Montag, 30. November 2020

Kraut gewachsen

Urlaub in Polen - All 

[ krautig | rhythmisch | frickelig ]

Als ich im Winter 2012 das erste Mal anfing, über Musik zu schreiben, war die deutschsprachige Indiewelt gerade noch sehr traurig darüber, dass sich eine Band namens Urlaub in Polen aufgelöst hatte. Ich merkte mir das damals, weil Urlaub in Polen ein witziger Name war. Was für Musik dieses Projekt eigentlich machte, wusste ich aber nicht und befand es nicht für nötig, mich damit auseinenderzusetzen. Schließlich hatten sie sich sowieso gerade aufgelöst und in den acht Jahren, die auf die kurze Trauerphase folgte, hörte ich kaum ein einziges Mal noch ihren Namen. Es schien so, als hätte die Welt diese Gruppe vergessen. So sehr, dass wenn man die Gruppe und den Titel ihres neuen Albums googelt, nur noch auf diverse Seiten von Reisebüros verwiesen wird. Man sollte dabei meinen, dass das Comeback einer Gruppe, deren Abschied aus der Szene so lamentiert wurde, zumindest die alten Indieheads wieder auf den Plan ruft. Doch irgendwie scheint es wenige wirklich zu tangieren. Was mich ein wenig stutzig macht, denn uninteressant ist es definitiv nicht. Nach allem, was ich über die Urlaub in Polen von vor der Trennung weiß, waren sie eine Indietronic-Formation, deren Musik irgendwo in näherer Verwandschaft zu the Robocop Kraus und Ja, Panik zu verorten ist. Was All zu einem gehörigen Stilbruch macht, denn auf diesen zehn Songs tendieren die beiden Kölner vorwiegend in Richtung von psychedelischem Kraut- und Frickelrock der Marke Beak>, Neu! und Odd Couple. Die Schlagzeugarbeit von Jan Philipp Janzen hat sich seit der Reunion ein großes Stück bei der Technik von Jaki Liebezeit abgeschnitten, das Songwriting in Tracks wie the Witcher, Impulse Response und T.H.D.T. wird von rhythmischen, repetetiven Gitarrengrooves dominiert und was hier an Electronica noch stattfindet, sind größtenteils oszillierende Experimente mit analogem Equipment, die an die Silver Apples oder Amon Düül II erinnern. Das Hauptfeld dominiert eine Handvoll von fünf- bis siebenminütigen Stücken, die meistens instrumental und sehr rockig sind, zwischendurch werden diese immer wieder von kurzen Vignetten abgelöst, die eher dekonstuiert und spacig daherkommen. Die coolsten Stellen sind dabei in meinen Augen jene, in denen sich das Duo wirklich in einen Groove einpendelt und über längere Zeit an einem Konzept festhält. Logischerweise ist das hier eher in den längeren Stücken der Fall, sprich etwa die Hälfte der kompletten 38 Minuten Spielzeit. Die Interludes und Zwischenphasen sind zwar mitunter auch nicht schlecht, schaffen es aber nicht wirklich, viel zur Gesamtstimmung beizutragen und führen den Flow der Platte auch immer wieder auf Abwege, die nicht ganz so spannend sind. Das ist insofern authenthisch, als dass auch viele der ganz frühen Krautrock-Impulsgeber dieses Problem hatten, es hindert All aber oft daran, interessanter zu sein. Nimmt man dazu, dass Georg Brenner nicht wirklich der beste Sänger ist und viele der guten Momente doch etwas zu kurz geraten, ist das hier noch immer eine gute LP, allerdings nichts, was ich nicht schon woanders besser gehört habe. Ich finde es cool, dass Urlaub in Polen sich solchen Sounds widmen und anscheinend auch den nötigen Forschergeist haben, um wirklich experimentell zu sein. Noch dazu ist die Produktion in den meisten Momenten erste Sahne. Gänzlich überzeugt bin ich vom Ergebnis dennoch nicht, weil einfach noch zu viel unnötiges nebenbei passiert. Mit ein bisschen mehr Fokus im Songwriting, Mut zu längeren Tracks und weniger Schnickschnack zwischendurch könnte das aber schon ganz anders aussehen. Wer weiß, vielleicht gelingt es ja der zweiten Inkarnation von Urlaub in Polen, mich nochmal richtig abzuholen. Das Zeug dazu ist auf jeden Fall da.


Hat was von
Silver Apples
Sliver Apples

Beak>
>>>
 
Persönliche Höhepunkte
Impulse Response | T.H.D.T. | the Witcher | the Hunter | Lts | Proxy Music
 
Nicht mein Fall
Rodeo
 

Sonntag, 29. November 2020

Das Geheimnis für spürbar jüngeren Sound

Kylie - Disco 

[ feierwütig | junggeblieben | catchy ]

52 Lenze alt ist Kylie Minogue im Winter 2020, genauso alt wie DJ Bobo, LL Cool J, Celine Dion und Will Smith. Und wenn man mich fragt, so ist die Australierin in diesem Alter nicht nur besser drauf als die meisten Künstler*innen ihrer Generation, sondern auch im direkten Vergleich mit sich selbst am Anfang ihrer Karriere. Blickt man auf die über drei Dekaden zurück, die Minogue jetzt schon im Geschäft ist, ist sie keine dieser Alt-Popstars, die mittlerweile nur noch ihrer verlorenen Jugend hinterherrennen und langsam immer peinlicher werden, sondern stattdessen immer cooler werden. Wenn man mich fragt, ist sie ein Paradebeispiel für eine Mainstream-Persönlichkeit, die unglaublich gut altert und sogar immer noch weiter wächst. Ihr Output während der gesamten Zwotausendzehner war so vielseitig wie nie zuvor und von clubbigem Techno über Glamrock bis zu Countrypop war sie für alles zu haben. Und wenn man so will, ist Disco auf dieser Liste ein weiterer grüner Haken. Wie Name und Artwork schon suggerieren, widmet sich Minogue auf dieser LP (ihrer insgesamt sechzehnten) exklusiv dem stilstischen Bereich Disco, wobei man in diesem Fall eher von clubbigem Dancepop sprechen sollte. Denn obwohl überall auf diesem Album klanglicher Pailettenglitzer, groovige Analog-Synths, dicke Streicher und Funk-Motive zu finden sind, ist der Ansatz bei weitem nicht so authenthisch-retrospektiv wie beispielsweise der von Daft Punk oder Bruno Mars. Die Inspirationen von ursprünglichen Acts wie Abba, den Bee Gees oder Earth, Wind & Fire sind hier zwar da, aber betrachtet durch den Filter von vierzig Jahren Popmusik, die dazwischen passiert sind. Vor allem Minogues Faible für House und soften Techno, den man bereits aus ihrem Spätnenunziger-Output kennt, erlebt hier nochmal eine Art zweiten Frühling und im Sinne eines Mainstream-kompatiblen kommerziellen Projektes ist hier auch die Produktion entsprechend angepasst. Ich würde aber durchaus sagen, dass diese Modifikation zum Vorteil von Disco funktioniert. Denn die Entscheidung, kein reines Retro-Produkt zu erschaffen macht vor allem Platz für das noch immer extrem eingängige Songwriting von Kylie Minogue und ihrem Team, das unabhängig von stilistischen Bezügen funktioniert. Das einzige, was dadurch zusätzlich motiviert wird ist, dass hier wieder etwas mehr die clubbige Seite der Australierin herausgekehrt wird, die in meinen Augen schon immer ihr größtes Talent war. Was wiederum zur Folge hat, dass Disco wieder eine LP ist, die ordentlich ballert. Und dass eine Künstlerin ihres Schlags so etwas auf unpeinliche weise abliefern kann, ist ein deutliches Zeichen dafür, wie cool diese Frau noch immer ist. Jene ausgelassene, jugendliche Popstar-Energie, die bei Leuten wie Madonna, Jessie Ware oder Jennifer Lopez (letztere beide sind sogar jünger als Kylie Minogue) schon seit einer Weile eher krampfig wirkt, zaubert dieses Album ein weiteres mal mit einer beneidenswerten Leichtigkeit zurecht und fühlt sich dabei kein bisschen selbstverleumderisch an. Ich würde sogar sagen, dass Disco für diese Sängerin ein natürlicherer Zustand ist als eine Platte wie Golden von 2018, die tatsächlich ein wenig nach Alterswerk klang. Und solange die Songs so hervorragend bleiben, bin ich auch absolut dafür, dass sie damit weitermacht. Denn wenn diese Musik der Jungbrunnen ist, den die Künstlerin braucht, dann können wir noch einiges erwarten. Denn vom Herbst einer Karriere ist das noch erfrischend weit entfernt.


