Dienstag, 31. Juli 2018

Zehn Songs im Juli 2018 (YG, A$ap Ferg, Negroman, Idles und und und)
























1. A$AP FERG
Verified
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Wenn ich A$ap Ferg für eines ganz besonders schätze, dann sind es jene Songs von ihm, die eigentlich vollkommen drüber sind und aufgrund ihrer Seltsamkeit nur bei ihm funktionieren können. Und wo seine letzten Alben sich damit leider ein bisschen zurückhielten, erschien mit Verified Ende des letzten Monats dann doch endlich wieder so ein abnormer Banger, der einmal mehr zeigt, wieso dieser Typ manchmal eben doch ein Genie ist. Ein unglaublich trockener Track mit minimalistischem Beat, den Ferg eigentlich auch nur dafür nutzt, um mit seinem blauen Haken bei Twitter zu pranzen. Dass sowas so dermaßen unterhaltsam sein kann, wusste ich vorher auch noch nicht.

2. LIZZO
Boys

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Bisher war die Rapperin Lizzo für mich eine völlig unbekannte Künstlerin, was sich aber schlagartig dadurch ändert, dass sie sich hier mit einem unglaublichen Hit in den Vordergrund manövriert. Boys ist ähnlich wie der gleichnamige Track von Charli XCX aus dem letzten Jahr eine Art sexuell aufgeladene Empowerment-Hymne, gleichzeitig aber auch mit viel viel Hingabe für die besungenen Jungs. Im Video werden dann gleich auch noch eine fantastische Body-Positivity-Botschaft und Transgender-Thematiken verarbeitet. Ganz unabhängig von seiner tollen Message ist dieser Song aber auch einfach ein Riesenhit, den man ruhig mal losgelöst von allem politisch brisanten genießen kann.

3. YG feat. A$AP ROCKY
Handgun
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Dass auch YG inzwischen deutlich in der Welt des Traprap angekommen ist, braucht man 2018 niemandem mehr zu sagen. Wo ich das allerdings bisher eher als ziemlich schade empfand und meinte, dass der Kalifornier dabei ziemlich viel seines Talents unverbraucht ließ, schafft er mit Handgun doch noch einen ziemlich fantastischen Song. Das gelingt ihm, indem er hier auf seine frührer Stärke zurückgreift, sich stimmlich mit der ganzen Breite in seine Hooks zu werfen, was das ganze hier am Ende zwar etwas albern klingen lässt, dafür hat man das Ding dann auch erstmal eine Weile im Kopf. Und auch sonst ist das hier eigentlich ein echt stabiler Track, wenn man mal vom völlig überflüssigen A$ap Rocky-Feature absieht, der dieses Jahr weiterhin nichts gutes abzuliefern hat.

4. TONY MOLINA
Wrong Town
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Mit jedem Song, den ich vom neuen Molina-Album höre bestärkt sich meine Vermutung, dass die kommende Platte tatsächlich eines der großen Highlights dieses Jahres werden könnte. Völlig egal, dass auch dieser Track bloß wieder etwas über eine Minute lang ist, wenn absolut jeder Ton darauf absolut makellos klingt. Stilistisch fährt der Songwriter auch hier wieder eine sehr gelungene Sixties-Schiene, die diesmal jedoch eher an Acts wie Simon & Garfunkel, Joni Mitchell oder Brian Wilson erinnert. Viel mehr bleibt auch hier nicht zu sagen, was zudem auch überflüssig wäre, weil eine ausführliche Besprechung der neuen LP nur noch wenige Tage dauern sollte.

5. LAST DINOSAURS
Eleven
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Musik, wie sie Last Dinosaurs machen, war eigentlich zum letzten Mal 2011 richtig cool, als es die Smith Westerns noch gab, Fidlar noch Songs über Billigbier schrieben und die Kooks zumindest keine kompletten Niemande waren. Kurz gesagt klingt Eleven für mich also ein bisschen nach Kindheit, was zumindest ein starker Faktor ist, warum der Track in dieser Liste auftaucht. Allerdings sind es vor allem die extrem ansteckenden Gitarrenlines, der extrem sommerliche Vibe und eine fantastische Gesangsperformance, die das hier auch abgesehen von meiner persönlichen Mini-Nostalgie zu einem ziemlichen Hit machen. Jetzt fehlt eigentlich nur noch das dazugehörige Album, oder?

6. NEGROMAN
lavish.jpg
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Mann kann es Negroman in letzter Zeit durchaus vorwerfen, dass seine Songs mehr und mehr an Substanz verlieren nur nur noch aus zusammenhangloser Ästhetik und Kunstsprache bestehen, in dieser Hinsicht ist lavish.jpg sogar der bisherige Höhepunkt. Allerdings hätte ich an dieser Stelle gerne eine*n Rapper*in genannt, der*die Rap auf deutsch gerade so weit aus seinem Kontext befreit wie er und mit Poesie füllt wie dieser Typ hier. Und obwohl er hier auf die catchy Jazz-Instrumentals und die verqueren Hooks seines Debütalbums endgültig verzichtet, schafft er hier wieder mal ein paar einzigartige Bars, die mehr als zitierfähig sind. Bei weitem nicht sein bester Song, aber immer noch über viele Dinge erhaben.

7. YBN CORDAE
Kung Fu
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Kung Fu ist ein Track der mehr als von allem anderen von seinem einzigartigen Flow lebt, aber wenn es das ist, was YBN Cordae vom Mittelfeld seiner Soundcloud-Generation abhebt, dann soll mir das ganz recht sein. Denn dass dieser Typ zumindest nicht ganz mit dem Strom der aktuellen Rap-Trends schwimmt, sollte dieser Song klar machen. Sicher, die Basis des ganzen ist ein ähnlich minimalistischer Trap-Beat wie auch bei Lil Pump oder 6ix9ine, doch ist Cordae als MC um einiges versierter. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenoss*innen ist ihm Technik eben nicht komplett egal und auch wenn er hier nicht gerade Bars spuckt, ist sein Punchline-Baukasten doch um einiges komplexer als der vieler Soundcloud-Acts. Im großen und ganzen also einer der neuen Rapper 2018, an denen man vielleicht dranbleiben sollte. Denn Enttäuschungen hatte ich dieses Jahr definitiv schon genug.

8. BULLY
Guess There
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Eigentlich war ich ja der Meinung, meine Grunge-Phase hätte ich spätestens mit dem Ende meines 21. Lebensjahres beendet, Bully allerdings lassen mich das gerade nochmal überdenken. Die Band aus Nashville, die (Achtung: Klischee!) aktuell bei Sub Pop unter Vertrag ist, haben hier nämlich einen fantastisch trockenen Besenstiel von Song als Teaser ihres kommenden zweiten Albums veröffentlicht, der genau die richtigen Retro-Knöpfe drückt: Das Riffing haben sie von Nirvana und Failure, den Gesang von Hole und die surreale Düsternis inklusive Videoidee von Soundgarden. Abgesehen davon sind sie eigentlich gar nicht mal so nostalgisch und vor allem klauen sie dabei nicht bloß die Ideen, die schon andere vor ihnen hatten. Sie sind eher VerehrerInnen der musikalischen Idee von Grunge, die ja allzu oft vernachlässigt wird, weil alle Kurt Cobain sein wollen. Bully sind zum Glück lieber ein bisschen mehr sie selbst.

9. JEFF THE BROTHERHOOD
Parachute
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Die Leadsingle zum neuen Jeff the Brotherhood-Album ist nun wirklich nicht gerade ein Riesenhit, deshalb aber noch lange nicht in irgendeiner Weise schlecht. Viel eher übt sich der Track in bescheidener Psychedelik, experimentiert mit lustigen Synthesizern und Backing-Vocals und plätschert so eben eher fünf Minuten vor sich her als in der Hälfte der Zeit Nägel mit Köpfen zu machen. Das ist vielleicht strategisch eher ungünstig, aber musikalisch auch mal ganz schön und es macht die Sache spannend, weil man hier das Gefühl hat, hier direkt in die Deep Cuts ihres kommenden Albums gestürzt zu werden. Abgesehen davon ist Parachutes als Song an sich auch gar nicht so übel, sonst wäre er ja hier nicht gelistet.

10. IDLES
Samaritans
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Die Idles überraschen mich in diesem Sommer schon zum zweiten Mal sehr positiv. Nachdem im letzten Monat bereits die freudestrahlende Migrations-Hymne Danny Nedelko zu einem meiner Lieblingstracks des Jahres wurde, laden die Briten mit ihrer dritten neuen Single erneut einen ziemlichen Brocken auf, der wieder ein sehr krasses Thema auf sehr direkte Weise anspricht. Auf Samaritans beleuchtet die Band das herrschende Bild von Maskulinität, kritisiert Ansprüche, die an Geschlechterrollen gestellt werden und findet dafür auch diesmal wieder sehr deutliche Worte und Bilder. Im Gegensatz zum optimistischen Danny Nedelko werden sie hier aber wesentlich düsterer und gehen klanglich auch eher zurück in Richtung Post- und Wavepunk. Was das über die kommende Platte sagt, ist unklar, allerdings hoffe ich, dass es darauf noch mehr solcher deutlichen Botschaften gibt wie in diesem Track. Und bisher haben Idles in dieser Hinsicht ja nicht enttäuscht.

