Montag, 17. Februar 2020

Retro-Review: I Stand Corrected

[ mondän | verspielt | cool ]

Als ich vor einiger Zeit das ungewisse Vorhaben fasste, bei Gelegenheit doch mal einen Artikel über das Debüt von Vampire Weekend zu schreiben, geschah das sicherlich aus dem Wunsch heraus, eine Platte mal wieder richtig abzufeiern. Wenn man Tag für Tag neue Musik hört und sich dabei immer wieder auf diverse Eindrücke einlässt, kann es manchmal frustrierend sein, wie wenig davon die investiterte Zeit tatsächlich lohnt. Eine richtige Perle von Album (und ich meine damit kein okayes oder ganz gutes, sondern eines, dass mich zum Staunen bringt) gibt es auch in der von Releases überfluteten Internet-Zugänglichkeits-Welt eher selten und in meinen Augen ist diese LP hier immer eine dieser besonderen Perlen gewesen. Der mittlerweile legendäre Erstling der Ivy League-Collegeband aus Cape Cod war für mich sehr lange ein Lehrbuchbeispiel für genial gemachten Indiepop der späten Zwotausender-Generation, der wirklich einen Unterschied machte. Eine junge Gruppe Rich Kids von der Columbia University vermengte hier ihre elitäre High Class-Attitüde mit ihrem Faible für Afrobeat, Sixties-Pop, die Talking Heads und Peter Gabriel zu einem immens stylischen und eingängigen kreativen Urknall, der nicht nur einen Sound, sondern eine ganze Ästhetik definierte und bis heute ihr mit Sicherheit bestes Album ist. Ein Geniestreich, den die Band bis heute vergeblich zu erneuern versucht. Für mich ist so ziemlich alles, was von Vampire Weekend in den letzten zehn Jahren veröffentlicht wurde ist in meinen Augen die vergebliche Bemühung, sich stilistisch irgendwie zu erweitern und neu zu formen, im unglücklichen Bewusstsein dessen, dass man bereits auf seinem Debüt die größtmögliche Perfektion des eigenen Sounds gefunden hatte. Wo die klangliche Aufbrechung und Neudefinition beim Nachfolger Contra noch ganz spannend war, sackte spätestens Modern Vampires of the City 2013 ziemlich unglücklich ab und sorgte für einen langen, awkwarden Stillstand der Gruppe für eine halbe Dekade. Father of the Bride war letztes Jahr dann zwar ganz nett, konnte aber auch nicht mehr das retten, was Vampire Weekend inzwischen an Verspieltheit und Naivität verloren hatten. Und mit einer Enttäuschung nach der anderen, die ich in der vergangenen Dekade bei ihnen miterlebte, war es natürlich das von mir so veehrte Debüt, das für alles als ultimative Messlatte herhalten musste. Wobei sich bei mir mehr und mehr das Bild dieses Albums verzerrte und ich es mit der Zeit zu einem unantastbaren, durchweg perfekten und makellosen Goldstandard emporhub, der es eigentlich nie war. Deshalb ist dieser Artikel jetzt vor allem dazu da, um definitiv zu klären, wo diese LP bei mir wirklich steht. Und da sind an erster Stelle natürlich die nach wie vor bestehenden, unumstößlichen Pluspunkte, die schon bei der äußeren Aufmachung beginnen. Was Vampire Weekend hier allein an Image- und Identifizierungsarbeit zustande bringen, war für die Verhältnisse von 2008 einigermaßen ungewöhnlich und neu. Da war eine Band von vier Jungs aus dem wohlhabenden Bildungsbürgertum der Ostküsten-Bohème, die sich nicht anschickte, ihren privilegierten Status möglichst unkommentiert zu verschleiern, sondern die ihn auf ironische Weise sogar zelebrierte und Parade damit fuhr. Diese Kerle waren nicht auf rebellische und konterkulturelle Weise intellektuell, sondern trugen auf Konzerten Lacoste-Polohemden in Pastell, beriefen sich stolz auf ihre versnobte Ivy League-Herkunft und schrieben Songs über Literaturseminare, noble New Yorker Vororte und anglizistische Grammatik. Und dazu passte konsequenterweise auch ihre Musik. Strukturell spielten Vampire Weekend sehr braven und lauwarmen Indiepop, der allerdings gespickt war mit haufenweise hippen Einflüssen aus afrikanischem Folk über Do-Wop-Vokalpolyphonie bishin zu klassischer Barockmusik, der den Gesamteindruck unglaublich bunt und vielschichtig machte. Ezra Koenigs Texte waren dazu eine Mischung aus ironischen Anspielungen, philosophischen und poetischen Beobachtungen sowie einer Prise androgynem