Hat was von
Dua Lipa
Future Nostalgia

Mark Ronson
Late Night Feelings

Persönliche Höhepunkte
Magic | Miss A Thing | Say Something | Last Chance | I Love It

Nicht mein Fall
Where Does the DJ Go

Donnerstag, 26. November 2020

Aztekischer Paganismus oder was Black Metal in Mexiko zu suchen hat

Yaotl Mictlan - Sagrada tierra del jaguar 


[ paganistisch | ausdefiniert | krachig ]

Eine Sache, die in einen gut gemachten Black Metal-Traditionalismus seit jeher mindestens genauso gehört wie Corpsepaint, Tremolopicking und Blastbeats ist ein gewisser Hang zur Volkstümlichkeit und zum Paganismus, der schon immer ein Grund für Kontroversen. Bereits Anfang der Neunziger, als die Kunst der schwarzen Krachmusik in Norwegen das Laufen lernte, war es der Bezug auf archaische skandinavische Kulturgüter, das für viele der stilprägenden Bands ein wesentliches inhaltliches Motiv war und sich vor allem in der Ablehnung des Christentums manifestierte. Dass Varg Vikernes damals Kirchen verbrannte, geschah seiner Auffassung nach im wesentlichen aus Ablehnung gegen die "Invasoren" aus Südeuropa, die mit der "fremden Religion" den originären Glauben der Vorfahren vertrieben. Wie wir heute wissen, waren diese Überzeugungen auch von Rassismus und Antisemitismus nicht zu knapp durchdrungen, nichtsdestotrotz hat sich das Narrativ vorchristlicher, ursprünglicher Ideale im Black Metal sowie das schlechte Verhältnis zum Konzept Kirche irgendwie bewahrt. Und dass es auch 30 Jahre später eine durchaus interessante popkulturelle Perspektive bieten kann, sieht man im Moment sehr gut an einer Band wie Yaotl Mictlan. Diese stammt ursprünglich aus Mexiko, einem Land also, das in der Vergangenheit ebenfalls mit einer Form von christlich motivierter Invasion, massenhafter Missionierung und kulturellem Imperialismus zu tun hatte und infolgedessen einen großen Teil seines ursprünglichen Kulturerbes eingebüßt hat. Auf ihre Art und Weise finden sie sich also auch im Narrativ des Black Metal wieder, indem sie sich in ihrer Musik auf eine mystische, verlorene Altertümlichkeit - vornehmlich die des Maya- und Aztekenreiches - beziehen. In ihren Texten finden sich immer wieder Verweise auf mythologische Themen und Passagen indigener Sprachen (meistens singen sie aber auf spanisch), die Ästhetik ihrer Artworks ist inspiriert von altertümlichen Fresken und Pyramiden und hin und wieder tauchen in ihren Songs sogar traditionelle Instrumente oder lokale Folk-Motive auf. Auf schwere Sachbeschädigung, rituelle Morde und generelles Arschlochsein haben sie dabei bisher zum Glück verzichtet, doch hat das ganze in diesem Fall überhaupt einen völlig anderen Anstrich. Indem sich Yaotl Mictlan in ihrer Musik auf diese Themen beziehen, zeigen sie im gleichen Atemzug klare Kante gegen Kolonialismus, Imperialismus und Eurozentrismus, die ja leider doch nicht so passé sind, wie man sich das wünschen würde. Damit spielen sie zwar eine sehr europäische Art und Weise von Rockmusik, nutzen deren Motive aber für ihre Zwecke und Überzeugungen. Das ist in diesem Falle dann nicht nur ideologisch spannend, sondern vor allem auch musikalisch. Denn mit den hier immer wieder stattfindenden Folk-Einflüssen schaffen Yaotl Mictlan auch ihre eigene kleine Nische in diesem Sungenre, das die altbewähte Grundtheorie von Pagan Metal einfach dort verortet, wo diese Band herkommt. Woran man mal wieder merkt, wie international Metal sein kann, wenn man ihn mal auf seine wesentlichen Bestandteile reduziert. Denn wenn es in Mexiko klappt, dann sicher auch in Tibet, Simbabwe oder Somalia. Es muss nur jemanden geben, der dieses Potenzial anzapft.


Hat was von
Wiegedood
De Doden Hebben Het Goed

Behemoth
the Satanist

Persönliche Höhepunkte
Entre Lluvias Fuertes | Coatlicue | Ba'alche'o'ob | Tezcatlipoca | K'inich Janaab' Pakal | Nuevo Fuego | Buho Lanzadardos | Sombra del Mictlan

Nicht mein Fall
-

Mittwoch, 25. November 2020

Gut in Form

Oneohtrix Point Never - Magic Oneohtrix Point Never 


[ verschachtelt | elektronisch | hyperpoppig | nerdig ]

