Samstag, 29. Februar 2020

Black History Infotainmant

[ klassisch | ambitioniert | politisch ]

Mit mittlerweile etwas über 20 Jahren im Geschäft und einem konsequent starken Backing von diversen Szene-Größen seit seinen ersten Schritten als Künstler sollte es 2020 eigentlich nicht mehr so einfach sein, jemanden wie Royce Da 5'9" zu übersehen. Seit Ewigkeiten schon spielt der Rapper aus Detroit bei den Großen mit, arbeitete als Ghostwriter für Puff Daddy und Dr. Dre, gründete vor einigen Jahren eine exklusive Formation mit DJ Premier und ist nach einem hässlichen Beef mit Eminem anfang der Zwotausender mittlerweile dessen wichtigster Sparringpartner. Trotz dieser großzügigen Zuarbeiten schaffte es Royce in all den Jahren jedoch nie, sich über die Position der zweiten Geige hinwegzusetzen und ist nach heutigem Maßstab einer von den Rappern, die zwar von Szene-Nerds mit jeder neuen Platte heilig gesprochen werden, darüber hinaus aber nach wie vor ziemlich unbekannt sind. Sicher liegt das auch daran, dass er nie den entscheidenden Schritt in Richtung Mainstream ging und immer ein relativ komplexer Hirnschmalz-Texter war, allerdings ebenso niemand, der sich absichtlich unzugänglich oder weird gab. Und gerade wenn man sich ansieht, wie erfolgreich im Moment Leute wie Kendrick Lamar, J.Cole oder Lupe Fiasco sind, muss man sich doch fragen, warum ausgrechnet ihm diese Aufmerksamkeit seit jeher verwehrt bleibt. Zugegeben, auch ich habe seinen kompletten Output bis hierhin völlig ignoriert, doch bekam ich schon mit, wie krass Platten wie Layers oder the Book of Ryan von den Geeks in der Vergangenheit gefeiert wurden und fragte mich zumindest, was es mit diesem Typen auf sich hatte. Und ich bin im Nachhinein unheimlich froh, dass ich mich nun endlich auch dazu entschieden habe, über sein neuestes Album the Allegory mal ausführlich zu schreiben, denn gerade mit dieser LP scheint er etwas wirklich besonderes geschaffen zu haben. Das wird zuerst mal dadurch deutlich, dass an dieser Stunde Musik auch wirklich das meiste tatsächlich von Royce selbst kommt. Alle Beats hier wurden von ihm produziert, nur gelegentlich greift ihm dabei einer seiner berühmten Kollegen unter die Arme. Schon allein das zeigt, dass der Rapper für diese Platte anscheinend eine umfassende Vision hatte, die er dann auch lyrisch sehr konsequent umsetzt. Thematisch ist the Allegory eine der vielen Rap-Konzepte der letzten Jahre, die sich um die Aufarbeitung von schwarzem Lifestyle, schwarzer Geschichte und der Bürde des eingefleischten Rassismus in den Vereinigten Staaten dreht, wobei Royces Ansatz ein fast wissenschaftlicher und sehr analytischer ist. Ähnlich wie Lupe Fiasco oder Jay-Z auf deren letzten Alben spricht er hier über das Erbe der Sklaverei, alltägliche Diskriminierung und kulturelle Verwachsungen, wobei er nicht selten die Arbeit eines investigetiven Journalisten leistet, der nicht nur aus Misstände hinweist, sondern auch Zusammenhänge erkennt und belegt, die teilweise Jahrhunderte zurückreichen. Mehr als einmal fordert er die Hörenden auf dieser LP auf, bestimmte Dinge zu googeln, erklärt historische Ursprünge rassistischer Praktiken und nutzt die Biografien anderer, um ein Bild einer strukturell ungleichen Gesellschaft zu zeichnen. Im Gegensatz zu Leuten wie Fiasco verpackt er das ganze aber in lyrisch clevere Performances, die nicht nur aufklären, sondern auch künstlerisch anprechend sind. Und wenn das mal nicht ausreicht, ist schnell ein Skit oder ein Interlude zu Hand, das der ganzen Sache Kontext gibt. Ein stringentes Konzept gibt es dabei inhaltlich nicht, the Allegory ist eher ein aufklärerischer Ideenpool, in dem Fakten, Geschichten, Eindrücke und eigene Biografie zu spannenden Infotainment zusammenkommen. Klar gibt es dabei auch ein paar schwierige Momente für diesen Ansatz, unter anderem gleich mehrere, in denen Royce die Zusammenhänge zwischen Impfungen und Autismus darzulegen versucht (autsch!) und damit nicht nur Schwachsinn erzählt, sondern auch völlig das eigentliche Thema verfehlt. Solche Sachen sind schade, denn abgesehen von sowas ist dieses Album sicherlich eines der intelligentesten, das ich zu diesem Thema in den letzten Jahren gehört habe und auch musikalisch spricht mich hier vieles an. Zwar sind Royces Beats relativ klassisch gehalten und nicht unbedingt so supertoll wie die eines hauptberuflichen Produzenten, doch sind sie durchweg stimmig, passen sehr gut zu den jeweiligen Lyrics und sorgen auch für einen ziemlich ansprechenden Gesamtflow. Unterm Strich ist the Allegory damit eines der besten und am coolsten gemachten politischen Rap-Alben seiner Art und macht meinen Erstkontakt mit diesem Künstler auf jeden Fall zu einem sehr besonderen. Ich habe keine Ahnung, ob das eine Eigenschaft dieser LP ist oder Royce Da 5'9" schon immer so dermaßen gut war, aber ich kann jetzt auf jeden Fall alle verstehen, die diesen Typen für einen großen Rapper halten. Und dass so eine Platte mehr Aufmerksamkeit bekommt als es momentan der Fall ist, versteht sich dabei ja quasi von selbst.



Klingt ein bisschen wie
Lupe Fiasco
Drogas Wave

Mick Jenkins
the Healing Component

Persönliche Höhepunkte
Mr. Grace | Dope Man | On the Block | Overcomer | Thou Shall | FUBU | Perspective (Skit) | Black Savage | Young World | My People Free | Hero

Nicht mein Fall
Pendulum | Ice Cream (Interlude)


Donnerstag, 27. Februar 2020

the Absolute Madman

[ stadionrockig | pathetisch | klassisch ]

