Samstag, 29. April 2017

Sind ja auch nur Menschen...

Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Gorillaz für mich sehr sehr lange das waren, was einer Lieblingsband am nächsten kam. Es gab von ihnen ausschließlich Platten, die zu meinen absoluten Lieblingen gehören (sogar das von Fans geschmähte the Fall mag ich eigentlich ganz gerne), das Konzept hinter dem Projekt war revolutionär, die Art und Weise, wie die Musik präsentiert und aufbereitet wurde, fand ich genial, die Kollaborationen waren fast immer on Point und wahnsinnig spannend und in Damon Albarn bin ich sowieso Hals über Kopf verliebt. Kurzum: Gorillaz waren bis zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich unfickbar. Und ich hätte es sogar okay gefunden, wenn nach der letzten Platte Schluss gewesen wäre. Zumindest wäre es mir lieber gewesen, als jetzt mit dem Kram konfrontiert zu werden, der sich da Humanz nennt. Ich habe mir das Album viele Male angehört und wirklich alles versucht, um genau das nicht sagen zu müssen, aber: Was Albarn und seine Kolleg*innen her fabrizieren, ist schon ziemlich mittelmäßig. Und es ist das erste Mal, dass man das über irgendetwas sagen muss, das Gorillaz veröffentlichen. Also ist es gleich doppelt doof. Dabei steckt hinter all dem sicherlich wieder jede Menge Kalkül. In Interviews sprachen die Macher davon, mit Humanz ein "schnelles Pop-Album" machen zu wollen, das der Mainstream-Kultur des Jahres 2017 den Spiegel vorhält und man muss sagen, dass man das auch hört. Die kompletten 50 Minuten der LP sind mehr oder weniger standardmäßige Tracks, die unter Unständen Radiomaterial sein könnten, doch wirken sie dabei eben nicht wie eine Reaktion auf irgendetwas, sondern wie ein Teil der Sache. Gleichzeitig verspielen Gorillaz dabei auch noch so gut wie alle ihrer bisherigen Stärken. Gleich nach den ersten drei Songs (die sogar noch zu den besten hier gehören) merkt man, dass dieser LP etwas fehlt. Die epische Größe, die überschwängliche Kreativität und die Fähigkeit, mit Musik ein kleines Universum zu erschaffen, ist der Band hier mehr oder weniger vollkommen abhanden gekommen und man erlebt lediglich eine ziemlich gewöhnliche Sammlung an Einzeltracks, wie man es von vielen Künstler*innen hätte bekommen können. Für diese Wirkung mache ich vor allem zwei Aspekte verantwortlich. Erstens ist Humanz das erste Gorillaz-Projekt, in dem Albarn selbst nicht den kompositorischen roten Faden in die Hand nimmt und eine starke Leitlinie setzt. Er selbst fällt in den meisten Stücken kaum auf und wenn, dann meistens negativ. Gegen charismatische Gäste wie Benjamin Clementine, Popcaan, D.R.A.M. oder Danny Brown stinkt er fast immer irgendwie ab und teilweise bin ich hier das erste Mal genervt, ihn singen zu hören. Der zweite Aspekt ist, dass die Featured Artists hier nicht wie sonst in die Songs einbezogen werden und als Teil des Ganzen agieren, sondern bloße Gäste bleiben. Die meisten Nummern mit Features (und das ist der überwiegende Part) klingen wie Arbeiten der Künstler*innen, die darin auftreten und nicht wie Elemente einer geschlossenen Gedankenwelt. Was jetzt nicht bedeutet, dass einzelne Tracks nicht trotzdem funktionieren. Momentz beispielsweise ist hier einer meiner Favoriten, der zeigt, dass die Kombination aus Albarn und De La Soul, die bisher auf allen Gorillaz-Projekten Stammgäste waren, noch immer äußerst fruchtbar sein kann. We Got the Power mit Savages-Frontfrau Jehnny Beth kann sich sehen lassen und die Leadsingle Hallelujah Money mit Benjamin Clementine ist im Kontext des fertigen Albums vielleicht sogar mein Lieblingssong. Nennenswert sind auf jeden Fall die Beiträge von Danny Brown und Kali Uchis, ohne die ihre jeweiligen Songs wahrscheinlich ziemlich öde geworden wären. Der exklusivste Gastauftritt hier, von Grace Jones in Charger, kann indes getrost ignoriert werden. Mit Busted & Blue kommt ein Highlight der Platte dafür komplett ohne Features aus. Richtig schlimm sind die vielen sinnlosen Interludes, die überhaupt nichts zum Gesamtbild beitragen und nicht mal besonders witzig rüberkommen. Auch der zweite Teil der LP beinhaltet viele Momente, die ziemlich peinlich sind und die einen doch sehr an seiner sogenannten Lieblingsband zweifeln lassen. Zum Glück ist das Ende mit den letzten beiden Tracks Hallelujah Money und We Got the Power noch mal richtig bombastisch und lässt ganz zum Schluss noch mal einen Hauch des altbekannten Gorillaz-Sprits erschnuppern. Das Album retten können diese beiden Songs aber auch nicht mehr, dafür ist in den vergangenen 40 Minuten bereits zu viel unverzeihliches geschehen. Humanz ist am Ende vielleicht nicht ganz so schlimm, wie ich es nach den ersten Singles befürchtet hatte, aber es bleibt mit Abstand das schlechteste Projekt, das die Briten je veröffentlicht haben. Und das schlimmste daran ist: Man kann es nicht ignorieren. Es ist das große Comeback der Gorillaz nach sechs Jahren und alle reden darüber und besonders als Fan muss man sich damit beschäftigen. Mit diesem Ergebnis jedoch ist es in meinen Augen ein bisschen der Schandfleck ihrer Diskografie. Und jetzt weiß ich auch nicht. Wie ich langfristig zu dieser Platte stehe, das werde ich vielleicht erst in mehreren Jahren wissen und ich schließe noch immer nicht aus, dass ich Humanz eines Tages mögen werde. Mit Plastic Beach hatte ich am Anfang auch so meine Probleme und mittlerweile ist es sogar mein Lieblingsalbum der Gorillaz. Für den Moment jedoch bin ich einfach nur ziemlich enttäuscht und fühle mich persönlich von Damon Albarn verraten. Folglich werde ich die nächsten Wochen erstmal noch ein bisschen eingeschnappt sein und rumbocken. Aber ich habe schließlich auch schon die grauenvolle letzte Blur-LP überwunden, also werde ich das hier auch schaffen. Alles wird gut, Leute.





Persönliche Highlights: Ascension / Strobelite / Momentz / Submission / Busted & Blue / Hallelujah Money / We Got the Power

Nicht mein Fall: Saturnz Barz / Carnival / Let Me Out / Sex Murder Party

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Freitag, 28. April 2017

Never Let Me Down

Ich habe in den letzten Jahren aus guten Gründen mehr oder weniger die Sicherheit gewonnen, dass Timber Timbre kein schlechtes Album machen können. Zu durchgestylt und perfektioniert waren die bisherigen drei Longplayer des Trio aus Ontario und zu sehr stimmte hier jedes Detail und jede Nuance des Songwritings, um auch nur den kleinsten Fehltritt zu machen. Die meisten von euch werden ihre Musik sicher nicht kennen, aber ich möchte an dieser Stelle jeden dazu anhalten, diesen Umstand schleunigst zu ändern. Eigentlich sollte es dafür schon reichen, sich einmal Grand Canyon anzuhören, danach dürfte sich der Rest von selbst erledigen. So hat es zumindest bei mir geklappt und ich liebe mittlerweile so ziemlich alles, was die Kanadier seit ihrer Gründung fabriziert haben. Mitunter sah ich die Band zuletzt schon nicht mehr als Musiker, sondern als perfekt geölte Nostalgie-Maschine, die gegen Münzeinwurf retrospektives akustisches Flair verströmte wie ein teures Parfüm. Und bis Anfang 2017 funktionierte diese Vorstellung auch fabelhaft. Bis im Februar dann Sewer Blues, die erste Single des neuen Albums Sincerely, Future Pollution, erschien. Sie war nicht wirklich grottenschlecht oder so, aber sie vermochte auch es nicht, dass ich mir diesen Track öfter anhören wollte, geschweige denn mich auf den fertigen Longplayer freute. Sie war eben einfach ein bisschen langweilig. Und das reichte, um mich von der irrsinnigen Illusion zu befreien, Timber Timbre seien absolut unfehlbar. Würden sie es tatsächlich schaffen, diesmal ein höchstens durchschnittlichen, wenn nicht gar unbefriedigendes Album zu veröffentlichen? Die Antwort darauf kann ich wenige Monate später mittlerweile sehr deutlich geben: Natürlich nicht. So ein Blödsinn auch. Natürlich ist auch Future Pollution wieder ein absolutes Meisterwerk. Wie konnte ich auch nur eine Sekunde daran zweifeln? Irgendwie haben es die drei hier geschafft, die an sich sehr unspektakulär klingenden Singles im Kontext der Platte zu etwas zu verbauen, das einfach nur genial ist. Die knapp 40 Minuten dieser LP zeigen Timber Timbre erneut in Hochform. Klanglich verlagert sich das ganze dabei im Vergleich zum Vorgänger Hot Dreams ein ganzes Stück. Der psychedelische, luxuriöse Fünfziger- und Sechziger-Sound von vor drei Jahren wird hier abgelöst durch eine etwas kühlere, elektronische Ästhetik, die sehr an Achtziger-New Wave und Bands wie OMD, Toto oder Roxy Music erinnert. Gleichzeitig bleibt eine starke Jazz-Färbung sowie die mystisch-soulige Melancholie der früheren Platten auch hier nicht aus. Nach dem fast sommerlichen Hot Dreams ist Future Pollution damit wieder ziemlich düster und verrucht geworden, was aber alles andere als ein Nachteil ist. Fans der ersten beiden Timbre-Werke werden wissen, dass diese Jungs ein Händchen für sowas haben. Hier paart sich das ganze nun auch noch wahnsinnig gut mit dem Swagger, den ihre Musik erst kürzlich für sich entdeckt hat. Diese LP ist also eigentlich nichts weiteres als die konsequente Fortsetzung dessen, was ich an dieser Band schon immer richtig gut fand und gleichzeitig trotzdem eine neue Facette des ganzen. Mehr braucht ein gutes Album am Ende auch nicht. Und Timber Timbre bleiben die unfickbare Nostalgie-Institution, die sie schon immer waren.





