Donnerstag, 12. Juli 2018

Unhassbar




















Ich war noch nie ein großer Fan der Nine Inch Nails. Vielleicht liegt es daran, dass ich ihre besten Zeiten in den Neunzigern nicht erlebt habe und alles von Trent Reznor zur Zeit meiner persönlichen musikalischen Sozialisationsphase maximal uncool war, vielleicht auch daran, dass Industrial, insbesondere Industrial Rock, für mich generell ein eher schwieriges Thema ist. Aber es ist eben so: Es tut sich bei mir schwer mit ihnen. Und das, obwohl ich mit ihrem Material eigentlich nie wirklich negative, ja sogar durchaus gute Erfahrungen gemacht habe. Das eine Album, das ich von ihnen bisher besprochen habe, Hesitation Marks von 2013, bekam damals immerhin neun Punkte und landete fast auf dem Siegertreppchen, wenngleich ich es seitdem nicht mehr gehört habe. Das gleiche gilt für die beiden letzten EPs der Band, die ich zwar schon ziemlich okay fand, über die ich aber keine wirkliche Lust hatte, zu schreiben. Und um ehrlich zu sein wäre es mir auch lieber gewesen, würde es Bad Witch nicht geben. Denn obwohl mein Interesse für dieses Projekt sich ähnlich in Grenzen hält wie bei den letzten Releases von Reznor, gibt es doch eine gewisse Erwartungshaltung, das ganze ausführlich zu machen. Es ist immerhin der erste Longplayer einer legendären Formation seit fast fünf Jahren. Noch dazu angeblich wieder eine ziemlich aggressive Platte. Also will ich nicht länger jammern und die Sache hinter mich bringen. Wobei mir direkt auffällt, dass ich auch Bad Witch wieder einmal nicht hassen werde. Offen gesagt muss ich Reznor sogar zugestehen, hier ein ziemlich geniales Ding abgeliefert zu haben. Zwar nicht unbedingt in ganz offensichtlicher Art und Weise und irgendwie mit verqueren Elementen, aber ohne Frage genial. Zunächst jedoch mal das oberflächliche: Die neue LP (wenn man das mit 30 Minuten Spielzeit so nennen will) ist ein klein wenig brutaler als die letzten NIN-Sachen, vor allem ist sie aber weitläufiger. Neben dem relativ bekannten Sound, den Reznor für das Format dieser Band während der letzten EPs entwickelt hat, hört man hier erstmals auch Anklänge von Jazz, psychedelischem Big Beat-Zeug, Death Grips-Einflüsse und chillige Glockenspiel-Momente. Einiges ist dabei logischer als anderes, alles trägt in meinen Augen aber zur Qualität der Platte bei, die sich Stück für Stück vor mir entfaltet. Mit dem Opener Shit Mirror versiebt Bad Witch den Einstieg noch etwas, der schwächste der sechs Songs wäre damit aber auch schon abgehakt. Von nun an geht es nur noch bergauf: Ahead of Ourselves ist schon allein seines närrischen Drum-&-Bass-Beats wegen gekauft, God Break Down the Door klingt wie Nick Caves nie veröffentlichte Psytrance-Nummer und hat fantastische Saxofone im Mix und Over & Out ist ein ziemlich epischer Closer für ein Album, das bisher eigentlich keine wirkliche Richtung hatte. Mein persönlicher Lieblingstrack ist allerdings das instrumentale Play the Goddamned Part, das mehr als alles andere eigentlich ein moderner Jazz-Titel ist, der an die Arbeit von Acts wie Sons of Kemet oder Ståle Storløkken erinnert. Das ist nicht nur Neuland für die Nine Inch Nails, sondern macht auch richtig Spaß und hat nebenbei noch etwas verrucht-cineastisches. Spätestens hier kann man auch sagen, dass Bad Witch nun endgültig ein Projekt geworden ist, das jeglichem Genre-Label trotzt. Das mit dem Industrial kann man sowieso vergessen, der findet hier nur noch als Stilmittel statt und müsste ich einen Begriff finden, wäre es am ehesten sowas wie experimenteller Big Beat fürs 21. Jahrhundert. Vor allem ist es aber verdammt kreative, gut gemachte Musik. Was dabei definitiv auch erwähnt gehört, ist der exzellente Sound dieser 30 Minuten Musik. Jeder Song ist mit vielen Kontrasten produziert, man hört unglaublich viele Details heraus und kein noch so banales Instrument geht je im Mix unter. In Sachen klanglicher Umsetzung gehört diese LP mit Sicherheit zu den besten des Jahres. Und auch so muss ich den Nine Inch Nails mal wieder meine Probs zugestehen. Dafür, dass ich am Anfang mal wieder überhaupt keinen Bock auf die Band hatte, hat sie mich wieder mal komplett vom Hocker gerissen und ein Album vorgelegt, das mich damit zu Recht als Idioten dastehen lässt. Wobei ich diesmal doch hoffe, dass ich nicht so schnell die Lust daran verliere wie sonst immer.






Persönliche Highlights: Ahead of Ourselves / Play the Goddamned Part / God Break Down the Door / Over & Out

Nicht mein Fall: Shit Mirror

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