Donnerstag, 29. Dezember 2016

Die besten Sachen 2016: Die 30 besten Alben


Es wird ernst, Freunde! Das Jahr 2016 neigt sich nun langsam bedrohlich dem Ende zu (obwohl viele sicher froh sind, dass der Schrecken endlich ein Ende hat) und ich möchte euch nun mein persönliches Highlight einer jeden CWTE-Saison vorstellen: Meine 30 liebsten Alben der vergangenen zwölf Monate. Obwohl ich in dieser Zeit schon wieder fleißiger war als die Jahre zuvor, ist es mir natürlich nicht gelungen, die umfassende Vielfalt der gesamten Musikwelt abzudecken und dass diese Liste lediglich meine ganz persönliche Auffassung wiederspiegelt, muss ich sicherlich nicht noch einmal betonen. Ein Resümee beim Betrachten dieser Liste ist für mich sicherlich, dass 2016 ein gutes Pop-Jahr war, aber auch ein wenig überraschendes. Viele der hier aufgezählten Künstler waren entweder vorher schonmal in meinen Top 30 oder zumindest nicht weit davon entfernt und ich hatte in den vergangenen Monaten oft das Gefühl, dass sowohl gute als auch schlechte Erwartungen mehr oder weniger erfüllt werden. Eine große Überraschung verbirgt sich dennoch an der Spitze dieser Liste, mit der ich so nicht gerechnet hätte und viele von euch sicherlich auch nicht. Aber ich muss abschließend sagen, dass ich mit diesen 30 Platten hier sehr zufrieden bin und natürlich jede davon wärmstens empfehlen kann. Ich hoffe, ich kann euch hiermit einen schönen Input zum Jahresende geben. Guten Rutsch und so!

30. BRIAN ENO
the Ship
Warp
Nicht immer ist geht es gut aus, wenn gestandene Künstler älteren Semesters sich noch einmal neu zu entdecken versuchen, doch natürlich gilt das nicht für einen Brian Eno. Der Urvater des Ambient liefert hier wieder eines seiner stilleren Alben, das dennoch voll ist von experimentellen Ausschweifungen und vorsichtigen Pop-Momenten. Vor allem ist es aber auch die Einbeziehung von Vocals in diesen Kontext, die the Ship zu einer Weltpremiere macht. Dass der schüchterne Brite ohnehin eigentlich wenig selbst singt, macht dieses Album schon einmal für sich besonders, doch hier scheint er das ganze zum ersten Mal in 40 Jahren Karriere richtig zu kultivieren. Das Ergebnis ist nicht selten atemberaubend. Vom imposanten, 21-minütigen Titelstück über die melancholischen Spoken-Word-Parts im Mittelteil bishin zum glorreichen Pop-Closer I'm Set Free am Ende erleben wir hier eine der besten Platten, die Eno seit Jahren gemacht hat. Und die Bock auf seine neue LP macht, die in gerade mal einer Woche erscheint.

Das beste daran: Die höfliche Verbeugung, die Eno im Closer vor seinem Kumpel David Bowie macht. Aufrichtige Anteilnahme.
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29. WOLF PEOPLE
Ruins
Jagjaguwar
Jedes Jahr nehme ich mir vor, auf solche Retrorock-Maschen wie diesen Longplayer nicht mehr reinzufallen und doch passt jedes Jahr wieder eine Platte wie Ruins in meine Top 30. Zu meiner Verteidigung habe ich zu sagen, dass die Briten von Wolf People mehr können als nur Vintage und bei der ganzen Sache einen unschlagbaren kompositorischen Eigencharakter aufweisen, der den abgehangenen Seventies-Einflüssen hier eine unwiderstehliche Spritzigkeit verleiht und im Ergebnis zwölf großartige Rocksongs präsentiert, die man beim besten Willen nicht scheiße finden kann. Dazu klingt die Platte auch noch wahnsinnig gut und scheut sich nicht, auch mal ein bisschen exotisch zu werden und so Sperenzchen wie Querflöten und unlkige Keyboards einzusetzen. Folglich kann ich mich für diesen Pick einfach nicht schämen, egal wie sehr ich es manchmal will. Aber das hier ist eine Retro-Platte, die ich guten Gewissens an euch weitergeben kann. Weil sie einfach mal eine Klasse für sich ist.

Das beste daran: Die Spekulation darüber, wie viele Effektgeräte man wohl für das Gitarrensolo in Ninth Night verbraten hat.
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28. BETA BOYS
the Beta Boys Mixtape
selbstveröffentlicht
Manchmal muss HipHop böse sein und gerade 2016 hätte sicherlich auch ich das häufiger vergessen, hätte es nicht die Beta Boys aus New York gegeben. Die lose zusammengewürfelte Crew junger Bandcamp-Rapper war in diesem Jahr vor allem Bestandteil von Memes und Cringe Compilations, doch auf ihrem ersten Gang-Mixtape ziegten sie, dass sie es durchaus ernst meinen können. Angeführt von MC und Produzent Drrty Pharms erleben wir hier einen räudigen LoFi-Horrorcore-Dschungel, der voll ist mit schwarzem Humor (und das ist in diesem Fall keine hohle Phrase) und Depri-Stimmung und bei dem jede zweite Punchline zur Sodomie oder zum Kannibalismus aufruft. Das ist harter Stoff und die Hälfte der Hörer dieses Mixtapes wird statistisch gesehen direkt einen Exorzisten rufen müssen, doch so haben der Wu-Tang Clan und Odd Future irgendwann auch mal angefangen. Und bei der schieren Anzahl von Beteiligten hier und ihren großartigen Beiträgen zu dieser Platte weist die Marke Beta Boys in meinen Augen großes Zukunftspotenzial auf. Wenn nicht alle sofort im Knast landen zumindest.

Das beste daran: "I've given twenty girls herpes on purpose / I'm an asshole, that shit is fucking permanent"
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27. LUKE TEMPLE
A Hand Through the Cellar Door
Secretly Canadian
Ich redete im Einführungstext von wenigen wirklichen Überraschungen in diesem Jahr. Luke Temples A Hand Through the Cellar Door war eine davon. Nach drei ziemlich missglückten Alben Spaß-Folk und mittelmäßigem Indie kommt im zwölften Jahr seiner Karriere plötzlich ein großartig geschriebenes, inhaltlich schweres Geschichten-Album, das zu den besten Songwriter-Platten des Jahres gehört. Es ist, als hätte der Musiker aus Massachussets all dieses Talent die ganze Zeit versteckt gehalten, um uns jetzt alle zu schocken oder seine Seele an den Teufel verkauft, um diese Texte schreiben zu können. Doch wie auch immer man die Verschwörungstheorie aufbaut, das Resultat dieses Albums bleibt absolut erstaunlich. Songs wie the Case of Louis Warren oder Maryanne Was Quiet sind mit Sicherheit die Königsdisziplin des Songwritertums und in den vergangenen Jahren sah man Temple bereits an einfacheren Aufgaben scheitern. Umso schöner, jetzt eine solche Platte von ihm zu hören, die Lust auf mehr macht und von der man erfahrungsgemäß lange etwas hat.

Das beste daran: Dass man sich Stories wie Maryanne Was Quiet einfach nicht ausdenken kann.
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26. JENNY HVAL
Blood Bitch
Captured Tracks
Es gibt wahnsinnig viele Gründe, dieses Album gut zu finden. Die hübschen Texte, das subtile Ambient-Songwriting oder die Art, wie Jenny Hval mit elektronischer Musik umgeht. Für mich jedoch sticht an Blood Bitch nach wie vor heraus, wie großartig es aufgenommen ist. Die Norwegerin schafft hier ein Meisterwerk der leisen Töne, in dem jedes noch so kleines Detail wichtig ist, dass klanglich einem geradezu pornös funktioniert und bei dem es sich wirklich, wirklich lohnt, gute Kopfhörer zu haben. Frau Hval wirkt hier eher wie eine Songwriterin als wie eine Produzentin und versteht es wie keine andere Musiker_in in diesem Jahr, klangliche und inhaltliche Stilmittel mit maximaler Wirkung einzusetzen. Und dabei ist es eben auch wichtig, dass nicht alles immer plärrig und fett ist. Die Wahrheit ist, dass diese junge Dame eigentlich viel zu schlau dafür ist, um ganz normale Popmusik zu machen und das langsam erstaunlich klar wird. Das bedeutet jedoch auch, dass wir mit ihr noch viel Spaß haben werden. Oder sie vielleicht eher mit uns.

Das beste daran: Der herrliche Skit am Anfang von the Great Undressing.
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25. BADBADNOTGOOD
IV
Innovative Leisure
Mit ihrem vierten Album sind Badbadnotgood endgültig in der Phase angekommen, in der sie sich alles trauen und einfach nur machen, was sie wollen. Elektronischer Boombap? Kein Ding. Ein siebenminütiger Jazz-Standard mit Saxofon-Impros? Easy. Eine schmalzige Soul-Nummer? Läuft. IV ist mit Sicherheit das bis dato kreativste Projekt der vier Kanadier und macht daraus das absolut beste. Mit Features von so unterschiedlichen Leuten wie Kaytranada, Colin Stetson und Mick Jenkins zeigen die Rabauken der Jazz-Szene hier, wie Facettenreich sie tatsächlich sind und fabrizieren dabei das erste Mal so etwas wie Hits. Natürlich ist das ganze dann etwas wildwüchsig und ohne jegliche Marschrichtung. Dennoch packt einen dieses Album mit jedem Mal mehr und fasziniert in jedem Detail. Sollte die Band dieses unglaubliche Repertoire an Stilen auch noch kanalisiert kriegen, haben wir spätestens in drei Jahren ein Top-Zehn-Album von BBNG. In allen anderen Fällen hätte ich zumindest lange nicht gedacht, dass das Quartett irgendwann hier stehen würde. Insofern ist das schon mal ein gewaltiger Schritt.

