Montag, 31. August 2020

No More Mr. Brightside

 The Killers - Imploding the Mirage

 

[ pathetisch | synthrockig | überlebensgroß ]

Als ich 2017 zum letzten Mal über ein Album der Killers schrieb, begann ich meine Auseinandersetzung mit der Feststellung, dass es sich bei dieser Band mittlerweile um ein musikalisches Phantom des Zwotausender-Indierock handelt, für das sich eigentlich kaum noch jemand interessiert und dass rückblickend eigentlich auch nichts anderes ist als ein glorifiziertes One-Hit-Wonder. Drei Jahre später steht das nächste Album des Trios aus Las Vegas auf dem Plan und ich muss zunächst feststellen, wie drastisch sich die Situation seitdem verändert hat. Sieht man sich die Killers von 2020 an, sieht man eine Band, die wieder in den Schlagzeilen ist und sowohl positiv wie negativ mächtig Rabatz macht. Positiv in dem Sinne, dass sie letztes Jahr eine absolut legendäre Headlinershow beim Glastonbury spielten, bei der sie sich schon mal kurz anfühlten wie die jungen Götter des Rockolymps und mit Endgültigkeit klar machten, dass Mr. Brightside einer der größten Indie-Hymnen aller Zeiten ist. Negativ ganz aktuell in dem Sinne, dass kurz vor Veröffentlichung dieses Albums schwere Missbrauchsvorwürfe gegenüber Crew und Band geäußert wurden, die plötzlich auch die ganz andere Seite der Rockstar-Medaille aufzeigen. Eine hässliche Sache, die in jedem Fall maßgeblich das überschattet, was auf dieser LP musikalisch passiert und die bedeutet, dass ich gerade ein Problem mit den Killers habe, unabhängig von ihren Songs. Was echt eine Schande ist, denn auf Imploding the Mirage sind die tatsächlich so gut wie lange nicht mehr. Nach der langen Pause Anfang der letzten Dekade und dem ziemlich verpatzten Neuanfang mit Wonderful Wonderful vor drei Jahren würde ich sogar so weit gehen, das hier als das wirkliche Comeback dieser Band auszurufen, mit dem sie endlich wieder ihre ursprüngliche Energie anzapfen und mit der Stärke weitermachen, die sie vor der Pause hatten. Wenn ich die Sache rückblickend betrachte, ist ihre kurze Popstar-Phase zwischen 2008 und 2012 eigentlich meine liebste. Was praktisch ist, denn Imploding the Mirage dockt an vielen Stellen dort an, wo Day & Age und Battle Born am besten waren: Synthetischer Heartland Rock mit extrem viel Pathos, balladesken Texten und der richtigen Prise Retro-Schmalz als Sahnehaube. Noch immer ist Brandon Flowers dabei der eindeutige Fokuspunkt der Gruppe und wirkt in den entscheidenden Momenten noch mehr wie die letzte große Frontsau des amerikanischen Rock'n'Roll und der dandyhafte Juniorpartner von Bruce Springsteen. Es braucht einen Charakter wie ihn, damit so theatrale Nummern wie Caution oder Dying Breed nicht völlig albern wirken und auch 16 Jahre nach Mr. Brightside ist sein Beitrag das größte Kapital der Killers. Wobei Imploding the Mirage eben auch mal wieder eine Platte ist, die in ihren Details überzeugt und bei der ein Songwriting strahlt, das eindeutig eine Teamleistung ist. Zum ersten Mal seit Day & Age traut sich diese Band wieder, verspielt und freaky zu klingen und dabei auch mal eine gehörige Portion Pop zuzulassen. Einzelne Stellen hier erinnern dann eben nicht so sehr an kraftmeiernden Born in the USA-Synthrock, sondern vielleicht an Muse, Abba oder the Arcade Fire. Das ist eine Form von Kreativität, die die Killers nur alle zehn Jahre mal haben und sie hier wiederzufinen, ist eine helle Freude. Vor allem, da es die Band hier trotzdem noch hinkriegt, sie selbst zu bleiben und das Gesamtwerk im Fokus zu behalten. Und obwohl es einige Stellen gibt, in denen das ganze nicht zu hundert Prozent ausgereift ist und etwas geschludert wird, sind es diesmal nicht diese Momente, die das Album ausmachen. Außerdem sind die besten Passagen hier welche, in denen die Killers so episch klingen wie noch nie, was die Schwächephasen mehr als ausgleicht. Weshalb es doppelt scheiße ist, dass ich diese LP eben nicht so vorbehaltlos abfeiern kann, wie ich gerne würde. Im gleichen Atemzug, in dem ich sage, dass die Killers hier ihr bestes Stück Musik seit gut zehn Jahren machen, muss ich euch empfehlen, es besser nicht anzuhören, weil diese Band anscheinend ein misogyner Haufen Vollidioten ist. Ich gönne ihnen ein Comeback zu diesem Zeitpunkt absolut nicht, aber dieses Album ist es allem Anschein nach. Und es stört mich sehr, wie gerade viele Rockblätter diese Platte deswegen sehr unreflektiert abfeiern und wegen ein paar guter Songs vergessen, was noch vor zwei Wochen ihre wichtigste Schlagzeile war. Ich mag das Album auch, aber das macht nicht plötzlich alles wieder gut. Im Gegenteil, die Überraschung über die Hochwertigkeit dieser LP dämpft gerade eher die aufkeimende Debatte über sexistische Praktiken in der Indie-Szene, die aber unbedingt geführt werden muss. Wenn ihr also eines als Konsequenz dieses Artikels mitnehmt, dann das. Und vielleicht, dass man jetzt nicht mehr so laut Mr. Brightside mitgrölen sollte.


Hat was von
Muse
Simulation Theory

Editors
the Weight of Your Love

Persönliche Höhepunkte
My Own Soul's Warning | Dying Breed | Caution | Running Towards A Place | Imploding the Mirage

Nicht mein Fall
My God

Sonntag, 30. August 2020

Nerdig By Nature

 Jacob Collier - Djesse Vol. 3

 
[ exzentrisch | hibbelig | bunt ]
 
