Freitag, 30. Juni 2023

Die Wochenschau (24.06.-30.06.2023): Young Thug, King Gizzard & the Lizard Wizard, Erobique, Ben Howard u.a.


 
 
 
 
 
King Gizzard and The Lizard Wizard - PetroDragonic Apocalypse;  or,  Dawn of Eternal Night:  An Annihilation of Planet Earth and the Beginning of Merciless DamnationKING GIZZARD & THE LIZARD WIZARD
PetroDragonic Apocalypse; or, Dawn of Eternal Night: An Annihilation of Planet Earth and the Beginning of Merciless Damnation
KGLW
 

 
 
Gemessen daran, wie enttäuschend ich vor vier Jahren Infest the Rats' Nest fand, war die Aussicht auf ein weiteres Metalalbum von King Gizzard nicht unbedingt eine, die mich mit großer Euphorie erfüllte. Umso glücklicher bin ich deshalb jetzt zu verkünden, dass diese neue Platte daran einiges geändert hat und PetroDragnic Apocalypse nur wenig Aufwand brauchte, um mich vom Konzept der Australier als Thrash-Berserker zu Überzeugen. Wobei die wichtigste Veränderung im Vergleich zum ersten Versuch bezeichnenderweise auch der ist, dass Thrash hier eben nicht die einzige Marschrichtung ist, sondern King Gizzard auch an ein paar artverwandte Stile in den apokalyptischen Schmelztiegel hauen. Dadurch gehen viele Songs nicht nur mit dem Kopf durch die Wand, sondern zapfen etwas von der spaßigen Virtuosität ab, die die Band auf ihren anderen Projekten ja auch immer hat und die mir beim letzten Mal halt einfach fehlte. Viel hat es also nicht gebraucht, um aus der etwas fehlgeschlagenen Schnapsidee von Infest the Rats' Nest hier die durchweg überzeugende Stilerweiterung zu machen, die eine talentierte Gruppe wie King Gizzard verdient hat.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





THY CATAFALQUE
Alföld
Season of Mist

Thy Catafalque - AlföldSeit Jahren das erste Album von Thy Catafalque, das man wieder ziemlich unmissverständlich einer Stilrichtung zuschreiben kann und das die frühen Black Metal-Tendenzen des Projekts aus Edinburgh mit Wucht und Klarheit zurückholt. Klar gibt es dabei auch weiterhin ein paar gut eingewobene Prog-, New Wave- und Folk-Farbtupfer, die vor allem im zweiten Teil der Platte auch viel Platz einnehmen, die lenken aber in den wenigsten Momenten vom doch sehr ruppigen und düsteren Gesamtsound ab. All das macht Alföld zwar auch ein bisschen zum gewöhnlichsten mir bekannten Werkstück der Band, auch in diesem Rahmen sind Tamás Kátai und sein Gefolge aber gute Songwriter*innen und Performer*innen, denen man echt gerne zuhört.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





Erobique - No. 2EROBIQUE
No. 2
Légère


Sieht man mal von seinem legendären Tatortreiniger-Soundtrack von 2018 ab, dann ist No. 2 entweder das erste Album von Erobique seit 2012 oder komplett solo sogar seit 1998. Das bringt natürlich einiges an Erwartungshaltung mit, zumal der Hamburger Keyboarder inzwischen ja lange ein echtes Kleinod der deutschen Indieszene geworden ist. Leider sieht er selbst das aber anders und veröffentlicht hier eher eine lose Werkschau, die auch mit entsprechend wenigen echten Highlights versehen ist. Die meisten Stücke sind instrumentale Cuts, die auf ahnbare Weise nach Siebzigerjahre B-Movie-Musik klingen und zwar meistens okay sind, aber auch alles andere als besonders. Und wenn der Künstler selbst singt, endet das zumeist in schrägen Etüden wie dem deichkindigen Ravedave oder dem programmatisch betitelten Verkackt. Einigermaßen spannend wird No. 2 also immer nur dann, wenn Erobique sich Gastsänger*innen dazuholt, die in Songs wie Arpeggiator oder Synaesthesie ein bisschen mehr Hitfaktor einbringen. Auch die sind aber selbst im besten Falle nur Schatten der echten Banger, die es 2009 vor allem auf Platten wie Songs of Joy gab und die hier eher wie billig nachgemacht wirken. Und schließlich ist leider auch der live aufgezeichnete Closer Hitsong von uns beiden ein Track, der die Magie eines Urlaub in Italien reproduzieren will, das Ziel aber weitgehend verfehlt. 