Das beste daran: Die Flöten-Samples im Hintergrund von Speaking Gently. Und nein, ich bin überhaupt nicht kleinlich.
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24. MAECKES
Tilt
Chimperator
Wo alle immer auf die deutsche Popmusik schimpfen: 2016 war für deutschsprachige Musik an und für sich ein richtig gutes Jahr. Beispiel Eins: Tilt von Maeckes. Nicht nur ist es unglaublich befreiend, endlich ein Soloalbum des Stuttgarters zu hören, dass nicht nur aus Songskizzen und Zwischentönen besteht, auch merkt man in jeder Sekunde, wie viel Arbeit und Kraft in diesem Projekt steckt. Das Resultat ist nicht weniger als eine Platte, die Deutschrap mit dem kleinen Finger stämmen könnte, ein großes Pop-Werk sein will und ist und die Quintessenz des Künstlers Maeckes zum Ausdruck bringt. Dabei textlich wie musikalisch genial ausgeführt, klanglich viel größer angelegt als alles vorher und um zweihundert Prozent intelligenter als der meiste Mist von den Orsons. Ich habe diese LP 2016 sehr gehyped und es erstaunt mich am Ende selbst, dass es nur Platz 24 geworden ist, doch noch besser als die Platte an sich ist eigentlich auch das Wissen, dass es sie gibt. Ihr müsst das nicht unbedingt verstehen, aber für mich ist es wichtig.

Das beste daran: Als man beim ersten Hören von Kreuz fast angefangen hat zu heulen.
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23. RUSSIAN CIRCLES
Guidance
Sargent House
Vor 2016 mochte ich die Russian Circles vor allem deswegen, weil sie laut waren und gute Riffs spielen konnten. Eigentlich hatte ich von ihrem sechsten Album Guidance vor einigen Monaten nichts anderes erwartet. Doch dann veröffentlichten sie stattessen ihr bisher moderatestes Album mit vielen Shoegaze-Passagen und leichten Strukturen, die ich bisher so gar nicht von ihnen kannte. Das tolle dabei ist: Es klingt genauso geil wie ihre besten Platten von vorher und wirkt zugleich viel weniger gestelzt und zurechtgemacht als jene. Die Postrock-Helden aus Chicago bauen hier eine Dreiviertelstunde Musik wie aus einem Guss, die eine himmlische Euphorie ausstrahlt und dicke Sonnenstrahlen in die sonst recht düstere Russian Circles-Welt fallen lässt. Zugegeben, besonders zeitgemäß ist das ganze nicht und man darf hier nicht die Revolution des Postrock erwarten, doch für einen guten Klassiker ist Guidance allemal zu haben. Was übrigens so bleibt ist, dass die Platte noch hundertmal besser klingt, wenn man sie sehr laut anhört.

Das beste daran: Wenn der Mittelteil von Afrika eine Schnupperstunde im Blackgaze macht.
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22. CLIPPING.
Splendor & Misery
Sub Pop
Auch wenn ich dieses Jahr die Wriggle-EP von Clipping ein Stückchen besser fand als Splendor & Misery: Man kann diesem Album seine Qualität nicht absprechen. Eines der besten Story-Konzepte des Jahres, haufenweise seltsame Einflüsse, soziopolitische Inhalte im aktuellen Kontext, cleveres Sounddesign und am Ende trotzdem eine ganze Reihe Hits, für die ich diese Band sowieso am meisten liebe. Die positiven Eigenschaften dieser LP sind scheinbar objektiv. Es ist ein Projekt, wie es nur Clipping so hätten machen können: Wer sonst traut sich 2016 eine distopische Sci-Fi-Oper über interstellare Sklaverei, die Elemente aus Gospelmusik einbezieht und am Ende so viel mehr ist als einfach nur ein HipHop-Album? Wenn man sich mal überlegt, wie viel bei dieser waghalsigen Idee hätte schief laufen können ist es beeindruckend, wie gelungen sie am Ende tatsächlich geworden ist. Das beweist einmal mehr, dass Clipping zurzeit zu den besten experimentellen Rap-Gruppen überhaupt gehören und alles zu künstlerischem Gold wird, was sie anfassen. Und da ist Splendor & Misery noch nicht mal ihre beste Platte in diesem Jahr.

Das beste daran: Dass es mit A Better Place am Ende noch einen richtigen Banger gibt.
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21. PREOCCUPATIONS
Preoccupations
Jagjaguwar
Letztes Jahr schrammten Preoccupations, damals noch unter dem viel cooleren Namen Viet Cong, ganz knapp an meinen Top 30 vorbei, doch sie 2016 auszulassen, wäre unmöglich gewesen. Auf ihrem zweiten Album präsentieren sie ihren jetzt noch düstereren Postpunk in einer solchen Perfektion, dass es manchmal weh tut. So schön grummelige Basstöne, unterkühlte Sythesizer und sonor-depressiven Gesang habe ich bisher noch kaum gehört und an technisch überzeugenden New-Wave-Revival-Bands besteht ja nun wirklich kein Mangel. Und an manchen Stellen waren nicht mal die Originale aus den Achtzigern so goth wie es Preoccupations hier sind. Insofern ist diese LP eigentlich gar kein wirkliches Retro-Produkt, sondern ein Produkt, wie es nur im 21. Jahrhundert, mit verklärtem Blick auf die Postpunk-Ära, möglich ist. Das ist allerdings kein Mangel, sondern vielleicht das wichtigste Qualitätsmerkmal an diesen neun Tracks. Fakt ist, dass diese Band aus Calgary spätestens jetzt zur Elite des Neu-New-Wave gehört und hier ein Album vorlegt, dass die Eigenschaften eines Standardwerks hat.

Das beste daran: Wenn die Band kurz vor Schluss mit Stimulation noch mal richtig Tempo macht.
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20. GOAT
Requiem
Rocket Recordings
Schon in den vergangenen Jahren standen die Platten der schwedischen Psych-Rocker Goat bei mir hoch im Kurs, doch es ist ziemlich eindeutig, dass ihr drittes Album Requiem nochmal eine ganz neue Qualität aufweist. Mit einem riesigen instrumentalen Aufgebot, zahllosen stilistischen Tricks und Kniffen und offenen Ohren an allen Enden der Welt präsentiert das anonyme Kollektiv hier sein bisher bestes Projekt. Die bratzigen Kraut-Gitarren werden dabei gegen allerlei akustische Hardware ausgetauscht, die den Jam-Charakter der 13 Tracks noch einmal wesentlich besser zur Geltung bringen und auch neue Möglichkeiten für Experimente bieten. Dass die Band dabei erstmals auch verstärkt mit Jazz- und Folk-Einflüssen spielt, ist noch mal ein besonderer Bonus, der die Erwartungen eines jeden Fans der ersten beiden Platten noch einmal um ein vielfaches übertrifft. Ein Nebeneffekt des ganzen kann sein, dass man jene Vorgänger von nun an weniger schätzt, doch es bedeutet gleichzeitig auch, dass man von nun an noch besseres von ihnen erwarten kann. Fürs erste ist Requiem jedoch ein sehr solider Zustand, der einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Das beste daran: Der Opener the Union of Sun and Moon mit dem besten Blockflöten-Solo des Jahres.
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19. GUCCI MANE
Everybody Looking
Guwop Entertainment
Hätte man vor zehn Jahren jemandem erzählt, dass 2016 eines der biografish interessantesten Alben des HipHop ausgerechnet von Gucci Mane kommt, hätte man ganz bestimmt den goldenen Aluhut verliehen bekommen. Doch so wie es aussieht, hat Guwop mit Everybody Looking so etwas wie das At Folsom Prison des Traprap gemacht. Nach seiner Haftentlassung im Mai hatte der mutmaßliche Erfinder des Genres jede Menge zu erzählen und macht daraus auf seinem Comeback ein überraschend tiefsinniges Erlebnis. Dabei geht es immer wieder um seine überwundene Drogenabhängigkeit, seine Zeit im Knast und seine neu gewonnenen moralischen Ansichten. Trotzdem versteht es Gucci meisterhaft, diese Stories in großartige, unterhaltsame Banger zu verpacken und noch genug Raum für den obligatorischen Swag-Money-Pussy-Zirkus zu lassen. Damit gelingt ihm nicht nur ein überraschend stimmiges Comeback und vielleicht seine beste LP bisher, Everybody Looking ist auch eines der wenigen wirklich großartigen Trap-Alben, die dieses Jahr erschienen sind. Leider war sein vor ein paar Wochen veröffentlichter Nachfolger dann schon wieder richtiger Müll, aber zumindest haben wir jetzt den Beweis, dass selbst ein Typ mit einer Eistüte im Gesicht zu großen Gefühlen fähig ist.