Es passiert mir heutzutage relativ selten, dass ich von jemandem noch mit ernsthafter Verwunderung den Satz "Wie, du kennst [Künstler*in XY] nicht?!" entgegnet bekomme, was primär vielleicht ein Indikator dafür ist, dass ich die Nutzung meiner Gehirkapazität vielleicht anders priorisieren sollte. Aber wenn es wirklich mal passiert, macht es mich vor allem dann stutzig. Noch dazu bei einem Typen wie Jacob Collier, der sich in weiten Kreisen ja tatsächlich eines ordentlichen Renomées erfreut und von dem ich bis vor etwa drei Wochen nicht einmal den Namen kannte. Einen Umstand, der aber auch damit recht gut zu erklären ist, dass die Fans des Londoners größtenteils in jener praktisch orientierten Musiknerd-Bubble zu finden ist, derer ich nicht Teil bin. Sprich Leute, die nicht nur viel über Musik reden, sondern diese auch spielen und verstehen. Vor allem der Jazz-Fraktion hat es Collier anscheinend angetan, und nach allem, was ich bis jetzt herausgefunden habe, hat das wohl damit zu tun, wie geschickt er kompositorische Finesse und Komplexität in einem Songwriting versteckt, das an und für sich eher gefällig und bisweilen sogar catchy ist. Im Klartext ist er also einer dieser Leute wie Andrew Huang, Thom Yorke oder John Coltrane, die Musiktheorie-Nerds mögen, weil sie Songs schreiben, die der Plebs geil findet, ohne ihren technischen Anspruch zu verstehen. Eine Haltung, die ich von der Sache her hochgradig kritisch finde und die mir Collier von der Sache her schon ein bisschen unsympathisch macht. Wobei ich im gleichen Atemzug sagen muss, dass ich seine eigentliche Musik - oder zumindest das, was ich in Vorbereitung auf diese LP gehört habe - ziemlich gut fand und die Leute, die dem Burschen auf Youtube in den Arsch kriechen, ein bisschen verstehen kann. Mit Ausnahme von einer Sache: Der Behauptung, sein Songwriting wäre orginell. Meinem Eindruck nach ist eher das Gegenteil der Fall und der Brite ist im wesentlichen die Summe seiner vielen Einflüsse. Dauerhaft sind das vor allem Justin Vernon und das Roster von Brainfeeder Records, im Kleinen alles von Geshwin bis Genesis. Weshalb ich bis dato vor allem davon fasziniert bin, wie dieser Typ verschiedene Einflüsse zusammenbringt. Allein wenn man sich die bisher zwei Teile seiner Djesse-Saga anhört, ist das Crossover-Potenzial extrem ergiebig. Wo die erste LP von 2018, eine Kollaboration mit dem Metropol Orkest, sehr getragen und orchstral die Klangräume von Folk und Kammerpop erforschte, war Teil Zwei ein Jahr später eine totale Kakophonie aller möglichen Stile, die Collier zu einem knallbunten Flickenteppich verband. Und obwohl dieses dritte Kapitel nun eher wieder davon absieht, zu krass in die Kontraste zu gehen, ist es doch erneut eine beachtliche Verfädelungsleistung. Ein Faktor, der sich am deutlichsten an der Gästeliste zeigt, auf der Daniel Caesar und Kimbra genauso Platz finden wie T-Pain und Ty Dolla $ign. Ebenfalls ganz gut daran abzulesen ist die stilistische Ausrichtung dieser Platte, die primär in Richtung Neosoul, R'n'B, Gospel und Funk tendiert. Wobei ich wieder als erstes feststellen muss, wo ich das alles schonmal gehört habe: Die letzten Brainfeeder-Platten ploppen dabei ebenso auf wie frühes Zeug von Janelle Monàe, ein bisschen Stevie Wonder und die R'n'B-infizierten Phasen von Bon Iver und Dave Longstreth. Schlimm ist das nicht, denn gute Musiker*innen sind das alle. Und wie Collier hier als verbindendes Element agiert, ist ebenso faszinierend wie seine krasse Leistung als Sänger (Minus seines ziemlich peinlichen Rap-Versuchs in Count the People). Die Features sind cool miteinander verwoben, die Sound verliert durch seine Hochglanz-Politur nicht an Soul und der hibbelige Bassfunk von In My Bones funktioniert nicht weniger gut als der andächtige Gospel-Vibe von He Won't Hold You. Klar ist der Ansatz an die ganze Sache mitunter ein bisschen...nun ja...weiß, aber niemals Charlie Puth-schlimm. Und ferner nicht das Problem der Platte. Das liegt, wenn man das überhaupt so benennen will, im sehr technisierten Songwriting, das am Ende eben kein Pop ist, so sehr es auch möchte. Gerade im Mittelteil fällt mir auf, wie null eigängig die meisten dieser Stücke sind und wenn es Ausnahmen gibt, hat das meistens mit den Gästen darauf zu tun. Daniel Caesar und Rapsody machen ihre jeweiligen Tracks sogar fast komplett zu ihren eigenen und sind dort Highlights, wo der Hauptakteur musikalisch patzt. Und wenn die richtige Melodik fehlt, dann hilft leider auch die beste Technik nichts. Es muss dazu gesagt werden, dass Djesse Vol. 3 darunter nicht so schlimm leidet wie ein Steven Wilson oder diese ganzen unsäglichen Youtubestars, aber es ist definitiv ein Faktor. Und es führt dazu, dass ich diesen Typen am Ende eben nicht so sehr genießen kann wie einen Justin Vernon, einen Stephen Burner oder einen Thom Yorke. Weil er hinter allem kaschierten Nerdtum eben doch ein Techniker ist, der es um der Technik willen macht. Vor allem, wenn er sich hier einer Sache wie Soul vornimmt, bei der Emotionalität immer vor Professionalität kommt. Und bis diese Aura von ihm abfällt, braucht es vielleicht einfach noch ein bisschen.



Hat was von
Bon Iver
22, A Million

Janelle Monàe
the Archandroid

Persönliche Höhepunkte
Count the People | In My Bones | Time Alone With You | He Won't Hold You

Nicht mein Fall
-

Samstag, 29. August 2020

Das Anti-Debüt

A. G. Cook - 7G

 
[ digitalistisch | ausschweifend | skizziert ]

Hätte es A.G. Cook seinem Publikum immer einfach gemacht, dann wäre er heute nicht dort, wo er ist. Seit Jahren schon ist er hinter den Kulissen seines 2013 gegründeten Labels PC Music der wesentliche Drahtzieher von so ziemlich allem, was in den letzten Jahren wahlweise als Glitch Pop, Bubblegum Bass oder Post-Internet langsam nach oben gespült wurde und damit mit großer Wahrscheinlichkeit einer der einflussreichsten Musiker der vergangenen Dekade. Nicht nur hat er mit PC Music einen innovativen und spannenden Stil und eine Ästhetik begründet, er war auch Stammproduzent für alles, was Charli XCX in den letzten fünf Jahren gemacht hat, wesentlich an Arbeiten von Sophie, Hannah Diamond und diversen anderen beteiligt und tauchte letzten Monat sogar auf dem Remix-Album von 100 Gecs auf. Wenn es um Veröffentlichungen dieser musikalischen Machart geht, ist A.G. Cook stand 2020 also nicht nur ein Pionier, sondern auch nach wie vor wesentlicher Kollaborateur, der wie es scheint bei allem seine Finger im Spiel haben muss. Dass er selbst eher öffentlichkeitsscheu ist, gehört dabei zum Teil des Marketings. Sein Release-Katalog umfasst abgesehen von vielen Singles aktuell nicht mehr als eine EP von 2013 sowie ein längeres Projekt von 2017, die beide nicht wirklich als Album durchgehen. Und wenn man streng ist, dann ist auch 7G das nicht wirklich. Viel eher eine verhuschte Werkschau der flüchtigen Ideen und klanglichen Vignetten. Nachdem die Marke A.G. Cook bisher immer eine der kleinen Brötchen war, haut der Londoner uns hier trotzdem mit einem Mal sehr plötzlich seine ganze Schaffenskraft um die Ohren. 49 Songs in knapp drei Stunden, unterteilt in sieben einzelne Kapitel mit je sieben Stücken. Das ist kein Album, das ist ein Evangelium. Und eine Sache, der ich mich auch auf besondere Weise nähern wollte. Denn nicht nur ist das hier ein großes und komplexes Werk, das viele Stile und Einflüsse zusammenbringt, es ist - zumindest formell - auch das erste wichtige Solo-Statement dieses Künstlers, der immerhin gerade die Popmusik von morgen prägt. Also will ich dieser Sache mit dem gebührenden Umfang begegnen, Stück für Stück. Was im Klartext bedeutet, das das hier nicht eine Besprechung wird, sondern sieben. Oh boy.

 

1. Auf die Fresse

Zu Beginn fällt Cook gleich mal mit der Tür ins Haus. Der Opener A-Z beginnt mit einem fiesen, verglitchten, tierisch laut gemixten Breakbeat-Jumpscare, der direkt Stress provoziert. Schon in den ersten Sekunden dieser Werkschau fühlt man sich unwillkommen in einer monochromen, digitalen Parallelwelt, an der absolut nichts human oder organisch ist. Und obwohl diese Ästhetik mehr oder weniger nur ein Schockeffekt ist, der sich nach ein paar Minuten wieder auflöst, erzielt es doch die richtige Wirkung: Man muss bereit sein für diese LP, und eine erwärmende, menschelnde Erfahrung ist das ganze im Regelfall nicht. Selbst wenn im zweiten Song Acid Angel zerschnipselte Gesangssamples hinzukommen oder Nu Crush ernsthaft in Richtung Melodie tendiert, sind das eher Fassaden von klanglicher Organik, wie Deepfakes oder Chatbots: Sie fühlen sich menschlich an, aber irgendwas daran ist einfach falsch. Soviel zur wesentlichen Ästhetik. Der erste Teil von 7G ist dann auch gleich derjenige, der diesen Faktor an Cooks Musik am meisten stresst und am weingsten nach Gemütlichkeit sucht. Wo auf späteren Teilen noch eher der Melodie-Zauberer Cook hervortritt, ist dieser Einstieg doch erstmal verhältnismäßig experimentell und leider auch etwas wüst. Wer nach stilistischem Fokus sucht, wird hier definitiv erstmal von einem sehr richtungslosen Anti-Konzept über beide Ohren gehauen, das sehr an seine Arbeit mit Sophie oder den 100 Gecs erinnert, die mir ja persönlich eher nicht so zusagt. Für sich mag ich die meisten der Songs hier, doch funktionieren sie absolut nicht zusammen. Ein Problem, das dieses Album in meinen Augen nicht zum letzten Mal hat.

