Dienstag, 18. August 2020

Bilder im Kopf

  Zugezogen Maskulin - 10 Jahre Abfuck

 
[ resigniert | retrospektiv | misantrophisch ]
 
Es gibt relativ wenige Künstler*innen, vor allem im Bereich Hiphop, bei denen ich mir bei jedem neuen Longplayer tatsächlich die Zeit nehme, ausführlich die dazugehörige Promophase zu verfolgen, Zugezogen Maskulin gehören dazu. Zum einen deshalb, weil sie diese meistens doch sehr unterhaltsam gestalten können, zum anderen weil Grim104 und Testo zwei Rapper sind, bei denen es definitiv hilft, den Audiokommentar zu hören. Die beiden Berliner sind eine der wenigen Bands, die es 2020 noch schaffen, das Format des Rap-Interviews mit wertvollen Inhalten zu füllen und besonders im Vorfeld von 10 Jahre Abfuck funktionierte der zusätzliche Redeanteil (vor allem in Form eines eigenen Podcasts) quasi als eine inhaltliche Erweiterung des Albums. Denn wie der Titel schon ahnen lässt, geht es auf dieser LP vor allem um Rückblicke. Wobei auch schnell klar werden sollte, dass eine nostalgisch verklärte It-was-all-a-dream-Highlight-Revue damit nicht gemeint ist. Schon die Leadsingle Exit, in der der Traum vom Karriereende im Zentrum steht, provozierte vor einigen Monaten Mutmaßungen um die Auflösung von ZM, was die beiden clevererweise als Fragezeichen stehen ließen und auch in den Podcasts ging es immer wieder darum, wie kritisch Testo und Grim Stand 2020 ihre eigene Laufbahn sehen. Wie die Übersättigung mit dem Erfolg eingesetzt hat, wie aus der Leidenschaft zu rappen lästiger Alltag geworden ist, wie unzufrieden man teilweise mit dem eigenen Output geworden ist und so weiter und so fort. Klar sind auch überall die lustigen Tourgeschichten mit dabei und es geht immer wieder um die irgendwie ja wahr gewordenen Träume, das große Aber wird allerdings fast immer mitformuliert. Resignation ist daher die entscheidende Vokabel, die ich in Bezug auf 10 Jahre Abfuck verwenden möchte. Nicht nur mit sich selbst, auch mit der Gesamtsituation. Denn abgesehen von der eigenen Nabelschau ist das hier natürlich ein weiteres Mal ein gesellschaftlich scharf beobachtendes Album mit vielen dystopischen Qualitäten und einem Titel, der die letzte Dekade politischer Entwicklungen nicht minder gut beschreibt. Was letztlich bedeutet, dass Zugezogen Maskulin hier endlich wieder alle Register ihrer Kunst ziehen. Nachdem Alle gegen Alle vor drei Jahren nicht nur für mich eher eine enttäuschende Erfahrung war, ist dieses Album in meinen Augen die Rückkehr zu der Hochform, die die Berliner zuletzt 2015 auf Alles brennt hatten, und das obwohl es am allerwenigsten nach dieser Platte klingt. Ästheisch ist 10 Jahre Abfuck die Synthese aus dem verbesserten Vibe des letzten Albums, dem angepissten Spirit ihres Debüts und nicht unwesentlich auch der letzten Soloplatte von Grim104, was im Klartext heißt: Zwar weniger Banger-Potenzial und krasse Punchlines, dafür aber mehr Komplexität und Tiefenwirkung in den Texten. Gerade Tracks wie Tanz auf dem Vulkan oder Sommer vorbei finden in den besten Momenten gleichzeitig auf mehreren Ebenen statt und behandeln weltbewegende Themen mit einer Cleverness, die nur ZM auf diese Art und Weise können. Und auch wenn das Duo in einzelnen Songs separate Konzepte verhandelt, finden sie stets originelle Wege, das zu tun. Da geht es in Der Erfolg, Fans und Dunkle Grafen um die Positionierung zum eigenen Fame, Rap.de versetzt Testo und Grim zurück in ihre unsichere Zeit als Praktikanten beim einschlägigen Hiphop-Format, Jeder Schritt ist ein großartiges Statement zu männlichen Perspektiven aus Sexismus und Echte Männer subversiert maskulines Denken im Hiphop. Es gibt dabei keinen Song, in dem ZM inhaltlich nicht den Nagel auf den Kopf treffen oder sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, ein Thema oberflächlich zu behandeln. Wenn ich ganz fies wäre, würde ich zwar kritisieren, dass einige Hooks ein bisschen zu stumpf sind, aber auch da habe ich schon schlimmeres gehört, unter anderem auch von den beiden selbst. Und letztendlich ist das hier für mich persönlich vor allem die Platte, mit der die Band endlich den Fluch bricht, der nach Alles brennt über ihnen schwebte. 10 Jahre Abfuck ist der endgültige Beweis, dass sie diese Inkarnation von ZM nicht reproduzieren müssen, um wieder an ihren künstlerischen Sweet Spot zu gelangen und eine Ästhetik entwickelt haben, die sie einmal mehr zu einer der besten und wichtigsten Stimmen im deutschen Rap macht. Weshalb ich auch hoffe, dass das hier noch nicht der Exit war und es vielleicht doch weitergeht. Denn sie sind vielleicht nicht die Helden, die Deutschrap will, aber die die es verdient. Und ohne sie wird es zumindest ein bisschen finsterer.



Hat was von
Grim104
Das Grauen, das Grauen

Audio88
Sternzeichen Hass

Persönliche Höhepunkte
10 Jahre Abfuck | Der Erfolg | Tanz auf dem Vulkan | Rap.de | König Alkohol | Normiefest | Echte Männer Freestyle | Sommer Vorbei | Dunkle Grafen | Jeder Schritt | Fans | Exit

Nicht mein Fall
-

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