Das beste daran: Dass auch alle Features hier richtig gut sind.
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18. MOURN
Ha, Ha, He
Captured Tracks









2016 war in vielerlei Hinsicht ein Jahr der schwermütigen, bedeutungsschwangeren und tiefsinnigen Projekte und inmitten dieses Jahres eine LP wie Ha, Ha, He von Mourn zu hören war eine echte Erlösung. Vier junge Leute aus Spanien, die gemeinsam eine krachige Postpunk-Platte von nicht einmal einer halben Stunde Länge aufnehmen, so etwas brauchte ich schon seit langem. Aus dieser Band spricht noch nicht die verkünstlerte Ernsthaftigkeit etablierter Musiker, sondern eine erfrischende Leichtigkeit und Spontanität, die bei mir diesen Sommer einen Begeisterungssturm auslöste. Die zwölf Songs hier sind herrlich trocken, kantig und brutal komponiert und haben trotzdem eine unglaublich eigene Seele, die wenige Indierock-Projekte im Moment haben. Was Mourn hier machen ist nicht weniger als genial und das ist es vor allem deshalb, weil die Akteure selbst nicht wissen, wie genial sie sind. Ich freue mich sehr darauf, was dieses Quartett in Zukunft für eine Rolle auf diesem Blog einnehmen könnte, ich habe allerdings auch Angst, dass die Szene sie nach diesem Album langsam aber sicher verschluckt. Gerade deshalb sollte man diese fantastische Momentaufnahme jedoch nicht verpassen.

Das beste daran: Dass die Jungs und Mädels hier gerade mal so alt sind wie ich.
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17. MARCHING CHURCH
Telling It Like It Is
Sacred Bones









Telling It Like It Is ist nicht mehr die spektakuläre, geisteskranke Shock-Value-Platte, die The World is Not Enough letztes Jahr war, doch ganz sicher die bestmögliche Fortsetzung selbiger. Stilistisch noch vielfältiger, kompositorisch sicherer und gefasster und mit einer gesunden Souveränität ausgestattet trägt sie vor allem dazu bei, dass Marching Church kein Name sind, den man wegen dieses einen fantastischen Albums kennt und zeigt, dass man es hier nicht nur mit einem Nebenprojekt von Iceage zu tun hat, sondern eher mit einer mindestens gleichberechtigten Alternative. Wenn Elias Bender Rønnenfelt so weitermacht, könnte er hiermit eine meiner neuen Lieblingsbands ins Leben gerufen haben. Allein die Tatsache, dass er mit zwei aufeinanderfolgenden Platten in zwei aufeinanderfolgenden Jahren innerhalb der besten 20 landet, ist ein ziemlich starkes Indiz dafür. Und ich sehe im Moment keine Möglichkeit, wie dieses Projekt in Zukunft irgendwie scheiße werden könnte, wenn sie doch ständig mit demaßen abgefahrenen Sachen so sehr überzeugen. Ich freue mich also schon auf das nächste Mal.

Das beste daran: die vorsichtigen karibischen Einflüsse in Heart of Life.
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16. RADIOHEAD
A Moon Shaped Pool
XL Recordings









Dass A Moon Shaped Pool in meinen Augen zu den eher schwächeren Alben von Radiohead gehört ist eigentlich eine hohle Phrase, da die Briten so etwas wie ein schwaches Album erwiesenermaßen gar nicht machen können. Auch auf LP Nummer Neun präsentiert die Band eine völlig neue Facette ihrer Musik und ist dem Rest der Popwelt permanent um Längen voraus. Sowohl die inhaltlich immer wieder aufgegriffene Thematik um Thom Yorkes Trennung als auch die sehr zurückgenommene klangliche Ausgestaltung sind meisterhaft ausformuliert und Jonny Greenwoods epische Streicher-Arrangements heben die Tragweite der Songs auf ein neues Level. Statt provokativer Experimentalmusik üben sich Radiohead hier in perfektionierter Harmonik und melodischer Schönheit, die ihnen ebenso gut zu Gesicht steht und die manch einer nach den letzten Projekten vielleicht auch brauchte. In der Theorie ist A Moon Shaped Pool damit ein ziemlich passives Album, doch in der Praxis kann ich dazu selbstverständlich mal wieder nicht nein sagen.

Das beste daran: Obvious Choice, aber natürlich noch immer Burn the Witch.
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15. SKEPTA
Konnichiwa
Boy Better Know









Das groß angekündigte Grime-Revival 2016 war im Nachhinein betrachtet nicht viel mehr als eine ziemliche Blase, doch für eines der besten HipHop-Alben des Jahres war es dennoch verantwortlich (oder war es andersrum?). Mit Props von Kanye und Drake und Features von internationalen Schwergewichten wie Pharell Williams und A$ap Nast macht Skepta hier die Platte, die Großbritannien im Rap-Game wieder auf die Karte packt, um es mal mit den Worten seines Kollegen Gzuz zu sagen. Dabei ist es aber nicht der Star-Support, der Konnichiwa so wichtig und großartig macht, sondern die Tatsache, dass dieser Skepta ein wahnsinnig talentierter MC ist. Zu fett produzierten, roughen Grime-Beats spittet der Brite hier Bars, wie ich sie seit langem von keinem US-Rapper dieser Größe mehr gehört habe und stellt dem Bling-Bling und Schalala der aktuellen Trap-Szene die harte Realität der englischen Arbeiterklasse und die Probleme der Migranten gegenüber. Allein deshalb ist dieser Typ cooler als die meisten anderen und noch dazu macht er das ganze musikalisch richtig gut. Und auch wenn es nur ein kurzer Moment war, sah es doch zwischendurch so aus, als würden die coolen Kids bald mehr Rap aus UK hören als aus den Staaten. Allein dafür hat sich das hier gelohnt.

Das beste daran: "I got bars like Camden Town" - wie Recht er hat.
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14. ANDY STOTT
Too Many Voices
Modern Love









Der Andy Stott von 2016 ist mittlerweile nicht mehr mit dem düsteren, bratzigen Alternative-Dubstep-Andy Stott von 2012 zu vergleichen, als den die meisten ihn kennen. Inzwischen produziert der Brite wesentlich leichtere Songs, die im Vergleich zu seinem Frühwerk fast sommerlich und beschwingt wirken. Sein drittes Album Too Many Voices ist dafür exemplarisch und daher vielleicht auch die Platte, die mir aus seiner Diskografie bisher am meisten zusagt. Zwar sind seine sonderbaren Avantgarde-Ausflüge noch immer nichts für den durchschnittlichen Electronica-Konsumenten, doch wenigstens klingt die ganze Suppe hier nicht mehr so deprimierend wie noch auf dem Vorgänger. Der inzwischen definitiv im UK Bass angekommene Sound öffnet sich hier weit in Richtung optimistischer Klangsphären und zieht auch zahlreiche Einflüsse aus Vaporwave, Trap, Ambient und Wonky mit an. Das Ergebnis ist eines der Highlights experimenteller elektronischer Musik im Jahr 2016, mit dem Stott zum wiederholten Mal in den Top 20 des Jahres landet. Da sollten langsam Treuepunkte vergeben werden.

Das beste daran: Der grandiose Deep-House-Bass in First Night.
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13. KJ
Wake
Own Records









Auf Platz 13 findet sich ein weiteres elektronisches Album, diesmal jedoch eines meiner Ambient-Highlights des Jahres. Der junge Produzent und Filmemacher KJ Rothweiler aus New York bringt auf seinem Debüt (veröffentlicht vom Lieblings-Label Own Records) seine beiden Leidenschaften zusammen und bastelt hier ein knapp vierzigminütiges Projekt, das sich klanglich mit Träumen auseinandersetzt und dabei tatsächlich wie ein Soundtrack des Unterbewusstseins funktioniert. Mit einer wahnsinnig epochalen, cineastischen Tiefe kreiert er hier eine LP zum einkuscheln und sich verlieren, die gerade dadurch eben so passend ist, weil sie so unpräzise und vage bleibt und scheinbar ohne jegliche Ecken und Kanten über dem Hörer schwebt. Wake ist das musikalische Äquivalent zu einer Wolke, die zwar sichtbar und wirklich, aber nicht fassbar ist und nur Teil eines sich verändernden Zustandes. Und an solcherlei Beschreibungen sollte man eigentlich merken, dass man über eine Platte wie diese lieber nicht zu viele Worte verliert, sondern sie lieber anhört.

Das beste daran: Wie sich Blue langsam und kaum spürbar durch die Gehörgänge wabert. Wolke und so.
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12. PORCHES
Pool
Domino









2016 war das Jahr, in dem ich aufhörte, ein Teenager zu sein, doch für dieses Album hat es sich nochmal so richtig gelohnt. Pool war dieses Jahr die Platte für diejenigen, die nachts heimlich Lana del Rey hören, sich Zeilen von Alex Turner tätowieren lassen wollen und Mermaid- oder Denim-Hair cool finden. Technisch gesehen kombinieren Porches hier lediglich die Ästhetik des Vaporwave und Mallsoft mit der des emotionalen Indierock, doch die melancholische Wirkung, die dadurch entfaltet wird, ist immens. Zu Songs wie Underwater, Mood oder Car möchte man nächtens Marlboro rauchend ungeschützten Sex in Gebrauchtwagen haben oder schlechtes Bier aus fancy Dosen trinken, während man in die Sterne schaut. Zumindest ich habe dieses Bedürfnis immer, wenn Aaron Maine mit seiner klagenden Stimme über sein Auto singt, während im Hintergrund spritzige Achtziger-Beats laufen. Was auf diesem Album passiert, ist vielleicht keine große Kunst, aber es ist Instant Emo-Gedusel für die Post-Internet-Generation. Kommt Leute, ihr wart doch auch mal jung.