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich unter den Musiknerds dieser Welt wahrscheinlich einer der wenigen ist, der beim Thema Black Sabbath und allem, was damit verbunden ist, nicht direkt in Schwärmereien verfällt und eher zur skeptischen Fraktion gehört, was ihr Vermächtnis angeht. Sicher ist auch mir bewusst, wie gigantisch und unabdingbar der Einfluss der Band aus Birmingham auf so ziemlich alles ist, was mit Metalmusik zu tun hat und dass man sich mit ihnen befassen sollte, wenn man sich mit dieser Szene auseinandersetzt, verstehe ich auch gut. Nur hat mir das ehrlich gesagt nie dabei geholfen, ihren Output rein künstlerisch besser zu finden als durchwachsen und noch immer gibt es wenige Platten von ihnen (und zumindest die Klassiker darunter habe ich gehört), die ich in meinen Augen mehr als okay sind. Und was immer es über Black Sabbath schon negatives zu sagen gibt, gilt meistens nochmal in zehnfacher Weise für die Soloarbeiten ihres bekanntesten Frontmanns Ozzy Osbourne. Der Sänger, der für mich schon in den Siebzigern das schwächste Glied der Gruppe war und für gewisse inhaltliche Stumpfheiten, klangliche Monotonien und nervensägige Performances während ihrer Karriere hauptverantwortlich ist, zog diese Ästhetik auf seinen eigenen Platten gern noch extra ins klamaukige und blödelnde, was selten zu seinem Vorteil funktionierte. Dass Osbourne darüber hinaus jedes anfänglich vielleicht vorhandene Talent durch jahrzehntelangen exzessiven Substanzkonsum wieder und wieder durch die Tretmühle schickte, macht die Sache zusätzlich schwierig. Ich habe keinesfalls Vorbehalte gegen ihn als Persönlichkeit und finde es sogar sehr beeindruckend und respektabel, dass er 2020 noch immer auf der Bühne steht und dabei stabiler denn je scheint, doch bin ich künstlerisch noch nie übezeugt von ihm gewesen. Und es braucht erfahrungsgemäß einiges, um diese für mich aus dem Weg zu schaffen. Als 2013 das Comebackalbum von Black Sabbath als großer Neueinstand der Briten gefeiert wurde, war ich eher verhalten in meiner Reaktion und sah vor allem ein klappriges Konglomerat von Alt-Rockstars, die es sich selbst noch einmal zeigen. Und entsprechend skeptisch war ich demzufolge auch, als Ozzy Ende letzten Jahres ankündigte, auch selbst nochmal in den Ring steigen zu wollen. Als noch dazu Promotracks mit Leuten wie Post Malone und Travis Scott erschienen, umso mehr. Ganz im Stil seiner gesamten Karriere erwartete ich hier eine Platte, die seinen aufpolierten Hardrock nochmal richtig an den Mainstream verkaufte, ohne so richtig zu wissen, wie und warum eigentlich. Und sicher, Ordinary Man ist am Ende natürlich kein experimentelles Grenzgänger-Projekt, auf dem Osbourne über 50 Jahre versteckte Talente offenbart und auch hier klingt der Protagonist selbst nach fünf Tonnen Glättungsfilter nach einem alten Mann mit der Stimme eines Langzeitalkoholkranken. Trotzdem hat es diese LP geschafft, mich ernsthaft positiv zu überraschen, und das vor allem, weil sie tatsächlich erstmals größer sein will als der Mann selbst. In seinen besten Momenten schlägt der Prince of Darkness hier durchaus schmerzvolle Töne an, schreibt sehr reflektierte und autobiografische Songs und beschäftigt sich ausführlich mit dem Thema Sterblichkeit. In gewissen Teilen ist Ordinary Man damit vielleicht seine Version eines Blackstar oder Post Pop Depression, die mit Tracks wie All My Life, Goodbye oder dem Titelstück auch sehr stimmungsvoll hergerichtet sind. So seriös und selbstbezogen habe ich Ozzy selten erlebt und macht hier einen Themenbereich auf, an den man bei ihm schon lange irgendwie dachte, aber von deren Qualität man in der Umsetzung dann doch überrascht ist. Logisch gibt es daneben dann auch noch seine typisch halloweenesken Horrorclown-Tracks wie Eat Me, Scary Little Green Man oder Straight to Hell, die aber meistens auch gar nicht so dämlich klingen wie zunächst angenommen und dieses Album auch mit einem nicht zu unterschätzenden Spaßfaktor aufladen. Auch wenn es an diesen Stellen vor allem textlich einige Fremdscham-Momente gibt, sind die Songs an sich handwerklich äußerst stabile Hardrock- und Heavy Metal-Nummern, die das augenscheinlich große Produktionsbudget genau an den richtigen Stellen ausnutzen. Und natürlich muss man an dieser Stelle auch über das großartige Personal sprechen, das hier zu hören ist. Mit Chad Smith von den Red Hot Chili Peppers am Schlagzeug, Duff McKagan von Guns'N'Roses am Bass und unter anderem Tom Morello (Rage Against the Machine) und Slash (auch Guns'N'Roses) als Gitarristen ist die Backing-Band dieser LP eigentlich eine formvollendete Supergroup, die darüber hinaus noch durch Gastauftritte von Sir Elton John sowie den bereits benannten Rappern Post Malone und Travis Scott ergänzt wird. Dass dieses sehr ungewöhnliche Rockstar-Konglomerat hier so effektiv zusammenarbeitet, ist einigermaßen erstaunlich und wo gerade Features wie diese auf jedem anderen Album rote Fahnen gewesen wären, tragen sie hier tatsächlich zum Gesamtergebnis bei. Wobei ich wider Erwarten besonders begeistert von den beiden Hiphop-Beiträgen im Closer Take What You Want bin, die echt ziemlich genial sind. Dass so ein Crossover hinhaut, ist absolut fantastisch und ungewöhnlich, wenn man daran denkt, wie schief sowas sonst meistens geht. Und es zeigt, wie viel Hingabe und Energie so gut wie alle in dieses Projekt gesteckt haben und dass Ordinary Man eben doch alles andere als ein seelenloser Cashgrab ist. Klar, es ist kommerzieller Hardrock und wahrscheinlich auch dazu da, den ein oder anderen Kontostand aufzubessern, aber es ist keine Motivation, die einem hier entgegenschlägt. Sondern die eines gut gemachten, würdevollen Comebacks, das in meinen Augen sehr viel aufregender und cooler ist als das von Black Sabbath vor sieben Jahren. Und dass ich diese Dinge mal über eine Soloplatte von Ozzy sage, ist am Ende des Tages noch immer die größte Überraschung.



Klingt ein bisschen wie
Foo Fighters
Concrete & Gold

Soundgarden
King Animal

Persönliche Höhepunkte
Straight to Hell | All My Life | Ordinary Man | Under the Graveyard | Eat Me | Take What You Want

Nicht mein Fall
Today is the End | It's A Raid


Mittwoch, 26. Februar 2020

Rauschfilter

[ actiongeladen | mainstream | umfangreich ]

Man muss sich 2020 meiner Meinung nach gar nicht mehr die Mühe geben, in einer Besprechung über BTS zwingend ihre Herkunft zur Disposition zu stellen, denn nach allen Regeln des Business ist das Septett aus Seoul eigentlich eine klassische Boyband. Sie machen die typische Musik, sie haben ein sehr klares Image und auch ihre Fanbase hat auffällig viele Attribute mit denen gemeinsam, die zu anderen Zeiten One Direction oder Take That hatten. Man könnte sogar argumentieren, dass die Koreaner momentan die populärsten Vertreter dieser Gattung Band an sich sind. Und dass sie auf ihren neueren Alben regelmäßig mit Künstler*innen aus den USA zusammenarbeiten und dort bisweilen auch den gleichen Erfolg haben wie heimische Acts, macht die ohnehin dämliche Einordnung K-Pop für sie (wie für viele ähnliche Gruppen) eigentlich überflüssig. Der einzige wesentliche Unterschied bei ihnen ist, dass sie noch immer zum überwiegenden Teil in ihrer Landessprache singen und ab und zu auch rappen, aber dem Ganzen am Ende einen anderen Namen zu geben als einfach nur Popmusik ist doch Haarspalterei. Und ganz generell finde ich es auch cool, dass solche Phänomene in der heutigen Mainstream-Welt Platz haben und diese Band zumindest ein Tropfen auf den heißen Stein des nervigen Anglozentrismus ist, zumal BTS ja allem Anschein nach auch gute Songs schreiben können. Ich für meinen Teil gehöre zwar zu den Leuten, die die Exportwelle ostasiatischer Acts lange ignoriert haben und behaupte keineswegs, ein Experte zu sein, doch zumindest ihre letzten beiden Platten habe ich gehört und war davon durchaus positiv überrascht. Im Gegensatz zu meinen anfänglichen Erwartungen ist diese Gruppe nicht mal halb so belanglos und unkreativ, wie ich zunächst vermutet hatte und auch wenn ich so schnell ganz sicher kein Fan werde, war ich auf ihr neuestes Großprojekt doch ziemlich gespannt. Wobei die Bezeichung Großprojekt in deutlicher Abgrenzung zu ihren sonstigen Alben gemeint ist, die seit einigen Jahren das Release-Muster von BTS bestimmen. Wo Platten wie ihre letzte Map of the Soul: Persona mit etwa 40 Minuten Länge und diverse vereinzelte EPs und Singles für sie meistens eher eine Art Aufwärmübung sind, gibt es alle paar Jahre jene umfangreiche Bombast-Releases, die gerne mal an die zwei Stunden dauern und den Kern ihrer Diskografie darstellen. Die letzte davon war Love Yourself 轉 Tear von 2018, was bedeutet, dass die Band für ihre jüngste große Nummer nicht mal zwei Jahre gebraucht hat. Map of the Soul: 7 ist mit "knappen" 74 Minuten zwar ein ganzes Ende kürzer als sein Vorgänger, was aber trotzdem nicht ohne ist. Zumal BTS nicht unbedingt diejenigen sind, die eine solche Spielzeit zur klanglichen Diversifizierung nutzen. Man muss der Fairness halber sagen, dass sie das auch nicht so nötig haben wie gewisse andere Leute, denn wenigstens geben sie sich große Mühe, auf Füllersongs zu verzichten und mit ihrer Mixtur aus Rap und Gesang sowie einem Repertoire von immerhin sieben Vokalisten stehen sie schon von Vornherein relativ vielfältig da. Der schlauchende Effekt der Überlänge ist auf 7 ganz sicher nicht so enervierend wie bei so manchem Rapper in letzter Zeit und einzeln für sich sind viele Tracks hier ziemliche Hits. Die unglaubliche Häufung von Stücken, die auch ab und an ziemlich identische Formen wiederholen, sorgt aber letztendlich trotzdem dafür, dass die Platte spätestens nach der Hälfte zu ziemlichem Rauschen übergeht, in dem es für einen wirklichen Aha-Moment eben mehr braucht als einen generischen Trap-Beat oder die ein oder andere Ballade zwischendurch. Wirklich schlecht wird das Album dadurch nie, nur irgendwie ein bisschen egal. Und es ist sehr eindeutig, dass dafür im wesentlichen die Länge verantwortlich ist. Man kann es ja teilweise sogar direkt vergleichen. So gut wie alle Songs, die letztes Jahr auf Persona zu hören waren, tauchen hier ein weiteres Mal auf, nur sind sie im neuen Kontext bestenfalls halb so knackig und kreativ wie auf dem knapperen Kleinformat eine Saison zuvor. In dieser Hinsicht erinnert mich diese LP extrem an den Eurovision Song Contest. Wenn man sich mit dem klanglichen Maßstäben angefreundet hat, sind viele Stücke dabei für sich ziemlich interessant, nur ist man nach einer Weile eben nicht mehr mit der gleichen Euphorie und Konzentration dabei wie am Anfang. Und es ist mir auch absolut klar, dass diese Platte nicht dafür gemacht wurde, um durchgehört zu werden. Die massenweise Aufhäufung von Hits dient im Jahr 2020 hauptsächlich der Erzeugung von Streamingzahlen, bei der jeder Song mehr auch mehr Kohle bedeutet. Und am Ende des Tages sind BTS ja auch immer noch eine durchweg kommerzielle Band, die in solchen Mustern funktioniert. Trotzdem heißt das noch lange nicht, dass man deshalb ein schlechteres Album machen muss und wie wir an Leuten wie Drake sehen, geht auch beides. Map of Soul: 7 steht in meinen Augen am Ende zwar schon auf der Gewinnerseite solcher Alben, die rationalisierten Algorithmus-Pop und kreative Ansprüche ganz gut vereinen, allerdings nur durch ihr echt gutes Songwriting und ihr instinktives Gespür für Hits. Und das ist dann wiederum frustrierend, denn mit etwas mehr Fokus, Kontext und künstlerischer Filtration könnte diese Band eine wirklich geniale Pop-Platte machen. Momentan muss man die Spreu noch sehr vom Weizen trennen, was enervierend sein kann. Aber daran müssen wir uns wahrscheinlich einfach gewöhnen.