Persönliche Höhepunkte
A-Z | Acid Angel | H2O | Gemstone Break | Silver

Nicht mein Fall:
Drum Solo
 
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2. Anyway, Here's Wonderwall

Im zweiten Teil von 7G hört man auf diesem Album - und soweit ich weiß in Cooks gesamter Laufbahn - zum ersten Mal großzügig den Einsatz von Gitarren - und zwar von echten. Scheint so, als hätte der Brite sich jüngst ein paar Techniken des Emo-Revivals und generell der Ästhetiken von Rockmusik abgeschaut. Und das nicht nur dieses eine Mal: Being Harsh ist eine Akustikballade, die fast ein bisschen an Soccer Mommy erinnert, später gibt es noch eine Coverversion des Blur-Klassikers Beetlebum, einen live performten Song und in Undying sogar einige Elemente von Garagenrock. Es ist offensichtlich, dass Cook Teil Zwei dieser LP dafür nutzt, um gewisse Rock-Energien, die in den vergangegen Jahren nie eine Rolle spielten, entwickelt und bündelt. Und obwohl die Ergebnisse bestenfalls skizzenhaft sind, entstehen hier doch einige der coolsten Songs der gesamten Platte, die in den besten Momenten klingen wie Demos der Sachen, die Kids See Ghosts oder Bilderbuch in den letzten Jahren kultiviert haben. Was allerdings nicht bedeutet, dass hier nicht trotzdem noch eindeutig die Handschrift von Cook zu hören ist und ein paar klampfige Takes der digitalistischen Ausrichtung keinen unmittelbaren Abbruch tun. Es mag ob meiner generellen Präferenzen vorhersehbar sein, doch dieses Kapitel bringt nach dem chaotischen ersten Teil erstmals etwas Richtung in das ganze Ding und ist, obleich immer noch etwas skizzenhaft, auch kompositorisch einer der besseren Teilbereiche von 7G.

Persönliche Höhepunkte
Gold Leaf | Being Harsh | Undying | Drink Blood | Lil Song | Superstar

Nicht mein Fall
Beetlebum
 
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3. Untoter Avicii

Nachdem das letzte Kapitel durchweg ziemlich soft war, kommt auf Mad Max der nächste Jumpscare, der erst nach Scott Walker klingt, sich dann aber eher in Richtung Goth-EDM auflöst. Generell funktioniert Teil Drei als ein sehr clubbiges, moströses Gebilde, das permanent zwischen Harsh Noise und David Guetta hin und her pendelt, aber darin zeitweise auch eine ziemlich coole Ästhetiken findet. Soft Landing verortet sich als abtrünniges Element zwischendurch eher im ätherischen Grimes-Territorium und DJ Every Night ist mehr oder weniger ein Remix des gleichnamigen ersten Megahits von Hannah Diamond, aber generell kann man schon sagen, dass dieser Teil sehr nach einer bestimmten Art und Weise funktioniert. Zusätzlich dazu schafft es Cook hier auch endlich, so etwas wie Übergänge zwischen den einzelnen Titeln herzustellen und Melodien zu erschaffen, die wirklich nach Songs statt nach Skizzen klingen. Rein durch diese kompositorische Kraft schafft es Kapitel Drei mit Abstand, mich auf Anhieb mehr zu überzeugen als die ersten beiden und ist auf der gesamten LP vielleicht sogar mein Lieblingsabschnitt.
 
Persönliche Höhepunkte
Mad Max | Illuminated Biker Gang | Soft Landing | Overheim | DJ Every Night | Car Keys

Nicht mein Fall:
-
 
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4. Ein Klavier, ein Klavier!

Wenn Teil vier dieser Platte mit einer Sache ganz gut zu beschreiben ist, dann vielleicht als digitalistische Version eines Vanessa Carlton-Songs. Überall klimpernde Keyboard-Flächen und billige Casio-Soundscapes, die irgendwie das schon immer krude Pop-Verständnis von A.G. Cook und der Anfangsjahre von PC Music zusammenfassen. Catchy sind die meisten Tracks dabei nicht, eher wieder ziemlich skizzenhaft und flüchtig. Was aber nicht so schlimm ist, weil diesmal wenigstens die postmoderne Ambiance richtig gut funktioniert. Soll heißen, dass diese Stücke ziemlich atmosphärisch sind. In Windows geht die Sache am Ende wieder in Richtung Glitch, Polyphloisbosterois hat einen Hardtech-Beat und Waldhammer probiert sich sogar an ein paar klassischen Barock-Motiven, doch Ausreißer gibt es hier relativ wenige. Allerdings auch nicht so viele auffälige Stücke wie in den beiden vorherigen Kapiteln. Nicht unbedingt schlimm, aber auch nichts, mit dem der Brite sich selbst übertrifft.
 
Persönliche Höhepunkte
Waldhammer | Polyphloisboisterous | Anything Could Happen

Nicht mein Fall:
-
 
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5. Melancholie & Wahnsinn

Behind Glass und Oohu starten dieses Kapitel mit zwei unterkühlten Chiptune-Vignetten, die sehr an 8-Bit-Soundtracks erinnern, danach gibt es in ähnlicher Manier unter anderem ein Cover von Taylor Swifts the Best Day, bevor der becherne Industrial-Jam Triptych Demon die ganze Sache kurz in Richtung Hysterie manövriert. Cooks Bearbeitung von Charli XCXs Official danach ist in Ordnung, aber lange nicht so gut wie das Original und die beiden letzten Songs fügen einem sehr verwaschenen Gesamteindruck doch recht wenig hinzu. Wie schon beim ersten Teil mag ich hier einzelne Sachen, generell finde ich hier aber keine konsequente Ästhetik wieder, was mich irgendwie stört. Insgesamt kein schlechter Part, aber an sich doch ein sehr unspektakulärer.
 
Persönliche Höhepunkte
Behind Glass | Oohu | Tryptich Demon | Crimson

Nicht mein Fall:
the Best Day | Official
 
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6. ASMR

Im sechsten und vorletzten Teil der Odyssee von 7G steht die Stimme im Mittelpunkt, wobei damit im seltensten Fall klassischer Gesang gemeint ist. Ähnlich wie im ersten Teil gibt es diesen zwar - auch eindeutig aus menschlicher Quelle - allerdings fast immer total verglitcht und zerschnippelt. Auf Seite der Coverversionen müssen diesmal die Strokes dran glauben, das Ergebnis ist immerhin okay. No Yeah entflieht kurz komplett in den Definitionsbereich von ASMR, während Green Beauty sich im ein immer wieder gelooptes und verpitchtes Vokalsample spiralt. Von allen Parts dieses Albums ist Teil Sechs definitiv derjenige, der seine Experimentalität am ernstesten nimmt und kompositorisch an die Substanz will. Obwohl ich das vom Prinzip her cool finde, ist es zu wenig Hingabe mit zu kleinem Effekt. Rein ergebnistechnisch ist dieses Kapitel nicht mehr als theoretisch gut und hat erneut das Problem, ziemlich zerfasert und unstet zu sein. Zusammen mit Teil Eins wahrscheinlich mein unliebster Abschnitt von 7G.
 
Persönliche Höhepunkte
Could It Be | Green Beauty | Hold On

Nicht mein Fall
No Yeah | 2021
 
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7. Fremde Federn

Wenn bei diesem letzten Teil eines auf den ersten Blick auffällt, dann die Tatsache, dass hier vier von sieben Tracks Coverversionen sind, und teilweise ziemlich hochkarätige: Today von den Smashing Pumpkins, Crimson & Clover von Tommy James und den Shondells, Chandelier von Sia und Idyll von Life Sim. Das Spektrum reicht dabei von durchaus gelungen bis zu ziemlich grauenvoll. Die drei Originale, die Cook am Ende noch einstreut, wirken dazwischen eher langweilig und tragen nicht wirklich viel zum Eindruck bei. Vor allem liegt das aber daran, dass sie sich als flüchtige Skizzen nicht nur gegen echte Songs durchsetzen müssen, sondern zum Teil gegen ziemlich originelle Takes zu klassischem Material. Der Ausstieg ist dabei mindestens genauso random wie der Einstieg des ersten Kapitels und provoziert nicht gerade die Vermutung, dass hier etwas größeres, konzeptuelles das Ziel war. Es ist nicht schlecht, aber auch absolut nicht besonders. Und am Ende ist man tatsächlich auh froh, dass es vorbei ist.
 