Persönliche Highlights: Velvet Gloves & Spit / Grifting / Skin Tone / Moment / Western Questions / Sincerely, Future Pollution / Bleu Nuit / Floating Cathedral

Nicht mein Fall: -

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Mittwoch, 26. April 2017

The Future is Now

Etwas mehr als drei Jahre ist es her, dass Profound Lore, mein bedingungsloses Vertrauenslabel in Sachen Krachmusik, mich mit der jungen New Yorker Death Metal-Band Artificial Brain das erste vor eine ziemliche Herausforderung stellte. Damals erschien dort ihr Debütalbum Labyrinth Constellation und sorgte bei mir für zweierlei Reaktionen: Einerseits klang die Platte wie eine höllische Kakophonie an ekelhaftem, unzusammenhängendem Lärm mit wenig Substanz, der selbst für die Verhältnisse dieses Genres ein bisschen sehr extrem war und weswegen ich diese Band eigentlich erstmal hassen wollte. Auf der anderen Seite waren ihre Songs aber auch ziemlich revolutionär, weil sie Dinge ausprobierten, die ich so auf bisher wenigen Metal-Projekten gehört hatte. Auffällige Dissonanzen, technische Verzerrungen oder Einflüsse aus der neuen elitären Musik waren hier nicht nur vorhanden, sondern auch noch wahnsinnig gut eingesetzt. In meiner damaligen Besprechung verglich ich die Ästhetik der Platte mit Bish Bosch von Scott Walker, einem Album zu dem ich eine sehr ähnliche Hassliebe hege. Wobei ich mir aber sicher war, dass Artificial Brain mit großer Wahrscheinlichkeit eine goldene Zukunft vor sich haben würden. Zumindest, wenn sie mit ihrem nächsten Projekt kompositorisch ein bisschen in die Puschen kämen. Und dieses ist mit Infrared Horizon jetzt endlich erschienen. Dass die New Yorker ihren Sound darauf deutlich verändert haben, wird dabei gleich in den ersten Minuten hörbar. Viele der Tracks sind tatsächlich offener und etwas leichter zu verdauen, einigen Passagen haftet sogar etwas postrockig-melodisches an. Von rhythmischen Purzelbäumen, roboterhaften Pig-Squeal-Parts, dichter Riff-Beackerung und avantgardistischen Eskapaden hält das Artificial Brain jedoch nicht ab. Gott sei Dank, möchte man sagen. Denn mit dieser Mischung aus Extremen schaffen sie auf Infrared Horizon genau das, was ich beim letzten Mal so vermisst habe mit dem zu verbinden, was sie eh schon sehr gut konnten. Ganz zu schweigen davon, dass sich hier in vielen Momenten wahnsinnig spannende klangliche Kontraste ergeben und sie stilistische Brücken schlagen. Über die klassischen Standards von Death Metal, selbst die von Technical Death Metal, sind Artificial Brain sowieso schon lange hinaus und auch wenn das neue Material in Sachen Experimente vielleicht einen Schritt zurück geht, hört man deutlich, dass diese Typen Kosmopoliten sind. Die kompletten 47 Minuten sind ein äußerst abwechslungsreicher Trip durch diverse Ausdrucksformen: Der Opener Floating in Delirium hat eine sehr milde, mäandernde Aura, Synthesized Instinct ist zerpflückt und wahnsinnig technisch, der Titeltrack baut Doom und Drone ins Rezept ein und in den ersten Takten von Vacant Explorer sind sogar Punk-Elemente erkennbar. Das sind alles sehr schöne Sachen, aber am Ende des Tages bleiben die Highlights der Platte die vielen kleinen spielerischen Details, Klangeffekte, eingebauten Schnapsideen und cleveren Interludes, an denen man sich immer wieder aufhält und staunt. Zwar gibt es genau so auch etwas mittelmäßige Momente, aber die sind es eigentlich nur deshalb, weil die Band hier mal nicht 110 Prozent gibt und für ein paar Sekunden "normale" Metalmusik spielt. Rein von der Kreativität her ist Infrared Horizon eines der besten Projekte, die ich 2017 im Bereich "härtere Sachen" so gehört habe und mit ein bisschen Geideihzeit könnte sich die LP in die Reihe der richtig guten Death Metal-Alben einreihen, von denen es seit ein paar Jahren doch ganz schön viele gibt. Auf jeden Fall sicher ist, dass Artificial Brain hiermit meinen Nerv endgültig getroffen haben und die goldene Zukunft, von der ich vor drei Jahren sprach, mittlerweile Gegenwart geworden ist. Also nichts mit der Apokalypse, um die es in ihren Songs so oft geht.





Persönliche Highlights: Floating in Delirium / Synthesized Instinct / Static Shattering / Infrared Horizon / Anchored to the Inlayed / Vacant Explorer

Nicht mein Fall: -

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Dienstag, 25. April 2017

Fühlst du nicht den Vibe?

Obgleich dieser Post hier mein erstes ausführliches Review zu einer Woods-Platte ist, habe ich mit dieser Band bereits eine gewisse Vorgeschichte. Um genau zu sein, sind die New Yorker vielleicht die Interpreten, die ich in den letzten Jahren am häufigsten für einen eigenen Artikel vorgesehen hatte und die am Ende doch keinen bekamen.Was das zu bedeuten hat, ist im großen und ganzen ziemlich einfach: Zwar mag ich die beschwingte, farbenreiche Folkmusik des Quintetts durchaus, aber das eine wirklich interessante Album habe ich von ihnen noch nicht gehört. Die Platte, die diesem Ziel bisher am nächsten kam ist in meinen Augen sicherlich Songs of Shame von 2010, aber auch so gut wie alle anderen kann man sich antun. Nur wirklich spektakulär sind sie eben nicht. Mit Love is Love war jedoch diesmal etwas anders. Denn als ich mir kürzlich zum ersten Mal in die LP reinhörte, um wieder einmal zu entscheiden, ob sich eine ausführliche Besprechung lohnen würde (und gute Karten hatte das Ding zunächst eher nicht), passierte es das erste Mal, dass ich von jetzt auf gleich beeindruckt davon war, was Woods hier machten. Zum ersten Mal fühlte sich ihre Musik so an, als ob sie wirklich meine Aufmerksamkeit für sich beanspruchen wollte und eben nicht nur so daher tingelte. Und schon nach wenigen Stücken, die ich gehört hatte, war meine Entscheidung eindeutig: Diesmal würde ich über diese Band schreiben. Dass diese Entwicklung genau jetzt stattfindet, ist indes kein Zufall. Schon seit einer Weile lässt sich im Sound der New Yorker ein wesentlich schwungvolleres und vielschichtigeres Songwriting beobachten, dass inzwischen fast weniger Folk ist als filigraner, organischer Pop. Auf Love is Love hört man Pianos, Orgeln, Holz- und Blechbläser, Sitars, Synthesizer und einige Instrumente, die man gar nicht so richtig identifizieren kann. Außerdem sind die Stücke diesmal noch euphorischer und knalliger als je zuvor, Ausflüge ins psychedelische und folkloristische inbegriffen. Das ganze wird auf einer soliden Basis aus Rock-Elementen festgeschnürt und ab geht die Fahrt ins bunte Universum, das Woods sich hier geschaffen haben. Der Sound erinnert an Kolleg*innen wie the Shins, Beck, My Morning Jacket oder die neueren Sachen von Midlake (teilweise muss ich komischerweise auch an die letzte Scheibe der Avalanches denken), ist aber noch durchbauter und ausgefuchster. Das Ergebnis sind bei insgesamt sechs Stücken mindestens drei absolut grandiose und auch der Rest lässt wenig zu wünschen übrig. Bleeding Blue ist ein Hit im besten Sinne und als solcher glorreicher und feierlicher als vieles, was ich dieses Jahr bisher gehört habe. Spring is in the Air spielt in zehn Minuten Spielzeit einen Holger Czukay an die Wand und ist das meditative Kernstück des Albums. Hit That Drum ist fast vier Minuten Nervenkitzel und die beiden Titelsongs, die die LP umschließen, vereinen Chill-Faktor und Dancyness auf Augenhöhe. Bei so einem vollkommenen musikalischen Trip ist das einzige doofe, dass die Platte nach gut einer halben Stunde auch schon vorbei ist. Der Vibe, den Woods hier aufbauen, hätte locker auch doppelt so lange getragen. Die 32 Minuten, die die New Yorker hier allerdings füllen, sind ein absoluter Traum und wahrscheinlich ihr bisher bestes Album. Nach Jahren der Zögerlichkeit und Unscheinbarkeit klingen die fünf Musiker hier endlich so fokussiert und vor allem so selbstbewusst, wie es ihnen am besten steht. Und vielleicht macht man so ein Ding auch nur einmal in seiner Karriere. Doch ich bin auf jeden Fall froh, dass diese Band es überhaupt gemacht hat. Da hat sich das Warten wenigstens gelohnt.