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 05/11







Ben Howard - Is It?BEN HOWARD
Is It?
Island


Wer ungefähr in meinem Alter ist, kennt Ben Howard vielleicht noch von seinen luftigen Starbucks-Hymnen Anfang der Zwotausendzehner, die zum Glück inzwischen niemand mehr hört. Er selbst hat das auch gemerkt und in den letzten Jahren in seinem Output merklich nach neuen Ideen gesucht, die sich langsam auch echt auszahlen. 2021 klang das letzte Album aus seiner Feder verblüffend nach Radiohead, zwei Jahre später wendet er sich auf Is It? eher Leuten wie the 1975, Peter Gabriel oder Four Tet zu, die ihn hier seinem bisher höchstwahrscheinlich besten Gesamtwerk inspirieren. Kaum einer dieser zehn neuen Songs ist nicht klasse, wobei Howard seine Eingängigkeit zwar zurückhält, in seinen vielen offen gestalteten Hooks und Strophen aber eine sehr schöngeistige Melodieführung zulässt, die auch seine Stärken als Sänger optimal untermauert. Man stelle sich eine Version von Tom Vek vor, die komplett mit sich im Einklang ist und ohne garagige Reibung funktioniert. So ist das hier definitiv eine der schönsten Überraschungen der bisherigen Saison und freut mich vor allem deshalb, weil es sich so doch noch gelohnt hat, in den Zwotausendzwanzigern jemanden wie Ben Howard zu hören.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11



Young Thug - Business Is BusinessYOUNG THUG
Business is Business
Young Stoner Life


Man kann den Titel des neuen Young Thug-Albums ja auf zwei recht unterschiedliche Weisen verstehen, die vielleicht auch wirklich so beabsichtigt sind. Erstens: Geschäft ist Geschäft, also ist es auch egal, ob sich das in Form von Plattenverkäufen oder jener illegalen Gang-Aktivitäten äußert, deretwegen der Schöpfer dieser Songs gerade im Knast sitzt. Zweites: Geschäft ist Geschäft, also muss die Marke Young Thug auch dann weiter betrieben werden, wenn der Meister selbst gerade nicht zum Aufnehmen verfügbar ist. Weshalb Kumpel und Labelmate Metro Boomin sich hier ein paar alte Aufnahmen des Thuggers geschnappt, diese mit seinen eigenen Beats aufgehübscht und mithilfe eines großen Katalogs an Gastmusikern als offizielles neues Album veröffentlicht hat. So weit, so lukrativ. Was die Sache für mich erst so richtig witzig macht ist aber, dass dabei ganz aus versehen Young Thugs bisher bestes Solo-Werkstück dabei rausgekommen ist, das echt einen kreativen Unterschied zu seinem bisherigen Output macht. Metro Boomins Beats sind erstaunlich handverlesen und keineswegs Stangenware, Thuggers eigene Parts den Umständen entsprechend präsent und so gut wie alle Features (witzigerweise vor allem die von Drake und 21 Savage) große Klasse. Außerdem hat die Platte mit 46 Minuten genau die optimale Länge, um weder meine Geduld überzustrapazieren, noch etwas auszulassen. Ein ziemlich gelungenes Album also, mit dem ich in dieser Form von Young Thug nicht gerechnet hatte. Vor allem nicht vor diesem Hintergrund.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




Sonntag, 25. Juni 2023

Review: Nur eine Träne

Sinéad O'Connor - I Do Not Want What I Haven't Got
 PRIDEMONTH2023  
SINÉAD O'CONNOR
I Do Not Want What I Haven't Got
Ensign
1990









 
 
[ biografisch | aufgekratzt | rebellisch ]

