Freitag, 28. Oktober 2016

Es ist so schön bei dir

WANDA
Amore Meine Stadt


Vertigo / 2016















Fans der Band Wanda dürften in den letzten Jahren zu den vielleicht glücklichsten Fans ins ganz Mitteleuropa gehört haben. Nicht nur haben die Wiener Kneipenrocker innerhalb ziemlich kurzer Zeit zwei gradiose Alben vom Stapel gelassen, die diverse Hits beinhalteten, sondern diese auch sehr ausführlich abgetourt und darüber hinaus bereits zwei sogenannte "Kreuzfahrten" veranstaltet, bei denen sich Musiker und ihre Anhänger auf Augenhöhe begegnen konnten. Und um diese Treue nun noch einmal zu zementieren, haben Wanda jetzt das scheinbar naheligendste getan und eine Live-DVD veröffentlicht, die während zwei Konzerten in diesem Winter in ihrer Heimatstadt aufgezeichnet wurden. Dabei weiß die Band genau, dass ein solches Projekt in der Kollektion gerade noch gefehlt hat und Amore Meine Stadt alles ist, was das Fan-Herz begehrt. Hier erlebt man die Interaktion der Akteure mit dem Publikum, die geballte Energie des Vollblut-Entertainers Marco Michael Wanda auf Platte und den für ihn und seine Kollegen so unglaublich wichtigen Homezone-Kontext und im Zweifelsfall alle Hits auch nochmal live. Dass ein solches Album irgendwie unbefriedigend ausfallen könnte, ist dabei eigentlich unmöglich. Und Amore Meine Stadt gibt einem letztendlich auch in der Konserven-Version die volle Dröhnung an Wir-Gefühl und Fanservice. Das schöne dabei ist aber, dass es eben nicht nur das ist. Statt eines Hit-Zirkus als Dienst nach Vorschrift streuen Wanda hier auch bisher etwas unterschätzte Songs wie Mona Lisa der Lobau, Blieb wo du warst und Wenn ich zwanzig bin ein und improvisieren Teile ihrer bekanntesten Stücke komplett neu, wahlweise mit oder ohne Einbeziehung des Publikums. Gerade der Closer 1, 2, 3, 4 zeigt das eindrucksvoll. Überhaupt merkt man diesen Aufzeichnungen an, dass hier nicht routiniert ein Set heruntergespielt wird, sondern diese Musiker einen Heidenspaß an ihrem Job haben und bei solcher Ekstase ist es auch halb so schlimm, wenn die Performance dann ab und zu nicht ganz präzise ist und der Sound etwas hakt. Einziger Wermutstropfen ist, das Ausgerechnet die Indentifikations-Hymne Bologna etwas abgeklärt klingt. Ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, zu sagen, dass Wanda die letzten beiden Alben nur gemacht haben, um jetzt wiederum Amore Meine Stadt herauszubringen, doch diese Platte bietet definitiv eine völlig andere Perspektive auf viele der Songs. Und genau das ist ja letztendlich eines der Hauptziele einer Live-LP, neben dem hier offensichtlich auch gelungen Einfangen von leibhaftiger Energie. Für den geneigten Fan ist diese Scheibe also definitiv eine sehr warme Empfehlung und auch jemand, der das Studiomaterial bisher nicht kennt, könnte sich hier wiederfinden. Ganz nebenbei ist das Veröffentlichungsdatum ja auch nicht ganz blöd gewählt: Weihnachten ist keine zwei Monate mehr hin.
9/11

Beste Songs: Luzia / Dass es uns überhaupt gegeben hat / Gib mir alles / Auseinandergehen ist schwer / Das wär schön / Meine beinden Schwestern / Bussi Baby / Wenn ich zwanzig bin / 1, 2, 3, 4

Nicht mein Fall: Stehengelassene Weinflaschen / Bologna

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Donnerstag, 27. Oktober 2016

Beste Zeit

MAECKES
Tilt


Chimperator / 2016















Ich hätte meine Besprechung zu Tilt gerne wesentlich eher gemacht, denn im Anbetracht der Tatsache, dass ich Maeckes als den vielleicht interessantesten deutschen Rapper sehe, ich dieses Album schon seit einer gefühlten Ewigkeit mit Freuden erwarte und es nun schon seit fast einer Woche draußen ist, ist es komisch, es erst jetzt zu schreiben. Doch abgesehen von ein paar infrastrukturellen Problemen wollte ich mich dieser imposanten Platte auch mit der richtigen Vorbereitung nähern, denn ihre inhaltlichen Dimensionen haben mch im ersten Moment doch ein wenig überfodert. Fünfzig Minuten Musik als Ergebnis von fast drei Jahren Arbeit sind diese LP letztendlich geworden und damit wahrscheinlich nichts geringeres als die Quintessenz der Solokarriere von Maeckes bis hierhin. Denn obwohl der Stuttgarter sein offizielles Debüt bereits 2010 veröffentlichte und in den letzten Jahren kontinuierlich seine Mixtape-Reihe Null, Eins und Zwei führte, war es doch immer irgendwie noch der Typ von den Orsons, der nebenerwerblich auf ein paar Extraplatten seine experimentelle, melancholische HipHop-Alchemie durchführte. Gerade diesen Maeckes finde ich aber schon seit langem den faszinierenderen und habe mir spätestens seit seinem letzten Mixtape gewünscht, dass er diese Ästhetik endlich auch mal auf ein richtiges Album überträgt und etwas konzeptueller angeht. Dass ich ein paar Jahre später gleich so einen Brocken bekommen würde, war mir dabei nicht klar. Und ich hatte trotz meiner immensen Vorfreude auch bedenken, dass sich Maeckes an dieser Aufgabe vielleicht verhoben hätte. Und ob genau das passiert ist, kommt auf die Perspektive an, mit der man Tilt betrachtet. Ich persönlich kenne und liebe seinen Solo-Output wegen seiner totalen Abstraktion der HipHop-Idee und weil er diese Musik eben nicht einfach nur macht, sondern vollkommen neu denkt. Ich hatte gehofft, dass genau dieser Charakter auch hier einen großen Einfluss findet. Stattdessen ist diese Platte eher ein gesunder Kompromiss aus diesem und dem Orsons-Maeckes geworden, der eben trotzdem ein bisschen kommerziell klingt und auch einen Wert auf gute Hooks legt. Zuerst empfand ich das als einen Nachteil, doch die Art und Weise, wie vor allem die beiden Produzenten Äh, Dings und Tristan Brusch diesen Anspruch handhaben, könnte im Endeffekt nicht besser funktionieren. Statt Ambient-Flächen und minimalistischer Instrumentation gibt es hier große Melodiebögen und aufwändigen Pop-Sound, die sich zu den nach wie vor introvertierten Texte des Hauptakteurs kein bisschen schlechter verhalten. Und letztendlich ist es ja genau dieser Inhalt, der Tilt wirklich ausmacht. Wo man mit Sicherheit sagen kann, dass Maeckes sich in dieser Hinsicht selbst übertroffen hat. Dass wir es hier mit so einem wichtigen Werk zu tun haben, liegt auch daran, dass ein Großteil der Songs hier autobiografischer Natur sind. Gleich die ersten Zeilen des Openers Der Misserfolg gibt mir Unrecht greift unglaublich tief in das Innenleben des Künstlers und bei einigen Titeln, vor allem bei Die Alpen und Kreuz, musste ich die Kopfhörer tatsächlich kurz weglegen. In diesen Momenten merkt man, dass sich die viele Arbeit definitiv gelohnt hat und man ist mehr als beeindruckt. Doch genau deswegen ist es auch wieder doof, wenn Maeckes diese Tour dann nicht durchzieht. Besonders gilt das für den Track Gettin' Jiggy With It, der mich schon im Vorfeld beunruhigte und jetzt tatsächlich genau dieser nichtssagende Platzhalter auf einem ansonsten fantastischen Album ist, der höchstens für ein paar Schmunzler sorgt. Aber auch Wie Alle Kippenstummel zwischen den Bahngleisen zusammen verkauft sich ein bisschen unter Wert und für einen so großen Longplayer hätte ich mir einen stärkeren Closer als Loser gewünscht. Ein Stück wie Wow, das mich im Vorfeld der Veröffentlichung total begeisterte, findet dafür keinen Platz hier. Abgesehen davon jedoch ist Tilt sicherlich genau das, was hier beabsichtigt wurde: Ein karrieredefinierendes Gesamtwerk, das den Maeckes von 2016 auch Abseits von den Orsons positioniert und an dem unter Umständen auch die Deutschrap-Szene zumindest bis Ende des Jahres nicht ohne weiteres vorbeigehen wird. Durch seine Art, HipHop nicht als gesetzten Stil, sondern als wandelbares Element einzusetzen, hat diese LP schon per se etwas revolutionäres und gepaart mit dem Inhalt der Songs und dem Pop-Appeal ergibt sich ein Effekt, den ich ähnlich hatte, als ich das erste Mal XOXO von Casper hörte. Und obwohl Maeckes hier natürlich in einer komplett anderen Ausgangssituation ist, hat er hier doch eine gleichsam immense Strahlkraft, die irgendwie schon immer da war, aber von der die meisten sicherlich erst jetzt erfahren. Und das wurde langsam auch echt mal Zeit, denn im Business ist der Stuttgarter weiß Gott schon etwas länger.
9/11