Persönliche Highlights: Bleeding Blue / Lost in A Crowd / Spring is in the Air / Hit That Drum

Nicht mein Fall: Love is Love (wenn ich mich entscheiden müsste)

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Montag, 24. April 2017

Gemütlich scheitern

Als einstmals sehr fanatischer Fan von Incubus hat es mitunter den Anschein, als wären die Kalifornier innerhalb der letzten Dekade die gemütlichste Band der Welt geworden. Alle vier bis fünf Jubeljahre gibt es mal neues Material von ihnen, an dem die fünf Musiker ausgiebig herumschrauben und sich ein wenig ausprobieren, darüber hinaus ist diese Arbeit als Rockgruppe für die meisten unter ihnen mehr oder weniger zur Nebenbeschäftigung geworden. Um wirklich relevant zu sein, ist das mir persönlich zu wenig und mein Fansein hält sich mittlerweile wirklich in Grenzen, dennoch haben Incubus schon mehrfach bewiesen, dass diese Herangehensweise meistens funktioniert. Ihr letztes richtiges Album, If Not Now When? von 2011, hatte ein paar großartige Songs und zeigte vor allem große Freude am kollektiven Musikmachen und auch einige Tracks der 2015 veröffentlichten Trust Fall Side A-EP waren gar nicht so übel. Zwar sagte mir die wieder sehr enthusiasthisch-poppige Marschrichtung zuletzt nicht immer zu, doch bin ich der Meinung, dass die Kalifornier theoretisch noch immer zu einem richtig genialen Longplayer fähig sind. Und als ehemaliger Hardliner der Band kann und will ich eine ausführliche Besprechung ihres achten Studioalbums nicht umgehen. Auch wenn 8 außer den Musikern selbst wahrscheinlich nur wenige Menschen glücklich macht. Nach dem von vielen Fans geschmähten, sehr subtilen und entspannten If Not Now When? wurden die Action-Schrauben hier wieder etwas angezogen, größtenteils bleibt der Sound aber sehr flächig, melodisch und eben auch ein bisschen kitschig. Klavierkompositionen gehören mittlerweile ganz selbstverständlich ins Repertoire von Incubus und Gitarren werden nur noch sehr selten verzerrt. Wo diese Strategie beim letzten Mal aber wenigstens noch für viele strukturell interessante und vielseitige Songs sorgte, vermatscht das ganze hier zusehends. Wirkliche Aha-Momente sind nicht identifizierbar und die beiden "großen Singles" der Platte, Nimble Bastard und Glitterbomb, sind vielleicht sogar die schwächsten Tracks hier. Das Comedy-Jux-Interlude When I Became A Man zählt übrigens nicht als Aha-Moment, obwohl er wenigstens eine andere Seite der Band zeigt, die man vielleicht seit Mitte der Neunziger nicht mehr gehört hat. Hätte man es mit dem Song ernster gemeint, wäre er vielleicht sogar richtig gut geworden, aber so reicht es ihm nur zu einem völlig zusammenhanglosen WTF-Moment auf einem Album, in das er nicht passt. Wenn es ein Stück gibt, das mich zumindest ein wenig überrascht hat, dann ist es mit Undefeated vielleicht der poppigste Song auf 8. Man könnte meinen, die Band hätte ihn eigentlich für Adele oder Alicia Keys geschrieben und er zeigt, dass diese Typen große Melodien immer noch drauf haben. Trotzdem muss ich zugeben, dass er als Auftragswerk vielleicht sogar besser aufgehoben gewesen wäre. Denn so wie er ist, versandet leider auch dieser Track im klanglichen Sumpf dieser Platte. Es tut mir als ehemaliger Superfan weh, so etwas zu sagen, aber dass dieses Album existiert ist, interessiert eigentlich niemanden. Es hat der Diskografie der Kalifornier nichts hinzuzufügen und erweckt den Eindruck, dass Incubus 2017 nicht mehr wirklich Lust auf sich selber haben. Wo If Not Now When? vor sechs Jahren noch klang wie ein Neuanfang, scheint das hier eher der kreative Sargnagel für diese Gruppe zu sein. Und irgendwie ist das auch okay so. Lange genug war das Quintett so viel cooler als die meisten Künstler*innen aus dem Umfeld und der Zeit, aus denen sie kamen und neben den Deftones vielleicht die einzige ehemalige Nu Metal-Formation, die man in den Zweitausendern noch erhobenen Hauptes hören konnte. Es gibt in meinen Augen genügend grandiose, zeitlose Incubus-Songs von früher, dass man jetzt nicht noch mehr davon braucht. Ähnlich wie Pearl Jam, Neil Young oder die Smashing Pumpkins sind sie mittlerweile zwar scheiße, aber haben lange genug so tolle Musik gemacht, dass man ihnen keinen Vorwurf machen will. Und dieser Totalausfall und meinetwegen noch ein paar mehr können daran nichts mehr ändern. Dafür bin ich noch zu sehr Fan.





Persönliche Highlights: No Fun / Undefeated / When I Became A Man / Throw Out the Map

Nicht mein Fall: Nimble Bastard / Glitterbomb / Loneliest

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Montag, 17. April 2017

Tagessieger

Da ich die nächsten vier bis fünf Tage unterwegs sein werde und deshalb regelmäßige neue Posts erstmal ausfallen müssen, habe ich heute das letzte Mal die Möglichkeit, eine aktuelle Platte zu besprechen, bevor am Freitag Release-technisch wieder die neue Woche anfängt (unter anderem mit Alben von Incubus, Artificial Brain, Cult of Luna und Obelysskh, nur mal so). Da aber für diesen Zeitraum noch zwei LPs auf meiner Liste standen, musste ich mich für eines von beiden entscheiden. Eigentlich war mein eigener Favorit dabei das neue Album AZD von Actress, das spannenden experimentellen Electronica versprach und das ich an dieser Stelle trotzdem allen Freunden solcher Musik empfehlen möchte. Little Dragon waren als Alternative eigentlich nur deshalb eine Option, weil ich in der Vergangenheit schon über sie geschrieben hatte und einige meiner Leser*innen die Band anscheinend ganz gerne mögen. Ich persönlich dachte im Vorfeld jedoch, dass Season High mich nicht sonderlich anheben würde. Zu langweilig fand ich vor drei Jahren ihr letztes Album Nabuma Rubberband und ein wirklich großer Fan ihres Stils war ich ohnehin noch nie. Auch die bisherigen neuen Singles waren nicht wirklich der Brüller. Schlussendlich steht aber jetzt doch ihr Name hier oben, was bedeuten muss, dass irgendetwas an dieser Platte doch nicht so verkehrt sein kann. Und tatsächlich muss ich zugeben, dass mich die Schweden hier kalt erwischt haben. Season High ist vielleicht der beste Little Dragon-Longplayer seit dem Fan-Liebling Ritual Union von 2011, vielleicht sogar noch ein bisschen besser. Was mich daran aber besonders freut ist, dass ich einsehen muss, wie falsch ich mit meinem Urteil über sie lag. Vor drei Jahren empfand ich ihre neue stilistische Ausprägung als zu robotisch und kalkuliert, doch hier funktioniert ein sehr ähnliches Konzept plötzlich wunderbar. Der Sound von Season High ist nach wie vor sehr elektronisch und unterkühlt, doch lässt sich die Band davon diesmal nicht die Show stehlen. Sängerin Yukimi Nagano singt hier wieder mit jeder Menge Charisma und macht wie früher selbst aus dem krudesten Ambient-Gestotter einen garstigen Ohrwurm (siehe Don't Cry). An manchen Stellen, wie in the Pop Life kehren Little Dragon für diesen Effekt zwar auch klanglich wieder etwas zu ihrem früheren, bunten Sound zurück, doch fallen solche Stücke nicht aus dem Rahmen oder klingen konservativ. Selbst der Feature-Part von Agge (wer ist diese großartige Person?) im Opener Celebrate passt überraschend gut ins Gesamtbild. So etwas wie einen richtig schlechten Song gibt es hier sowieso nicht, allerhöchstens der Refrain von Push wird bei häufigerem Hören etwas nervig. Womit unterm Strich eine Platte herauskommt, wie ich sie von Little Dragon an diesem Punkt ihrer Karriere nicht erwartet hätte. Es gibt hier echte Hits und großartige Aha-Momente, gleichzeitig aber auch sehr experimentelle Passagen und man hat im großen und ganzen das Gefühl, dass die Schweden sich damit sehr wohl fühlen. Man könnte Season High also als eine Win-Win-Situation beschreiben. Und vielleicht schafft es diese LP sogar, dass ich am Ende auch noch zu einem Fan werde. Möglich ist es auf jeden Fall.





Persönliche Highlights: Celebrate / the Pop Life / Butterflies / Should I / Don't Cry