Unter dem guten Dutzend Alben, die die Irin Sinéad O'Connor in ihrer über 35-jährigen Karriere veröffentlicht hat, ist es manchmal schwer, die wirklich wertvollen und starken Momente herauszufiltern und nachdem ich mehrmals den Versuch dazu gestartet habe, bin ich mittlerweile an dem Punkt, wo ich einsehe, dass sowas eigentlich nicht sein muss. Denn zwischen fragwürdigen Reggae-Covern irischer Folksongs, wüsten Operninterpretationen, musikalischen Bekenntnissen zu so ziemlich jeder größeren Religionsgruppierung des Erdballs und viel diffusem New Age-Kram ist ihr eines großes Meisterwerk letztlich doch die LP, mit der sie auch ihre größte Bekanntheit erlangte. Die LP mit Nothing Compares 2 U, ihrem einzigen richtigen Hit und die mit der ikonischen Träne im Musikvideo. Die LP, für die sie 1991 vier Grammys ablehnte. Und die LP, die ihr für die einen den Ruf als kompromisslose Statement-Künstlerin einbrachten und sie für andere zur Persona non grata machten. I Do Not Haven't Got und seine direkten Nachwirkungen sind paradoxerweise sowohl dafür verantwortlich, dass Sinéad O'Connor nie ein richtiger Popstar wurde, als auch dafür, dass man sich heute überhaupt noch an sie erinnert. Denn was sie hier mit gerade Mal Anfang 20 musikalisch und inhaltlich zusammenbringt, ist zwar keine bekömmliche Musik für die frühen Neunziger, die von einer offen angepissten, bisexuellen Frau mit unmissverständlicher Haltung anscheinend noch immer zu überfordert waren, dafür aber in vielen Punkten wegweisend und rebellisch. Und dafür muss sie nicht mal Punk oder Gangsterrap machen, sondern einfach nur eine etwas definiertere Variante der damals zeitgenössischen Popmusik. Wobei die Feststellung, dass I Do Not Want sehr nach dem Jahr 1990 klingt, in diesem Fall kein Vorwurf ist. Klar klingen manche Songs hier ein bisschen ausgewaschen Linda Perry-mäßig und O'Connors Signature Move mit dem harten Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme haben sich nachher viele nervige Bands abgeschaut, ihr Ansatz ist aber vor allem aus zwei Gründen besser. Erstens: Sie schreibt fantastische Songs. Zweitens: Sie hat darauf auch tatsächlich etwas zu sagen. Und das nicht nur in der Hinsicht, dass sie gute Worte findet und lyrisch spannende Motive findet, I Do Not Want quillt an vielen Stellen über vor tragischen persönlichen und politischen Themen, die O'Connor vor den Augen ihres Publikums verhandelt und mit denen sie hier merklich ringt und die auch alle irgendwie simultan auf sie zukommen. Der unerwartete Riesenerfolg des Debüts mit der Scheidung von ihrem ersten Mann John Reynolds (der gleichzeitig Drummer in ihrer Band war), der schwierigen Beziehung mit ihrer neuen britischen Heimat und der Geburt ihres ersten Kindes. Und als wäre das alles noch nicht genug, überschattet fast alle Songs dieser LP auch noch die Verarbeitung der Traumata um den Tod ihrer Mutter und den von ihr ausgehenden Missbrauch während Sinéads Kindheit. So ist die legendäre Interpretation von Nothing Compares 2 U, die Originalverfasser Prince eigentlich als Lovesong gemeint hatte (und der auch in dieser Version oft als solcher fehlgedeutet wurde), hier als Statement einer trauernden Tochter gedacht und auch You Cause As Much Sorrow oder das polternde I Am Stretched On Your Grave gleichsam bittere wie tragische Abrechnungen mit dem vergifteten Verhältnis der beiden. O'Connor als Sängerin ist dabei trotz allem instrumentalen Pomp immer der Fokuspunkt der Tracks und eben nicht nur technisch brilliant, sondern auch immer mit ganzem Herzblut dabei. Ihre Trauer und Wut in diesen Songs kann betäubt, still, meditativ und entfesselt aggressiv sein, alles davon ist der Wahnsinn. Und das nicht nur in Songs mit diesem thematischen Bezug. Zwei meiner liebsten Stücke auf I Do Not Want sind Black Boys On Mopeds und the Last Day of Our Acquaintance, die ich beide vor allem ihrer vehementen Bissigkeit wegen mag. Ersterer ist dabei einer der galligsten Songs, die jemals über die politischen Verfehlungen von Margaret Thatcher geschrieben wurden und der trotz seiner Bearbeitung als reine Akustikballade fetziger ist als jeder Punkrock-Brecher, letzterer eine resignierte Abrechnung mit O'Connors erster Ehe, die vor allem durch den Break im zweiten Teil erst so richtig giftig wird. Angesichts solcher Momente sollte es eigentlich wenig verwundern, dass die gleiche Künstlerin wenige Zeit später das Singen einer Nationalhymne boykottierte oder im Fernsehen ein Bild des Pabstes zerriss, denn die Kompromisslosigkeit ihrer Haltung ist hier schon vollumfänglich da. Man könnte es auch so sehen, dass dieses Album der Punkt war, an dem sie aufhörte, sich von Institutionen wie Plattenfirmen, Kirchenvertreter*innen, Ehemännern und eigenen Fans zurechtschubsen zu lassen, weil sie damit bisher nur negative Erfahrungen gemacht hatte. Es wäre das verständlichste der Welt. Womit wir zu der Bedeutung kommen, die dieses Album letztlich in ihrer Diskografie gefunden hat und dazu sicherlich als allererstes sagen muss, dass es bis heute das mit Abstand erfolgreichste darin ist. Weil es aber innerlich so brutal und zerrüttet ist und außerdem so viele Skandale nach sich zog, ist es für Sinéad O'Connor quasi gleichzeitig großer Durchbruch und großer Zusammenbruch. Es ist das Album, das wie kein anderes ihr massives Talent zeigt, dieses gleichzeitig aber auch zu bewusst einsetzt, um damit wirklich im Mainstream anzukommen. Denn was dort bleibt ist letztlich nur ein von allen kolossal missverstandenes Prince-Cover und eine verdrückte Träne, die nur einen Bruchteil der ganzen Katastrophe repräsentiert, die hinter dieser LP steht. Ein zweifelhaftes Vermächtnis für so ein mutiges Stück Musik, symbolisch aber vielleicht nicht das schlechteste.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡🟢 10/11