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Montag, 30. Juli 2018

Ok Cool




















Als the Internet vor ungefähr acht Jahren damit begonnen, Musik zu machen, waren sie eigentlich eher in einer Außenseiterrolle: Als Teil des eher Rap-orientierten Odd Future-Kollektivs war die Bandgründung zunächst eher als eine Art Spielwiese gedacht, die einige Künstler*innen der Crew als Nebenprojekt nutzten, um in dessen Kontext ihre Ambitionen als Funk- und (Neo-)Soulmusiker auszuleben. Neben den Stars wie Tyler, the Creator, Frank Ocean oder Earl Sweatshirt waren sie neben den Skatepunk-Rüpeln Trash Talk eher das Aushängeschild für die Vielseitigkeit von Odd Future als ein Projekt, das intern viel Aufmerksamkeit bekam. Schaut man sich das ganze aus heutiger Sicht an, sind the Internet eine der künstlerischen Unternehmungen, die die Auflösung des Kollektivs am souveränsten weggesteckt haben. Nach dem Kollaps des zugehörigen Labels landete die Band beim Major Columbia, ihr letztes Album Ego Death von 2015 war schon vorher ziemlich erfolgreich und ganz nebenbei ist das (mittlerweile) Quintett zum Feuilleton-Darling geworden. Ganz nebenbei machte Sängerin Syd letztes Jahr ein ziemlich geniales Debütalbum. Man kann also sagen, dass es läuft bei the Internet. Und dass diese Erfolgskonstante mit einer neuen LP 2018 weitergehen könnte, daran besteht kein Zweifel. Die Art von Soulmusik, die das Kollektiv seit einiger Zeit spielt, ist gerade ein bisschen der Shit und Künstler*innen wie Kali Uchis, Leon Bridges und Raveena (um nur einige zu nennen) erfreuen sich gerade großer Beliebtheit. Eine gewisse Aufmerksamkeit zu erhaschen, sollte demnach einfacher fallen als je zuvor. Wobei man auch sagen muss, dass ihr auf Hive Mind plötzlich sehr trendiger Sound das Ergebnis einer jahrelangen musikalischen Selbstfindung ist. Ihnen also hier vorzuwerfen, sich an kurzweilige Hype-Phänomene ranzuschmeißen, ist also ziemlich verkürzt. The Internet machen einfach konsequent weiter das, was sie gut können und es funktioniert. Wobei ein bisschen Optimierung am Ende doch im Spiel ist. So ist diese Platte noch mehr als ihre Vorgänger ein sehr gemächliches und softes Projekt, das mehr denn je mit chilligen Sonntagnachmittag-Moods um die Ecke kommt und dafür auch auf ausladende Funk-Gesten und Single-Momente verzichtet. Dass es im Vorfeld dieses Albums keinen starken Song gab, war nicht etwa eine Schwäche, sondern ist eher konsequent. Denn diese LP lebt von der entspannten Energie seichter Gitarrenlicks, smoother Basslines und natürlich Syds zuckerwatteweichen Vocals. Auch in dieser Hinsicht ist Hive Mind sehr zeitgenössisch, da es teilweise stärker als auf einen gefälligen Flow und beschauliche Klangtapetigkeit setzt als auf auffällige Akzente, was allerdings nicht heißt, dass diese nicht vorhanden wären. So schafft Humble Pie mit seiner eher elektronischen Ausrichtung, einen kleinen klanglichen Ausreißer zu schaffen, Beat Goes On bedient sich ein bisschen bei Sting und einige Gastrapper aus den Reihen der Band geben mitunter ziemlich gelungene Hiphop-Einschläge dazu. Und wer es ganz genau wissen will, für den gibt es immer noch die engagierten Texte von Syd, die selbst auf einem so endgechillten Album wie diesem immer eine Botschaft zu vermitteln hat. Dass einem hier langweilig wird, wage ich also zu bezweifeln. Zumal auch jede noch so laszive Bettlaken-Ballade hier mit starkem Songwriting und grandiosen Einzelleistungen der jeweilgen Instrumentalist*innen punktet. Man achtet nur nicht darauf, weil der Gesamtklang des gesamten Albums so stimmig ist, dass er eigentlich alles überstrahlt. Hive Mind ist deshalb eigentlich nicht wirklich eine Platte zum zuhören, sondern eher zum laufen lassen und Stimmungen setzen. Ob nun beim Brunch, bei der nachmittäglichen Tüte oder beim Date mit Kerzenlicht ist dabei vollkommen gleich. Sich mit Kopfhörern hinzusetzen und einen Artikel darüber zu schreiben, ist aber auf jeden Fall der falsche Umgang mit dieser Musik, da bin ich mir ziemlich sicher.






Persönliche Highlights: Come Together / Come Over / La Di Da / Stay the Night / Bravo / Mood / Next Time/Humble Pie / It Gets Better (With Time) / Look What U Started / Beat Goes On

Nicht mein Fall: -

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Dienstag, 24. Juli 2018

Der Chamäleon-Mann




















Eine der gleichzeitig tollsten und schlimmsten Sachen an den Dirty Projectors ist, dass sie als Projekt eigentlich überhaupt nicht richtig zu fassen sind. So wandelbar und ständig beweglich wie diese "Band" haben sich wenige Acts im neuen Jahrtausend gezeigt und die Tatsache, dass man es sich schon lange abgewöhnt hat, Erwartungshaltungen und Settings gegenüber neuen Material zu entwickeln, macht ihren Output gleichzeitig faszinierend und strapazierend. Immerzu geht es bei ihnen weiter, innerhalb von Monaten kann sich ihre gesamte künstlerische Ansatzweise in ihre Einzelteile auflösen, um sich wenig später ganz neu zusammenzusetzen. Und gerade im letzten Jahr konnte man das wieder mal sehr beeindrucken erleben. Spult man die Zeit um 365 Tage zurück, reden wir von Dirty Projectors als dem reinen Soloprojekt von Mastermind Dave Longstreth, der mit diesem gerade seinen Einstand als experimenteller R'n'B-Musiker gemacht hat. Das letzte, selbstbetitelte Album ist ein zerfahrenes Konzeptwerk über das Ende einer Beziehung, auf dem er zwischen Autotune-Balladen und elektronischem Gefrickel eine sehr spezielle Form der Melancholie findet. Zurück in der Gegenwart sind Dirty Projectors wieder eine Band mit (bis auf Longstreth selbst) völlig neuen Mitgliedern und einem klanglichen Konzept, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Im Sommer 2018 sind die Top-Themen der New Yorker kauziger Mathrock, exotisches Analog-Instrumentarium, Freak Folk, Animal Collective und Neo-Soul, von Melancholie ist nichts mehr zu spüren. Lamp Lit Prose dürfte im Gegenteil eines der bisher abenteuerlichsten Projekte der Projectors sein, das selbst im Vergleich mit dem ja auch schon ziemlich seltsamen Vorgänger ganz schon abgedreht ist. Von dort kannte man schon Longstreths Vorliebe für nachträgliche geschnippelte Soundcollagen, dicke Bläsersätze und ein gewöhnungsbedürftiges Verständnis von Soulmusik. Diese Faktoren finden hier erneut Platz, bekommen aber auch noch jede Menge Gesellschaft. Zum einen stilistisch, in Form musikalischer Impulse von Metal bis Mambo, zum anderen ganz konkret durch ziemlich viele ziemlich interessante Gastmusiker. So ist im Opener die großartige Syd als Duettpartnerin dabei, Soul-Diva Amber Mark unterstützt die lateinamerikanisch anmutende Nummer I Feel Energy, Empress of hilft im sehr rockigen Zombie Conqueror und in You're the One gehen der Band mit Robin Pecknold (Fleet Foxes) und Rostam Batmanglij (Vampire Weekend) gleich zwei weitere Indie-Legenden zur Hand. Und obwohl diese Features und auch der Beitrag der anderen Musiker*innen sicherlich eine Menge zum Gesamtergebnis beitragen, ist es am Ende doch noch immer die Arbeit von Longstreth, die dieses Album wirklich zu dem macht, was es ist. Zwar ist Lamp Lit Prose ästhetisch eine vollkommen andere Baustelle, dennoch hört man die starke Handschrift seines Masterminds hier in fast jedem Ton. Die zusammengeschusterten, extrem farbenfrohen Instrumentals, gepaart mit den klaren, Folk-inspirierten Vokalpassagen (diesmal eben ohne Autotune) erkennt man direkt ab der ersten Sekunde wieder und sie machen auch diese LP erneut zu einem Erlebnis. Ganz so gelungen wie das selbstbetitelte Album ist das hier am Ende nicht, dafür fehlt ein bisschen das geniale Konzept und die Konsistenz, dennoch erlebt man Longstreth auch hier als einen Experimentalmusiker von unglaublichem Format, der ohne Frage ein Meister seines Fachs ist. Das zeigt sich nicht zuletzt dadurch, dass er es innerhalb eines Jahres geschafft hat, mehr oder weniger komplett die Haut zu wechseln und dennoch vollkommen einzigartig zu bleiben. Und wenn das hier nicht seine beste Platte ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die nächste wieder richtig klasse wird, auf jeden Fall gegeben. Genauso gut könnte sie aber komplette Grütze werden, denn bei den Dirty Projectors weiß man eben nie, was man bekommt.