Nicht mein Fall: Push

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Sonntag, 16. April 2017

Cockrock mit Nudelsalat

Seit mittlerweile über 20 Jahren ist die Münchner Band Colour Haze die wahrscheinlich sicherste Kiste an gutem Psychedelic- und Stonerrock, die die deutsche Musiklandschaft zu bieten hat, vielleicht sogar in ganz Europa. Während sich eine wirklich gehaltvolle Infrastruktur an Künstler*innen wie Obelysskh, Okta Logue und Kadavar hierzulande mehr oder weniger erst in den letzten fünf Jahren herausbildete und im Moment auch schon wieder im Zerfall begriffen ist, grooven sich die Bayern schon seit einer halben Ewigkeiten durch die Botanik, haben eine wahnsinnig treue Fanbase und verteidigen diese mit einem grandiosen Album nach dem anderen. Ich selbst bin bedauerlicherweise noch nicht so lange dabei und kenne nur die letzten beiden Alben She Said und To the Highest Gods We Know wirklich ausführlich, doch auch die allein haben ausgereicht, um mich ebenfalls von dieser Band zu begeistern und auch ich kann von ihnen nur in den höchsten Tönen sprechen. Deshalb ist es umso peinlicher, dass mir ihre neueste Doppel-LP In Her Garden, die vor gut einem Monat erschien, völlig durch die Lappen ging. Und auch wenn ich verspätete Besprechungen sonst ziemlich verachte, wollte ich mir diesen Fauxpas in unter keinen Umständen vorwerfen lassen und habe jetzt die Gunst der Stunde genutzt, um an dieser Stelle noch ein paar Gedanken zu dieser Platte zu verfassen. Dabei muss ich aber leider feststellen, dass wir es hier mit einer der eher schwächeren Performances zu tun haben, die man von den Münchnern zuletzt gehört hat. Zumindest in der Hinsicht, dass Colour Haze es hier sehr zurückhaltend und vorsichtig angehen. Zwar waren ihre Songs noch nie dafür bekannt, sonderlich originell zu sein und große stilistische Hakenschläge vorzunehmen, doch war ihr mutiges Songwriting immer einer der Punkte, der sie für mich so viel spannender machte als die meisten ähnlich klingenden Kolleg*innen. In Her Garden hingegen könnte man als verhältnismäßig monotones Album beschreiben, dass zwar die kompletten 73 Minuten Spielzeit ordentlich durchföhnt, dabei aber immer auf ein und derselben Schiene fährt und wenige Überraschungen parat hat. Sicher sind das Einbeziehen von Bläsern und psychedelischen Orgeln nette Gimmicks, aber prinzipiell nichts, was man von dieser Band nicht schon gehört hätte. Die einzige Ausnahme ist vielleicht Lotus, in der die Interaktion mit dem neuen Instrumentarium richtig gut klappt, was allerdings auch die Frage aufkommen lässt, warum das nicht auch beim ganzen Rest der Fall ist.  Denn zum überwiegenden Teil klingen die meisten Songs hier zwar nach wie vor fantastisch, aber eben auch zum Verwechseln ähnlich. Und auf einer Platte, die über eine Stunde geht, merkt man das irgendwann sehr deutlich. Besonders die langen Stücke wie Islands oder Skydance sind schwere Geduldsproben und obwohl zur Kontastierung ein paar Interludes eingefädelt wurden, wirken diese eher halbherzig und versteift. Stefan Kogleks endloses Riff-Genudel findet man wahrscheinlich auch nur noch dann so richtig geil, wenn man es hier zum ersten Mal hört und ab und an beschleicht mich hier der Verdacht, das ein oder andere Motiv auf einer vorherigen LP schon mal gehört zu haben. Was nach wie vor richtig gut klappt, ist der herrlich pappige, organische Sound des Albums und so sehr wie Koglek langweilt, so sehr begeistert an vielen Stellen Manfred Merwalds Schlagzeugspiel, ohne das große Teile der Tracks sicherlich noch ermüdender klingen würden. Wie man sich aber denken kann, ist das alles Jammern auf wahnsinnig hohem Niveau. Trotz arger Patzer gelingt Colour Haze mit In Her Garden ein nach wie vor sehr solides Album, das man sich von so mancher Band ihres Fachs schon seit langem mal wieder wünscht. Wer nach altbewährten Stärken der Bayern sucht, findet diese hier auf jeden Fall, nur funktionieren sie meiner Meinung nach auf den meisten ihrer anderen Platten besser. Ein paar richtig gute Songs wie Lotus und Labyrinthe kommen am Ende trotzdem rum. Also ist am Ende alles halb so wild. Das Kuriosum dieser LP ist sicherlich, dass es für Neueinsteiger besser funktionieren dürfte als für altgediente Fans der Band. Und weil es nach 20 Jahren musikalischer Aktivität unter den Hörern wahrscheinlich mehr von letzterem gibt, dürfte die Sache eben kompliziert werden. Zumindest wenn man mal davon ausgeht, dass diese Fans nicht sowieso alles feiern, was diese drei Typen veröffentlichen.





Persönliche Highlights: Black Lilly / Magnolia / Lavatera / Labyrinthe / Lotus / Skydancer

Nicht mein Fall: Islands

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Samstag, 15. April 2017

Mein Gott Kendrick!

Der gewagte Move, am Ende des letzten Jahres Kendrick Lamars B-Seiten-Kollektion Untitled. Unmastered. zu meinem offiziellen Lieblingsalbum 2016 zu küren, ist noch immer eine Sache, über das ich mir im Nachhinein nicht wirklich sicher bin. Vielleicht hätte jemand anderes diese Platzierung eher verdient gehabt und der Fakt, dass die Platte keine wirklich eigenständige ist, trägt definitiv schwer. Wobei ich mir jedoch sicher bin, dass besagte LP das bisher beste Gesamtwerk des Kaliforniers ist. Und wenn ich sage bisher, dann meine ich damit, dass sie das auch nach Damn bleibt. Denn noch ein Album des Jahres hat KDot mit seinem "richtigen" Nachfolger zu To Pimp A Butterfly ganz bestimmt nicht gemacht. Und möglicherweise ist das auch Absicht. So stabil, wie Lamar die Serie an gigantischen HipHop-Konzeptwerken seit seinem Debüt Section.80 von 2011 durchgezogen hat, ist eine etwas knapper gehaltene, stilistisch direkte LP wahrscheinlich die beste Option für ihn. Zwar ist Damn trotz allem noch ein ziemlich umfangreicher Story-Brocken, der mit jeder Zeile großartige Botschaften absondert, doch innerhalb dieses Kontextes wurde sich deutlich zurückgehalten. Lediglich 55 Minuten Spielzeit füllen die 14 Tracks hier, außer Lamar selbst sind mit Rihanna, U2 (!) und Zacari nur drei andere Künstler als offizielle Features zu hören und die Stücke selbst sind wesentlich einfacher konzipiert und haben eine fast poppige Ästhetik an sich. Solche Musik hat man von ihm relativ lange gehört. Wobei sich Damn darauf natürlich nicht beschränkt, vor allem auf textlicher Ebene. Bereits jetzt haben sich um einzelne Lines des Albums einige krasse Verschwörungstheorien gebildet und inhaltlich gibt KDot das auf jeden Fall her. Grob gesagt ist diese Platte Lamars ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema Religion, in der der Rapper sich selbst als eine Art (HipHop-) Messias porträtiert, inklusive dramatischem Ableben am Ende. Dazu passt natürlich das Veröffentlichungsdatum am Karfreitag und auch das Video zur Leadsingle Humble bekommt dadurch den ein oder anderen Aha-Moment verpasst. Auch in der Tracklist verbergen sich einige clevere Anspielungen, beispielsweise dass hier die beiden Songs Fear und God aufeinander folgen (was im englischen dazu führt, dass man sagt "fear before god", also 'Gottesfurcht'). Im Prinzip macht Lamar damit aber nichts, was er nicht vorher auch schon gemacht hätte. Das Philosophieren über seine soziale Herkunft in DNA, lyrische Verweise auf Passagen in der Bibel in Element, Stories aus seine comptoner Kindheit in Element oder Reflexionen seines Lebens als Celebrity in Feel: So gut wie alles davon hätte bereits auf früheren Alben von ihm Platz gefunden und wäre dort vielleicht sogar besser aufgehoben gewesen. Das einzige wirklich neue hier sind seine Kommentare über seinen Status als Rapper, der ihm von den Medien zurzeit zugeschrieben wird. Und obwohl sich diese größtenteils in ziemlich simpler Angeberei äußern, ist die Art, wie er diese in Szene setzt, einigermaßen genial und sorgt für haufenweise gute Punchlines. Was die musikalische Dimension der Platte angeht, so bin ich an vielen Stellen mal wieder nicht so begeistert von KDot. Dieses Problem hatte ich schon auf früheren Platten von ihm, doch hier ist es mal wieder sehr auffällig. Das Album schafft es beispielsweise nicht, klanglich einen roten Faden einzuhalten, was das umfangreiche Story-Konzept in meinen Augen ein wenig stört und in Yah und Lust höre ich persönlich eine ganze Menge Drake heraus, was irgendwie nicht so richtig zum angeblichen Beef der beiden passt. Auch die Tatsache, dass Lamar hier allgemein mehr singt, finde ich nicht unbedingt so geil. Zwar ist er kein schlechter Sänger, aber doch ein deutlich besserer Rapper. Und in manchen Songs kommt mir das irgendwie zu kurz. Der Teufel steckt bei diesem Album definitiv im Detail und deshalb bleibt es trotz einer Vielzahl an Mangelerscheinungen für mich am Ende ein sehr vertretbares Gesamtwerk. Kendrick Lamar haut mich hier nicht total um, doch er schafft es definitiv weiterhin, sehr kreative Ideen fantastisch umzusetzen und eine äußerst gehaltvolle Story abzuliefern. Ein weniger beeindruckendes Erlebnis springt nun mal dabei raus, wenn man sich dazu entschließt, kleinere Brötchen zu backen. Mir wäre zwar am Ende ein neues, besseres To Pimp A Butterfly doch lieber gewesen, aber dann wäre KDot diesen Dezember wahrscheinlich schon wieder auf der Eins und das will ja keiner. So sorgt Damn zumindest für Abwechslung. In vielerlei Hinsicht.





Persönliche Highlights: Blood / Element / Feel / Humble / XXX / Duckworth

Nicht mein Fall: Loyalty / Pride / Love / God

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Freitag, 14. April 2017

Yallah! Yallah!

