Freitag, 30. Juni 2017

Goldrapper

Es ist inzwischen drei Jahre her, dass ich zum ersten Mal über die Underachievers schrieb. Damals erschien gerade ihr Debüt Cellar Door: Terminus Ut Exordium (Ich hasse diesen Titel immer noch) zu einer Zeit, als Ami-Trap wahrscheinlich in seiner größten Blüte stand. Leute wie A$ap Rocky, OG Maco, Pusha T oder OT Genasis waren die Helden der Stunde und man hatte das erste Mal das Gefühl, dass die Szene-Musik der späten Nuller vielleicht doch ein langfristiges Mainstream-Ding werden könnte. In dieser Situation wirkten diese beiden New Yorker MCs damals ein bisschen wie Trittbrettfahrer, die zur Gesamtheit der Sache nicht viel beizutragen hatten. Die ausführliche Thematisierung esoterischer Psycho-Themen in ihren Texten wirkte eher wie ein Gimmick als wie ein tatsächliches Alleinstellungsmerkmal und ich dachte, ich würde die beiden wohl schnell wieder vergessen. Guten Trap gab es ja weiß Gott genug. Drei Jahre später haben sich die Verhältnisse jedoch auf äußerst seltsame Weise verschoben. 2017 ist die einst so coole Ästhetik der Szene zum verwaschenen Mainstream-Ding geworden und hat mithilfe von Leuten wie Migos und Lil Yachty den Weg jedes Trends genommen. Richtig coole Sachen sind inzwischen eher Mangelware und während Newcomer verkacken und die Größen der ersten Stunde Anschluss an sie suchen, haben sich ausgerechnet die Underachievers zu einer der freshesten Kräfte im Game entwickelt. Schon seit ihrem zweiten Longplayer Evermore - the Art of Duality (schon wieder so ein Scheißname!) war ich überrascht, wie talentiert Issa Gold und AK doch waren und spätestens als die beiden im letzten Jahr mit It Happened in Flatbush eines der wenigen wirklich konsistenten Trap-Mixtapes veröffentlichten, hatten sie mich für sich gewonnen. Mir fallen auch nach längerem Nachdenken wenige Künstler*innen der Szene ein, die über so lange Zeit so zuverlässig gute Musik abgeliefert haben und dafür muss ich ihnen an dieser Stelle meinen Respekt aussprechen. Und natürlich war ich aufgrund dieser Einstellung auch gespannt auf LP Nummer drei der New Yorker. Noch mehr als sonst brauche ich in dieser Saison mal ein richtig nices Trap-Album, das ordentlich reinhaut und stabilen Swag ballert (entschuldigt meine Formulierung, aber isso). Blöd nur, dass die Underachievers sich dafür inzwischen nicht mehr zuständig fühlen. Renaissance ist, von wenigen Ausnahmen mal abgesehen, ein Rap-Album, das defensiver nicht sein könnte. Ähnlich wie Kendrick Lamar, Schoolboy Q oder Joey Bada$$ suchen Issa und AK hier eine wesentlich cleanere, ernsthaftere Hi-Class-Ästhetik, die eindeutig professioneller und cooler klingen soll. Mit drei kommerziellen Alben und etlichen Mixtapes in der Waagschale wollen die Underachievers endlich nicht mehr die Eso-Trap-Clowns sein, als die sie fälschlicherweise noch immer wahrgenommen werden. Sie wollen in mit dieser Platte in die Champions League des aktuellen HipHop-Weltgeschens und an sich ist das auch keine so blöde Idee: In meinen Augen hätte es das Duo echt verdient, in einer Reihe mit den eben genannten Künstlern zu stehen und eigentlich ist dieses klangliche Upgrade schon lange überfällig. Doch leider beweisen sie hier im Endeffekt nicht wirklich ein Händchen für diesen neuen Sound. Schon die erste Single Gotham Nights machte im Februar etwas misstrauisch und dass sie eine der besten Nummern auf Renaissance ist, sagt schon einiges über diese Platte aus. Zwar ist die Performance der beiden hier auch alles andere als schwach und noch immer stecken die beiden die meisten ihrer Trap-Kollegen ein, doch im Vergleich zu ihrem früheren Output fehlt in den neuen Songs oft ein wenig der Fokus und die Tiefe. Wirkliche Hingucker gibt es in den knapp 50 Minuten Spielzeit relativ wenige, was vor allem daran liegt, dass viele der Tracks wie Phoenix Feathers oder Saint Paul eher zurückhaltend sind. Die nach wie vor sehr guten Bars der beiden kommen dadurch oft zu kurz oder wirken Flow-technisch monoton. Die meisten Beats dazu sind ebenfalls gar nicht übel, aber eben auch Nichts gegen die Hakenschläge, die zuletzt bei Schoolboy Q oder Injury Reserve stattgefunden haben. Das paradoxe dabei ist, dass gerade die Stücke, die noch eindeutigen Trap-Charaker haben, am allerwenigsten hinhauen. Und irgendwie kommt mir das ganze dann doch sehr bekannt vor: Mit ihrem umfassenden Stilbruch haben sich Issa und AK wieder in die Situation von vor drei Jahren zurückkatapultiert. Sie machen eigentlich eine sehr coole und moderne Form von Rap, sind aber umzingelt von Leuten, die ihren Job besser machen. Beim letzten Mal schafften es die Underachievers, dieses Feld stilistisch hinter sich zu lassen und zu einer der wirklich bemerkenswerten Gruppen zu werden. Und tatsächlich würde ich ihnen diesen Move auch ein weiteres Mal zutrauen. Mittlerweile wissen diese beiden MCs sehr genau, was sie von ihrer Musik wollen und so sehr, wie die Chemie zwischen ihnen seit dem Debüt gewachsen ist, bleibt hier wenig zu wünschen übrig. Klar ist es schwer, sich ästhetisch neu zu orientieren, aber der Schritt ist für die der richtige. Die Underachievers gehen damit nicht nur mit der Zeit, sondern begeben sich auch auf ein technisches Niveau, das ihrem Talent Stand 2017 angemessener ist. Renaissance ist jetzt das Album zur Orientierung, das noch etwas dürftig ausfällt, aber man kann damit rechnen, dass das noch besser wird. Issa und AK sind nämlich zu mehr fähig als nur zu überdurchschnittlichem Trend-Trap. Die Macht des Indigo und so...





Persönliche Highlights: In My Zone / Eyes Wide Open / Gotham Nights / Kiss the Sky / Cobra Clutch / Head Right

Nicht mein Fall: Crescendo / Super Potent

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Freitag, 23. Juni 2017

Young Urban Professional

Ich frage mich manchmal immer noch, was es ist, das ich an Kevin Morby so sehr mag. Der Songwriter aus Texas ging bisher eigentlich als nicht viel mehr durch als eine sehr gut abgestimmte Mischung aus dem frühen Bob Dylan, irgendwie Nick Drake und Mac DeMarco, hatte auf den ersten Blick nichts besonderes an sich. Dennoch ist sein drittes Album Singing Saw vom letzten Jahr in meinen Augen einer der größten Grower, die ich in meiner Zeit auf diesem Format je erlebt habe und ist auch nach sechs Monaten dieser Saison noch immer in Heavy Rotation. So viele fantastische Songs finden sich hier und so viele verschiedene Stimmungen fängt Morby ein, dass man irgendetwas an dieser Platte einfach lieben muss. Und aus der momentanen Sicht gesehen wird mich diese LP wohl auch noch eine Weile begleiten. Da ist es natürlich äußerst spannend, wenn schon ein gutes Jahr später der unmittelbare Nachfolger dazu erscheint. Prinzipiell erstmal keine Sache, die man diesem Typen nicht zutrauen würde. Seine Songs waren noch nie die komplexesten der Welt und bereits in der Vergangenheit war die Frequenz, mit der der Texaner veröffentlichte, einigermaßen sportlich bei solider Qualität der selbigen. Und als mit Come to Me Now im März die erste Single erschien, war ich tatsächlich ziemlich hibbelig. Ich wollte unbedingt, dass der neue Longplayer City Music richtig gut wird. Entsprechend groß war dann erstmal meine Enttäuschung ob dieses ersten Songs. Die neue Platte mit einem so abgehangenen Slowburner zu promoten, ließ einem nicht wirklich das Wasser im Mund zusammenlaufen und auch nach wiederholtem Hören ging das unangenehme Gefühl nicht weg. Die darauf folgenden Auskopplungen machten auf mich ebenfalls nicht wirklich einen besseren Eindruck. Woraus ich erstmal schloss, dass ich City Music garantiert nicht mögen würde. Ich war mir eigentlich fast sicher. Aber genau hier setzt die gewisse Morby-Magie ein, die auch Singing Saw schon so fantastisch machte: Ein Album von diesem Typen ist nämlich erst dann wirklich relevant, wenn man es in seiner Gesamtheit hören kann. Denn innerhalb dieses Kontextes versteht es der Songwriter meisterhaft, Stile gegeneinander auszuspielen, Sounds zu koppeln, musikalische Kontraste zu schaffen und im besten Fall noch gesanglich perfekt abzuschmecken. Und wenn ich ehrlich bin, hat Morby in dieser Disziplin hier seinen bisherigen Höhepunkt erreicht. Wo der Vorgänger noch Songs als einzelne Blöcke verschachtelte, geht die neue LP wesentlich tiefer in die Feinabstimmung, reguliert sich sozusagen selbst und verzichtet auf krasse Ausreißer. In Sachen Songwriting erinnert Morby dabei stark an Leute wie Patti Smith oder die Solo-Beatles, er ist allerdings auch wesentlich mehr er selbst geworden. Die Referenzen hier sind fast überall subtiler und dort wo sie es nicht sind, werden sie geschickt auf den inhaltlichen Teil abgeschoben (wie in 1234, einer großartigen Verbeugung an die Ramones). Allgemein hat das vielleicht die Folge, dass City Music nicht so viele Hits parat hat wie das letzte Album, aber schlechter macht es das noch lange nicht. Denn stattdessen haut der Flow der Platte hier makellos hin und es gibt keine einzige Nummer, die nicht mindestens gut wäre. Man könnte also sagen, diese Platte ist Kevin Morby für Fortgeschrittene. Wobei den größten Fortschritt hier sicherlich der Künstler selber gemacht hat. Wo er auf Singing Saw neugierig machte, verblüfft er hier und wo er beim letzten Mal coole Hits schrieb, macht er hier ein Album, das eine Stimmung auf Händen trägt, die richtig Bock macht. Und das ist es letztendlich, was einen guten Songwriter von einem unterscheidet, der zu einem meiner Lieblingsmusiker werden könnte. Kevin Morby ist gerade auf dem besten Weg dahin.