Beste Songs: Der Misserfolg gibt mir Unrecht / Tilt! / Marie-Byrd-Land / Atomkraftwerke am Strand / Die Alpen / Kreuz / Irgendniemand

Nicht mein Fall: Gettin' Jiggy With It

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Mittwoch, 26. Oktober 2016

Die López-Dodekalogie Teil 8: Nahostkonflikt

OMAR RODRIGUEZ-LÓPEZ
Infinity Drips


Ipecac / 2016















Es gibt wenige Dinge, auf die ich nach sieben Titeln in der diesjährigen Binge-Veröffentlichung von Omar Rodriguez noch nicht eingegangen bin, doch eine Tatsache, die bisher tatsächlich ein wenig zu kurz kam und die nur ab und zu angedeutet wurde, ist die, dass es sich bei den hier vorgestellten Projekten im seltensten Fall wirklich um Soloalben handelt. Sehr häufig haben wir beispielsweise seine Frau Teresa Suarez hier gehört oder auch sein BFF Cedric Bixler-Zavala tauchte mindestens einmal auf. Teilweise stellte man sich sogar die Frage, ob hier nicht eine ganze Band im Hintergrund agierte. Mit dem achten Release Infinity Drips ist aber nun endgültig eine LP draußen, auf der man sicher sein kann, dass hier auch Fremdeinflüsse mit im Spiel waren. Denn im Gegensatz zum ganzen Rest der bisherigen Erscheinungen ist diese Platte ausnahmsweise nicht primär für Gitarre konzipiert. Bereits das Artwork und die Songtitel deuten an, dass diese 34 Minuten für ihren Schöpfer einen intensiven Exkurs in die musikalische Welt Mittelasiens, Nordafrikas und des nahen Ostens darstellen. Schon seit vielen Jahren verbindet Rodriguez ein Band mit diesen Regionen, das Mars Volta-Album the Bedlam in Goliath wurde zum Teil in Jerusalem aufgenommen, doch seine eigene Arbeit hat die dortige folkloristische Tradition eigentlich eher selten beeinflusst. Dafür haut der Texaner hier gleich mal richtig auf die Kacke: Instrumental besteht das Arsenal hier aus diversen Streich- und Zupf-Instrumenten, auf denen Infinity Drips mehr oder weniger zusammenimprovisiert wurde. Es würde mich nicht wundern, wenn die gesamten 13 Tracks in einer einzigen Session entstanden sind, denn klanglich ergibt sich hier ein sehr einheitliches Bild und qualitativ leider Gottes auch. Auf dem Papier klingt diese Platte wie eine sehr offenherzige Auseinandersetzung eines Künstlers mit der Musik des Orients, doch in Wahrheit ist das hier gebotene eher ein Missbrauch selbiger. Zwar finde ich es gut, dass Rodriguez hier den Ansatz verfolgt, folkloristische Hardware nicht unbedingt im folkloristischen Sinne zu benutzen und auch den Jam-Gedanken unterstütze ich in seiner Theorie irgendwo. Nur fehlt hier offensichtlich jegliche Auseinandersetzung mit der Spielweise dieser Instrumente und so kommt das hier eingefangene eher einer wüsten Kakophonie gleich als tatsächlicher klanglicher Aufarbeitung. Die schrillen Synthesizer, die wahnsinnig brutale Produktion und Teresa Suarez' furchtbare Gesangsperformance machen das auch nicht unbedingt besser. Darüber hinaus gehen die wenigsten der Songs hier länger als zwei Minuten, werden aber selten mit konzeptuell logischen Übergängen bedacht, sodass alles hier irgendwie zerissen und wahnsinnig unschlüssig wirkt. Die wenigen drei- oder vierminütigen Stücke werden deshalb im Verhältnis zu Highlights, auch wenn sie eigentlich nicht weniger durchgeleiert und ideenlos sind. Die gerade mal 34 Minuten dieser Platte zu Ende zu hören, wird so zur unbeschreiblichen Tortur und es ist keinesfalls übertrieben, sie als unhörbar zu bezeichnen. Omar Rodriguez macht hier mit Sicherheit eines der schlechtesten Alben des Jahres, wenn nicht das schlechteste. Was ich meine, wird man spätestens nach der Aspirin wissen, die man nach Genuss dieses Produktes zwingend nötig hat.
2/11

Beste Songs: Na'ir Al Saif / Lacerta / Nihal

Nicht mein Fall: Azha / Tania Borealis / Zuben El Genubi / Baten Kaitos

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Dienstag, 25. Oktober 2016

Mild High

THE ORB
Cow / Chill Out, World!


Kompakt / 2016















Meine Generation von Musikfans hat von ihresgleichen gelernt, dass man sich mit elektronischen Künstlern aus den Neunzigern eigentlich nicht mehr befassen muss. Abgesehen vom universellen Säulenheiligen Aphex Twin wird einem stänig eingeredet, dass es mittlerweile viel coolere und neuere Stile gibt und Leute wie die Chemical Brothers, the Prodigy, Plaid oder die gesamte Riege der IDM-Pioniere von Warp Schnee von gestern sind. Und weil man das immer glaubt, hat man am Ende sehr oft den Schaden, weil man feststellt, dass es eben doch anders ist. In den letzten Jahren habe ich regelmäßig Platten von Neunziger-Ikonen gefeiert und überhaupt habe ich das Gefühl, dass gerade Dinge wie die Artificial Intelligence-Compilation in letzter Zeit wieder häufig das Thema einschlägiger Blogs sind und junge Künstler sich stärker diesen Einflüssen annehmen. Eigentlich soll dieser Rant zu Anfang aber nur eine Ausrede dafür sein, dass ich schon wieder einen Longplayer eines Oldschool-Fricklers richtig toll finde, über den ich so gut wie gar nichts weiß. Zwar hat 1988 gegründete das britische Duo seit seinen Heydays vor zwanzig Jahren nie größere Pausen eingelegt und erst letztes Jahr den Vorgänger Moonbuilding 2703 A.D. veröffentlicht, doch irgendwie bin ich erst jetzt auf ein neues Release von ihnen gestoßen. Doch dieses haute mich dafür dann gleich innerhalb weniger Minuten von den Socken. Mit ihrer ungewöhnlichen Mischung aus Ambient-Chillout, Dub, organischem Sampling und Minimal ist Cow / Chill Out World ein fantastisches Album, dass trotz geringer klanglicher Neuerungen auch 2016 nicht schlechter klingt als vielleicht 1992. Mit einem unglaublich aufgemöbelten Sound und fantastischer Produktion stellen die beiden Musiker hier zehn großartige Tracks, die allesamt ins Märchenbuch der Ambient-Kunst gehören. Wie ein einziger Fluss an Klängen bildet sich das Album in den Gehörgängen des Konsumenten ab und erzeugt psychedelische Bilder im Kopf, die jedoch nie forciert, brutal oder billig wirken. Besonders die erste Hälfte der Platte wirkt in dieser Hinsicht absolut makellos und die einzige Arbeit, die sanfte Trippyness in den letzten Jahren so gut verstanden hat, ist das Comeback der Avalanches von diesem Juni. Wobei the Orb dabei sogar noch wesentlich smoother und intelligenter Vorgehen. Viele der Tracks hier sind wie eine Droge, deren Wirkung man erst Stunden später richtig merkt und die sich ganz subtil im Unterbewusstsein anschleicht. Doch im Gegensatz zum tatsächlichen Rauschmittelkonsum empfielt es sich hier, danach einfach noch mal von vorne anzufangen. Denn Cow / Chill Out World ist ohne Übertreibung eines der besten Alben, die ich in diesem Jahr gehört habe. Und weil das so ist, bin ich gleich noch mal ein wenig frustrierter, dass ich von dieser Band bisher rein gar nichts mitbekommen habe. Aber wenn ich das hier so höre, muss ich das auf jeden Fall sehr dringend nachholen. Denn ein bisschen Arbeit habe ich bei einer Diskografie von mittlerweile fast 30 Jahren definitiv vor mir.
10/11

