Samstag, 8. August 2020

Zehn Jahre später: Junges Blut

The Naked and Famous - Passive Me · Aggressive You
 
[ laut | energisch | adoleszent | naiv ]

Als jemand, der von sich behauptet, 2020 noch ein Fan von the Naked & Famous zu sein und gerade erst ihr aktuelles Album zu einem persönlichen Saisonfavoriten erklärt hat (weshalb ich auch gerade noch richtig schön in Fahrt bin), werde ich es mir natürlich nicht nehmen lassen, zum Anlass des zehnjährigen Jubiläums ihres Debütalbums auch über selbiges zu schreiben. Und um die erste Frage gleich mal anzusprechen, die vielleicht einige jetzt haben: Ja, Passive Me, Aggressive You ist offiziell von 2010, zumindest die erste neuseeländische DIY-Version der Platte. Die Ausgabe, die die meisten Leute kennen ist zwar das nachträgliche Major-Release von Polydor, das ein Jahr später in Reaktion auf den immensen Erfolg von Young Blood eingeheimst wurde, das eigentliche Material ist aber schon aus dem vorigen September und damit bald eine Dekade alt. Einen Zeitraum, den man definitiv spürt, wenn man sich diese Platte 2020 anhört. Nicht nur, weil the Naked & Famous heutzutage völlig anders klingen, sondern vor allem deshalb, weil diese Art von Indiepop einfach in jeder Faser ein Produkt der spätern Zwotausender ist. Die quirkigen Indie-Stimmchen, der verklärte Eighties-Vibe, die trocken produzierten Synthesizer, das ständige Pendeln zwischen Elektro- und Rock-Ästhetik - das alles ist inzwischen Teil eines Klischees über Popmusik dieser Zeit, und gerade diese Band war bei aller Großartigkeit nie besonders gut im zeitlos sein. Was natürlich besonders für jenes Debüt gilt, welches eines der größten One-Hit-Wonder der letzten Dekade produzierte und das damit rein faktisch sogar ein Nummer-Eins-Album ist, zumindest in Neuseeland, wo es sogar Goldstatus erlangte. Wobei es rückblickend noch immer nicht ganz so einfach ist, dieses Album klanglich zusammenzuschnüren, ist es doch an und für sich ein ziemlicher Sauhaufen von Einflüssen, der stilistisch ziemlich wirr daherkommt. Oder zumindest wirkt es ein bisschen so, wenn man sich ansieht, wie durchdacht und gründlich the Naked & Famous in der Zwischenzeit darin geworden sind, übergreifende Ästhetiken zu erschaffen. Auf Passive Me wirkt vieles ein bisschen so, als würde man sich noch möglichst alle Türen offen halten wollen, denn eine feste Marschrichtung oder einen primären stilistischen Angelpunkt gibt es schlichtweg nicht. Eher ein Konglomerat von Ideen, die irgendwie zu Songs zusammengeklatscht wurden. Stücke wie All of This oder Eyes sind zeitgenössischer Indiepop, Jilted Lovers oder A Wolf in Geek's Clothing sind rückblickend gesehen überraschend rockig (und erinnern gerade was den Gesang von Alisa Xayalith angeht sehr an die Yeah Yeah Yeahs), auf Frayed und the Sun wollen the Naked & Famous am liebsten Thom Yorke sein und in No Way gibt es sogar Anklänge aus Postrock und Shoegaze. Eingängige Radionummern wie Punching in A Dream oder eben Young Blood wirken auf einem Album wie diesem dann fast schon wie versehentliche Unfälle, die eigentlich gar nicht in dieses Konzept passen. Wenn man sich das gleiche über jeden anderen Song denkt, kommt man aber ebenfalls auf dieses Ergebnis. Dass die Band schon hier auf die glorreiche Idee kommt (keine Ironie an dieser Stelle!) die Rolle der Frontperson zwischen Xayalith und Thom Powers zu splitten, tut dabei ihr übriges. Das erstaunliche ist am Ende, dass diese LP trotz der vielen Richtungen, in die sie auseinandergeht, etwas hat, das sie zusammenhält. Zwar nur mit Ach und Krach und mit argen Sprüngen zwischen den individuellen Titeln, doch nichtsdestotrotz hochwirksam. Und egal wie weird die Richtung wird, in die the Naked & Famous damit gehen, alles funktioniert irgendwie. Klar sind nicht alle Songs solche Hymnen wie Young Blood, aber sie funktionieren innerhalb ihrer jeweiligen Ästhetik eben auch als ruppige Schrammel-Nummer oder glitschiges Elektropop-Monster. Einen missglückten Track gibt es hier genauso wenig wie einen, der stilistisch völlig aus der Reihe fällt, weil alles irgendwo nochmal aufgegriffen wird. Wenn ein Song herausfällt, dann allerhöchstens Young Blood, aber nur zeitlich-kontextuell. Was insgesamt sehr dafür spricht, dass ich diese Platte nach wie vor gelungen finde. Wobei mich dieser Umstand auch ein kleines bisschen überrascht. Als Fan der neueren Alben von TNAF tat ich Passive Me rückblickend gerne als das chaotische, noch etwas grünohrige und naive Debüt ab, das zwar gut war, aber einfach noch nicht die reife späterer Platten besaß. Und obwohl das faktisch schon stimmt, leidet die LP darunter nicht so sehr, wie ich vermutet hatte. Im Gegenteil: Gerade mit den rockigeren, lärmigen Auswüchsen zeigt sich hier eine Attitüde dieser Band, die ich tatsächlich gerne mal wieder hören würde. Angesichts der sehr durchdachten klanglichen Fokussierung, die sie mittlerweile so gut beherrschen, ist das aber eher Wunschdenken. Umso schöner ist es ja aber, dass es mal eine Version dieser Gruppe gab, die dafür noch nicht zu professionell war. Das ist es, was Passive Me, Aggressive You für mich heute wieder so besonders macht. Seine Unverbrauchtheit. Und dass es Young Blood eigentlich nicht braucht, um super zu sein.


Hat was von
M83
Hurry Up, We're Dreaming

Chvrches
the Bones of What You Believe

Persönliche Höhepunkte
All of This | Frayed | the Sun | Eyes | Young Blood | No Way | Jilted Lovers | A Wolf in Geek's Clothing

Nicht mein Fall
-

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