Sonntag, 30. September 2018

10 Songs im Septemer 2018 (Lana del Rey, Thom Yorke, DCVDNS, Soap & Skin, Scarlxrd, Little Simz und und und)
























1. SOULFLY
Ritual

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Alle reden ja zurzeit vom großen Wiederaufbäumen des New Metal und obwohl ich bisher eher kein großer Fan dieser Idee war, machen ausgerechnet Soulfly mir das ganze jetzt schmackhaft. Die zweitwichtigste von einem Mitglied des Cavalera-Clans geführte Band dieser Erde (die wichtigste sind noch immer Sepultura) gibt es schon fast so lange wie das Subgenre selbst, und es ist nicht davon auszugehen, dass sie dabei mit der selben postironischen Anti-Ästhetik rangehen wie Scarlxrd, über den wir gleich noch reden. Dennoch ist Ritual ein unheimlich grooviger, knüppelharter Brecher, der sogar den berühmten Jonathan-Davis-Scat wieder salonfähig machen will. Und für die Dauer eines Songs finde ich das erstmal gar nicht verkehrt.

2. SCARLXRD
Tell Me Yxu Lxve Me

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Klar ist dieser Song albern, die Lyrics cringy und die Produktion äußerst dürftig, aber mag man Scarlxrd nicht gerade deswegen, weil er so angestengt einen auf edgy düsteren Anime-Emoboy macht? Zumindest mir geht es da so, weshalb eine Trennungsballade von ihm logischerweise pures Gold ist. Zwischen Bring Me the Horizon, Ghostemane und dem ersten selbstgeschriebenen Gedicht eines Vierzehnjährigen gelingt dem MC hier ein wahres Prachtstück des Emo-Rap, das die Dinge, die ihm an inhaltlicher Cleverness fehlen, mit ganz viel Emotion wieder zuteert. So und nicht anders macht man diese Art von Musik: Rumheulen first, Bedenken second.

3. LITTLE SIMZ
Boss

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Little Simz hat wieder Promophase, und Kenner*innen ihrer Musik wissen, was das heißt: Im wöchentlichen Takt erscheinen gerade Songs und Videos, die hoffentlich noch zum Ende dieses Jahres in ein neues Album münden. Im Gegensatz zum (grandiosen!) Vorgänger Stillness in Wonderland sind ihre aktuellen Tracks wieder wesentlich direkter und fokussierter und setzen ganz deutlich auf Simz' Qualitäten als MC. Boss ist unter ihnen der beste, weil er zusätzlich noch eine hammermäßige Hook und einen echt genialen Bass-Lick abliefert, die ihn zu einem dieser versteckten Banger machen, die diese Künstlerin schon immer sehr gut konnte.

4. ROSTAM
In A River

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Ich bin mir nicht sicher, ob Rostam für diesen Song ein Sample aus Eddie Vedders Into the Wild-Soundtrack verwendet hat, passen würde es aber auf jeden Fall: Die erste neue Single des Ex-Vampire Weekend-Manns ist ein euphorischer Sommerhit, in dem es um Sachen wie Nacktbaden, nächtliche Lagerfeuer und Liebe machen im Gebüsch geht. Ganz im Stil dieses pastoralen Charmes wartet der Songwriter hier mit Vance-Joy-Ukulele, atmosphärischen Synths und sogar einer niedlichen Violine auf. Gekittet wird das ganze durch die typisch unkonventionelle Rostam-Beatfrickelei, die am Ende doch noch dafür sorgt, ihn nicht in einem Atemzug mit den Lumineers und George Ezra nennen zu müssen. Definitiv eine der verspäteten großen Sommer-Hymnen dieses Jahres.

5. THOM YORKE
Suspirium

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Nachdem Jonny Greenwood schon lange sein Glück im Feld des Kino-Scores gefunden hat, macht nun auch Kollege Thom Yorke Filmmusik. Und wenn man mal alleine nach diesem ersten Stück Song urteilt, war das seine beste Entscheidung seit langem. Suspirium ist vielleicht der beste Einzeltrack, den er solo bisher aufgenommen hat und in seiner gesamten Art und Weise absolut atemberaubend. Viel von dieser Wirkung ist sicher dem geschuldet, dass Yorke den Laptop hier gegen ein Piano und ein paar Flöten tauscht, doch auch das Songwriting an sich ist in diesen dreieinhalb Minuten einfach Zucker. Vielleicht das erste Mal, dass ein Soloprojekt eines Radiohead-Mitglieds das Wirken der Band wenigstens für eine Weile in den Schatten stellt.

6. DCVDNS & TAMAS
Struggle (prod. AsadJohn)
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Ich mag Struggle, weil es ein sehr ehrlicher Rapsong ist, und weil er das typische Narrativ von Hiphop sehr geschickt umdreht, wie man es zumindest von DCVDNS seit Jahren kennt. Statt um Geld und Autos geht es darin um die sehr realen Schwierigkeiten, seinen Unterhalt mit Musik zu verdienen, sich dabei zwischen Fan-Erwartungen, Realness-Ansprüchen und den eigenen künstlerischen Moralvorstellungen durch die Label-Bürokratie zu winden und dabei trotzdem noch Bock auf den ganzen Mist zu haben. Das tolle dabei ist, das wir das ganze von zwei Rappern erzählt bekommen, die nicht nur technisch, sondern auch Storytelling-mäßig sehr gut aufgestellt sind und gerade Tamas' Strophe geht dabei ziemlich an die Substanz. Ein besonderer Song, bei dem man wieder mal der Überzeugung ist, dass dieser nur existiert, weil Rap auch existiert.

7. SOAP & SKIN
Italy & (This is) Water

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Zuerst ist man ein bisschen verwirrt bei diesem obskuren Song-Doppel von Anja Plaschg, denn einen so warmherzigen Track wie Italy kennt man vo ihr eigentlich nicht. Sonnige Bläsersätze, niedliche Synth-Pluckereien und ein Text, der ein euphorisches Liebesgedicht zu sein scheint. Ist Soap & Skin jetzt etwa weich geworden? Die Antwort darauf gibt (This is) Water wenig später in einem ganz klaren Nein. Auf den euphorischen Sommer-Jam folgt hier ein furchtbar düsterer Choral, der selbst für diese Künstlerin ein ganz schöner Brocken ist. Und wem der Kontrast musikalisch noch nicht reicht: Im verlinkten Video ist all das noch schön verstörend bebildert. Was folgt daraus? Man sollte eine Anja Plaschg nicht unterschätzen, wenn es um klangliche Plot-Twists geht.

8. ADRIANNE LENKER
Symbol
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Vielleicht kennt man Adrianne Lenker als Sängerin von Big Thief, ich allerdings kenne sie auch erst so richtig seit diesem Song, einer wunderbar intimen, runtergefahrenen Songwriting-Nummer, in der Lenker lediglich eine Gitarre braucht, um große Gefühle in Bewegung zu setzen. Viel ist nicht dran an ihrer ersten Single als Solokünstlerin, aber mehr als das hier braucht sie auch nicht. Vielleicht macht sie das zu einem Klischee, in meinen Augen braucht es aber unglaublich viel kompositorisches Talent, um so eine Nummer abzuziehen. Und ich hoffe, dass sie mir wegen noch mehr solcher Sachen auch mal in Erinnerung bleibt.

9. LANA DEL REY
Venice Bitch

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Wir haben lange davon geredet, dass die Musik von Lana del Rey an sich ja ganz cool ist, aber endlich eine frische Beatmung braucht, mal etwas wagen muss und nicht immer das gleiche ausdrücken soll. Und lange schien es so, als wäre das alles reine Hypothese. Bis die Sängerin vor ein paar Wochen dann diese unglaubliche Neun-Minuten-Nummer raushaut, an der keine einzige Sekunde uninteressant klingt. Ihren Vorgänger Mariners Apartment Complex fand ich ja eher so lala, aber das hier ist ihr erster richtig großer Wurf seit Born to Die-Zeiten und macht mich tatsächlich sehr neugierig auf das im Januar kommende Album.

10. J.I.D.
151 Rum
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Glaubt man den Amis, dann ist J.I.D. so etwas wie der kleine Kendrick Lamar und auch wenn man sich seinen Flow, seine Musik, seine Texte und seine stimmliche Performance anhört, macht das sehr viel Sinn. Das coole ist aber, dass er im Gegensatz zu Kendricks musikalischem Zwilling Logic auch wirklich das nötige Talent hat, um diesen Style zu fahren. Und auch wenn 151 Rum am Ende nur ziemlich gut von Backseat Freestyle geklaut ist, ein unterhaltsamer Track ist es doch allemal. Und sollte zumindest dafür reichen, diesen Typen auf die Radare einiger Leute zu bringen. Wenigstens bis Kendrick ihn dann entweder signt oder in Grund und Boden beeft.

