Mittwoch, 19. Oktober 2016

Nie wieder Rockstar

KINGS OF LEON
Walls


RCA / 2016















Wer ist 2016 eigentlich die größte Rockband der Welt? Die Arctic Monkeys? Queens of the Stone Age? Tame Impala? Die Kings of Leon sind es auf jeden Fall nicht. Und das, obwohl diese Auffassung noch vor einigen Jahren gar nicht so verkehrt war. Die Southern Rocker aus Tennessee verkauften regelmäßig Stadien aus, galten als Symbole für einen entsprechenden Lifestyle und standen bei diversen Festivals immer ganz oben auf dem Plakat. Allerdings war es auch eben jener Erfolg, der die Band damals Stück für Stück aussaugte. Riesengroße Touren nagten an der Kreativität, Star-Allüren machten sich untereinander breit und vor allem Sänger Caleb hatte mit Alkohol- und Drogenproblemen zu kämpfen. Beeindruckendes Zeitdokument dieser zerstörerischen Phase ist die Doku Talihina Sky, die das Familienunternehmen auf dem Gipfel seines Erfolgs und gleichzeitig auf dem emotionalen Tiefpunkt zeigt. Seitdem hat man aus seinen Fehlern allerdings gelernt und seit in den letzten Jahren trat die Band mit ihrer Präsenz zunehmend kürzer. Das sorgte zwar einerseits dafür, dass sie das Rampenlicht für andere Acts frei machten, allerdings auch für eine langsam einsetzende künstlerische Regeneration, die auf Walls ihr nächstes Kapitel findet. Nachdem die letzten beiden Longplayer sozusagen die Metaphase nach dem Erfolg des grandiosen Über-Albums Only By the Night waren, probiert man sich hier wieder vorsichtig an neuen Stilen und experimentiert mit anderen Sounds. Kings of Leon entfernen ihr Songwriting-Konzept hier noch ein Stück weiter von ihren Südstaaten-Wurzeln und öffnen sich noch weiter gegenüber Stadion-Ambitionen und großen Emotionen. Backing-Vocals, Synthesizer und dicke Gitarrenflächen finden hier ganz vorsichtig ihren Weg in die Tracks und sorgen für frische Impulse. Für die langjährigen Hörer wie mich wird es zwar sicherlich erstmal gewöhnungsbedüftig sein, sich darauf einzulassen, doch bereits nach kurzer Zeit findet man Zugang zum neuen Sound. Vor allem auch deshalb, weil hier endlich wieder Highlights stattfinden. Songs wie Over, Muchacho oder der Titelsong als Closer gehören zu den besten Songs, die die Band seit Jahren geschrieben hat und zeigen endlich wieder die Sensibilität für gute Melodien, die ihnen irgendwann scheinbar abhanden gekommen war. Leider schleichen dazwischen noch ein paar Stücke wie Waste A Moment ein, in denen der bisherige Stiefel noch einmal durchgeleiert wird und die deshalb ziemlich unnötig sind. Doch gerade der Mittelteil des Albums zeigt tatsächlich eine mehr oder weniger völlig neue Inkarnation dieser Musiker, die ich zu diesem Zeitpunkt ihrer Karriere nicht wirklich erwartet hätte. Insgesamt ist Walls in meinen Augen mit Abstand das beste Album, das Kings of Leon seit ihrem Sturzflug nach Only By the Night gemacht haben. Es präsentiert eine ruhiger gewordene Band, die aber auch wieder bestimmter ist und nicht mehr nur abliefert. Rockstars wollen sie mit dieser Platte garantiert nicht mehr werden, sondern sich viel mehr wieder auf die Musik im eigentlichen konzentrieren. Und das kann ja eigentlich gar kein schlechtes Vorhaben sein.
7/11

Beste Songs: Find Me / Over / Muchacho / Conversation Piece / Walls

Nicht mein Fall: Reverend / Eyes On You

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