Eigentlich sind Oiseaux-Tempête eine Band, die man beneiden muss. Das musikalische Projekt der beiden Franzosen Stéphane Pigneul und Frédéric Oberland reist seit Jahren durch die ganze Welt, um mit diversen sehr talentierten Gastmusikern überall gemeinsam zu musizieren und diese Arbeiten dann in ausgefallenen, gigantoesken Instrumental-Opern zu verbauen, die bereits seit einer ganzen Weile eine stetig wachsende Fanbase begeistern. Bereits mit ihrem selbstbetitelten Debüt von 2013 legte das Duo aus Paris ein bewundernswertes Referenzwerk vor, das sich klanglich mit der Währungskrise und dem Zerfall der europäischen Union befasste und schon damals zog man aus gutem Grund schnell Parallelen zu den legendären Platten von Godspeed You! Black Emperor. Allerdings waren diese Siebenmeilenschritte mehr oder weniger erst die Gehversuche der beiden. Denn als zwei Jahre später ihr Nachfolger Ütopiya? erschien, für den die Band nach Sizilien reiste, wurde klar, womit man es hier zu tun hatte: Das eineinhalbstundige Album war ein Opus Magnum zwischen Postrock, Jazz, Noise und Experimentalmusik, auf dem erstmals großzügige Features eingebunden wurden und mit dem Oiseaux-Tempête endgültig zu einer der wichtigsten Kräfte des europäischen Instrumentalrock aufstiegen (zumindest, wenn man mich fragt). Und als im Dezember 2016 ihr dritter Longplayer angekündigt wurde, war ich endgültig total von den Socken. Diesmal hatte es Pigneul und Oberland nach ins libanesische Beirut gezogen, wo sie mit einer halben Armee an Instrumentalist*innen und Songwriter*innen jammten. Al-'An war von der ersten Sekunde an vielleicht die Platte, die ich für diese Saison mit der größten Spannung erwartete. Jetzt, da das Ergebnis da ist, muss ich sagen, dass diese Erwartungen nicht enttäuscht wurden. Denn auf den zwölf Tracks bewegt sich das Kollektiv stilistisch so sicher wie nie zuvor. Der prägende Sound, der auf den ersten beiden Alben entwickelt wurde, ist mittlerweile etabliert und kann hier in diverse Richtungen manövriert werden. Folglich schreiben Oiseaux-Tempête hier Stücke, die sich erstmals so richtig nach Songs anhören und wissen, was sie tun. Man darf das nicht falsch verstehen, auf den beiden Vorgängern war gerade das Ausprobieren verschiedener Ästhetiken wahnsinnig spannend und sorgte für eine immense Vielfalt, doch das ganze jetzt gefestigt zu hören, ist ebenfalls ein Hochgenuss. Zunächst fand ich es zwar ein bisschen schade, dass Al-'An dadurch insgesamt ruhiger klingt, doch der tatsächlichen Qualität der Musik tut dies keinen Abbruch. Ich würde dieses Album sogar als das beste empfinden, um in die Diskografie der Franzosen zu starten, da es deutlich unkomplizierter und direkter ist als seine Vorgänger. Songs wie das rockige Baalshamin oder das fast soulige Carnaval sind fast so etwas wie catchy und die vielen orientalischen Elemente dürften Fans von Bands wie Esmerine oder Melt Yourself Down zusagen. Aber auch Freunde von Experimenten kommen hier auf ihre Kosten: In vielen Momenten gibt es hier weiter die schon auf Ütopiya? großartigen Field-Recording-Ausflüge, die hier sogar noch ein bisschen besser sind und im fast zwanzigminütigen Kernstück Through the Speech of Stars hört man einmal mehr die erleuchtenden Worte des Spoken-Word-Künstlers G.W. Sok, in den sich viele schon beim letzten Mal verliebt hatten. Ein besonderes Lob muss ich persönlich für den von Pigneul gespielten Bass loswerden, der einem Großteil der Tracks eine warme, groovige Basis verschafft, ohne die wahrscheinlich vieles nicht so fantastisch klingen würde. Überhaupt ist Al-'An eher eine Platte, die von den Zwischentönen lebt als von den großen Ausbrüchen, die hier nur selten stattfinden. Dadurch, dass sie diese aber so gut meistert, steht sie den bisherigen Arbeiten von Oiseaux-Tempête in nichts nach und wird wahrscheinlich vielen sogar besser gefallen. Und obwohl mein Favorit höchstwahrscheinlich trotzdem Ütopiya? bleiben wird, erlebt die grandiose Erfolgsstory dieser Band hier auch in meinen Augen eine weitere neue Dimension, die wir noch nicht kannten. Dass diese beiden Musiker zu den wichtigsten Kräften der experimentellen Rockmusik in diesem Jahrzehnt gehören, bestätigt sich für mich ebenfalls weiterhin. Wer hintereinander drei dermaßen gelungene und wegweisende Konzeptalben fabriziert, muss irgendetwas richtig machen. Es ist deshalb schade, dass Oiseux-Tempête noch immer ein ziemliches Nischenphänomen sind. Zwar hat sich mit dieser Platte schon sehr viel getan und auch auf der anderen Seite des Atlantik sind die Leute auf die Franzosen aufmerksam geworden, doch diese Aufmerksamkeit steht noch immer in keinem Verhältnis zur Qualität, die die beiden regelmäßig abliefern. Wahrscheinlich sind Godspeed dafür selber immer noch zu gut.





Persönliche Highlights: Notes From the Mediterranean Sea / Bab Sharqi / Feu Aux Frontières / Baalshamin / Our Mind is A Sponge, Our Heart is A Stream / I Don't Know, What or Why / Ya Layl, Ya 3aynaki (Ô Nuit, Ô Tes Yeux!) / Carnaval / Through the Speech of Stars / A L'Aube

Nicht mein Fall: Electrique Résistance

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Donnerstag, 13. April 2017

Menschen Leben Tanzen Welt

Eigentlich hätte sich die Besprechung des kommerziellen Debüts der Chainsmokers für jemanden wie mich erübrigen können, da das Resultat einer solchen quasi schon klar ist: So richtig gibt es niemanden, der das Produzenten-Duo aus New York gut findet (außer vielleicht Chris Martin) und gerade in der letzten Woche übertreffen sich die Blogs gegenseitig damit, Memories...Do Not Open mit dem fiesesten Verriss zu schmähen. Und wenn es um so etwas geht, will ich unbedingt auch dabei sein. Nicht, um fröhlich mitzumobben, sondern eher, um in der ganzen Sache meine eigene Perspektive zu finden. Schließlich ist es in der Vergangenheit schon häufiger vorgekommen, dass ich kollektiv gebashte Projekte eigentlich richtig gut fand und die Tatsache, dass ich bisher aktiv wirklich wenig von den Chainsmokers gehört habe, lässt mich hier auch relativ unvoreingenommen sein. Es könnte daran liegen, dass die beiden zu der Sorte namenlosem Radiofutter gehören, die man eben nicht weiter beachtet, aber ich hätte im Vorfeld dieses Albums tatsächlich keine drei Songs von ihnen aufzählen können. Zumindestens das sollte ich jetzt vielleicht mal ändern. Wobei ich auch nach dieser LP sagen muss, dass meine Motivation dazu eher gering ausfällt. Denn ein bemerkenswertes Ereignis ist diese Platte tatsächlich in keiner Weise. Weder ist sie so grauenvoll, dass man sich noch monatelang darüber das Maul zerreißen kann noch bietet sie irgendetwas auch nur ansatzweise erinnerungswürdiges Gutes, um sie dafür zu würdigen. Sie ist einfach nur ekelhaft generisch. Jeder einzelne der zwölf Songs hier könnte auf so ziemlich jedem Radiosender laufen und bei keinem würde man auch nur eine Sekunde von einer beliebigen anderen Tätigkeit abgelenkt sein. Und das schlimme dabei ist: die Chainsmokers scheinen das gar nicht anders zu wollen. Memories...Do Not Open ist bis in die Haarspitzen kaputtoptimierte Zielgruppen-Kommerz-Musik, die nicht eine Spur von Organität aufweist und sich dafür feiert. Dies äußert sich zum einen flächendeckend in den Instrumentals, die sind aber tatsächlich noch das geringere Übel. Man könnte sich bei manchen vorstellen, dass eine charismatische Sänger*in, sagen wir Sampha, Lorde oder Frank Ocean, diese sogar zu einem guten Song machen könnte. Aber auch das wissen die beiden sofort zu vermeiden. Mit Künstler*innen wie Louane, Emily Warren oder Florida Georgia Line sind jedoch ein paar Gäste vertreten, die absolut keine eigene Persönlichkeit mitbringen und sich so perfekt in die spiegelglatte musikalische Oberfläche einpassen. Das schlimmste sind dabei eigentlich die Texte: Für mich gibt es nichts schlimmeres als Stücke, die sich um den größtmöglichen Tiefgang bemühen, dabei aber auf ganzer Linie versagen und am Ende mit einer Message stehen bleiben, die beinahe kontraproduktiv ist. Und leider ist auf dieser LP so gut wie jeder Track davon betroffen. Selber Schuld, möchte man sagen, denn mit ihrem Ruf hätten die Chainsmokers sicher den ein oder anderen talentierten Gast bekommen können. Der einzige, der mir für diesen Move ein wenig Leid tut, ist dann tatsächlich Chris Martin in Something Just Like This, der eine bessere Performance eigentlich drauf gehabt hätte. Aber die Kreativ-Cyborgs scheinen auch ihn hier assimiliert zu haben. Den vielleicht besten, wenngleich ebenfalls nicht besonderen Beitrag leistet indes Jhené Aiko in Wake Up Alone, die wenigstens ein Mindestmaß an Charakter zeigt. Am schlimmsten wird es auf der anderen Seite immer dann, wenn sich die Bandmitglieder selbst ans Mikro wagen, was bedauerlicherweise auf den meisten Cuts der Fall ist. Und wenn jemand ohne seine Featured Artists nicht überlebensfähig ist, kann man ihn eigentlich direkt abschreiben. Im Falle der Chainsmokers ist dies auch definitiv das beste, was man machen kann. Wenn ich mir diese Platte so anhöre, wird wahrscheinlich selbst das Formatradio nicht mehr lange Lust auf eine so statische und unkreative Form von Popmusik haben, zumal charismatische Elektro-Produzenten gerade echt keine Mangelware sind. Die Welt wird vergessen, dass es diese beiden Typen jemals gegeben hat und alle werden sich fragen, warum sie sich im Frühjahr 2017 über ein dermaßenes Nichts so aufgeregt haben. Man hätte ja stattdessen auch über das neue Album von Nelly Furtado schreiben können, das übrigens richtig gut ist. Naja, nachher ist man immer schlauer.