Freitag, 28. September 2018

Bebop of Doom





















Wenn man über Sumac spricht, dann ist es lange schon nicht mehr notwendig, ihren Status als exklusive Supergroup zu strapazieren. Sicher, die kanadisch-US-amerikanische Formation besteht aus drei Mitgliedern dreier Bands, die sich auch außerhalb dieser Gruppe einen Namen gemacht haben, allerdings ist es vielleicht ihr größter Verdienst, sich von dieser fremden Prominenz emanzipiert zu haben. Mit zwei ziemlich guten Alben in den letzten vier Jahren hat das Trio eine Ästhetik geschaffen, die für sich selbst spricht und die keine Verweise mehr braucht, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Und sperrig genug ist ihr abgründiger, avantgardistischer Post-Metal klanglich auf jeden Fall. Schon auf ihrem Debüt von 2015 setzten Sumac diesbezüglich ein Zeichen, indem sie einen ungemein finsteren, monolithischen Sound auffuhren, der ein Jahr später auf What One Becomes noch einmal dichter und fieser wurde. Und nachdem 2017 erstmal kurz Ruhe war, kehren sie in dieser Saison gleich mit einem Hattrick zurück. Zunächst erschien im Februar das Live-Album WFMU exklusiv auf Kassette, wenig später eine Kollaboration mit dem japanischen Free Jazz-Künstler Keiji Haino und nun, gut ein halbes Jahr später, der offizielle dritte Longplayer. Man kann sagen, dass Sumac dabei einiges dazugelernt haben. Zwar besteht ihre hauptsächliche Marschrichtung noch immer darin, gewaltige, schwere Metal-Brecher zu spielen und mit vier Stücken in 66 Minuten sind diese auch zeitlich nicht zu knapp bemessen, doch könnte man das, was auf Love in Shadow passiert, für ihre Verhältnisse schon fast als verspielt bezeichnen. Zwischen den dicken Bänken aus Siebenseiter-Riffs, die das Bild nach wie vor dominieren, erlebt man überall weiträumige Postrock-Flächen, improvisierte, leichte Gitarrensoli und sogar Orgelspiel. Einiges davon scheinen sie sich aus ihren Experimenten mit Free Jazz abgeschaut zu haben, wieder anderes stammt vielleicht aus der Feder der hier aktiven Russian Circles- und Isis-Mitglieder, die ja nicht immer so finster drauf sind wie hier. Aber wo auch immer diese plötzlichen lichten Momente herkommen, sie machen diese LP zur bisher vielseitigsten von Sumac. Mehr noch, durch sie wird das fantastische Wechselspiel aus fließender und stehender Musikalität, das schon What One Becomes so toll machte, noch kontrastreicher und kreativer. So lässt sich der 21-minütige Monster-Opener the Task ja nach Hörverhalten in vier bis fünf mehr oder weniger unabhängige Movements aufteilen und erinnert dabei zumindest strukturell an Bands wie Godspeed You! Black Emperor oder Can, auch wenn man musikalisch eher an eine Art Ornette Coleman Quintet mit Metal-Instrumentarium denken muss. Die Verbindung zum Jazz und vor allem zum avantgardistischen Bebop ist dabei sehr offensichtlich, auch wenn sie unter mindestens zehn Layern Doom-Riffing und Deathcore-Geschrei verborgen liegt. Es ist die Art, wie Sumac ihre Instrumente spielen, die ganz klare Bezüge schafft. So zum Beispiel, wenn hier mehrere Soli übereinander geschichtet werden, es mal komplette Einzelpassagen von Musikern gibt und der Eindruck , dass ganz generell überwiegend improvisierte Songstrukturen gespielt werden. Das alles macht diese Platte nicht gerade zugänglicher, doch wenn man den Kosmos dieser Band wie ich kennt und liebt, ist es eine tolle neue Entwicklung, die auch keineswegs ihrem bisherigen Weg widerspricht. Love in Shadow ist eine weitere Metamorphose von Sumac, die sie in meinen Augen noch ein kleines Stückchen besser macht als vorher und wieder mal zeigt, dass sie wesentlich mehr sind als Musiker, die gut Krach machen können. Und nach zwei Jahren Pause und einigen doch eher schwachen Projekten ist das hier mehr als eine Wiedergutmachung. Beim nächsten Mal müssen sie dann nur noch die Gitarren weglassen...






Persönliche Highlights: the Task / Attis' Blade / Arching Silver / Ecstasy of Unbecoming

Nicht mein Fall: -

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Donnerstag, 27. September 2018

Damit die Fliegen nicht kommen





















Als ich vor vier Jahren das erste Mal über Milo schrieb, war er zumindest in meinen Augen einer der interessantesten Rapper der Welt. Sein Ansatz war so weit weg von allen anderen in seiner Branche, thematisch war er so viel weiter voraus, musikalisch so stimmig und ästhetisch extrem mutig, dass er aus dem Stand zu einem meiner Lieblings-MCs der nächsten Jahre wurde. Und seit seinem Debüt A Toothpaste Suburb lieferte er in dieser Hinsicht nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ. Seit 2014 gab es fast jede Saison ein Album von ihm, seit 2017 außerdem jeweils noch eine Bonus-EP seines neuen Projektes Scallops Hotel (vor kurzem sogar noch eine Kollabration mit Elucid), wobei jeder dieser Longplayer für mich zu einem Lieblingsalbum wurde. Aber wo dieses Überangebot an guter Rapmusik ganz klar viel Wohlwollen meinerseits ausgelöst hat, kommt irgendwann eben auch der Punkt, an dem die Sättigung einsetzt. Irgendwann ist die Masche, mit der Milo musikalisch spielt eben nicht mehr überraschend, die ewigen chilligen Jazz-Samples abgenutzt, der nonchalante Spoken Word-Flow anstrengend und die nerdigen Anspielungen auf Aphorismen zur Lebensweisheit nur noch Gimmicks. Kurz gesagt: die künstlerische Identität dieses Typen, die einst so originell war, wird zu Formel. Und eigentlich war bereits sein letztes Album Who Told You to Think??!!?!?!?! an diesem Scheideweg angekommen. Die Ideen waren soweit bekannt, die Ausführung nicht wirklich neu und die Themen zwar spannend, aber im üblichen Rahmen. Der einzige Grund, warum ich die Platte trotzdem so sehr mochte, dass sie am Ende des Jahres unter meinen 30 Favoriten landete, war der, dass Milo diese ganze Masche dort noch einmal cleverer und durchdachter anwandte und am Ende sogar eine Art Konzeptalbum daraus machte. Das Problem blieb aber das gleiche. Und mit seinem Nachfolger Budding Ornithologists Are Weary of Tired Analogies kommt nun die lange herausgezögerte Rache dafür. Schon der Titel der LP ist in seiner Sperrigkeit exemplarisch für das, was in diesen 38 Minuten passiert und der Karriere des Rappers auch endlich mal den notwendigen Dämpfer verpasst. Zwar ist die Platte alles andere als scheiße, viele Songs sind sogar mindestens genauso gut wie die Sachen auf den Vorgängern, doch diesmal siegt schließlich doch die Ermüdung. Der große Fehler ist, dass Milo sich hier damit begnügt, ein "normales" Album zu machen, das eher wie ein Mixtape anmutet, statt einen größeren Bogen zu spannen oder wie bei Scallops Hotel die Parameter des Hiphop ad absurdum zu führen. Tatsächlich ist die LP, mit der Budding Ornithologists... am ähnlichsten ist, vielleicht So the Flies Don't Come von 2015, meiner bisherigen Lieblingsplatte von ihm. Indem sie aber zeigt, wie wenig sich seitdem entwickelt hat, ist sie gleichzeit auch seine erste ein wenig enttäuschende. In den guten Momenten ist dabei erstmal alles wie früher: Man freut sich über die leichtfüßige Groovigkeit der Beats, ist entzückt vom Flow der Songs und begeistert von Milos cleveren Anspielungen. Sobald aber eine dieser Komponenten nicht hinhaut (was meistens im Bereich Beats der Fall ist), merke ich, dass ich auf Durchzug schalte. Und das ist der Moment, wo ich stutzig werde, denn genau das passierte mir vorher nie. Sicher, der chillige Vibe seiner Tracks lud schon immer dazu ein, das Gehirn abzuschalten, doch im Gegensatz dazu standen immer die Lyrics, die sich mit ihren bohrenden Gedankenspiralen in den Vordergrund stellten. Hier ist das nicht mehr der Fall, und obwohl das bestimmt nicht zuletzt an der Sprachbarriere liegt, fällt es auf. Und ich schließe daraus, dass es hier Stellen gibt, an denen Milo mich langweilt. Diese sind meistens einzelne Stücke und ganz generell fühle ich mich auch von dieser LP gut unterhalten, doch als Begeisterung möchte ich das ganz ehrlich nicht mehr bezeichnen. Es hat einfach ein bisschen die Flaute eingesetzt bei diesem Rapper. Was das für seine weitere Karriere heißen könnte, darüber will ich im Moment noch nicht mutmaßen. Dass Milo komplett die Spannung verliert glaube ich ebensowenig wie ich glaube, dass das hier nur ein vorübergehender Verschnaufpunkt ist. Wenn seine Musik weiter interessant sein will, muss sich etwas ändern, das ist ganz klar. Nur würde genau das eben auch bedeuten, dass er in Zukunft zumindest teilweise diesen organisch geformten Stil opfern muss, der ihn so einzigartig macht. Die wie ich finde beste Lösung dafür hat er aber eigentlich schon geliefert, nämlich in Form des Scallops Hotel-Projektes, das momenten am ehesten wie das Kaleidoskop wirkt, in dem Milo seine eigene Musik zu etwas neuem und wiederum sehr originellen zurecht bricht. Vielleicht finde ich ja hier die Innovation, die sein primäres Angebot langsam nicht mehr hat. Und am Ende könnte ich mir sogar vorstellen, dass genau das auch im Sinne des Schöpfers ist.






