Montag, 10. April 2017

We Gon' Be Alright

Während in den letzten zwei Wochen die ganze Welt von Kendrick Lamar geredet hat und darauf wartete, dass er diesen Freitag vielleicht mal wieder das HipHop-Album des Jahres veröffentlicht, mit dem sich ein ganzes Genre identifizieren kann und das die Gesellschaft in einigen gut gesetzten Bars besser abzeichnet als jede Wahlumfrage, hatte ich eigentlich jemanden ganz anderen für diese Aufgabe auf dem Plan, der ebenfalls am Freitag einen neuen Longplayer in den Startlöchern hatte: Den jungen New Yorker MC namens Joey Bada$$. Sicher, der bisher immer gerne als Oldschool- und insbesondere Tupac-Fanboy verschriene Rapper ist für viele bestimmt nicht der erste Kandidat für eine solche Verantwortung, doch seine Chancen bei mir kamen auch nicht von ungefähr. Schon 2015, als zum letzten Mal alle nur über Kendrick Lamar sprachen, schaffte es Joey, mich mit seinem kommerziellen Debüt ein ganzes Stück mehr zu überzeugen, auch wenn er damals noch ganz andere Themen hatte und sich als souveräner Künstler gerade mal etablierte. Dies tat er jedoch mit Bravour und ich konnte mir durchaus vorstellen, dass er hier den nächsten großen Schritt macht. Und in Zeiten, in denen jeder Musiker mit Rap- oder Soul-Hintergrund so ein bisschen sein eigenes To Pimp A Butterfly macht, ist er einer derjenigen, denen ich den meisten Erfolg dabei zuspreche. Joey kann definitiv eine inspirierende Botschaft ohne peinliche Momente vermitteln und seine Songs sind so gut wie immer Realtalk (hat er von Pac). Gleichzeitig versteht er es aber auch, für diese Themen immer einen ansprechenden Rahmen zu finden und im Optimalfall auch noch eine richtig heiße Hook frei Haus zu liefern. Und im Vorfeld zu diesem Album hat er das mit Land of the Free und Rockabye Baby zweimal gezeigt. Es war also durchaus im Bereich des möglichen, dass Meister Bada$$ hier nicht nur an den kreativen Erfolg des Vorgängers anschließt, sondern noch eine gewaltige Schippe draufsetzt. Um ehrlich zu sein, hatte ich es mir sogar sehr gewünscht. Zumindest reicht es mir irgendwie nicht, dass All-Amerikkkan Bada$$ am Ende nur ein überdurchschnittlich gutes HipHop-Album geworden ist. Die Ausgangsposition für Joey wäre eben zu perfekt gewesen, um möglicherweise das politische Konzeptwerk zu machen, das eine Woche vor der Lamar-Platte alle aufhorchen lässt. So wie es ist, werden die Leute diese Songs zwar sehr mögen, doch nicht unbedingt in Erinnerung behalten. Dabei kann man sich nicht wirklich beschweren: Nach einer kurzen Aufwärmphase mit den ersten beiden Tracks ist so gut wie alles hier absolut on point und jeder Cut zeigt eine neue Facette des Talents von Joey Bada$$ auf. Land of the Free bleibt die sozialkritische Optimismus-Hymne, die die Szene in diesem Moment so dringend gebraucht hat und vermutlich das größte Highlight des ganzen Albums, doch drumherum ist ebenfalls vieles bemerkenswert. So faszinieren beispielsweise weiterhin die zahlreichen Dancehall-Einflüsse, die hier viel deutlicher zu Tage treten als auf dem Vorgänger (Ja, Joey hat diesen Move lange vor Drake und Popcaan gebracht!) und besser ausgearbeitet sind. Auch ist das neue Material musikalisch an vielen Stellen wieder offener und luftiger, was Fans des ersten Bada$$-Mixtapes sicherlich gefallen wird. Zusammen mit den großartigen Melodieteilen und Hooks ergibt das an manchen Stellen fast einen sehr starken Poprap-Sound, der aber sehr souverän getragen wird. Das ergibt auch im Kontext mit dem Inhalt der Texte Sinn, die zwar einen gewissen Ernst der Lage darstellen (was ja leider noch immer absolut notwenig ist), aber in den besten Momenten nicht auf Resignation setzen, sondern auf Hoffnung. Und hier ist der Punkt, wo All-Amerikkkan Bada$$ stellenweise wirklich zu dem inspirierenden Stück Musik wird, das ich eigentlich haben wollte und der zeigt, dass Joey es durchaus drauf gehabt hätte. Gerade deshalb ist die Platte am Ende eben doch ein klein wenig eine Enttäuschung. Als solche ist sie aber nach wie vor von einer immensen Qualität und zumindest ich kann garantieren, dass ich mich nicht nur solange daran erinnere, bis nächste Woche Kendrick Lamar nachzieht. Dafür ist Joey Bada$$ doch noch zu sehr die Nummer eins meines Herzens.





Persönliche Highlights: Temptation / Land of the Free / Devastated / Rockabye Baby / Ring the Alarm / Super Predator / Babylon / Legendary / Amerikkkan Idol

Nicht mein Fall: Good Morning Amerikkka

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