Persönliche Highlights: Right Now / I Feel Energy / Zombie Conqueror / (I Wanna) Feel It All

Nicht mein Fall: What is the Time / You're the One

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Montag, 23. Juli 2018

Scheiße mit Konfetti drauf




















Es gibt einige Künstler*innen, die mich in der laufenden Saison 2018 bereits positiv überraschen konnten, darunter auch einige, von denen ich das eigentlich gar nicht mehr erwartet hätte. Wenn ich mich aber über eine dieser Überraschungen besonders freue, dann sind es die neuen Sachen von Between the Buried & Me. Als in den Vorjahren von mir immer zutiefst verhasste Formation hat die Band aus North Carolina sich dieses Jahr völlig aus dem Nichts heraus zu einer echten Größe im Universum des Progrock gemausert und mit dem ersten Teil ihrer Automata-Serie ein Album vorgestellt, das sie mit einem völlig neuen Bewusstsein präsentiert. Wo mich ihre technokratische Performance, der überzogene Emo-Gestus und die sehr stromlinienförmige Komposition zuvor immer von ihnen fernhielten, zeigten sich BTB&M diesmal eher als aufmerksame Archivare progressiver Rockmusik, die es simultan schafften, sehr traditionell und mehr oder weniger modern zu klingen. Die im März erschienene Platte verschmolz Retro-Elemente, die an Acts wie King Crimson, Gentle Giant oder Rush erinnerten mit ihrem sehr technischen, zeitgenössischen Anspruch sowie mit den bei ihnen üblichen Emocore-Einschlägen, wobei wider Erwarten tatsächlich ein ziemlich gutes Album das Ergebnis war. Was mich dabei vor allem ansprach war, dass die Band erstmals klang wie eine Gruppe musizierender Menschen und nicht wie eine künstliche Intelligenz, die versuchte, Songs von Coheed & Cambria zu spielen. Und weil das auf Automata I so gut funktionierte, war ich auf den zweiten Teil der ganzen Sache auch durchaus gespannt. Würden es Between the Buried & Me vielleicht sogar schaffen, ein noch humaneres und fühlbareres Projekt aus dem Hut zu zaubern? In meinen Augen war nämlich genau das die Richtung, in die das ganze ging. Zum ersten Mal überhaupt glaubte ich daran, dass diese Formation dazu imstande war, einen Longplayer zu machen, der mir tatsächlich gefallen würde. Geworden ist daraus aber dann leider wieder nichts. Viel eher zeigt sich die Band hier ziemlich überfordert von den Geistern, die sie rief. Dort, wo auf Automata I noch freimütig mit neuen Instrumentierungen, Retro-Momenten und Stilbrüchen experimentiert wurde, scheint man sich hier wieder festgefahren zu haben und die neu gewonnenen Elemente wieder den gleichen Formeln unterzuordnen wie früher. Mit fatalen Folgen: Die Ausflüchte in andere Genres und die eigene stilistische Vergangenheit wirken hier nicht mehr inspiriert, sondern eher an den Haaren herbeigezogen, abgesehen davon sind sie kompositorisch komplett verloren. So gibt es im Album-Herzstück Voice of Tresspass eine Swing-Bigband zu hören, was zwar eigentlich eine ganz neckische Idee ist, allerdings zum Rohrkrepierer wird, weil sich die Hauptakteure auf die Symbiose überhaupt nicht einlassen. Ähnlich geht es dem Akkordeon in Glide, das ebenso ein reines Gimmick bleibt. Vielleicht steht hinter diesen Unternehmungen der Versuch, sich von den bombastischen Musical-Projekten eines Casey Creszenzo inspirieren zu lassen, was aber eher missbräuchlich endet. Denn wo man bei seinen Alben stets die viele Mühe und Detailarbeit hört, die dieser in seine Orchestrierungen investiert, werden die musikalischen Bestandteile hier billig verfugt und können nicht davon ablenken, dass Between the Buried & Me am Ende doch wieder nur ihren Stiefel spielen. Mehr als Konfetti und ein paar Luftschlangen sind diese "ausgefallenen" Ergänzungen am Ende nicht, was auch die Songs selbst eher langweilig und peinlich bleiben lässt. Experimentell möchte ich das hier nicht mal nennen, weil mit dieser Bezeichnung in meinen Augen auch ein gewisses künstlerisches Wagnis verbunden sein sollte. Stattdessen bekleckert die Band ihre alten Sachen mit ein bisschen bunter Farbe und verkauft es als klanglichen Stilbruch. Danke, aber ohne mich. Ich dachte kurz, es geht echt mal voran mit Between the Buried & Me, aber das war wohl nur ein leichter Schauer. Ein schäbiges Ende einer Story, die eigentlich echt vielversprechend angefangen hat. Aber so ist das nun mal, wenn man technischen Progbands zu viel Vertrauen schenkt.






Persönliche Highlights: the Proverbial Bellow

Nicht mein Fall: Glide / the Grid

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Freitag, 20. Juli 2018

Champion Sound




















Dass ich die letzten fünf Jahre über immer ein ziemlicher Fanboy war, wenn es um Deafheaven ging, ist mir durchaus bewusst. Aber immerhin hat sich das bis jetzt auch gelohnt. Seit drei Alben beweisen sich die Kalifornier nun als eine der wegweisenden Kräfte im modernen Metal, ihre Arbeitsweise geht dabei weit über die Fusion von Black Metal und Shoegaze hinaus, Sunbather ist in meinen Augen noch immer der beste Longplayer dieser Dekade und auch sein Nachfolger New Bermuda von 2015 muss sich hinter diesem nicht verstecken. Seit ihrem Durchbruch vor fünf Jahren hat diese Band einen unglaublichen Beitrag zur Entwicklung von Rockmusik in einer schwierigen Phase geleistet und dass ich das so leidenschaftlich unterstütze, ist es mit auch wert, dass ich anderen damit auf die Nerven gehe. Was zum Fan-Dasein aber genauso dazugehört wie Bewunderung für die schönen Sachen ist deutliche Kritik, wenn es mal nichts zu bewundern gibt. Und im Vorfeld ihres vierten Albums hatte auch ich erstmals das Bedürfnis, in dieser Hinsicht gewisse Dinge anzusprechen. Denn in der Promophase zu Ordinary Corrupt Human Love beschlich mich wieder und wieder das Gefühl, Deafheaven gingen so langsam ein bisschen die Ideen aus. Man muss der Fairness halber dazu sagen, dass diesbezüglich natürlich ein immens großer Druck auf dieser Band lastet. Als Ikonen (wohlgemerkt nicht Erfinder!) einer seinerzeit völlig neuen Bewegung in der Metal-Szene wird es von Leuten wie mir verlangt, dass dieses Erbe noch viele Jahre später würdig von ihnen kuratiert wird und dass es ihre Aufgabe ist, den anderen Acts zu zeigen, wie die Wurst gemacht wird. Und wenn sie das nicht mehr können, ist das Geschrei natürlich groß. Gerade deshalb ist die schönste Erkenntnis dieses Albums aber, dass die Musiker selbst da mittlerweile drüber stehen. Wenn man eines ganz klar über Ordinary Corrupt Human Love sagen kann, dann dass diese LP nicht gemacht wurde, um irgendwelchen Fan-Ansprüchen zu genügen, sondern weil die Band genau diese LP machen wollte. Und im Gegensatz zu meiner anfänglichen Vermutung kann hier auch nicht von mangelnder Kreativität die Rede sein, sondern eher von der Verlagerung von Prioritäten. Dabei ist die Herangehensweise ähnlich wie beim Vorgänger: Wo New Bermuda der ätherischen Massivität von Sunbather ein akzentuierteres, härteres und rockigeres Songwriting entgegensetzte, ist die Ästhetik hier eine erneute Reaktion darauf. Statt Riffs gibt es diesmal wieder Flächen, es wird stärker auf zartere Momente gesetzt und das Gemüt der Platte ist insgesamt wesentlich sonniger. Ferner beziehen Deafheaven hier erstmals ganz klar Elemente aus Punk- und Emorock mit ein, die sich bisweilen sogar in cleanen Gesangspassagen wie in You Without End oder Canary Yellow äußern. Dass die Kalifornier stilistisch feststecken würden, ist also mehr oder weniger schnell dementiert. Gleichzeitig muss man sich aber auch um die deafheavenschen Kernkompetenzen keine Sorge machen: Epische, raumgreifende Klangkaskaden sind hier weiterhin vertreten, vor allem Glint macht diesbezüglich sehr viel Spaß und wenn es um Gitarrensoli geht, ist vieles hier sogar nochmal einen Ticken besser als auf New Bermuda. Trotz allem würde ich sagen, dass Ordinary Corrupt Human Love das bisher schwächste Album der Formation geworden ist. Nicht im Sinne von tatsächlich schwach, aber eben ein nicht mehr ganz ohne Schönheitsfehler. Und damit meine ich im wesentlichen ganz konkret zwei Tracks: Zum einen der Opener You Without End, der klingt, als hätten Deafheaven ihn für Adele geschrieben, zum anderen Night People, in dem ausgerechnet die grauenvolle Chelsea Wolfe als Gastsängerin auftritt. Letzteres kann man dabei wenigstens noch als Blick über den Tellerrand werten, doch gute Songs sind beide nicht. Und mit ihnen geht immerhin gut ein Fünftel der Spielzeit drauf, es fällt also durchaus ins Gewicht. Dass der Rest der Platte trotzdem noch so gut ist, zeigt eigentlich nur, über was für Luxusprobleme wir hier sprechen. Allein dass es so etwas wie mittelmäßige Stücke von Deafheaven gibt, ist für mich ein komplett neues Phänomen und selbst die können ihre auch sonst bisher dürftigste Gesamtleistung nicht davon abhalten, eine der besten Rockplatten des Sommers zu sein. Die Kalifornier haben also im großen und ganzen wieder mal gezeigt, wo der Hammer hängt. Und da fragt ihr noch, warum ich ein Fan dieser Band bin.