Persönliche Highlights: Mythbuilding Execise No. 9 / Nominy / Failing the Stress Test (I Guess I'll Be Heading Then) / Mid Answer Trying to Remember What the Question Is / Aubergine Cloak / Stet

Nicht mein Fall: Galahad in Goosedown (Fiat Iustitia et Pereat Mundus) / the Esteemed Saboteur Reggie Baylor Hosts an Evening at the Scallops Hotel

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Dienstag, 25. September 2018

Good Kid, b.h.a.d. Business



Ich bin anscheinend die einzige Person, die so empfindet, aber für mich ist die Karriere von Bhad Bhabie während der letzten 24 Monate nicht weniger als eine kleine Sensation. Nachdem die damals 13-jährige Danielle Bregoli im September 2016 durch einen Auftritt in einer Talkshow für problematische Teenager zum ersten Mal viral ging, dachte eigentlich niemand, dass daraus mal etwas größeres werden würde. Ihr "cash me outside"-Catchphrase war ein ziemlich lahmes Meme und die junge Frau eines von vielen Opfern blöder Privatsender. Hätte sie damals die Füße stillgehalten, hätte sie wahrscheinlich ein friedliches Leben führen können. Stattdessen fing sie an zu rappen. Und an dieser Stelle wurde die Sache für mich interessant. Denn was zunächst wirkte wie ein ziemlich erbärmlicher Schrei nach Aufmerksamkeit, wurde schnell zu einer ziemlichen Erfolgsstory. Bregolis erste Single These Heaux war überraschenderweise ziemlich gut, sie arbeitete darauf sehr geschickt mit ihrem vorher etablierten Zicken-Charakter und versteifte sich trotzdem nicht auf ihre Existenz als kurzlebiges Meme, was wenig später auch die erste große Rendite abwarf. Als sie, inzwischen unter dem Namen Bhad Bhabie, 2017 bei Atlantic Records unterschrieb, war das Geschrei groß. Hatte es tatsächlich ein schlechter One-Liner aus einer noch schlechteren Talkshow im Alter von gerade mal 14 Jahren zu einem ausgewachsenen Major-Deal gebracht? So funktioniert scheinbar dieser amerikanische Traum, von dem immer alle reden. Was aber viel wichtiger war: Diese Bhad Bhabie war tatsächlich ziemlich gut. Klar war von Anfang an klar, dass bereits bei These Heaux ein ziemlich beeindruckendes Team an Songwriter*innen hinter den Kulissen arbeitete, doch wenigstens trafen diese ausnahmsweise mal die richtigen Entscheidungen. Songs wie Gucci Flip Flops oder Hi Bich waren ehrliche Hits und mischten zumindest in meinen Augen den ziemlich lahm gewordenen Trap-Mainstream ordentlich auf. Stand September 2018 waren also zwei Jahre vergangen, in denen Danielle Bregoli und ihr Musik- und Marketingstab absolut alles richtig gemacht hatten. Dennoch war ich skeptisch, ob die nächste große Hürde nicht doch etwas zu hoch für sie war: Ein Debütalbum. Bhad Bhabie hatte sich zwar bewiesen, aber war bisher doch eher eine Single-Künstlerin, noch dazu keine besonders vielseitige. Und den langen Atem, einen ordentlichen Longplayer du fabrizieren, traute ich ihrem Team nicht wirklich zu. Obwohl ich nun, da ich 15 gehört habe, sagen muss, dass sie sich zumindest nicht blamieren. Am Maßstab des momentanen Traprap-Standards gemessen ist das hier immerhin mittlerer Durchschnitt. Es gibt Rapper*innen, die spannender und künstlerisch durchdachter sind, es gibt aber auch Rapper*innen, die wesentlich langweiliger sind. Und wenn Bhad Bhabie eines mitbringt, dann ist es Charakter. Ich hatte befürchtet, die bratzige und pubertäre Performance von Bregoli würde auf Albumlänge ein Problem werden, doch in der Produktion wurde genau das gut kanalisiert. Es gibt eben jene Auf-die-Fresse-Tracks, in denen diese Attitüde funktioniert und wenn sie es nicht tut, wird mit Features und Autotune abgeholfen. Das ist vielleicht nicht gerade die edelste Variante, mit Bregolis gewöhnungsbedürftigen Flow umzugehen und gerade die gesungenen Balladen gelingen hier nicht immer zu hundert Prozent, aber wenigstens wurde damit umgegangen. Genauso wie versucht wurde, ein bisschen musikalische Vielfalt in die Sache zu bringen. Stücke wie No More Love oder Trust Me sind obligatorische Stilbrecher, die sogar ganz okay sind und die Bhad Bhabie Story, die diverse Ereignisse aus den letzten zwei Jahren im Sopken Word-Format erzählt, ganz ans Ende zu packen, ist vielleicht ein bisschen ein Klischee, aber irgendwie auch cool. Und es sorgt nicht zuletzt für Credibility, denn die Marke Bhad Bhabie vermarktet zwar ein Image, aber durchaus eines, das seine Kratzer und unschönen Seiten hat. Sie ist kein Justin Bieber, der per Default Setting auf eitel Sonnenschein getrimmt wurde oder eine Miley Cyrus, die mit 21 auf Knopfdruck ausfällig wird, sondern das gebrannte Kind mit Arschloch-Vater und alkoholkranker alleinerziehender Mutter. Das sie so angepriesen wird, unterscheidet sie letztendlich jedoch auch nicht von der großen Masse der Kinder- und Teeniestars und dass dieses Album existiert, ist am Ende auch ein großer Kritikpunkt für mich. Ich mag die Musik von Bhad Bhabie, aber ich möchte dabei nicht unkommentiert lassen, dass es sich hier mit großer Wahrscheinlichkeit um eine junge Frau handelt, die das Versprechen des Erfolgs anlockte und die nun als Goldesel vor die Musikindustrie gespannt wird, solange sie es noch nicht besser weiß. Danielle Bregoli ist gerade Mal 15 Jahre alt und ist besonders durch ihre gut laufende Musikkarriere bereits Dingen wie Erfolgsdruck, Hate Speech und einer frühen Sexualisierung ihrer Person ausgesetzt. Sicher, ihre neue Profession ist auch ein Ausweg aus den präkeren Verhältnissen, denen sie entstammt, aber deshalb keineswegs unkritisch zu sehen. Bhad Bhabie ist eine Künstlerin, die vielleicht echt das Zeug hat, eine ernsthafte Musikerin zu werden und ihr das jetzt schon zu vergraulen, wäre fatal. Kein Mensch braucht einen zweiten Michael Jackson.