Beste Songs: First (Consider the Lillies) / Wireless MK2 / Siren 33 (Orphee Mirror) / 4AM Exhale (Chill Out World) / 5th Dimensions / 7 Oaks / 9 Elms Over River Eno / the 10 Sultans of Rudyard (Moo Moo)

Nicht mein Fall: Sex (Panoramic Sex Heal)

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Montag, 24. Oktober 2016

Wir Kinder vom Bahnhof Soul

TWO DOOR CINEMA CLUB
Gameshow


Parlophone / 2016















Wenn es jemals eine Zeit gibt, für die ich in irgendeiner Form bereits jetzt Nostalgie empfinde, dann sind es die musikalischen Wechseljahre zwischen den Noughties und der aktuellen Dekade. Viele Leute empfinden diese Phase als eine der schlimmsten des neuen Jahrtausends und wahrscheinlich haben sie damit auch recht. Doch wie es der Zufall will, fällt genau in diese Jahre zwischen 2007 und 2012 die Zeit meines stilistischen Reifeprozesses. Und weil ich durch sie das Phänomen Popmusik schätzen gelernt habe, kann ich Künstlern wie Ke$ha, den Black Eyed Peas oder den Wombats bis heute durchaus etwas abgewinnen. Eines der Alben, dass mich zu dieser Zeit immens prägte und das ich bis heute dafür liebe ist Tourist History von Two Door Cinema Club. Das 2010 erschienene Debüt des nordirischen Trios war mir ein treuer Begleiter auf meinem Weg vom Radiokonsumenten zum Indiekid und ist in meinen Augen noch immer eine der besten Gitarrenplatten der letzten zehn Jahre. Doch wie viele Bands, die in dieser Zeit vom Hype an die Oberfläche geschwemmt wurden, hatten Two Door Cinema Club seitdem schwer zu kämpfen. Die Jubeljahre des Mainstream-kompatiblen Indiepop waren spätestens mit dem Aufkommen von Trap und EDM vorbei und die meisten der gerade noch als das große neue Ding gefeierten Acts befanden sich eher am rechten Rand der Überholspur als darauf. Das zweite Album Beacon war 2012 ein monumentaler Flop und statt genialer Gitarren-Staccato-Riffs gab es plötzlich Keyboards, Streicher und Festival-Indie für die Laufkundschaft beim Melt!. Es war klar, dass eine Veränderung unabdingbar für Two Door Cinema Club war. Und nachdem die Band nun für vier Jahre scheinbar verschwunden war, ewig an neuem Material gearbeitet hat und viel Promo-Aufwand nötig war, um die Fanbase von einst wieder anzulocken, war es Anfang dieses Sommer geschafft: Mit Are We Ready (Wreck)? hauten die Nordiren eine Single auf den Markt, die ein absoluter Hingucker war. Der mir als Blogger sehr eigene Zynismus schwand im Angesicht dieser Nummer sehr schnell ins bodenlose und ich war unglaublich gespannt, was ihr Comeback (so kann man es mittlerweile echt nennen) bringen würde. Und tatsächlich war Are We Ready? am Ende nicht nur der Köder für einen mickrigen Fisch, sondern der Vorbote eines absolut genialen Pop-Albums. Two Door Cinema Club haben den noch sehr rockigen Sound ihrer ersten Platten hier gegen ein bis in die Haarspitzen durchgestyltes Hochglanz-Konzept getauscht, das vor allem auf eines setzt: Catchiness. Ähnlich der Evolution, die man in den letzten Jahren bei Bruno Mars oder Taylor Swift beobachten konnte, ist diese Band hier zur Hitmaschine geworden, die in diesmal nicht nur in den Indieclubs dieser Welt gespielt werden will. Dabei hilft ihnen vor allem das bisher auch von mir unterschätzte Stimmorgan von Sänger Alex Trimble, das hier zu Glanzleistungen hochfährt, die Teilweise einem Barry Gibb würdig sind. Mit wahnsinnig viel Soul schmeißt er sich hier in die steilen Melodie-Kurven und schreibt dabei sogar noch tolle Texte. Und den Vorwurf, bei diesen Darbietungen irgendwie "weiß" zu klingen, kann man ihm und dem Rest der Band beim besten Willen nicht machen. So schmissige Disco- und Funk-Nummern habe ich in den letzten Jahren von John Legend zumindest nicht gehört. Überhaupt schlagen sich Two Door Cinema Club für einen Act ihrer Generation ungewöhnlich stark. Welcher der damals so großen Künstler hat bis hierhin denn bitte auch nur ein halb so stimmiges und solides Album auf die Beine gestellt? Mir fällt irgendwie keiner ein. Und auch von ihnen hätte ich das jetzt nicht wirklich erwartet. Gameshow ist also in jeder Hinsicht eine ziemliche Überraschung für alle beteiligten. Für Leute wie mich, die bei so etwas nostalgisch werden, ist es obendrein noch ein Grund zur Freude. Aber das tolle ist ja, dass diese Platte auch ganz neue Zielgruppen anziehen kann. Wahrscheinlich werden Tracks wie Are We Ready?, Fever oder Viens De La diesmal nicht mehr im Radio gespielt. Verdient hätten sie es trotzdem. So ein Comeback kriegt schließlich nicht jeder hin.
9/11

Beste Songs: Are We Ready? (Wreck) / Bad Desicions / Ordinary / Lavender / Fever / Invincible / Je Viens De La