Persönliche Highlights: Honeycomb / Canary Yellow / Near / Glint

Nicht mein Fall: You Without End / Night People

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Donnerstag, 19. Juli 2018

Gute Besserung!




















Fan der Gorillaz zu sein, ist im Moment ein bisschen so wie HSV-Fan zu sein. Jahrelang konnte man sich bei denen sicher sein, hier einer stabilen Sache anzuhängen, die es vielleicht manchmal schwer hatte, aber auf deren Erstklassigkeit stets Verlass war. Bis es dann eben doch eines Tages passiert und die geliebte Herzensformation plötzlich so richtig daneben greift. So geschehen in diesem Fall mit Humanz, dem letzten Album von Damon Albarn und Jamie Hewlett, das bei mir noch immer ein klein wenig Entsetzen verursacht. Die Intention hinter der Platte zu verstehen, habe ich inzwischen aufgegeben und bin mittlerweile fast dazu übergegangen, diese Schmach zu akzeptieren und mich langsam aber sicher von meinem Gorillaz-Fandom zu verabschieden. Zumal im Frühjahr diesen Jahres gleich die nächste fragwürdige Aktion der Band kam. Statt sich nach dem Totalausfall von Humanz erstmal zurückzuziehen und darüber nachzudenken, wo eigentlich das Problem bei dieser LP lag, kündigte Albarn im März bereits das nächste Projekt an, das noch 2018 erscheinen sollte. In meinen Augen schon von vornherein keine besonders großartige Entscheidung, aus diversen Gründen. Zum einen, weil Gorillaz schon immer ein Kollektiv war, dem lange Albumprozesse gut taten. Zwischen dem Debüt und Demon Days lagen vier Jahre, Plastic Beach dauerte sogar noch eine Saison länger. Und letztere beiden sind bis heute die unangefochtenen Highlights der Diskografie der Briten. Zum anderen bräuchte es diesmal auch noch eine komplette klangliche Veränderung, um diese Band wieder auf den Pfad des guten Geschmacks zu bringen, was in einem Jahr niemand so leicht hinbekommt. Andererseits vergisst man auch leicht, dass Gorillaz das alles schon einmal geschafft haben, nämlich mit dem stets vergessenen Album the Fall von 2011. Zwar gab es zu diesem Zeitpunkt keine musikalische Krise (man könnte rückblickend eher vom Höhepunkt ihrer Karriere sprechen), dennoch war der Effekt der, den man sich diesmal wünschen würde: Eine nachgeschobene LP wenige Monate nach einem "großen" Projekt, die nicht nur wesentlich simpler in ihrer Arbeitsweise war, sondern auch musikalisch ganz anders justiert. Viele Fans mochten the Fall damals nicht, für mich war das Ding aber durchaus ganz in Ordnung. Und ähnlich verhält es sich jetzt auch mit the Now Now. Mit einigen deutlichen Unterschieden natürlich. Zunächst mal ist das hier kein kompletter Schnellschuss, den Albarn aus reiner Langeweile beim Touren auf seinem iPad zusammengeschustert hat, sondern durchaus ein mehr oder weniger vollwertiges Studioalbum. Außerdem ist auch die Erwartungshaltung diesmal eine ganz andere, da die Gorillaz hier nur zeigen müssen, dass sie noch nicht komplett jede künstlerische Würde verloren haben. Wobei zumindest das hier ziemlich gut gelingt. The Now Now ist eine Platte, die es erstmal sehr ruhig angehen lässt und ähnlich wie the Fall nicht auf Hits baut. Klanglich ist das ganze mit vergangenen Projekten von Albarn wie seinem Soloalbum oder Blurs Think Tank vergleichbar, die eher auf leichtes Songwriting und wenig Effekthascherei setzten. Und genauso wie dort geht diese Rechnung auch hier mehr oder weniger auf. Gerade Tracks wie Kansas, Idaho oder One Percent gewinnen extrem viel durch ihre balladeske und sehr auf Albarns Performance konzentierte Art und Weise. Klar wären das auf einem Album wie Plastic Beach oder Demon Days Songs gewesen, die man als "nur ganz okay" abgenickt hätte, aber wenigstens kann man diesen Vergleich hier wieder machen. Darüber hinaus gibt es abgesehen vom ziemlich verrutschten Hollywood mit Snoop Dogg und Jamie Principle kein wirklich schlechtes Stück auf dieser LP. Insgesamt ist hier also wieder ein bisschen mehr Substanz drin als auf Humanz und ich muss auch ehrlich gestehen, dass die Band diesmal meine Erwartungen übertroffen hat. Ich hatte so kurze Zeit nach dem Super-GAU mit einer ähnlich zerfahrenen und ziellosen Platte gerechnet, hier erlebt man jedoch eine Formation, die sich langsam aber sicher wieder fängt. Ob diese Rehabilitierung nachhaltig sein wird bleibt abzuwarten und noch immer denke ich, dass es dafür erstmal eine ganze Weile ohne neue Gorillaz-Musik braucht. Der Anfang ist aber definitiv gemacht.