Persönliche Highlights: Juice / Gucci Flip Flops / Geek'd / Famous / Hi Bich / Bout That / Bhad Bhabie Story (Outro)

Nicht mein Fall: 15 (Intro) / Affiliated

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Montag, 24. September 2018

Was sie sagt





















Junge Neo-Soul-Künstler*innen, die heutzutage wieder auf Jazz-Instrumentals stehen, gemütlich flowend heiße politische Themen debattieren und ihre Niedlichkeit nicht im Weg eines ordentlichen lyrischen Hakens stehen lassen, sind 2018 eigentlich nichts besonderes mehr. Acts wie the Internet, Kali Uchis oder Teyana Taylor gibt es nicht erst seit gestern und gerade in den letzten Monaten sprach ich gefühlt jede Woche über eine dieser chilligen R'n'B-Platten, die ja auch jedes Mal verdammt gut sind. Aber trotz der Tatsache, dass der Überraschungseffekt dieser Musik inzwischen ganz allgemein ein bisschen eingeschlafen ist, würde ich mir nie anmaßen, deshalb einer LP von NoName nicht meinen größten Respekt angedeihen zu lassen. Denn unter den vielen tollen und sehr tollen aktuellen Soul- und Jazzrap-Künstler*innen ist sie so etwas wie das geniale Wunderkind, bei dem einfach jeder musikalische Pinselstrich noch mal eine ganze Ecke raffinierter und ausgefuchster ist als bei allen anderen. Vor einigen Jahren von Chance the Rapper entdeckt, war die Songwriterin aus Chicago zunächst beliebter Feature-Gast in seinem Dunstkreis, bevor sie 2016 selbst ihr erstes Mixtape veröffentlichte. Telefone war damals mit seinem gemütlich-jazzigen Sound nicht nur innovativ, es hatte auch inhaltlich unglaublich viel zu bieten und zeigte NoName bereits damals als unglaublich selbstbewusste Künstlerin. Frei heraus rappte und sang sie über krasse Themen wie Rassismus, Polizeigewalt, Sexismus und Abtreibung und war dabei nicht nur unglaublich direkt, sondern auch lyrisch verspielt und erstaunlich nonchalant. Dass ihr Album klanglich ebenfalls extrem cool war, konnte man dabei schon fast als Nebensache abtun. Kurzum hatte sie sich auf Telefone also als eine der talentiertesten neuen Künstler*innen in ihrem Bereich platziert. Und es gab gute Gründe, für ihr zweites Mixtape Room 25 noch besseres zu erwarten. Zum einen den, dass NoName sich mittlerweile bei den richtigen Leuten einen Namen gemacht hat und trotz der Tatsache, dass sie hier weiterhin ohne Label-Backing veröffentlicht (Respekt dafür!) diesmal mehr aus ihren Songs machen kann. Die neue Platte ist produktionstechnisch ein Riesenschritt nach vorne und klanglich um einiges vielseitiger, was auf jeden Fall ein Pluspunkt ist. Zum anderen sind hier auch im Bereich der Vokal-Features tolle Leute mit dabei. Im Falle von Ravyn Lenae ist auch eine Sängerin, die schon auf Telefone dabei war, weiter ins Rampenlicht gerückt, aber auch Phoelix, Adam Ness und Yaw leisten hier ganze Arbeit. Wobei in Sachen inhaltlichem Output absolut niemand der Hauptakteurin selbst die Show zu stehlen vermag. Ähnlich dem Vorgänger ist Room 25 lyrisch extrem freischnauzig, frech und damit nicht selten auch unglaublich cool. Die wenigsten Soul/Rap-Künstler*innen, nicht mal so clevere wie Syd tha Kid oder SZA, sind in ihren Texten so leichtfüßig vulgär und so stichelig wie sie. Was irgendwie seltsam ist, da ihrer Gesangsperformance noch immer eine gewisses (und gewolltes) Kindchenschema innewohnt, das sich ganz klar von der triumphalen Empowerment-Attitüde einer Beyoncé oder Little Simz unterscheidet. Ich will nicht sagen, dass irgendeine dieser Ästhetiken prinzipiell besser oder schlechter wäre, doch ist der Ansatz von NoName auf eine Weise einfach subversiver und spannender, weil er abseits von jeglichem Klischee stattfindet. Und das ist etwas, was nur wenige Künstler*innen schaffen, noch dazu mit ihrem zweiten Mixtape. Diese Frau hat bereits jetzt so viel Charakter und Bewusstsein in ihren Songs, dass man gar nicht weiß, ob dieser sich überhaupt noch entwickeln kann oder ob das alles noch viel krasser wird. Zu wünschen wäre es NoName, dem Rest der Neo-Soul-Community würde dann aber böses blühen.






Persönliche Highlights: Self / Blaxploitation / Prayer Song / Window / Don't Forget About Me / Regal / No Name

Nicht mein Fall: -

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Sonntag, 23. September 2018

Kult der Tugend





















Man sollte langsam mal einen Sammelbegriff für diese Art Bands finden, die diese ganz besondere Art von hibbeligem Futur-New Wave-Mathrock-Glitzerpop machen, der so sehr nach ADHS, Atari-Soundtracks, der Double Fantasy-Version von Yoko Ono und den frühen Sachen von Devo klingt. Acts wie Anamanaguchi, Deerhoof und Adebisi Shank haben vor einigen Jahren diese Art von Popmusik auf sehr coole Art und Weise kultiviert und gäbe es eine Vokabel, der ihren künstlerischen Ansatz kurz und knackig beschreiben würde, müsste ich hier nicht so lange darüber schreiben, was Guerilla Toss für Songs schreiben. Fest steht immerhin, dass sie es damit in fast zehn Jahren Existenz zum Status einer kleinen Untergrund-Legende gebracht haben. Was auch alles andere als ein Wunder ist: Mit ganzen fünf Alben seit 2012 sind sie definitiv ein paar ganz besonders fleißige Bienchen und Platten wie Gay Disco oder Eraser Stargazer gelten inzwischen als heiße Insider-Tipps in den coolen Netzforen dieser Welt. Allerdings hat es bis zum letzten Jahr gedauert, dass sie damit auch wirklich größere Aufmerksamkeit erhaschen konnten. Ihr fünfter Longplayer GT Ultra wurde 2017 zum Indiepop-Geheimtipp, auf den auch einige größere Medien aufmerksam wurden, was sie spätestens 2018 zu einer Band macht, die man als musikinteressierter Mensch auf dem Zettel haben könnte. Es ist zu erwarten, dass Twisted Crystal die LP ist, mit der so etwas wie ein "Durchbruch" für Guerilla Toss möglich ist. Blöd nur, dass es sich dabei um ihre vielleicht schwächste Aufnahme seit einer ganzen Weile handelt. Nicht im geringsten um ein mieses Album, sondern nur um ein nicht ganz so überzeugendes. Man darf das wirklich nicht falsch verstehen: Diese Platte ist in so ziemlich jeder Hinsicht gut, nur waren ihre letzten Sachen eben besser. Die Bostoner waren darauf eine unberechenbare Krawalltruppe, die einen extrem erfrischenden Crossover aus Punk, Elektropop, No Wave und Psychrock spielte. Und nachdem ihre Frühphase großartig war, weil diese Band einfach nur komplett verfreakt war, war GT Ultra im letzten Jahr umso großartiger, da hier die vielen Einflüsse erstmals so etwas wie Songwriting verpasst bekamen. Was die Balance zwischen Attitüde und Struktur anging, war sie in vielerlei Hinsicht der bisherige Höhepunkt von Guerilla Toss. Auf Twisted Crystal kippt nun dieses Gleichgewicht für meine Begriffe ein bisschen zu sehr in Richtung Struktur. Für die Verhältnisse dieser Gruppe ist das hier in ziemlich zahmes Synthpop-Album, was eben leider auch etwas langweilig ist. Und das, obwohl die MusikerInnen sich echt Mühe gegeben haben: Klanglich gesehen ist das hier der erste wirklich gewollte Schritt der Band in Richtung eines professionellen Studio-Sounds, der gar nicht mal übel daher kommt, und wie Sängerin Kassie Carlson ihre Gesangsperformance von räudiger Punk-Diva auf Roboterprinzessin vom Schlag Poppy umstellt, ist nicht weniger als beeindruckend. Sympathische Songs wie Jesus Rabbit, Meteorological oder Come Up With Me gibt es obendrein. Dennoch klingen Guerilla Toss unterm Strich dabei musikalisch amputiert und irgendwie gewollt brav. Twisted Crystal klingt ein bisschen wie diese eine Folge von Misfits, in der alle StrafstünderInnen dem Kult der Tugend anschließen, nur dass sie am Ende eben keine hedonistischen Drecksäcke mehr werden. Sicher, mit Xavier Naidoo wird das hier niemand vergleichen wollen, aber der Unterschied zu den Vorgängern wird schon sehr deutlich. Und ich finde es ein bisschen doof, dass ausgerechnet dieses angepasste und zurechtgeformte Album jenes sein soll, das viele Leute mit dieser Band bekannt macht. Es ist ein unschönes Ende der Untergrund-HeldInnen und ein suboptimaler Anfang für die Indie-Darlings Guerilla Toss. Vielleicht werde ich ja noch mit ihrem neuen Sound warm und ich bin mir sicher, dass sie jetzt nicht automatisch scheiße werden, aber es ist äußert wahrscheinlich, dass wir die alte, verrückte Inkarnation der Gruppe jetzt nicht mehr hören werden.