 Gerade mal ein paar Wochen ist es her, dass ich beim archivieren von alten Posts nochmal über meinen Artikel zu Garden of Delete stieß, den ersten, den ich in diesem Format über ein Album von Oneohtrix Point Never verfasst hatte. Abgesehen davon, dass darin ein paar horrende Vergleiche gemacht wurden und der Titel des Posts sehr schlecht gealtert ist, stellte ich vor allem fest, wie meine Leidenschaft für die Musik von Daniel Lopatin seitdem zurückgegangen ist. Denn als ich vor fünf Jahren anfing, über ihn und seine Platten zu schreiben, war das, weil ich ihn für einen der genialsten Künstler im Bereich der elektronischen Musik hielt. Sein früher Output, den ich damals vor allem via Youtube-Best Ofs für mich entdeckte, begeisterte mich mit jedem Song mehr und auch besagte LP war damals ein echtes Highlight. Wenn ich mir die Sache heute so ansehe, bin ich zwar noch immer sehr vom Talent dieses Mannes überzeugt, jedoch schon lange nicht mehr so euphorisch wie einst. Was auch tatsächlich daran liegt, dass sein Oeuvre in den letzten fünf Jahren etwas nachgelassen hat. Platten wie seinen Nachfolger Age Of von 2018 und die beiden Kino-Soundtracks für Benny Safdie (Good Times und Der schwarze Diamant, könnte man vielleicht kennen) mochte ich zwar, ihre Halbwertszeit war allerdings eher kurz. Vor allem jedoch habe ich mittlerweile ein ziemlich großes Problem mit der strukturlosen Art, wie Lopatin komponiert. Viele seiner jüngeren Alben hören sich an, als würden einem lediglich halbgare Vignetten vorgesetzt, die zwar in sich clever sind, bei denen jedoch nicht mehr die Energie aufgebracht wird, sie zu vollwertigen Songs zu verarbeiten. Und so cool es anfangs auch war, dem Künstler quasi beim arbeiten zuzuhören, wollte ich über kurz oder lang auch mal wieder ein richtiges, abgerundetes Gesamtwerk. Die gute Nachricht: Magic Oneohtrix Point Never kommt diesem Ideal zum ersten Mal wieder sehr nahe. Zwar ist es auch hier wieder faktisch so, dass es einige Tracks wie Bow Ecco, Answering Machine oder die vierteilige Cross Talk-Serie sehr skizzig und knapp gehalten sind und mit einem Verhältnis von 17 Tracks in knapp 50 Minuten ist das hier nicht gerade ein sinfonisches Album, doch kann man wenigstens sagen, dass sich diesmal Mühe damit gegeben wurde. Wenn ein Song hier 49 Sekunden geht, dann wurde immerhin versucht, in diese Zeit auch so viel wie möglich klanglichen Aha-Moment zu verkapseln und selbst kleine Interludes fühlen sich hier wieder wertvoll an. So mag ich die Art wie Cross Talk I die LP mit einer Soundcollage eröffnet, die sehr an ein cineastisches Jingle erinnert oder wie Answering Machine die warmen Videospiel-Synths von Garden of Delete zurückbringt. In solchen Momenten brilliert Lopatin zum ersten Mal seit langem wieder als Virtuose des postironisch entrückten Mashups, der aus geplünderten Samples wahrhaft harmonische Kompositionen zusammenbastelt. Und an manchen Stellen gelingt es ihm sogar, wieder großformatiger zu arbeiten. In Songs wie Imago, No Nightmares oder the Whether Channel erleben wir für Abschnitte der LP tatsächlich wieder die Art von vier- bis sechsminütigen Tracks, die wirklich kompositorische Substanz und eine zu Ende gedachte Idee hinter sich haben. Für mich persönlich sind diese Parts die wirklichen Erweckungsmomente auf Magic, die mir wieder zeigen, warum ich diesen Typen noch immer so liebe. Dass viele davon stark in Richtung Hyperpop und A.G. Cook tendieren, ist bei jemandem wie Oneohtrix Point Never, der schon immer progressiv und digitalistisch unterwegs war, nur konsequent. Denn das habe ich bei ihm inzwischen gelernt: Relevant ist nicht, was er stilistisch gerade macht, sondern wie er es macht. Und so wie es aussieht, hat er hier wieder seine Sprache gefunden. Eine, die ich nicht verstehe, aber die zumindest sehr schön klingt.
 

Hat was von
A.G. Cook
7G
 
Position Normal
Stop Your Nonsense
 
Persönliche Höhepunkte
Cross Talk I | Long Road Home | Cross Talk II | I Don't Love Me Anymore | Bow Ecco | the Whether Channel | No Nightmares | Cross Talk III | Tales From the Trash Stratum | Answering Machine | Imago | Cross Talk IV / Radio Lonely | Lost But Never Alone | Wave Idea | Nothing's Special
 
Nicht mein Fall
-
 
 

Dienstag, 24. November 2020

In der Kirche des Ra

Sun Ra Arkestra - Swirling 

 
[ experimentell | bunt | klassisch ]

 Man muss schon ein besonderer Musiker gewesen sein, wenn man seit über ein Vierteljahrhundert tot ist, es aber trotzdem noch die Band gibt, deren Leader man zu Lebzeiten war und diese sich noch dazu nach 20 Jahren wiederfindet, um noch mal ganz offiziell ein Album zu veröffentlichen. Und ja, Sun Ra ist definitiv ein Musiker, dem als genialer Jazz-Visionär, politischer Vordenker des Afrofuturismus und legendärer Superfreak so ein Vermächtnis gebührt. Nicht nur, weil dieses pophistorisch eine solche Tragweite hat, auch weil so ziemlich alles an Swirling so herrlich absurd ist wie es der Künstler selbst seinerzeit war. Eine dreizehnköpfige Formation großartiger Jazzvirtuosi*innen unter Leitung des fast hundertjährigen Marshall Allen, von denen man bisher eigentlich dachte, sie wäre seit den späten Neunzigern nicht mehr als die Tour-Truppe, die die kosmische Botschaft ihres Namensgebers auf den Bühnen der Welt weiterträgt. Auf einmal machen genau die aber ein neues Album, noch dazu nach 21 Jahren ohne neue Aufnahmen. Und das ist dann auch noch eines der besten, das diese Saison in der gesamten Jazz-Landschaft erschienen ist. Es ist alles völlig verrückt. Ich kann dabei von Glück reden, dass ich die klangliche Welt von Sun Ra ohnehin gerade für mich entdecke, sonst hätte ich das hier höchstwahrscheinlich unter Ferner Liefen abgeheftet. Denn ohne die eben benannten Hintergrundinfos ist das hier keine Sache, die in erster Instanz besonders attraktiv wirkt. Auf den imposanten 93 Minuten, die das Arkestra hier füllt, befindet sich zum überwiegenden Teil Material, das vom Meister persönlich bereits vor fünfzig oder mehr Jahren intoniert oder zumindest geschrieben wurde, zusätzlich zu einigen wenigen Neukompositionen von Allen. Prinzipiell also Musik, die man von Sun Ra selbst hören kann, wobei im Zweifelsfall immer das Original den Vorzug bekommt. Als lohnenswert empfinde ich Swirling aber gerade deshalb. Weil ein "Cover"-Album in diesem Sinne bei Sun Ra gar nicht möglich ist. Vor allem im Bereich Free Jazz ist es bekanntermaßen recht schwierig, eine Komposition ohne jede Spur von eigener kreativer Färbung zu übernehmen, da klare Vorgaben an vielen Stellen fehlen. Und mit der Masse an musischer Kraft, die in dieser Band vereint ist, kann man Gift darauf nehmen, dass es an originärer, neuer Energie hier viel zu holen gibt. Vor allem Saxofonist Marshall Allen beweist sich dabei auf seine alten Tage als abenteuerlicher Querdenker, indem er synthetische EWI-Sounds (Electronic Wind Instruments, sprich sowas wie Keytars nur als Blasinstrumente) immer wieder klassischen Gerätschaften vorzieht. Darüber hinaus erhalten hier viele ältere Stücke von Ra aus den Dreißigern und Vierzigern einen sehr modernen Anstrich, der mit seinen swingigen Big Band-Arrangements manchmal an die pompösen Jazz-Epen von Kamasi Washington erinnert. Auf der anderen Seite driften die Kompositionen im Bereich Gesang sehr in Richtung von afrikanischem Jazz, was ja thematisch auch irgendwie im Sinne des Erfinders ist. Und das wichtigste: Die Band schafft es, die Spannung der Songs auch wirklich über die immense Länge der LP zu halten, was eine gewaltige Leistung ist. Zwar sind nicht alle Momente hier auf gleiche Weise genial (Vor allem ein Song wie Unmask the Batman ist ein sehr unschöner und alberner Bruch mit dem sonstigen Sound der Platte), doch sind herbe Schwachstellen für ein Album dieses Ausmaßes beachtlich dünn gesät. Und allein die Tatsache, wie stabil die Dynamik des klanglichen Konzepts hier weitergetragen wird und die Kohärenz der Musik trotz der Verschiedenheit der einzelnen Tracks erhalten bliebt, ist nicht weniger als genial. Ganz unabhängig davon, ob es dem Erbe eines Sun Ra nun gerecht wird oder nicht ist es also ein ziemlich grandioses Stück moderner Jazzmusik. Futuristisch ist sie dabei nicht mehr unbedingt, aber vielleicht ist das hier ja die Zukunftsmusik, von der der verblichene Meister damals immer redete.
 