Persönliche Höhepunkte
Feel So Different | I Am Stretched On Your Grave | the Emperor's New Clothes | Black Boys On Mopeds | Nothing Compares 2 U | Jump in the River | You Cause As Much Sorrow | the Last Day of Our Acquaintaince

Nicht mein Fall
I Do Not Want What I Haven't Got


Hat was von
the Cranberries
No Need to Argue

Björk
Debut


Samstag, 24. Juni 2023

Die Wochenschau (17.6.-23.6.2023): Queens of the Stone Age, Sigur Rós, Motorpsycho, Gunna, Killer Mike


 
 
 
 
 
 
TENHI
Valkama
Prophecy

Tenhi - ValkamaFür das finnische Darkfolk-Projekt Tenhi ist Valkama das erste richtige Album seit mittlerweile zwölf Jahren, was für mich als Neueinsteiger aber erstmal egal ist. Denn ich finde die orchestral-paganistische Mischung des Quartetts hier vor allem ziemlich originell. Auf einem Dutzend Tracks in 67 Minuten krümmen Tenhi dabei die Raumzeit, um die kürzestmögliche Distanz zwischen nordischem Pagan Folk und dem eleganten Postpunk-Entwurf eines Nick Cave herzustellen und einen sehr düsteren, mystischen Klang zu erzeugen. Glatt geht das in diesem Fall leider nicht immer, begeistert bin ich aber auch vordergründig von der Art, wie diese Band klingt wie sehr wenige andere. Da fragt man sich schon, warum die nicht bekannter sind.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11




Motorpsycho - Yay!MOTORPSYCHO
Yay!
Stickman


Hinter dem mit Sicherheit scheußlichsten Artwork in der Geschichte von Motorpsycho verbirgt sich eine tiefe Wahrheit: Auf der einen Seite der euphorische Ausruf des Titels, der auf eine sehr befreite und optimistische neue LP hinweist, auf der anderen die zwei Akustikgitarren im Zentrum, die viel darüber sagen, mit welchen Mitteln das geschieht. Kurzum: Yay! ist wahrscheinlich das poppigste Album der Norweger seit mindestens zehn Jahren. Was für mich prinzipiell eine willkommene Veränderung ist, waren die letzten Releases des Trios - obwohl musikalisch meist sehr zufriedenstellend - doch gerne etwas zu opulent und monströs geraten. Hier spürt man davon nur noch auf dem sinfonischen Hotel Daedalus etwas, das sich an den pompösen Bombastrock-Sound eines the Crucible oder the All is One ranhängt, ansonsten gibt es eher wieder die softe Folk-Psychedelik, die man von ihnen aus den frühen Zwotausendern kennt. Da klingen sie mal wie Yes in ihren softeren Momenten, mal wie ein etwas breiter grinsender America-Verschnitt und mal wie auf ihren Banjo-Eskapaden in den Neunzigern. Das alles ist grundsätzlich nicht neu und auch für diese Band eher eine Rückkehr zu bewährten als wirklich ein neuer Schritt, der auch nicht zwingend in einer ihrer besten Platten resultiert. Erfrischend ist es nach etlichen Jahren Jamrock-Dauergenudel aber allemal.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11