Persönliche Highlights: Jesus Rabbit / Meteorological / Hacking Machine / Come Up With Me

Nicht mein Fall: Magic is Easy

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Samstag, 22. September 2018

Tribunal eines Genies





















Man muss sich langsam über eine bittere Wahrheit im klaren werden: Der Aphex Twin von nach dem Comeback 2014 ist einfach nicht mehr der gleiche wie der Aphex Twin von davor. Zwei neue Platten gab es seit dem eher unspektakulären Wiederbelebungs-Longplayer Syro von ihm, und keine von ihnen war bisher besser als ganz gut. Wenn man mich fragt, ist die 2016 veröffentlichte Cheetah-EP das einzige Material, das qualitativ ansatzweise an seinen Output in den Neunzigern heranreicht, ansonsten muss man leider sagen, dass Richard D. James ein ganz schönes bisschen langweilig geworden ist. Statt des einstmals oft beschworenen "Mozarts der elektronischen Musik" erleben wir seit einiger Zeit einen eher mittelmäßigen Beatbastler, der dürftige Tracks ohne Namen veröffentlicht, die weder die Cleverness noch die Atmosphäre früherer Geniestreiche haben. Stand 2018 droht Aphex Twin nur noch ein Schatten seiner selbst zu werden. Und Collapse wäre nun die Arbeit gewesen, die diesen Verdacht entweder hätte zerstreuen oder bestätigen können. Blöderweise ist sie von allen Post-Comeback-Projekten des Iren das bisher schlechteste geworden. Ja nun. Wobei das alles andere als ein Weltuntergang ist. Denn wenn ich sage, dass Richard D. James unter seinem Niveau arbeitet, bedeutet das nicht, dass er schlechte Musik macht. Auch die fünf Tracks auf dieser EP haben durchaus ihre Momente, verfügen über ein paar ziemlich clevere kompositorische Twists und lassen bisweilen durchaus das Feeling aufkeimen, dass ausschließlich ein Projekt dieses Künstlers mit sich bringt. Nur möchte ich doch sehr dafür plädieren, sich davon nicht blenden zu lassen: Denn was Aphex Twin uns seit nunmehr vier Jahren und nicht zuletzt auch hier verkaufen will, ist verschnittener und gestreckter Stoff. Die Ansätze sind durchaus da, aber was der Musiker an klanglichem Füllmaterial und langweiligen Edits dazwischen packt, ist ehrlich gesagt ziemlich frech. Und nur weil es im Grunde genommen ja das gleiche ist und es immerhin vom Künstler selbst kommt, müssen wir das nicht unreflektiert abfeiern. Ich sage das, weil es anscheinend Leute da draußen gibt, die genau das tun. Dabei muss 2018 eigentlich niemand mehr Aphex Twin gut finden. In nicht mal einer Woche erscheint beispielsweise ein neues Album von Tim Hecker, und ich gehe jede Wette ein, dass ich dieses wesentlich besser finden werde als den kompletten Post-Comeback-Katalog von Herrn James, einfach weil ich den Eindruck habe, dass Hecker sich mit seiner Musik noch Mühe gibt. Selbst wenn die neue Platte scheiße wird, so ist mangelnde Hingabe bestimmt nicht der Grund dafür. Was ich damit sagen will ist: Vielleicht ist es an der Zeit, damit aufzuhören, Aphex Twin auf ein Podest zu stellen und differenziert zu betrachten. Sicher, hätte es früher Platten wie Come to Daddy oder die Selected Ambient Works-Reihe nicht gegeben, wer weiß, ob Tim Hecker heute überhaupt Musik machen würde. Allerdings gibt es inzwischen längst Acts, die das Genie aus Limerick in Sachen Kreativität und Cleverness eingeholt haben. Vielleicht nicht, weil sie Songs vor ihrem geistigen Auge visualisieren können, sondern einfach, weil sie die besseren Songs schreiben. Diesen Teil seiner Arbeit scheint Richard D. James nämlich komplett vergessen zu haben.






Persönliche Highlights: MT1 t29r2 / abundance10edit[2 R8's, FZZm & a 909] / pthex

Nicht mein Fall: 1st 44

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Freitag, 21. September 2018

Votan Wahnwitz





















Es ist eine wunderbare Sache, wenn eine Band, die seit fast einem halben Jahrhundert existiert, noch für Überraschungen gut ist. Vor allem eine, von der man eine solche in dieser Form erstmal nicht erwartet. Die Londoner Spacerock-Formation Hawkwind, gegründet 1970, Schöpferfigur für ganze Genres und einst Rock'n'Roll-Praktikumsplatz für the legend himself Lemmy Kilmister, ist keine solche Gruppe. Über ihre gesamte Karriere hinweg haben sie einen stabilen Output bewiesen, in diversen Aufstellungen gute bis sehr gute Musik gemacht und vor allem als Live-Act ihre Sporen verdient, als stilistische Chamäleons oder unlabelbare Hakenschläger waren sie jedoch nie bekannt. Ihre Masche war stets solider Blues- und Hardrock, eventuell mit starken europäischen Folk- oder mitunter New Wave-Einschlägen, darüber hinaus ging das ganze aber nie. Dass sich das ausgerechnet 2018 nochmal ändern soll, ist daher nicht weniger als eine kleine Sensation. Wobei man relativieren muss: Schon in der Vergangenheit haben Hawkwind Platten mit Orchester-Begleitung aufgenommen, das theoretische Konzept von Road to Utopia ist also nicht komplett neu. Nur dass die Briten dabei bisher niemals so radikal und so selbstironisch vorgingen wie auf dieser LP. Und dabei handelt es sich bei keinem der Songs hier um neues Material. Viele der Stücke stammen aus ihrem eher unbekannten Achtziger-Output, Fan-Favoriten sind bis auf das von Lemmy geschriebene the Watcher eigentlich nicht vertreten, dafür gibt es einen exlusiven Gastauftritt von Eric Clapton. Das Erlebnis hierbei ist aber letztendlich die Art und Weise, wie die Songs für dieses Album neu bearbeitet wurden. Denn von den Begriffen Spacerock und eigentlich generell Rock trennen sich Hawkwind hier so gut wie komplett. Das konservativste sind noch Tracks wie the Watcher, die auf traditionellen Blues bauen, der Rest der Platte wird zum Spielplatz für eine extrem waghalsige Bombast-Orchestrierung, die im Pop-Bereich definitiv ihresgleichen sucht. Das hier hat nichts zu tun mit Künstler*innen, die sich für ein Unplugged-Konzert ihre Songs mit ein paar Streichern backen lassen oder mit so furchtbaren Sachen wie Metallicas S&M-Album. Hier werden im Minutentakt ganze kompositorische Strukturen über den Haufen geworfen und in meinen Augen nicht selten wesentlich unterhaltsamer wieder zusammengesetzt. Gleich der Opener Quark, Strangeness & Charm macht in dieser Hinsicht keine halben Sachen, indem er den Psychrock-Track kurzerhand zur Mariachi-Nummer umgestaltet, komplett mit dicken Bläsern und sonstigem Schnickschnack. Ähnlich verquere Sachen passieren in Songs wie Psychic Power oder Flying Doctor, die sich Big Band-Sounds annehmen und dem seltsam esoterischen Hymn to the Sun. Doch wer meint, Road to Utopia wäre einfach nur albern, der hat weit gefehlt. Mit We Took the Wrong Step Years Ago und the Age of Micro Man gelingen Hawkwind zwei Neuinterpretationen von Stücken, die noch immer sehr aktuellen Charakter haben und die entsprechend ernsthaft vertont wurden. Ersteres als eine dick mit Streichern belegte Weltuntergangs-Ballade, letzteres als apokalyptischer Prog-Langtrack im Stil des Siebziger-David Bowie. Aber egal ob nun als ironische Blödelei oder mit Ansage, Road to Utopia ist ein faszinierendes Stück Musik. Zum einen, weil es krass ist, dass so etwas überhaupt existiert, zum anderen, weil es auch noch so unverschämt gut ist. Ich hatte diesen Artikel als kleinen Exkurs über ein drolliges Rerecording-Projekt einer klassischen Band geplant, doch was herausgekommen ist, ist ein Post über einen der spannendsten Longplayer dieses Jahres. Und dass dieser ausgerechnet von Hawkwind kommt, macht die Sache nochmal absurder. Ich glaube, man kann sich wirklich ein bisschen glücklich schätzen, dass man von dieser musikalischen Anomalie Zeuge sein durfte. What A Time to Be Alive!