Klingt ein bisschen wie
Ariana Grande
Thank U, Next

Ed Sheeran
X

Persönliche Höhepunkte
Boy With Luv | Dionysus | Black Swan | ON | UGH! | Inner Child | Respect | We Are Bulletproof: the Eternal

Nicht mein Fall
-


Dienstag, 25. Februar 2020

Ein weites Feld

[ düster | karg | unterschwellig | britisch ]

Es ist an sich ja eine super Sache, dass Archy Marshall sich musikalisch inzwischen selbst gefunden hat. Sein stilistisches Identitätssuchungs-Tingeltangel zwischen seinem Debüt von 2013 und dem erretenden Zweitwerk the Ooz vier Jahre später war ja teilweise nicht mehr mit anzusehen und ich hatte für ein paar Jahre schon die Hoffnung verloren, King Krule würde jemals der Künstler werden, den anfangs alle in ihm sehen wollten. Doch gemessen daran, wie genial besagte zweite Platte letztlich war, hat sich die ganze Tortur ja anscheinend gelohnt und mittlerweile kann man sich auch sicher sein, dass Marshall in dieser Inkarnation seines Sounds erstmal angekommen ist. Zwar ist die trübe Düsterbrühe aus Postpunk, experimentellem Jazz, Jangle-Indie und Hustensaft-Delirium, die der Brite seit einigen Jahren spielt keine, die ihn zum neuen Indiedarling machen wird wie ursprünglich prognostiziert, dafür ist sie authentisch, kreativ, auf eine eigenwillige Weise sehr originell und gerade wenn wir nochmal von the Ooz sprechen wollen, auch sehr vielfältig. King Krule hat sich mit dieser LP seine eigene Nische in der modernen Popmusik geschaffen, was für sich gesehen eine wichtige Leistung für sein künstlerisches Dasein war. Mindestens genauso spannend ist aber, wie es von da aus weitergeht. An Man Alive!, dem Nachfolger seines Meisterwerks, hat Marshall nun wieder drei Jahre lang herumgedoktert, und das diesmal ohne zwischenzeitliche Ausflüge als Rapper und DJ. Etwas neues und besonderes war hier also durchaus erwartbar und mittlerweile hatte ich auch genug Vertrauen in diesen Typen, das ich eine LP von der Tragweite the Ooz durchaus für möglich hielt. Dass sie fast genauso klingt, war damit dann aber nicht unbedingt gemeint. Wobei das eigentlich halb so wild ist. Natürlich gibt es schlimmeres als eine Platte, die den sehr guten Stil ihres Vorgängers weiter erforscht und die klangliche Sicherheit von King Krule zementiert, doch ist mir die ganze Nummer hier stellenweise doch ein bisschen suspekt. Denn obgleich Man Alive! prinzipiell einen erfolgsversprechenden Weg verfolgt, ist die Sache in vielen kleinen Aspekten das entscheidende bisschen schwächer als ihr Vorgänger. Auch wenn das auf den ersten Blick sicher nicht auffällt, denn viele Elemente sind hier weiterhin stark. Die flirrenden Saxofone in Airport Antenatal Airplane, die dreckigen Surfrock-Licks in Energy Fleets, der fast ambiente Closer Please Complete Thee und natürlich Archys schmuddeliges londonerisches Lamento in allen Tracks machen hier mächtig Bock und führen die Handschrift von the Ooz sehr vernünftig weiter. Auch die leicht vermehrten Jazz- (und Bossa Nova!)-Einflüsse sowie das insgesamt etwas stillere Songwriting kommen klasse rüber und gerade im Schlussteil der LP ist Man Alive! teilweise so gut wie sein Vorgänger. Auf der anderen Seite gibt es dann aber auch so Songs wie Stoned Again oder Cellular, auf denen King Krule ziemlich stumpf wirkt oder solche wie Alone, Omen 3 und (Don't Let the Dragon) Draag On, die einfach wenig zum Gesamtkonzept beitragen. Fast auf der gesamten ersten Hälfte der Platte klingt Marshall dazu wie die untote Freejazz-Version von MacDeMarco und hat dabei durchaus die gleichen Probleme wie das Original, nicht schon auf dem dritten Album nach seinem eigenen Klischee zu klingen. Setzt man das alles zusammen, ist hier vom nächsten großen Meisterwerk des Briten bis zu sehr fragwürdigen Cuts eine ganze Menge dabei und ein übergreifendes Fazit ist so gut wie unmöglich. Ich mag Teile dieser Platte wirklich gerne, andere aber auch wirklich nicht. Und zu sagen, dass die LP so Mittel ist, würde keiner Ausprägung so richtig gerecht werden. Letztendlich steckt eine ziemlich gute klangliche Basis in Man Alive! und wie gesagt mag ich den Style von King Krule mittlerweile wirklich gerne. Unterm Strich ist es also eher ein tolles Gesamtwerk mit ein paar groben Schnitzern als ein prinzipieller Ausfall mit zufälligen Glückstreffern. Nach drei Jahren ist das für jemanden wie Archy Marshall aber trotzdem nicht das Gelbe vom Ei und dass er kreativ nicht zu mehr fähig wäre, glaube ich ihm kein Stück. Nicht nach dem, was er hier in seinen besten Momenten andeutet.



Klingt ein bisschen wie
Mac DeMarco
This Old Dog

Marching Church
The World is Not Enough

Persönliche Höhepunkte
Comet Face | the Dream | Perfecto Miserable | Airport Antenatal Airplane | Theme for the Cross | Underclass | Energy Fleets | Please Complete Thee

Nicht mein Fall
Cellular | Stoned Again


Montag, 24. Februar 2020

No Surprises

[ futuristisch | ätherisch | kraftlos ]