Persönliche Höhepunkte
Today | Show Me What

Nicht mein Fall
Chandelier | Crimson & Clover
 
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Fazit

Um auf die wichtigste Frage zuerst einzugehen: Nein, 7G ist kein Album, das man komplett durchhören muss und ich bezweifle, dass es als solches angedacht ist. Wie eingangs schon angedeutet, funktioniert diese Musiksammlung eher als eine Art Werkschau von A.G. Cook, die eine umfangreiche Palette dessen präsentiert, womit der Brite so arbeitet. Und das rechtfertigt zwar die Länge dieser LP und dass sie so lose zusammengeschustert ist, ist aber in keinster Weise eine Aufforderung dazu, das hier als Gesamtwerk zu sehen. Ehrlich gesagt ist das sogar überhaupt nicht möglich. 7G ist eine Anhäufung von großen Mengen an sehr skizzenhaftem Material mit bestenfalls rudimentärem Songwriting und nur wenig ästhetischem Zusammenhang. Die besten Momente darin zeigen, dass A.G. Cook ein ziemlich guter Musiker ist, aber Hits macht er doch lieber für andere. Ganz zu schweigen von klassischen Albumformaten, denn obwohl das hier ganz formell ein Debütalbum sein könnte, ist es doch viel mehr eine Verweigerung davor. Was als solches bedeutet, dass es kontingent ist. Wer hier den großen LP-Einstand des Briten gesucht hat, wird sicherlich sehr enttäuscht sein, eine Blamage bedeutet das aber keineswegs. Es zeigt nämlich sehr effektiv, wie dieser Typ arbeitet und das kann mitunter schon faszinierend sein. Nichts an dieser Platte selbst ist wichtig und wahrscheinlich wird man sie sehr schnell wieder vergessen haben, doch was wichtig ist, ist der Mann dahinter. Denn der zeigt uns hier die Hintergründe der zukünftigen Klassiker, die er gerade für andere macht. Und dabei wird es fürs erste wohl auch bleiben. Wenn das Solodebüt des A.G. Cook also eines unterstreicht, dann dass A.G. Cook ein Magier der zweiten Reihe bleibt, der sich nicht ins Rampenlicht spielt. Selbst mit einem Drei-Stunden-Album nicht.



 
Hat was von
PC Music
PC Music Volume 1

100 Gecs
1000 Gecs & the Tree of Clues

Dienstag, 25. August 2020

Dunkler Phoenix

 Crack Ignaz - Sturm und Drang

 
[ nachdenklich | introvertiert | emo ]

Wäre Crack Ignaz ein Fußballer geworden, würde man Stand 2020 wahrscheinlich davon reden, dass seine Karriere ein ziemlicher Flop gewesen ist. Vor sieben Jahren als junges Talent entdeckt, der eine innovative Technik und einen individuellen Stil aufzeigte und der eigentlich nur ein bisschen Fokus und Routine gebraucht hätte, um einer der besten zu werden. Aber nach ein paar guten Jahren in kleinen Clubs scheiterte er an der großen Bühne, verlor seine spielerische Einzigartigkeit, es kam schlechtes Management hinzu und in der Zeit, die eigentlich als seine beste Phase prognostiziert war, saß er fast nur auf der Ersatzbank. Die Analogie ist an dieser Stelle natürlich ein bisschen bei den Haaren herbeigezogen, aber grundlegend doch passend: Wenn ich mich daran erinnere, was für eine riesengroße Hoffnung der junge Rapper aus Salzburg zu Beginn der letzten Dekade war, ist es absolut erstaunlich, wie wenig von ihm und seiner Musik seitdem Hängen geblieben ist. Über die Gründe dafür lässt sich viel spekulieren und wahrscheinlich lässt sich keiner als Hauptursache ausmachen, Fakt ist jedoch: Der Ertrag ist durchwachsen. Sturm & Drang ist gerade sein erstes richtiges Album seit vier Jahren (je nach Zählweise auch nach zwei) und es fühlt sich ein bisschen so an, als hätte man in dieser Zeit das wesentliche Kapitel seiner Karriere übersprungen. Nach den großartigen Durchbruchs-Platten Geld Leben (mit Wandl) und Aurora (mit LGoony) von 2016 springt Ignaz hier mehr oder weniger direkt zur ausgelaugten Katerplatte nach dem nie wirklich stattgefundenen Hype und eher komischen Projekten wie Marmeladé, New Level und dem tatsächlich sehr unterschätzten Bullies in Pullis 2 von 2018. Es gab Zeiten, da fragte man sich, ob Iggy Crack als Künstler überhaupt noch existierte und in denen selbst seine Social Media-Accounts über Monate eingeschlafen waren. Und so lange, wie die Stille andauerte, so schnell und unverhofft kam diese neue Platte. Zumindest seine Unberechenbarkeit hat der Rapper also behalten. Darüber hinaus ist das hier aber in so gut wie jeder Hinsicht eine Neuorientierung, in gewisser Weise vielleicht auch das Ende der Neuorientierungen in Crack Ignaz' Laufbahn. Denn vorwärts bewegt sich der Österreicher mit so ziemlich allem, was nach Aurora kam. Sowohl Geld Leben als auch Marmeladé waren ästhetische Befreiungsschläge aus dem Cloudrap-Klischee der frühen 2010er und als solche bisweilen ziemlich chaotische. Es war sehr oft klar, was dieser Künstler abstreifen wollte, aber weniger, wohin er sich bewegte. Und dass er eine Richtung einschlug, bedeutete keinesfalls, dass er nicht wieder umkehren konnte. Das war spannend und kreativ, aber auch verwirrend. Sturm & Drang fühlt sich wie das erste Album seit Geld Leben an, auf dem eine Sache relativ konsequent durchgezogen wird. Wobei das lose übergeordnete Thema der LP so etwas ist wie das düstere Reboot des Charakters Crack Ignaz. Über die gesamte Tracklist hinweg gibt es hier mehr oder weniger deutliche Hints bezüglich innerer Krisen und mentaler Ausgelaugtheit, die auch ein bisschen die Spekulation befeuern, warum diese Platte so lange gedauert hat, die aber vor allem stilistisch etwas verursachen. Beats, Sprache und Performance von Iggy sind die gleichen wie früher, nur die meiste Zeit über in wesentlich melancholischer und es ist tatsächlich nicht übertrieben, das hier als ein Emotrap-Release durchgehen zu lassen. Ist es gut? Ja, aber mit großen Abstrichen. Um an den musikalischen Kern dieser LP zu gelangen, muss man sich zunächst durch die drei eröffnenden Songs BMO, Neontränen und Bipolar kämpfen, die zu den miesesten gehören, die der Österreicher je geschrieben hat. Hat man diese hinter sich, wird es exponentiell besser. Mit Herzschmerzgang, Ähä, Firn und Sportschützenverein 5020 (ich hab mir diese Titel nicht ausgedacht) folgt ein Block von Tracks, die sehr an Iggys frühe Platten erinnern und auch ziemlich positiv und cool sind, bevor die Platte nochmals ins melancholische dippt, diesmal aber mit viel besseren Ergebnissen. Mein persönliches Highlight ist dabei Flaschenpost, ein Song über Einsamkeit, der irgendwie den emotionalen Spirit eines Neunziger-Hits von Max Herre oder Samy Deluxe in sich trägt und nicht nur viel Schwere mitbringt, sondern erstmals auch echte Größe. Ein weiterer Höhepunkt ist Ave Manie, bei dem der Rapper einmal mehr sein heimliches Talent für surreale, alptraumhafte Lyrik auspackt und die beiden abschließenden Slowjams Bist du echt und Zufällig sind zumindest gute Versionen dessen, was im Bereich Deutschrap gerade unter dem Emo-Etikett stattfindet. Insgesamt ist Sturm & Drang damit nicht nur ein Album, mit dem Crack Ignaz stilistisch etwas angekommener scheint, sondern auch grundsätzlich ein ziemlich hoffnungsvolles. Klar hat es offensichtliche Schwächen und wenn ich meine Erwartungen von 2015 ansetzen würde, wäre es wohl nicht so zufriedenstellend wie nach den vielen Enttäuschungen der Zwischenzeit, aber mit allem, was seitdem passiert ist, ist es auf jeden Fall ein Grund aufzuatmen. Die wackelige Bahn, auf der sich der Rapper zuletzt befand, scheint hier wieder einigermaßen gefestigt und von hier aus ist ein Anfang gemacht, von dem her seine Karriere vielleicht wieder Fahrt aufnimmt. Zumindest hoffe ich das für ihn, denn ein verdammt talentierter und einzigartiger Künstler ist der Typ nach wie vor.