Persönliche Highlights: the Watcher / We Took the Wrong Step Years Ago / Flying Doctor / Psychic Power / Hymn to the Sun / the Age of the Micro Man / Intro the Night / Down Through the Night

Nicht mein Fall: -


Mittwoch, 19. September 2018

An deiner Seite





















The Flenser sind eigentlich nicht wirklich ein so cooles Platten-Outlet, wie sie selbst gerne denken. Zwar hat das Label aus San Fransisco durchaus einen stringenten Stil von Musik, den es veröffentlicht und ich selbst war auch mal ziemlicher Fan davon, doch in meinen Augen sind viele ihrer Acts auch ein bisschen überbewertet. Ich kann Menschen verstehen, die Sachen wie Kayo Dot, Street Sects oder Wreck & Reference ernsthaft gut finden, aber ein bisschen Hipsterkacke ist das ganze schon. Wenngleich ich zugeben muss, dass es der Firma gelingt, hin und wieder ein paar echt dicke Szene-Fische an Land zu ziehen, für die es sich doch mal lohnt. Mit White Suns war das vor sechs Jahren so, Sannhet machen bei ihnen zurzeit ebenfalls eine gute Figur und als 2014 ausgerechnet Have A Nice Life ihr zweites Album bei the Flenser veröffentlichten, war das ein bisschen so, als hätte der FC Erzgebirge Aue gerade Neymar gekauft. Und mit Bosse-de-Nage scheint sich nun eine weitere Band hier wirklich zu profilieren. Zwar ist das Quartett, das ebenfalls aus Frisco stammt, noch kein ganz so großer Name, doch ihre Spuren in der Experimentalrock-Welt sind mehr als deutlich. Seit 2010 haben sie bereits vier Longplayer auf diesem Label veröffentlicht, außerdem gab es bereits 2012 eine Split-EP mit Deafheaven, bevor die cool waren. Dass ihre Musik in Verbindung mit diesem Namen immer wieder auftaucht, kann übrigens kein Zufall sein. Denn stilistisch waren sich diese beiden Gruppen schon immer sehr ähnlich. Wo jedoch George Clarke und Kompanie ihren atmosphärischen Black Metal irgendwann in Richtung sonniger Shoegaze-Flächen steuerten, wurden Bosse-de-Nage mit den Jahren immer grantiger und bösartiger. Stand 2018 hat ihre Musik fast ebensoviel mit Hardcore-Punk gemein wie mit Black Metal und vor allem gesanglich fallen die Kalifornier ziemlich weit aus der Reihe. Sänger Bryan Mannings Organ erinnert hier kein bisschen an andere Genre-verwandte, sondern eher an eine Band wie Amenra oder schlechten Death Metal. Wo mich das unter anderen Umständen aber vielleicht stören würde, ist es hier mal eine angenehme Abwechslung zum sonst immer sehr vorhersehbaren kaskadischen Gekeife, das man eh schon überall hört. Und auch sonst sind Bosse-de-Nage weit davon entfernt, eines dieser blöden Blackgaze-Klischees zu sein, die sich in den letzten fünf Jahren extrem vermehrt haben. Ihr Ansatz ist wesentlich roher, kann auch mal ziemlich rotzig sein und verfängt sich nur sehr selten in schmeichelnden Indiepop-Passagen. An vielen Stellen hier erinnert mich ihr Sound trotzdem an die düsteren Momente von Deafheavens New Bermuda, wobei die Frage ist, wer diese Ästhetik letztendlich von wem geborgt hat. Mit der breit und rockig aufgestellten Instrumentierung und Produktion finden sie hier auf jeden Fall eine klangliche Umsetzung, die wunderbar zu ihnen passt und das ganze Kvlt-Gekloppe mal auf eine ganz andere Art um die Ecke denkt. Innovativer Blackgaze ist halt auch nicht besser, umso zahmer er gespielt und umso glatter er produziert wird. Bosse-de-Nage wussten das schon vor Sunbather und trotzdem hat es bis jetzt gedauert, dass die Szene sie so richtig wahrnimmt. Vielleicht liegt es daran, dass dieses Album auch echt ein Brecher ist und die Gruppe ihr Potenzial auf Further Still auch endlich mal erfüllt, aber man hätte auch eher drauf kommen können. Lasst euch das von dem Typen sagen, der gerade selbst das erste Mal über sie schreibt.






Persönliche Highlights: the Trench / Crux / Dolorous Interlude / My Shroud

Nicht mein Fall: -

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Dienstag, 18. September 2018

Versuchs doch!





















Hätte ich schon zu einem früheren Zeitpunkt mal etwas über die Band Low geschrieben, wäre die passendste Bezeichnung für ihre Musik sicherlich "Indierock für Erwachsene" gewesen. Seit 25 Jahren aktiv, sind sie eine musikalische Institution, die ganz klar mit ihrem Publikum gereift ist. Zwar waren sie als mutmaßliche ErfinderInnen des Slowcore-Subgenres noch nie eine besonders brachiale Angelegenheit, doch sind ihre Releases seit einer Weile doch deutlich zahmer geworden. Ähnlich Acts wie Yo La Tengo, Motorpsycho oder J Mascis haben sie die Indiemusik der frühen Neunziger gemächlich in ihre besten Jahre geschippert und machten nun eben ein paar Platten, auf denen es auch mal gut war mit neuen Herausforderungen. Einzig diese eher gemächlich Service-orientierte Ausrichtung war auch der Grund, weswegen ich hier bisher noch nie über sie schrieb. Doch mit Double Negative ändert sich nun auf einmal alles: Nach den verhaltenen Jahren wurde dieses Album zuletzt als ein nicht zu unterschätzender Wendepunkt in der Karriere der Band aus Minnesota beschrieben. Der Fokus läge wieder deutlich auf Experimenten, die Songs klängen wieder mystischer und düsterer und die ganze Platte erfrischend offen. Eigentlich eine ziemlich gute Prognose für eine Gruppe, die schon so lange unterwegs ist. Und warum auch nicht, schließlich waren Low trotz einiger schwacher Arbeiten nie eine wirklich langweilige Angelegenheit. Ungleich vieler Neunziger-Indie-Acts hatten sie in ihren fast 30 Jahren Bandgeschichte nie die Würde verloren und ein stilistischer Neuanfang schien kein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Nur würde es eben die Frage sein, wie dieser aussieht. Und was das angeht, muss ich leider sagen, dass sie sich im Falle dieser LP leider ein wenig vergriffen haben. Double Negative mangelt es sicherlich nicht an Innovation und neuen Impulsen, doch dabei leider ein wenig an der Kreativität, die bei einem solchen Unterfangen eben unabdingbar ist. Als erstes primär elektronisches Album der Band geht vieles hier stark in Richtung Ambient, was ohnehin schon ein schwieriges Gefilde ist, doch die Art und Weise, wie Low diese Tendenzen umsetzen, ist denkbar ungeschickt. Die großen klanglichen Flächen, die das Trio hier aufsperrt, können selbst über ihre eigentlich recht kurzen Spielzeiten keinerlei Spannung aufbauen, die großen Sound-Monolithen sind extrem statisch geschrieben und die Art und Weise, wie hier mit Noise und Field Recordings "experimentiert" wird, ist teilweise mehr als ausgelutscht. Die Ästhetik, die viele Stücke vermutlich suchen, ist die von großen atmosphärischen Acts wie Portishead und Brian Eno, von der sie aber meilenweit entfernt sind. Es gibt einige Ausnahmen wie das extrem bedrückende the Son, the Sun, das nicht wenig an Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey erinnert oder das synthetische Always Up, doch auch hier ist die Band eher gut darin, eine recht simple Idee nachzuahmen, statt wirklich originell zu sein. Und für jeden halbwegs guten Track gibt es eine Katastrophe wie Fly oder Always Trying to Work It Out, der kläglich daran scheitert, auch nur den Hauch von Atmosphäre zu erzeugen. Ganz zu schweigen davon, dass man nach einem gescheiten Album-Flow meistens vergeblich sucht. Somit ist Double Negative zwar eine Platte, mit der diese Gruppe einen Schritt macht, das in sich aber stehen bleibt. Es zu hören ist ein bisschen, wie Beton beim aushärten zuzuschauen: Es ist zäh und langsam und am Ende wird ein Klumpen draus. So wie dieses hier klingt Ambient-Musik im schlimmsten Fall und die Tatsache, dass das hier ja nicht wirklich Ambient ist, spendet da nur wenig trost. Low macht das in meinen Augen zu keiner schechteren Band und zumindest haben sie es versucht. Doch wenn ich ehrlich bin, dann fand ich auch ihre letzten Platten ein bisschen besser, weil die wenigstens mit Vorsatz langweilig waren. Das hier ist am Ende einfach nur ein bisschen pretenziös.






Persönliche Highlights: Always Up / the Son, the Sun / Dancing & Fire

Nicht mein Fall: Fly / Always Trying to Work It Out / Disarray

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Montag, 17. September 2018

Du bist so magisch!





