Swagger, die das ganze zusätzlich abrundeten. Was dabei am Ende herauskam, hatte jene sehr intellektuelle Coolness, die auch von Wes Anderson-Filmen oder Timothée Chalamet ausgeht. Und was sie damit für Hits abfeuern, ist ebenfalls beachtlich: Songs wie Oxford Comma, Cape Cod Kwassa Kwassa, A-Punk und Campus sind berechtigterweise noch immer die größten Fanfavoriten der Band-Diskografie und in vielen Hinsichten erstaunlich gemachte Tracks. Allein das kompositorische Geschick und die eigenwillige Attitüde reichte aus, um mich wieder und wieder von der immensen Qualität dieser LP zu überzeugen und, so ehrlich muss ich sein, gewisse Schwächen nachträglich zu übertünchen. Denn umso mehr ich mich nun erneut mit diesem Album beschäftigt habe, umso klarer kommen diese doch zum tragen. Da ist zuerst einmal der nicht ganz so optimale Flow der Platte, der mich inzwischen ziemlich stört. Obwohl es hier nicht einen einzigen Song gibt, den ich nicht mag und klanglich alles sehr kohärent ist, gibt es in alledem keine wirklich packende Dramaturgie. Mansard Roof ist als Opener bestenfalls durchschnittlich und hätte besser in den Mittelteil gepasst, dem ganz ähnlich wäre I Stand Corrected ein wesentlich runderer Abschluss gewesen, den stattdessen das etwas magere the Kids Don't Stand A Chance belegt und die elf Stücke sind als Gesamtmasse mitunter doch etwas gleichförmig. Noch dazu muss man ganz klar sagen, dass die Produktion auf allen folgenden Vampire Weekend-Platten eine ganze Ecke besser war. So manches Motiv hier klingt im Vergleich zu den Nachfolgern ein wenig trocken, das Mastering ist äußerst willkürlich und gerade Songs mit aufwendigeren Instrumentierungen wie M79 oder Walcott könnten scheinen sich nicht nicht sicher zu sein, welche Motive sie im Vordergrund haben wollen. Große Teile der Orchestrierung oder Einbindungen von exotischen Einflüssen wirken darüber hinaus eher wie zusätzliche Deko als wie tatsächliche kompositorische Bestandteile, und sind auf späteren Platten, vor allem auf Contra, wesentlich besser ins Songwriting einbezogen. Das alles sind zwar marginale Kriterien und sie kratzen in keinster Weise an der Substanz der Stücke an sich, doch gemessen am makellosen Eindruck, den ich von der LP lange hatte, sind sie offensichtliche Schönheitsfehler. Und sie legen in meinen Augen ziemlich deutlich dar, dass es letztendlich vor allem die Idee dieses Albums ist, die mich so fasziniert. Auf den folgenden Projekten von Vampire Weekend mag die Ausführung und die Technik besser passen, doch fällt darauf eben auch die Ästhetik hintenüber, die dieses Debüt so besonders machte. Was sich auf diesen elf Songs ergibt, ist ein stilistisch vollkommen rundes Bild des coolen Images, das bis heute das Verständnis dieser Gruppe prägt und das sie inzwischen vielleicht lieber los wären. Doch sind die Musiker dahinter anscheinend ausschließlich gut darin, genau diese Sorte Indiepop zu spielen, denn alles andere wirkte später irgendwie befremdlich und seltsam gestellt. Hätte es ein hypothetisches Album zwischen dem hier und Contra gegeben, auf dem Vampire Weekend den Sound, das Grundsongwriting und die Haltung von hier beibehalten, die Arrangements, die Dramaturgie und die Produktion aber eine bessere ist, wäre das möglicherweise die Platte gewesen, für die ich ihr Debüt lange gehalten habe. Großartig finde ich den Erstling am Ende des Tages trotzdem noch und ich bezweifle auch weiterhin, dass die New Yorker irgendwann nochmal ein Album von dieser Stärke veröffentlichen werden, geändert hat sich lediglich, dass ich die LP nicht mehr für etwas glorifiziere, dass sie nie war. Sie ist ein sehr gutes Album und ein erstaunlich cleveres Einstiegswerk, aber eben nicht ohne ihre Fehler und definitiv nicht perfekt. Auch wenn das für mich heißt, eine ganz besondere Perle verloren zu haben.



Klingt ein bisschen wie
Django Django
Django Django

the Strokes
Angles

Persönliche Höhepunkte
Oxford Comma | A-Punk | Cape Cod Kwassa Kwassa | M79 | Campus | I Stand Corrected | Walcott | the Kids Don't Stand A Chance

Nicht mein Fall
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