Persönliche Highlights: Come to Me Now / Crybaby / 1234 / Aboard My Train / Dry Your Eyes / City Music / Caught in My Eye / Night Time / Pearly Gates

Nicht mein Fall: Flannery

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Dienstag, 20. Juni 2017

This Girl is On Fire

Im November diesen Jahres wird Ella Yelich-O'Connor aus Auckland, Neuseeland, 21 Jahre alt. Ein Alter, in dem ich gerade mal ein gutes Jahr lang studiert haben werde, nicht weiß, wann ich das nächste Mal umziehen muss und meine finazielle Existenz von Sachbearbeiter*innen des lokalen BAFöG-Amtes abhängig ist. Ella hat stattdessen schon mit 16 ein Nummer-Eins-Album veröffentlicht, ist zum sicherlich größten bisherigen Popstar ihres Heimatlandes geworden und hat die Art und Weise, wie wir den Mainstream 2017 wahrnehmen, entscheidend geprägt. Das Phänomen, das sich Pure Heroine nennt, ist auch heute, gut vier Jahre später, noch ziemlich unfassbar und ziemlich faszinierend. Lorde ist mit ihrem vehement gegen den Strich gebürsteten, eigentlich völlig radiountauglichen Debüt (das ich tatsächlich auch ein winziges bisschen langweilig fand) nicht nur zur seelischen Stimme zigtausender Millenials geworden, sondern hat auch die Musikindustrie mehr als einmal ordentlich durchgekerchert. Nach dem Riesenhit Royals von 2013 wollten plötzlich alle großen Namen im Mainstream auch so eine schick introvertierte, minimalistische Understatement-Platte haben, beziehungsweise mussten es. Und auf einmal waren Justin Bieber, Zayn Malik, Beyoncé Knowles und sogar Britney Spears genauso einsam und missverstanden wie das Mädchen aus Auckland. So ein Zufall. Doch was war mit Lorde selbst in all dieser Zeit? Während die Welt (nicht nur die der Musik) scheinbar auf jede ihrer Bewegungen fixiert war, machte diese sich mehr und mehr rar. Abgesehen von ein paar Features und Soundtrack-Beiträgen gab es absolut nichts zu hören und je mehr die Fans nach neuem Material lechzten, desto weniger passierte. Die Erlösung kam dann endlich Anfang diesen Jahres mit dem Song Green Lights. Wobei Erlösung vielleicht das etwas falsche Wort dafür ist, denn eigentlich war vieles daran eher verstörend. Von Understatement und introvertiertem Minimalismus war hier nicht mehr viel zu hören, der Track war eher ziemlich geladen. Es klang, als wäre Lorde selbst zu einem der Popstars geworden, die sie eigentlich schon besiegt hatte. Und nachdem man den ersten Schock verdaut hatte, wurde man nicht wirklich schlau daraus. Auch die nächsten Singles Liability und Sober waren in dieser Hinsicht nicht wirklich hilfreich. So langsam beschlich mich also das Gefühl, dass für das kommende Album Melodrama mein persönliches Worst Case-Szenario eintreten würde: Nämlich, dass es belanglos sein würde. Und bis zu seiner Veröffentlichung wurde dieses Gefühl nur noch stärker. Zum Glück ist diese Künstlerin aber wieder mal schlauer, als wir alle vermutet haben und hat mir bewusst diese Falle gestellt. Nur damit ich feststelle, wie alles auf der fertigen LP plötzlich Sinn ergibt und doch ganz wunderbar funktioniert. Zwar ist Melodrama mit Sicherheit das bisher hedonistischste Projekt, das sie gemacht hat und ja, einigen Fans des Debüts wird das übel aufstoßen, doch dieser Schritt geschieht in keinem Moment unüberlegt. Man kann vielen dieser Songs anfühlen, dass die Songwriterin hier jede Menge Herzblut reingesteckt hat und dieses Album wirklich machen wollte. Das entschuldigt vielleicht nicht, dass ihr Gesangsstil zu puckernden Dancepop-Hymnen und R'n'B-Feuerwerken nicht so richtig passen will, aber diese Tatsache einfach zu ignorieren, ist nicht die schlechteste Lösung. Und wenn dafür Songwriting, Gesamt-Flow und Kreativität auf diesem Level sind, passt das schon. Zumindest für mich ist es gerade dadurch genau das richtige: Mit Pure Heroine wurde ich nie so recht warm, weil ich es ziemlich monoton fand und diesen Vorwurf kann man der neuen Platte keineswegs machen. Viel eher versucht Lorde hier ein paar Sachen zu viel, was aber auch wurscht ist, weil sie die verschiedenen Stile so gut verschachtelt, dass das Album in keinem Moment fremdelt. Ganz nebenbei ist sie textlich mal wieder herrlich unverblümt und schafft es erneut, haufenweise frustrierten Twens aus dem Herzen zu sprechen. Empowerment sollte einer ihrer vielen Vornamen werden. So weit so gut. Doch wirklich restlos begeistert bin ich von der Künstlerin auch hier noch nicht. Was Lorde kompositorisch im Vergleich zum Vorgänger gewonnen hat, das hat sie klanglich verloren. An vielen Stellen der Platte ahnt man, auf was dieser bestimmte Moment jetzt hinaus wollte, doch bleibt der Song dabei meistens irgendwie stecken und kann sich nicht richtig entfalten. In Sachen Instrumentierung wurden hier teilweise sehr billig klingende Sounds verwendet, was der angedachten Größe vieler Stücke nicht entspricht. Das fällt besonders in zurückhaltenden Cuts wie Liability oder Writer in the Dark auf, die sich einfach zu sehr auf diese mittelmäßige Klanggestaltung verlassen. Es mag wie eine Kleinigkeit erscheinen, doch es ist mir während der gesamten 40 Minuten des Albums immer wieder aufgefallen. Und wenn ich mich frage, was mich im Endeffekt daran gehindert hat, diese LP so zu genießen, wie ich es gern getan hätte, ist dieser Faktor der springende Punkt. Dennoch ändert dieser Umstand nichts daran, dass mich Melodrama positiv überrascht hat. Dafür, dass ich vorher glaubte, es hassen zu müssen, mag ich es doch sehr gerne und in manchen Belangen ziehe ich es Pure Heroine sogar vor. Mit dieser Platte ist es nicht mehr ganz so krass, sich Lorde als Popstar vorzustellen, doch sie bleibt noch immer eine Kuriosität des Mainstream-Kosmos. Nächste Woche wird dieses Album wahrscheinlich irgendwo auf Eins gehen und es hat etwas schönes, dass das 2017 niemanden mehr wundert. Auf diesen Lorbeeren darf Frau Yelich-O'Connor sich ruhig ein bisschen ausruhen.





Persönliche Highlights: Green Light / the Louvre / Hard Feelings / Loveless / Sober II (Melodrama) / Perfect Places

Nicht mein Fall: Writer in the Dark

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Montag, 19. Juni 2017

Unendliche Weiten

Auf einmal geht es dann eigentlich ziemlich schnell. Nachdem die ersten Songs da waren, kam schnell der nächste mit dem ersten Video. Es kamen Konzerte, Interviews, diverse Promo-Geschichten und ehe man sich versieht, sind die 55 Minuten, die Crack-Up dauert, auch schon wieder zu Ende. Es erscheint fast ein bisschen albern, dass man quasi seit März 2011, als das letzte Fleet Foxes-Album Helplessness Blues gerade mal draußen war, wie verrückt auf diesen Moment gewartet hat. Dass man jedes Jahr wieder gehofft hat, dass es vielleicht diesmal was wird und sich die Band endlich mal aufrafft. Dass man jedes noch so kleine Zeichen auf neues aufgesogen hat, nur um über sechs Jahre lang so gut wie gar nichts davon zu bekommen. Und man ist jetzt vielleicht ein bisschen enttäuscht, weil man vielleicht doch ein bisschen etwas anderes erwartet hatte. Nach dem feierlichen, farbenfrohen und aufbrausenden Helplessness Blues wirkt die neue LP beim ersten Hören seltsam blass, ereignislos und reduziert. Wenige überbordende Refrains, wenige melodische Hakenschläge und so gut wie keine klassischen Folksong-Strukturen. Vieles wirkt irgendwie komplex, aber dennoch verhältnismäßig minimalistisch für diese Musiker. Erster Eindruck: fremdelnd. Doch wenn man von den Vorgängern der Fleet Foxes eines gelernt hat, dann dass man sich im Falle einer aktuellen Platte von ihnen nie an deren Vorgänger orientieren sollte. Die Liebe für das Debüt der Band aus Seattle machte schon einige Fans blind für die Schönheiten ihres Zweitwerks. Und es empfiehlt sich definitiv, auch an Crack-Up so unvoreingenommen wie möglich heranzugehen. Denn was Robin Pecknold und Kollegen hier veranstalten, ist allermindestens faszinierend. Sowohl für diejenigen, denen mal wieder einer darauf abgeht, was hier in Sachen Sound und geleistet wurde als auch für die, die geräumige Melodien besonders gerne haben. Wenn ich die Ästhetik dieser Platte verbildlichen müsste, so würde ich sagen, sie klingt wie ein sehr buntes Gemälde in einem großen, weißen Raum. Und man darf eben nicht den Fehler machen, sich von diesem leeren Raum täuschen zu lassen. In den elf neuen Songs werden weniger geniale Ideen untergebracht als auf dem Vorgänger, schon klar. Aber den Ideen, die letztendlich untergebracht werden (und die zumeist echt atemberaubend sind) wird hier jede Menge Raum zur Entfaltung gegeben. Das bedeutet zwar, dass man einige Hördurchgänge braucht, um bei dieser LP wirklich in den vollen Genuss zu kommen, aber dafür lohnt es sich dann auch gewaltig. Die Songs fließen in vollendeter Perfektion vor sich her, sind unglaublich detailliert, bauen ihre Atmosphäre sorgfältig auf und entladen diese ebenso achtsam wieder. Stücke wie Fool's Errand oder Kept Woman, die für sich wirken, gibt es eher wenige, dafür eine ganze Reihe überbordender, vielschichtiger Slow-Burner, die nur auf den ersten Blick wie Füllmaterial wirken. Denn tatsächlich erschaffen sie einen Album-Sound, aus dem letztendlich nur einzelne Momente wirklich ausbrechen, nur um wieder in den Gesamtklang zurückzufinden. Gerade in Tracks wie Mearcstapa merkt man dabei den immensen Einfluss, den Jazz-Künstler wie Miles Davis oder John Coltrane hier hatten, jedoch eher strukturell als kompositorisch. Denn in dieser Hinsicht feiern Fleet Foxes auch diesmal den progressiven Folk der späten Sechziger und frühen Siebziger, allen voran Sänger Pecknold als federführender Erzähler, der den roten Faden zwischen allen Songs spinnt. Er ist für Fans der Vorgänger vielleicht das wichtigste Bindeglied, denn in den meisten sonstigen Belangen hat die Band hier den Draht zu der Band gekappt, die sie vor sechs Jahren war. Crack-Up ist ein Album, das über konkreten Vergleichen, Beschreibungen und Wertungen hinwegschwebt und so nur noch schwer zu fassen ist. Diese Musik in klare Worte zu fassen, ist wahnsinnig kompliziert und der Versuch ist es am Ende auch nicht wert, denn gerade dieses ätherische Sein der Stücke macht die Platte so faszinierend. Es scheint, als seien Fleet Foxes nunmehr nur die Schausteller, die jene seelenvollen Klänge greifbar machen und ihre Essenz so gut wie möglich auf Platte zu pressen. Und in diesem Vorhaben sind sie momentan die absoluten Perfektionisten. Crack-Up ist am Ende vielleicht auch nicht mein Lieblingsalbum von ihnen, doch ich muss anerkennen, dass sie hier in ein komplett neues Kapitel ihres Schaffens aufgemacht haben, das ihr Genie endgültig manifestiert. Von hier aus können sie stilistisch überall hin. Und ich merke schon jetzt, dass ich direkt wieder sehr neugierig bin, wohin diese Reise geht. Auch wenn ich darauf garantiert wieder etliche Jahre warten muss.