Das beste daran: Die peppige Bassline von Mood.
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11. KEVIN MORBY
Singing Saw
Dead Oceans









Seitdem 2014 Brothers and Sisters of the Eternal Son von Damien Jurado das Album des Jahres wurde, bin ich auf viele Jünger des maximalistischen Singer-Songwritings sehr gut zu sprechen und in diesem Jahr war Kevin Morby sozusagen der Meisterschüler in dieser Kategorie. Der Texaner versteht es wie wenige andere, seine seichten akustischen Folksongs mit allerhand instrumentalem Krimskrams aufzumöbeln und hier ein Album zu präsentieren, dass stilistisch mit allem von Garagenrock über Gospel bishin zu Mariachi vollgestopft ist und trotzdem nicht überquillt, weil es von einem wahnsinnig charismatischen Typen (nämlich Kevin Morby) performt wird, der alles irgendwe zusammenhält. So ist Singing Saw nicht nur eine Platte mit unendlich vielen Facetten und haufenweise großartigen Songs, sie ist vor allem auch eine echte Parade für den Hauptakteur hier, die sich mindestens anfühlt wie ein zweites Debüt. Zumindest hat dieses Album es geschafft, einen mit völlig unbekannten Künstler, der dazu noch den unvorteilhaften Namen Kevin trägt, innerhalb einer Dreiviertelstunde zu einem Favoriten dieses Jahres zu machen. Ein gewisser Damien Jurado hatte es da nicht so einfach.

Das beste daran: Die grandiose Garagenrock-Hymne Dorothy in der Mitte der Platte.
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10. UNRU
Als Tier ist der Mensch nichts
Supreme Chaos Records









Die deutsche Black-Metal-Szene wächst in den letzten Jahren rasant und überzeugt regelmäßig mit tollen Newcomern und Alben. Die ersten, die es bei mir in die besten zehn einer Saison geschafft haben, sind 2016 jedoch Unru als Bielefeld. Ihr avantgardistischer, kunstvoll-chaotischer Stil, der mich immer wieder auch an Einstürzende Neubauten und Konsorten erinnert, geht den entscheidenden Schritt weiter als die meisten anderen Bands ihres Kalibers und ist so viel mehr als ein bloßer Abklatsch des norwegischen oder amerikanischen Sounds. Als Tier ist der Mensch nichts ist kein Black Metal um des Black Metals Willen und auch kein trendiger Shoegaze-Hipster-Kram, sondern eher eine Kunstperformance im Gewand des brachialen Lärms von Gitarren-Mäandern, Schlagzeug-Hageln und gutturalem Geschrei. Damit sind Unru nicht nur erfrischend anders als der Rest der Szene, sie klingen auch noch eine ganze Ecke brutaler und abgefuckter. Es könnte gut sein, dass dieses Album so ziemlich das extremste ist, was ich in diesem Jahr gehört habe. Und da reden wir gerade mal vom Debüt dieser jungen Band. Große Tage stehen also an.

Das beste daran: Dass sich endlich mal wieder jemand traut, seine Platte richtig beschissen produzieren zu lassen.
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09. KARIES
Es geht sich aus
This Charming Man









Es muss einfach mal gesagt werden, dass die deutsche Punkrock-Szene momentan so geil ist wie seit gut dreißig Jahren nicht mehr. Wo in den Neunzigern Bands wie Terrorgruppe oder Abwärts tatsächlich cool waren, spriest es dieser Tage an allen Ecken und Enden talentierte junge Künstler, die wundervolle finstere Platten machen. Und wenn diese es dann so richtig ernst meinen, kommt im Optimalfall so etwas raus wie das neue Album von Karies. Das neue Flagschiff der Stuttgarter Postpunk-Schmiede legt mit Es geht sich aus ein Paradestück von LP vor, das mal wieder Maßstäbe setzt in Sachen düsterer, deprimierter Lärmpoesie. Mit cleveren, ausgefuchsten Kompositionen, dem definitiv besten Bass-Sound des ganzen Jahres und fiesen, kafkaesken Texten führt das Quartett die Linie der großartigen deutschen Wave-Eliten fort. Und hinter denen müssen sie sich nun endgültig nicht mehr verstecken, selbst wenn sie streng genommen noch immer die kleinen Brüder der Nerven sind. Dieses Album ist in meinen Augen eines der Highlights der deutschen Postpunk-Bewegung der letzten Jahre und momentan das Werk, an dem sich alles zu orientieren hat. Irgendwann kommt zwar auch die nächste Jetzt-noch-Nachwuchsband und macht noch eine viel geilere LP, doch bis dahin kann Deutschpunk sich an Karies die Zähne ausbeißen (pun not intended).

Das beste daran: Die absolut unwiderstehliche Bassline von Keine Zeit für Zärtlichkeit.
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08. KA
Honor Killed the Samurai
Iron Works









Man könnte jetzt sagen, Honor Killed the Samurai sei eine Gangster-Rap-Platte. Die Einflüsse von Eastcoast-Künstlern der Neunziger wie Nas oder Wu-Tang sind nicht von der Hand zu weisen, Ka erzählt hier die Geschichte seiner kriminellen New Yorker Jugend und er tut dies, indem er darüber rappt. Allerdings würde man bei dieser einfachen Zuweisung unterschätzen, was dieses Album tatsächlich aussagt. Nicht nur werden hier von einem sehr talentierten MC, der in seinen Songs stets als großartiger Erzähler auffällt, sehr persönliche Geschichten präsentiert, Ka vermittelt auch so etwas wie das philosphische Manifest der Straße. Immer wieder benutzt er hier das Gleichnis des Samurai, dessen Ehre sein Lebensinhalt ist und bezieht dieses dann auf seine eigene Laufbahn, stellt den Konflikt zwischen seinem Gewissen und dem Lebensstil der Gangs dar, fragt nach der Bedeutung von Gerechtigkeit und natürlich der von Geld. Honor Killed the Samurai ist kein Werk, das die Rolle des Gangsters im Rap als gegeben wahrnimmt, sondern tatsächlich die Motive des Handelns hinterfragt, existenzielle Probleme anspricht und am Ende von nicht weniger erzählt als vom Leben selbst. Eine wahnsinnig spannende und tiefgreifende Platte und definitiv das beste Album von Ka bis jetzt.

Das beste daran: Dass Ka nur 36 Minuten braucht, um mehr zu sagen als die meisten seiner Kollegen.
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07. ANNENMAYKANTEREIT
Alles nix konkretes
Vertigo









Es gab 2016 viele gute deutschsprachige Platten von denen einige auch in dieser Liste aufgetraucht sind, doch bei Alles nix konkretes habe ich das angenehme Gefühl, dass es zu größerem berufen ist als eines der besten Alben dieses Jahres zu sein. Die junge Band aus Köln bietet mit dieser LP so viel Indentifikationspotenzial, dass Songs wie 21, 22, 23 oder 3. Stock auch noch in zehn oder zwanzig Jahren gehört werden könnten. Nicht nur besitzen sie die Weisheit, Musik wirkungsvoll auf ihre wesentlichen Bestandteile zu reduzieren und haben mit Henning May einen der charismatischsten Frontsänger der letzten Jahre in ihren Reihen, sie finden vor allem die Romantik im alltäglichen, den Glamour im Sterilen und die schönen Worte da, wo die meisten Leute lieber der Klappe halten. Zwar muss man schon noch unter 30 sein, um mit diesen Tracks hier wirklich etwas anfangen zu können, doch wenn du es bist, dann hast du Glück. Denn Annenmaykantereit besitzen die seltene Gabe, dir in den richtigen Momenten direkt aus der Seele zu singen. Und deshalb könnten sie mit dieser Platte für meine Generation werden, was Ton Steine Scherben und Tocotronic für die vor uns waren. Ansonsten ist das hier wenigstens immer noch das beste deutschsprachige Album des Jahres.

Das beste daran: Das Ende von Pocahontas, bei dem noch immer jedem Formatradio-DJ die Nackenhaare zu Berge stehen sollten.
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06. ORANSSI PAZUZU
Värähtelijä
Svart Records









Wir befinden uns ja gerade in Zeiten, in denen im Metal sehr viele Dinge möglich werden und Stile gemischt werden wie schon sehr lange nicht mehr. Doch keine wirklich ernstzunehmende Band hat sich in dieser Hinsicht so weit aus dem Fenster gelehnt wie die Finnen von Oranssi Pazuzu mit ihrem neuen Album. Schon zehn Monate ist Värähtelijä alt und ich weiß noch immer nicht, wie ich die hier zu hörende Musik am besten beschreiben soll. Psychedelischer Black Metal? Okkulter Voodoo-Postpunk? Zottelmähniger Gespenster-Stoner-Doom? Diese Platte zu beschreiben ist wie einen Pudding an die Wand zu nageln. Fakt ist jedoch, dass die Band das, was sie hier tut, mit absoluter Perfektion tut. Die sieben Tracks hier sind genial zusammengestellt, nicht zu proggig, um gleichzeitig sehr rustikal und erdig zu sein und klingen dennoch nach fremden Planeten, Raumschiffen und Sex mit Außerirdischen. Ich kann nur wiederholen, dass es schwer ist, dieses klangliche Phänomen in Worte zu fassen, doch die Metal-Community und ich sind sich dieses Jahr einig: Es gab 2016 kaum bessere Platten in der Szene. Im Fall von Oranssi Pazuzu hält erstaunlicherweise sogar mal die allgegenwärtige Kvlt-Police die Klappe. Da muss also schon echt was dran sein.