Nicht mein Fall: Good Morning

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Sonntag, 23. Oktober 2016

Bringing It All Back Home

CONOR OBERST
Ruminations


Nonesuch / 2016















Bis zum letzten Jahr wäre meine einführende Behauptung über Conor Oberst sicherlich gewesen, dass er sein künstlerisches Zenit bereits hinter sich hat. Seine große Emo-Songwriter-Ära mit den Bright Eyes und Platten wie Lifted oder I'm Wide Awake It's Morning ist seit langem vorbei, dieser Tage erscheint als großes Rerelease-Highlight ein Album-Bundle des Projektes. Nebenbei dümpelten bis vor kurzem noch seine Solokarriere und ein paar Nebenjobs vor sich hin, die nicht wirklich viel feierbares abwarfen. Und wer gute, traurige Folksongs hören wollte, schaute sich mittlerweile lieber bei Sun Kil Moon oder Bill Callahan um. Es sah für das einstige Wunderkind des einfühlsamen Emo also nicht besonders rosig aus. Dann kam 2015 allerdings das Comeback seines unterschätzten Punkrock-Seitenarmes Desaparecidos auf den Markt, dass es unter meine absoluten Lieblingsstücke jenes Jahres schaffte. Was für mich plötzlich hieß, dass es noch immer wichtig war, diesem Typen zuzuhören und dass man einen großen Fehler machte, wenn man ihn einfach unter den Teppich der lange verglühten Nuller-Phänomene kehrte, die nichts relevantes mehr zustande bringen. Und ich bin froh über diese Erkenntnis, denn mit seiner neuen Soloplatte Ruminations setzt er seinen vorsichtigen zweiten Frühling nun überzeugend fort. Nach dem dick aufgetragenen offiziellen Vorgänger Upside Down Mountain und der gerade wiederentdeckten Punk-Energie sind diese knapp vierzig Minuten sein bisher vielleicht am stärksten zurückgenommenes und einsames Werk. Denn auch wenn Conor schon immer jemand war, der einem emotional sehr nahe sein konnte und der verstand, was Intimität in Songs bedeutete, wusste er auch immer, wie man diese Wirkung mit großen musikalischen Gesten verband. Und so ist es tatsächlich etwas neues, eine dermaßen reduzierte LP von ihm zu hören. Wenn man dem Künstler selbst glaubt, wurde Ruminations in gerade mal 48 Stunden komplett aufgenommen und wenn man sich die zehn Stücke anhört, liegt das durchaus im Bereich des möglichen. Mit nicht mehr als einem Klavier und einer Gitarre ausgestattet betet Conor hier seine typisch lebensechten Weltschmerz-Lyrics herunter und begleitet sich selbst dazu auf der Mundharmonika. Nicht selten muss man gerade wegen letzterer Tatsache oft an den jungen Bob Dylan denken. Doch trotz ihrer sporadischen Aura und dem wenigen Drumherum wirken seine Songs niemals leer oder unausgefüllt. Im Gegenteil, das was man hier hört, erinnert wieder sehr an Obersts Heydays und überrascht eingefleischte Hörer gleichzeitig mit komplett neuen Ansätzen. Ich kann mich zum Beispiel an keine Platte erinnern, auf der der Künstler so viel mit dem Klavier als Basisinstrument arbeitete. Und auch der fast schon inflationäre Einsatz der Mundharmonika ist eine Facette, die relativ neu ist aber dennoch wahnsinnig gut funktioniert. Man könnte meinen, dass Conor Oberst nach fast 20 Jahren der musikalischen Aktivität den wirklichen Songwriter in sich entdeckt hat. Dass er hier seinen bisherigen Perfektionismus zugunsten eines experimentellen Ansatzen aufgibt, der viel interessanter sein kann als die totale Kontrolle. Es kann aber auch sein, dass Ruminations wieder eine seiner berühmten Phasen ist, die er ganz schnell wieder abschließt. Was auch immer am Ende das Resultat ist, mit dieser Platte hat mich der New Yorker ein weiteres Mal davon überzeugt, dass seine Arbeit noch immer von Bedeutung ist und dass man vielleicht gerade jetzt wieder auf ihn aufmerksam werden sollte. Man könnte sonst noch richtig was verpassen.
8/11

Beste Songs: Tachycardia / Barbary Coast (Later) / A Little Uncanny / Next of Kin / Till St. Dymphna Kicks Us Out

Nicht mein Fall: Mamah Borthwick (A Sketch)

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Samstag, 22. Oktober 2016

But in the End, It Doesn't Even Matter...

THE DILLINGER ESCAPE PLAN
Dissociation


Party Smasher Inc. / 2016















Wenn es um Bands geht, die sich dieses Jahr trennen, sind the Dillinger Escape Plan eine der Formationen, denen man dafür die meiste Trauer und das meiste Mitgefühl entgegenbringt. Nach fast 20 Jahren Aktivität und einer stetig steigenden Popularität, die sie vom Underground-Phänomen des Posthardcore zum Big Player in der Szene machte, gab das Quintett im Sommer diesen Jahres seine Auflösung bekannt, die nach einem letzten Album und einer an- und abschließenden Tour erfolgen sollte. Diese letzte LP mit dem Namen Dissociation steht nun in den Regalen und sorgt bei Fans der Band noch einmal so richtig für feuchte Hände. In deren Erwartungen vereinen the Dillinger Escape Plan hier zum finalen Schlag nochmal all ihre Kräfte und veröffentlichen ein zeitloses Hardcore-Highlight. Für jemanden wie ich allerdings, der sich aus ihrer Musik noch nie wirklich viel gemacht hat, ist dieses Release wenig emotional angehaucht. Aus ihren Platten sprach für mich nie diese unglaubliche Progressivität, die viele so mochten und oft waren diese auch stilistisch zu brei gestreut, um eine kompositorische Mitte zu erkennen, um die sich das Songwriting bewegte. Und auch im Fall von Dissociation war ich sehr misstrauisch: Die erste Single Symptom of Terminal Illness, die vor wenigen Wochen erschien, klang nicht nur furchtbar altbacken, sondern auch kein bisschen besonders. Sie erinnerte in keinem Moment an cleveren Posthardcore, sondern eher an schwachbrüstigen New Metal oder Post-Grunge der schlimmsten Sorte. Die gute Nachricht ist, dass die Gesamtheit des neuen Albums dann doch ein Stückchen besser ist. Die stilistische Mitte, von der ich eben sprach, ist hier zumindest in Ansätzen vorhanden und einige vertrackt-polyrhythmische Drescher kann man hier durchaus finden. Auch bewegt sich die Platte stilistisch wieder sehr weit über ihre Komfortzone hinaus und macht Andeutungen in Electronica, Jazz, Avantgarde und diversen Rock-Genres. Dass sie eine zielgerichtete Ästhetik hat, kann man also definitiv nicht abstreiten. Allerdings ist diese auch weit davon entfernt, irgendwie relevant zu sein. Das, was the Dillinger Escape Plan hier spielen, wäre vielleicht Anfang der Nullerjahre revolutionäre gewesen, doch 2016 wirkt es kaum noch reizvoll. Die hier angedeuteten Pfade haben Leute wie die Nine Inch Nails, At the Drive-In oder Refused schon lange vorher ausgetreten und waren darin auch besser als diese Experten. Sicher gibt es hier sehr viele echt solide Stellen, die auch gut miteinander kombiniert wurden, doch in kaum einem Fall entsteht daraus dann auch ein vollständig packender Track, der über mehrere Minuten spannend bleibt. In jedem Song werden ziemlich lieblos zwei bis drei coole Motive aneinandergeklatscht und das ganze dann als bahnbrechend experimentell verkauft. Und jeder weiß, dass die Chose so nicht funktioniert. Es wäre aber auch mit unrechten Dingen zugegangen, wenn the Dillinger Escape Plan mich ausgerechnet auf ihrem letzten Album plötzlich rundum überzeugt hätten. Wenn mir schon ihr bisheriger Output nie wirklich zusagte, dann ist es jetzt wahrscheinlich einfach zu spät dafür. Und mit der Trennung dieser Band verliert die Welt in meinen Augen auch nicht wirklich viel. Trotzdem muss ich zugeben, dass Dissociation noch mal ein vergleichsweise gutes Projekt geworden ist, der eine halbwegs solide Schlussnote an das Ende dieser Formation setzt. Und das ist ja irgendwo die Hauptsache.
7/11

Beste Songs: Wanting Not So Much As To / Fugue / Low Feels Blvd.

Nicht mein Fall: Symptom of Terminal Illness / Manufacturing Discontent / Nothing to Forget

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Donnerstag, 20. Oktober 2016

Hört die Signale!

PAUWELS & UNS
U.P. (Split-LP)