Hat was von
Mac Miller
Swimming

JuiceWRLD
Goodbye & Good Riddance

Persönliche Höhepunkte
Herzschmerzgang | Ähä | Hackl Hart | Ave Manie | Firn | Flaschenpost

Nicht mein Fall
BMO | Neontränen | Bipolar

Montag, 24. August 2020

Fest der Fusionen

 Jaga Jazzist - Pyramid


[ atmosphärisch | edel | fusioniert ]

Dass dieser vorliegende Text gerade meine erste Besprechung eines Albums von Jaga Jazzist ist, ist eigentlich ein Unding. Ginge es mit rechten Dingen zu, wäre diese Band wahrscheinlich schon seit Jahren eine meiner Lieblingsacts. Nicht nur stammen sie aus der mehr oder weniger gleichen Jazz-Prog-Bubble in Norwegen, die unter anderem auch für den Kosmos Motorpsycho verantwortlich ist (mit denen Teile von ihnen 2003 sogar ein fantastisches Album machten!), sie sind auch seit geraumer Zeit sowohl Signees des rennomierten Lieblingslabels Brainfeeder Records von Flying Lotus als auch von Ninja Tune (die ihre Platten jeweils in Europa und Amerika verlegen). Ganz abgesehen davon sind sie einfach nur so geil. Auf den acht Positionen des Kollektivs rotieren immer wieder die Hochkaräter der norwegischen Jazz-Szene und in den etwa 25 Jahren, die es die ganze Mischpoke jetzt schon gibt, haben sie schon alles von Hiphop bis Postrock durchgeackert. Der gemeinsame Nenner der Gruppe ist dabei aber immer jenes sehr eigene Timbre von nordischer Jazz Fusion (oder meinetwegen Nu Jazz wenn ihr unbedingt wollt), die ich ja schon für sich total gerne mag. Mit so einer reichen Historie und derartig viel Legendenstatus, die Jaga Jazzist an dieser Stelle schon haben, ist es nicht leicht, hier bei ihrem achten Longplayer einzusteigen. Zumindest kontextuell. Denn lautet die Frage , ob es musikalisch ein guter Eindruck ist, dann ist die Antwort doch ein sehr deutliches Ja und keines, das mich langes Überlegen gekostet hat. Pyramid ist ein Album, das auf eine sehr unkompliziterte Weise Spaß macht und trotzdem irgendwie mehr ist als das. Man kann sich das ganze klanglich dabei tatsächlich am besten vorstellen, wenn man einfach an Motorpsycho und das schräge Varieté von Brainfeeder-Freaks denkt, wie sie zusammen in einem Raum jammen. Vielleicht ist manchmal sogar noch Robert Glasper dabei. Auf jeden Fall ein geiles Szenario, oder? Und man kann dabei auf jeden Fall sagen, dass Pyramid von der Energie des gemeinsamen Spielens lebt. Wenn eine gut gemachte Jazz-Session schon in Triobesetzung cool ist, dann kann man sich vielleicht ausmalen, wie diese Nummer bei acht Leuten klingt, die noch dazu versierte Rock-, Synth- und Experimentalmusiker*innen sind. Ein bisschen wie Seeed, wenn sie instrumentalen Fusionsjazz machen würden. Auch die Tatsache, dass den vier Stücken hier immer sehr viel Platz eingeräumt wird und keines von ihnen kürzer als acht Minuten ist, verstärkt diese Wirkung. Und super abgemischt ist das ganze obendrein. Bei aller Perfektion, die hier drin steckt, hätte ich mir zwar an der ein oder anderen Stelle etwas mehr Dynamik gewünscht und rein kompositorisch ist vieles hier auch nicht der helle Wahnsinn, aber das ist wahrscheinlich der Preis dafür, dass man es hier mit musikalischen Akademiker*innen zu tun hat. Und auf keinen Fall resultiert dieses Ideal hier in ein Steven Wilson-Szenario, bei dem technischer Anspruch und klangliche Politur jegliche songwriterische Seele schlucken. Ich kann mir tatsächlich gut vorstellen, dass diese Art von Songs welche sind, die live sehr gut funktionieren und zu denen man - gerade bei Apex oder Teilen von Tomita - auch nicht schlecht tanzen könnte. Weshalb ich glaube, dass viele Pyramid sogar noch ein bisschen mehr mögen als ich. Und es ist auf jeden Fall eines dieser einstiegsdrogigen Alben, deretwegen man anfängt, sich für Jazz und/oder Prog zu interessieren. Für mich reicht es zumindest für den Vorsatz, Jaga Jazzist nicht länger zu ignorieren. Auch wenn ich irgendwie das Gefühl habe, dass das hier nicht mal ihre Hochform ist.


Hat was von
Air
Moon Safari

Motorpsycho
Let Them Eat Cake

Persönliche Höhepunkte
Tomita | the Shrine | Apex

Nicht mein Fall
-

Samstag, 22. August 2020

Splitwise

Richard Dawson - Republic of Geordieland

[ minimalistisch | isoliert | experimentell ]

Es ist ein bisschen eine Schande, dass ich letztes Jahr gerade Mal die acht Zeilen in meiner Top 30 hatte, um über meine neu gewonnene Faszination mit dem Künstler Richard Dawson zu schreiben. Doch um ehrlich zu sein weiß ich jetzt, wo ich die Gelegenheit dazu habe, noch immer nicht so richtig, ob ich das gesamte Spektrum dieses Typen überhaupt schon erfasst habe. Hier ist erstmal, was ich weiß: Der Musiker aus Newcastle ist ein begnadeter Gitarrist, Sänger und Maler größtenteils autodidaktischer Prägung, der sich in seiner kleinen DIY-Bubble in Mittelengland mittlerweile vor allem für seine lebhaften Konzerte bekannt geworden ist. Seinen Durchbruch hatte er letztes Jahr mit seiner siebten LP 2020, auf der er zum wiederholten Mal seine außergewöhnliche Herangehensweise an lyrisches Storytelling vorführte. Es ist in vielerlei Hinsicht keine Übertreibung, Dawson als einen der eigenwilligsten Rock-Künstler der letzten 15 Jahre zu bezeichnen und für alle, die gerade Ideen von Folk und Songwriter-Musik gerne etwas subversiert mögen, kann ich seinen jüngeren Output dringend empfehlen. Besonders cool daran fand ich zulezt persönlich, wie konzeptuell er seine Alben anging. So war 2020, inhaltlich vor allem ein Stück über die Schikanen von Kapitalismus, Klimawandel und menschlicher Isolation nicht nur in sich durchdacht, sondern in gewisser Weise auch ein Spiegelbild von dessen Vorgänger Peasant, das auf ähnliche Art eine mittelalterliche Gesellschaft beschrieb. Und obwohl Republic of Geordieland so ein Album ganz explizit nicht ist, funktioniert es als LP der Hintergründe doch mindestens genauso gut. Ähnlich wie viele Vertreter*innen seiner Zunft hatte Richard Dawson 2020 das Problem, das seine Touren ausfielen und er zum Nichtstun verdammt bei sich zu Hause saß. Als Produktiver Künstler machte er aber natürlich aus der Not eine Tugend und zimmerte im Schnellverfahren dieses kleine Pandemie-Album zusammen. Darin zu finden sind einige Stücke, die zuvor schon in Soundtracks vorkamen oder live gespielt wurden sowie eine ganze Reihe an neuem Material. Ein kleines bisschen konzeptuell ist es am Ende trotzdem, da es hier strukturell nur zwei Arten von Stücken gibt: Instrumental oder A Capella. Beides sind keine neuen Ausdrucksformen für Dawson, der ja beides auch für sich sehr virtuos beherrscht und denen er mit dieser Aufmachung die Möglichkeit gibt, mal für sich zu strahlen. Republic of Geordieland hat dabei am ehesten etwas von einer Werkschau, in der gezeigt wird, wie die Einzelteile des dawson'schen Songwritings entstehen. Auf der Instrumentalen Seite beginnt die LP dabei mit Within the City Walls und We Are Black and White (letzteres soll eine antirassistische Fußballhymne für seinen Heimverein Newcastle United sein, aber you tell me), die vor allem technisch überzeugen und fast in Mathrock-Territorium abgleiten. Wirklich beeindruckend wird die Sache aber erst mit dem fünfzehnminütigen Mantra-artigen Jam the Minotaur of Cowhill, das vor allem eine spannende Übung in Repetition ist (und nein, das ist kein Widerspruch!). Die Kerninhalte der Platte kommen trotzdem im wesentlichen dann zum tragen, wenn der Brite singt und textet. Das passiert hier zwar nur auf drei Songs, die verbreiten aber wenigstens genau den ädaquaten Vibe, den ich an einer Dawson-LP so schätze. Anhand der Parameter, die ich feststellen kann spielen sie allesamt wieder in der mittelalterlichen Welt von Peasant und sind daher Folk-Gold im ganz klassischen Sinne, beeindrucken aber auch wieder durch ihre einzigartige inhaltliche Federführung und exzentrische Gesangsperformance. Dass die Elemente Musik und Text hier nie so richtig zusammenfinden wie auf Peasant oder 2020 ist dabei eindeutig ein Nachteil des Albnums, doch wie gesagt nur sehr wenig abträglich, je nachdem wie man es sieht. Für Menschen, die Dawsons Musik zum ersten Mal hören, ist das hier wahrscheinlich eher nicht die beste Empfehlung, zumal auch der Sound eher Proberaumqualität hat und nicht viel nachbearbeitet wurde. Geordieland ist eher eine Platte für Leute wie mich, die diesen Typen sowieso schon super finden und mehr über die Elemente seines Songwritings erfahren wollen. Und in dieser Hinsicht kann das hier ziemlich aufschlussreich sein. Ganz davon abgesehen, dass es eine prima Sammlung von Songs ist.