Persönliche Highlights: Humility / Kansas / Sorcererz / Idaho / One Percent

Nicht mein Fall: Hollywood

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Dienstag, 17. Juli 2018

Mr. All Over the Place




















Wenn man die meisten Leute heute fragt, was ihr Lieblingsalbum von Drake ist, ist es denke ich schon mal ein gutes Zeichen, dass die meisten von ihnen eins haben werden. Der kanadische Rapper hat sich über die letzten zehn Jahre in den Pop-Mainstream eingenistet wie sicherlich kaum ein*e andere*r Künstler*in es mit dieser Kontinuität getan hat, erst letzte Woche purzelte durch ihn wieder ein alter Chartrekord der Beatles. Wo für den Großteil seiner Fans dafür aber vor allem Platten wie Take Care oder Nothing Was the Same stehen, ist einer meiner Favoriten komischerweise das erst im letzten Jahr erschienene More Life. Zwar ist es vielleicht nicht so prägend für die Karriere von Aubrey Graham wie erstere Alben, für mich ist es trotzdem eines der besten. In meinen Augen destilliert er hier nämlich seine eigentlichen Fähigkeiten auf eine sehr gelungene Ansammlung von Songs herunter, die dann für sich trotzdem nochmal gute anderthalb Stunden einnimmt. Für eine Werkschau des Talents von Drake gibt es demnach eigentlich kein besseres Beispiel. Zumindest wenn man mich fragt, denn vom Rest der musikalischen Community erntete More Life letztes Jahr eher sehr viel Schmach. Faul sei der Musiker geworden, die riesengroße Platte zu fahrig, zu wenige Highlights und kein wirklicher Plan dahinter. Und wo ich diesen Vorwürfen theoretisch zustimmen muss, ist das Ding für mich dennoch ein großes Highlight. Weshalb ich wahrscheinlich auch einer der einzigen war (abgesehen von den Profiteuren dieser LP 😉), die sich auf dessen Nachfolger Scorpion freuten. Was irgendwie auch wieder verständlich ist: Vor zwei Wochen erst machte Drake Schlagzeilen mit seinem Playlist-Spamming auf Spotify, God's Plan war zuletzt nur noch nervig und der ekelhafte Beef mit Pusha T geriet sehr schnell völlig außer Kontrolle. Das ganze Ding stand PR-technisch nicht unter dem besten Stern. Ist aber alles scheißegal, weil Graham zumindest aus meiner Perspektive hier wieder ziemlich abliefert. Will sagen, Scorpion wiederholt den sehr gelungenen Streich von More Life erneut. Und was die meisten von euch demzufolge hassen werden, ist für mich eine weitere gelungene Werkschau. Ähnlich wie zuletzt kommt Drake hier erneut aus allen Ecken, macht gleichzeitig zart besaiteten R'n'B, brachialen Trap und zeitgenössischen Dancehall-Pop und braucht dabei keine Richtung, um wahnsinnig gut zu sein. Es ist eher wieder der Überraschungseffekt des "Was kommt als nächstes?", der das hier so spannend macht, ebenso wie die unglaublich große Zahl an guten Tracks. Von insgesamt 25 Stücken hier sind die meisten gelungen, viele davon sogar ziemlich klasse und dass einige davon gerade die Top 40 zupappen, ist für mich nur verständlich. Auf Albumlänge bleibt es dabei Drakes größte Leistung, diese Spannung über die schon wieder fast 90 Minuten zu halten. Sicher, mit seinem eher entspannten Flow und vielen Autotune-Balladen zwischendrin ist das hier auch nicht gerade Deutschland gegen Schweden, umso größer ist die Leistung dabei am Ende jedoch eigentlich. Zumal Scorpion gefühlt noch ein bisschen melancholischer ist als sein Vorgänger. Gerade die zweite Hälfte der Platte müsste eigentlich unglaublich zäh klingen, wird aber immer wieder durch kleine Gimmicks wie den tollen Achtziger-Synth in Summer Games oder das posthume Michael Jackson-Feature in Don't Matter to Me angefacht. Das heißt, obwohl das hier sogar noch die ereignislosere Performance ist als More Life, zeigt sie das Talent von Aubrey Graham eigentlich noch viel besser. So eine Soundpampe unterhaltsam zu machen, schaffen gerade im Mainstream-Pop extrem wenige Künstler*innen, und auch die füllen damit so gut wie nie diese Spielzeit. Die meisten gehen sicherhaltshalber gerade sogar vorzugsweise auf unter eine halbe Stunde runter 😛. Und gemessen daran bekommt dieser Typ in letzter Zeit echt viel zu viel Stunk. Klar nervt seine Omnipräsenz, aber wenn jemand diese verdient hat, dann auf jeden Fall Drake und der Fairness halber muss man auch fragen, wer im Pop-Kosmos ihm diesbezüglich gerade das Wasser reichen kann. Dieser Typ hier ist der meiste Künstler dieser Dekade und das mit Recht. Aber das sollte 2018 eigentlich nichts neues mehr sein.






Persönliche Highlights: Survival / Nonstop / Emotionless / God's Plan / 8 Out of 10 / Sandra's Rose / Is There More / Summer Games / Nice for What / That's How You Feel / Don't Matter to Me / After Dark / Final Fantasy / March 14

Nicht mein Fall: Elevate / Ratchet Happy Birthday / In My Feelings

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Montag, 16. Juli 2018

Erzähl mir von Florence




















Die Karriere von Florence Welch ist 2018 an einem sehr paradoxen Punkt angekommen, an dem ihre Musik zur gleichen Zeit immer spannender wird, aber auch stetig an Lebendigkeit verliert. Schon auf ihrem letzten Album How Big, How Blue, How Beautiful von 2015 war eine Tendenz zu bemerken, in der die Britin zwar inhaltlich größere Schritte wagte und teilweise sogar konzeptuell wurde, sich musikalisch jedoch in Zurückhaltung übte. Ihre Songs waren dort langsam nicht mehr die epochalen Pop-Wunderwerke, die ihre Diskografie bis dahin bestimmten, sondern mehr und mehr Stücke zum hinhören, die Geschichten erzählten. Für eine Künstlerin, deren größtes Gut zu jeder Zeit die Gewalt ihrer Stimme war, auf den ersten Blick nicht gerade ein optimaler Weg. Und so hatte ich auf How Big, How Blue, How Beautiful auch trotz an und für sich guter Performance immer ein wenig das Gefühl, dass sich Florence verschätzte. Steckte in ihr wirklich die Storytellerin, die sich auf diesem Album in sich suchte oder war sie am Ende vielleicht doch nur ein Popstar? Seinerzeit waren meine Zweifel noch groß. Drei Jahre später tritt die Britin jedoch den Beweis an, dass sie diese Aufgabe tatsächlich äußerst ernst nimmt und macht mit High As Hope ein weiteres sehr biografisches Werk, diesmal mit deutlich besserer Bilanz. Schon die Single Hunger vor zwei Monaten hatte mit sehr ergreifenden und intimen Darstellungen aus ihrer Jugend immens viel zu sagen, gleichzeitig gelang es Welch trotzdem, daraus einen packenden Popsong zu machen. Auch im Kontext des restlichen Albums strahlt die Nummer noch unglaublich weit. Womit sie klanglich aber eher die Ausnahme ist, denn wie gesagt geht die Sängerin diesmal deutlich weiter in inhaltliches Territorium. Fast alle Tracks hier behandeln ähnliche Themen wie Hunger, die sich vor allem um Sucht, Hedonismus, Parties und Sehnsucht drehen und dabei stets zwischen Nostalgie und Verbitterung balancieren. So ist mit Patricia hier ein Song über Welchs gute Freundin dabei, der vor allem ihre Partnerschaft in schwierigen Zeiten aufrollt, South London Forever ist eine Abrechung mit einer Partykultur, deren Teil Florence scheinbar einst war und Big God besingt die Sehnsucht nach den größeren Dingen, die es am Ende aber nicht zu geben scheint. Was dabei definitiv auffällt, ist dass man Florence & the Machine so wirklich noch nie gehört hat. Nicht nur sind die großen Instrumental-Bomben hier spärlicher verteilt (es gibt sie in Songs wie 100 Years oder Hunger noch), vor allem erlebt man hier erstmals wirklich ein sehr konkret textliches Album. Die poetische Sprache der Vorgänger ist hier endgültig einer sehr viel härteren und rauheren Erzählform gewichen, die ein deutliches Narrativ hervorbringt. Florence Welch ist dadurch jetzt nicht gleich Mark Kozelek oder Phil Elverum, aber es geht doch schwer in die Richtung. Und man muss hier auch definitiv sagen, dass sie diesen Erzählstil drauf hat. Ob diese Form nun besser ist als ein epochales Pop-Machwerk wie Shake It Out oder You Got the Love will ich an dieser Stelle offen lassen, sicher ist auf jeden Fall, dass hier eine Entwicklung vollzogen wurde, die ich durchaus begrüße. Welch als inhaltliche Songwriterin kann ich mir inzwischen zumindest vorstellen, die wirklich große Platte in diesem Stil muss aber erst noch geschrieben werden. Wobei es an Geschichten ja anscheinend nicht mangelt.






Persönliche Highlights: Hunger / South London Forever / Big God / 100 Years / the End of Love / No Choir