Mir war durchaus bewusst, dass es die Band Namens Jeff the Brotherhood schon eine ganze Weile gibt, denn ich selbst hörte bereits 2011, also noch vor dem Release ihres Label-Debüts im folgenden Jahr, das erste Mal von ihnen, als sie mir vor allem ihres komischen Namens wegen auffielen. Dennoch ist es schwer zu glauben, dass die beiden Brüder aus Nashville seitdem insgesamt nicht weniger als sechs Alben veröffentlicht haben. Fast so unglaublich wie die Tatsache, dass ich erst nach so langer Zeit wieder auf sie gestoßen bin. Der Zufall wollte es, dass sie nach einem relativ langen Vertrag bei Caroline und einem kurzen Major-Intermezzo letztes Jahr bei Dine Alone Records, einem persönlichen Lieblings-Gourmet-Label von mir, landeten, wo sie nun auch diese neue Platte veröffentlichen. Und um ehrlich zu sein, hätte es keinen besseren Zeitpunkt für ein Wiedersehen geben können. Denn nicht nur passt der neue Verleger stilistisch extrem gut zu den beiden, mit Magick Songs machen sie hier auch noch eine wirklich grandiose LP, die mich vom Aufschlag aus fasziniert hat. Schon die ersten Singles, die im Sommer erschienen, machten auf mich einen ziemlich soliden Eindruck und machten ein wenig neugierig auf das Album, das Gesamtergebnis jetzt zu hören, ist musikalisch aber noch einmal auf einem ganz anderen Level. Was Jeff the Brotherhood hier fabriziert haben, ist nicht weniger als eine unglaublich stimmige, lieblich-psychedelische Wundertüte, die in 54 Minuten ihren eigenen kleinen Klang-Kosmos aufmacht. Ausgangspunkt sind dabei zwar ganz eindeutig die Arbeiten der Krautrock-Pioniere wie Can, Amon Düül II und Ash Ra Tempel, doch geht die Platte über nostalgische Götzenverehrung weit hinaus. So erinnert Camel Swallowed Whole in gewissen Momenten auch an Indierock-Acts wie Modest Mouse oder Mac DeMarco, der Mittelteil hat Ähnlichkeiten mit Avantgarde-Jazz und archaischer Rhythmusmusik, Wasted Lands würde auch in die Diskografie von Goat passen und Singing Garden könnte man sogar als ernsthaften New Age-Versuch deuten. Tatsächlich sind es aber nicht einzelne Tracks, die hier den wahren Aha-Effekt ausmachen, sondern das große Ganze, dass Jeff the Brotherhood hier präsentieren. Die gesamte LP funktioniert als organischer Haufen, in dem ein Motiv in das andere übergeht und der klangliche Faden nur sehr selten abbricht. Die Art und Weise, wie die Band sich durch diese ästhetische Vielfalt manövriert, ist nicht wenig beeindruckend und erinnert an frühe Postrock- und Ambient-Platten. Auch toll ist, dass das Brüderpaar den Begriff psychedelischer Musik dabei nicht als vorgefertigtes Schema versteht, sondern tatsächlich versucht, experimentell über sich selbst hinauszuwachsen. Damit beweisen sie nicht zuletzt auch ein tiefes Verständnis für die ursprüngliche Idee, die gerade Krautrock-Musiker*innen in den Siebzigern verfolgten und deren wirklich skurrile Seite im heutigen Psychedelic Rock häufig unterschlagen wird. Jeff the Brotherhood entdecken sie wieder und zimmern daraus Songs, die kein seichter Kompromiss sind. Es ist erstaunlich, wie sehr sie damit meine ursprünglichen Erwartungen übertroffen haben. Gerechnet hatte ich mit einem soliden, vielschichtigen Garagen-Psych-Sammelsorium der Marke King Tuff, bekommen habe ich vielleicht das beste experimentelle Rockalbum des Jahres. Schade ist daran nur, dass ich erst jetzt auf diese beiden gekommen bin, denn sie bis hierhin zu begleiten, hätte mir im Nachhinein ganz bestimmt Spaß gemacht. Aber keine Sorge: Ab jetzt werde ich sie ganz bestimmt nicht mehr aus den Augen verlieren. Großes Ehrenwort!






Persönliche Highlights: Focus On the Magick / Camel Swallowed Whole / Singing Garden / Celebration / Locator / Wasted Lands / Relish / Magick Man / Heavy Journey

Nicht mein Fall: the Mother

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Sonntag, 16. September 2018

Keys to Success





















Es gibt einfach zu viele junge, selbstbewusste Indierock-Songwriter*innen mit Garagen-Einschlag, die eigentlich ganz gute Musik machen, als dass man über jede*n von ihnen ausführlich berichten könnte. Selbst jemand wie ich, der - zumindest aus eigener Perspektive - schon viel zu viele von ihnen abdeckt, kann nicht überall auf dem laufenden bleiben. Und weil der Andrang gerade in den letzten Jahren immer größer geworden ist, muss man sich eben entscheiden. So war beispielweise eine durchaus beliebte Künstlerin wie Julien Baker für mich bisher eher kein Thema, während ein Tim Darcy oder Kevin Morby vielleicht nicht so angesagt waren, aber ich sie persönlich ziemlich spannend fand. Wobei manche von ihnen immer wieder weder das eine noch das andere sind. Das beste Beispiel dafür ist seit einiger Zeit sicherlich Katie Crutchfield aka Waxahatchee. Die Sängerin aus Alabama ist schon ziemlich genau so lange aktiv, wie ich dieses Format hier schreibe und hat mich dabei in regelmäßigen Abständen sowohl beeindruckt als auch enttäuscht. Angefangen mit ihrem große Hoffnung stiftenden Debüt Cerulean Salt von 2013 hat sie für mich sehr verschiedene Phasen durchlaufen, die allesamt recht gut dokumentiert sind. 2015 zeigte ich mich von ihrem zweiten Werk Ivy Tripp wenig angetan, letztes Jahr landete sie mit LP Nummer drei nur noch in der Schnelldurchlauf-Rubrik, weckte dort aber wieder ansatzweise mein Interesse. Womöglich hätte ich von nun an davon abgesehen, noch einmal über sie zu schreiben, hätte sie nicht gerade jetzt ihre beste Platte seit Jahren veröffentlicht. Zwar ist Great Thunder nur eine 17-minütige EP mit sechs Stücken, doch könnte sie als kleiner Ausreißer in der musikalischen Identität von Crutchfield durchaus Bedeutung erlangen, möglicherweise sogar ein Wendepunkt sein. Denn wo Waxahatchee vorher stets als vordergründiges Gitarrenrock-Projekt funktionierte, ist diese kleine Tracksammlung die erste der Künstlerin, die zum überwiegenden Teil auf dem Klavier geschrieben wurde. Das klingt erstmal nach keiner großen Sache, doch ist es tatsächlich nicht weniger als die kompositorische Neuausrichtung des gesamten Stils von Crutchfield. Dominierte vorher eine sehr garagige Marschrichtung, ähnlich der von Angel Olsen oder Laura Marling, wird sie spätestens hier von der Rockerin zur Songwriterin, die eher an Sharon van Etten oder Moonface erinnert. Und es schafft definitiv neues kreatives Potenzial für sie. Nicht, dass diese Sammlung von Tracks sofort viel besser ist als ihre alten Sachen, im Gegenteil: Nach den bisher sehr energischen Alben muss man sich an den zurückgezogenen neuen Sound erstmal gewöhnen. Was in dieser reduzierten Form aber viel besser wirkt, ist Crutchfields Persönlichkeit, die ganz ohne jeden Schnickschnack hier viel mehr aufblüht. Die Texte erscheinen eindringlicher, man achtet zum ersten Mal wirklich darauf, was für eine talentierte Sängerin diese Frau ist und wie wenig sie doch mit all diesen anderen Künstler*innen gemein hat, mit denen man sie immer vergleicht. Teilweise ist man sich gar nicht sicher, ob man hier überhaupt dieselbe Person hört wie noch auf dem letzten Album. Was aber fest steht ist, dass Waxahatchee dieses neue Klanggewand mindestens so gut steht wie das alte, und dabei gehe ich schwer davon aus, dass diese Tracks hier nur ein Feldversuch waren. Sobald Crutchfield die Ergebnisse daraus in eine größere kompositorische Struktur einwebt, die anfängliche Zartheit überwindet und vielleicht auch die Band-Instrumentation von davor zurückholt, könnte etwas richtig großes dabei rauskommen. Und dann hoffentlich auch das Loch füllen, das das Ausbleiben einer neuen Sharon van Etten-LP seit 2014 bei mir hinterlassen hat.