Claire Boucher war 2020 lange genug die coolste Socke im Business, so zumindest sieht es seit einer Weile leider aus. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen sie als nerdige Szene-Künstlerin die Standards der modernen Popmusik pushte, indem sie die Einflüsse von obskuren Bandcamp-Acts und der Vaporwave-Bewegung wirkungsvoll in den Mainstream transferierte und einer ahnungslosen Öffentlichkeit mit ihrer völlig eigenen Ästhetik und ihrer weirden Manic Pixie Dreamgirl-Attitüde Aufmerksamkeit abtrotzte. Spätestens seit ihrer Durchbruchs-LP Visions von 2012 ist sie stattdessen mehr und mehr zum angepassten It-Girl der noblen Hipster-Bohème geworden, die nebenberuflich Schminktutorials für die Vogue veröffentlicht, neue Songs in Kunstgallerien vorstellt, Soundtrack-Arbeiten von Superheld*innen-Blockbuster schreibt und zuletzt vor allem durch ihre Beziehung zum Tesla-Milliardär Elon Musk Kontroversen auslöste. Von ihrer ursprünglichen, nonkonformistischen Coolness ist dabei wenig übrig geblieben, wenn man von ihrer nach wie vor großartigen Musik mal absieht. Zwar hat sich auch diese in jüngster Zeit eher rar gemacht und mit Miss Anthropocene erscheint dieser Tage das erste Grimes-Album seit inzwischen vier Jahren, doch war mir das bei ihr bis dato eigentlich ganz recht so. Weil man sich hier wenigstens sicher sein konnte, dass hinter ihren Platten auch wirklich eine allumfassende Idee steckte und die lange Wartezeit meistens damit einerging, dass die Künstlerin darauf eine mittelgroße kreative Metamorphose durchmachte. Ihre letzte LP Art Angels war nach dem Erfolg von Visions nicht weniger als eine umfassende Neudefinition ihres musikalischen Konzepts, auf dem die Kanadierin sich diverse Instrumente selbst beibrachte und ihren Sound entscheidend ausweitete. Demgegenüber war ich zwar zunächst sehr misstrauisch, doch seitdem ist die LP in meiner Gunst enorm gewachsen und mit ihrer  geschmackvollen Hinwendung zum Pop und der radikalen Auslotung der stilistischen Palette von Boucher in meinen Augen mittlerweile ein großer Fortschritt für das Konzept Grimes. Und nachdem Miss Anthropocene nun wieder eine ähnliche Entstehungsgeschichte wie sein Vorgänger aufzeigte, waren meine Erwartungen diesmal ebenfalls entsprechend hoch. Ursprünglich war die Veröffentlichung der LP ja schon für Herbst 2018 angesetzt, inklusive schon begonnener Promophase, doch zog sich der ganze Zirkus schließlich doch noch bis zum vergangenen Freitag hin. Innerhalb dieser Zeit gab es nochmal diverse Singles, Demo-Leaks und Promo-Aufnahmen, die immer wieder über die Richtung der kommenden Platte spekulieren ließen. Auf diversen Tracks experimentierte sie mit Groove Metal, auf anderen herrschte eher eine elektronisch-ambiente Atmosphäre und wieder andere schienen eine ähnliche futuristische Technologie-Agenda wie ihr berühmter Lover zu propagieren. So richtig schlau wurde man aus dem ganzen Material folglich nicht. Sicher war nur, dass ein großzügiger künstlerischer Schritt absolut im Bereich des erwartbaren war und Grimes sich ästhetisch wahrscheinlich wieder komplett häuten würde. Was dieses Album angeht, war ich also auf alles vorbereitet. Was auf eine Weise schon bedeutet, dass mich das Resultat irgendwie aus der kalten erwischt hat, allerdings auf eine ganz andere Art als ich dachte. Denn mehr oder weniger ist Miss Anthropocene ein sehr ahnbarer Nachfolger für Art Angels, der stilistisch nicht viel neues ausprobiert. Sicher, es gibt hier weniger offensichtliche Hits und Grimes ist insgesamt wieder verschnickter und ätherischer unterwegs, doch der grundlegende Sound ist mit dem des Vorgängers quasi identisch. An manchen Stellen sind sogar deutliche Rückbezüge auf das Konzept von Visions erkennbar, das mit dem letzten Album ja angeblich überwunden war. Die Überraschung dieser LP ist also hauptsächlich die, dass es keine Überraschung gibt. An sich ist das aber ja noch kein Problem, zumindest nicht direkt. Nur muss man eben auch dazu sagen, dass das Songwriting hier an vielen Stellen die abgeschwächte Version des bisherigen boucher'schen Stils ist. Viele Motive hier sind von der Ausprägung her eher subtil gehalten, finden ihre Spannung mehr in den Details als in großen Melodien und gehen nicht so aufs ganze wie die besten Grimes-Stücke der Vergangenheit. Große Ausreißer wie das fast als akustische Ballade angelegte Delete Forever oder den Drum & Bass-Brecher 4 ÆM sind eher selten, stattdessen gibt sich die Kanadierin hier vorsichtig und minutiös. So ein Ansatz kann funktionieren, wie wir in letzter Zeit sehr gut bei jemandem wie Billie Eilish sehen, nur finde ich das in dieser Stärke hier noch nicht wirklich. Weder haben die Songs die unerbittliche Eingängikeit, die Art Angels hatte noch den trippigen, subtil groovigen Vibe der Visions damals ausmachte. Soll heißen, in vielen Momenten kommt Miss Anthropocene einfach nicht so richtig in die Puschen. Wäre ein Song wie We Aprecciate Power aus der Promophase hier gelandet oder einige Dinge mit etwas mehr Bums gemixt worden, hätte das vielleicht anders ausgesehen und die LP hätte wpmöglich etwas mehr Grip. Und teilweise sind es Kleinigkeiten, mit denen der Erfolg eines Stücks steht oder fällt. So gesehen sind viele auch vollkommen okay und keineswegs schlecht in dem Sinne, aber eben ein Schatten des sonst viel präsenteren Songwritings von Claire Boucher. Ich würde zwar nicht so weit gehen, dieses Album als langweilig zu bezeichnen, denn klanglich und produktionstechnisch gibt es hier viele coole Winhelzüge, sie ist nur etwas kraftlos und irrelevant formuliert für mein persönliches Gusto. Zumindest für den Moment. Ich bin mittlerweile vorsichtiger geworden, über neue Musik von Grimes vorschnell Urteile zu fällen, denn erfahrungsgemäß ist mein Eindruck von ihrem Platten auch Jahre nach deren Veröffentlichung dramatischen Schwankungen unterworfen. Und so wie es bisher lief, könnte Miss Anthropocene in zwei Jahren auch mein Lieblingsalbum von ihr sein. Für den Augenblick bin ich jedoch auf jeden Fall der Meinung, dass die Kanadierin hier unter ihrem Niveau arbeitet und eine etwas abgespannte und ahnbare LP macht, die insgesamt zu ihren schwächeren zählt. Was irgendwie noch ein Faktor ist, der sie in meinen Augen weniger cool macht.



Klingt ein bisschen wie
Princess Nokia
A Girl Cried Red

Poppy
Choke EP

Persönliche Höhepunkte
Delete Forever | Violence | 4 ÆM | New Gods | My Name is Dark | You'll Miss Me When I'm Gone | IDORU

Nicht mein Fall
Darkseid


Sonntag, 23. Februar 2020

Retro-Review: Substanzielle Zerstörung

[ postmodern | kalt | entmenschlicht | kaputt ]

Es ist seit Ewigkeiten eine unabstreitbare Tatsache, dass die Beschäftigung mit Drogen in der Musik eine der wichtigsten inhaltlichen Säulen darstellt. Schon seitdem die Idee des Archetyps Rockstar (das Rock ist dabei beliebig austauschbar) in die Welt gesetzt wurde, wird diese auch unmittelbar mit rauschbezwecktem Substanzkonsum in Verbindung gebracht, und das auf tausend verschiedene Arten. Angefangen beim Blues und beim psychedelischen Lucy in the Sky with Diamonds-Tingeltangel der späten British Invasion über Rasta-Reggae und die koksversifften Achtziger bishin zur Techno-Bewegung und den Hustensaft-Rappern von heute ist das gleiche Klischee über die Jahre in immer neuen Formen aufgetreten und neben Sex und Rock'n'Roll nicht umsonst Teil der heiligen Dreifaltigkeit des Pop. Und natürlich ist so ein Thema bei mir am Ende vor allem als Inspirationspunkt für viele musikalische Unternehmungen diverser Ausprägung interessant, mitunter sogar als Impulsgeber ganzer Alben. Ich rede hier aber nicht von den Kreativitätsschüben, die ein David Bowie durch die Einnahme rauher Mengen Kokain angeblich verspürte, sondern tatsächlich über Projekte, die sich auf konzeptuelle Weise mit dem Thema Drogen auseinandersetzen. Platten wie Dopesmoker von Sleep, Atrocity Exhibition von Danny Brown oder indirekt auch Sachen wie Niandra LaDes & Usually Just A T-Shirt von John Frusciante. Musik eben, die ein Gefühl kommuniziert, das mit der Substanz in Verbindung steht und im besten Fall auch das Drumherum einfängt. Dass der Großteil solcher Alben dann eher wenig blumig ausfällt und mir manche davon sogar echt Angst machen können, macht sie dabei als künstlerisches Dokument meistens noch wertvoller. Und eines der besten Beispiele für so ein Dokument ist in meinen Augen die dritte LP von den Einstürzenden Neubauten, die auch 35 Jahre nach ihrer Veröffentlichung immer noch ein ziemlich krasses Statement in diese Richtung ist. Vor allem, weil sie sehr effektiv die hässlichen Seiten der rock'n'rolligen Rauscherfahrung beschreibt. Nominell befasst sie sich dabei vor allem mit der Droge Speed, die quasi sämtliche Mitglieder der Band in den frühen Achtzigern exzessiv konsumierten, praktisch gesehen könnte es hier aber um so gut wie jede Substanz gehen. Denn was in den Songs so treffend beschrieben wird, ist vor allem die grausige Spirale von Kicks, Abhängigkeit und Verfall, die mit dem grenzgängerischen Lifestyle einhergehen, den die Band damals lebte. Wobei eine solche Auseinandersetzung immer auch ein bisschen autobiografisch ist. Dass jemand wie Blixa Bargeld nicht zur harmonischen Verklärung von Zuständen neigt, sollte ja eigentlich kein Geheimnis sein, dennoch ist die kränkelnde, expressive Poesie, die er hier findet ganz besonders passend, um sein Innenleben im Rausch zu beschreiben. Und das sowohl in metaphorischer als auch in wahrhaftiger Hinsicht, denn viele Texte hier sind tatsächlich sehr physisch. Äußerst bildhaft wird in den acht Tracks der Verfall des eigenen Organismus, das Delirium der ewigen Wachphasen sowie die Anspannung des Entzugs dargestellt, sodass man sich teilweise fühlt wie im Körper des Protagonisten selbst, der im Laufe des Albums mehr oder weniger stringent die Stationen eines Trips durchläuft. Yü-Gung (Fütter mein Ego) beginnt dabei mit der vereinnahmenden Hybris des Rauschs und ist musikalisch das Neubauten-Äquivalent eines Partysongs, der in Z.N.S. und Trinklied zum höllischen Exzess wird. Sehnsucht kippt diese Stimmung in die depressive Betaphase und den Schmerz des Entzugs, bevor Der Tod ist ein Dandy später den Zusammenbruch des Organismus anreißt und mit Letztes Biest (am Himmel) am Ende doch noch die Rückkehr in die verkaterte Restrealität kommt. Die Ästhetik der Texte ist dabei fast vollständig entmenschlicht und vom Wahnsinn durchwirkt, was sich natürlich auch in der Musik wiederspiegelt. Nach den komplett formlosen ersten beiden Neubauten-Platten Kollaps und Zeichnungen des Patienten O.T. ist Halber Mensch mit seinem zumindest erkennbaren Songwriting zwar sowas wie die "Pop-Variante" des Kollektivs, doch natürlich ist auch das noch weit entfernt von Konventionalität. Das Instrumentarium der Berliner besteht im wesentlichen weiterhin aus Dingen, die man im eher bei Hornbach als bei Thomann findet und die stilistische Bezeichung Industrial ist hier im Sinne von Maschinenmusik durchaus wörtlich zu nehmen. Neu ist hier der umfassende Einsatz von Synthesizern sowie einiger Sampling-Techniken, die Mitte der Achtziger tatsächlich noch zur Hardware der Avantgarde gehörten. Mit Gareth Jones produzierte die Platte außerdem der spätere Haus- und Hofproduzent von Depeche Mode, der hier für einen ziemlich sauberen und fetten Sound sorgt. Durch sein zutun klingt Halber Mensch so großartig detailliert und ordentlich, trotz aller Stilbrüche und wilden Experimente und hebt die Einstürzenden Neubauten klanglich tatsächlich aus ihrem Dasein als Band heraus, die einfach nur Lärm macht. Im Nachhinein betrachtet ist diese LP damit eine unglaublich wichtige für die Berliner, da sie nicht nur den Zeitgeist und die Biografien der Mitglieder einfängt, sondern sie auch die große künstlerische Kraft aufzeigt, die sie in ihrer späteren Karriere massieren sollten. Auf Halber Mensch zeigt sich, dass diese Formation eben nicht nur zur archaischen Provokation gut ist, sondern ebenso gut ein lyrischen Konzept tragen, halbwegs strukturierte Songs schreiben und sich stilistisch erweitern kann. Tatsächlich ist das hier auch eine der wenigen Platten, bei der ich ausdrücklich zur Anschaffung einer Deluxe-Version rate, da es darauf außerdem noch den großartigen Noise-Neunminüter Das Schaben sowie ein Cover von Lee Hazlewoods Sand gibt, die nochmal zusätzliche Vielfalt in das Album bringen und es klanglich ziemlich stimmig abrunden. Sowohl mit als auch ohne Bonustracks ist das hier aber ein musikalisches Statement, das für mich ein sehr besonderes ist und mich seit Jahren immer wieder beeindruckt. Ich bin manchmal noch vorsichtig, es als eines meiner absoluten ewigen Lieblingsalben zu bezeichnen, weil es mich manchmal doch überfordert oder mich künstlerisch noch immer vor Rätsel stellt. Ganz zu schweigen davon, dass das hier ganz sicher keine Platte ist, die sich gut zum nebenbei dudeln eignet, weswegen ich sie doch eher selten höre. Wenn ich aber wirklich mal in der Materie bin und mir damit Zeit gebe, begeistert mich Halber Mensch jedes Mal mehr und gibt mir unglaublich viel zum erforschen. Weshalb ich auch unbedingt mal diesen Artikel schreiben wollte. Weil das hier ein Album ist, das mich sehr beschäftigt. Und es ganz sicher auch noch eine Weile tun wird.