Hat was von
Arch Garrison
I Will Be A Pilgrim

the Dubliners
the Dubliners

Persönliche Höhepunkte
Within the City Walls | We Are Black and White | Felon | A Very Fine Horse | Heart Beats Slowly | Derwentwater Farewell | the Minotaur of Cowhill | Almsgiver | Beyond the City Walls

Nicht mein Fall
-

Freitag, 21. August 2020

Sowas von 2017

 

 
 
[ prominent | kommerziell | unsympathisch ]

Man muss sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen, dass diese hier vorliegende LP gerade ganz offiziell als Debütalbum des Berliner Produzenten-Trios Kitschkrieg vermarktet wird. Eine Eigenschaft, die sich allein von der Sache her irgendwie falsch anfühlt, angesichts der Omnipräsenz, die diese Formation innerhalb der letzten fünf Jahre aufgebaut hat. Fizzle, Fiji Kris und °awhodat° sind in der Rap-Landschaft der vergangenen Dekade nicht weniger als eine Marke geworden, die nicht nur musikalisch für etwas steht, sondern vor allem auch in Sachen Marketing. Die monochromen Artworks, die minimalistischen T-Shirt-Designs, die eine Weile lang von allen wichtigen Rapper*innen getragen wurden und nicht zuletzt dieses absolut unverkennbare Producer-Tag, das mit der Zeit die Nervigkeit eines iPhone-Klingeltons entwickelt hat: Kitschkrieg ist ein Name, an dem Identität hängt. Umso erstaunlicher ist es, dass sie bisher nie den Schritt zur eigenen Platte gegangen sind. Zwar gibt es aus den vergangenen Jahren zahlreiche Projekte, die als offizielle Kollaborationen funktionierten, unter anderem mit Haiyti, Joey Bargeld und Megaloh, doch noch keine echten eigenen Veröffentlichungen. Selbst die formell selbstbetitelte EP-Serie von 2016 war ein Gruppenprojekt mit Allzeit-BFF Trettmann, wobei der ja inzwischen fast als vierter Mann des Formats durchgeht. Und dass das offizielle Debüt erst jetzt kommt, hat natürlich einen Nachteil: Die große Hype-Periode ist eigentlich schon wieder vorbei. Wäre diese LP 2017 oder 2018 erschienen, wäre sie eine der heißesten Scheiben der ganzen Saison geworden, jetzt funktioniert sie eher als kommerzieller Nachtrags-Sampler. Was auch damit zu tun hat, dass man manche der hier versammelten Songs schon seit über zwei Jahren kennt: Standard mit Gzuz, Gringo, Trettmann und Ufo361 ist hier genauso drauf wie 5 Minuten mit Henning May, Cro und, äh...Trettmann sowie International Criminal mit Bonez MC und Vybz Cartel. Songs also, die fast schon eher Archivmaterial sind als Hits aus der Promophase. Und das Gefühl, dass dieses Album etwas altbacken ist, wird es in seiner Gesamtheit nicht so richtig los. Da ist zum einen natürlich der typische unterkühlte Dancehall-Vibe dieser Beats, der zwar an sich cool ist, aber auch an die letzte Generation Tropical-House-Afrotrap-Deutschrap erinnert, die gerade eher nicht so cool ist. Zum anderen - und hier wird es wirklich cringy - ist da die Feature-Liste der LP, die sich wirklich liest wie die Urban-Contemporary-Selektion der letzten Echo-Verleihung: Fast die komplette 187 Straßenbande gibt sich hier die Klinke in die Hand (Zur Erinnerung: nicht cool), darüber hinaus Marteria, Miss Platnum, Max Herre, Kool Savas, Rin, Jan Delay und als besondere Ehrengäste Nena und Peter "nie wieder Solokarriere" Fox. Das ist natürlich glänzende Prominenz und auch die Paarungen, die in den einzelnen Songs vorgenommen werden, sind kreativ. Nur hat vieles davon die Wirkung, als würden sich die Veteranen der Szene jetzt bei diesem schicken Berliner Kollektiv anbiedern, um am Puls der Zeit zu sein, an dem Kitschkrieg selbst nicht mehr sind. Max Herre und Crack Ignaz regeln das alles noch am besten, indem sie einfach sie selbst sind und Rin und Savas machen Oh Junge sogar zur besten Nummer der Platte, doch abgeshen davon wird es eher peinlich. Höhepunkt der Fremdscham-Parade ist dabei ausgerechnet Peter Fox, der sich in Lambo Lambo am hedonistischen Lyrizismus 17-jähriger Cloudrapper bedient und meint, er könnte das glaubwürdig vermitteln. Und dann ist da natürlich Trettmann, der in fast der Hälfte aller Songs auftaucht und letztendlich nur noch funktioniert. Seine Beiträge sind inzwischen so sehr Teil der Kitschkrieg-Formel, dass man sie gar nicht mehr so richtig bemerkt und nur noch schulterzuckend hinnimmt. Meine Kritik an diesem Album ist aber am Ende nicht, dass es irgendwie abgenutzt oder unmodern wirkt, ich bin sicher das hätte man hochwertig lösen können. Meine Kritik ist, dass es sich künstlerisch nicht fortbewegt. Kitschkrieg verharren hier in ihrer Corporate Identity von vor zwei Jahren mit den gleichen Leuten wie immer und halten an bewährten Mustern fest, ohne sich weiterzuentwickeln. Und das ist an sich okay, aber es ist dann halt weder Pop noch ist es künstlerisch wertvoll. Und wenn es das nicht ist, muss es mich nicht interessieren.