Nicht mein Fall: Sky Full of Song

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Sonntag, 15. Juli 2018

Kanyes Konter




















Der unglaublich krasse Output von Kanye West in diesem Jahr lässt mir keine Zeit für eine Pause: Gerade gestern schrieb ich über das neue Album von Nas, das ebenfalls von Yeezy produziert wurde, heute ist schon das nächste dran. Und wieder geht es dabei um jemand vollkommen anderen. Nachdem die bisherigen Projekte seiner Mini-LP-Serie vornehmlich Arbeiten von anderen Rappern oder eigene Projekte waren, verlässt er hier erstmals so richtig die Pfade des Hiphop. Mit der R'n'B-Sängerin ist hier eine Künstlerin unter seinen Fittichen gelandet, die selbst für einen erfahrenen Producer wie Kanye in gewisser Weise Neuland bedeutet. Zwar kennen sich die beiden bereits seit der Cruel Summer-Compilation von 2012 und Soul als Metier ist an sich kein fremdes Territorium für den Host, noch nie hat dieser jedoch in einem so großen Maße andere Musik als Rap produziert, was K.T.S.E. zumindest in meinen Augen zu einer der bisher spannendsten Platten der diesjährigen Reihe macht. Denn nicht nur bedeutet das eine vielleicht ganz andere kreative Symbiose als bisher und einen Ausreißer für die aktuelle Serie, auch könnte das hier endlich mal ein Projekt sein, das nicht von vorne bis hinten die Fingerabdrücke von Yeezy trägt. Wobei grundsätzlich natürlich die gleichen Parameter gelten: Mit acht Tracks in 22 Minuten ist K.T.S.E. ganz klar in der Tradition des bisherigen Mini-Alben angelegt und mit dem Maestro selbst sowie Ty Dolla $ign sind hier zwei bereits bekannte Feature-Gäste von der Partie. Auch das sehr Vokal-betonte Sampling kennt man bereits, allerdings schafft es Taylor hier tatsächlich, diesem Aufgebot an Stilmitteln einen nicht weniger starken Charakter entgegen zu setzen. Und das, obwohl die Platte klanglich eher zurückhaltend geworden ist. Ganz in der Ästhetik des Coverfotos wird hier vor allem lasziver Bedroom-Soul geboten, der sehr durch seine Leichtigkeit lebt. Die Sängerin selbst ist keine Kraftröhre, sondern gibt sich ebenfalls eher gechillt, womit sie geschickt die sehr eindeutig Westsche Produktion kontert. Insbesondere in den jazzig angehauchten Tracks wie Hurry oder Issues/Hold On funktioniert die Zusammenarbeit wunderbar, wobei sich auch die beiden Features optimal in den Gesamtklang einfügen. Auch wenn Taylor in WTP am Ende etwas rabiater wird, stört das eigentlich überhaupt nicht, sondern gibt der Platte eher nochmal einen spannenden Twist. Zudem gibt es Details wie das Vogelzwitschern in Never Would Have Made It oder das "no fade outs" in Hurry, die das ganze nochmal extra cool machen. So cool, dass ich sagen muss, dass K.T.S.E. in meinen Augen sogar das bisher beste Projekt der Serie geworden ist. Hauptsächlich liegt das natürlich daran, dass die Songs nicht so krass von Kanye dominiert werden wie sonst immer, gleichzeitig sind sie hier aber auch homogener und man hat das Gefühl, dass sich hier mal wirklich Mühe gegeben wurde. Ein bisschen ist das Überraschend, zumal ich diese Künstlerin vorher so überhaupt nicht auf dem Zettel hatte, mit ein bisschen Kontext macht es aber Sinn. Und ich schließe mit dem Wunsch, dass Yeezy nach diesem Ausflug vielleicht öfter mal in andere Genres reinschnuppert.






Persönliche Highlights: Issues/Hold On / Hurry / 3Way / WTP

Nicht mein Fall: No Manners

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Samstag, 14. Juli 2018

Nasirs letzte Hoffnung




















Es hat etwas seltsames, 2018 eine Platte von Nas zu besprechen. Eigentlich war sich bis vor wenigen Wochen die Hiphop-Welt noch einig, dass man spätestens seit Beginn des neuen Jahrtausends kein neues Material des New Yorkers mehr hören muss. Sicher, der Typ hat mit Illmatic in den Neunzigern eines der prägenden Alben für unser heutiges Verständnis von Gangsterrap gemacht, das auch für mich zu den besten Genre-Klassikern aller Zeiten gehört, seinen Output danach kann man aber mehr oder weniger vergessen. Entweder weil Nas selbst nur damit beschäftigt war, die Leute daran zu erinnern, dass er mal diese eine LP gemacht hat und diese nur wieder und wieder zitierte, oder weil er vergeblich versuchte, sich neu zu erfinden, nur um schließlich doch wieder in den Nostalgie-Modus zu verfallen. Sein neuestes Album Nasir dürfte diesbezüglich in die letztere Kategorie fallen, mit dem entscheidenen Unterschied, dass diesmal tatsächlich die Perspektive bestand, eine musikalische Neuorientierung zu schaffen. Der Grund dafür hört wie so oft in diesem Jahr auf den Namen Kanye West. Wie im Juni bereits Pusha T und gerade eben erst R'n'B-Diva Teyana Taylor ist auch Nas in diesem Sommer einer der Künstler*innen, die im Produktionszyklus des Rap-Halbgottes gelandet sind und ein von ihm kuratiertes Mini-Album veröffentlichen. Und wie schon bei Push bedeutet das auch hier: Komplette kreative Vereinnahmung. Ganz im Stil bisher aller Releases ist auch Nasir nur um die 25 Minuten lang, umfasst sieben Tracks und trägt an allen Ecken und Enden die Fingerabdrücke von Yeezys klanglicher Ästhetik. Wo das bei anderen Leuten aber eher ungünstig war, ist das in diesem Fall vielleicht ein echter Vorteil. Denn wenn uns die Erfahrung eines gelehrt hat, dann dass Nas nicht gerade ein Synonym für Kreativität ist. Ein Kanye West ist das allerdings über alle Maßen und seine Visionen in Sachen Sound mit den lyrischen Fähigkeiten des Hauptakteurs zu verbinden, könnte die Lösung aller seiner künstlerischen Probleme sein. Und wenn der Preis dafür ist, dass die Platte klingt wie eine weitere Fortsetzung von Ye, dann ist das eben so. Allerdings bleibt die gewünschte Wirkung auch in dieser Symbiose irgendwie aus. Ein bisschen ist das auch die Schuld des Produzenten, der sich hier auf jeden Fall merklich weniger Mühe gegeben hat als auf seinen letzten Projekten, vor allem liegt das aber wieder mal an Nas selber. Denn wo die Instrumentals hier zumindest ganz unterhaltsam und hübsch gesamplet sind, lässt die Performance auf der Rap-Seite definitiv zu wünschen übrig. Schon der Opener Not for the Radio legt das sehr enttäuschend dar: Im Versuch einer komplett auf dem Schlauch stehenden Black Lives Matter-Botschaft listet der MC hier große Errungenschaften schwarzer Amerikaner*innen auf. Das ist an sich eine ganz hübsche Ansage, inhaltlich aber weit unter dem Niveau des Typen, der Texte über die Benachteiligung schwarzer Minderheiten schon in den Neunzigern am besten konnte. Der nachfolgende Track Cops Shot the Kid macht das gleiche dank inflationärer Kanye-Beteiligung schon wesentlich besser, man bekommt aber immer noch das Gefühl, dass Nas dabei eher versucht, dem Trend hinterher zu laufen. Doch wo diese Songs wenigstens noch probierten, eine Message zu vermitteln, stürzt das Album danach mehr oder weniger komplett ab. Bonjour ist ein extrem peinlicher Rap-Lovesong, der sich ziemlich cool dabei fühlt, allerlei stereotypische französische Vokabeln zu droppen (Apropos: Ist das auch ein Poppies-Sample im Hintergrund?) und Adam & Eve, obwohl lyrisch mitunter ziemlich clever, sagt auch nicht sehr viel mehr aus. Mit nur sieben Tracks, von denen am Ende keiner so richtig den Karren aus dem Dreck zieht, ist Nasir unterm Strich also auch nicht besser als die vielen Post-Illmatic-Gehversuche des New Yorkers zuvor. Und für Kanye bedeutet diese Platte den bisher schwächsten Beitrag zu seiner sommerlichen Albumserie. Verloren haben hier also beide Parteien. Und ich, weil ich mir dieses Album dann auch hätte sparen können.






Persönliche Highlights: Cops Shot the Kid / White Label / Everything / Adam & Eve