Klingt ein bisschen wie
Suicide
Suicide

Scott Walker
Bish Bosch

Persönliche Höhepunkte
Halber Mensch | Yü-Gung (Fütter mein Ego) | Z.N.S. | Seele brennt | Sehnsucht (Zitternd) | Der Tod ist ein Dandy | Letztes Biest (am Himmel) | Das Schaben | Sand

Nicht mein Fall
-


Samstag, 22. Februar 2020

Das gute Zeug

[ hartkantig | schmissig | groovy ]

Die Trap-Bewegung mag im allgemeinen immer wieder ein Phänomen sein, mit dem ich so meine Probleme habe und das mich immer wieder vor neue Rätsel stellt, eines kann man aber definitiv sagen: In den letzten zehn Jahren wurde der internationale Mainstream tatsächlich auch immer von denen mitbestimmt, die stilistisch zu den progressiven und innovativen Impulsgeber*innen in der Szene gehörten. Ob das nun die Migos, Lil Peep oder Travis Scott waren, fast immer war jemand im Zentrum des klanglichen Interesses, der auch wirklich etwas sinnvolles dazu beitragen konnte. Und meiner Meinung nach ist das ein äußerst wertvoller Zustand. Denn wie es aussehen kann, wenn dem nicht so ist sieht man ja zurzeit ganz gut in Deutschland, wo die wirklich spannenden Acts noch immer größtenteils im Untergrund schimmeln, während hirntoter Cloud-Schlager so erfolgreich ist wie noch nie. Aber so blöd das auch ist: Eigentlich ist es ja die Regel. Und besonders nach einem gerade vergangenen Jahrzehnt, das so dermaßen von den Einflüssen des Trap geprägt wurde, ist es nur logisch, dass inzwischen ständig Trittbrettfahrer auf den Plan treten, die sich musikalisch ins gemachte Nest setzen und den schnellen Erfolg in der Bewegung suchen. Ein mittlerweile auch hierzulande ziemlich erfolgreiches Modell dieser Art hört auf den Namen $uicideboy$ und besteht aus den zwei ehemaligen Punkern $crim und Rudy Da Cherry aus New Orleans, die bereits 2014 ins lukrative Cloudrap-Geschäft umsattelten und seit ihrer Gründung vor allem für ihren üppigen Release-Kalender bekannt sind. Bewusst distanziert geben sie ihrer Musik die Eigenmarke 'Shadow Rap', die künstlerische Souveränität ausstrahlen soll, letztendlich bedeutet das aber auch nur, dass sie eine eher traditionell hartgesottene Spielart von Südstaaten-Trap mit Horrorcore-artigen Texten bevorzugen. Und bisher waren sie damit auch eher eine Gruppe unter vielen, die mir im großen Raster der Yungs und Lils nicht weiter auffiel. Zumindest bis letzten Freitag, als mit Stop Staring at the Shadows ihr erstes Projekt im neuen Jahr erschien. Nominell gibt es dabei erstmal wenig besonderes, denn mit 12 Tracks in 26 Minuten ist das hier ein weiteres ihrer typischen Kleinformate, mit denen sie schon seit Gründung den Großteil ihrer Diskografie pflastern. Interessant wird es erst dann, wenn man sich diese Songs mal richtig anhört. Schon beim ersten Durchlauf der Platte fiel mir auf, wie viel schmissiger und fetter die $uicideboy$ hier insgesamt klingen und was für ein unglaublich lebhafter Vibe von diesen Songs ausgeht. Von den wenigen Sachen, die ich bisher von der Band gehört habe, hob sich das hier direkt auf Anhieb durch viel mehr Stimmigkeit, Kreativität und Klasse ab und ich hatte zum ersten Mal wirklich Spaß dabei, diese Jungs zu hören. Und nach einigen weiteren, analytischeren Hördurchgängen kann ich auch ungefähr sagen, warum. Wenn Stop Staring at the Shadow in einer Sache gut ist, dann die Auswahl diverser Einflüsse aus allen möglichen Nischenströmungen des Cloudrap zu stibizen und damit gekonnt zusammengefügt ein extrem unterhaltsames Gesamtergebnis zu schaffen. Vom klassischem Atlanta- und New Orleans-Sound über Emo-Trap und düsteres Hihat-Geballer bishin zu Versatzstücken aus Dancehall, Industrial und Metal ist hier fast alles dabei und die beiden nehmen hier so gut jede Strömung mit offenen Armen auf. An manchen Stellen erinnern sie mich sogar ein Protagonist*innen aus europäischen Szenen, die in Amerika ja prinzipiell kein so gutes Standing haben. Als Produzenten schneidern sie dabei für fast jeden Track eine völlig andere Marschrichtung, für die sie dann als Rapper fast immer eine passende und kreativ gestaltete Vokalperformance finden. Songwriting-technisch ist dabei so gut wie jeder davon brilliant und die sprechgesanglichen Skills, überraschten mich ebenfalls durch ihre Vielschichtigkeit. Autotuniges Emo-Gecroone hat hier ebenso Platz wie berstiger Hartkanten-Rap, jamaikanisches Toasting und vom der lokalen Bounce-Bewegung inspirierte Flows. Trotz aller Vielfalt hat Stop Staring at the Shadows dabei am Ende eine sehr kohärente Struktur, die selbst stilistisch weniger sprunghafte Rap-Platten nur selten vorweisen können, was mich als LP-Autist zusätzlich glücklich macht. So schaffen es die $uicideboy$ hier, in nur 26 Minuten ein ziemliches Volumen an Inspirationen zu einer äußerst geschmackvollen Rap-Platte zu formen, die sogar noch jede Menge Spaß macht. Letztendlich ist dieses Album eigentlich nur eine Sache nicht, und das ist originell. So schön gepuzzelt, kompositorisch spannend und energisch performt das meiste hier auch sein mag, technisch gesehen ist es nur eine gut gemachte Fusion der Stile, die vorher bereits andere ausgeheckt haben. Und wo Travis Scott und Gucci Mane vor Jahren noch experimentieren und ausprobieren mussten und dabei natürlich bisweilen floppten, nehmen sie sich jetzt einfach die bewährten Stilmittel und verkonstruieren sie miteinander. Das ist zwar keinesfalls verwerflich und in meinen Augen sogar ein bisschen clever, visionär ist aber auch was anderes. Wobei das das einzige wäre, das diesem Album in seiner Gesamtheit fehlt, um mich komplett von den Socken zu hauen. Das und dass es vielleicht ein bisschen länger wäre.