Das beste daran: Wenn in Havuluu die Vocals einsetzen.
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05. THE AVALANCHES
Wildflower
XL Recordings









Um gleich mal den persönlichen Elefanten aus dem Weg zu räumen: Wildflower ist besser als Since I Left You. Um Längen. Das zweite Album der Avalanches nach über zehn Jahren Pause ist ein seltenes Kleinod des Plunderphonic-Genres, das für die lange Wartezeit doppelt und dreifach entschädigt. Wie ein fliegender Traumteppich schweben die über zwanzig neuen Tracks durch unsere Gehörgänge und malen dort alles bunt an, was nicht niet- und nagelfest ist. Die gute Stunde Musik fühlt sich an wie das Vormittagsprogramm von Nickelodeon auf Pilzen mit einem Audiokommentar von Lewis Carroll. Mit spannenden und ungewöhnlichen Gästen wie Danny Brown, Father John Misty oder Biz Markie (jawohl!) und einer fantastschen Auswahl an Samples bastelt das Duo aus Australien hier ein fantastisches Comeback, das einfach riesengroßen Spaß macht und das man eigentlich nicht oft genug auf den Ohren haben kann. Dieses Jahr wäre ohne diese Platte noch trister gewesen, als es ohnehin schon war und war der große, kunterbunte Fleck inmitten der dunkelgrau-schwarzen Masse meiner restlichen Lieblingsplatten. Und gerade 2016 waren gute Vibes wie hier immens wichtig.

Das beste daran: Biz Markies grandioser Comedy-Rap-Streich the Noisy Eater.
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04. VENETIAN SNARES
Traditional Synthesizer Music
Timesig









Unter meinen Lieblingsalben dieses Jahres waren erstmals auch erstaunlich viele elektronische Platten, doch das absolute Highlight darunter kam im Februar ausgerechnet von Venetian Snares. Traditional Synthesizer Music ist, wie man sich sicher denken kann, ein programmatischer Titel, was jedoch nicht heißt, dass dies ein Retro-Album ist. Aaron Funk macht hier eigentlich sogar sehr modernen IDM und Techno, nutzt dafür jedoch ausschließlich Hardware aus der Pre-ProTools-Ära. Die Stücke hier sind dadurch ein ganzes Stück subtiler und klanglich wärmer und organischer als die meisten seiner Projekte, doch immer noch abgefuckter als das Zeug der meisten Produzenten und man hat den zusätzlichen Bonus, dass die alten Geräte, die Funk hier benutzt, von sich aus einfach ziemlich fett klingen. Am Ende ist Traditional Synthesizer Music jedoch trotzdem kein Album, dass lediglich durch seine technischen Details überzeugt, sondern von einer gewissen Emotionalität geprägt ist, die es antastbar macht und wer ein bisschen stilistische Offenheit und die richtigen Pillen mitbringt, kann vielleicht sogar dazu tanzen. Ich habe diesen Versuch bisher allerdings noch nicht gewagt.

Das beste daran: Wenn der erste Ton von Everything About You is Special einen so richtig in das Klangbad abtauchen lässt.
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03. OATHBREAKER
Rheia
Deathwish Inc.









Das Konzept von Oathbreaker war eigentlich schon mit dem letzten Album Eros / Anteros soweit, richtig was zu reißen, doch mit ihrem dritten Album schaffen es die Belgier endgültig, eine der besten Metal-Platten der letzten Jahre und ganz nebenbei auch noch das beste Shoegaze-Projekt 2016 zu veröffentlichen. Rheia ist so viel weiter als das meiste, was sich dieser Tage alles Atmospheric Black Metal schimpft und überzeugt mit großartigem Songwriting, dichter Produktion und einmal mehr einer atemberaubenden Performance von Frontfrau Caro Tanghe. Eine Eins mit Sternchen gibt es dabei mal wieder für die Dynamik dieser LP, die die zehn Tracks gleichsam brutal, einfühlsam und catchy wirken lässt und für eine unglaubliche Vielfalt sorgt. Es ist fantastisch, was für ein Spektrum an Sounds Oathbreaker hier beackern und wie schnell sie von einer Ästhetik in die nächste wechseln können. Selten habe ich eine Band gesehen, die zum Verständnis harter Musik so viel beizutragen vermag wie diese hier und die damit scheinbar noch immer nicht in ihrer finalen Form angekommen ist. Und jetzt, wo endlich auch der Rest der Welt hinhört, können sie erstmal so richtig loslegen. Dieses Album ist eigentlich schon perfekt, aber es könnte erst der Anfang sein. Von Platz drei aus ist schließlich auch noch Luft nach oben.

Das beste daran: Wenn man erstmal gar nicht merkt, wie Needles in Your Skin vom seichten Shoegaze-Stück zur brutalen Black-Metal-Walze wird.
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02. YNDI HALDA
Under Summer
Big Scary Monsters









2016 ist ein Postrock ein klinisch totes Genre und keiner hätte gedacht, dass sich daran noch irgendetwas ändert. Doch dann kommen nach zehn Jahren Abstinenz ausgerechnet die von mir immer skeptisch belächelten Yndi Halda und überzeugen uns vom Gegenteil. Ihr Comeback Under Summer war in dieser Saison die Platte, die die Szene brauchte und die zeigt, was mit den ach so ollen, verkommenen Strukturen doch noch alles möglich ist. Die vier Songs hier spannen die großen Bögen wie eh und je, spicken diese mit Einflüssen aus Folk, Emorock, Jazz und Neo-Klassik und eroberten damit innerhalb weniger Durchläufe mein Herz im Sturm. Durch dieses Album wurde mir ein weiteres Mal klar, was ich auch 2016 noch an Postrock habe und wie kreativ diese Musik sein kann, wenn sie denn richtig gemacht wird. Und dass Yndi Halda das ganze tatsächlich sehr viel bedeutet, merkt man nicht nur daran, wie lange es gebraucht hat, diese Platte zu machen, sonden in jeder Sekunde, die sie letztendlich geworden ist. Under Summer ist in meinen Augen pure Schönheit und steht für das Höchstmaß an Perfektion, das Popmusik irgendwie imstande ist, zu erreichen. Und wer damit nichts anfangen kann, der hat meiner Meinung nach etwas verpasst.

Das beste daran: Wenn sich der Closer This Very Flight zum finalen Crescendo aufbäumt und dabei mit Glückshormonen um sich schmeist.
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01. KENDRICK LAMAR
Untitled Unmastered.
Interscope















Es ist schon etwas sehr riskantes dabei, eine Platte voller Outtakes und B-Seiten zu meinem Album des Jahres zu ernennen, die nur deshalb existiert, weil es letztes Jahr das von mit zu allem Überfluss auch noch bösartig geschmähte Über-Album To Pimp A Butterfly gab, auf das sich der komplette Inhalt hier bezieht. Doch genau das nicht zu tun wäre in meinen Augen unehrlich gewesen. Untitled Unmastered. ist die LP, mit der sich das unglaubliche Talent des Kendrick Lamar, angeblich der momentan beste Rapper der Welt, auch mir wirklich offenbart und das teilweise eben auch dadurch, dass er hier nicht die absolute Perfektion anstebt, sondern im Großen und Ganzen einfach macht. Und man sollte das, was er hier tut, absolut nicht kleinreden. Die neun Songs hier sind inhaltlich trotz ihrer "untergeordneten" Rolle relevanter als die besten Alben seiner meisten Kollegen und stellen für sich eine ganz eigene Position dar, die sozusagen den Übergang zweier wichtiger Phasen in der Karriere von K-Dot abbildet. Was mich jedoch vor allem fasziniert ist, dass sich hier auf musikalischer Ebene Sachen getraut werden, die auf den "richtigen" Longplayern von Lamar so nie stattgefunden hätten. Es ist dermaßen faszinierend, durch die Linse dieser experimentellen Cuts sozusagen in den Kopf des großen Rap-Genies zu schauen und zu hören, wie revolutionär er tatsächlich sein kann. Das beste Album des Jahres sollte meiner Meinung nach eines sein, dass mir tatsächlich neue Horizonte eröffnet hat und von Untitled Unmastered. kann ich das mit Sicherheit behaupten. Ich hoffe das reicht als Verteidigung dieser Platzierung. Pimp Pimp Hooray, ihr Säcke!

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Montag, 26. Dezember 2016

Die besten Sachen 2016: Die 25 besten Songs


Mit der ersten wirklich großen Liste in diesem Jahr bin ich überraschend früh dran und das obwohl sie mich bis zum Schluss reichlich Zeit und Hirnschmalz gekostet hat. Aus meinem ursprünglichen Plan, euch meine zwanzig Lieblingstracks von 2016 vorzustellen, ist mal wieder nichts geworden (es sind jetzt 25), dafür bin ich mit dem Ergebnis auch echt zufrieden. Wie bisher ist es auch diesmal so, dass ich für die Songs kein explizites Ranking aufstellen wollte und deshalb alle gleichwertig hier aufliste. Denn wenn diese Picks eine tatsächliche Gemeinsamkeit haben, dann dass ich sie alle für sehr empfehlenswert erachte.