October Tone Club / 2016















Schon ein paarmal habe ich mir dieses Jahr vorgenommen, neben klassischen Alben auch ab und zu mal ein paar Split-LPs zu besprechen, da diese sich meiner Aufmerksamkeit inzwischen nahezu aufdrängen. Die bereits im Mai veröffentlichte Kollaboration zwischen Ceschi und Pat the Bunny ist für mich beispielsweise eines der Platten-Highlights von 2016 und auch andere Projekte, wie das von Mono und the Ocean oder diverse Scheiben von Sun Worship sind mir sehr positiv aufgefallen. Dennoch braucht es wieder mal eine Lieblingsband wie Pauwels, damit ich mich dann doch wirklich dazu bemühe. Die großartige Postrock-Formation aus Strasbourg, die mich 2015 mit ihrem Debüt komplett von den Socken holte, ist seit jeher, auch durch ihre strickte DIY-Attitüde, mit dem Verfahren des Splits vertraut. Die Franzosen haben in der Vergangenheit bereits mit diversen befreundeten Künstlern des October Tone Club-Labels zusammengearbeitet und neben gemeinsamen Releases auch Touren und dergleichen veranstaltet. Veröffentlichungen wie diese sind demnach also eher ihre Hauptbeschäftigung als ein nebensächlicher Zeitvertreib. Zu Uns aus dem südfranzösischen Limoges verbindet sie jedoch vor allem eine stilistische Verbundenheit. Beide Gruppen stehen auf eine eher ruppige und collagenartige Umsetzung des Postrock-Konzeptes und so kommt es, dass man ihre Beiträge zu U.P. letztlich kaum voneinander unterscheiden kann. Pauwels gehört die erste Häfte mit ganzen vier Tracks, Uns haben zwar nur zwei beigesteuert, die gehen dafür zusammen aber auch gleich neunzehn Minuten. Und wo letztere doch noch ein bisschen mehr auf Reverb-Produktion, warme Bässe und lange psychedelische Mäander stehen, baut das Trio aus Strasbourg seine Hingabe zum Punkrock und Hardcore hier noch weiter aus. Tracks wie Unununtrium, Warmley oder Baltika liegt zusätzlich aber auch eine unwiderstehliche Danciness inne, die für diese Band zwar nicht ganz neu ist, die aber definitiv noch nie so stark zu spüren war. Die Aufteilung der Songs könnte dabei gelungener nicht vonstatten gehen: Während Pauwels in der ersten Hälfte ordentlich krach machen und gehörig losbolzen, schaffen es Uns in der zweiten, den roten Faden weiterzuführen (vor allem in Sachen Drumming klasse gelöst) und gleichzeitig am Ende noch ein paar richtig epische und finstere Momente einzustreuen, die für einen fetten Ausklang sorgen. Wobei das ganze trotzdem nie in irgendwelche Postrock-Klischees abdriftet, sondern immer noisig und grantig genug bleibt, um locker alle Collapse Under the Empires und God is An Astronauts dieser Welt umzukegeln. Produktionstechnisch bin ich ein wenig unzufrieden mit dem Ende von Warmley, in dem man für einige Sekunden nur Stille hört, die vielleicht so nicht beabsichtigt waren, doch abgesehen davon ist die Platte auch klanglich nicht zu verachten. Beide Bands wissen um die Ästhetik, die sie hier repräsentieren und die man bei der Ballung an Künstlern aus Frankreich auch schon fast eine Szene nennen könnte. Ich zumindest bin auch nach dieser LP überzeugt, dass hier gerade Dinge passieren, auf die die Postrock-Gemeinde und eigentlich Rockfans generell seit Jahren warten. Und ich hoffe einfach ganz sehr darauf, dass das hier noch viel größer und besser wird als bisher. Meinen Teil trage ich dazu zumindest immer wieder sehr gern bei.
9/11

Beste Songs: Ununtrium / 166 / Baltika / Faire Mourir et Laisse Vivre / Faire Vivre et Laisse Mourir

Nicht mein Fall: -

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Mittwoch, 19. Oktober 2016

Nie wieder Rockstar

KINGS OF LEON
Walls


RCA / 2016















Wer ist 2016 eigentlich die größte Rockband der Welt? Die Arctic Monkeys? Queens of the Stone Age? Tame Impala? Die Kings of Leon sind es auf jeden Fall nicht. Und das, obwohl diese Auffassung noch vor einigen Jahren gar nicht so verkehrt war. Die Southern Rocker aus Tennessee verkauften regelmäßig Stadien aus, galten als Symbole für einen entsprechenden Lifestyle und standen bei diversen Festivals immer ganz oben auf dem Plakat. Allerdings war es auch eben jener Erfolg, der die Band damals Stück für Stück aussaugte. Riesengroße Touren nagten an der Kreativität, Star-Allüren machten sich untereinander breit und vor allem Sänger Caleb hatte mit Alkohol- und Drogenproblemen zu kämpfen. Beeindruckendes Zeitdokument dieser zerstörerischen Phase ist die Doku Talihina Sky, die das Familienunternehmen auf dem Gipfel seines Erfolgs und gleichzeitig auf dem emotionalen Tiefpunkt zeigt. Seitdem hat man aus seinen Fehlern allerdings gelernt und seit in den letzten Jahren trat die Band mit ihrer Präsenz zunehmend kürzer. Das sorgte zwar einerseits dafür, dass sie das Rampenlicht für andere Acts frei machten, allerdings auch für eine langsam einsetzende künstlerische Regeneration, die auf Walls ihr nächstes Kapitel findet. Nachdem die letzten beiden Longplayer sozusagen die Metaphase nach dem Erfolg des grandiosen Über-Albums Only By the Night waren, probiert man sich hier wieder vorsichtig an neuen Stilen und experimentiert mit anderen Sounds. Kings of Leon entfernen ihr Songwriting-Konzept hier noch ein Stück weiter von ihren Südstaaten-Wurzeln und öffnen sich noch weiter gegenüber Stadion-Ambitionen und großen Emotionen. Backing-Vocals, Synthesizer und dicke Gitarrenflächen finden hier ganz vorsichtig ihren Weg in die Tracks und sorgen für frische Impulse. Für die langjährigen Hörer wie mich wird es zwar sicherlich erstmal gewöhnungsbedüftig sein, sich darauf einzulassen, doch bereits nach kurzer Zeit findet man Zugang zum neuen Sound. Vor allem auch deshalb, weil hier endlich wieder Highlights stattfinden. Songs wie Over, Muchacho oder der Titelsong als Closer gehören zu den besten Songs, die die Band seit Jahren geschrieben hat und zeigen endlich wieder die Sensibilität für gute Melodien, die ihnen irgendwann scheinbar abhanden gekommen war. Leider schleichen dazwischen noch ein paar Stücke wie Waste A Moment ein, in denen der bisherige Stiefel noch einmal durchgeleiert wird und die deshalb ziemlich unnötig sind. Doch gerade der Mittelteil des Albums zeigt tatsächlich eine mehr oder weniger völlig neue Inkarnation dieser Musiker, die ich zu diesem Zeitpunkt ihrer Karriere nicht wirklich erwartet hätte. Insgesamt ist Walls in meinen Augen mit Abstand das beste Album, das Kings of Leon seit ihrem Sturzflug nach Only By the Night gemacht haben. Es präsentiert eine ruhiger gewordene Band, die aber auch wieder bestimmter ist und nicht mehr nur abliefert. Rockstars wollen sie mit dieser Platte garantiert nicht mehr werden, sondern sich viel mehr wieder auf die Musik im eigentlichen konzentrieren. Und das kann ja eigentlich gar kein schlechtes Vorhaben sein.
7/11