Klingt ein bisschen wie
LGoony
Grape Tape

Yung Lean
Unknown Memory

Persönliche Höhepunkte
I Wanna Be Romanticized | One Last Look at the Damage | [whispers indistintly] | Mega Zeph | Putrid Pride | That Just Isn't Empirically Possible | What the Fuck is Happening | Scope Set

Nicht mein Fall
-


Freitag, 21. Februar 2020

Der Mann ohne Eigenschaften

[ seicht | gefällig | fragwürdig ]

Dass Changes dieser Tage das erste Album von Justin Bieber ist, das innerhalb der letzten fünf Jahre erschienen ist, macht vor allem anderen eine Sache sehr deutlich: Für den Kanadier ist es schon lange nicht mehr die Musik, die ihm im wesentlichen seine Brötchen bezahlt, ganz besonders nicht die eigene. Als Instagram-Ikone, Model, Person des öffentlichen Interesses und gelegentlicher Feature-Gast ist der einstige Teeniestar inzwischen zum popkulturellen Generalisten geworden, die sich im boulevardesken Tagesgeschehen einfach relevant anfühlen, und sei es nur als abschreckende Beispiele. Zehn Jahre nach seinem Durchbruch als Bravo-Schreck ist es immer noch erstaunlich salonfähig, Privat- und Beziehungsleben des Celebritys großzügig durch den Kakao zu ziehen, was für einen ehemaligen Kinderstar, der langsam aber sicher auf die 30 zugeht, schon beeindruckend ist. Wenn man Biebs eines zugute halten kann, dann ist es seine unerbittliche Präsenz in der Medienlandschaft der letzten Dekade und dass er, nachdem er die Hälfte davon keine selbst iniziierte Musik mehr gemacht hat, mit einem neuen Album immer noch mächtig viel Buzz erzeugt. Was mich vor die etwas seltsame Frage stellt, was ich 2020 eigentlich für Erwartungen an diesen Typen habe. Dass ich seine letzte Platte Purpose anscheinend ein bisschen mochte, sagt mir der Artikel, den ich 2015 darüber schrieb und ja, aus diese Zeit gab es seine bisher besten Songs. Doch fühlt sich das alles mittlerweile so weit weg an, dass ich daraus keinerlei Aussage ziehen kann und wenn ich an die letzten Jahre denke, gab es praktisch keine (musikalische!) Aktion des Kanadiers, an die ich mich wirklich lebhaft erinnere. Wo er in seiner Frühphase wenigstens noch nervige Ohrwürmer hatte, sind seine Songs ab der letzten LP in meiner Erinnerung quasi nicht mehr vorhanden. Und am Ende ist das vielleicht auch das treffendste, was ich über seinen Output seitdem sagen kann: Künstlerisch ist Justin Bieber ein Mann ohne Eigenschaften geworden. Features mit ihm lohnen sich deshalb, weil man mit seinem Namen im Track mehr Streams generieren lassen, sodass es egal ist, was er darauf eigentlich macht und, weshalb er am besten garnicht so viel macht. Und für Changes scheint in vielerlei Hinsicht das gleiche zu gelten. Zwar vermarktete sich die Platte im Vornherein als eine Art von persönlichem R'n'B-Seelenstriptease, auf dem der Künstler sich emotional nackt und ehrlich zeigt, doch wenn dem wirklich so ist, hat der arme Typ allem Anschein nach tatsächlich nicht den Hauch von Charakter. Denn was man auf diesen 51 Minuten hört, sind nicht mehr als vorsichtige Allgemeinplätze darüber, wie viel besser und angekommen er sich inzwischen in seinem Leben fühlt (viele davon in Bezug auf seine Ehe) und die Light-Version der musiktherapeuthischen Aufarbeitung, die im Moment so ziemlich jeder Popstar einmal machen muss. Die große Farce dabei ist, dass es sich hier tatsächlich anfühlt, als würde Bieber das nicht aus ernsthaften Motiven tun, sondern weil es gerade so cool ist. Und die "Beichten" und "Zugeständnisse" die er hier tätigt, sind dann auch nicht selten eher cringy, bisweilen sogar ein bisschen gruselig-Fuckboy-mäßig. Musikalisch ist das ganze ebenfalls maximal dröge und stinkt in Sachen kompositorischer Action sogar gegen das schon sehr schläfrige Purpose ab. Einige Songs sind akustische Balladen, auf anderen gibt es R'n'B-Trap oder soften Soul, so gut wie alle klingen aber sehr gleichförmig und monoton. Mit Leuten wie Post Malone, Kehlani, Quavo und Travis Scott trägt auch die Feature-Liste so gut wie nichts zur Vielschichtigkeit der Platte bei, bis auf den Gastpart in Running Over, wo ausgerechnet Lil Dicky den besten Part rappt, den ich von ihm je gehört habe. Zu allem übel kommt hinzu, dass Bieber mit jedem Album ein mieserer Sänger wird und hier nicht mal mehr versucht, dynamisch oder gar emotional zu performen. Addiert man das alles zusammen, ist Changes unterm Strich eine gute Stunde völlig lahmarschiger, zäher, zahnloser Songs, die absolut nichts zum musikalischen Charakter Justin Bieber hinzufügen und den Einprägsamkeits- und Unterhaltungsfaktor eines Telefonbuchs haben. Für die Marketing-Abteilung ist das gut, denn die Platte stößt künstlerisch nicht an und die Streams kriegt sie am Ende trotzdem. Und wenn nicht ist es auch halb so wild, weil die Musik für diesen Kerl eh nur noch eine Art Alibi-Funktion erfüllt. Kreativ gesehen ist sowas aber ziemlich ekelhaft und es macht mich traurig über die Art und Weise, wie das Business mittlerweile funktioniert. Und dass es das für Justin Bieber wahrscheinlich noch eine Weile tun wird.



Klingt ein bisschen wie
the Weeknd
My Dear Melancholy

Ariana Grande
Sweetener

Persönliche Höhepunkte
Running Over | Second Emotion | Get Me

Nicht mein Fall
Intentions | Yummy | Take It Out On Me | E.T.A. | That's What Love Is

Mittwoch, 19. Februar 2020

Wir geben Vollgas

[ rauhbeinig | spaßig | kreativ ]