BEGINNER FEAT. GZUZ & GENTLEMAN
Ahnma

aus dem Album Advanced Chemistry









Einige werden mich wohl gleich für diesen ersten Pick hassen und auch ich war im Frühjahr, als Ahnma als erste Single des Beginner-Comebacks erschien, eher weniger euphorisch. Allerdings hat sich der Song über den Lauf des Jahres zu einem Dauerplayer bei mir gemausert und Hauptgrund dafür war am Ende gerade die von mir zunächst geschmähte ungewöhnliche Konstellation der drei Feature-Parteien. Genauso stark ist allerdings auch Mads unglaublich starker Beat, die wahnsinnig souveränen Bars von Eisfeldt und Denyo sowie die mittlerweile bereits ikonische Fast-Hook von Gzuz. Es ist ein bisschen schade, dass das neue Album dann nicht ganz so derbe war, aber mir reicht dieser Track als Comeback eigentlich vollkommen aus.

ANGEL OLSEN
Shut Up Kiss Me

aus dem Album My Woman









Als Angel Olsen im Sommer diesen Jahres Shut Up Kiss Me veröffentlichte, war ich fast sicher, dass ihre neue Platte richtig gut werden würde. Ihr bisher schon lobenswertes Gespür für gute Rocksongs fand hier ihren bisherigen Höhepunkt, ihre Lyrics waren knalliger als je zuvor, die Produktion hörte sich gleichermaßen nach Phil Spectors High-Class-Studio und Kim Deals Garage an und nebenbei gab es sogar noch ein richtig schickes Video mit Rollschuhen und Pailetten-Perücke. Kurzum: Vielleicht der beste Song, den Angel Olsen bisher überhaupt jemals gemacht hatte. Das Album war dann leider ein richtiger Reinfall und für mich eine der größten Enttäuschungen des Jahres. Ja nun. Aber Shut Up Kiss Me blieb als Ohrwurm trotzdem noch über Monate haften und es wäre einfach falsch, es hier nicht zu nennen. Denn es ist unter Umständen der coolste Rocksong des Jahres.

LUKE TEMPLE
Maryanne Was Quiet
aus dem Album A Hand Through the Cellar Door









Ich glaube, niemand hat 2016 erwartet, dass ausgerechnet Luke Temple so ein fantastisches Album wie A Hand Through the Cellar Door veröffentlichen würde und vielen wäre das auch gar nicht weiter aufgefallen, hätte es die Single Maryanne Was Quiet nicht gegeben. Mit einer Länge von knapp über sechs Minuten ist es das unangefochtene Kernstück des Albums und auch inhaltlich ein echter Brocken: Temple erzählt hier wahnsinnig detailliert die mysteriöse Geschichte der Adoptivtochter seiner Großeltern, die mit ihren Mitmenschen aneckt und durch einen missglückten Selbstmordversuch zu sich findet. Es ist Song wie ein Theaterstück, den Temple mit einer Professionalität inszeniert, die man von ihm vorher nie erwartet hätte. Ein Track, wie man ihn eigentlich von einem Mark Kozelek erwartet hätte, wobei der schon seit Jahren nicht mehr so ein gelungenes Stück fabriziert hat.

KENDRICK LAMAR
Untitled 02 06.23.2014

aus dem Album Untitled Unmastered.









Ich habe dieses Jahr gerne dafür genutzt, die Welten des Boombap und des Trap künstlich gegeneinander aufzustacheln, doch wieder einmal hat es nur einen Song von Kendrick Lamar gebraucht, um mich eines besseren zu belehren. Der zweite unbetitelte Track seines großartigen Outtake-Albums Untitled Unmastered. ist die bisher vielleicht beste Symbiose der beiden Stile, die ich überhaupt je gehört habe und zeigt, dass es nicht zwangsläufig ein Kampf sein muss. Und wo die Musik die Vereinigung zelebriert, bringt Lamar textlich das Gegenteil zum Ausdruck: Nicht nur gelingt es ihm hier in einer bereits 2014 verfassten Strophe den Erfolg seines Referenzwerks To Pimp A Butterfly zu prophezeihen, er beschreibt auch unglaublich eindrücklich seinen Zwiespalt zwischen seiner Homezone im Compton und seinem Image als vielleicht größter Rapper dieses Jahrzehnts. Dabei ist es fast schon schockierend, wie genau sich in den letzten beiden Jahren genau das abgezeichnet hat, was er hier beschreibt. Damals war er die Zukunft des HipHop, mittlerweile ist er die Gegenwart. Kaum einer seiner Tracks verdeutlicht das mehr als dieser.

MITSKI
Happy

aus dem Album Puberty 2









Mitski Miyawaki ist eine dieser Künstler_innen, bei denen man erstaunt ist, wie abgefahren die Bestandteile ihrer Songs sind und wie simpel letztendlich doch das Resultat aussieht. Ein wunderbares Beispiel ist in dieser Hinsicht Happy, der Opener ihres neuen Albums Puberty 2. Die billige Drum-Machine zu Anfang lässt einen schon das schlimmste befürchten und die surreale Geschichte über den Jungen namens Happy ist zwar poetisch, aber denkbar schräg. Trotzdem schafft es Mitski irgendwie, die schrullige Nummer zu einem kleinen Hit zu machen, der überhaupt nichts von selbstüberschätztem Kunstkram hat, sondern eher eine überaus sympathische Garagen-Songwriter-Ästhetik. Und das, obwohl hier auch das mit Sicherheit schrägste Saxofonsolo des Jahres zu hören ist und ein seltsamer Handclap-Beat einen immer wieder abzulenken versucht. Man könnte das Inkonsequenz nennen, doch ich sehe es als Indiz dafür, dass die junge New Yorkerin eine der interessantesten experimentellen Künstler der nächsten Jahre ist. Dieser Song ist das Pfand dafür.

CLIPPING.
Wriggle

von der EP Wriggle









Es sagt viel über meinen Geschmack aus, dass ich die brutale und versaute Wriggle-EP dieses Jahr dem gesellschaftskritschen und klanglich revolutionären Clipping-Longplayer Splendor & Misery vorzog, doch wer den Titeltrack von ersterer einmal gehört hat, braucht eigentlich keine Argumente mehr, warum dies so ist. Der Song gehört definitiv zu den fettesten Bangern, die die Kalifornier jemals geschrieben haben und überzeugt zusätzlich mit einer hammermäßigen Hook und einer selten gehörten Parade des Highspeed-Flows von Frontmann Daveed Diggs. Gleichzeitig ist es aber auch ein dermaßen abgefuckter und geisteskranker Track, der so tief in den dunklen Seiten der menschlichen Psyche schürft, dass er dieses Jahr sogar Death Grips wie eine seichte Emorock-Band aussehen ließ. Am Ende des Tages mag ich Wriggle also vor allem, weil er einfach mal wirklich extrem ist und sich anfühlt wie eine Schlagbohrmaschine an der Schläfe. Manchmal muss es eben die volle Dröhnung sein.

YNDI HALDA
Together Those Leaves

vom Album Under Summer









Ich war in höchstem Maße skeptisch, was das Comeback von Yndi Halda in diesem Jahr anbelangte, doch als dieses dann erschien und uns die Briten gleich als Opener diesen fantastischen Longtrack präsentierten, war die Sachlage für mich eigentlich klar. Ich bezweifle, dass ich 2016 einen anderen einzelnen Song gehört habe, der kompositorisch so ausformuliert und rund daherkommt wie Together Those Leaves und der jede Sekunde seiner fast elfminütigen Spieldauer so sinnvoll nutzt. Die Band zieht hier von seichten Akustikgitarren über Streicher und Shoegaze-Parts bishin zu chorischem Satzgesang all ihre Register und gibt mir mehr denn je das Gefühl, dass ihre Art von Postrock eine ganz besondere ist. Vor allem aber hat dieser Track mich darin bestätigt, dass auch 2016 in der Szene noch nicht alles gesagt ist und dass Wunder noch möglich sind. Allein die Rückkehr von Yndi Halda dürfte dafür Beweis genug sein.

RÖYKSOPP FEAT. SUSANNE SUNDFØR
Never Ever
veröffentlicht als Single









Die Vergangenheit hat mich gelehrt, dass man mit den zwei Norwegern von Röyksopp eigentlich immer dann rechnen muss, wenn man gerade nicht mehr mit ihnen rechnet. In diesem Jahr war es bei mir mal wieder soweit. Seit Junior hatte ich bei ihren seltenen Veröffentlichungen mehr oder weniger den Faden verloren und fand ehrlich gesagt auch nicht mehr viel, was mir irgendwie besonders zusagte, sodass ich sie irgendwann fast gänzlich ignorierte. Bis sie dann im September 2016 plötzlich den größten Popsong des Jahres auf die Welt losließen. Never Ever ist ein euphorischer Instant-Knaller, wie ihn kein Avicii oder Calvin Harris dieser Welt hingekriegt hätte, der schon beim ersten Hören fest hängenbliebt und für den die beiden Produzenten mit Susanne Sundfør die perfekte Stimme gefunden haben. Ich hätte mir sehr gewünscht, ihn dann auch öfter im Radio zu hören, aber dort scheint man seit Junior leider kein Röyksopp mehr zu hören. Jammerschade.