Beste Songs: Find Me / Over / Muchacho / Conversation Piece / Walls

Nicht mein Fall: Reverend / Eyes On You

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Dienstag, 18. Oktober 2016

Kopfüber in den Matsch

RED FANG
Only Ghosts


Relapse / 2016















Als die Westküsten-Sludger Red Fang aus Oregon vor ungefähr drei Jahren ihr letztes Album veröffentlichten, hatte ich gerade so gar keinen Bock auf Sludge Metal. Die meisten Releases dieser Richtung waren ziemlich enttäuschend, harte Musik hatte ich zu dieser Zeit sowieso mehr als genug gehört und außerdem gerade Shoegaze für mich entdeckt. Allerdings war Whales & Leeches, die Platte von damals, dann so gut, dass ich meine Null-Bock-Haltung sehr schnell an den Nagel hängte und mir eine Woche danach gleich nochmal dessen Vorgänger Murder the Mountains mehrmals anhörte. Genau so sollte ein Überraschungsalbum eigentlich funktionieren und diesem Umstand geschuldet, habe ich diesmal mit viel gerechnet, als mit Only Ghosts der vierte Longplayer der Portlander angekündigt wurde. Diesmal wollte ich die Wucht der bratzigen Gitarrenriffs, der dreckigen Bässe und rotzigen Gröhl-Passagen und wusste, dass Red Fang dafür eigentlich genau die richtigen Kandidaten sind. Nur haben sie sich hier leider überlegt, eben das jetzt nicht mehr machen zu wollen. Only Ghosts ist das Album, auf dem sich die ewig polternde Band der räudigen Raufbolde auf einmal dafür entscheidet, feingeistig, progressiv und melodisch sein zu wollen. Und per se ist das ja überhaupt kein Problem. Ich bin immer froh, wenn sich Künstler an neuen Dingen ausprobieren und ihre Grenzen überschreiten und auch im Fall dieser Jungs hätte ich das prinzipiell gutheißen können. Doch Red Fang stellen sich bei diesem Vorhaben einfach nur denkbar blöd an. Es ist fast ein bisschen zu klassisch, dass eine als dreckig und laut verschriene Sludge-Band so grobmotorisch und bescheuert bei dem Versuch scheitert, ihren Sound zu erweitern und sich verhält wie ein Elefant im Porzellanladen. Das Ziel von Only Ghosts war es sicher, in bescheidener Form einen ähnlichen Schritt zu gehen wie Baroness oder Mastodon auf ihren letzten Alben, doch das Resultat erinnert eher an eine verwässerte Mischung aus Muse, einer schwächeren Version von Eyehategod und Metallica zu ihrer St. Anger-Zeiten. Doch die stilistische Fehlleitung ist nicht mal das schlimmste Problem auf dieser Platte: Song-Motive werden vollig lieblos aneinander gereiht und sinnlos verhackstückt, Aaron Beam kann im Refrain seine großen Melodiebögen stimmlich kaum halten und für ihre kompositorisch verhältnismäßig offenen Tracks verwendet die Band einen viel zu pampigen Sound, der die harmonischen Ambitionen der Stücke kein bisschen unterstützt. Kurz gesagt wurde hier einfach viel zu schlampig agiert, um einen Stilbruch wie diesen irgendwie glaubwürdig anmuten zu lassen. Dabei würde ich es Red Fang prinzipiell jederzeit zutrauen, einen solchen zu vollziehen. Nur haben sie mit Only Ghosts eher dazu beigetragen, das Klischee der rammeldösigen Grobmotoriker zu bestätigen, als die man Sludge-Bands ja gerne mal sieht. Und dafür verdienen sie von meiner Seite auch wirklich nichts anderes als Häme. Es gehört schliesslich auch was dazu, so eine vollendete Bruchlandung hinzulegen. Da werden sicher auch die sonst so treuen Fans ein bisschen ungehalten sein.
4/11

Beste Songs: Cut It Short / the Smell of Sound

Nicht mein Fall: Flies / Shadows / Not For You / the Deep

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Montag, 17. Oktober 2016

Die vergessenen Popstars

THE NAKED & FAMOUS
Simple Forms

Somewhat Damaged Ltd. / 2016















Es waren tolle Zeiten, als the Naked & Famous noch in den Charts waren. Vor fünf Jahren, als Young Blood als Überraschungs-Superhit der neuseeländischen Band überall zu hören war, prophezeite man ihnen eine wahnsinnige Zukunft, sogar einschlägige Underground-Blogs lobten die vorzüglichen Popsongs ihres Debüts und man dachte, dass diesen Leuten nur das beste passieren könnte. Doch dann passierte zweieinhalb Jahre einfach mal gar nichts. Im Gegensatz zu den gängigen Vermutungen wurde dem Mega-Erstling nicht innerhalb eines Dreivierteljahres ein Nachfolger hinterhergeworfen und als es dann so weit war, dass im September 2013 die zweite Scheibe In Rolling Waves herauskam, bekamen die meisten Leute überhaupt nicht mehr mit, was das für eine gute Idee war. Die vorsichtigen Keime auf Passive Me, Aggressive You standen hier in voller Blüte und the Naked & Famous waren besser als je zuvor. Die meisten Tracks hier hätten bessere Hits abgegeben als Young Blood, doch davon wollte keiner wissen. Und spätestens mit ihrem dritten Longplayer Simple Forms sind die Neuseeländer endgültig in der Versenkung verschwunden. Dabei ist auch dieser wieder absolut großartig und hörenswert. Nach dem Indierock-affinen Vorgänger wenden sich die zehn Songs hier wieder vornehmlich elektronischem Territorium zu, in dem sich the Naked & Famous schon immer am besten bewegten. Gleich der bratzige Opener Higher zeigt eindrucksvoll, warum. Die Band pumpt einen wahnsinnig hitverdächtigen Beat, für den Chvrches oder Chairlift töten würden, während Sängerin Alisa Xayalith ein weiteres Mal ihr scheinbar unerschöpfliches Talent für großartige Hooks beweist. Und obwohl dieser Song dann auch der größte Aha-Moment auf Simple Forms bleibt, kann auch der Rest der Platte sich durchaus sehen lassen. Es gibt keinen Track hier, den man nicht vorbehaltlos im Radio laufen lassen könnte oder zu dem man im Club nicht weitertanzen würde. Meistens sind sie sogar besser als das, was dort normalerweise sonst läuft. Zugegeben, vieles hier ist nicht mehr ganz so stark wie auf den beiden Vorgängern, doch im Vergleich zu Leuten wie Disclosure oder Ellie Goulding ist auch das hier um Welten besser. Und ein weiteres Mal bereue ich es nicht, dass ich diese Band auch nach wie vor höre und trotz ihrer scheinbaren Irrelevanz nicht von ihnen gelassen habe. Für alle anderen kann ich nur sagen, es lohnt sich, wieder mit ihnen anzufangen. Zum Beispiel auf diesem Album.
8/11

Beste Songs: Higher / the Water Beneath You / Last Forever / Losing Our Control / the Runners / Rotten

Nicht mein Fall: My Energy / Backslide

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Sonntag, 16. Oktober 2016

You All Sound the Same to Me

ARCHIVE
the False Foundation


Dangervisit / 2016















Wenn es 2016 eine letzte große Bastion des Bristol-Sounds gibt, die nicht gleichzeitig zu den Urvätern des Stils gehört, dann sind das wohl Archive. Die Londoner Band tut seit über 20 Jahren so, als wären Portishead und Morcheeba immer noch so cool wie damals und Platten wie Mezzanine und Dummy erst letzte Woche rausgekommen. Dass sie damit auch noch mehr oder weniger erfolgreich sind, verdanken sie zu großen Teilen ihrem feinfühligen Umgang mit Samples, einem einzigartigen Gespür für Drumcomputer und ihrem seit eh und je fantastisch souligen Songwriting. Zwar höre ich die Musik von Archive so richtig aktiv erst seit dem 2012er Album With Us Until You're Dead, doch seitdem war ich von ihnen noch nie wirklich enttäuscht und habe jede ihrer Platten tatsächlich irgendwie genossen. Man könnte meine Vorliebe für diese Band zwar durchaus auch als Guilty Pleasure bezeichnen, doch so richtig peinlich sind sie mir irgendwie auch nicht. Trotzdem ist es komisch, dass ich schon wieder überhaupt nichts dagegen habe, dass sie auf ihrem neuen Longplayer the False Foundation mehr oder weniger das gleiche machen wie sonst immer. Die 53 Minuten neues Material sind eine weitere Ansammlung toll geschriebener, oldschooliger TripHop-Gedächnis-Nummern, die kein bisschen ins Hier und Jetzt passen und zwischen Soul, Electronica, Postrock und Indiepop pendeln. Mit Blue Faces gibt es den nächsten großartigen, über knapp acht Minuten ausgedehnten, balladesken Opener, der mit ziemlicher Sicherheit der beste Track der ganzen Platte ist und danach von eher nur gutem Material abgelöst wird. Man könnte Archive anrechnen, dass the False Foundation im Vergleich zu seinen Vorgängern elektronischer gehalten ist und mit seinen experimentellen Industrial-Anspielungen durchaus an Bands wie Nine Inch Nails, the Prodigy oder die Chemical Brothers erinnert, doch eigentlich kann man diese Tendenzen auch ignorieren. Fakt ist, dass die Umsetzung der Songs dabei ein weiteres mal wahnsinnig filigran und clever vonstatten geht und an vielen Stellen zum Staunen einlädt. Zusammen mit der technoiden Ausrichtung haben Archive auch dafür gesorgt, dass die komplette Platte wie ein durchgängiges Set klingt und man überall ziemlich fetzige Übergänge zwischen diversen Motiven findet. Gerade in Songs wie the Pull Out oder Splinters kann man diese sehr schön bestaunen. Aber auch verhältnismäßig bei der Sache bleibende Stücke wie Bright Lights sind nicht zu verachten. Lediglich das etwas plakative Sell Out wird zum Wermutstropfen in der ansonsten einwandfreien Tracklist. Archive machen mit the False Foundation kein totales Highlight, aber ein weiteres absolut vertretbares, cooles TripHop-Album in einer Serie vertretbarer, coller TripHop-Alben. Für den Hörer ändert sich hier also so gut wie übrrhaupt nichts. Ich kann beruhigt Fan bleiben, die Welt dreht sich weiter und die Neunziger sind jeden Tag ein Stück weiter weg. Aber das war für diese Band je noch nie ein Problem.
8/11