 
Hat was von
Shabaka & the Ancestors
We Are Sent Here By History
 
Kamasi Washington
the Epic
 
Persönliche Höhepunkte
Satellites Are Spinning / Lights On A Satellite | Seductive Fantasy | Swirling | Angels and Demons at Play | Sea of Darkness / Darkness | Rocket No. 9 | Astro Black | Infinity / I'll Wait for You | Door of the Cosmos / Say

Nicht mein Fall
Unmask the Batman

Montag, 23. November 2020

Don't Kill My Vibe

Trippie Redd - Pegasus 

[ atmosphärisch | relaxt | vibend ]

Es mag vielleicht ungewöhnlich klingen, doch wenn man mich fragt, dann ist Trippie Redd spätestens seit dem vergangenen Jahr einer der stabilsten Protagonisten innerhalb der aktuellen Cloudrap-Bubble. Nicht dass ich mir einbilde, nach gerade Mal ein paar Jahren ein definitives Urteil über den Output dieses Typen zu fällen, doch angesichts des erstaunlichen Verhältnisses von Quantität und Qualität, das der Kalifornier letzte Saison mit Platten wie ! und Love Letter to You 4 an den Tag legte, ist er Stand jetzt jemand, auf den ich einiges halte. Vor allem in Hinblick auf Konsistenz, denn wirklich schlechte Musik gab es von ihm schon seit einer ganzen Weile nicht mehr. Eine LP wie Pegasus war im Vorfeld allerdings doch eine, die mir ein wenig Kopfschmerzen bereitete, denn in vielen Belangen ist sie für Trippie ein Schritt in neues Terrain. Wo seine bisherigen Alben und Mixtapes unter anderem deshalb so gut waren, weil sie im kleineren Rahmen funktionierten und eben keine großen Statements sein wollten, geht LP Nummer drei jetzt doch deutlich diesen in diese Richtung. Mit 26 Songs in 84 Minuten ist Pegasus nicht nur bei weitem das längste Trippie-Projekt, darüber hinaus tauchen auch erstmals große Namen wie Lil Wayne, Future, Partynextdoor oder Busta Rhymes in der Gästeliste auf. Dass das hier sowas wie das Eternal Atake des Kaliforniers wird, war also durchaus zu befürchten. Und ein bisschen ist es das vielleicht auch. Zumindest muss ich sagen, dass es strukturell durchaus einige auffällige Ähnlichkeiten mit der jüngsten Großprojekt-Katastrophe von Lil Uzi Vert gibt und die Platte definitiv nicht allen gefallen wird. Wer ein Problem mit etwas doozigen, ätherischen und monotonen Cloudrap-Ästhetiken hat, kann direkt hier aufhören zu lesen. Denn Pegasus ist ganz klar eines dieser Projekte wie die jüngeren Sachen von Drake oder Lil Baby, die sehr auf einen breit ausgewalzten, chilligen Vibe setzen als auf vereinzelte Banger oder dynamische Klangwelten. Und ob ihrer Länge neigt diese LP doch sehr dazu, repetetiv zu werden. Zum Glück ist Trippie Redd für mich aber mal wieder einer derjenigen, die diesen Stil sehr gut auszufüllen wissen und sich im klaren sind, was eine solche Platte ästhetisch sein kann. Was heißt, dass Pegasus ein Album ist, in das ich mich über kurz oder lang ganz gut eingrooven kann. Klanglich und kompositorisch ist das ganze dabei wie ein trippiger, relaxter Fluss von zurückgehaltenen Beats und dem betäubenden Gecroone, aus dem hin und wieder eine bemerkenswerte Hook, ein spannendes Feature oder eine besondere Line hervorsticht. Das bedeutet auf der einen Seite, dass man sich in der Atmosphäre der Tracks gut verlieren kann, auf der anderen aber auch, dass sie nie zu langweilig oder dröge werden, sondern immer mal wieder coole Blickpunkte aufzeigen. Wirklich genial sind diese in den wenigsten Fällen, manchmal sogar eher albern, wie zum Beispiel in Spaceships (Ich zitiere: "I just flew two bitches in from overseas / They both from Portugal, they both Portuguese"), immer jedoch gerade spannend genug, um mich aus dem hypnotischen Delirium aufzuwecken, das dieses Album dominiert. An manchen Stellen finde ich Trippies Entscheidungen allerdings auch krass fragwürdig. Vor allem Mood ist in dieser Hinsicht ein erwähnenswerter Fauxpas, da er nicht die eklig misoyne kleine Schwester von Kendrick Lamars Bitch Don't Kill My Vibe zu sein scheint, sondern zu allem Überfluss auch noch Chris Brown als prominentes Feature einbaut. 2020 definitiv eine Sache, die nicht mehr passieren dürfte. Für jeden künstlerischen Move, der nicht passt gibt es hier aber auch immer zwei, die erstaunlich gut funktionieren wie das ambiente instrumentale Outro von Spaceships, die großartige Hook in Weeeeee, die packende Chemie zwischen Trippie, Lil Mosey und Quavo in No Honorable Mention, den fantastischen Zwotausender-Boyband-Moment in I Got You oder wie ausgerechnet Swae Lee das Finale in TR666 veredelt. Wenn es auf diesem Album nur darum geht, die Sache über die Zeit zu kriegen, dann hat Pegasus auf jeden Fall genug Ideen im Ärmel, um das großzügig zu gewährleisten. In Hinblick auf Trippies Entwicklung als Künstler muss ich sogar sagen, dass er hier nochmal ein paar Punkte zugelegt hat. Wenn ! und Love Letter to You 4 die Platten waren, die bei mir die Frage aufkommen ließen, ob dieser Typ ein großes Unterfangen wie dieses stemmen kann, beantwortet Pegasus diese mit einem eindeutigen Ja. Denn gerade wenn man sieht, wie kläglich im Vergleich diese Saison die sehr ähnlichen Alben von Future oder Lil Uzi Vert abschnitten, ist das hier ein Projekt, das es besser macht. Und das scheint in den letzten Jahren öfter der Fall zu sein, wenn wir von Trippe Redd reden. Hoffentlich auch weiterhin.


Hat was von
Lil Uzi Vert
Eternal Atake

Lil Baby
My Turn

Persönliche Höhepunkte
Love Scars 4 | So Stressed | Excitement | Pegasus | Weeeeee | Personal Favorite | V-12 | Spaceships | No Honorable Mention | I Got You | Too Fly | Red Beam | Oomps Revenge Pt. 2 | Take One | Sleepy Hollow | Kid That Didd | Don | Hell Rain | TR666

Nicht mein Fall
Mood |

Sonntag, 22. November 2020

Warum denn so ernst?