Persönliche Highlights: Don't Say / My Type / It Won't Kill Ya / Last Day Alive

Nicht mein Fall: Something Just Like This / Paris / Honest

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Mittwoch, 12. April 2017

Far Out

Gerade mal 27 Jahre ist der venezuelanische Produzent Alejandro Ghersi alias Arca alt, doch eigentlich hat er künstlerisch schon so ziemlich alles erreicht, was man mit seiner Art von Musik so erreichen kann. Seine beiden bisher veröffentlichten Platten Xen und Mutant wurden von der Blogosphere einschlägig gefeiert, sein allerersten Konzert spielte er im Berghain und nebenbei wirkte er maßgeblich an Alben von Björk und Kanye West mit. Die Frage, ob es für ihn also überhaupt noch etwas im Business zu holen gibt, ist also berechtigt. Und wahrscheinlich hat sich Ghersi diese Frage in den letzten Jahren auch gestellt. Ein weiterer Longplayer im Stil seiner letzten beiden Werke wäre diesmal ganz sicher anstrengend geworden und Arca ist auch niemand, der künstlerisch lange an einer Stelle verharrt. Und nachdem er inzwischen eh schon mehr oder weniger für den Rest der Welt definiert hat, wie moderne experimentalelektronische Musik zu klingen hat, kann er sich eigentlich auch alles erlauben. Was er mit seinem dritten, selbstbetitelten Album auch tut. Diese Platte ist im Prinzip nicht weniger als eine umfangreiche Erweiterung von allem, wofür der Name Arca bis dato stand. Statt wüster elektronischer Kaskaden und Industrial-Noise-Gehämmer gibt es hier eine Dreiviertelstunde lang wesentlich vorsichtigere Klänge und unterdrückten Exzess. Was allerdings nicht bedeutet, dass diese Songs hier irgendwie gemütlich sind. Tatsächlich klingen Tracks wie Anoche oder Sin Rumbo teilweise noch gequälter und tragischer als sein bisheriger Output und ein schwerer Pelz legt sich über das Hörerlebnis. An den meisten Stellen hat die Platte die Wirkung eines richtig fiesen Katers nach drei Tagen Afterhour mit dem vollen Programm an dazugehörigen Substanzen. Um diese Wirkung zu erreichen, bricht Ghersi auch häufig aus seinem rein elektonischen Schema aus. Die Melodien hier (wenn man sie so nennen kann) erinnern dunkel an mittelalterliche Gregorianik und dass Arca dazu erstmals umfangreiche Gesangsparts beisteuert, die eine sehr ähnliche Ästhetik aufweisen, verstärkt diesen Effekt noch. Gepaart mit dem üblichen Staccato-Beat und Industrial-Gehecksel ergibt das eine höchst surreale Mischung. Für bestimmte Teile würde ich sogar den Begriff Neo-Klassik strapazieren. Und wo mich das am Anfang doch ganz schön schockte und ich mich fragte, ob das jetzt gut gehen wird, war ich spätestens nach den ersten beiden Stücken begeistert von der Rezeptur. Es hilft natürlich auch, dass im Mittelteil, bei Songs wie Reverie und Castration, wieder ein bisschen der alte Arca durchschimmert. Doch der eigentliche Clou ist, wie Ghersi hier Kontraste aufbaut. Einer der ergreifendsten Momente der Platte ist, wenn das pumpende und stechende Castration in das düstere Fast-Acapella-Experiment Sin Rumbo übergeht und Ghersis Stimme einem schon ein bisschen eine Gänsehaut verpasst. Wobei es wiederum auch Stellen gibt, an denen dieses Konzept nicht so richtig funktioniert: Coraje beispielsweise versucht an anderer Stelle dasselbe Prozedere und reißt damit ein dickes Loch in die Tracklist, das mit viereinhalb Minuten auch relativ lange bleibt. Solche immensen Schwächen gab es bisher auf keinem der vorherigen Arca-Alben. Dafür gibt es auch eine ganze Reihe an kleinen Überraschungen hier: Das sehr wörtlich zu nehmende Whip dürfte bei vielen Hörer*innen ein kleines Schmunzeln hervorzaubern (auch nicht unbedingt normal bei dieser Art von Musik) und mit Desafío macht Ghersi erstmals so etwas wie einen Popsong. Auch diese Versuche laufen nicht immer perfekt ab, doch man kann sie durchaus sympathisch finden. Überhaupt ist die etwas lockere Ästhetik dieses Albums etwas, dass ich konzeptuell gar nicht so übel finde. Arca ist vielleicht weniger durchgeplant und in sich geschlossen als seine Vorgänger, doch zeigt dafür nicht nur Nuancen einer einzigen Idee, sondern eine ganze Menge sehr kontrastreiche Ansätze. Und man merkt irgendwie, dass jemand Spaß daran hatte, diese Musik zu machen. Künstlerisch ist diese Platte vielleicht die bisher schwächste des Venezuelaners, doch was daraus entstehen könnte, ist schon jetzt faszinierend. Damit dürfte der Output von Arca auch die nächsten fünf Jahre noch unterhaltsam sein.





Persönliche Highlights: Saunter / Urchin / Reverie / Castration / Sin Rumbo / Whip / Miel / Child

Nicht mein Fall: Coraje

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Dienstag, 11. April 2017

True Norwegian Synthpop

Ich muss ja zugeben, dass ich noch nie ein besonders großer Fan von Kristoffer Rygg alias Ulver war, allerdings könnte das auch daran liegen, dass sich nur einen geringen Anteil seines immensen Outputs bisher überhaupt gehört habe. Ich kenne einige seiner ganz frühen Black Metal-Projekte, die ich trotz ihres revolutionären Charakters für das Genre eher so lala finde und ferner nur einige seiner neueren Projekte, von denen ich einige sogar sehr mag. Mein persönlicher Favorit ist dabei vielleicht seine Kollaboration mit Sunn 0))) auf Terrestrials von 2014. Außerdem war er ein wesentlicher Influencer für die ersten beiden Platten von Myrkur, die mir in den letzten Jahren auch sehr ans Herz gewachsen sind. Was ich aber allein von diesen wenigen Eindrücken schon gelernt habe ist, dass man bei ihm so ziemlich mit allem rechnen kann. Von derbem Metal über Folk und Progressive Rock bishin zu Jazz und Ambient hat der Norweger schon an diversen Stilen rumgetüftelt und demzufolge sollte einen auch sein neuestes Steckenpferd eigentlich nicht überraschen: Rygg selbst beschreibt the Assasination of Julius Caesar als "sein Pop-Album" und wo andere Künstler*innen bei solchen Formulierungen gerne mal etwas übertreiben, kann man das bei ihm definitiv für voll nehmen. Denn zumindest im Kontext seiner bisherigen Arbeit (zumindest der die ich kenne) ist das hier sein bisher zugänglichstes Werk. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich das ganze für eine ziemliche Schnapsidee gehalten habe. Die ersten Vorab-Releases der Platte hasste ich im wahrsten Sinne des Wortes abgrundtief und wusste nicht, was das hier nun werden sollte. Eins weiß ich inzwischen immerhin ganz sicher: Ulver hat es ernst gemeint. The Assasination... ist eine seltsame Mischung aus düsterem New Wave à la Depeche Mode, einer gewissen Neo-Prog-Attitüde, dezenten Rave- und Jazz-Anspielungen und einigen sinfonischen Elementen. Eine LP also, wie sie nur jemand wie er hätte aufnehmen können, wie man sie von ihm allerdings nicht in hundert Jahren erwartet hätte. Und dabei eine, die Fans wie Kritiker seiner Musik definitiv neu positionieren wird. So gibt es auch für mich hier Elemente, die ich absolut grauenvoll finde und wieder andere, die in meinen Augen unglaublich clever sind und zeigen, wie wahnsinnig talentiert dieser Mann ist. Dazwischen ist relativ wenig. Daraus am Ende ein Urteil zu bilden, ist also einigermaßen schwierig und ich kann fast garantieren, dass irgendjemand die Sache in den falschen Hals kriegt. Also muss ich die Angelegenheit vermutlich ein bisschen genauer sezieren: Rein kompositorisch finde ich das meiste hier absolut fantastisch. Rygg schreibt hier große Melodien, die auch auf eine poppige Weise catchy sein können und versteht es meisterhaft, diese akkurat zu instrumentieren. Es ist zwar eine riskante Sache, innerhalb eines Songs Jazz-Klavier und Matrix-Synthesizer aufeinander prallen zu lassen, aber andere hätten dieses Unterfangen garantiert mehr verkackt als Ulver. Zudem kann man keinem Track hier unterstellen, langweilig oder unhörbar zu sein. Die Ausgangsposition ist also eine solide. Was mir auf dieser Platte jedoch tierisch auf die Nerven geht, ist die klangliche Umsetzung dieser Ideen: Die Produktion ist die komplette Zeit über auf supersaubere Hochglanz-Politur eingestellt, was den Songs jeglichen songwriterischen Grip wegnimmt. Manchmal funktioniert dieser Sound als Gimmick und klingt nach Disco-Feeling oder Achtziger-Synthpop. In den meisten Fällen klingt es aber nach Wolfgang Petry. Das allein wäre auch nicht ganz so schlimm (haben die Killers auch gemacht und da war es geil!), wäre da nicht Ryggs ekelhaft schnulzige Gesangsperformance. Als Vokalist war der Norweger mir eh immer unangenehm und der gigantische Fehler ist es hier, dass er versucht, sein fehlendes Charisma mit Effekten wieder auszubalancieren. Sowas war eigentlich noch nie eine gute Idee. Hier führt es dazu, dass der Gesang hier an allen Enden klebt und schlabbert und man sich teilweise schütteln muss vor widerlicher Guildo-Horn-Sonorität. Von den Texten will ich gar nicht erst anfangen. In diesem Fall ist the Assasination... ein absoluter Totalausfall. Dass dieses Konzept hier musikalisch irgendwie funktioniert, sehe ich Rygg sehr hoch an, aber ich verstehe auch nicht wirklich, was er damit bezwecken will. Geld verdienen? Dafür ist es noch zu strange. Provozieren? Dafür hätte er andere Register gezogen. Experimentieren? Wäre aus seiner Position als umgekehrte Variante heraus plausibel. Der verdingte Experimentalmusiker, der mit einem Pop-Album seine Grenzen sucht. Auch im Nachhinein klingt das noch nach einem ziemlich schlechten Witz. Diesen ernst zu nehmen, ist aber so ziemlich das einzige, was ich mit der Platte wirklich machen kann, denn sie zwingt einem ihre Ernsthaftigkeit geradezu auf. Für weiteres bin ich im Moment einfach noch zu verstört, um es einzuordnen. Ich hoffe nur inständig, dass das hier nur eine Phase war und Ulver jetzt wieder was "normales" macht. Ob Jazz, Drone, Metal oder Klassik ist mir dabei eigentlich egal. Hauptsache keine Hits.





