Freitag, 7. Februar 2020

Krone richten, weitertanzen

[ hedonistisch | emanzipiert | asozial ]

Rainbow war ein Album, das sein musste, darüber gibt es absolut keine Diskussion. Nachdem Kesha 2017 mit Missbrauchsvorwürfen gegenüber ihrem langjährigen Produzenten Dr. Luke eine der ersten  Musiker*innen war, die sich in die aufschwelnde #meetoo-Bewegung einbrachte und klar wurde, was für eine Tortur die erste Hälfte ihrer Karriere anscheinend war, war diese Platte wie Salbe auf einer frischen Wunde. Die Sängerin verarbeitete hier nicht nur ihr existenzielles Trauma und zeigte eindrucksvoll, dass sie mittlerweile über den Dingen stand, sondern machte endlich auch die Art von Musik, die sie selbst machen wollte. Was diese Songs nicht nur emotional stark machte, sondern auch die viel talentiertere Künstlerin enthüllte, die Kesha eigentlich war und die ihr Label jahrelang verbogen hatte. Mit ihrer Hinwendung zu Country, R'n'B und Soul zeigte sie extrem viel Persönlichkeit und beeindruckte mich extrem durch ihre Stärke und Emotionalität, die auch dann berührte, wenn man die musikalische Richtung des Albums nicht unbedingt mochte. Und gerade weil ich es damals versiebte, ausführlich über Rainbow zu schreiben, möchte ich an dieser Stelle unbedingt nochmal meinen Respekt für diese Frau zu äußern und den Schneid bewundern, den sie hat. Das finde ich wichtig. Vor allem deshalb, weil ich gleich im Nachgang sagen muss, wie froh ich darüber bin, dass sie inzwischen auch wieder damit aufgehört hat. Nicht dass ich es nicht verstehen würde, wenn Kesha weiterhin emanzipatorischen Americana-Soul gemacht hätte und die neue Lady Gaga geworden wäre, doch muss ich auch ehrlich zugeben, dass mir dann die hedonististische Draufgänger-Kesha von früher gefehlt hätte. Ihr wisst schon, die Kesha, die ihren Namen unironisch mit einem Dollarzeichen schreibt und die morgens aufwacht und sich wie P Diddy fühlt. Und auf High Road war von Anfang an klar, dass wir wieder mehr von dieser künstlerischen Inkarnation bekommen würden. Mehr noch, die neue Platte ist quasi das beste aus beiden Welten. Was wir hier hören, ist die erwachsene, lebensgezeichnete Frau, die man auf Rainbow hörte, die aber das junge, adoleszente Partygirl in Kesha wieder von der Straße aufsammelt und drei Jahre nach Dr. Luke das hedonistische Album macht, das sie selbst für richtig hält. Bedeutet, dass sie diesmal vor allem sich selbst feiert und der fette Mittelfinger jetzt in eine ganz bestimmte Richtung geht. Und das ist prinzipiell nur ein weiterer Grund, diese Musikerin zu bewundern. Nicht nur, dass sie nach ihrer beschissenen Vergangenheit wieder Bock auf Musik hat, sie haut auch wieder auf die Kacke und ist in ihrer ganzen Ausdrucksweise generell positiv gepolt. Man gönnt Kesha den Spaß, den sie hier hat von Herzen und es ist eine ehrliche Freude, sie wieder so zu hören. Wobei ich dann doch überrascht war, wie sehr die Platte mich auch musikalisch überzeugt hat. Ästhetisch vereint High Road die Inkarnationen der Sängerin in jener Art von schmissigem Country-Pop, die man in den letzten Jahren schon von Miley Cyrus und Halsey gehört hat, nur das hier ein bisschen mehr die Fetzen fliegen. Aus ihren Debüt-Zeiten hat sich Kesha immerhin ihr loses Mundwerk und die etwas asslige Attitüde bewahrt und Songs übers verkatert Aufwachen kann sie immernoch sehr gut schreiben. Das tolle ist, dass sie lyrisch dabei inzwischen viel besser geworden ist und hier tatsächlich ein paar deftige Punch- und Hooklines abliefert ("but I don't wanna go to heaven without raising hell"). Auf der anderen Seite schafft sie es hier, eine handvoll großartiger Balladen wie Shadow, Cowboy Blues oder Chasing Thunder zu versammeln, die ihr kompositorisches Talent noch einmal untermauern. Gefühlsmäßig trifft sie dabei sämtliche Nuancen von Hände in die Luft bis Kloß im Hals und ist dabei erneut extrem authentisch und cool. Das allerdings auch mit gewissen Abstrichen, denn der stilistische Rückbezug auf ihre Frühphase bringt auch einige vergessen geglaubte Schwachstellen zurück. Die offensichtlichste darunter: Kesha kann immer noch nicht rappen. Manche Leute sind ja der Meinung, dass das eigentlich ganz witzig so ist und inzwischen ihren eigener Stil ausmacht, doch mir rollen sich bei manchen Flows noch immer die Zähennägel hoch. Auch die forcierten Skits wie in Kinky sind Sachen, die ich eigentlich passé glaubte, die hier aber plötzlich wieder auftauchen. Und schlussendlich gibt es auch Probleme, die eher wenig mit der Rückkehr zum Debüt Sound zu tun haben, wie zum Beispiel die ausschließlich grausigen Features (Wrabel in BFF kann ich aus emotionalen Gründen noch verstehen, aber Sturgill Simpson und Fig Freedia gehen echt gar nicht) oder das ziemlich chaotische Mastering. Ganz davon zu schweigen, dass manche Motive gespenstisch nach Musik von P!nk klingen, die ja eigentlich schon immer die miesere Kesha war. Aber das sind alles keine Dinge, die das Album für mich komplett ruinieren oder es wie einen Rückschritt von Rainbow wirken lassen. Tatsächlich kommt High Road ganz gut als Allzwecklösung für den Sound der Sängerin, der eben manchmal noch ein paar Kinks aus dem System ausarbeiten muss, aber sich sonst erstaunlich gut gefunden hat. Wenn diese schlussendliche Findung mit den nächsten Platten passiert, wäre das eine absolut großartige Sache und wenn nicht, ist das meiner Meinung nach auch vollkommen okay. Denn was ich darüber denke, wie Kesha heutzutage Musik macht, ist ja nun wirklich irrellevant. Viel schöner ist es zu wissen, dass das hier die Musik ist, die sie wirklich machen will. Und dass gute Laune da definitiv ein Teil von ist.



Klingt ein bisschen wie
Halsey
Manic

P!nk
Funhouse

Persönliche Höhepunkte
Raising Hell | Shadow | Honey | Cowboy Blues | A Little Bit of Love | Birthday Suit | Potato Song (Cuz I Want to) | Chasing Thunder

Nicht mein Fall
Tonight | My Own Dance | Kinky | BFF

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