Nicht mein Fall: Not for the Radio / Bonjour

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Freitag, 13. Juli 2018

Du schockst nicht mehr




















Die fetten Jahre sind für die Death Grips 2018 eindeutig vorbei. Es ist mir inzwischen fast ein bisschen peinlich, wie sehr ich diese Band bis vor einigen Jahren noch hofiert habe und als das krasseste Ding im Universum ausgab. Sicher, es gab einen Zeitpunkt, an dem sie genau das waren, aber ein paar Jahre ist das jetzt auch schon her. Bereits die in die saisonalen EPs Fashion Week, Interview 2016 und Steroids waren zuletzt kein wirklich großer Beitrag mehr und obwohl ihre letzte richtige LP Bottomless Pit von 2016 ohne Frage eine gute Platte war, konnte man ab diesem Zeitpunkt erkennen, dass die Kalifornier in einem selbstreferenziellen Loop gefangen waren. Death Grips sind mittlerweile eine Band wie alle anderen, die vielleicht etwas unkonventionell bleibt, aber ein Stückweit eben doch zum Establishment geworden ist. Wenige Dinge zeigen das deutlicher als ihr achter Longplayer Year of the Snitch. Nachdem das letzte Jahr das erste ohne neues Album seit Gründung der Formation war und den Fans die Möglichkeit einräumte, eine dringend notwendige Distanz zu ihrer Diskografie zu entwickeln, war die Resonanz auf die Ankündigung von neuem Material merklich verhaltener. Die getriggerten Memes verbreiteten sich zwar mittelmäßig gut und man bekam einen gewissen Buzz mit, doch verglichen zu den anarchischen Zuständen, in die das Internet vor früheren Platten wie Jenny Death oder No Love Deep Web verfiel, war das fast vernachlässigbar. Und auch ich stellte fest, dass ich das erste Mal ziemlich cool auf die kommende Veröffentlichung eines Death Grips-Albums reagierte. Mehr noch: Die ersten Promo-Tracks fand ich sogar ziemlich dürftig und fragte mich, ob ein schwaches neues Projekt nicht auch ganz gesund für uns alle wäre, um auf diese Band endlich mal klarzukommen. Fakt ist aber, dass diese Überlegungen im Bereich des hypothetischen bleiben werden, denn so wie es aussieht, haben mich MC Ride, Zach Hill und Flatlander mit dieser LP wieder voll am Haken. Year of the Snitch ist entgegen aller meiner Prognosen eine unglaublich starke Rückkehr der Kalifornier und das Ende des anstrengenden Selbstzitats. Ihren provokativen Charakter ist die Band hiermit zwar endgültig los, aber sie scheint ihn diesmal wenigstens auch nicht mehr forcieren zu wollen. Stattdessen erlebe ich das hier als gesundgeschrumpfte und bewusstere Form ihres typischen Stils, der sich ein Stückweit neue Parameter sucht. So ist das hier ganz klar ein Album, das nicht hauptsächlich über den lyrischen Output funktioniert, sondern in vielen Hinsichten abstrakt damit umgeht. Die Gesangsaufnahmen von MC Ride wurden an vielen Stellen nachträglich verändert, schneller gemacht oder in Reverb eingekleidet, sodass Verständnis hier definitiv kein Ziel mehr sein kann. Gleichzeitig geht die musikalische Ebene dieser Platte stark in einer sehr elektronischen Ästhetik auf, die an einen Rave erinnert. Schon auf der Steroids-EP nutzte die Band Elemente von Gabber und Techno in ihren Songs, die auch hier wieder auftauchen. Für Freunde der punkrockigen Death Grips ist das allerdings keinesfalls eine Absage. Zackige Gitarrenriffs sind auch hier wieder äußerst dominant, mit elektronischer Ästhetik meine ich vor allem den Flow des Albums, in dem Einzeltracks kaum noch erkennbar sind und alles sich zu einer großen, vierzigminütigen Soundmasse zusammenfügt. Denn rein klanglich hat sich hier ehrlich gesagt wenig verändert. Bisweilen geht es vielleicht ein bisschen ruhiger zu, was bei Death Grips allerdings ein relatives Maß ist. Im großen und ganzen erlebt man hier die gleiche Band wie bereits auf den letzten zwei Longplayern, was aber aus irgendeinem Grund kein Problem darstellt. Weder klingen sie, als würden sie sich selbst wiederholen noch, als würden ihnen die Ideen ausgehen. Ich kann nicht wirklich erklären, was dabei ihr Geheimrezept ist, aber solange es funktioniert, will ich nicht grundlos rumjammern. Das eigentlich schöne daran ist ja die Erkenntnis, dass sie auch dann überzeugen können, wenn sie ihre gesamte Shock Value aufgebraucht haben. Death Grips sind 2018 vielleicht nicht mehr das krasseste Ding im Universum, eine sehr gute Band sind sie trotzdem noch. Und nach diesem Album kann ich daran glauben, dass das auch langfristig so bleiben wird.






Persönliche Highlights: Death Grips is Online / Flies / Black Paint / Linda's in Custody / Hahaha / Shitshow / Dilemma / Dissapointed

Nicht mein Fall: the Fear

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Donnerstag, 12. Juli 2018

Unhassbar




















Ich war noch nie ein großer Fan der Nine Inch Nails. Vielleicht liegt es daran, dass ich ihre besten Zeiten in den Neunzigern nicht erlebt habe und alles von Trent Reznor zur Zeit meiner persönlichen musikalischen Sozialisationsphase maximal uncool war, vielleicht auch daran, dass Industrial, insbesondere Industrial Rock, für mich generell ein eher schwieriges Thema ist. Aber es ist eben so: Es tut sich bei mir schwer mit ihnen. Und das, obwohl ich mit ihrem Material eigentlich nie wirklich negative, ja sogar durchaus gute Erfahrungen gemacht habe. Das eine Album, das ich von ihnen bisher besprochen habe, Hesitation Marks von 2013, bekam damals immerhin neun Punkte und landete fast auf dem Siegertreppchen, wenngleich ich es seitdem nicht mehr gehört habe. Das gleiche gilt für die beiden letzten EPs der Band, die ich zwar schon ziemlich okay fand, über die ich aber keine wirkliche Lust hatte, zu schreiben. Und um ehrlich zu sein wäre es mir auch lieber gewesen, würde es Bad Witch nicht geben. Denn obwohl mein Interesse für dieses Projekt sich ähnlich in Grenzen hält wie bei den letzten Releases von Reznor, gibt es doch eine gewisse Erwartungshaltung, das ganze ausführlich zu machen. Es ist immerhin der erste Longplayer einer legendären Formation seit fast fünf Jahren. Noch dazu angeblich wieder eine ziemlich aggressive Platte. Also will ich nicht länger jammern und die Sache hinter mich bringen. Wobei mir direkt auffällt, dass ich auch Bad Witch wieder einmal nicht hassen werde. Offen gesagt muss ich Reznor sogar zugestehen, hier ein ziemlich geniales Ding abgeliefert zu haben. Zwar nicht unbedingt in ganz offensichtlicher Art und Weise und irgendwie mit verqueren Elementen, aber ohne Frage genial. Zunächst jedoch mal das oberflächliche: Die neue LP (wenn man das mit 30 Minuten Spielzeit so nennen will) ist ein klein wenig brutaler als die letzten NIN-Sachen, vor allem ist sie aber weitläufiger. Neben dem relativ bekannten Sound, den Reznor für das Format dieser Band während der letzten EPs entwickelt hat, hört man hier erstmals auch Anklänge von Jazz, psychedelischem Big Beat-Zeug, Death Grips-Einflüsse und chillige Glockenspiel-Momente. Einiges ist dabei logischer als anderes, alles trägt in meinen Augen aber zur Qualität der Platte bei, die sich Stück für Stück vor mir entfaltet. Mit dem Opener Shit Mirror versiebt Bad Witch den Einstieg noch etwas, der schwächste der sechs Songs wäre damit aber auch schon abgehakt. Von nun an geht es nur noch bergauf: Ahead of Ourselves ist schon allein seines närrischen Drum-&-Bass-Beats wegen gekauft, God Break Down the Door klingt wie Nick Caves nie veröffentlichte Psytrance-Nummer und hat fantastische Saxofone im Mix und Over & Out ist ein ziemlich epischer Closer für ein Album, das bisher eigentlich keine wirkliche Richtung hatte. Mein persönlicher Lieblingstrack ist allerdings das instrumentale Play the Goddamned Part, das mehr als alles andere eigentlich ein moderner Jazz-Titel ist, der an die Arbeit von Acts wie Sons of Kemet oder Ståle Storløkken erinnert. Das ist nicht nur Neuland für die Nine Inch Nails, sondern macht auch richtig Spaß und hat nebenbei noch etwas verrucht-cineastisches. Spätestens hier kann man auch sagen, dass Bad Witch nun endgültig ein Projekt geworden ist, das jeglichem Genre-Label trotzt. Das mit dem Industrial kann man sowieso vergessen, der findet hier nur noch als Stilmittel statt und müsste ich einen Begriff finden, wäre es am ehesten sowas wie experimenteller Big Beat fürs 21. Jahrhundert. Vor allem ist es aber verdammt kreative, gut gemachte Musik. Was dabei definitiv auch erwähnt gehört, ist der exzellente Sound dieser 30 Minuten Musik. Jeder Song ist mit vielen Kontrasten produziert, man hört unglaublich viele Details heraus und kein noch so banales Instrument geht je im Mix unter. In Sachen klanglicher Umsetzung gehört diese LP mit Sicherheit zu den besten des Jahres. Und auch so muss ich den Nine Inch Nails mal wieder meine Probs zugestehen. Dafür, dass ich am Anfang mal wieder überhaupt keinen Bock auf die Band hatte, hat sie mich wieder mal komplett vom Hocker gerissen und ein Album vorgelegt, das mich damit zu Recht als Idioten dastehen lässt. Wobei ich diesmal doch hoffe, dass ich nicht so schnell die Lust daran verliere wie sonst immer.