Persönliche Highlights: Rolling Stone / Southern Gothic / Angelus Novus

Nicht mein Fall: Nemoralia / Coming Home

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Montag, 10. April 2017

We Gon' Be Alright

Während in den letzten zwei Wochen die ganze Welt von Kendrick Lamar geredet hat und darauf wartete, dass er diesen Freitag vielleicht mal wieder das HipHop-Album des Jahres veröffentlicht, mit dem sich ein ganzes Genre identifizieren kann und das die Gesellschaft in einigen gut gesetzten Bars besser abzeichnet als jede Wahlumfrage, hatte ich eigentlich jemanden ganz anderen für diese Aufgabe auf dem Plan, der ebenfalls am Freitag einen neuen Longplayer in den Startlöchern hatte: Den jungen New Yorker MC namens Joey Bada$$. Sicher, der bisher immer gerne als Oldschool- und insbesondere Tupac-Fanboy verschriene Rapper ist für viele bestimmt nicht der erste Kandidat für eine solche Verantwortung, doch seine Chancen bei mir kamen auch nicht von ungefähr. Schon 2015, als zum letzten Mal alle nur über Kendrick Lamar sprachen, schaffte es Joey, mich mit seinem kommerziellen Debüt ein ganzes Stück mehr zu überzeugen, auch wenn er damals noch ganz andere Themen hatte und sich als souveräner Künstler gerade mal etablierte. Dies tat er jedoch mit Bravour und ich konnte mir durchaus vorstellen, dass er hier den nächsten großen Schritt macht. Und in Zeiten, in denen jeder Musiker mit Rap- oder Soul-Hintergrund so ein bisschen sein eigenes To Pimp A Butterfly macht, ist er einer derjenigen, denen ich den meisten Erfolg dabei zuspreche. Joey kann definitiv eine inspirierende Botschaft ohne peinliche Momente vermitteln und seine Songs sind so gut wie immer Realtalk (hat er von Pac). Gleichzeitig versteht er es aber auch, für diese Themen immer einen ansprechenden Rahmen zu finden und im Optimalfall auch noch eine richtig heiße Hook frei Haus zu liefern. Und im Vorfeld zu diesem Album hat er das mit Land of the Free und Rockabye Baby zweimal gezeigt. Es war also durchaus im Bereich des möglichen, dass Meister Bada$$ hier nicht nur an den kreativen Erfolg des Vorgängers anschließt, sondern noch eine gewaltige Schippe draufsetzt. Um ehrlich zu sein, hatte ich es mir sogar sehr gewünscht. Zumindest reicht es mir irgendwie nicht, dass All-Amerikkkan Bada$$ am Ende nur ein überdurchschnittlich gutes HipHop-Album geworden ist. Die Ausgangsposition für Joey wäre eben zu perfekt gewesen, um möglicherweise das politische Konzeptwerk zu machen, das eine Woche vor der Lamar-Platte alle aufhorchen lässt. So wie es ist, werden die Leute diese Songs zwar sehr mögen, doch nicht unbedingt in Erinnerung behalten. Dabei kann man sich nicht wirklich beschweren: Nach einer kurzen Aufwärmphase mit den ersten beiden Tracks ist so gut wie alles hier absolut on point und jeder Cut zeigt eine neue Facette des Talents von Joey Bada$$ auf. Land of the Free bleibt die sozialkritische Optimismus-Hymne, die die Szene in diesem Moment so dringend gebraucht hat und vermutlich das größte Highlight des ganzen Albums, doch drumherum ist ebenfalls vieles bemerkenswert. So faszinieren beispielsweise weiterhin die zahlreichen Dancehall-Einflüsse, die hier viel deutlicher zu Tage treten als auf dem Vorgänger (Ja, Joey hat diesen Move lange vor Drake und Popcaan gebracht!) und besser ausgearbeitet sind. Auch ist das neue Material musikalisch an vielen Stellen wieder offener und luftiger, was Fans des ersten Bada$$-Mixtapes sicherlich gefallen wird. Zusammen mit den großartigen Melodieteilen und Hooks ergibt das an manchen Stellen fast einen sehr starken Poprap-Sound, der aber sehr souverän getragen wird. Das ergibt auch im Kontext mit dem Inhalt der Texte Sinn, die zwar einen gewissen Ernst der Lage darstellen (was ja leider noch immer absolut notwenig ist), aber in den besten Momenten nicht auf Resignation setzen, sondern auf Hoffnung. Und hier ist der Punkt, wo All-Amerikkkan Bada$$ stellenweise wirklich zu dem inspirierenden Stück Musik wird, das ich eigentlich haben wollte und der zeigt, dass Joey es durchaus drauf gehabt hätte. Gerade deshalb ist die Platte am Ende eben doch ein klein wenig eine Enttäuschung. Als solche ist sie aber nach wie vor von einer immensen Qualität und zumindest ich kann garantieren, dass ich mich nicht nur solange daran erinnere, bis nächste Woche Kendrick Lamar nachzieht. Dafür ist Joey Bada$$ doch noch zu sehr die Nummer eins meines Herzens.





Persönliche Highlights: Temptation / Land of the Free / Devastated / Rockabye Baby / Ring the Alarm / Super Predator / Babylon / Legendary / Amerikkkan Idol

Nicht mein Fall: Good Morning Amerikkka

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Sonntag, 9. April 2017

Die göttliche Komödie

Man kann auf jeden Fall argumentieren, dass die Welt 2017 dieses Album braucht. Ein gewisser Donald Trump ist seit November der Präsident der USA, sogenannte Fake News sind erfolgreicher als echte und seit einigen Wochen hat die britische Regierung sich sozusagen selbst die wirtschaftliche Schlinge um den Hals gelegt. Je nachdem, wie man das ganze sieht, ist das schon Pure Comedy. Humor ist 2017, wenn man trotzdem lacht. Und jemand wie Josh Tillman aka Father John Misty ist definitiv einer, der dafür die nötigen Pointen liefern kann. Allein dafür wurde er in den letzten Jahren allerorten von der gesamten Musikpresse gefeiert und sein letzter Longplayer I Love You, Honeybear steht dafür noch immer als starker Beweis. Wie Tillman sich hier mit dem Thema Ehe, einem sonst musikalisch eher negativ betrachteten Thema, auseinandersetzte, war buchreif. Man wollte diesen Typen unbedingt als Lebensratgeber und am besten als Pastor bei der eigenen Hochzeit haben. Ganz nebenbei erschuf er sich mit dieser Platte auch musikalisch eine völlig neue Identität, die er nach seinem Ausstieg bei den Fleet Foxes unbedingt nötig hatte. Und in den letzten zwei Jahren dürfte er damit einer der beliebtesten Musiker überhaupt geworden sein. Weshalb ich zuerst auch keine Bedenken hatte, als sich mit Pure Comedy als Nachfolger ein sehr umfangreiches und schwieriges Projekt anbahnte. Dass Tillman so etwas wie ein über einstündiges Doppelalbum über die gesellschaftliche Gegenwart des Menschen im Allgemeinen schaffen konnte, daran zweifelte ich keine Sekunde. Zumindest bis dann mit dem Titeltrack die erste Single kam und mir klar wurde, was der Songwriter sich hier tatsächlich vorgenommen hatte: Besagter Song ist ein fast siebenminütiger, zutiefst zynischer Monolog über Evolution, Politik, Geschlechterrollen und Psychologie, der zwar in den besten Momenten genial, aber als großes Ganzes einfach nur ziemlich anstrengend ist. Dabei liegt das Problem nicht in den Dingen, die hier erzählt werden. Die sind wie schon auf Honeybear das große Ass im Ärmel von Tillman. Es liegt daran, dass er hier unbedingt Musik daraus machen musste. Hätte man das Album Pure Comedy als lyrisches Programm mit Songs zwischendurch inszeniert, wie es in der Comedy-Szene üblich ist, wäre das ganze wahrscheinlich ein Brüller geworden. Mit einem tierisch bissigen Unterton erzählt Father John Misty hier Stories aus allen Lebenslagen, schwadroniert über die Entertainmentindustrie, preist die Hässlichkeit der Welt an, stellt große philosophische Fragen und weiß am Ende trotzdem, das ganze in einer herrlich tragikomischen Weise zu inszenieren. Weil er sowas eben kann. Was er jedoch nicht kann, ist für solche Inhalte die passenden klanglichen Akzente zu setzen. Ganz sicher wären die verkitschten, schmalzigen Melodien des Vorgängers hier nicht wirklich passend gewesen, also nimmt das Album eher eine sporadische Instrumentierung vor. Zwar gibt es auch diesmal viele Streicher-Passagen und aufwändige Arrangements, doch sind diese hier eher Untermalung als episches Schmuckwerk. Und genau hier liegt der Hund begraben: Father John Misty versucht hier, im Stil von Sun Kil Moon oder Patti Smith eine textlastige Platte zu machen, weiß aber nicht, wie er das richtig anstellt. Folglich hört man auf Pure Comedy 75 Minuten lang einen Typen, der über furchtbar langweilige Backing-Musik vom Leiden der Meschheit erzählt und wirklich unterhaltsam ist das irgendwann nicht mehr. Tracks wie das fast viertelstündige Leaving L.A. sind sprachlich fantastisch, aber musikalisch grauenvoll öde und man fragt sich, ob das in diesem Umfang wirklich nötig gewesen wäre. Sicherlich ist ein großer Teil meines Unverständnisses auch der Sprachbarriere geschuldet, die ja irgendwie trotzdem immer noch besteht, allerdings kann ich auch Mark Kozelek oder Mount Eerie gut hören, ohne dass so etwas ein Thema wäre. Also schein Josh Tillman doch irgendwas falsch zu machen. Und es gibt ja auch Stücke, in denen das Konzept aufgeht, so wie Ballad of the Dying Man oder Birdie, die ihre Handlungsstränge eben ein wenig ausschmücken. Leider sind diese in der so umfangreichen Tracklist mehr oder weniger nur Spotlights und die längsten Tracks sind meistens auch die langweiligsten. Pure Comedy ist deshalb noch lange kein schlechtes Album, es ist nur sehr viel Luft nach oben. Und wenn man mal ehrlich ist, hat sich Josh Tillman hier vielleicht ein kleines bisschen übernommen. Zwar rechne ich nach wie vor damit, dass diese LP überdurchschnittlich gute Kritiken bekommen wird, ich für meinen Teil würde sie aber lieber lesen als hören. Dafür bin ich aber nicht Musikblogger geworden.