Bring Me the Horizon - Post Human: Survival Horror  

[ edgy | krachig | apokalyptisch ]

Wenn man mich fragt, dann wachsen Bring Me the Horizon in den letzten Jahren vor allem daran, dass sie Humor entwickelt haben. Sowohl auf lyrischer Seite als auch in ihrer Musik macht sich seit etwa fünf Jahren ein gewisser Schmunzel-Faktor auf ihren Platten breit, der 2015 auf That's the Spirit mit süffisanter Edgyness begann und spätestens mit diesem neuen Album zu einem fiesen, breiten Grinsen mutiert ist. Chaos und Unsicherheit in der Welt sowie persönlichen Dämonen begegnen die Briten inzwischen konsequent mit grell geschminktem Zynismus und einer explosiven Buntheit, die der bierernste Angstcore ihrer Frühphase rückblickend vermissen ließ. Und wo schon Amo vor etwa zwei Jahren ein Paradebeispiel darin war, dem inneren und äußeren Zerfall mit einer deftigen Freakshow entgegenzutreten, ist Post Human: Survival Horror jetzt die Platte, die dieses Konzept zu Ende denkt. Als Basis diesen dabei erneut weitreichende Einflüsse aus den kitschigsten Nischen von New Metal, Emorock, Industrial und Metalcore, auf die BMTH munter weiter musikalische Kuriositäten auftürmen. Wo auf dem Vorgänger schon exotische Gäste wie Grimes und Rahzel zu hören waren, überraschen hier unter anderem Features von Babymetal und Evanescence-Frontfrau Amy Lee. Wieder mal ist es aber vor allem der Input der Band selbt, der für den größten Unterhaltungsfaktor sorgt, denn spätestens hier ist sich die Band für nichts mehr zu seriös. Gleich der Opener Dear Diary beginnt  mit dem sicherlich fettesten Metal-Moment von BMTH seit Jahren, der mich an die richtig bratzigen Elemente von Sepultura oder Machine Head erinnert und auch an späteren Zeitpunkten hört man die Briten dann und wann zu ihren knallharten Metalcore-Wurzeln zurückkehren. Zeitgleich dazu sind sie jedoch auch so verspielt wie nie zuvor, bringen starke Elemente von Industrial ein, basteln an verglitchten Electronica-Schnipseln herum, huldigen offener als je zuvor ihren Ikonen Linkin Park und schreiben größere Mitsing-Hooks als je zuvor. In Songs wie Obey oder Kingslayer klingen sie sogar mehr als einmal auffällig nach den neueren Sachen von the Prodigy. Und in den allermeisten Fällen gehen all diese Experimente wieder mal sehr gut und sorgen für eine LP, die einfach mordsmäßig Spaß macht. Dass es an einigen Stellen etwas über die Strenge schlägt, ist bei so einem Zirkus von einem Album aber auch vorprogrammiert. Teilweise sind das Kleinigkeiten wie einige textliche Holperer von Frontmann Oli Sykes (lyrisch ist vieles hier gut, aber nicht im mindesten so gut wie auf Amo), mitunter aber auch ganze Songs. So ist das Interlude Itch for the Cure einfach ein klein wenig überflüssig und auch der Closer One Day the Only Butterflies Left Will Be in Your Chest as You March Towards Your Death ein ziemlicher Ausrutscher. Der Song macht zum Schluss nochmal ein völlig neues ästhetisches Fass auf, ist damit ein jeher Bruch im Flow der Platte und das Feature von Amy Lee ist leider ziemlich deplatziert. Man kann dabei von Glück sagen, dass der Track ganz am Ende der LP steht, denn so ist vieles vorher zumindest sehr stimmig. Und obwohl es hier insgesamt nur neun Stücke gibt, sind die meisten davon mal wieder so genial, dass der Gesamteindruck ein sehr positiver bleibt. Wie schon der Vorgänger ist Post Human: Survival Horror ein Album, das eindeutige Schwächen hat, diese aber durch grandiose Spitzen wieder herausholt. Letztere sind hier sogar noch ein bisschen toller, gerade weil sie so hart in die Farbe gehen. Und abgefahrene Songs schreiben, das können Bring Me the Horizon mittlerweile. Sie werden sogar immer besser darin.


Hat was von
Enter Shikari
A Flash Flood of Colour

the Prodigy
No Tourists

Persönliche Höhepunkte
Dear Diary, | Parasite Eve | Teardrops | 1x1 | Ludens

Nicht mein Fall
Itch for the Cure (When Will I Be Free?) | One Day the Only Butterflies Left Will Be in Your Chest as You March Towards Your Death

Samstag, 21. November 2020

In the Sheets



 

[ sexy | selbstbewusst | mixtapig ]

Die wichtigste gute Nachricht für Ariana Grande 2020 ist, dass sie definitiv nicht mehr die große PR-Bühne braucht, um eine erfolgreiche Pop-Künstlerin zu sein. Positions ist nach Thank U, Next vom letzten Jahr die zweite LP der Sängerin, die eher in Form einer Mixtape-artigen Guerilla-Release-Taktik erscheint statt mit großem Single-Backing und vorläufigem Trara und demnach zu urteilen, was man so mitkriegt, ist es auch das beste so. Als Promi-Persönlichkeit und ehemaliger Teeniestar, der viel im öffentlichen Interesse stattfand, waren Promophasen für Grande seit jeher Stoßzeiten für Hasskommentare und Boulevard-Schnickschnack und ich kann gut verstehen, dass sie auf diesen Mist inzwischen gut verzichten kann. Zumal sie ja anscheinend keine fette Promomaschinerie braucht, um nach wie vor genauso präsent zu sein und nach dazu mehr und mehr kritische Props als ernstzunehmende Künstlerin ansammelt. Ich für meinen Teil bin zwar der Meinung, dass ihre letzten beiden Alben innerhalb dieser Schiene nicht so gut waren wie ein Dangerous Woman vor vier Jahren, doch sehe ich deren Problem nicht in der Herangehensweise an sich, sondern eher in der Attitüde und musikalischer Umsetzung. Und dass es besser funktionieren kann, zeigt uns nunmehr Positions, das ästhetisch und strukturell wieder ähnlich funktioniert. 14 Songs, die sich eher anfühlen wie ein Mixtape als ein Album und bei denen im Mittelpunkt zu hundert Prozent die Musik steht und damit das, was Ariana zu sagen hat. Einige haben Positions in den letzten Tagen als Quarantäne-Album bezeichnet, ich persönlich sehe dafür nicht unbedingt ein Indiz. Es sei denn man will darauf anspielen, dass Grande zu lange alleine zu Hause war und deshalb diese Songs schreibt. Denn wenn diese LP durch eines auffällt, dann die aggressive Sexualität vieler Stücke hier. Wenn man so will, ist der Name  dieser Platte auf eine sehr physische Art und Weise zu verstehen und auch der entsprechende Titeltrack suggeriert ähnliches: Das hier ist in großen Teilen ein Album über Sex und ich kann folgendes an dieser Stelle nicht deutlich genug betonen: Es wird in einigen Momenten ziemlich explizit. Nicht, dass das etwas wirklich neues wäre, denn für einen guten Matratzenjam war diese Künstlerin ja schon immer zu haben, doch ist es neu, dass diese Themen so exklusiv behandelt werden. Und vor allem ist es absolut nichts schlechtes. Dass Grande ein Talent für erotisches Songwriting hat, ist vom ersten Moment an sehr offensichtlich und auch ihre Performance als Sängerin passen sehr gut ins Konzept. Des weiteren finde ich auch den etwas loseren strukturellen Ansatz cool, der nicht zu irgendwelchen Quotenhits verpflichtet ist und dem ganzen vor allem klanglich einen Vibe gibt, den man tatsächlich gut in Momenten trauter Zweisamkeit auflegen kann. Und wenn das die Art und Weise ist, wie diese Künstlerin ihre Kompetenzen am besten präsentiert, dann soll es ihr Schaden nicht sein. Schlussendlich ist es ja vor allem eine schöne Sache, dass man als Frau 2020 so ein Album machen kann ohne blöde Kommentare abzukriegen und Grande wieder Mal zeigt, dass sie den Arsch in der Hose hat, zu machen wonach ihr musikalisch gerade ist, statt erwartbar und öffentlichkeitskonform zu sein. Positions ist dahingehend zwar kein so deutliches Statement wie Thank U, Next, muss es aber auch gar nicht sein. Es reicht, dass Ariana hier in ihrer Zone ist und alle anderen die Klappe halten können. Das hat sie sich immerhin schwer erarbeitet.