Es ist ein bisschen ein Geheimnis und niemand scheint so richtig Notiz davon genommen zu haben, doch in den letzten zehn Jahren sind Kvelertak still und heimlich eine der besten Hardcore-Bands in ganz Europa geworden. Lange sind zwar die Zeiten vergangen, in denen ihr selbstbetiteltes Debütalbum im Heimatland Norwegen eine goldene Schallplatte einheimste und sich die coolen Kids weltweit von Casper bis Dave Grohl in ihr Merchandise einkleideten, doch in den Folgejahren des Hypes hat die Gruppe aus Stavanger tatsächlich das beste getan, um daran nicht mehr gemessen werden zu müssen. Und das mit Erfolg. In einer vom anfänglichen Erfolg angenehm unbeeindruckten Weise und mit bewundernswerter Gründlichkeit in ihrer musikalischen Arbeit, bei der Qualität ganz klar den Vorzug vor Quantität bekam, haben Kvelertak es peu à peu geschafft, ihren Sound nicht nur zu stabilisieren, sondern ihn um diverse Aspkete auszuweiten und größer zu machen. Nachdem ihre zweite LP Meir 2013 noch ein schweres Formtief in Folge des großen Hypes aufzeigte, war es 2016 der Nachfolger Nattesferd, der die Norweger an der eigenen Headbanger-Mähne aus dem Sumpf zog und mit Vollgas nach vorne ging. Die Band lenkte ihren klanglichen Fokus hier verstärkt auf oldschooligen Heavy Metal und Hardrock (dem sie ästhetisch ja schon immer näher standen als ihren eigentlichen Wurzeln in der skandinavischen Hardcore-Punk-Bewegung), experimentierten an allen Ecken und Enden und wurden vor allem leichter und eingängiger. Die Platte wurde für mich ein überraschendes Highlight der damaligen Saison und setzte eine Kreativität in dieser Gruppe frei, die ich von ihnen nie vermutet hätte. Was Splid, ihr erstes Album seitdem, im Vorfeld natürlich unglaublich interessant machte. Zum einen waren Kvelertak hier mehr oder weniger von allen Konventionen befreit, was sie stilistisch in diverse Richtungen führen konnte, was prinzipiell ja ziemlich toll ist. Zum anderen war ich ob der ersten Vorboten der LP aber auch einigermaßen skeptisch, ob die von ihnen eingeschlagene Richtung denn von Vorteil wäre. Mit ihren ersten Songs in englischer Sprache und einem Gastauftritt von Mastodon-Frontmann Troy Sanders sendete die Band in ihrer Promophase seltsame Signale und ich hatte ein bisschen Angst, dass die Norweger es diesmal vielleicht übertreiben würden mit dem Spieltrieb. Im Endeffekt unberechtigt, denn Splid ist wahrscheinlich das stärkste und kreativste Album, das es von ihnen bisher gibt. Ganz im Stil von Nattesferd ist auch LP Nummer vier extrem vielschichtig und bunt, lässt viel Luft an den brachialen Hardcore-Sound und ist unmöglich in eine stilistische Nische zu packen. Mehr noch als auf dem Vorgänger gehen hier Einflüsse aus Heavy Metal und Hardrock, mitunter sogar aus Prog, Black Metal und Folk mit ein, die Kvelertak teilweise an Acts wie Baroness oder ihre Landsmänner Spidergawd erinnern lassen. Ihre Kernkompetenzen bleiben dabei im wesentlichen aber erhalten, was bedeutet, dass die Platte trotz aller experimentellen Ansätze am Ende noch immer ein fettiges Stück skandinavischer Rockbretter bleibt. Das Riffing ist unglaublich schmissig, die melodischen Hooks kann man prima mitgrölen und dass mit Ivar Nikolaisen seit 2018 ein neuer Sänger dabei ist, hätte ich zunächst fast gar nicht gemerkt. Dass die Texte hier nun manchmal auf englisch sind und an ausgewählten Stellen Gastperformances zu hören sind, macht viele Songs nicht unbedingt besser, stört aber auch in den wenigsten ernsthaft. Der Fokus liegt eher auf den klanglichen Veränderungen, die hier noch besser und wirkungsvoller als auf Nattesferd umgesetzt werden und mich immer wieder neu überraschen. Zehn Jahre nach dem großen Hype um ihr Debüt haben Kvelertak somit ein Album aufgenommen, auf dem sie sich tatsächlich als die gigantische Band von internationalem Rang etablieren, die sie schon damals sein sollten. Und dass es jetzt nicht mehr so viele Leute interessiert, ist vielleicht sogar besser für sie, denn so können sie weiter in Ruhe an ihrem Sound schmieden, damit er auch weiterhin einer der besten in Europa bleibt.



Klingt ein bisschen wie
Spidergawd
Spidergawd IV

Baroness
Purple

Persönliche Höhepunkte
Rogaland | Crack of Doom | Necrosoft | Bråtebrann | Uglas Hegemoni | Fanden ta Dette Hull | Delirium Tremens | Ved Bredden Av Nihil

Nicht mein Fall
Tevling


Dienstag, 18. Februar 2020

It's Evolution, Baby!

[ edel | ätherisch | routiniert ]

Es ist inzwischen ziemlich genau zehn Jahre her, dass im Mai 2010 das erste Album von Kevin Parker unter dem Namen Tame Impala erschien, und an sich könnte man argumentieren, dass das ja keine allzu lange Zeit gewesen ist. Zumindest dann nicht, wenn man bedenkt, dass wir hier von einem Projekt reden, dass anhand seiner künstlerischen Entwicklungen und zahlreichen Metamorphosen in der letzten Dekade auch schon mindestens doppelt so lange am Start sein könnte. Zwar gibt es von den Australiern bis heute nominell gerade Mal vier vollwertige Alben plus einiger EPs uns Singles, doch ist es einigermaßen beeindruckend, welche Verwandlungen diese Band seit Innerspeaker durchgemacht hat. Stellt man ihr Debüt mit dem gerade frisch geschlüpften neuen Longplayer the Slow Rush gegenüber, fühlt sich das an, wie jemandem nach langer Zeit wiederzubegegnen, der inzwischen graue Haare bekommen und 50 Kilo abgenommen hat. Man erkennt schon wer es ist, doch die gleiche Person ist irgendwie es nicht mehr. Und im Fall von Kevin Parker bedeutet das für mich leider vor allem, dass seine Musik mit der Zeit nachgelassen hat. Wo besagtes Debüt, welches als einzige Tame Impala-Platte unter meinen Favoriten der letzten Dekade landete, für mich noch ein offenbarendes Highlight moderner psychedelischer Musik war, beschreibt ihre nachfolgende Diskografie in meinen Augen einen kaum bemerkbaren, aber dennoch stetigen Abwärtstrend. Die Evolution dieses Projekts passierte über die Jahre so organisch, dass man die Veränderung zwar aufnahm, sie sich aber wie eine völlig logische Entwicklung anfühlte, weshalb es auch niemals schockierende Stilbrüche öder plötzliche Totalausfälle von Parker gab. Gleichsam habe ich mich aber auch daran gewöhnt, mich bei ihm sukzessive mit immer weniger zufriedenzugeben, was mittlerweile dazu führt, dass mich ein so okayes Album wie dieses schon fast positiv überrascht. Und dabei ist the Slow Rush weiß Gott nicht uninteressant geworden. Entgegen meiner anfänglichen Befürchtungen, die Platte würde als dröges, eintöniges Soft-Electronica-Projekt versanden, so wie die ersten Singles befürchten ließen, schafft Parker doch wieder, was er schon die letzten zwei Male geschafft hat: Das Ergebnis ist anders als erwartet, aber das ist auch nicht verkehrt so. Im Sinne seiner klanglichen Evolution von Psychedelic Rock über Disco ist er hier nun in seiner synthetischen Understatement-Pop-Phase angekommen, in der seine Ästhetik edler, glatter, erwachsener und weniger chaotisch und verschnickt wird. Zwar wabert hier noch immer die allgegenwärtige Wall of Sound, das Schlagzeug klingt nach trippiger Hippie-Pappe und die kompositorischen Flächen sind weit, ätherisch und farbenfroh, doch kann man den explizit psychedelischen Part seiner Songs spätestens ab hier streichen. In seinem musikalischen Kosmos weiß Kevin Parker inzwischen sehr gut, was funktioniert und was nicht, und zumindest was den Sound angeht, ist diese LP nicht weniger als exzellent. Der Mikrokosmos an Motiven, die hier aufgefahren werden ist absolut faszinierend, das Handwerk der LP eine Wonne und rein von der Atmosphärik ist das hier tatsächlich das bisher reifste aller Tame Impala-Projekte. Die Probleme liegen wie beim letzten Album Currents eher in der Art und Weise, wie das alles zusammengefügt wurde. Wobei das eine auch ein bisschen das andere bedingt. Die traumwandlerische Sicherheit, mit der hier die klangliche Ausgestaltung vorgenommen wurde hat den Nachteil, dass sich mitunter zu sehr auf diese Stärken verlassen wurde und die Komposition deshalb ein bisschen zu safe daherkommt. Ausreißer von der Sorte Borderline, das ein bisschen nach alten Timbaland-Sachen klingt oder das fast folkige Tomorrow's Dust sind Seltenheiten, stattdessen dominieren die schon auf Currents so bewährten Psychpop-Elemente, die inzwischen halt ein bisschen abgenutzt klingen. Es gibt Songs we It Might Be Time, Lost in Yesterday und Is It True, bei denen das ein weiteres Mal sehr gut funktioniert und Parker zumindest seine offenkundigen Talente bestätigt, gerade in der ersten Hälfte passieren dann aber auch solche Sachen wie Posthumous Forgiveness oder Breathe Deeper, in denen das Konzept Tame Impala zum ersten Mal wirklich öde klingt. Und wie durchschnittlich einige Momente hier sind, merkt man teilweise erst ganz am Ende, wenn Parker mit One More Hour doch noch das große Feuerwerk abbrennt. Der siebenminütige Epochal-Closer ist dabei gleichermaßen großartig wie frustrierend, weil er einerseits zeigt, wie spannend und dynamisch auch die erwachsene Version dieser Band klingen kann, zum anderen aber offenbart, was diese LP alles nicht ist. Mit Stücken wie diesem füllten Tame Impala in ihrer Hochphase ganze Alben, was mittlerweile nicht mehr vorstellbar scheint. Und auch wenn dieses Album fünf Jahre gebraucht hat um fertig zu werden, hat es in seiner Gänze schon etwas von unterkühlter Routine. Ich will the Slow Rush nicht verteufeln, da es unterm Strich absolut kein mieses Endprodukt geworden ist und dem Abfall der parkerschen Formkurve zumindest insofern Einhalt gebietet, dass es das Niveau von Currents hält. Meine einzige Angst ist, dass mit dieser LP das gleiche passiert wie mit ihrem Vorgänger und sie in einen völlig unverdienten Legendenstatus verfällt, von dem ich mich am besten gleich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit distanziere.