Persönliche Highlights: Ballad of the Dying Man / Birdie / the Memo / So I'm Growing Old On Magic Mountain

Nicht mein Fall: Total Entertainment Forever / When the God of Love Returns, There'll Be Hell to Pay / Two Wildly Different Perspectives

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Samstag, 8. April 2017

Endlich echt

Eine ausführliche Besprechung zu einem Album von Nelly Furtado ist eine Sache, die man sich 2017 eigentlich sparen kann. Seit mittlerweile fünf Jahren ist es mehr oder weniger komplett still um die Kanadierin und das letzte mal, dass ihre Musik wirklich relevant war, ist bald eine ganze Dekade her. Überhaupt könnte man meinen, dass die Sängerin ja eigentlich nie wirklich mehr als die charismatische Frontsau von Starproduzent Timbaland war und seitdem die beiden nicht mehr zusammen arbeiten, waren die meisten ihrer Platten auch Mist. Doch eigentlich ist es gerade dieser Aspekt, der mich genau jetzt für sie begeistert. Denn mittlerweile ist Nelly Furtado in der glücklichen und beneidenswerten Position, sich mehr oder weniger nachhaltig mit erfolgreicher Popmusik einen Namen gemacht zu haben, dass sie jetzt, mit fast 40 Jahren, gar kein Popstar mehr sein muss. Und in ihrem Fall sehe ich das wirklich als eine große Chance. Denn neben der fleißigen Hitmaschine, die sie während der Nuller primär war, haftete ihrer Musik auch schon immer etwas an, das nicht einfach nur kommerziell war. Bereits auf ihren frühesten Alben finden sich Strukturen und kompositorische Details, die eindeutig den Eindruck nahelegen, dass wir bei Nelly Furtado von einer echten Künstlerin reden. Zwar von einer, die die beste Phase ihrer Karriere fürs Radio produziert hat, aber die in der ganzen Zeit durchaus das Zeug hatte, auch ein risikofreudiges, spannendes Feuilleton-Album aufzunehmen, das diese Künstlerin endlich von der Leine lässt. Und the Ride ist der bisher beste Versuch, genau diesen Schritt zu tun. Die Story könnte dabei nicht besser sein: Nach einer ausgiebligen Kunstpause von fünf Jahren kehrt der gescheiterte Popstar Nelly Furtado als ausgewachsene Songwriterin zurück und reißt mit einer beherzten Indieplatte alle vom Hocker. Ganz so ist es am Ende zwar nicht, dafür sind die zwölf Tracks hier noch immer zu Mainstream-kompatibel, doch es reicht, um die Kanadierin mit völlig neuen Augen zu sehen. Viele der Stücke sind sporadischer geschrieben, setzen mehr auf elektronische Instrumentation und weniger auf große Hooks und Furtados Stimme. Doch im Gegensatz zu den letzten Arbeiten von Justin Bieber, Zayn Malik oder Britney Spears ist the Ride eben keine verhuschte, zurückhaltende R'n'B-Platte mit Partynextdoor-Sound, wie sie gerade jeder macht, sondern ein äußerst souveränes, sorgfältig aufgebautes Gesamtwerk, in dem jeder Song einen eigenen Charakter besitzt. Dass mit John Congleton ein Produzent dabei ist, der sich sowohl mit Radio- als auch mit Indiesound auskennt, bereichert die Platte ebenso. Er schafft hier das, was seit Timbaland keiner mehr geschafft hat, nämlich Furtados kompositorischen Stil mit dem richtigen Bums zu untermauern, um ihn auch wirklich voll und rund klingen zu lassen. Und das ist ungemein wichtig, denn so fühlt sich the Ride tatsächlich wie das glorreiche Comeback an, das es höchstwahrscheinlich sein soll. Es ist vielleicht eher nicht damit zu rechnen, dass Furtado damit sofort wieder im Radio landet, es wäre bei diesen Songs sogar das absolut falsche Signal. Viel eher hoffe ich, dass die Kanadierin jetzt auch ein anderes, ernsthafteres Publikum findet und in Zukunft vielleicht einen ähnlichen Status wie Norah Jones oder Micheal Bublé einnimmt. Nur dass sie eben auch noch ein ganzes Stück bessere Musik macht als die.





Persönliche Highlights: Flatline / Carnival Games / Live / Magic / Palaces / Right Road / Phoenix

Nicht mein Fall: Tap Dancing

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Freitag, 7. April 2017

Schluss mit lustig

Ich erwähne es wahrscheinich mittlerweile schon inflationär, aber es ist doch tatsächlich so, dass ich mittlerweile seit fünf Jahren aktiv über Musik schreibe. Und mitunter kann das ein großes Glück sein, wie dieses Album mal wieder zeigt. Denn hätte ich nicht damals schon jeden Mist gehört, der mit vor die Lauschlappen fiel, hätte ich A Hairshirt of Purpuse womöglich gar nicht erst angehört. Der Zufall will es jedoch, dass meine Wege die der Bostoner Band Pile vor einiger Zeit schonmal kreuzten. Genauergesagt im Oktober 2012, als ihr viertes Album Dripping erschien. Damals war es gerade tierisch cool, als Indie-Act so zu klingen wie eine Noisepunk-Gruppe in den Achtzigern, was innerhalb kürzester Zeit eine ganze Lawine Nachwuchs-Sonic Youths, -Pixies und Dinosaur Jr.'s über die Musiklandschaft spülte, von denen die meisten eher weniger spektakulär waren. Auch Pile gehörten damals dazu, aber man sprach trotzdem über sie, weil ihre Art von Musik eben gerade schwer en vogue war. Und Dripping war immerhin ein erster Achtungserfolg, mit dem das Quartett auf den Zetteln diverser Blogs landete und vielleicht ein beliebter Newcomer hätte werden können, hätte es an diesen ersten Aha-Moment angeschlossen. Doch neues Material blieb abgesehen von einigen Singles und Seven-Inches lange Zeit eher rar und als 2015 der offizielle Nachfolger You're Better Than This erschien, hatte die Welt die Bostoner lange nicht mehr auf dem Schirm. Und auch ich dachte erstmal, A Hairshirt of Purpose sei dieses Jahr endlich das Album nach Dripping, auf das mittlerweile niemand mehr wartete, weshalb ich relativ entspannt in den ersten Hördurchgang startete. Was mich dort jedoch erwartete, war eine regelrechte Goldgrube an fantastisch gemachter und energischer Indiemusik.Wenn man sich diese LP so anhört, möchte man glauben, dass Pile die bisherigen acht Jahre (immerhin!) ihres Bestehens lediglich damit zugebracht haben, den richtigen Sound zu suchen, um jetzt wirklich mal alles zu geben und ein kleines Meisterwerk zu komponieren. Denn nicht weniger ist A Hairshirt of Purpose. Stilistisch ist hier immernoch eine ganze Menge vom punkig-noisigen Sound der letzten Projekte übrig, doch haftet den Songs diesmal eine tiefe Dramatik und Agonie an, die eher an Außenseiter wie Slint oder Joy Division erinnert. Auf der anderen Seite verstärkt die Band hier den Einsatz sanfter Indieklänge, die wiederum etwas von Modest Mouse, Nick Cave oder den Afghan Whigs in sich tragen. Klanglich ist hier also definitiv viel zu holen. Doch wer denkt, das Album sei lediglich die Collage diverser erlesener Einflussgeber, der unterschätzt das ganze bei weitem. Vor allem die Performance von Chefdenker und Frontmann Rick Maguire ist nicht weniger als faszinierend. Seine eindrücklichen, apathischen Texte fallen hier erstmals wirklich auf und die wahnsinnig ehrliche und bestiale Art, wie er sie singt, ist das absolute Highlight in jedem einzelnen Track hier (außer natürlich im leider komplett instrumentalen I Don't Want to Do This Anymore). Sie allein ist dafür verantwortlich, dass Pile hier diesen qualitativen Sprung machen, denn Maguire offenbart hier plötzlich all sein bisher verborgenes Charisma. Ganz nebenbei sind auch die Gitarrenlines und das elegante Drumming ziemlich geil. Denn erst zusammen ergeben sie so formvollendete Songs wie Hissing for Peace, Leaning On A Wheel oder Slippery. In gewisser Weiser erinnert A Hairshirt of Purpose dadurch an einige meiner persönlichen Lieblingsplatten wie Slints Spiderland, Marching Churchs This World is Not Enough oder the Lonesome Crowded West von Modest Mouse. Wobei ich auch ganz ehrlich sagen muss, dass ich es, um es wirklich einordnen zu können, noch etwas Zeit brauche. Es könnte sein, dass sich diese LP zu einem Favoriten dieses Jahres entwickelt, doch genauso wahrscheinlich ist es, dass ich die in zwei Wochen nicht mehr hören will. Aber allein schon die Tatsache, dass Pile diese Vertiefung bei mir anregen, spricht eindeutig für sie. Und ihr bisher bestes Album haben sie hier auf jeden Fall gemacht. Wenn das mal reicht.





Persönliche Highlights: Worms / Hissing for Peace / Milkshake / Leaning On A Wheel / Hairshirt / Making Eyes / Slippery / Fingers

Nicht mein Fall: I Don't Want to Do This Anymore

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