KEVIN MORBY
I Have Been to the Mountain

vom Album Singing Saw









Kevin Morby hat dieses Jahr haufenweise Song veröffentlicht, die theoretisch in dieser Liste stehen sollten, doch ich möchte diesen hier im Besonderen würdigen, da er kein so klassisches Songwriter-Stück ist wie viele andere auf Singing Saw. Mit seinem flotten Tempo, den dick aufgetragenen Backing-Vocals, Mariachi-Trompeten und dem Streicher-Outro fällt er aus dem Rest des Albums mehr oder weniger heraus und hat eine Größe, die viele der akustischen Solostücke oder Garagen-Jams nicht haben. Folglich gibt es in I Have Been to the Mountain unglaublich viel zu entdecken und der Track ist einer der Gründe, warum dieser junge Texaner nicht nur ein weiterer Typ mit Gitarre ist. Ganz nebenbei hat er mich 2016 auch über die Enttäuschung der neuen Damien Jurado-Platte hinweg getröstet, aber das zuzugeben wäre ziemlich unprofessionell.

GOAT
Djôrôlen / Union of Sun and Moon

aus dem Album Requiem









Bereits letztes Jahr war mit Rosen zum Plafond von Bilderbuch ein Song mit Blockflöte in meinen Lieblingssongs und die Tatsache, dass es dieses Jahr wieder einer geschafft hat, legt die Überlegung nahe, ich hätte eine Schwäche für das höchstwahrscheinlich nervigste Instrument der Welt. Allerdings genießen die Schweden von Goat auch mein vollstes Vertrauen, wenn es um den Einsatz exotischer Klangfarben geht und dieser Track bestätigt dieses noch einmal vollkommen. Der Opener ihres neuesten Albums setzt nämlich nicht nur den Gebrauch der Blockflöte wunderbar um, auch meditativer archaischer Gesang, breit gefecherte Orff-Percussion und ein fett aufgetragenes Saxofonsolo funktionieren hier einwandfrei. Ein bisschen wie ein bekiffter Waldorf-Kindergarten klingen Goat dabei zwar schon, aber wenigstens wie einer, der sehr viel Can und Pink Floyd gehört hat.

KARIES
Keine Zeit für Zärtlichkeit

aus dem Album Es geht sich aus









Auf die Songs der Stuttgarter Postpunk-Szene, insbesondere von Karies, konnte man bisher schon immer viele Attribute beziehen, im seltensten Falle jedoch das der Tanzbarkeit. Keine Zeit für Zärtlichkeit schafft aber mit seinem federnden Schlagzeug, den akzentuierten, fast funkigen Gitarren und dem ohne Diskussion besten Basslauf des Jahres genau das. Der packende, treibende Beat des Tracks und sein auffälliges Tempo (am besten zu genießen im dazugehörigen Musikvideo) sorgen dafür, dass er unter den vielen bemerkenswerten Stücken des neuen Karies-Albums herausfällt und so etwas wie der heimliche Hit aus Es geht sich aus ist. Das tolle dabei ist, dass es trotzdem nur wenige Zeilen Text braucht, um das ganze auch inhaltlich gebührend aufzuladen und letztendlich vielleicht doch dafür zu sorgen, dass man das mit dem Tanzen lieber bleiben lässt.

PORCHES
Mood

aus dem Album Pool









Wenn ich an einem Song demonstrieren müsste, warum der Einfluss der Post-Internet-Ästhetik auf den Mainstream-Pop eine coole Sache ist, dann wäre Mood das beste Beispiel dafür. Der Track steht exemplarisch für das komplette neue Porches-Album Pool und schafft es meisterhaft, den retrofuturistischen Sound des Vaporwave mit knackigem Radiopop zu kombinieren. Allein der lauwarme Synthbass reicht, um die richtigen Bilder in den Kopf zu bekommen und direkt den nächsten Einkaufstempel aufsuchen zu wollen, gleichzeitig liefert Aaron Maine die perfekte Indiepop-Hook dazu frei Haus und bleibt entrückt genug, damit sechzehnjährige Feenstaubköniginnen auf Tumblr feuchte Höschen kriegen. Dass Porches 2016 die neuen Arctic Monkeys hätten sein können, liegt vor allem an dieser geschickten Kombination. Dass sie es nicht geworden sind, ist demzufolge denkbar tragisch.

SAVAGES
the Answer
aus dem Album Adore Life









Ich bin immer noch jedes Mal aufs neue beeindruckt davon, wie brachial die Musik der Savages tatsächlich sein kann, wenn sie es denn will. Das neue Album Adore Life war ja im allgemeinen eher verhalten, doch der vollkommen durchgeknallte Opener the Answer zeigte, dass auch das Gegenteil der Fall sein konnte und blieb vor allem dadurch über zwölf Monate bei mir hängen. Das Mantra-artige Dampfwalzen-Riff, das ein Michael Gira nicht besser hinbekommen hätte sowie die fantastische Eröffnungs-Line "if you don't love me, don't love anybody!" sind geradezu prädestiniert dafür, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen und zeigen die Britinnen in absoluter Hochform. Einer der besten Songs, den diese Band jemals veröffentlicht hat und am Ende des Jahres das, was bei mir von Adore Life übrig bleiben wird.

WINTERSLEEP
Amerika

aus dem Album the Great Detachment









Man unterschätzt häufig die Fähigkeit von Wintersleep, große Indierock-Hymnen zu schreiben, doch mit Amerika zeigen sie dieses Jahr einmal mehr, wie gut sie ihr Handwerk tatsächlich beherrschen. Ein Song wie dieser ist wie geschaffen für die Stadien, in denen die Kanadier sicherlich niemals spielen werden und hätte in den späten Neunzigern sogar im Radio laufen können. Doch bevor man jetzt meint, die Band wäre einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort, sollte man wissen, dass die Welt diese Jungs tatsächlich braucht. Amerika ist vielleicht der gelungenste Song, der sich bereits im Januar diesen Jahres mit den Folgen einer zu diesem Zeitpunkt noch recht unwahrscheinlichen Präsidentschaft eines gewissen Donald Trump auseinandersetzt und der hinter die Aussage "Make America Great Again" ein dickes Fragezeichen zu setzen vermag. Num müssen wir zusehen, wie sie damit vielleicht recht haben könnten.

RADIOHEAD
Burn the Witch

aus dem Album A Moon Shaped Pool









Noch ein politischer Song und noch einer, der die Welt des Jahres 2016 sehr treffend beschreibt. Und das, obwohl er schätzungsweise bereits an die zwölf Jahre auf dem Buckel hat. Dass das ewige Sorgenkind von Radiohead nun endlich veröffentlicht wurde, ist inzwischen wenig mehr als eine Fußnote, doch was bleibt ist ein neuer Standard in der Diskografie der Briten. Burn the Witch ist für mich noch immer das eindeutige Highlight der Tracklist auf A Moon Shaped Pool und das vielleicht auch gerade deswegen, weil er sich vom Rest der Platte irgendwie abhebt. Die von Jonny Greenwood arrangierten Streicher wirken hier nicht entspannt, sondern aufgeregt und statt von verflossener Liebe singt Thom Yorke von Hass, Verfolgungswahn und Ausgrenzung. Was für mich am Ende spannender ist, muss ich sicherlich kaum erklären, oder?

BENT KNEE
Hands Up

aus dem Album Say So









Auf ihrem Debüt mochte ich Bent Knee, weil sie extrovertierten, progressiven Artrock machten, der auf ihrem neuen Album leider etwas zu kurz kommt. Dafür überraschten sie mich hier ausgerechnet mit einem der besten Popsongs des Jahres, den ich von ihnen so gar nicht erwartet hatte. Hands Up ist ein selten euphorisches Stück Musik, das eher an Taylor Swift oder Arcade Fire erinnert als an Queen und Amanda Palmer, aber gerade deswegen wirklich beeindruckend ist. Mit einem wahnsinnig stimmigen, radiotauglichen Refrain, epischen Streicherpassagen und hochwertigen Lyrics war diese Nummer der eine große Lichtblick auf Say So und der eine Song, der die Band aus Boston auch dieses Jahr unabdingbar machte. Und auch wenn ich hoffe, dass die Band mich beim nächsten Mal auch wieder auf LP-Länge überzeugen kann, bin ich froh, dass es Hands Up 2016 gegeben hat. Als Hinweis dafür, dass Bent Knee auch anders können.

MAECKES
Der Misserfolg gibt mir Unrecht

aus dem Album Tilt









Ohne mindestens einen Song aus dem neuen Maeckes-Album wäre diese Liste ein Schwindel gewesen und obwohl es eine Menge Tracks von Tilt gibt, die mich 2016 nachhaltig beeindruckt haben, ist Der Misserfolg gibt mit Unrecht doch das beeindruckendste Gesamtwerk hier. Nicht nur wegen des kleinen Jumpscares, der die Hook einleitet und den wundervollen Postrock-Gitarren darin, sondern auch wegen des schicken Bass-Intros und natürlich wegen Maeckes' ausführlichen Abhandlungen über die eigene Ohnmacht, Veränderung und Unsicherheit, die zwar das ganze Album prägen, doch hier letztendlich doch in den besten Lines aufgehen. Es ist einer dieser Tracks, bei denen man sich nach dem Hören ein kleines bisschen schlauer fühlt als vorher und die man sich am liebsten komplett tätowieren lassen würde. Dass das ganze am Ende trotzdem ziemlich radiotauglich daher kommt, ist die ganz eigene Maeckes-Magie, die aber so gut wie jeder Song auf Tilt aufweist.