Sigur Rós - ÁTTASIGUR RÓS
Átta
BMG


Dass Átta ein Album ist, an das ich lange nicht mehr geglaubt hatte, kann man meiner Berichterstattung aus den letzten Jahren zur Genüge entnehmen und man könnte mich an dieser Stelle sogar zitieren wie ich einst sagte, dass eine Auflösung an diesem Punkt eigentlich das beste für Sigur Rós wäre. Alles Quatsch, muss ich dieser Tendenz jetzt aber vehement entgegenrufen, denn das Comeback der Isländer zehn Jahre nach Kveikur ist trotz aller Scheiße zwischendrin (Missbrauchsvorwürfe gegen den mittlerweile geschassten Drummer Orri Dýrason, mehrere Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung) genau so sensationell, wie man sich das immer gewünscht hatte. Und es ist eben auch ganz klar keine dieser halbgaren Remix-, Soundtrack- oder Record Store Day-Platten, mit denen Sigur Rós sich zuletzt in der Schwebe hielten, sondern ein richtiges Album. Auch wenn es dabei vielleicht eher guten Fanservice betreibt als wirklichen kreativen Fortschritt und mit seinem sehr gediegenen und sinfonischen Ambientpop-Sound mehr die frühen Zwotausender zurückholt als das rabiate und vielschichtige Kveikur zu beerben. Wobei man auch sagen kann, dass die Band das nicht zum ersten Mal macht. Schon 2012 folgte vier Jahre nach dem abenteuerlichen und für damalige Verhältnisse extrem bunten Með suð í Eyrum Við Spilum Endalaust das eher konservativ-melancholische Valtari, das viele Fans etwas enttäuschte. Ich fand und finde das Ding aber nach wie vor ziemlich klasse und bin deshalb auch wenig ernüchtert, dass Sigur Rós diesen Move hier wiederholen. Immerhin muss man sich nach zehn Jahren Pause erstmal wieder ein bisschen eingrooven und was wäre dafür besser als den alten, klassischen Sound nochmal aufzuarbeiten. Noch dazu ist mit Kjartan Sveinsson hier auch der ehemalige Pianist und fähigste Arrangeur der Band zurück, der in vielen Tracks mehr denn je die orchestralen Muskeln spielen lässt. Wodurch die Platte oftmals eben doch nicht so sehr nach Schema F klingt, wie sie es eigentlich müsste, sondern nach einer neuen Dimension der Sigur Rós-Ästhetik, die einfach noch ein bisschen pompöser und ausschweifender ist als die alte. Auch die Tatsache, dass Jónsi inzwischen öfter auf Englisch singt, stört dabei kein bisschen, denn das kann er inzwischen eigentlich ganz gut. Womit Átta vielleicht kein sensationelles und kreativ definierendes Album für die Isländer ist, aber trotzdem ein absolut großartiges. Und wer weiß, vielleicht braucht es ja wie vor zehn Jahren nur erstmal dessen Anschubkraft, um den nächsten linken Haken direkt hinterher zu werfen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡🟢 10/11



Queens of the Stone Age - In Times New Roman...QUEENS OF THE STONE AGE
In Times New Roman...
Matador