Hat was von
Teyana Taylor
KTSE

Christina Aguilera
Liberation

Persönliche Höhepunkte
Motive | Just Like Magic | Off the Table | Six Thirty | Nasty | Love Language | Positions | Obvious | POV

Nicht mein Fall
Shut Up

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Freitag, 20. November 2020

Nur ich und mein Echopedal

Nothing - The Great Dismal  

 
[ atmosphärisch | krachig | psychedelisch | geräumig ]

Es ist eine ziemliche Schmach, wie wenig ich auf diesem Format 2020 über Shoegaze gesprochen habe, gemessen daran, wie viel es in der Vergangenheit hier stattfand. Mitte November diesen Jahres gibt es gerade Mal eine Besprechung hier, die mit dem entsprechenden Genre-Tag versehen ist, und das ist die zum aktuellen Deftones-Album, das ja eigentlich primär eine Metal-LP mit Shoegaze-Einschlag ist, also auch nicht wirklich güldet. Damit die Saison für mich aber nicht komplett ohne ein empfehlenswertes Stück Musik aus diesem Bereich zu Ende geht, gibt es jetzt das neue Album von Nothing, die hier wieder mal beweisen, dass man sich in solchen Situationen auf sie verlassen kann. Bereits seit sechs Jahren gehört ihr Katalog in meinen Augen zu den stabilsten, die der moderne Shoegaze-Pop vorweisen kann und überzeugt seit dem Debüt Guilty of Everything 2014 pünktlich alle zwei Jahre mit einer guten bis sehr guten Neuerscheinung. Und viel mehr als dass the Great Dismal in dieser Hinsicht wieder abliefert, gibt es an dieser Stelle eigentlich nicht zu vermelden. Nach den etwas waghalsigeren, großkotzigen Ansätzen des Vorgängers Dance On the Blacktop von 2018 ist die Stimmung hier wieder etwas konservativer und konzentriert sich auf bewährte Kernkompetenzen: Schürfende Riffs, süßlich-melancholische Wellenbrecher, viel Dynamik und genau die richtige (Über-)dosierung von Reverb auf allen Spuren, die für ein ausgewogenes psychedelisches Erlebnis sorgen. Nothing sind dabei seit dem letzten Mal ein Mü rockiger geworden, auch wenn sie diesmal weniger Liam Gallagher sein wollen als Rachel Goswell. Vor allem heißt das, dass the Great Dismal auf kompositorischer Seite schön klassisch bleibt und herrlich nach den frühen Neunzigern klingt, in Sound und Produktion aber so breitbeinig aufgestellt ist wie nie zuvor und tatsächlich die Ästhetik sucht, die am meisten scheppert und den größten Raum greift. Best of both worlds also und in seiner Ausführung tatsächlich ein Shoegaze-Highlight wie aus dem Lehrbuch. Fast jeder Song hier ist auf seine Art ein Höhepunkt, abfallende Formkurven gibt es kaum und wenn, dann nur damit Nothing kurz danach mit einem fetten Break aus dem Hinterhalt kommen und mich wieder völlig verzaubern. All das konnten sie zwar auch vorher schon, doch ist the Great Dismal das Album, auf dem vieles noch mal ein Stückchen besser ausbalanciert und zurechtoptimiert klingt. Und klar kann man der Band vorwerfen, dass das mittlerweile sehr routinemäßig geschicht und wirklich neue Ideen weiterhin wenig stattfinden, doch müsste mich diese tolle Eingespieltheit und Chemie dafür erstmal stören, was hier absolut nicht der Fall ist. Im Gegenteil: Neben Tired of Tomorrow von 2016 dürfte das hier das bisher stärkste Album der Gruppe sein. Das große Jahreshighlight im Bereich Shoegaze ist es außerdem, das allerdings ist 2020 auch nicht besonders schwer.


Hat was von
Slowdive
Slowdive

Simon Says No!
Simon Says No!

Persönliche Höhepunkte
A Fabricated Life | Say Less | April Ha Ha | Famine Asylum | Bernie Sanders | In Blueberry Memories | Blue Mecca | Just A Story | Ask the Rust

Nicht mein Fall
-

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Donnerstag, 19. November 2020

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Autechre - PLUS 


[ i2f05xPigy | miG8gQAySh | 1WcaVHI0ji ]

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16-58-61-6
 
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  • KzN33sgn
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  • 8DG2dvXh
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Play a minor pent scale in F with attack on the 3rd string



Hat was von
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Persönliche Höhepunkte
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0.9438945898	0.0246102734
0.5644677842	0.0487098774
Nicht mein Fall
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0.2627698326	0.5806941350
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Mittwoch, 18. November 2020

Cool im Sinne von kalt

Actress - Karma & Desire 


[ unterkühlt | relaxt | elektronisch ]

Hinsichtlich der Parameter, die ich an elektronischer Musik gemeinhin mag, war Actress schon lange ein Künstler, den ich theoretisch hätte gut finden müssen. Seitdem ich seine Musik vor etwa sechs Jahren zum ersten Mal aufschnappte, war sein Ansatz einer, den ich von der Idee her irgendwie mochte. Die dekonstruierten Elemente von House, Techno und Minimal, seine abstrakte Kompositionsweise, der kohärente Sound und ein immenses Geschick für gute Postproduktion waren Sachen, die ich an artverwandten Kolleg*innen wie Andy Stott, James Ferraro oder Autechre (bisweilen) eigentlich schätzte, die mir bei ihm nur immer etwas in den falschen Hals kamen. Sowohl Ghettoville von 2014 als auch AZD von 2017 waren Platten mit Potenzial, bei denen in meinen Augen aber immer auch irgendetwas fehlte oder die mir zu chaotisch waren. Mit Freude kann ich allerdings berichten, dass vor einigen Wochen nun die LP erschienen ist, die diesen Knoten für mich löst und endlich das offenbart, was ich in seinen Songs schon immer gesehen habe. Dabei ist Karma & Desire in vielen Punkten mal wieder völliges Neuland für den Londoner. Die grundlegenden Elemente von verhackstücktem House und Minimal bleiben hier zwar erhalten, doch ist das Ergebnis wesentlich weniger verglitcht und avantgardistisch, sondern eher verhalten und ambient. Zu großen Teilen würde ich mich gar dazu hinreißen lassen, das hier als Downtempo-Album zu bezeichnen, wenngleich nicht auf eine groovig-loungige Art und Weise, eher chillig im Sinne von unterkühlt. Klanglich nimmt Karma & Desire viele Ästhetiken von alternativem R'n'B, Vaporwave und Artpop auf, sowohl kompositorisch als auch in der Produktion. Immer wieder gibt es hier Spuren, die ein bisschen verrauscht und pappig sind, zwischen die scharfkantigen Muster mischen sich immer wieder Klänge mit dicker Patina und vor allem die vereinzelten Gesangsspuren sind fast immer nachträglich verfremdet. Vom Sound her erinnert mich dabei vieles an die Mitte-Zwotausendzehner-Phase von James Ferraro, die von solcherlei urbanen, kühlen und postmodernen Sphären geprägt war, Actress bringt diese allerdings in einen wesentlich stärker Ambient-geprägten Kontext. Auf immerhin 17 Songs in 68 Minuten variiert er dabei zwischen klaustrophobischem House-Nummern wie Angels Pharmacy und Loveless und entrückten Kunststücken wie Reverend oder Many Seas, Many Rivers. Ausnahmslos erhält sich dabei aber jene fröstelnde Atmosphäre, die nach urbaner Anomymität, seelenlosen Orten und traurigen Menschen klingt. Wie die Platten von Ferraro damals ist die größte Qualität von Karma & Desire, dass es klingt wie ein Soundtrack zu irgendetwas, dessen Sprunghaftigkeit auch irgendwie Teil seines Charakters ist. Eine Sammlung von Vignetten, die weniger durch einen gemeinsamen klanglichen Ansatz geeint werden, sondern durch eine Emotionalität, die sie verbindet. Kann aber auch sein, dass dieser Eindruck völlig subjektiv ist. Fakt ist, dass dieses hier die erste LP von Actress ist, die ich wirklich als Gesamtheit großartig finde und nicht nur theoretisch feiern kann. Was hoffentlich kein Einzelfall bleibt, denn dass dieser Typ sehr talentiert ist, davon bin ich schon lange überzeugt.