Hat was von
Trettmann
Trettmann

Bonez MC & RAF Camora
Palmen aus Plastik

Persönliche Höhepunkte
Nein du liebst mich nicht | Oh Junge

Nicht mein Fall
Standard | 5 Minuten | Titanik | Lambo Lambo | 17:30 Uhr | Keine Angst

Donnerstag, 20. August 2020

Now Only and There is No End

 The Microphones - Microphones in 2020

[ retrospektiv | nostalgisch | emotional ]

Nachdem ich die erste Hälfte des letzten Textes eher flüchtig nochmal gelesen hatte, ging ich in die Küche. Eigentlich, um mir noch einen Tee zu machen, aber ich holte mir dann nur ein Glas Wasser und ging wieder zurück. Die Müdigkeit, die den ganzen Tag irgendwie auf mir gelegen hatte, löste sich langsam und schwerfällig von mir, das passiert meistens am späten Nachmittag, ich kann aber nie so richtig absehen, wann genau. Ich machte mir jetzt doch Tee. Während der Wasserkocher kochte (er macht dabei immer furchtbaren Lärm, ich finde das richtig schlimm), beschloss ich, die Arbeit für heute nicht mehr anzusehen und stattdessen die Platte für den neuen Post zu hören. Ich wusste, ganz oben auf der Liste stand immer noch Beyoncé, aber da musste ich noch einen Termin mit den anderen machen. Einer von meinen Nachbarn hatte einen Disney Plus-Zugang und wir hatten beschlossen, den Film gemeinsam zu schauen. Also kam für heute erstmal das nächste in Frage: Microphones in 2020 von den Microphones. Phil Elverum. Ein Typ, den ich jetzt inzwischen auch schon eine Weile verfolgte. Seine letzten beiden Platten fand ich alle richtig genial, beide waren für mich Höhepunkte der letzten Dekade. Die Art und Weise, wie er dort über seine verstorbene Frau sang, erst auf A Crow Looked at Me Tod und Trauer ins Zentrum stellte um ihr dann auf dem Nachfolger Now Only ein lyrisches Denkmal zu setzen, war eindrücklich und machte mich stellenweise sogar echt fertig. Trotzdem hätte ich bis hierhin nicht gesangt, dass ich ein Fan von ihm wäre oder so. Noch dazu von einem Projekt wie the Microphones, das so lange vor meiner Zeit aktiv war und das ich kaum kannte, obwohl es für viele Elverums Lieblings-Phase ist. Ich hatte vor Jahren mal It Was Hot, We Stayed in the Water gehört und mochte es auch irgendwie, vor allem lyrisch. Ehrlich gesagt konnte ich mich aber kaum an konkrete Sachen erinnern. Ich denke, ich war einfach neugierig, warum er dieses Pseudonym jetzt nach 17 Jahren zurückbrachte und irgendwie gespannt, ob ich es mögen würde. Ich goß den Tee auf, ließ in viel zu kurz ziehen, fitzte die Kopfhörer hinter dem Laptop hervor und wollte loshören. Kein Album da beim Streaminganbieter. Nicht schlimm, kommt vor. Dann also Bandcamp. Nur ein Song, ganz kurz war ich verwundert. Aber es gibt auch keine Tracklist, die irgendwo angegeben ist. Ich finde das volle Album auf Youtube als offizielle Version, auch hier keine Tracklist, dafür ein Video. Ich starte es. Jemand legt Fotos übereinander, dazu Akustikgitarre. Fis-Dur, D-Dur-7, D. Eine Straße im Sonnenuntergang, ein Auto im Schnee, Rauhreif auf Bäumen, trüber Herbsthimmel. Siebeneinhalb Minuten geht das so. Am Anfang drehe ich noch am Aux-Eingang herum, vielleicht höre ich einfach einen der Kanäle nicht. Aber dann merke ich irgendwann, dass das Absicht ist und beginne, den Bildern zuzusehen. Das minimalistische Schauspiel zieht mich irgendwie in seinen Bann. Lange nichts, nur mehr Fotos. Nach 7 Minuten und 39 Sekunden, zwei Bilder des gleichen Hauses. Dazu das erste Mal Gesang: "the true state of all things / I keep on not dying / the sun keeps on rising". Endlich. Keine Sekunde dauert es, dass auf einmal so ein Gefühl da ist. Die Magie der Musik von Phil Elverum und vor allem die seiner Texte. "I remember my life as if it's just some dreams I don't trust". Es ist so, als hätte er nie aufgehört zu erzählen. Als wäre man vor zwei Jahren einfach aus einem Raum gegangen, den man nun wieder betritt. Der Mann auf dem Stuhl redet immer noch und stapelt dabei Fotos. Es geht jetzt nicht mehr um seine Frau, nicht um den Tod und nicht um die Beschreibung irgendwelcher Landschaften, es geht um ihn. Den Musiker Phil Elverum, den Microphones-Mann. Sieben prägende Jahre in knapp 45 Minuten. Nicht als Geschichte im Zeitraffer, sondern als Momentaufnahmen, nebeneinander. Wie Fotos, eines auf dem anderen im Video. Ein nostalgisch verzerrtes Bild von Erinnerung, nicht wahrhaftig, aber wild-romantisch. Ein langes Stück Musik, das nach 17 Jahren den letzten Strich unter das Konzept Microphones macht. Vor allem aber ein Mann, der erzählt. Von Nächten am Ozean, allein und ohne das jemand davon wusste. Von Studioarbeit in den frühen Morgenstunden. Von Touren, von Träumen, vom Berg Eerie, der hinter den Wolken auftaucht. Ich habe gelesen, dass es für diese LP wichtig ist, ein Fan der alten Sachen von Elverum zu sein, da diese Platte funktioniert wie der Audiokommentar zu einem Film und es ständig versteckte Referenzen zu Songs gibt oder erklärt wird, warum diese Musik ist, wie sie ist. Und es kann sein, dass das stimmt. Ich für meinen Teil bin trotzdem eingesaugt in die Vignetten, die der Songwriter hier erzählt, von seiner Nostalgie und wie er das musikalisch ausarbeitet. Wie plötzlich ein Drone im Song aufsteigt, als er von einem Sunn 0)))-Konzert erzählt, wie er am Anfang dieses lange Vakuum lässt, wie er tatsächlich wieder sehr klingt wie früher. Das weitaus schönste daran ist aber, wie dieses Album das Konzept Zeit verhandelt. Als Aneinanderreihung von Gegenwarten, die den See aus Erinnerung speisen. Momente, die vor langer Zeit passiert sind und jetzt dokumentiert werden, um zukünftig greifbar zu sein. Es ist alles wunderbar meta. Nach 44 Minuten und 44 Sekunden endet das Video. Das letzte Foto ist ein Abendhimmel. Ich habe das Video komplett geschaut, ohne wegklicken und ohne Pausen zwischendurch, das passiert mir selten. Und ich habe einen ziemlichen Kloß im Hals. Nicht vor Schmerz wie bei den letzten beiden Platten, sondern vor Schönheit. Und ich bin beeidnruckt davon, was dieser Musiker hier gerade musikalisch eingefangen hat. Ich entscheide mich, einen Spaziergang zu machen, es wird inzwischen langsam dunkel und mein Bildschirm beginnt den gesamten Raum auszuleuchten. Ich schließe den Laptop. Es wird auf jeden Fall nicht leicht, über dieses Album zu schreiben...


Hat was von
Sun Kil Moon
Common As Light and Love Are Red Valleys of Blood

Flake Lorenz
Heute hat die Welt Geburtstag

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Dienstag, 18. August 2020

Bilder im Kopf

  Zugezogen Maskulin - 10 Jahre Abfuck

 
[ resigniert | retrospektiv | misantrophisch ]
 