Persönliche Highlights: I Am All That I Need / Arroyo Seco / Thumbprint Scar / Kept Woman / Third of May / Odaigahara / Mearcstapa / On Another Ocean (January / June) / Fool's Errand / I Should See Memphis / Crack-Up

Nicht mein Fall: -

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Sonntag, 18. Juni 2017

Hausaufgaben gemacht

Als ich vor ungefähr vier Jahren das erste Mal die Arbeit des New Yorker Rappers Billy Woods entdeckte, war mir sofort klar, dass dieser Typ mit seiner Musik etwas besonderes tat. Im Gegensatz zur großen Masse der Szene war er jemand, dem es in seinen Songs unglaublich wichtig war, Bilder zu erzeugen und Geschichten zu erzählen, anstatt einfach nur die ganze Zeit über sich selbst zu reden. Noch mehr als die allermeisten Künstler*innen, die sich gemeinhin gerne als "Conscious Rapper" bezeichnen, waren seine Platten wirklich tiefgreifende Porträts verschiedenster Lebenswelten und waren in gewisser Weise mehr als bloße Musikstücke. Wer Platten wie History Will Absolve Me und seine ersten beiden Armand Hammer-Projekte hört, wird meinen Standpunkt verstehen. Und weil ich diese Arbeiten so liebe, habe ich in den vergangenen Jahren immer große Stücke auf Woods gehalten. Teilweise so große Stücke, dass ich nicht so richtig merkte, wie sehr er seitdem nachgelassen hat. Nicht nur quantitativ ist sein Output ziemlich zurückgegangen, auch inhaltlich geht es nicht mehr so arg zur Sache. Seine letzte richtige LP Today I Wrote Nothing von 2015 war eher eine Lose Sammlung diverser Anrisse von Themen und als solche auch ziemlich durchwachsen. Bis dahin ein einmaliger Ausfall, der auch jemandem wie ihm mal passiert. Allerdings auch ein Grund, um sich als Fan Sorgen zu machen. Würde Billy Woods am Ende vielleicht doch zu einem unter vielen werden? Wenn man sich sein neuestes Projekt Known Unknowns anhört, kann man zumindest feststellen, dass der Rapper das selbst nicht möchte. Allein schon mit der Verpflichtung der Ninja Tune-Untergrund-Legende Blockhead für die Produktion hat er sich für einen weiterhin spannenden Ansatz entschieden und stilistisch ist diese Platte schon wieder deutlich ambitionierter. In Sachen Sound finden sich hier erneut Ähnlichkeiten zum grobschlächtigen Jazz-Rap seiner ersten beiden Alben, wobei die klanglichen Kanten hier doch deutlich abgerundet sind. Teilweise sorgt das für tolle Überraschungsmomente über die plötzliche Milde der Tracks, wie in Unstuck, Strawman oder Fall Back, an anderen wiederum fehlt eben genau diese, um den Nachdruck des Inhaltes auch im Beat zu finden. Mit seiner unglaublichen Leidenschaft für Details und coolen Samples macht der Producer aber dennoch einen sehr guten Job, der über den einer reinen Kontrollinstanz weit hinaus geht. Eigentlich müsste sein Name direkt neben dem von Woods auf dem Cover stehen. Doch natürlich lebt auch Known Unknowns gerade von dessen deftigen, lyrischen Stories und Portäts. Seine fast kurzgeschichtenhafte, literarisch unterfütterten Szenen aus den New Yorker Straßenleben sind hier erneut auf dem Niveau, das ich auf dem Vorgänger vermisste und haben nichts von ihrer dreckig-kaputten Attitüde verloren. Die Geschichten sind zwar äußerst komplex und gerade mit Sprachbarriere nicht einfach zu durchsteigen (Danke, Rapgenius!), doch man sollte sich die Zeit dafür wirklich nehmen. Die großartigen textlichen Bilder, Eindrücke und Metaphern belohnen dafür so nachhaltig wie ein gutes Buch. Wenngleich man mit dieser Platte vielleicht nicht anfangen sollte, Billy Woods zu hören. Sowohl musikalisch als auch inhaltlich ist Known Unknowns die bis dato vielleicht schwierigste Platte des New Yorkers. Besonders catchy waren seine Stücke ja noch nie, hier ist es jedoch besonders schlimm. Und wenn man dazu noch die zig literarischen und historischen Referenzen addiert, die Woods hier macht und die nicht gerade Einsteiger-Niveau sind, muss man schon sehr motiviert sein, hier wirklich alles aufzunehmen. Wenn zwischen den Parts des Hauptakteurs Auftritte von Leuten wie Aesop Rock oder Elucid verhältnismäßig entspannend wirken, muss schon irgendetwas im argen sein. Neueinsteiger sollten sich also vielleicht erstmal ältere Sachen antun. Dennoch ist diese Komplexität nur bedingt ein Nachteil dieses Albums, da sie den Inhalt hier eben auch ungemein bereichert. Und gerade die Tatsache, dass Billy Woods so etwas in HipHop-Lyrics einbindet, macht ihn ja so besonders. Am Ende gehört diese Platte deswegen auch zu den wirklich guten in der Diskografie des New Yorkers. Man muss ihm vorwerfen, dass er sich hier für die vielleicht etwas sinnlose Vertiefung des bekannten Stils entscheidet statt für wirkliches künstlerisches Vorankommen, doch war letzteres bei ihm bisher auch immer weniger zufriedenstellend. Und hier ein konservatives, aber gutes Album zu hören, ist mir tausendmal lieber. Wenigstens muss man keine Angst mehr haben, dass Billy Woods nichts mehr zu erzählen hat.





Persönliche Highlights: Bush League / Unstuck / Wonderful / Superpredator / Fell Back / Everybody Knows / Nomento / Washington Redskins / Tupac Jackets / Source Awards / Strawman / Gazpacho / Keloid

Nicht mein Fall: Groundhogs Day

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Mittwoch, 14. Juni 2017

Nicht witzig

Man war in diesem Frühjahr wieder schnell dabei, über Bushido zu lachen. Die sogenannte Promophase von Black Friday, in denen Sonny Black diverse "Ansage-Videos" mit Überlänge auf Youtube schaltete, war diesmal besonders wahnwitzig und unterhaltsam. Der Rapper redete darin über jeden Blödsinn der Welt, hatte Beef mit der Deutschen Post, maulte seinen Kameramann voll und trug einen falschen Bart, was in der Szene natürlich für jede Menge Meme-Potenzial sorgte. Man kann dabei spekulieren, ob das jetzt Absicht war oder nicht, aber Fakt ist auf jeden Fall, dass dieser Zirkus mit der Musik des neuen Albums reichlich wenig zu tun hat. Denn geht es darum, gibt es bei Bushido keinen doppelten Boden. Auch 2017 macht der Berliner noch immer sehr bodenstänigen, konservativen und stabilen HipHop, der aber auch nach wie vor dort trifft, wo er treffen soll. Diejenigen, die sich vor den ersten Singles schon die Hände gerieben hatten, waren danach plötzlich ziemlich still, weil die Songs wider Erwarten doch ablieferten. Sie waren keinesfalls grandios oder irgendwie besonders, aber die Lines stimmten, die Beats waren cool und dass Sonny eine Attitüde hat, sollte klar sein. Ich war mir am Anfang noch nicht ganz sicher, ob dieser Anspruch für ein komplettes Album reichen würde, doch mittlerweile muss ich sagen, dass hier definitiv nicht zu viel versprochen wurde. Black Friday ist ein wie gewohnt grundsolides Projekt, das keine künstlerischen Höhenflüge aufweist, aber auf dem auch jeder Handgriff sitzt. Experimente wie das Feature von M.O.030 in Gehen wir rein werden klein gehalten, dafür verlässt man sich auf das, was schon immer irgendwie funktioniert hat und auch weiterhin funktioniert. Auf der einen Seite das Aufrechterhalten der Credibility in Form ein paar deftiger Banger wie Sodom & Gomorrha oder CCNDNA, auf der anderen die emotionale Keule wie zum Beispiel auf Papa oder Oma Lise. Das tolle ist dabei, wie Bushido diese beiden doch sehr verschiedenen Stile hier ausbalanciert, mittlerweile ist er darin wirklich sehr gut geworden. Auch in Sachen Bars gibt es hier einiges zu hören, was ich ehrlich gesagt die größte Überraschung finde. Was Gäste angeht, so hat Sonny hier definitiv aufgetischt, auch wenn die Platte hier gleichfalls sehr konservativ bleibt. Fler afft auf CCNDNA einen äußerst unbefriedigenden Part, dafür sind die Auftritte von Ali Bumaye und Shindy wirklich erste Sahne. Etwas unverhofft kommen die Beiträge von AK Ausserkontrolle, Laas Unltd. und M.O.030, doch sie gehören definitiv nicht zu den schlechtesten Dingen an dieser LP. Und solange Sonny Black selbst immer mindestens gleich gut ist, kann man eigentlich auch nicht meckern. Am Ende bleibt Black Friday also das, was auch die letzten Bushido-Platten waren. Zwar gehört dieses Projekt eindeutig zu den besseren Sachen der letzten Jahre, man könnte es sogar ein Highlight seiner Diskografie nennen, es wird aber weder bei mir noch bei den alten Fans für Luftsprünge sorgen. Wem die Musik des Berliners nicht zu altbacken oder statisch ist, dem würde ich auf jeden Fall empfehlen, sich das hier anzuhören und vielleicht gefällt es ja sogar dem ein oder anderen Traphead. Nur wer darüber Witze machen will, wird hier ganz sicher nicht glücklich werden. Nicht heute und nicht mit Bushido.