MASSIVE ATTACK FEAT. HOPE SANDOVAL
the Spoils

veröffentlicht als Single









2016 war für Massive Attack wieder ein richtig starkes Jahr. Im Frühjahr legten sie mit Ritual Spirit eine sehr gute neue EP vor und spielten darüber hinaus eine fantastische Tour, doch mein persönliches Highlight war diese Single, die nicht weniger ist als einer ihrer besten Songs überhaupt. Zusammen mit meiner neuen Lieblings-Sängerin Hope Sandoval (auch ihr neues Album ist nicht zu verachten) spielen sie hier eine großartige Trennungs-Ballade ein, die ihr Gespür für zeitlose elektronische Musik fett unterstreicht und zeigt, dass man Massive Attack keinesfalls als Neunziger-Oldies abtun sollte. Wäre diese Liste hier ein Ranking gewesen, hätte the Spoils wahrscheinlich sogar auf Platz Eins gestanden, so gut finde ich dieses Stück. Schade, dass es von vielen nur auf das ebenfalls unglaublich schicke Video mit Gaststar Kate Blanchett reduziert wurde.

WEEZER
California Kids

aus dem Album Weezer (the White Album)









Ich und wahrscheinlich der ganze Rest der Musikwelt hatte mit Weezer bereits abgeschlossen, als im März diesen Jahres plötzlich diese Leadsingle zu ihrem neuen Album erschien und alle, vor allem die Band selbst, wieder aufweckte. Die Kalifornier schmissen hier einen großartigen College-Rock-Hit aufs Parkett als wäre es 1994 und man wollte erstmal selber gar nicht zugeben, wie geil man das fand. Über die letzten zehn Monate ist California Kids für mich allerdings ein absoluter Standard geworden und aus dem Jahr 2016 so gut wie gar nicht mehr wegzudenken. Und auch auf dem an sich grandiosen neuen Album sticht er als Opener noch einmal besonders heraus und sorgte für ein wenig Vergnüglichkeit in diesem so grauenvollen vergangenen Jahr. Nicht zuletzt sorgte dieser Song auch maßgeblich dafür, dass ich mich inzwischen wieder so sehr auf neues Material von Weezer freue wie eigentlich noch nie vorher.

CHANCE THE RAPPER
Same Drugs
aus dem Album Coloring Book









Noch in den letzten Tagen vor der Veröffentlichung dieser Liste hat sich dieser Song hier eingeschlichen und das mehr als verdient. Denn obwohl ich von Chance the Rappers drittem Album Coloring Book nicht ganz so begeistert war wie der Rest der Menschheit, hat mich Same Drugs doch ganz schön gepackt. Die komplett gesungene, melancholische Nummer über Entfremdung und verlorene Freundschaft ist nicht nur emotional anspruchsvoll, sondern vor allem auch ein unglaublich gut gemachter Track. Mit fast folkigen Streichern und den typisch gospelhaften Backing-Vocals über der reduzierten Klavierbegleitung baut der Rapper aus Chicago hier eine Ballade wie aus dem Bilderbuch, die ihn als mehr zeigt als nur einen gewitzten HipHop-Newcomer. Wer so ein Stück schreibt, ist nicht nur voll im Game angekommen, sondern vor allem auch künstlerisch sehr gereift. In diesem speziellen Fall lässt Chance sogar Drake und Kanye ganz schön alt aussehen. Dieser Junge könnte hier auf dem Höhepunkt seiner Karriere sein, aber noch schöner wäre es, wenn er damit erst anfängt.

OATHBREAKER
Immortals

aus dem Album Rheia









Es brauchte im Vorfeld von Rheia nur diesen einen Song, um die essenzielle Frage in den Raum zu stellen: Sind Oathbreaker 2016 noch Metal- oder schon Shoegaze-Band? Das neue Album vermochte diese Frage nicht endgültig zu lösen, doch das ist auch egal, ist es doch eines der besten dieses Jahres. Und Immortals strahlt darin noch immer als fettes, fast neunminütiges Kernstück, das zwischen Stilen und Intensitäten switcht wie wenige andere Bands. So einen Song wollte man von den Belgiern eigentlich schon immer hören, doch ihn jetzt vor sich zu haben, ist doch noch mal ein ganz anderes Gefühl und manifestiert Oathbreaker als einen der besten Metal-Acts in Europa. Falls sie sich selbst überhaupt noch als solchen sehen...

LGOONY & CRACK IGNAZ
Tokyo Boys

aus dem Album Aurora









Aurora war Anfang diesen Jahres nicht in jeder Hinsicht das Gipfeltreffen der deutschsprachigen Cloudrap-Botschafter, das man erwartet hatte, im Falle dieses Songs könnte es aber nicht zutreffender sein. Der Beat von Produzent Gee Futuristic ist ab der ersten Sekunde ein absoluter Banger und die beiden MCs liefern darüber einige der besten Bars des Jahres ("Bitch, ich überhole dich von rechts") ab. Dabei kommt in jeder Strophe auf großartige Weise die Persönlichkeit der Rapper rüber und dass LGoony die besten Hooks im Game singt, muss man Ende 2016 eigentlich keinem mehr erzählen. Damit ist Tokyo Boys das Stück von Aurora, das den größten Sog erzeugt und das Potenzial der Zusammenarbeit der beiden Trap-Spitzen fantastisch demonstriert. Im Endeffekt trifft hier tatsächlich mal der beliebteste Szene-Anglizismus zu, den man dort so gerne beuntzt: Dieser Song ist lit.

BADBADNOTGOOD
IV

aus dem Album IV









Bisher waren Badbadnotgood eigentlich immer die wüsten Rabauken des Jazz, die sich Sachen trauten, die kein anderer sonst machen wollte und den überbordenden Traditionalismus der Szene gar kritisierten. Dementsprechend ist es sonderbar, auf ihrem neuen Album einen solch perfektionierten Standard-Track zu hören, der doch sehr an die großen Meistern aus dem Fünfzigern und Sechzigern erinnert. Dass dieser allerdings fantastisch klingt, ist unbestreitbar. Der neue Saxofonist Leland Whitty zaubert in den fast sieben Minuten einige fantastische Improvisationen zurecht, Alexander Sowinskis Schlagzeug ist ein Träumchen und die Schiere Menge an cleveren Details und Twists hier ist atemberaubend. Es ist beeindruckend, wie die vier Kanadier auch in Gefilden, die sie eigentlich sonst eher schmähen, vom Fleck weg überzeugen und zumindest mich als Laien mehr mitnehmen als die meisten anderen Jazz-Platten der letzten Jahre. An diesem Track werden die Hater sicherlich einiges zu kauen haben. Und Baddabnotgood sind mal wieder fein raus.

JUSTICE
Safe & Sound

aus dem Album Woman









Ja okay, das neue Album der Franzosen war nicht wirklich so der Bringer, aber wir reden hier immerhin von Justice. Und ohne wenigstens eine coole Single geht bei denen eben gar nichts. Die heißt im aktuellen Fall Safe & Sound und klingt für die Verhältnisse des Duos wieder ziemlich nach good old times. Hier gibt es einen dominanten Disco-Beat, zahlreiche ziemlich offensichtliche Daft Punk-Einflüsse, viel Retro-Gehabe und vor allem die Signature-Streicher im zweiten Teil, die mal wieder absolut Zucker sind. Zusammen ergibt das einen vielleicht nicht mehr ganz so tanzbaren, aber doch unglaublich liebevoll produzierten French House-Song, der das Ende des Jahres noch einmal richtig veredelt hat. Ihn hier aufzulisten ist reine Ehrlichkeit, da Safe & Sound wahrscheinlich mein Herbst-Ohrwurm schlechthin war, der bei mir zu Hause rauf und runter lief. Und einmal mehr geht in diesem Fall immer noch.

BUILDING INSTRUMENT
Fall

aus dem Album Kem Som Kan å Leve









Zum Abschluss noch einen der seltsamsten und schönsten Songs des Jahres, den man vor allem jetzt in der kalten Jahreszeit noch einmal auspacken sollte. Der märchenhafte Folksong Fall ist ein Produkt des norwegischen Trios Building Instrument, einer der mysteriösesten Bands, denen ich 2016 begegnet bin. Über sie zu schreiben fällt mir noch immer schwer, diesen Track zu hören ist jedoch dafür ein umso größerer Genuss, dem ich in den vergangenen Monaten sehr häufig gefrönt habe. Die warmen und doch reduzierten Melodien hier, die auf mir völlig unbekannten Instrumenten gespielt werden und die mir völlig unverständlichen Vocals (es ist meines Wissens nach nicht mal einfach nur norwegisch), die trotzdem unglaublich nahbar wirken, machen dieses Stück zu einem ganz besonderen Erlebnis in diesem Jahr und nebenbei einem weiteren Grund, das ominöse Hubro-Label ganz genau im Auge zu behalten.

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