Hat was von
Andy Stott
Too Many Voices

James Ferraro
Skid Row

Persönliche Höhepunkte
Angels Pharmacy | Remembrance | Reverend | Leaves Against the Sky | Save | XRAY | Public Life | Fret | Loose | Turin | Diamond X

Nicht mein Fall
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Dienstag, 17. November 2020

Wildcard

HHY & The Kampala Unit - Lithium Blast  

 

[ perkussiv | experimentell | hibbelig ]

Ungefähr ein Jahr ist inzwischen ins Land gegangen, seitdem ich Bekanntschaft mit dem ugandischen Label Nyege Nyege Tapes und dessen skurrilen Entwurf von Technomusik gemacht habe. Und obwohl ich sagen muss, dass es unter den Platten, die ich von ihnen bisher gehört habe, wenige gab, die mich musikalisch wirklich überzeugten, kann ich doch auch nicht anders, als bei jedem neuen Release, das daraus hervorgeht, wieder sehr gespannt zu sein. Denn auch wenn mich die klanglichen Kosmen, die viele der dort beheimateten Künstler*innen aufstoßen, ziemlich verunsichern, ist Nyege Nyege doch objektiv ein kreativer Pool, in dem viel neues und interessantes passiert. Eine Energie, die inzwischen elektronische Visionäre aus der ganzen Welt in ihren Bann zieht, wie man auch an diesem jüngsten Eintrag in ihrem Katalog merkt. HHY & the Kampala Unit ist ein Zusammenschluss des portugiesischen Psychrock- und Ambient-Künstlers Johnatan Saldanha und der beiden aus Uganda stammenden Jazzmusikern Omutaba und Florence Lugemwa, die mit Lithium Blast ihr erstes gemeinsames Album vorstellen. Diese Paarung allein wäre schon ziemlich wüst, würden die drei hier einfach nur die Dinge kombinieren, die sie in ihren anderen Projekten ohnehin machen, doch ist diese vorliegende LP nochmal ein ganz anderer Mutant. Denn ganz im Sinne der klanglichen Marschrichtung von Nyege Nyege ist das hier ein experimentelles Techno-Abenteuer, das an nicht wenigen Stellen auch vollumfänglich in Avantgarde-Gefilde überschwappt. Stilistisch nennen sie das ganze hier Dub, was aber in keinem Moment ein wirklich wiedererkennbarer Bezugspunkt ist. Viel eher erinnert das ganze hier an Leute wie Arca, Aphex Twin, James Ferraro oder Oneohtrix Point Never, nur eben mit diesem typischen Kampala-Einschlag. Viele Polyrhythmen, ein insgesamt sehr perkussiver Sound und jene düstere Grusel-Ästhetik, die fast schon wieder an Noise grenzt. Lithium Blast geht mit diesem Konzept in vielen Momenten auch an seine kompositorischen Extreme, und dass hier zwei experimentelle Jazzmusiker mitarbeiten, merkt man in jedem Moment. Mitunter, wie in Bursting Thru the Gates oder Queendom, gibt es auch stark von afrikanischem Jazz inspirierte Bläsersätze, die für kurze Zeit so etwas wie Eingängigkeit suggerieren. Dass es dabei genau diese Parameter braucht, um mich für den Nyege Nyege-Sound zu begeistern, geschieht unverhofft, denn eigentlich dachte ich bisher, ich bräuchte mehr Klarheit in dieser Musik. Tanzbare Grooves, ein bisschen mehr Melodie oder vielleicht sogar Rap oder Gesang. Aber nichts da: Meine persönliche Erfüllung dieses Sounds erlebe ich in der denkbar schrägsten, extremsten und unzugänglichsten Platte, die ich von diesem Label bis dato gehört habe. Nicht dass ich denke, das würde bei allen so funktionieren. Wenn der grundsätzliche Entwurf hier für euch interessant klingt, ihr ihn aber erstmal antesten wollt, empfehle ich doch eher gefälligere Sachen wie Nihiloxica oder Otim Alpha. Ich persönlich finde das hier aber zum ersten Mal so richtig gut. Und wenn es die nerdigen Kunstplatten sind, die mir dieses Konzept verkaufen, dann sei es eben so. Muss ja nicht immer alles zum tanzen sein.


Hat was von
Nihiloxica
Kaloli

Arca
Mutant

Persönliche Höhepunkte
Bursting Thru the Gates | Hunter | Queendom | Curse Go Back | Fission Core Fluid | Gun | Lithium Blast | Shing Scar

Nicht mein Fall
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Montag, 16. November 2020

Black Lives, Black Metal

Zeal and Ardor - Wake of a Nation 


[ politisch | aktivistisch | hymnisch ]

