Montag, 31. August 2020

No More Mr. Brightside

 The Killers - Imploding the Mirage

 

[ pathetisch | synthrockig | überlebensgroß ]

Als ich 2017 zum letzten Mal über ein Album der Killers schrieb, begann ich meine Auseinandersetzung mit der Feststellung, dass es sich bei dieser Band mittlerweile um ein musikalisches Phantom des Zwotausender-Indierock handelt, für das sich eigentlich kaum noch jemand interessiert und dass rückblickend eigentlich auch nichts anderes ist als ein glorifiziertes One-Hit-Wonder. Drei Jahre später steht das nächste Album des Trios aus Las Vegas auf dem Plan und ich muss zunächst feststellen, wie drastisch sich die Situation seitdem verändert hat. Sieht man sich die Killers von 2020 an, sieht man eine Band, die wieder in den Schlagzeilen ist und sowohl positiv wie negativ mächtig Rabatz macht. Positiv in dem Sinne, dass sie letztes Jahr eine absolut legendäre Headlinershow beim Glastonbury spielten, bei der sie sich schon mal kurz anfühlten wie die jungen Götter des Rockolymps und mit Endgültigkeit klar machten, dass Mr. Brightside einer der größten Indie-Hymnen aller Zeiten ist. Negativ ganz aktuell in dem Sinne, dass kurz vor Veröffentlichung dieses Albums schwere Missbrauchsvorwürfe gegenüber Crew und Band geäußert wurden, die plötzlich auch die ganz andere Seite der Rockstar-Medaille aufzeigen. Eine hässliche Sache, die in jedem Fall maßgeblich das überschattet, was auf dieser LP musikalisch passiert und die bedeutet, dass ich gerade ein Problem mit den Killers habe, unabhängig von ihren Songs. Was echt eine Schande ist, denn auf Imploding the Mirage sind die tatsächlich so gut wie lange nicht mehr. Nach der langen Pause Anfang der letzten Dekade und dem ziemlich verpatzten Neuanfang mit Wonderful Wonderful vor drei Jahren würde ich sogar so weit gehen, das hier als das wirkliche Comeback dieser Band auszurufen, mit dem sie endlich wieder ihre ursprüngliche Energie anzapfen und mit der Stärke weitermachen, die sie vor der Pause hatten. Wenn ich die Sache rückblickend betrachte, ist ihre kurze Popstar-Phase zwischen 2008 und 2012 eigentlich meine liebste. Was praktisch ist, denn Imploding the Mirage dockt an vielen Stellen dort an, wo Day & Age und Battle Born am besten waren: Synthetischer Heartland Rock mit extrem viel Pathos, balladesken Texten und der richtigen Prise Retro-Schmalz als Sahnehaube. Noch immer ist Brandon Flowers dabei der eindeutige Fokuspunkt der Gruppe und wirkt in den entscheidenden Momenten noch mehr wie die letzte große Frontsau des amerikanischen Rock'n'Roll und der dandyhafte Juniorpartner von Bruce Springsteen. Es braucht einen Charakter wie ihn, damit so theatrale Nummern wie Caution oder Dying Breed nicht völlig albern wirken und auch 16 Jahre nach Mr. Brightside ist sein Beitrag das größte Kapital der Killers. Wobei Imploding the Mirage eben auch mal wieder eine Platte ist, die in ihren Details überzeugt und bei der ein Songwriting strahlt, das eindeutig eine Teamleistung ist. Zum ersten Mal seit Day & Age traut sich diese Band wieder, verspielt und freaky zu klingen und dabei auch mal eine gehörige Portion Pop zuzulassen. Einzelne Stellen hier erinnern dann eben nicht so sehr an kraftmeiernden Born in the USA-Synthrock, sondern vielleicht an Muse, Abba oder the Arcade Fire. Das ist eine Form von Kreativität, die die Killers nur alle zehn Jahre mal haben und sie hier wiederzufinen, ist eine helle Freude. Vor allem, da es die Band hier trotzdem noch hinkriegt, sie selbst zu bleiben und das Gesamtwerk im Fokus zu behalten. Und obwohl es einige Stellen gibt, in denen das ganze nicht zu hundert Prozent ausgereift ist und etwas geschludert wird, sind es diesmal nicht diese Momente, die das Album ausmachen. Außerdem sind die besten Passagen hier welche, in denen die Killers so episch klingen wie noch nie, was die Schwächephasen mehr als ausgleicht. Weshalb es doppelt scheiße ist, dass ich diese LP eben nicht so vorbehaltlos abfeiern kann, wie ich gerne würde. Im gleichen Atemzug, in dem ich sage, dass die Killers hier ihr bestes Stück Musik seit gut zehn Jahren machen, muss ich euch empfehlen, es besser nicht anzuhören, weil diese Band anscheinend ein misogyner Haufen Vollidioten ist. Ich gönne ihnen ein Comeback zu diesem Zeitpunkt absolut nicht, aber dieses Album ist es allem Anschein nach. Und es stört mich sehr, wie gerade viele Rockblätter diese Platte deswegen sehr unreflektiert abfeiern und wegen ein paar guter Songs vergessen, was noch vor zwei Wochen ihre wichtigste Schlagzeile war. Ich mag das Album auch, aber das macht nicht plötzlich alles wieder gut. Im Gegenteil, die Überraschung über die Hochwertigkeit dieser LP dämpft gerade eher die aufkeimende Debatte über sexistische Praktiken in der Indie-Szene, die aber unbedingt geführt werden muss. Wenn ihr also eines als Konsequenz dieses Artikels mitnehmt, dann das. Und vielleicht, dass man jetzt nicht mehr so laut Mr. Brightside mitgrölen sollte.


Hat was von
Muse
Simulation Theory

Editors
the Weight of Your Love

Persönliche Höhepunkte
My Own Soul's Warning | Dying Breed | Caution | Running Towards A Place | Imploding the Mirage

Nicht mein Fall
My God

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