Persönliche Highlights: Black Friday / Sodom & Gomorrha / Echte Berliner / Moonwalk / Papa / Ground Zero / Switch Stance / Oma Lise / So Lange

Nicht mein Fall: Fallout / Geschlossene Gesellschaft

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Dienstag, 13. Juni 2017

Se Bastasse una Bella Canzione

Es gibt Phoenix mittlerweile seit über 20 Jahren und zumindest in der Zeit, in der ich ihre Musik aktiv gehört habe, bin ich nie wirklich schlau aus ihnen geworden. Dabei hat zwischen uns alles so schön angefangen: Als ich die Band aus Versailles 2009 zum ersten Mal hörte, veröffentlichten sie gerade ihr viertes Album Wolfgang Amadeus Phoenix, das in meinen Augen bis heute ihr definitiv bestes ist und von dem ich damals überhaupt erstmal lernte, was richtige Indie-Musik war. Noch immer halte ich die Platte für so gut wie perfekt und wenn ich sie höre, klingt sie frisch wie am ersten Tag. Doch leider Gottes ist sie in der Diskografie der Franzosen ein einmaliges Highlight. Sowohl davor als auch danach gibt es wenig mehr als einzelne Songs, die mich so richtig vom Hocker reißen und die ich als nachhaltig feierbar empfand. Gerade ihr letzter Longplayer Bankrupt! von 2013 ist mehr als fragwürdig und egal wie oft ich ihn gehört habe, ich komme damit nicht auf einen Nenner. Das neue Album Ti Amo stand also von Anfang an nicht unter dem besten Stern. Andererseits sind seit Bankrupt! auch schon vier Jahre ins Land gegangen und es war bei Phoenix eigentlich immer so, dass man bei jeder neuen LP wieder von Null anfing. Ferner war mit J-Boy die erste Leadsingle dieser Platte mal wieder ein richtiger Hit, der jede Menge Hoffnung auf gutes machte. Die Daumen konnten also gedrückt werden. Und tatsächlich spürt man mit Ti Amo wieder einen kleinen Aufwind in der Musik der Franzosen. Die tollen, knalligen Hooks und packenden Synth-Flächen funktionieren hier wieder einwandfrei und nebenbei traut sich die Band auch erneut, diese in ausgewählten Momenten zurückzuhalten. Genau diese Parameter machten Wolfgang Amadeus Phoenix vor acht Jahren so genial und ohne dass diese hier kopiert werden, bauen Phoenix wieder schicke Nummern wie Lovelife oder Fior di Latte daraus. Und eigentlich hätte das für eine äußerst akzeptable neue LP auch gereicht. Doch genau das will die Band 2017 eben nicht mehr machen und entscheidet sich deswegen dafür, eben diesen Sound ins Lächerliche zu ziehen. Schon auf Bankrupt! gab es diese Anbiederung an thrashige Gimmicks, die ich ganz furchtbar fand und leider findet sie auch hier wieder statt. Da gibt es beispielsweise Momente wie den Titeltrack, wo Phoenix es für schlau halten, allerlei fremdsprachige Vokabeln einzustreuen. Als Idee nicht schlecht, doch wirken sie dabei wenig kosmopolit, sondern eher wie Pitbull, der ein bisschen Latin-Flair einstreuen will. Auch ihre Flirts mit Italo-Pop oder französischem Schlager (ebenfalls in Originalton) bleiben eher zögerlich und verhalten, was in manchen Fällen echt total schade ist. Telefono zum Beispiel hätte an manchen Stellen einem Umberto Tozzi alle Ehre gemacht, doch ist dafür am Ende doch noch zu verhuscht. Und im großen und ganzen ist das so ziemlich das Grundproblem von Ti Amo. Vielleicht soll das hier ja ein Album sein, das mit europäischem Schlager spielt, doch hört man die Überzeugung dafür noch nicht so richtig raus. So klingt es eben wie eine typische Phoenix-Platte, die sich nebenbei ein paar witzige Albernheiten genehmigt und das ist in dieser Mischung eben ein bisschen awkward. Allerdings erkenne ich im Ansatz etwas ziemlich cooles hier, von dem ich mir innig wünsche, dass es weitergeführt wird. Vielleicht nicht unbedingt von dieser Band, aber von jemandem, der wirklich mutig genug dafür ist. Denn wer sich unironisch mit französischen und italienischen Schlagern auseinandersetzen will, der braucht ein dickes Fell.





Persönliche Highlights: J-Boy / Tuttifrutti / Lovelife / Telefono

Nicht mein Fall: Ti Amo

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Montag, 12. Juni 2017

Kajal auf Zuckerwatte

Es fällt mir ein bisschen schwer, Cigarettes After Sex hier gleich am Anfang als Newcomer zu bezeichnen, denn streng genommen sind sie alles andere als das. Zwar erscheint mit dieser selbstbetitelten LP tatsächlich ihr erstes richtiges Album, doch dessen eigentlicher Vorlauf ist bereits länger als die gesamte Karriere manch anderer Band. 2001 in El Paso gegründet sind die Texaner einer dieser Acts, die sich sehr behutsam den Weg in die Öffentlichkeit getastet haben und die eine Menge Geduld mit ihrem Output an den Tag legen. Erst 2015 gab es eine erste EP des Quartetts und schon da wurden die ersten Experten hellhörig, was dieser Dreampop so alles konnte. Und spätestens mit dem nun folgenden Debüt sind Cigarettes After Sex der Geheimtipp schlechthin, wenn es um seicht-kitschigen Sommer-Indiepop für melancholische Emo-Bohemiens geht. Viele der Songs hier erinnern stark an  Bands wie Beach House, A Sunny Day in Glasgow oder auch the XX, also allgemein an sehr gediegene Musik. Allerdings legt die Formation in dieser Hinsicht noch einige Schippen drauf. Der Ansatz ihres Zuckerwatte-Shoegaze ist es, die maximal lahmarschigsten und drögesten Tracks zu schreiben und diese mit einer dermaßenen Vollendung von Null-Bock-Attitüde zu performen, dass diese jeder Doom-Metal-Kapelle spottet. Und ich bin mir sicher, dass es jede Menge Leute gibt, die das ganz bestimmt zum Kotzen finden. So dachte ich zuerst auch über diese Platte und wollte sie nicht weiter hören. Doch ich muss gestehen, dass eben diese Ästhetik für mich etwas wahnsinnig faszinierendes hatte, das mit wieder zurückholte. Denn dadurch, dass Cigarettes After Sex Langsamkeit und Trägheit als bewusstes Stilmittel einsetzen, wirken ihre Stücke wie die unbewohnte dunkle Seite des Dreampop, auf der die Ängste und Depressionen warten. Das wird auch sehr deutlich durch Greg Gonzalez' Texte unterstützt, die statt Blumenkranz-und-Sonnenuntergangs-Melancholie von Todesfantasien, Alpträumen und emotionaler Isolation handeln. Seine Melodien klingen dazu so, als würde er über all diese seelischen Abgründe den völlig ungenügenden Filter eines falschen Lächelns legen, um unter den ganzen fröhlichen Surfer-Kids nicht aufzufallen. Musikalische Tempi, die kurz vor der Grenze zum Ambient liegen, große Betonung auf Basslines und bloß nicht zu viel überzogenes Schmuckwerk. Songs wie Opera House oder Each Time You Fall in Love sind wenig mehr als Melodie-Gerippe und Gonzalez' Gesang haucht dem ganzen nicht wirklich sehr viel mehr Lebendigkeit ein. Das ganze Konzept ist also maximal monoton und ausgemergelt, doch besteht gerade darin der grandiose Charakter und Charme dieser LP. Cigarettes After Sex haben mit ihrem Debüt definitiv etwas einzigartiges gemacht und man merkt schon hier, dass sie eine Ästhetik auch durchziehen, wenn sie einmal damit angefangen haben. Selbst wenn diese von den meisten Leuten wahrscheinlich gehasst werden wird. Aber zum Fan-Liebling taugt diese Band ohnehin nicht. Dazu sind sie einfach zu grumpy.