Beste Songs: Blue Faces / Driving in Nails / the Pull Out / Splinters /

Nicht mein Fall: Sell Out / Weight of the World

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Samstag, 15. Oktober 2016

Sit-In mit Trommelkreis

GOAT
Requiem


Rocket Recordings / 2016















Bereits gestern habe ich mit Mega von Blank Banshee über ein neues Album eines vollkommen anonymen Musikers geschrieben und wie es der Zufall will, steht heute gleich noch eine solche Besprechung auf dem Plan. Allerdings habe ich es mit Goat gleich mit einer ganzen Horde maskierter Künstler zu tun, die scheinbar immer größer wird. Überschaubar war das Treiben der Schweden ohnehin noch nie und gerade deswegen mochte ich ihre ersten beiden Platten auch so sehr und man kann damit rechnen, dass dies auf Requiem genau so weiter geht. Bereits auf dem Vorgänger Commune milderte sich ihr furios-esoterischer Psychedelik-Kraut-Folk-Mix zusehends ab und ließ mehr Luft für noch bessere Songs. Die neue LP geht diesen Schritt nun konsequent zu Ende und setzt hier fast nur akustisches Instrumentarium ein. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir es hier mit einem verschüchterten Songwriter-Projekt zu tun haben, sondern eigentlich nur, dass der Sound von Goat noch kreativer und vielfältiger wird. Mit breit aufgestellter Percussion, Holz- und Blechbläsern, Klavier, Synthesizern und diversen Gitarren gleicht das musikalische Aufgebot nunmehr einem ganzen Orchester. Gleichzeitig ist Requiem mit über einer Stunde Spielzeit auch das bisher längste Werk der Band. Man kann also durchaus sagen, dass Goat hier hoch hinaus wollen. Und das ist gut so, denn wo das letzte Album mit seinen vielen verschwurbelten Jams dann doch ab und zu etwas monoton wurde, sollte Abwechslung jetzt wirklich nicht mehr das Problem sein. So gibt es mit dem Intro-Stück Djôrôlen beispielsweise seltsamen Mantra-Gesang, mit Trouble in the Streets eine karibisch anmutende Nummer, Psychedelic Lover hat einen balladesken Charakter, Union of Sun and Moon ist eher jazzig angehacht und und und. Trotzdem schaffen es Goat irgendwie, die komplette Platte wieder einmal wie ein einziges großes Stück Musik klingen zu lassen und behalten sich einen bestechenden Jam-Eindruck bei. Nur dass sie dank der weniger rockig-plärrigen Ästhetik statt an Can oder Jefferson Airplane jetzt eher an Leute wie Eden Ahbez oder Dikanda erinnern. Und wieder muss ich behaupten, dass Goat damit wahrscheinlich ihre beste Platte bis jetzt gemacht haben. Gerade weil Requiem ein bisschen subtiler und kuschliger klingt als die Vorgänger ist es besonders ansteckend und sicherlich wurde hier auch um einiges mehr Arbeit reingesteckt. Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass mich ein Album der Schweden noch einmal so begeistern könnte, aber dieses Ergebnis ist noch eine Steigerung zu allem davor. Da ist es auch scheißegal, dass man diese Band noch immer nicht so wirklich begreift.
9/11

Beste Songs: Djôrôlen/Union of Sun and Moon / Temple Rhythms / Trouble in the Streets / Psychedelic Lover / Try My Robe / Goatfuzz

Nicht mein Fall: Ubuntu

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Freitag, 14. Oktober 2016

I Bims Das

BLANK BANSHEE
Mega

selbstveröffentlicht / 2016















Es ist eigentlich fast schade, dass das große Comeback von Blank Banshee mittlerweile gar kein großes Comeback mehr ist. Für einen Großteil der Musikwelt war der anonyme Produzent schon abgeschrieben, als er vor drei Jahren sein zweites Album veröffentlichte und selbst da hielten ihn viele schon für einen ziemlichen Witz. Allerdings sollte man auch nicht vergessen, dass er oder sie für eines der bis heute wichtigsten Gesamtwerke des Vaporwave-Kosmos verantwortlich ist, das darüber hinaus noch eines der besten ist. Blank Banshee 0 war für mich damals die Platte, auf der ein ganzes Genre plötzlich Sinn ergab und bis jetzt ist es wahrscheinlich das beste Projekt, das jemals dem Schoß der Szene entsprang. Seine zweite LP fand ich dann zwar auch ziemlich enttäuschend, doch es hielt mich nicht davon ab, bis jetzt jedes Signal auf neue Musik mit großer Freude aufzunehmen. Und mit Mega steht diese nach Jahren der Triggerei und falscher Hoffnungen endlich auf dem Plan. Mit 32 Minuten ist sie für die lange Wartezeit zwar relativ kurz, doch sie bietet eine Perspektive auf das Werk von Blank Banshee, die durchaus nicht uninteressant ist. Zum einen erkennt man bereits am Cover und an der generellen Aufmachung, dass man es hier immer noch mit dem gleichen Künstler zu tun hat, der vor vier Jahren den Vaportrap erfunden hat. Gleichzeitig steht Mega aber auch für ein ganz neues künstlerisches Niveau, dass der Produzent hier auffährt. Nicht nur gibt es zum ersten Mal einen richtigen Plattentitel, auch der Sound hier klingt nicht mehr nach ranziger Laptop-Qualität, sondern nach augereiftem Club-Elektro, was den Songs hier gar nicht mal schlecht steht. Kompositorisch nutzt Blank Banshee dabei mehr oder weniger die gleichen Mittel wie schon zuvor, baut daraus allerdings Tracks, die wesentlich breiter gefächert und auch kommerzieller sind. Außerdem ist auch eine beachtliche Zahl an Live-Instrumenten hier zu hören. Und im Prinzip ist diese Ästhetik das beste, was man in seiner Situation hätte machen können. Nach drei Jahren Pause hat das neue Album genug Fan-Service für die treuen Seelen zu bieten, verharrt aber auch nicht auf der Stelle. Den Hype-Effekt der Vaporwave-Frühphase hat er jetzt sowieso nicht mehr hinter sich, wieso also nicht an sich selbst wachsen und die schon immer vorhandene Mainsream-Affinität ausbauen. Und solange dabei immer noch Tracks wie My Machine und Meteor Blade rumkommen, kann auch ich als Liebhaber des Debüts noch staunen. Ich würde vielleicht so weit gehen, dass Mega das neue beste Album von Blank Banshee geworden ist. Einen ordentlichen Comeback-Hype hätte es zumindest verdient gehabt. Aber wir haben ja auch schon 2016, da kann man sowas nicht mehr verlangen.
9/11

Beste Songs: My Machine / Megaflora / Holografitti / Sandclock / Web Ring / Meteor Blade / JUNO / Cerulean / EXOS

Nicht mein Fall: Ecco Chamber / Hungry Ghost

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Donnerstag, 13. Oktober 2016