Mit dem erneuten Aufflammen der internationalen Black Lives Matter-Bewegung in diesem Sommer war 2020 rückblickend auch musikalisch ein Jahr, in dem viel Klartext gesprochen wurde. Run the Jewels, Beyoncé, Lil Baby: Viele übten und üben sich diese Saison im künstlerischen Aktivismus und ganz unabhängig davon, wie gut ein Song oder ein Album dabei letztendlich ist, ist es symbolisch viel Wert. Wobei es in meinen Augen auch dazugehört, dass es weiterhin vor allem R'n'B und Hiphop sind, die in diesem Kampf die klanglichen Leitmotive darstellen. Dass sich die Künstler*innen, die junge POCs (und deren solidarische Mitstreiter*innen) sowieso hören, hinter ihre Sache stellen, ist inspirierend und wichtig. Was jedoch nicht heißt, dass eine Metalband nicht ebenso gut dazu fähig ist, einen Beitrag zu diesem Thema zu leisten. Vor allem eine mit dem Profil von Zeal & Ardor, die ja schon lange in diesem musikalischen und inhaltlichen Kontext unterwegs ist. Auf ihren ersten beiden Alben the Devil is Fine und Stranger Fruit wurden sie zwar vordergründig dadurch bekannt, dass sie die Traditionen von Black Metal mit denen von Soul und Gospel stilistisch vermengten, schon dort lohnte es sich aber auch, auf die Geschichten im Hintergrund zu achten. Die musikalisch sehr düstere Herangehensweise an Gospel- und Worksong-Ideen provozierte sogar fast die naheliegende Beschäftigung mit den Themen Sklaverei, Verfolgung, strukturellem Rassismus und Unterdrückung, besonders in den US-amerikanischen Südstaaten. Wo die zurückliegenden Platten dabei aber eher in die Vergangenheit blickten, ist Wake of A Nation erstmals ein sehr gegenwärtiges Werk, dessen Schauplätze ganz klar die Ereignisse von 2020 sind. Die lyrischen Bezüge zu den Morden an George Floyd und diversen anderen könnten eindeutiger nicht sein, der Song Tuskegee steht in Zusammenhang mit einer gleichnamigen rassistischen Studie der US-Regierung und auch das Kreuz aus Gummiknüppeln auf dem Cover ist ebenfalls leicht interpretierbar. Stimmungsmäßig ist das Ergebnis dabei eine Mischung aus Klagelied und aktivistischer Botschaft, die sich auch musikalisch unterschiedlich ausdrückt. Der Opener Vigil ist eine dick aufgetragene Soulballade, die an Bands wie Algiers erinnert und die EP mit einem starken Moment von Trauer und Enttäuschung eröffnet. Andere Tracks wie Tuskegee oder Trust No One, die eher auf einen metalligeren Sound abzielen, zeichnen eher ein sehr grausames Bild menschlichen Hasses und sind mitunter ziemlich gruselig. Auf At the Seams und dem Titelsong fällt mir außerdem auf, dass Zeal & Ardor verstärkt deutschsprachige Texte einbeziehen, die dem ganzen Teilweise einen Anstrich von Theatermusik verpassen. Wobei letzterer als Closer dann auch endgültig der Moment ist, wo Trauer in Wut umschlägt und ein klarer Anspruch an eine Umverteilung der Machtverhältnisse geäußert wird. Es ist erstaunlich, wie die Band es hier in gerade Mal sechs Songs schafft (faktisch fünf, die 78 Sekunden von I Can't Breathe sind eher Bonus), ein so umfassendes Wechselbad von Emotionen aufzubauen. Und es mag auch an der besseren Zugänglichkeit liegen, die durch die Black Metal-Einflüsse für mich persönlich besteht, aber rein konzeptuell finde ich das hier größer als so manches Rap-Epos zu ebendiesem Thema. In den gerade Mal 17 Minuten von Wake of A Nation liegt so viel Energie, so viel geballte Empfindung und ein künstlerischer Ansatz an das Konzept Black Lives Matter und dessen Andockpunkte, der mich nicht nur der Thematik wegen mitnimmt, sondern auch, weil es musikalisch genial aufbereitet ist. Und spätestens jetzt wird mir auch klar, was die Welt an einer Band wie Zeal & Ardor hat. Denn kein anderer Act hätte aus dieser einzigartigen Perspektive heraus so ein Projekt gemacht.

#BlackLivesMatter

Hat was von
Algiers
There is No Year

Code Orange
Underneath

Persönliche Höhepunkte
Vigil | Tuskegee | At the Seams | Wake Of A Nation

Nicht mein Fall
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Sonntag, 15. November 2020

Elas Atelier

Ela Minus - Acts of Rebellion 


[ technoid | tanzbar | verschnickt ]

Wann immer dieser Tage ein*e Künstler*in neu auf der Bildfläche der einschlägigen Musikmedien auftaucht, kann man sich eigentlich sicher sein, dass diese sogenannte Entdeckung so neu gar nicht mehr ist. In Zeiten von Bandcamp- und Soundcloud-Karrieren, Bedroompopstars und Tiktok-Hits ist der Moment, in dem jemand auf einem Label oder in einem Magazin auftaucht, meistens schon der Anfang vom Ende. Und es ist ja trotzdem schön, dass eine so tolle junge Frau wie Ela Minus jetzt offiziell bei Domino unterschrieben hat, doch sollte man deshalb keinesfalls glauben, hier ein unbeschriebenes Blatt gefunden zu haben. Mit ihren dreißig Jahren hat die New Yorkerin zu diesem Zeitpunkt schon einige Band-Jobs - unter anderem bei Austra - hinter sich und ist darüber hinaus eine erfahrene Hausnummer im Eigenbau modularer Synthesizer. Dass sie jetzt mit Acts of Rebellion ihr erstes Album als Solokünstlerin macht, ist damit bestenfalls ein Haken auf ihrer großen Liste, wenngleich kein vernachlässigbarer. Denn wie schon gesagt wurden die Leute, was sie angeht in den letzten Wochen plötzlich sehr aufmerksam und gerade im klassischen Feuilleton-Bereich ist Minus plötzlich sehr in Mode. Und auch ich muss zugeben, dass ihre Musik mich vor einiger Zeit sehr abholten. Insbesondere die düstere Vorab-Single El Cielo No Es De Nadie, die einen sehr clubbig-berlinigen Vibe hatte, beeindruckte mich immens und machte mich sehr neugierig auf das kommende Debüt. Jetzt, wo Acts of Rebellion erschienen ist, muss ich auch durchaus sagen, dass darin jede Menge Potenzial steckt. Und wo das einerseits heißt, dass Ela Minus auf LP-Format eine tolle Entdeckung mit viel Talent ist, bedeutet das auch, dass sie hier meiner Meinung nach noch nicht ihre finale Form erreicht hat. Dazu empfinde ich es als wichtig, ihre musikalische Herkunft als elektronische Tüftlerin zu verstehen. Wenn ich mir die Songs auf Acts of Rebellion anhöre, höre ich vor allem eine Künstlerin, die ein tiefes Verhältnis zu ihrem Equipment hat. Songs wie Let Them Have the Internet, Close oder Pocket Piano sind im wesentlichen nerdige Synth-Experimente, die wahrscheinlich primär für den Live-Einsatz geschrieben wurden. Das bedeutet nicht, dass sie doof sind, sie haben nur an vielen Stellen nicht den Feinschliff einer Studioaufnahme. Und das ist eine Sache, die man bei diesem Album immer im Hinterkopf haben sollte, denn es bestimmt doch sehr seinen Charakter. Die Songs, die Ela Minus komponiert, sind im LP-Format ganz einfach nicht zu Hause und wären am Ende tatsächlich besser in geekigen Gearporn-Videos auf Youtube oder auf der Bühne aufgehoben. Was genau dabei passiert, ist je nach Track auch sehr verschieden. Es gibt hier Nummern wie Dominique oder El Cielo No Es De Nadie, die ohne weiteres in ein Club-Setting passen würden, wieder andere wie Do Whatever You Want, All the Time sind fast schon atmosphärisch und mit They Told Us It Was Hard, But They Were Wrong schreibt Minus tatsächlich einen veritablen Elektropop-Stampfer. Auch diese Vielfältigkeit ist in meinen Augen ein Indiz dafür, dass wir es hier doch eher mit einer Bastlerin zu tun haben als einer Songwriterin, da hier das Experiment doch nach wie vor eine stärkere Rolle hat als eine kompositorische Vision. Schlecht ist das wie gesagt nicht, doch sehe ich hier auch die Punkte, wo Ela Minus' Musik noch sehr viel weiter wachsen könnte. Könnte man diese experimentelle Attitüde mit einem besseren Songwriting, einem Gespür für Flow und etwas cooleren Texten zusammenbringen, wäre das hier die neue Robyn. So ist es nur eine Künstlerin mit Potenzial. Aber auch das ist ja schon mal allerhand.


Hat was von
Austra
Future Politics

the Knife
Silent Shout

Persönliche Höhepunkte
They Told Us It Was Hard, But They Were Wrong | El Cielo No Es De Nadie | Do Whatever You Want, All the Time

Nicht mein Fall
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