Sonntag, 9. August 2020

Bloß keine Klischees

Courtney Marie Andrews - Old Flowers
[ melancholisch | edel | amerikanisch]
 
Die entscheidende Sache mit dem Country-Revival, das in der Popmusik gerade stattfindet ist ja nicht die, dass solche Musik nicht schon die ganze Zeit über gut gewesen wäre, nur fangen jetzt plötzlich alle wieder damit an, dieses Zeug gut zu finden. Keine Ahnung, ob es an Lil Nas X liegt, an Miley Cyrus oder konservativen MAGA-Typen, aber es ist da. Und abgesehen davon, dass es dadurch im Moment jede Menge coole neue Künstler*innen aus der Szene pusht und ein paar Leute aus anderen Bereichen diese Ästhetik jetzt für lukrativ halten, sind es vor allem die Veteranen, die davon profitieren. Musiker*innen wie Sturgill Simpson, Margo Price oder Casey Musgraves, die schon lange große Namen der Nische waren, sind plötzlich richtige Popstars und werden von den coolen Kids gehört. Courtney Marie Andrews könnte dabei die nächste von ihnen sein. Mit dem kleinen Foren-Hype, den ihre neue LP Old Flowers in den letzten Monaten aufbaute, kam sie mir lange vor wie eine hoffnungsvolle Newcomerin, die gerade ihr erstes oder zweites Album vorlegt, tatsächlich ist die gute Frau aber schon seit über zehn Jahren aktiv und das hier bereits ihr achter Longplayer. Angefangen hatte sie eigentlich als eher schlichte Singer-Songwriterin, die erst seit etwa einer halben Dekade so wirklich ihrer Liebe zum Country und Americana frönt und damit zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Denn wäre eine Platte wie diese vor fünf Jahren erschienen, hätte wahrscheinlich niemand ihre Qualität erkannt. Dabei finden Andrews' Songs natürlich nicht in einem Vakuum statt, sondern bedienen sich sehr geschickt der Parameter, die auch von vielen anderen schon sehr cool umgesetzt wurden. Mit einem Fuß im Kammerpop und Indiefolk findet Old Flowers ästhetisch auf der gleichen Ebene statt wie die Musik von Sharon van Etten, Laura Marling oder Marissa Nadler, nur dass sie in den entscheidenden Momenten auch mal komplett den Dolly Parton-Hebel umlegen kann. Ihre Balance zwischen edler Sopistipop-Attitüde und Valley Girl-Authentizität ist dabei vielleicht der größte Trumpf dieser LP. Der überwiegende Teil der Songs ist dabei sehr balladesk und tragisch, was vielleicht monoton wäre, wenn Andrews diesen Vibe nicht sehr gut verkaufen würde. Besonders positiv fällt mir dabei auf, dass sie in Tracks wie How to Get Hurt oder Guilty ausgerechnet das Piano als zentrales Songwriting-Instrument auserkoren hat, das im Country leider noch immer ein wenig ein Schattendasein fristet. Wobei auch die Momente wie It Must Be Someone Else's Fault oder Burlap String sich lohnen, in denen sie doch mal die dicken Slidegitarren auspackt und ihren Tracks auch gehörig Schmalz verpassen kann. Wer allerdings nur dafür gekommen ist, dürfte von Old Flowers eher enttäuscht sein. Courtney Marie Andrews ist keine Künstlerin, die ihre Musik um der billigen Gimmicks wegen macht, sondern die ernst genommen werden will. Manchmal macht das diese Platte weniger spektakulär als sie sein könnte, aber das ist immer auch im Sinn der Sache. Und so kann wenigstens niemand sagen, sie würde das hier nur für den Hype machen. Ganz davon abgesehen, dass ich nach etwas mehr Zeit mit diesem Album auch die verhaltenen Momente dieser LP zu schätzen weiß, in denen mehr als sonst Andrews großartige, wenn auch sehr rustikale Texte zum Vorschein kommen. Um es zu einem wirklich heißen Favoriten zu machen, reicht das leider nicht, doch überzeugt bin ich von diesem Ansatz auf jeden Fall. Und mein Problem mit der fehlenden Action liegt am Ende wahrscheinlich eher bei mir selbst als bei ihr. Zumindest glaube ich, dass diese Künstlerin wesentlich besser dazu fähig ist, ihre Musikrichtung als ernstzunehmendes Medium ohne Notwendigkeit zu Gimmicks zu sehen, als ich es im Moment bin. So weit bin ich vielleicht einfach noch nicht, denn ich mag Pussycat und Dolly Parton. Das hier ist mir stellenweise noch zu seriös.
 
 
Hat was von
Sharon van Etten
Are We There?
 
Laura Marling
Song for Our Daughter
 
Persönliche Höhepunkte
Burlap String | Guilty | Together or Alone | Carnival Dream | Old Flowers | It Must Be Someone Else's Fault | How You Get Hurt | Ships in the Night
 
Nicht mein Fall
-
 

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