Teufelsmusik

BRAIN TENTACLES
Brain Tentacles

Relapse / 2016















Die Stile Jazz und Metal erscheinen auf den ersten Blick gerne mal als ziemlich konträr und vollkommen unvereinbar, doch verfügen, wenn man darüber genauer nachdenkt, eigentlich über jede Menge Gemeinsamkeiten. Beide setzen ein gewisses Maß an Virtuosität voraus, sind technisch gerne mal etwas aufwändiger und von beiden wurde irgendwann einmal gesagt, dass sie Teufelsmusik seien. Dennoch haben sich bisher wenige Künstler an der Vermischung von beidem versucht und kein mir bekannter war dabei in meinen Augen besonders erfolgreich. Aus den Lagern der progressiven Fraktion müffelt es nach Namen wie Cynic oder Shining, die seit Ewigkeiten eigentlich nur einen Schein wahren und denen schon vor Jahren die Ideen ausgegangen sind. Besser funktionieren da schon Drone-Projekte wie Bohren & der Club of Gore, doch auch sie haben sich in letzter Zeit sehr in eine Richtung spezifiziert. Doch für alle Freunde des stilistischen Crossovers existiert ab jetzt eine neue Band am Jazz-Metal-Firmament, deren Debütalbum in meinen Augen auch tatsächlich den perfekten Zwischenton beider Genres trifft. Brain Tentacles aus Chicago, ein Zusammenschluss aus Musikern von Bloodiest, Keelhaul und Circle of Animals, schaffen mit dieser Platte also vielleicht nicht unbedingt Pionierarbeit, aber eines der ersten wirklich tragbaren Werke des Stilclashs. Und ihre Herangehensweise ist dabei erfrischend anders als jeder bisheriger Versuch. Statt den Weg in subtiler Melodik und Schöngeistigkeit zu suchen, brettert das Trio hier im wahrsten Sinne des Wortes einfach drauf los. Die zum größten Teil improvisierten elf Songs werden in den meisten Fällen von einem dich aufgetragenen Saxofon-Riff angeführt, hinter dem ein nicht weniger breit aufgestellter Sludge-Bass wummert, während Dave Wittes Schlagzeugspiel das Yin und Yang der beiden ausbalanciert. Das Ergebnis erinnert dann nicht selten an den Jazz-Punk von Melt Yourself Down, wobei hier doch noch deutlich mehr Brutalität dahinter ist. Gerade wenn die Band ab und an auf Screamo-Vocals zurückgreift, hat das ganze schon sehr deutlichen Metal-Charakter. In Tracks wie Fata Morgana zeigt sich jedoch auch die melancholische Seite ihres Stils. In Sachen Songwriting kann man Brain Tentacles demzufolge absolut keine Vorwürfe machen, so gut wie jedes Stück hier ist ziemlich genial komponiert (oder eben improvisiert). Was mich allerdings ziemlich stört, ist die viel zu zahme und immer gleiche Produktion des ganzen. Das prominent in den Vordergrund gemixte Saxofon ist in jedem Song das Erkennungszeichen und wird irgendwann dann doch ein bisschen langweilig. Gleichzeitig könnte das Schlagzeug wiederum ruhig ein bisschen mehr in den Mittelpunkt gerückt werden und Dinge wie Synthesizer oder Gitarren, die in den Credits aufgeführt werden, hört man so gut wie gar nicht. So hört man beispielweise auch sehr deutlich, dass es hier lediglich drei Musiker gibt, die immer dasselbe machen. Im Allgemeinen sind solche Dinge Wermuststropfen, die den Hörgenuss nur sehr wenig mindern, doch sie fallen hier schon sehr deutlich auf. Wenn solche Fehlerchen in Zukunft behoben werden könnten, dürfte es Brain Tentacles gelingen, eine wirklich revolutionäre Platte zu machen. Insofern sie dann noch einmal so viele tolle Songideen aus dem Hut zaubern können.
9/11

Beste Songs: Kingda Ka / Fruitcake / Cosmic Warriors Girth Curse / Hand of God / Death Rules / the Sadist / Peace in War / Palantine

Nicht mein Fall: -

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Mittwoch, 12. Oktober 2016

Hurra, wir leben noch!

GREEN DAY
Revolution Radio
Reprise / 2016
















Achtung! Achtung! Weil im Moment der Server meiner Webseite streikt und es vermutlich ein bisschen dauert, bis dort alles wieder soweit funktioniert, muss ich für kurze Zeit wieder auf die alte Blogspot-Page umsteigen. Es ist nicht ganz so komfortabel und schick wie sonst, aber ich bin gerade ganz froh, dass ich diesen alten Account noch habe. Also bis auf weiteres kommen die Posts wieder hier.

Zugegeben, wer sich im Jahr 2016 noch für die Musik von Green Day interessiert, hat entweder seine Teenagerzeit um einige Jahre vertagt, ist Fan der ersten Stunde oder hat seit mindestens zehn Jahren keine neue Musik mehr gehört. Das letzte Mal, dass die Band aus Kalifornien so richtig interessant und dicke da war, war vor sieben Jahren, als sie mit 21st Century Breakdown ihr zweites gigantoeskes Konzeptalbum auf die Welt loslies und sogar ein paar richtige Radiohits hatte. Schon damals war man zwar kein Idiot, wenn man behauptete, sie hätten ihr Zenit überschritten, doch immerhin hielten sie sich noch einigermaßen aufrecht und waren Epigonen im Vergleich zu ihrem beispiellosen Verfall in den nächsten Jahren. Zwischen 2012 und 2013 floppte das groß angekündigte Album-Triple Uno, Dos und Tré gewaltig und als ob das nicht genug wäre, musste die Band auch noch einige Veröffentlichungen und einen Großteil ihrer Tour absagen, weil für Sänger Billie Joe Armstrong ein Entzug mittlerweile unumgänglich war. Für einen Moment sah es ganz so aus, als könnte man sich die Sache mit Green Day für immer in die Haare schmieren und es würde so bald nichts mehr wirklich relevantes aus ihrer Richtung kommen. Allerdings hätte man dann aus der Vergangenheit des Trios nichts gelernt. Schon in den vergangenen Jahrzehnten schaffte es die Band immer in ihren dunkelsten Stunden, sich wieder aufzuraffen und die Dinge noch einmal komplett neu anzupacken. Resultat solcher Reinkarnationen sind unter anderem ihre beiden wichtigsten Platten, Dookie und American Idiot. Und auch in diesem Sommer staunte man, als mit der ersten neuen Single Bang Bang dann doch ein mehr als passabler Track herauskam. Dass Revolution Radio ein gutes Album werden könnte, schien also realistisch und allerorten hörte man hier schon Gerüchte vom "neuen American Idiot", das die Kalifornier da geschrieben hatten. Ganz so eine Glanzleistung ist es am Ende nicht geworden, doch insgesamt kann man feststellen, dass Green Day auf diesen zwölf Songs so solide dastehen wie sicherlich die letzten zehn Jahre nicht mehr. Und das liegt meiner Meinung hauptsächlich daran, dass sie sich hier den Luxus herausgenommen haben, auch mal Luft zu holen. Revolution Radio ist nur 45 Minuten lang, hat kein übergreifendes Handlungskonzept und ist nicht Teil einer Serie. Es ist einfach nur ein ganz normales Album. Natürlich fehlt ihm dadurch auch ein ganzes Stück weit die Exklusivität, das Platten wie American Idiot oder 21st Century Breakdown eben hatten, doch dafür wurde sich hier auch mal wieder aufs Songwriting konzentriert und nicht einfach nur jeder Müll mit Goldstaub überzogen. Green Day überzeugen hier wieder durch die Qualitäten, wegen denen sie früher mal so gut waren. Sie können melodische Punk-Brecher wie Bang Bang oder Bouncing Off the Wall schreiben, sind sich nicht zu schade für Stadion-Feelings und haben auch immer mindestens eine starke Ballade am Start. Und obwohl man hier auch ein oder zwei richtig doofe Nummern findet, ist der überwiegende Teil von Revolution Radio doch ziemlich ansprechend und erfrischend wie seit Jahren nicht mehr. Dass das ein Album dieser Band irgendwann noch mal schafft, hatte ich eigentlich für ziemlich unwahrscheinlich gehalten, doch es ist hier echt passiert. Und für diejenigen, die schon immer daran geglaubt haben: Nutzt es aus. Es könnte gut sein, dass nach dieser Performance ab jetzt wieder eine grauenvolle Metaphase folgt und man es bereuen könnte, jetzt nicht doch noch mal auf ein Konzert gegangen zu sein oder die neuen Hits mal im Formatradio gehört zu haben. Es gab zwar schon mal eine bessere Zeit, um Green Day-Fan zu sein, doch im Moment ist auch nicht der schlechteste Moment.
8/11

Beste Songs: Somewhere Now / Bang Bang / Outlaws / Bouncing Off the Wall / Troubled Times / Ordinary World

Nicht mein Fall: Revolution Radio / Still Breathing

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