Klingt ein bisschen wie
Manitoba
Up in Flames

Air
Moon Safari

Persönliche Höhepunkte
Tomorrow's Dust | On Track | Lost in Yesterday | Is It True | It Might Be Time | One More Hour

Nicht mein Fall
Instant Destiny | Posthumous Forgiveness | Breathe Deeper

Montag, 17. Februar 2020

Retro-Review: I Stand Corrected

[ mondän | verspielt | cool ]

Als ich vor einiger Zeit das ungewisse Vorhaben fasste, bei Gelegenheit doch mal einen Artikel über das Debüt von Vampire Weekend zu schreiben, geschah das sicherlich aus dem Wunsch heraus, eine Platte mal wieder richtig abzufeiern. Wenn man Tag für Tag neue Musik hört und sich dabei immer wieder auf diverse Eindrücke einlässt, kann es manchmal frustrierend sein, wie wenig davon die investiterte Zeit tatsächlich lohnt. Eine richtige Perle von Album (und ich meine damit kein okayes oder ganz gutes, sondern eines, dass mich zum Staunen bringt) gibt es auch in der von Releases überfluteten Internet-Zugänglichkeits-Welt eher selten und in meinen Augen ist diese LP hier immer eine dieser besonderen Perlen gewesen. Der mittlerweile legendäre Erstling der Ivy League-Collegeband aus Cape Cod war für mich sehr lange ein Lehrbuchbeispiel für genial gemachten Indiepop der späten Zwotausender-Generation, der wirklich einen Unterschied machte. Eine junge Gruppe Rich Kids von der Columbia University vermengte hier ihre elitäre High Class-Attitüde mit ihrem Faible für Afrobeat, Sixties-Pop, die Talking Heads und Peter Gabriel zu einem immens stylischen und eingängigen kreativen Urknall, der nicht nur einen Sound, sondern eine ganze Ästhetik definierte und bis heute ihr mit Sicherheit bestes Album ist. Ein Geniestreich, den die Band bis heute vergeblich zu erneuern versucht. Für mich ist so ziemlich alles, was von Vampire Weekend in den letzten zehn Jahren veröffentlicht wurde ist in meinen Augen die vergebliche Bemühung, sich stilistisch irgendwie zu erweitern und neu zu formen, im unglücklichen Bewusstsein dessen, dass man bereits auf seinem Debüt die größtmögliche Perfektion des eigenen Sounds gefunden hatte. Wo die klangliche Aufbrechung und Neudefinition beim Nachfolger Contra noch ganz spannend war, sackte spätestens Modern Vampires of the City 2013 ziemlich unglücklich ab und sorgte für einen langen, awkwarden Stillstand der Gruppe für eine halbe Dekade. Father of the Bride war letztes Jahr dann zwar ganz nett, konnte aber auch nicht mehr das retten, was Vampire Weekend inzwischen an Verspieltheit und Naivität verloren hatten. Und mit einer Enttäuschung nach der anderen, die ich in der vergangenen Dekade bei ihnen miterlebte, war es natürlich das von mir so veehrte Debüt, das für alles als ultimative Messlatte herhalten musste. Wobei sich bei mir mehr und mehr das Bild dieses Albums verzerrte und ich es mit der Zeit zu einem unantastbaren, durchweg perfekten und makellosen Goldstandard emporhub, der es eigentlich nie war. Deshalb ist dieser Artikel jetzt vor allem dazu da, um definitiv zu klären, wo diese LP bei mir wirklich steht. Und da sind an erster Stelle natürlich die nach wie vor bestehenden, unumstößlichen Pluspunkte, die schon bei der äußeren Aufmachung beginnen. Was Vampire Weekend hier allein an Image- und Identifizierungsarbeit zustande bringen, war für die Verhältnisse von 2008 einigermaßen ungewöhnlich und neu. Da war eine Band von vier Jungs aus dem wohlhabenden Bildungsbürgertum der Ostküsten-Bohème, die sich nicht anschickte, ihren privilegierten Status möglichst unkommentiert zu verschleiern, sondern die ihn auf ironische Weise sogar zelebrierte und Parade damit fuhr. Diese Kerle waren nicht auf rebellische und konterkulturelle Weise intellektuell, sondern trugen auf Konzerten Lacoste-Polohemden in Pastell, beriefen sich stolz auf ihre versnobte Ivy League-Herkunft und schrieben Songs über Literaturseminare, noble New Yorker Vororte und anglizistische Grammatik. Und dazu passte konsequenterweise auch ihre Musik. Strukturell spielten Vampire Weekend sehr braven und lauwarmen Indiepop, der allerdings gespickt war mit haufenweise hippen Einflüssen aus afrikanischem Folk über Do-Wop-Vokalpolyphonie bishin zu klassischer Barockmusik, der den Gesamteindruck unglaublich bunt und vielschichtig machte. Ezra Koenigs Texte waren dazu eine Mischung aus ironischen Anspielungen, philosophischen und poetischen Beobachtungen sowie einer Prise androgynem Swagger, die das ganze zusätzlich abrundeten. Was dabei am Ende herauskam, hatte jene sehr intellektuelle Coolness, die auch von Wes Anderson-Filmen oder Timothée Chalamet ausgeht. Und was sie damit für Hits abfeuern, ist ebenfalls beachtlich: Songs wie Oxford Comma, Cape Cod Kwassa Kwassa, A-Punk und Campus sind berechtigterweise noch immer die größten Fanfavoriten der Band-Diskografie und in vielen Hinsichten erstaunlich gemachte Tracks. Allein das kompositorische Geschick und die eigenwillige Attitüde reichte aus, um mich wieder und wieder von der immensen Qualität dieser LP zu überzeugen und, so ehrlich muss ich sein, gewisse Schwächen nachträglich zu übertünchen. Denn umso mehr ich mich nun erneut mit diesem Album beschäftigt habe, umso klarer kommen diese doch zum tragen. Da ist zuerst einmal der nicht ganz so optimale Flow der Platte, der mich inzwischen ziemlich stört. Obwohl es hier nicht einen einzigen Song gibt, den ich nicht mag und klanglich alles sehr kohärent ist, gibt es in alledem keine wirklich packende Dramaturgie. Mansard Roof ist als Opener bestenfalls durchschnittlich und hätte besser in den Mittelteil gepasst, dem ganz ähnlich wäre I Stand Corrected ein wesentlich runderer Abschluss gewesen, den stattdessen das etwas magere the Kids Don't Stand A Chance belegt und die elf Stücke sind als Gesamtmasse mitunter doch etwas gleichförmig. Noch dazu muss man ganz klar sagen, dass die Produktion auf allen folgenden Vampire Weekend-Platten eine ganze Ecke besser war. So manches Motiv hier klingt im Vergleich zu den Nachfolgern ein wenig trocken, das Mastering ist äußerst willkürlich und gerade Songs mit aufwendigeren Instrumentierungen wie M79 oder Walcott könnten scheinen sich nicht nicht sicher zu sein, welche Motive sie im Vordergrund haben wollen. Große Teile der Orchestrierung oder Einbindungen von exotischen Einflüssen wirken darüber hinaus eher wie zusätzliche Deko als wie tatsächliche kompositorische Bestandteile, und sind auf späteren Platten, vor allem auf Contra, wesentlich besser ins Songwriting einbezogen. Das alles sind zwar marginale Kriterien und sie kratzen in keinster Weise an der Substanz der Stücke an sich, doch gemessen am makellosen Eindruck, den ich von der LP lange hatte, sind sie offensichtliche Schönheitsfehler. Und sie legen in meinen Augen ziemlich deutlich dar, dass es letztendlich vor allem die Idee dieses Albums ist, die mich so fasziniert. Auf den folgenden Projekten von Vampire Weekend mag die Ausführung und die Technik besser passen, doch fällt darauf eben auch die Ästhetik hintenüber, die dieses Debüt so besonders machte. Was sich auf diesen elf Songs ergibt, ist ein stilistisch vollkommen rundes Bild des coolen Images, das bis heute das Verständnis dieser Gruppe prägt und das sie inzwischen vielleicht lieber los wären. Doch sind die Musiker dahinter anscheinend ausschließlich gut darin, genau diese Sorte Indiepop zu spielen, denn alles andere wirkte später irgendwie befremdlich und seltsam gestellt. Hätte es ein hypothetisches Album zwischen dem hier und Contra gegeben, auf dem Vampire Weekend den Sound, das Grundsongwriting und die Haltung von hier beibehalten, die Arrangements, die Dramaturgie und die Produktion aber eine bessere ist, wäre das möglicherweise die Platte gewesen, für die ich ihr Debüt lange gehalten habe. Großartig finde ich den Erstling am Ende des Tages trotzdem noch und ich bezweifle auch weiterhin, dass die New Yorker irgendwann nochmal ein Album von dieser Stärke veröffentlichen werden, geändert hat sich lediglich, dass ich die LP nicht mehr für etwas glorifiziere, dass sie nie war. Sie ist ein sehr gutes Album und ein erstaunlich cleveres Einstiegswerk, aber eben nicht ohne ihre Fehler und definitiv nicht perfekt. Auch wenn das für mich heißt, eine ganz besondere Perle verloren zu haben.



Klingt ein bisschen wie
Django Django
Django Django

the Strokes
Angles

Persönliche Höhepunkte
Oxford Comma | A-Punk | Cape Cod Kwassa Kwassa | M79 | Campus | I Stand Corrected | Walcott | the Kids Don't Stand A Chance

Nicht mein Fall
-