Zwei (Maeckes):
zum Review

CWTE auf Facebook