Persönliche Highlights: K / Each Time You Fall in Love / Apocalypse / Sweet / Opera House / Truly / John Wayne / Young & Dumb

Nicht mein Fall: Flash

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Sonntag, 11. Juni 2017

Mr. Worldwide

Ich finde, viele Musiknerds haben in den letzten Jahren oft den Fehler gemacht, Omar Souleyman als dieses exotische Ethno-Ding zu verkaufen, eine Art syrischen Ibrahim Ferrer, der erst so richtig relevant wurde, als ihn irgendwelche europäischen Produzenten (in diesem Fall Modeselektor aus Berlin) entdeckten. Dabei war Souleyman noch nie etwas anderes als ein Popstar und dass so etwas im nahen Osten etwas anders klingt als hier, bedeutet nicht, dass er das hier nicht sein könnte. Bereits auf seinen unzähligen Hochzeits-Bootlegs, durch die er berühmt wurde verwendete er vornehmlich elektronische Instrumentierung und wenn sein Debüt Wenu Wenu keine Dancefloor-Platte ist, dann würde auch niemand zu Avicii tanzen. Dass ausgerechnet ein Syrer mit dermaßen lebensbejaender, optimistischer Musik zu Erfolg kommt, ist so paradox wie wunderbar und daher ist es nur passend, dass 2017 seine bisher fetteste und feierbarste LP erscheint. Mit To Syria, With Love hat sich Omar Souleyman endgültig auf einem europäischen Label niedergelassen und in gewisser Weise hört man das auch: Viele der Sounds hier sind noch weniger traditionell als auf seinen beiden Vorgängern und die Produktion hier ist noch einen zacken schärfer und polierter. Man könnte daher meinen, dass der Signatur-Stil des Musikers dadurch leidet, doch tatsächlich ist in den meisten der sieben Tracks hier das Gegenteil der Fall. Songs wie Ya Boul Habar oder Aenta Lhabbeytak sind auf diese Weise nämlich definitiv keine folkloristisch eingeschränkten Pop-Banger mehr, sondern klingen wahnsinnig kosmopolit. Im Kern hört man zwar immer noch die starke Feder syrischer Volksmusik, die Souleyman ja auch großartig repräsentiert. Doch Sachen wie Ad-Libs, Handclap-Beats, synthetische Fanfaren, Akkordeon, Akustikgitarren und dergleichen sind tolle Neuerungen seines Sounds, die auch überraschend gut funktionieren. Teilweise unternehmen die Stücke sogar Exkurse in andere Folk-Gattungen wie Latin Jazz oder Flamenco (Ganz zu schweigen von so Sachen wie Dancehall, House oder EDM), wobei der rote Faden jedoch stets elektronisch und extrem tanzbar bleibt. Ginge es nach mir, würden Songs von To Syria, With Love in jedem Club zwischen Major Lazer und DJ Mustard laufen, weil sie genau dort hingehören. Denn das hier ist keine elitäre Nischenmusik für ausgewählte Fans von syrischem Ethno-Folk, das hier ist absoluter Mainstream-Pop. Und ich finde, so könnte er auch behandelt werden. Schon allein, um ausnahmsweise mal gute Nachrichten aus einem Land zu bekommen, das im Moment quasi schon nicht mehr existiert. Politisch wie materiell. Musik ist da sicherlich der beste Weg für Optimismus, besonders wenn es so gute ist. Und nebenbei bereichert diese hier auch noch das, was manche Leute gerne "abendländische Kultur" nennen, um ein Vielfaches. Gründe, diese Platte zu hören, sollte es also definitiv genügend geben.

Persönliche Highlights: Ya Boul Habar / Es Samra / Aenta Lhabbeytak / Khayen / Mawal / Chobi

Nicht mein Fall: -

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Donnerstag, 8. Juni 2017

Fließende Bewegungen

Eigentlich sind Graveyard an dem ganzen Schlamassel schuld. Hätte es nicht vor sechs Jahren ihr großartiges Album Hisingen Blues gegeben, hätten sich nicht kurz danach tausende Kackbands auf dem ganzen Erdball gegründet, die guten, rustikal gemachten Proto-Metal direkt wieder zu einem verwässerten Modeding gemacht hätten und dann hätte ich sicher auch bessere Sachen aus dieser Ecke gehört. Durch meinen leidenschaftlich gehegten Groll auf langhaarige, schnauzbärtige Gitarrengruppen mit Vintage-Equipment und Lederkutten, den mir so Leute wie Horisont und Blues Pills verpassten, habe ich in den letzten Jahren anscheinend einige ziemlich gute Platten verpasst. Es hat gedauert, bis ich gelernt habe, dass eben nicht alles an diesem Stil scheiße ist und dass Projekte wie Wolf People, Pallbearer oder Orchid in dieser Zeit ein paar echt gute Sachen gemacht hatten. Und zu den Bands, die ich verschmähte, gehörten leider Gottes auch Elder. Schon vor zwei Jahren wurde deren drittes Album Lore von mehr Leuten gefeiert als nur von denen, die aussahen wie die Musiker selbst und spätestens wenn das passiert, sollte ich über mein Verhalten nachdenken. 2017 bin ich ein besserer Mensch und bespreche das Trio aus Massachussets, allerdings auch aus zwei anderen Gründen. Zuerst mal musste ich feststellen, dass die Gruppe seit geraumer Zeit auf dem von meiner Lieblingsband Motorpsycho höchstpersönlich kuratierten Label Stickman veröffentlicht. Und wenn jemand Geschmack für gute Rockmusik hat, dann definitiv diese Leute. Zweitens waren die Schnipsel von Reflections of A Floating World, die im Vorfeld zu hören waren, eine ziemliche Gönnung. Was Leadgitarrist Nick DiSalvo hier auf seinem Instrument anstellte, war etwas für die ganz großen Experten und fantastisch produziert war es obendrein. Zum ersten Mal hörte ich, dass Elder nicht wie ich dachte eine krautig angehauchte Doom Metal-Band waren, sondern mit ihrem leichtfüßigen Psychrock quasi schon an der Schwelle zum Retro-Prog standen. Und Reflections of A Floating World ist definitiv eine Platte, die Freund*innen dieser stilistischen Mischung sehr glücklich machen wird. Genauso wie Fans sorgfältig abgestimmter Gitarrensounds und seeehr langer Instrumental-Jams. Ja, liebe Colour Haze-Nerds, ihr habt richtig gelesen! Aber wo wir schon bei Colour Haze sind, Elder teilen mit ihnen nicht nur die großen Stärken. Wenn ich die fast 65 Minuten dieser LP so vor mir sehe, dann haben beide Bands auch die exakt gleichen Probleme in ihrer Musik. Große Teile der Tracks verlassen sich zu sehr auf DiSalvos Gitarre und die wird trotz großen Gniedel-Talents irgendwann doch ziemlich langweilig. Vor allem, da man auch hier gewisse Riff-Präferenzen ein paar mal zu oft hört und unter acht Minuten Spielzeit hier bei keinem der sechs Stücke irgendwas geht. Zwar halten Elder mit Gesang, Keyboards, Orgeln und sogar ein paar Piano-Parts fleißig dagegen, doch Reflections... ist und bleibt ein Gitarrenalbum. Alles andere wäre ehrlich gesagt auch ein schlechter Witz. Ein weiteres schweres Manko des Albums ist, dass es am Ende doch wesentlich weniger gut produziert ist, als ich zunächst dachte. Sicher, die Leadgitarre und auch der Bass ballern im Vordergrund ordentlich rein, doch gerade die wirklich tadellose Performance von Drummer Matt Couto fällt an vielen Stellen hinten weg. Außerdem klingt das gesamte Paket sehr oft irgendwie matschig und gedämpft, was echt schade ist. Denn eine vernünftige, scharfe Aufnahme wäre diesen Songs eindeutig besser bekommen, auch wenn man auf den Vintage-Charakter dann eben mal hätte scheißen müssen. Das alles sind aber eher Faktoren, die Reflections... davon abhalten, die wirklich grandiose LP zu sein, die sie ganz sicher hätte werden können. Sie ruinieren in keinem Moment das geniale Zusammenspiel des Trios, DiSalvos beeindruckende Virtuosität und den stabilen Groove, den Elder von vorn bis hinten durchziehen. Wer also einfach jemanden sehr geil Gitarren spielen hören will oder die perfekte Platte für seinen Sonntagnachmittag-Spliff sucht, ist hier bestens bedient. Man sollte sich nur nicht wundern, wenn man ab und zu mal den Eindruck bekommt, genau diese Stelle schon mal gehört zu haben. Es sind dann ausnahmsweise mal nicht die Drogen.





Persönliche Highlights: the Falling Veil / Staving Off Thruth / Blind / Sonntag / Thousand Hands