Persönliche Highlights: Ahead of Ourselves / Play the Goddamned Part / God Break Down the Door / Over & Out

Nicht mein Fall: Shit Mirror

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Dienstag, 10. Juli 2018

Break On Through




















Von ihnen selber habe ich es zuerst gehört: Noch im November des letzten Jahres saß ich mit Dead Man's Eyes nach absolviertem Konzertabend auf dem Balkon der WG von Freunden, smalltalkte mit ihnen über die fast beendete Tour und darüber, was jetzt so anstehen würde. Ein Album sei fast fertig, dieses Mal würde es wahrscheinlich sogar mit einem Label klappen, hieß es damals und dass alles langsam ganz gut vorangehe. Kein halbes Jahr später ist das "richtige" Debüt der Band aus Köln und Bonn nun erschienen und stellt sich erstmal reichlich breit in der deutschsprachigen Rocklandschaft auf. Aus der Vermischtes-Rubrik der Blogosphere ist die Formation mittlerweile raus und wer sich 2018 für Gitarrenmusik interessiert, ist jetzt vielleicht auf sie aufmerksam geworden. Und warum auch nicht: Seit fast zehn Jahren ackert die Band ihren smoothen, jazz-infizierten Psychedelic Rock durch die Republik und hat es damit unter anderem schon zum Support für Tame Impala und Benjamin Booker gebracht. Die Zeit für sie, endlich auch im Mittelpunkt zu stehen, könnte also keine bessere sein. Für diesen Zweck haben sie mit Words of Prey auch ein ordentliches Eisen für sich ins Feuer gelegt. Schon auf den ersten Blick merkt man hier im direkten Vergleich zur vorangegangenen EP Meet Me in the Desert, dass die Band klanglich und kompositorisch wesentlich fokussierter geworden ist und hier keinen Schnickschnack mehr machen will. Und dass sie das Zeug dazu haben, war schon auf jenem Konzert im November ahnbar, denn hinter dem bodenständigen Bluesrock der Kölner steckt nicht selten ausgefuchste Nerd-Attitüde, die man hier auch hören kann. Dabei sind Dead Man's Eyes mit Sicherheit keine Retro-Clowns, die den Begriff Psychedelik als abgeschlossenes musikalisches Kapitel verstehen, sondern die ganz klar versuchen, die Angelegenheit ins hier und jetzt zu holen. In vielen Tracks hört man Anklänge sehr modern orientierter Psychrock-Acts wie Tame Impala, King Gizzard & the Lizard Wizard oder Okta Logue heraus, kleine elektronische Elemente sind selbstverstänliche Stilmittel und auch wenn die Platte manchmal ins ganz tiefe Blues-Terrain abdrifet, so ist das nie bloße Nostalgie. Zwar muss man dabei sagen, dass ein wirklich eigener Sound dabei noch in der Entwicklung ist, aber solange das trotzdem in so tollen Songs wie Radiant Smiles, Be Good oder Robot Sophia resultiert, passt das schon fürs erste. Und bis auf die etwas alberne Hillbilly-Nummer Two Dozen Eyes ist hier auch kein einziger schlechter Track dabei. Was ebenfalls zur Ästhetik der Band passt, ist die sehr warme, zurückhaltende und eher sehr wenig rockige Produktion, für die unter anderem auch Keyboarder Nima Davari verantwortlich war und die vor allem in den gediegenen Momenten wie Be Good oder Fire of My Own glänzt. Dabei ist auch in dieser Hinsicht ohne Frage noch Luft nach oben, aber ein ziemlich gutes Album ist Words of Prey am Ende auf jeden Fall geworden. Vor allem freut mich aber, dass ich Dead Man's Eyes jetzt nicht nur als (meiner Erfahrung nach) allgemein sehr nette Menschen schätze, sondern auch konkret ein musikalisches Erzeugnis von ihnen weiterempfehlen kann. Summa Sumarum eine Band, der ich es gönnen würde, wenn bald noch mehr Leute auf sie stoßen.






Persönliche Highlights: Radiant Smiles / Dive / Be Good / What Are You Waiting For / Robot Sophia (I Will Marry Her) / Fire of My Own

Nicht mein Fall: Two Dozen Eyes

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Montag, 9. Juli 2018

It's Dare!




Ich hatte ja mal wieder keine Ahnung. Da schreibe ich letztens einfach so mir nichts dir nichts etwas über diese komische Band namens Gang Gang Dance mit der Vermutung, dass es sich dabei wahrscheinlich um ein relativ junges Projekt handelt, das gerade sein zweites Album oder so herausbringt. Ich fand diesen einen Song eben gut und hatte mich auf die Platte gefreut, warum also davor groß recherchieren. Kann ja niemand ahnen, dass es das ganze hier schon seit 2001 gibt und Kazuashita bereits der vierte Longoplayer der New Yorker ist. Zwar kann ich mich damit ein bisschen herausreden, dass das Trio in meiner aktiven Zeit bis zu dieser LP noch nichts weiter veröffentlicht hat (das letzte Album ist von 2011), aber dennoch: Ziemlich peinliche Nummer. Vor allem aber auch ein kleiner Perspektivwechsel. So hatte ich nämlich bisher immer geglaubt, Gang Gang Dance würden Acts wie Little Dragon oder Grimes ein wenig nacheifern, wahrscheinlich ist es in Wirklichkeit aber eher andersrum. Insbesondere letztere klingt auf ihren alten Platten sehr nach den Sachen, die auch diese Band zur gleichen Zeit gemacht hat und ihre stimmliche Ähnlichkeit mit Sängerin Lizzi Bougatsos ist eindrücklich. Zumindest dient es hier aber als kleiner Anhaltspunkt, was einen auf dieser LP so erwartet. Kazuashita ist gleichsam schriller und flauschiger Electronica, der ebenfalls stark von ostasiatischer Popmusik beeinflusst ist und sich für krasse Momente nie zu schade ist. Und wo dieses Projekt in der Vergangenheit noch eher aus der Richtung des Indiepop kam und sich auch auf die Dirty Projectors und Animal Collective berief, ist dieses Album nach sieben Jahren Pause nun eine durch und durch elektronische Angelegenheit und insgesamt wesentlich gediegener. Es gibt Stücke wie (Birth Canal) oder J-Tree, die eigentlich komplette Ambient-Bausteine sind und würde die Band diese nicht auf anderen Songs maximal krass kontrastieren, wäre die Platte ehrlich gesagt eine reichlich öde Nummer. Offen gesagt liegen die Talente von Gang Gang Dance nicht unbedingt im Bereich der Klangtapete, sondern eher dort, wo es zur Sache geht. Die ersten zehn Minuten dieser LP sind dafür wahrscheinlich das beste Indiz. In den drei eröffnenden Songs, die absichtlich etwas ruhiger gehalten sind, passiert nämlich nicht wirklich viel und man fragt sich schon, wo denn all die Kreativität geblieben ist, die man zuletzt auf den Singles hörte. Erst mit dem vierten Track (Birth Canal) bekommt Kazuashita langsam Auftrieb und blüht danach Stück für Stück zu einem bisweilen faszinierenden Projekt auf. Im Mittelteil der Platte thront mit dem achtminütigen Titelstück das pulsierende Herz und der kreative Orgasmus des Albums, in dem Gang Gang Dance wirklich aus sich herausgehen und ohne jede Scheu experimentell sind. Auch Songs wie Young Boy (Marika in Amerika) oder der psychedelische Snake Dub leisten Überzeugungsarbeit. In diesen Momenten klingen die New Yorker dann tatsächlich wie eine Band, die über sich hinaussieht und sich Dinge traut. Gerade was Field Recordings angeht, ist vieles hier ganz weit vorne dabei. Probs außerdem dafür, dass selbst die weirdesten Ideen hier erfolgreich umgesetzt sind und Gang Gang Dance nie den Blick fürs Songwriting verlieren. Leider wird es im letzten Teil der Platte dann aber trotzdem wieder ein bisschen verhalten. Obwohl der Closer Salve to the Sorrow sich zum Ende hin fängt und doch noch ein ganz netter Abgesang wird, sind die ersten drei der insgesamt sechs Minuten des Tracks ziemliches Rumgeeiere, wobei das ebenfalls ambiente Füller-Stück (Novae Terrae) nicht besonders hilft. Betrachtet man sich dieses Album mal quantitativ, sind es unterm Strich auch gut zwei Drittel der 42 Minuten Spielzeit, die eher austauschbarer Quatsch sind. Die Songs, auf die das nicht zutrifft, sind dafür umso besser. Das größte Problem, das Gang Gang Dance meiner Meinung nach haben, ist dass sie ihre Talente falsch einschätzen. Wenn man mich fragt, könnte diese Band locker experimentelle Musik auf dem Level von Venetian Snares oder Oneohtrix Point Never machen, wenn sie nicht so oft versuchen würden, die entspannte Tour zu forcieren. Und ganz ehrlich: Wer braucht schon noch einen weiteren mäßig geilen Ambient-Act, wenn man dafür die beste Kombination aus Grimes, Daniel Lopatin und einem Rasenmäher im Bällebad haben kann?






Persönliche Highlights: (Birth Canal) / Kazuahita / Young Boy (Marika in Amerika) / Snake Dub / Too Much Too Soon / Salve On the Sorrow

Nicht mein Fall: J-Tree

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