Es ist in erster Linie eine hässliche Nachricht, 2023 den Vorwurf im Raum stehen zu haben, dass Josh Homme die Rolle des altmodischen Rock'n'Roll-Gentleman anscheinend so authentisch ausfüllt, dass er zuhause seine eigene Frau zusammenschlägt und damit anscheinend nicht nur musikalisch eine Affinität für die Sechzigerjahre hat. Sowas killt natürlich die Vorfreude aufs neue Album einer der letzten richtig großen alten Rockbands und es hat auf jeden Fall dafür gesorgt, dass ich In Times New Roman... als Gesamtpaket nicht einfach so genießen konnte. Es wäre aber Quatsch zu sagen, dass die Musik daran nicht auch ein bisschen schuld war. Denn wenn zum zweiten Mal nach Villains von 2017 ist das hier eine Platte, auf dem die Band eher funktioniert als zu beeindrucken. Die Zeiten, in denen Homme es nicht mehr schafft, schmissige Riffs und Hooks aus dem Ärmel zu schütteln, ist zwar noch immer nicht ganz vorbei, die großen Momente dünnen aber merklich aus. Mit Sachen wie Emotion Sickness (ich mag vor allem den melancholischen Neil Young-Anflug im Refrain) und Sicily gelingen den Queens Ausrufezeichen, an vielen anderen Stellen wirkt die LP aber routiniert. Das bedeutet nicht gleich das sie schwach werden und tatsächlich mag ich vieles hier mehr als das schnarchige Villains, es fällt mir mit diesem Album aber nicht wirklich schwer, dass ich sie jetzt kontextbedingt nicht mehr cool finden kann. 

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




Killer Mike - MICHAELKILLER MIKE
Michael
Loma Vista


Es ist absolut nachvollziehbar, dass Killer Mike nach über zehn Jahren Vollbeschäftigung bei Run the Jewels jetzt auch mal wieder ein Soloalbum machen wollte und es ist ebenso nachvollziehbar, dass dieses - gerade mit einem Titel wie diesem - persönlicher und autobiografischer ausfällt. Dass es so eine Stino-Konsens-Conscious-Nummer wird, hätte aber nicht sein müssen. Denn eigentlich haben die letzten Jahre gezeigt, dass der Rapper es besser kann. Zwar stehen hier auf der einen Seite durchaus starke Lyrics und vor allem in Tracks wie Slummer und Something for Junkies auch immersives Storytelling, insgesamt wirkt das Ergebnis aber trotzdem verwässert. Schuld daran sind immer wieder tränendrüsige Interludes oder mittelprächtige Features, aber auch die musikalische Aufmachung, die einfach zu sehr klingt wie jedes x-beliebige, emotional fixierte Hiphop-Album der letzten Jahre. Das reicht nicht immer, um das Album komplett zu ruinieren, oftmals macht es aber aus viel Pontenzial eher durchschnittliche Ergebnisse. Und an dieser Stelle fehlt mir dann schon oft El-P als schniddriger Konterpart, der immer für eine gezielte Kitschkontrolle zu haben ist. 

🔴🔴🔴🟠🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 06/11




GUNNA
A Gift & A Curse
Young Stoner Life


Man könnte denken, dass A Gift & A Curse das bisher interessanteste Gunna-Album geworden ist, weil der Rapper aus Georgia im Zuge seiner Gerichtskontroverse gegen Young Stoner Life, bei der er als Kronzeuge gegen das Label aussagte, nun endlich mal echte Themen für seine Songs hat. Wenn man aber auch nur ein bisschen darüber nachdenkt, was das eigentlich letztendlich bedeutet, kann man sich sehr schnell darlegen, wieso hier das Gegenteil der Fall ist. Denn als jemand, der Gunna in den letzten Jahren doch durchaus mögen gelernt hatte und seine Platten stets verteidigte, war der wichtigste Faktor dabei nie, dass er ein besonders großer Lyriker war. Viel eher bestand der Großteil seiner Attraktivität für mich gerade darin, wie unironisch stumpf er seinen stereotypen Traprap-Film runterholzte und dabei einfach kolossale Vibes schob. Vibes, die auf einem so introvertierten und verhandelnden Album wie diesem nun leider fehlen. Stattdessen gibt es viele bedeutungsschwangere Klavierbeats und verhaltene Tracks, über die der Rapper hanebüchene Rechtfertigungen murmelt und seiner Credibility eher schadet als sie zu retten und alles in allem schon nach zwei Songs nur noch nervt. Und um in der Sache ganz klar zu sein: Mein Problem mit Gunna ist in keinem Moment sein Verhalten vor Gericht oder gegenüber YSL, sondern einfach die Tatsache, dass er daraus das schlechtestmögliche musikalische Ergebnis gemacht hat. 

🔴🔴🔴🟠⚫⚫⚫⚫ 04/11