Persönliche Highlights: Singer's No Star / You're Welcome / Slow You Down / Takes So Much

Nicht mein Fall: You Left Me With An Ocean

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Donnerstag, 13. September 2018

Quereinsteiger






















Wenn es um Grindcore geht, sind Pig Destroyer neben Napalm Death als großer Name wahrscheinlich eine der sehr wenigen Bands, die ihre Bekanntheit in der eigenen Nische sinnvoll genutzt hat, um ein vernünftiges Crossover-Potenzial zu entfalten. Schon seit vielen Jahren sind sie weit darüber hinaus, nur einem kleinen Zirkel von Eingeweihten etwas zu sagen, beziehungsweise so wie Anal Cunt das ewige Meme der Bewegung zu sein. Wenn man in Core-Begrifflichkeiten spricht, könnte man sie mittlerweile sogar als einigermaßen Mainstream bezeichnen. Das liegt allerdings vor allem auch daran, dass während ihrer gesamten Diskografie eben nicht immer nur die eine Art von Musik gespielt haben, sondern die Angelschnüre auch anderweitig ausstreckten. Insbesondere diverse Metal-Genres fanden stets großzügigen Eingang in den Stil der Band aus Richmond, was spätestens in der jüngeren Vergangenheit so weit führte, dass sich das Grind-Etikett langsam von ihren Platten löste. Ihr letztes Album Book Burner von 2012 war stellenweise extrem stark versetzt mit groovigen Breaks, extratiefen Basslines und aufwendigen Drumparts, die schon so manchem Fan eine böse Vermutung entlockten, die sich auf Head Cage nun auch bestätigt: Nach sechs Jahren Muskelaufbau und Proteinshake-Kuren kehren Pig Destroyer hier als vollwertige Metalcore-Band zurück. Sicherlich ein herber Schlag für die alte Anhängerschaft, die sich gerade in Foren und YouTube-Kommentaren ein bisschen ausheult. Und auch ich war zunächst nicht sonderlich begeistert vom neuen Material, das im Vorfeld des Albums erschien. Tracks wie Mt. Skull oder the Torture Fields waren tatsächlich nicht mehr als rabiater, unfokussierter Krach, der definitiv ein Rückschritt für diese Gruppe war. Allerdings muss ich sagen, dass das fertige Ergebnis doch deutlich weniger schlimm ist als erwartet. Was übrigens in keinster Weise bedeutet, dass Pig Destroyer sich mit ihren neuen Impulsen zurückhalten. Head Cage ist definitiv ein Kahlschlag, aber eben auch ein ziemlich großartiger. Um ehrlich zu sein: Ich finde, dass sich die Band mit ihren Baller-Riffs, Drum-Kaskaden und Moshpit-Breaks unglaublich gut schlägt und großes Talent für diese Art von Musik zeigt. Noch dazu wirken sie dabei nicht so gelangweilt wie die große Unzahl der Metalcore-Acts, bei denen die Grimmigkeit nur noch Pose ist. Diese LP ist wirklich alles andere als progressiv, trotzdem wirken die Musiker unglaublich erfrischend, energisch und leidenschaftlich bei dem, was sie hier machen. Sie brauchen weder einen D'n'B-Beat, noch ein Rap-Feature noch cineastische Videos, um originell zu wirken, ihnen reicht eine handvoll gut geschriebener Songs. Zugegeben, im Opener Tunnel Under the Tracks gibt es gesamplete Streicher, einen Spoken Word-Einspieler und ziemlich Drone-artige Komposition, das war es aber dann auch schon mit der Zauberei. Verglichen mit dem, was Bands wie Attila oder Heaven Shall Burn manchmal abziehen, ist das garnichts. Ihre starke Waffe sind wie schon immer die starken Songs und das ändert sich auch dann nicht, wenn sich bei ihnen eigentlich alles ändert. Sicher, der Stilbruch wird nicht für jede*n leicht zu verdauen sein, aber schlechtere Musik machen Pig Destroyer jetzt bei weitem nicht. Diese Platte könnte sogar der Beginn eines zweiten Frühlings als Metalcore-Act sein.



Persönliche Highlights: Tunnel Under the Tracks / Army of Cops / Circle River / Terminal Itch / the Adventures of Jason and Jr. / House of Snakes

Nicht mein Fall: Mt. Skull

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Mittwoch, 12. September 2018

Paul ist alt





















Paul McCartney war in den letzten Wochen für einen Musiker mit seiner Vergangenheit überraschend mitteilungsbedürftig. Frei von der Leber weg lästerte er über seinen Kumpel John Lennon, erzählte davon, wie sie gemeinsam masturbierten, wie er Ringo Starr mal fast verprügelt hätte und seine Version des wirklichen Endes der Beatles. Es war alles ziemlich kontrovers für einen sonst eigentlich so sympathischen Rock-Opa wie ihn und wie viel davon letztlich noch Promo-Talk war, konnte man nur schwer einschätzen. Die Wirkung des ganzen war eben blöderweise, dass sein neues Album Egypt Station dabei ein bisschen hintenüber fiel. Ist ja auch klar, dass die Leute nichts mehr davon wissen wollen, wenn Sir Paul McCartney von seiner wilden Jugend in der größten Band der Welt erzählt. Und anscheinend klappt die Kanye-Masche ja auch nicht bei allen. Trotzdem ist es natürlich nicht kleinzureden, wenn das einzige noch wirklich aktive Fab Four-Mitglied eine neue LP veröffentlich, was aller Jubeljahre ja doch noch mal passiert. Vor allem, weil die Erwartung, dass diese bahnbrechend werden, mittlerweile wirklich überschaubar sind. Auf die Frage, welches das letzte richtig gute Album des Briten war, kann ich aus heutiger Sicht keine klare Antwort geben und vielleicht hat es sowas ja schon seit den Siebzigern nicht mehr gegeben. In dem Zusammenhang ist es dann auch gar nicht so schlimm, dass Egypt Station definitiv in die unterste Schublade seiner Diskografie gehört. Es fällt schwer zu sagen, weil das hier schließlich der Typ ist, der Helter Skelter und Let It Be geschrieben hat, aber diese Platte ist ein absoluter Totalausfall. Und das liegt vor allem daran, dass es McCartney es auch mit 76 nicht hinbekommt, in Würde zu altern. Das Problem existiert wohlgemerkt schon länger, nicht umsonst trug seine letzte LP von 2013 den Namen New. Der geadelte Popstar hängt des öfteren mit Kanye West und Dave Grohl rum, gibt in Late Night Shows gerne den Kasper und ist auch sonst kein besonders seriös wirkender Zeitgenosse. Wo man ihm das aber absolut nicht vorwerfen kann und ich ihm seine Leichtigkeit in keinster Weise missgönne, wird es in seiner Musik doch stets zum Problem. Dieses Album dürfte dafür selbst das beste Beispiel sein. In nicht wenigen Songs schmeist sich der Songwriter hier an stromlinienförmigen Millenial-Pop ran, singt über One Night Stands, übers Kiffen und Partymachen und hat dabei maximal so viel Tiefgang wie Emo-Posts von Teenagern auf Tumblr. Einen Track wie Fuh You sollte man von keinem Menschen seines Alters mehr hören müssen, und dabei ist dieser rein klanglich noch einer der besten hier. Von den 16 Stücken, die McCartney auf dieser LP vereint, gibt es gerade mal eine handvoll, die nicht komplett peinlich sind. Who Cares hat einen ganz vernünftigen New Wave-Touch und Back in Brazil immerhin ein cooles Flötensolo. Danach hört es aber zum großen Teil auch schon auf. Entweder ist die Musik einfach nur öde, auf eine ekelhafte Art jugendlich oder man weiß gar nicht so richtig, mit welchem Ziel eigentlich gearbeitet wurde. Von Dingen wie großen Melodien, spannender Komposition oder charismatischer Performance braucht man gar nicht erst anfangen. Egypt Station ist furchtbar unfokussiert, viel zu aufgedreht und in seiner Wirkung trotzdem irgendwie lahm. Am allerschlimmsten ist Paul McCartney hier mit Abstand aber als Texter und Sänger. Ein besonders toller Lyriker war er ja noch nie, aber dass er solchen Schrott schreibt, überrascht mich dann doch. Reime wie "you" auf "too" oder ähnlich amateurhaftes findet sich so gut wie überall und in Sachen Deepness übertrifft ihn selbst XXXtentacion um Längen. Dass er sich damit ohne Scheu auch in gesellschaftskritisches und konkret politisches Terrain wagt, macht die Sache nicht besser. Zumal er sich auch noch ständig an gesanglichen Hakenschlägen versucht, die er schon lange nicht mehr schafft. Solche Details in der Performance sind dann aber nur die Sahnehaube auf einem Totalschaden von Album, das bis auf wenige Ausnahmen eine Ansammlung von Scheußlichkeiten ist. Es ist nicht komplett unhörbar, aber zumindest zu großen Teilen. Ob man das Paul McCartney jetzt als Ausrutscher ankreidet oder darin einen Trend sieht, ist mir eigentlich egal, nur sollte man ihn nicht aus dem Grund schonen, weil er mal ein Beatle war. Denn wahrscheinlich war selbst mehr kreative Energie im Raum, als er sich damals mit John Lennon einen runterholte, als es diese auf Egypt Station gibt.







Persönliche Highlights: Who Cares / People Want Peace / Back in Brazil

Nicht mein Fall: Opening Station / I Don't Know / Happy With You / Fuh You / Dominoes / Caesar Rock / Despite Repeated Warnings

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