Es gibt relativ wenige Künstler*innen, vor allem im Bereich Hiphop, bei denen ich mir bei jedem neuen Longplayer tatsächlich die Zeit nehme, ausführlich die dazugehörige Promophase zu verfolgen, Zugezogen Maskulin gehören dazu. Zum einen deshalb, weil sie diese meistens doch sehr unterhaltsam gestalten können, zum anderen weil Grim104 und Testo zwei Rapper sind, bei denen es definitiv hilft, den Audiokommentar zu hören. Die beiden Berliner sind eine der wenigen Bands, die es 2020 noch schaffen, das Format des Rap-Interviews mit wertvollen Inhalten zu füllen und besonders im Vorfeld von 10 Jahre Abfuck funktionierte der zusätzliche Redeanteil (vor allem in Form eines eigenen Podcasts) quasi als eine inhaltliche Erweiterung des Albums. Denn wie der Titel schon ahnen lässt, geht es auf dieser LP vor allem um Rückblicke. Wobei auch schnell klar werden sollte, dass eine nostalgisch verklärte It-was-all-a-dream-Highlight-Revue damit nicht gemeint ist. Schon die Leadsingle Exit, in der der Traum vom Karriereende im Zentrum steht, provozierte vor einigen Monaten Mutmaßungen um die Auflösung von ZM, was die beiden clevererweise als Fragezeichen stehen ließen und auch in den Podcasts ging es immer wieder darum, wie kritisch Testo und Grim Stand 2020 ihre eigene Laufbahn sehen. Wie die Übersättigung mit dem Erfolg eingesetzt hat, wie aus der Leidenschaft zu rappen lästiger Alltag geworden ist, wie unzufrieden man teilweise mit dem eigenen Output geworden ist und so weiter und so fort. Klar sind auch überall die lustigen Tourgeschichten mit dabei und es geht immer wieder um die irgendwie ja wahr gewordenen Träume, das große Aber wird allerdings fast immer mitformuliert. Resignation ist daher die entscheidende Vokabel, die ich in Bezug auf 10 Jahre Abfuck verwenden möchte. Nicht nur mit sich selbst, auch mit der Gesamtsituation. Denn abgesehen von der eigenen Nabelschau ist das hier natürlich ein weiteres Mal ein gesellschaftlich scharf beobachtendes Album mit vielen dystopischen Qualitäten und einem Titel, der die letzte Dekade politischer Entwicklungen nicht minder gut beschreibt. Was letztlich bedeutet, dass Zugezogen Maskulin hier endlich wieder alle Register ihrer Kunst ziehen. Nachdem Alle gegen Alle vor drei Jahren nicht nur für mich eher eine enttäuschende Erfahrung war, ist dieses Album in meinen Augen die Rückkehr zu der Hochform, die die Berliner zuletzt 2015 auf Alles brennt hatten, und das obwohl es am allerwenigsten nach dieser Platte klingt. Ästheisch ist 10 Jahre Abfuck die Synthese aus dem verbesserten Vibe des letzten Albums, dem angepissten Spirit ihres Debüts und nicht unwesentlich auch der letzten Soloplatte von Grim104, was im Klartext heißt: Zwar weniger Banger-Potenzial und krasse Punchlines, dafür aber mehr Komplexität und Tiefenwirkung in den Texten. Gerade Tracks wie Tanz auf dem Vulkan oder Sommer vorbei finden in den besten Momenten gleichzeitig auf mehreren Ebenen statt und behandeln weltbewegende Themen mit einer Cleverness, die nur ZM auf diese Art und Weise können. Und auch wenn das Duo in einzelnen Songs separate Konzepte verhandelt, finden sie stets originelle Wege, das zu tun. Da geht es in Der Erfolg, Fans und Dunkle Grafen um die Positionierung zum eigenen Fame, Rap.de versetzt Testo und Grim zurück in ihre unsichere Zeit als Praktikanten beim einschlägigen Hiphop-Format, Jeder Schritt ist ein großartiges Statement zu männlichen Perspektiven aus Sexismus und Echte Männer subversiert maskulines Denken im Hiphop. Es gibt dabei keinen Song, in dem ZM inhaltlich nicht den Nagel auf den Kopf treffen oder sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, ein Thema oberflächlich zu behandeln. Wenn ich ganz fies wäre, würde ich zwar kritisieren, dass einige Hooks ein bisschen zu stumpf sind, aber auch da habe ich schon schlimmeres gehört, unter anderem auch von den beiden selbst. Und letztendlich ist das hier für mich persönlich vor allem die Platte, mit der die Band endlich den Fluch bricht, der nach Alles brennt über ihnen schwebte. 10 Jahre Abfuck ist der endgültige Beweis, dass sie diese Inkarnation von ZM nicht reproduzieren müssen, um wieder an ihren künstlerischen Sweet Spot zu gelangen und eine Ästhetik entwickelt haben, die sie einmal mehr zu einer der besten und wichtigsten Stimmen im deutschen Rap macht. Weshalb ich auch hoffe, dass das hier noch nicht der Exit war und es vielleicht doch weitergeht. Denn sie sind vielleicht nicht die Helden, die Deutschrap will, aber die die es verdient. Und ohne sie wird es zumindest ein bisschen finsterer.



Hat was von
Grim104
Das Grauen, das Grauen

Audio88
Sternzeichen Hass

Persönliche Höhepunkte
10 Jahre Abfuck | Der Erfolg | Tanz auf dem Vulkan | Rap.de | König Alkohol | Normiefest | Echte Männer Freestyle | Sommer Vorbei | Dunkle Grafen | Jeder Schritt | Fans | Exit

Nicht mein Fall
-

Montag, 17. August 2020

Zu schön für DIY

 
 
[ politisch | sarkastisch | rabiat ]
 
 Das Münsteraner Indielabel This Charming Man Records ist für mich persönlich seit Jahren ein absolutes Lieblingslabel, bei dem ich nicht müde werde, es für sein fantastisches Roster zu hofieren, gerade was junge Künstler*innen angeht. Denn obwohl es unter den Rock-Verlagen so ein bisschen das Schalke 04 ist, das alle guten Bands verlassen, sobald sie einen schickeren Vertrag bekommen, zeichnet es sich eben genau dadurch aus: Es erneuert sich ständig. Über die letzten Dekade erlebten hier großartige Acts wie Messer, die Nerven, Fjørt, Karies, Krank oder Nothing ihre prägenden Jahre und ständig tun es wieder neue Bands. Wobei TCM sich vor allem auch dadurch auszeichnet, dass es die Leute wirklich von der Straße holt. Als die Nerven hier 2012 einstiegen, waren sie wenig mehr als eine rumpelige Gurkentruppe mit mächtig Potenzial, die sich erst im Laufe ihrer Zeit bei ebendieser Marke zu einem europäischen Postpunk-Schwergewicht entwickelten und dann wiederum ihre Proberaum-Kolleg*innen auf das Label holten. Eine Geschichte von echter Untergrund-Leidenschaft, an deren Ende unter anderem gerade Pogendroblem aus Bergisch Gladbach stehen, eine Band, die mich sehr an die frühen Nerven erinnert. Auch sie klingen eigentlich nicht nach Leuten, die nach einem Plattenvertrag streben, sind sie doch ganz offensichtlich ein sehr urpunkiges DIY-Konglomerat, das schon vom Namen her eher auf eine AJZ-Party passt als in die Musikindustrie. Gleichzeitig sind sie - wie die Nerven damals auch - eigentlich viel zu schlau dafür. Gerade ihre Texte sind keine grobschlächtigen Monchi-Gorkow-Parolen gegen offensichtliche Feindbilder, sondern bieten originelle Draufsichten auf soziale Gemengelagen, die Bourdieu und Foucault im Hinterkopf haben. Nicht im Sinne elitärer PoWi-Traktate, sondern vor allem im Sinne von Kritik an der Szene an sich. Die Zielscheiben von Ich-Wir, das als Doppel-EP-Label-Debüt vier neue Songs mit Rereleases ihrer 2016 veröffentlichten EP Raus verbindet, sind primär studentische Großstadt-Bohèmes, junger Konservatismus, Landflucht und linkes Bubble-Verhalten, Songs übers Saufen gehen aber auch immer. Was natürlich dafür sorgt, dass Pogendroblem angenehm authentisch sind. Als sachsenanhaltinisches Überzeugungs-Landei und erimitierter Ehrendorfpunk sprechen mir Stücke wie Dippen im Nachtbus, Utopie: Studierendenstadt oder wg-gesucht tief aus der Seele und Sachen wie CDU oder Wir haben ein politisches Tiefenverständnis und einen Sarkasmus, der absolut bemerkenswert ist. Noch dazu haben Pogendroblem in den besten Momenten das Zeug dazu, echte Hymnen zu schreiben. Gerade Kotzen oder CDU könnten musikalisch auch aus den besten Zeiten von Slime sein und haben ein Punk-Verständnis, das erfrischend unmittelbar ist. Und dass sowas dann auch einem "richtigen" Label wie TCM stattfindet, statt ausschließlich auf Bandcamp, ist dadurch dann doch wieder cool. Zwar sitzt der kommerzielle Kontext bei dieser Gruppe noch sehr ungemütlich und tut das berechtigterweise, doch wäre es eben schade, wenn so eine Formation gänzlich in der Local Scene versauern würde. Denn Pogendroblem sind bei aller Rüpel-Attitüde zu schön, um nicht etwas größer zu werden. Und wer weiß, vielleicht ist das hier ja mal wieder der Anfang von etwas großem.



Hat was von
Hater Skater
Neue Deutsche Hemmschwelle

Die Nerven
Asoziale Medien

Persönliche Höhepunkte
Foucault im Großraumbüro | Wir | wg-gesucht | CDU | Kotzen | Den öffentlichen Nahverkehr durch Drücken der Stop-Taste sabotieren | Schales Bier | Utopie: Studierenstadt

Nicht mein Fall
-