Nicht mein Fall: Sanctuary

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Mittwoch, 7. Juni 2017

Outside the Wall

Wenn man den Großteil der eingeschworenen Musikfans der Welt fragt, sind sich die meisten sicher einig, dass man in den letzten 45 Jahren ein wirklich sehr großer Fan von Pink Floyd gewesen sein muss, um sich auch ausführlich mit dem Solo-Output der einzelnen Bandmitglieder zu befassen. Außerhalb des Kontextes der großen Prog-Helden hat niemand von denen mehr geleistet als ein paar mittelmäßige Emanzipations-Versuche, die in der Geschichte der Briten nur Fußnoten sind. Abgesehen von ein paar wenigen sehr polarisierenden Syd Barrett-Alben gibt es da nicht viel zu holen. Und so weit ich diese Platten überhaupt kenne, deckt sich meine Auffassung in diesem Punkt mit der Mehrheit. Ganz besonders Roger Waters war gerade in letzten Jahren des öfteren ziemliches Gift, weil seine Musik so zwanghaft versuchte, das letzte Quäntchen Relevanz aus der Ästhetik zu pressen, mit dem er Ende der Siebziger sein Lebenswerk the Wall gemacht hatte. Damit schöpfte er nicht nur aus lange versigten Quellen und zog den Zorn der ehemaligen Fanbase auf sich, sondern machte vor allem grandios prätenziöse, altkluge und einfach grauenhafte Musik. In gewisser Weise war Waters für mich damit zuletzt nur noch ein lachhafter Charakter, der seinen ehemaligen Kollegen noch immer nachtrug, dass sie ihn damals aus der Band geworfen hatten. Dass dieser Typ noch einmal irgendetwas machen würde, das nicht total peinlich wäre, schien mir völlig unmöglich. Und doch erleben wir genau das gerade mit seiner neuen LP Is This the Life We Really Want?. Ich bin mir nicht sicher, welche göttliche Fügung dafür sorgte, dass sich Waters vom Groll der Vergangenheit abwendete und den Gedanken fasste, stattdessen vielleicht selber ordentliche Songs zu schreiben, aber man kann auf jeden Fall dankbar dafür sein. Denn das hier ist nicht nur seine beste Performance seit dem Ende von Pink Floyd, sondern gehört locker zu den besten Soloplatten, die je ein Mitglied dieser Band gemacht hat. Zwar schwingt in den meisten der zwölf Tracks noch immer viel vom Vibe der Wall-Ära mit (ist ja auch logisch, dieser Typ hat das Ding quasi im Alleingang gemacht), aber man bekommt hier eindeutig ein souveränes, eigenständiges und vor allem zeitgemäßes Projekt von Waters. Die vielen Elemente aktueller Politik, die hier sehr explizit angesprochen werden, sprechen eine eindeutige Sprache und darüber hinaus kommt vor allem in der Komposition viel vom Charakter des Künstlers durch. Auf die gleiche Weise, wie es schon bei David Bowie und Iggy Pop unglaublich cool war, einen darbenden, alternden Sänger zu hören, ist auch Waters Stimme hier ein wichtiges Transportmittel für den Charakter des Albums. Allerdings traut er sich darüber hinaus, diese mit ordentlich orchestralem Pomp und dramatischer Instrumentierung auszuschmücken. Für jemanden, der schon mal ein Dark Side of the Moon geschrieben hat, eine leichte Übung. Über all diese Effekthascherei und den großen inhaltlichen Überbau wird hier aber auch nie das gute Songwriting vergessen. Mit viel Sportgeist werden hier schmissige Riffs, groovige Keyboard-Parts und schmerzerfüllte Balladen vom Stapel gelassen, in denen ein fantastischer Moment den nächsten jagt. Die gesamten 55 Minuten von Is This the Life... gleichen am Ende mal wieder ziemlich einer epochalen Rockoper, die offenkundige Assoziation dazu brauche ich vermutlich nicht noch einmal erwähnen. Das Album klingt nach Akoordarbeit, aber auch nach jeder Menge Spaß am Musikmachen und nach Mut, das ganz große Besteck auszupacken. Und allein für die letzte Sache gebührt Roger Waters mein großer Respekt. Nicht jeder Musiker über 70 hebt noch einmal so einen Brocken von Album und kommt dabei so gut weg. Dass dabei natürlich nicht alles super ist, erscheint da mehr oder weniger wie eine Lapalie. Die zwei, drei nur so okayen Songs fallen gegen die große Zahl an grandiosen Überraschungsmomenten kaum ins Gewicht und dass ein paar Zeilen einen leichten Cringe-Faktor aufweisen zeugt nur von der Authentizität der Platte. Ich höre tausendmal lieber, wie Roger Waters aus versehen einen etwas schiefen Ton erwischt als jede einzelne Sekunde von the Endless River. Denn hier ist jemand am Werk, der seinen Job mit Leidenschaft macht. Das ist zumindest etwas, das er seinen Kollegen voraus hat.





Persönliche Highlights: the Last Refugee / Picture That / Broken Bones / Is This the Life We Really Want? / Bird in A Gale / Smell the Roses / Wait for Her / Oceans Apart

Nicht mein Fall: the Most Beautiful Girl

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Montag, 5. Juni 2017

Jetzt auch in kredibil

Es gibt auf jeden Fall eine Menge Gründe, warum ich Kraftklub cool finde. Die Band promotet beispielsweise seit Tag Eins ihrer Existenz ihre Heimatstadt Chemnitz aka Karl-Marx-Stadt, die ja auch in echt und völlig objektiv betrachtet der allerschönste Ort auf Erden ist. Sie hat es außerdem gleich mit ihrem ersten Album geschafft, viele Leute meiner Altersgruppe anzusprechen und diesen mit dem zweiten intelligente politische Botschaften auf Mainstream-Niveau zu vermitteln. Abgesehen davon scheinen sie allesamt ziemlich coole Socken zu sein. Trotzdem habe ich schon seit Mit K von 2012 mit ihrer Musik so meine Differenzen. Kraftklub hatten in meinen Augen schon immer ein bisschen das Problem, dass sie zu oft den gleichen Song schreiben. Auf dem Adonis Maximus-Mixtape und dem richtigen Debüt war das noch okay, weil die Chemnitzer da eben neu waren und alle mit ihrem ursprünglich ja doch ziemlich coolen Sound überraschen konnten. Die Tracks von damals funktionieren für mich auch heute immer noch gut. Doch schon zwei Jahre später auf In Schwarz war es ziemlich auffällig, dass es über diesen einen coolen Sound hinweg nicht besonders viele Ideen bei ihnen gab. Jenes zweite Album war für mich als irgendwie-ja-doch-Fan eine ziemlich herbe Enttäuschung, weil es nicht nur konzeptuell genau das gleiche war wie Mit K, sondern auch ein bisschen schlampiger ausgeführt. Nach wie vor gibt es von dieser Platte keinen einzigen Song, den ich wirklich mag. Und für mein Verhältnis zu Kraftklub sah ich nach In Schwarz ehrlich gesagt (Achtung, ganz schlechter Wortwitz!) schwarz. Dementspechend überrascht war ich also, vor ein paar Monaten ihre neue Single Dein Lied zu hören, die genau das schaffte, was ich dieser Band nicht mehr zugestehen wollte: Veränderung. Zwar empfinde ich Dein Lied als alles andere als einen guten Song, er ist viel eher eine ihrer ungeschicktesten Nummern überhaupt. Wer immer die Idee hatte, Felix Brummer einen Streicher-Refrain singen zu lassen, gehört gefeuert. Doch wenigstens war er mal was anderes als die ausgeleierte Indie-Gitarren-mit-Luschen-Rap-Masche, ein Lichtblick an Erfrischung im Songwriting der Chemnitzer. Wenn Kraftklub so eine Leadsingle machten, war für Keine Nacht für Niemand zumindest nicht alles verloren. Und tatsächlich ist das Resultat hier gar nicht mal so unspannend geworden. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hat die Band hier ihre bisher vielleicht experimentellste Platte gemacht. Neue Instrumentierung, offenere kompositorische Strukturen und ein paar echt coole Gastperformances machen diese LP zu einer, die man streckenweise wirklich wieder gerne hört. Wo die ersten paar Tracks noch ziemlich konservativ klingen (der Opener Band mit dem K hätte nahtlos ins letzte Album gepasst), wird die Sache spätestens ab Am Ende mit jedem Track ein bisschen besser. Besagter Titel ist vielleicht einer meiner Lieblingssongs hier und glänzt durch eine großartige Gastperformance von Sven Regener. Des weiteren definitiv erwähnt werden müssen: Das wieder mal herrlich schlaue, politisch angeheizte Fenster mit Farin Urlaub-Gesangspart, das fast akustische Fan von dir, das überraschend elektronische Sklave und der glamouröse Closer Liebe zu dritt. Zusätzlich zur neuen Kreativität im Songwriting kommt hier eine wesentlich bessere (weil rockigere) Produktion und ein Anflug von Schöngeistigkeit in den Texten, die mir erstmal sehr gut gefällt. Bemängeln könnte man hier, dass Kraftklub in einigen Stücken nicht mehr ganz so knallige Hooks schreiben und die bisher immer so fetten Backing-Vocals manchmal etwas awkward klingen. Allerdings sind das eher Details und ich hätte nach dem furchtbaren letzten Album nicht gedacht, dass meine Liste an Nörgeleien diesmal so kurz sein würde. Und was die Band hier geschafft hat, ist eigentlich viel wichtiger: Auf Grundlage dieser neuen Impulse kann man wesentlich mehr als nur ein gutes Album machen. In meinen Augen haben Kraftklub hier ihre Arbeit neu gerechtfertigt und ich freue mich, dass ich endlich wieder Bock darauf habe, sie zu hören. Auch wenn ich hier noch alles etwas skizzenhaft ist und die Platte nur langsam vom Sound der Vorgänger wegkommt: Ich bin definitiv wieder gespannt auf mehr. Mit Keine Nacht für Niemand liegt die Kredibilität zumindest nicht mehr in ganz so weiter Ferne.





Persönliche Highlights: Am Ende / Fenster / Fan von dir / Hausverbot (Chrom & Schwarz) / Sklave / Venus / Hallo Nacht / Liebe zu dritt

Nicht mein Fall: Band mit dem K

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Sonntag, 4. Juni 2017

Pointlessness Blues

In den letzten fünf Jahren fühlt es sich ein bisschen an, als wäre ich der einzige, der Alt-J nicht für die größten überhaupt hält. Ich meine, sie sind schon okay, aber ein bisschen überbewertet eben auch. Ihr erstes Album An Awesome Wave mag ich persönlich auch sehr gerne, aber in meinen Augen hat die Band aus Leeds daran nie wirklich anschließen können. Der Nachfolger This is All Yours von 2014 war für mich eine mittelgroße Enttäuschung und ich habe seitdem ein bisschen Angst, dass die Briten eines dieser doofen One-Hit-Wonder werden, die über ein gutes Debüt nie so richtig hinauswachsen. Was unglaublich schade wäre, denn wenn man Alt-J eines nicht vorwerfen kann, dann ist das mangelnde Kreativität. Nur höre ich die bei ihnen in letzter Zeit einfach viel zu selten. Auch bei den bisherigen Singles vom neuen Album Relaxer hatte ich eher gemischte Gefühle. Meine große Frage war also, ob sie es hier schaffen würden, die Flaute des letzten Longplayers zu überbrücken und wieder so zu überraschen wie vor fünf Jahren. Die Antwort darauf lautet so, dass man ihnen zumindest anrechnen, kann dass sie es hier versuchen. Die acht neuen Tracks greifen im Songwriting wieder tiefer in die Trickkiste, wirken ein wenig vielseitiger und beinhalten eine ganze Reihe an richtig coolen Momenten. So schaffen sie es in vielen Songs wie Hit Me Like That Snare oder Last Year endlich, ihr Faible für ranzige Bluesmotive und Americana-Pathos vernünftig zu kanalisieren. Auch 3WW, der schon als Leadsingle große Hoffnungen machte, passt nach wie vor sehr gut hier rein. Im allgemeinen kann man sagen, dass auf Relaxer all die Dinge, die ich an This is All Yours nicht mochte, wesentlich besser funktionieren und spannender ausgebaut sind. Das ist ja schon mal eine gute Sache. Andererseits gibt es auch wenig wirklich neues zu hören und viele Ideen versanden auch diesmal wieder ohne großen Effekt. In den schlimmsten Phasen klingen Alt-J wie die Bonaparte von früher, was in ihrem Fall nicht wirklich ein Kompliment sein soll. Die vielen verspielten musikalischen Jumpscares, die An Awesome Wave so großartig machten, hat die Band mittlerweile endgültig überwunden und klingt inzwischen immer dann am besten, wenn sie Melancholie verbreiten will. Das ist an sich nicht wirklich schlimm, aber irgendwie auch langweilig und bedeutet, dass die Briten sich mal wieder weit unter Wert verkaufen. Auch das extrem öde Cover des Folk-Klassikers House of the Rising Sun hilft da nur wenig. Was mich darüber hinaus ziemlich nervt, ist der schlampige Sound der Platte. Vielleicht soll es ja experimentell und verkunstet rüberkommen, dass man hier überall Mikrokratzen und Studiogeräusche mithört, aber an den meisten Stellen wirkt es tatsächlich eher unbeholfen. Alt-J waren bisher immer eine Band, die am besten in High Definition funktionierte und auch dieser LP hätte das ehrlich gesagt gut getan. Ich fühle mich ein bisschen doof dafür, dass ich hier noch immer die Maßstäbe des Debüt ansetze, denn es scheint logisch, dass diese Musiker einer stilistischen Weiterentwicklung nicht abgeneigt sind. Aber so, wie die Dinge stehen, entwickeln sich Alt-J ja nicht wirklich weiter. Was man hier und auf dem Vorgänger hört ist im Prinzip das gleiche Zeug wie auf der ersten Platte, nur vielleicht mit anderen Instrumenten. Vor allem aber ist diese Musik ganz einfach schwächer geworden und man bekommt das Gefühl, dass diese Band alle stilistischen Möglichkeiten hat, aber diese nicht nutzen will. Warum auch immer. Relaxer ist an vielen damit Stellen schon besser als sein Vorgänger, doch es bleibt das Gefühl bei mir, dass Alt-J weit unter ihrem eigentlichen Potenzial arbeiten.





Persönliche Highlights: 3WW / Hit Me Like That Snare / Adeline / Last Year / Pleader

Nicht mein Fall: House of the Rising Sun

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Samstag, 3. Juni 2017

Cool bleiben

Meine Devise für das Herangehen an Postrock ist ja immer die, dass man als Einsteiger des Genres statt mit Mogwai, Godspeed oder Mono lieber mit der Kellerclub-Band von nebenan anfangen sollte. So hat es bei mir unglaublich gut funktioniert und so bin ich selbst zum großen Fan meiner lokalen Szene geworden. Mittlerweile hat dies den Nebeneffekt, dass ich zahlreiche dieser Nischenprojekte schon länger kenne und man sagen könnte, ich habe ein ziemlich umfangreiches Bild des instrumentalen Kosmos. Was wiederum gut ist, weil ich sonst wahrscheinlich nichts vom neuen Barrows-Album mitbekommen hätte. Obwohl das vierköpfige Kollektiv aus Los Angeles inzwischen sehr solide unterwegs ist und seinen Job schon ziemlich ernst nimmt, ist es für Otto Normalverbraucher auf der anderen Seite des Atlantiks noch immer schwierig, bei ihnen auf dem laufenden zu bleiben. Gelobt sei das Internet. Barrows machen die eher sportliche Sorte von Postrock, die die Betonung eher auf den Rock-Teil der Vokabel legt. Ihre Musik ist der von Russian Circles oder Brontide insofern sehr ähnlich, dass sie in ihren Songs auch gerne mächtig Tempo machen und Riffs schreiben, die einem ordentlich die Gehörgänge durchpusten können. Wer diese Ästhetik in voller Entfaltung erleben möchte, dem sei an dieser Stelle ihr letzter Longplayer Red Giant empfohlen, insbesondere dessen Titeltrack. Das neue Album Obsidion geht die Sache da schon wesentlich entspannter an, auch wenn es an glorreichen Rock-Momenten weiterhin nicht fehlt. Der Quasi-Opener Entrada liefert in sieben Minuten eindrucksvoll den Beweis dafür und ist zweifelsohne das Highlight der Platte, wenn es um Bombast geht. Das ist aber gar nicht so wichtig, weil Barrows mittlerweile viel coolere Sachen drauf haben. Obsidion bezieht in größerem Maße Syntesizer ein, was im Intro-Track Telekin oder in Manna einen teilweise scifiesken Vibe erzeugt. Ferner haben so gut wie alle sechs Songs einen ziemlich fiesen Groove an sich, der der Platte etwas verrucht-abgedroschenes verleiht. In manchen Momenten ist die Band damit den Specials oder Fu Manchu näher als sich selbst, aber das macht es ja gerade so genial. Bedanken darf man sich dafür übrigens bei Bassist Brock Haltiwanger und Drummer Richy Epolito, deren Chemie hier einfach nur atemberaubend ist. Besonders letzterer verdient einen großen Strauß Extrablumen für seine tighte Performance. Aber nicht nur er sorgt dafür, dass Obsidion das Album ist, auf dem man Barrows endgültig ernst nehmen sollte. Die Band wird hier klanglich vielfältiger, experimentiert mehr und schafft am Ende doch einen unglaublich kohärenten roten Faden. Wer einen Rundumschlag der vielfältigen Talente des Quartetts hören will, braucht sich nur den zentralen Zwanzigminüter Cocoon anhören und weiß direkt Bescheid. Diese Jungs sind definitiv kein kleines Nischenprojekt mehr. Und dieses Album ist der Beweis. Wenn ich irgendetwas an Obsidion zu kritisieren habe, dann dass durch diesen einen Übersong der Platte alle anderen, nicht weniger guten Stücke, ein bisschen sehr in den Hintergrund rücken. Aber wenn das kein Luxusproblem ist, dann weiß ich auch nicht. Barrows sind für mich mit dieser LP vom Geheimtipp zur Herzensangelegenheit geworden und ich bin froh, dass ich trotz Schwierigkeiten an ihnen drangeblieben bin. Und allen von euch zu empfehlen, diese Band zu hören, ist das beste, was ich für sie tun kann. Also hört bitte diese Band.

Persönliche Highlights: Entrada / Cocoon / Manna / Zenith

Nicht mein Fall: -

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Freitag, 2. Juni 2017

HipHop, Terror, Ficken

Es gab in den letzten Wochen und Monaten wahrscheinlich kein deutschsprachiges HipHop-Projekt, das die Szene so sehr beherrscht hat wie diese Platte. Gegen die geballte Kraft des Weirdo-Vibes von Frauenarzt und Taktlo$$ war absolut kein Gras gewachsen, nicht bei SXTN, nicht bei Bushido, nicht bei Fler und nicht bei 187. Wer schlau war, machte beim Spiel der beiden mit, denn in der Promophase von Gott kam wirklich ein WTF-Moment nach dem anderen. Schon die Tatsache, dass Taktlo$$ jetzt doch wieder Musik machen würde, war ein riesiger Aufreger in der Community und dass das ganze dann auch noch mit Frauenarzt stattfinden sollte, war ein Grund, vom Glauben abzufallen. Dann kam die erste Single Ich schwöre, in der es auch noch eine Autotune-Hook gab und spätestens da waren alle außer sich. Dass die ganze Sache witzig war, steht außer Frage, doch bis zuletzt wusste ich nicht so richtig, ob ich mich auf das Album nun freuen sollte oder nicht. Die unzähligen PR-Tracks, die das Duo im Vorfeld veröffentlichte, waren alle mehr oder weniger gleichzeitig genial und scheiße, weshalb man nie wusste, was abgeht. Die Parts von Frauenarzt waren fast immer völlig austauschbar und ihm fehlte jede Persönlichkeit. Auch Taktlo$$ brachte manchmal ziemlich peinliche Reime, dafür war dessen Flow aber stets ein Hingucker und seine Attitüde ist mittlerweile eh absolut unfickbar. Allein seinetwegen lohnten sich die bisherigen Songs irgendwie. Ein Soloalbum wäre trotzdem nicht besser gewesen, weil Gott in Sachen Beats wesentlich besser als alles ist, das Taktlo$$ vorher gemacht hat. Die Sache war also heikel. Und gewissermaßen bleibt sie das auf dem fertigen Album auch. Eine mittelgroße Enttäuschung war es auf den ersten Blick, meine Lieblings-Single 31er mit Nura hier nicht mehr in der Tracklist zu finden, dafür hat die Platte Feature-technisch ordentlich aufgezogen: Klassiker wie Sido, Jack Orsen oder MC Bogy sind hier genauso zu hören wie eher seltsame Kandidaten wie Marteria und Burak. Die machen teilweise auch ganz gute Parts hier, doch die Stars blieben zu jedem Zeitpunkt Frauenarzt und Taktlo$$. Wobei der King natürlich letzterer bleibt ("Ich lese was von Martin Luther / und ficke deine Mutter" - lyrisches Gold!), aber auch sein Partner kann sich auf Albumlänge sehen lassen. In Einer klatscht hat er meiner Meinung nach sogar die bessere Strophe. Was hier eher Probleme bereitet sind solche Sachen wie Hooks und Eingängigkeit. Darüber, dass es in jedem Song um die gleichen Sachen geht, kann man mit etwas Humor noch hinwegsehen (Die ultrawitzigen Bars entschuldigen viel), doch in fast jedem Song struggeln die beiden am Refrain. Viele verschiedene Varianten werden versucht, von denen aber keine am Ende wirklich überzeugt. Und hier hätte Nura mit ihrer Hammer-Hook aus 31er sicherlich geholfen. Im großen und ganzen finde ich Gott aber besser, als ich gedacht hätte, dass ich es finde. Was hauptsächlich daran liegt, dass Arzt und Takti hier eben ungemein witzig sind. Man kann sich auf jeden Fall sicher sein, dass es so eine Platte im Deutschrap noch nie zuvor gegeben hat und jeder, der mit Witzen über Mord, Totschlag und Oralsex mit Familienmitgliedern nicht zu zimperlich ist, sollte sich das zumindest anhören. Doch mehr als ein Gimmick wird diese Platte wahrscheinlich nicht werden. Auch wenn sie bei mir definitiv noch ein paar mal laufen wird.





Persönliche Highlights: Ich schwöre / Egal was du sagst / Was ist los? / Es ist Zeit / Ich tu' nicht viel / Einer klatscht / Sag wie es ist / Untergrund Rap / Vorhang auf 3 / Weltuntergang

Nicht mein Fall: Bis sie mich töten

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Donnerstag, 1. Juni 2017

Zehn Songs im Mai 2017 (Kasabian, Fleet Foxes, LCD Soundsystem, Sun Kil Moon, Love A)

1. LCD SOUNDSYSTEM
Call the Police
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So richtig begeistert war ich von der Musik von LCD Soundsystem abgesehen von ein paar wenigen Singles eigentlich nie und entsprechend überrascht war ich, dass gleich ihr erstes Lebenszeichen nach der groß gefeierten Reunion mich so abholt. Doch verwunderlich ist es eigentlich nicht. Call the Police setzt genau dort an, wo das letzte Album der New Yorker am besten war und spendiert und großzügige sieben Minuten Euphorie und lyrische Cleverness. James Murphy steht hier erneut in Flammen und führt dem Sound seiner Band nunmehr endlich die Eleganz zu, die sie in der Vergangenheit oft angetäuscht hat, aber erst hier so richtig ausführt. Folglich ist dieser Track ebenso etwas für alte Fans wie für Neueinsteiger. Wobei ich eher noch zu letzteren zähle.

2. U.R.S.U.L.A.
Mythomalia Mix
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Ich mache immer wieder aufs neue den Fehler zu denken, dass die Sache mit PC Music nach 2014 eigentlich passé war. Gerade im Mai, da sie wie jedes Jahr ihre traditionelle Video-Release-Orgie durchführten, waren mal wieder einige Perlen dabei. Die in meinen Augen beste und definitiv auffälligste war dabei der Mythomalia Mix. Mit seinen vielen sehr verschiedenen Motiven und einer stattlichen Länge von fast zehn Minuten ist er zwar eher ein Mini-Elektroset als ein Song in dem Sinne, aber so oder so hat er mich fasziniert. Zwischen Trance-Techno, EDM und einem penetrant auffälligen Sample aus t.A.T.u.s All the Things She Said trägt er maßgeblich zu erneuten Verwirrung bei, ob PC Music jetzt mehr Meme oder Kunst sind und präsentiert mit seiner Virtual-Fantasy-Ästhetik auch eine ganz neue Palette des Labels. Kurzum: Es bleibt spannend bei den Londonern.

3. FLEET FOXES
Fool's Errand
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Als vor gut drei Monaten mit Third of May / Odaigahara die erste neue Single der Fleet Foxes erschien, war ich zugegeben erstmal ein winziges bisschen enttäuscht. Und obgleich sich das inzwischen auch wieder gegeben hat, war es vor zwei Wochen doch Fool's Errand, das mich wirklich packte. Nicht nur machte die neue, rundere kompositorische Richtung der Band aus Seattle hier plötzlich Sinn, auch ist dieser Track hier vielleicht eher der catchy Eisbrecher, den ich erstmal wieder von ihnen brauchte. Umso besser wird das ganze natürlich noch durch das wirklich fantastische Video von Sean Pecknold & Ari Goodrich, das sich unbedingt jeder anschauen sollte. Dieser Song hat es geschafft, meine Haltung gegenüber dem neuen Album von skeptisch zu wohlwollend zu wandeln. Und das ist das mindeste an Hype, was ich für ein Projekt der Fleet Foxes empfinden möchte.

4. DER WEG EINER FREIHEIT
Skepsis II
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Schon auf ihrem letzten Album Stellar empfand ich Der Weg einer Freiheit aus Würzburg als eine der am präzisesten arbeitenden Bands im europäischen Black Metal. Und mit ihrer neuen Single Skepsis II haben sie gezeigt, dass sie auch über Horizonte blicken können. Der knapp sechsminütige, im Grundsatz wie gewohnt heftige Song verblüfft auf halber Strecke mit einer dermaßen grandios eingebetteten Synthesizer-Begleitung, dass einem das Blut in den Adern gefriert und man einfach nur begeistert ist. Mehr ist es in der Theorie auch nicht, das den Track so überkrass macht, aber mich haben DWEF damit auf jeden Fall schon mal kalt erwischt. Und es zeigt, dass man progressiven, freigeistigen Black Metal auch machen kann, ohne gleich die Shoegaze-Keule auszupacken. Müßig zu erwähnen, dass ich jetzt wahnsinnig gespannt auf die neue Platte bin.

5. AUDIO88 FEAT. DOZ9
Lied vom Tod auf dem Theremin
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Wer nochmal was darüber lesen will, wie grandios pessimistisch und finster das neue Album von Audio88 ist, der kann hier klicken. Hier will ich nur nochmal so viel sagen, als dass Lied vom Tod auf dem Theremin diesbezüglich der Gipfel von Misanthropie und Welthass auf dieser Platte ist. Sowohl Audio selbst als auch Feature-Gast Doz9 sind lyrisch hier richtig auf Prass und weil die Message dadurch stimmt, muss der Beat auch nicht mehr sein als rustikaler Doom-Bap mit stilisiertem Theremin wegen Titel und so. Mit all diesen Eigenschaften ist der Song also ein heißer Kandidat auf den düstersten Rap-Track des Jahres 2017 und macht mindestens so schlechte Laune wie das Nachdenken über die kommende Bundestagswahl.

6. WASHED OUT
Get Lost
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Von der  Misanthropie-Hymne zu meinem potenziellen Sommerhit 2017: Mittlerweile musste wahrscheinlich selbst Ernest Green, der Typ, der Chillwave erfunden hat, feststellen, dass man mit Chillwave mittlerweile keinen Blumentopf mehr gewinnt. Deshalb macht er jetzt sexy Housemusik, die endlich auch ein bisschen mehr nach vorne geht als sein altes Zeug. Das mit den Cool-Jazz-Samples und dem inflationären Reverb hat er sich immer noch nicht abgewöhnt, doch macht er sich das hier für einen spritzigen Lounge-Sound zunutze. Ebenfalls fantastisch ist, wie er hier mit Percussion arbeitet und eine geschickte Lockerheit in einen doch sehr clubbigen Beat einfädelt. Für Freunde von Project Pablo oder Lapalux definitiv das richtige.

7. DO MAKE SAY THINK
Bound
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Wenn ich mich mal ganz weit aus dem Fenster lehne, kann ich vermelden, dass es in Zukunft vielleicht doch wieder ein paar mehr Postrock-Vertreter unter meinen Favoriten gibt. Letzten Monat standen Oiseaux-Tempête hier und vor einer Woche begeierten mich außerdem Do Make Say Think mit ihrem neuen Album. Und wer diesen Song hört, dürfte wissen warum. Mit seiner abgefahrenen Kontrastierung, dem ungewöhnlichen Klangbild und der filigranen Komposition steht er konträr zu allem, was inzwischen so viele Leute an dieser Musik langweilt und verbreitet dafür eine Euphorie und Aufregung, die wie eine frische Brise in einer ungelüfteten Dachgeschosswohnung wirkt. Postrock brauchte das, Do Make Say Think brauchten das und vor allem brauchte ich das. Und im besten Fall geht es von jetzt ab nur noch weiter bergauf.

8. LOVE A
Unkraut
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Schon das zweite Mal in diesem Jahr stehen Love A mit einem Song in dieser Rubrik und bis vor wenigen Wochen hätte ich das ehrlich gesagt nicht für möglich gehalten. Aber ihr neues Album Nichts ist neu ist tatsächlich ziemlich spektakulär und insbesondere dieser Track hat mich wieder und wieder geflasht. Ähnlich wie bei Audio88 wird hier extrem der Rechtsruck der deutschen Gesellschaft kritisiert und ähnlich wie er hat auch Jörkk Mechenbier die Schnauze gestrichen voll. Zum Glück für uns resultiert dies in einem seiner besten Texte und einer Gesangsperformance, die seinen sonstigen Eifer noch um einiges übertrifft. So konkret politisch gaben sich die Kölner bisher selten, aber man kann froh sein, dass sie es hier tun. Denn Unkraut ist nicht nur ein sehr guter Song, sondern auch ein wichtiger. Und spätestens Ende September wahrscheinlich erneut in Heavy Rotation.

9. KASABIAN
Are You Looking for Action?
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Es hat irgendwie etwas seltsames, 2017 einen Kasabian-Song unter den Lieblingstiteln des Monats zu haben, aber Are You Looking for Action? ist auch einfach unschlagbar geil. Als quantitatives wie qualitatives Highlight des neuen Albums sticht das achteinhalbminütige Madchester-Stück heraus wie ein Regenbogen zwischen Backsteingemäuern. Es entführt uns in eine surreale, trippige Disco-Welt, in der Tom Meighan und Sergio Pizzorno mit bunten Cocktails am Eingang stehen und die Puppen tanzen lassen, während sie LSD-Pappen in die Menge werfen. Eine solche Nummer hat man von Kasabian lange nicht mehr gehört und es ist erstaunlich, dass sie ausgerechnet jetzt kommt. Aber ich muss definitiv so ehrlich sein und sie als einen der besten Songs anerkennen, die die Briten je gemacht haben. Ein bisschen feiern wird da schon erlaubt sein.

10. JESU & SUN KIL MOON
A Dream of Winter
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Es ist schon eine eigenartige Erfahrung, Mark Kozelek 2017 auf einer Sun Kil Moon-Platte mal wieder richtig singen zu hören und einen inhaltlich zurückgehaltenen Song von ihm zu erleben. Aber im Falle von A Dream of Winter ist das die absolut beste Entscheidung. Denn so friedfertig und entspannt, wie der Songwriter hier über Weihnachten berichtet und darüber, wie er sich zum Ende des Jahres in Familie vom Tourstress erholt, will man das gar nicht groß ausgeholt haben. Die Gelassenheit von Kozelek überträgt sich durch die sparsamen, schönen Worte (und nicht zuletzt auch durch die romantische Klavierbegleitung) wahnsinnig gut auf die Hörenden und man hat fast den Eindruck, dass er über diesen Track damit ein "Über die Feiertage geschlossen"-Schild gehängt hat. Und man gönnt es ihm natürlich auch von ganzem Herzen. Nicht zuletzt, weil er mit A Dream of Winter endlich mal wieder ein Srück geschrieben hat, für das man ihn knuddeln möchte. War ja zuletzt eher selten der Fall.

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