Sonntag, 1. November 2020

29 Minutes of Gloomy Ukrainian Doomerwave to Dance and Contemplate To


Morwan - Zola-zemlya  

[ düster | exotisch | tanzbar ]

Dass der reichlich obskure und stilistisch bunte Kosmos der (post-)sowjetischen New Wave- und Postpunk-Bewegung Ende der Achtziger gerade schwer im Trend liegt, ist schon seit einiger Zeit kein wirkliches Geheimnis mehr. Spätestens seitdem im letzten Jahr die große Doomerwave-Welle auf Youtube und Reddit zu rollen begann und die coolen Kids im Internet Bands wie Молчат дома und Кино für sich entdecktenen, gibt es einen gewissen nostalgischen Schub, der ebenso überraschend wie faszinierend ist. Egal ob sich die neue Leidenschaft für den alten Sound nun in niedrigschwelligen Doomerwave-Youtube-Mixtapes äußert oder in Form akribisch dokumentierter Fan-Listen auf Reddit oder Rateyourmusic, man kann durchaus davon reden, dass sich hier ein gewisses Potenzial auftut. Eines, das nicht zuletzt dazu führt, dass sich einige Bands inzwischen auch im Westen ziemlich gut vermarktet haben. Was in Nebenschauplätzen des Trends außerdem passiert ist, dass einige junge, unbeflissene Bands sich vom Ostblock-Coldwave der Altvorderen inspirieren lassen und damit - ob nun beabsichtigt oder nicht - ein bisschen auf der Welle mitreiten können. Eine der interessantesten dieser Gruppen sind in meinen Augen gerade Morwan aus Kiev, vor allem auch deshalb, weil sie innerhalb dieser Bubble sehr wenig dem gängigen Klischee entsprechen. Zwar ist der Sound auf ihrem zweiten Album Зола-земля deutlich vom sowjetischen Ableger der Achtziger-New-Wave-Ästhetik inspiriert, aber eben auch nur inspiriert. Kompositorisch gesehen findet die Musik der Ukrainier hier genauso starke Bezüge zu diversen Folk-Motiven, die laut Internet slawischer Herkunft sein sollen, mich aber auch immens an nordafrikanischen Touareg-Rock beziehungsweise Zeug aus Mittelasien erinnern. Wenn ich die Infos auf der Bandcamp-Seite des Projekts richtig verstehe, liegen dort auch wesentliche klangliche Andockpunkte für diese LP. Wo genau die traditionellen Verschachtelungen dieser Ästhetik liegen, ist dabei aber auch egal, denn faktisch sorgen diese Impulse für eine ziemlich krasse Groovyness und Tanzbarkeit bei Morwan, die stellenweise ein bisschen an EBM, Goat oder King Gizzard erinnern. Die Instrumentierung ist dabei sehr gitarrenlastig und rhythmisch, bis auf den eher geisterhaften Gesang, der einen spannenden Kontrast bildet. Dass alle fünf Songs hier konsequent nach vorne gehen und darüber hinaus auch gerne Mal fünf Minuten oder länger sind, hilft der Tanzbarkeit der Platte noch mehr und schafft stellenweise fast den Charakter eines Sets. Über seine komplette Länge könnte dieses Album auch gut in einem schummrig beleuchteten Club mit ausschließlich in schwarz gekleideten Menschen laufen. Mit gerade mal 29 Minuten ist das ganze zwar zeitlich etwas knapp bemessen, bleibt dadurch auch ein absolut knackiges, energisches Brett ohne ein Gramm Fett zuviel. Dass Зола-земля bei aller Überschaubarkeit so sportlich brettert, macht für mich einen großen Teil seiner Qualität aus. Es lässt das hier am Ende des Tages zu einer sehr unkompilzierten Punk-Erfahrung werden, die auch nicht zu viel Perfektion und Konzept braucht, um richtig gut zu sein. Morwan sind zwar durchaus noch eine junge und frische Band, viel ungenutztes Potenzial gibt es hier aber nicht mehr. Das, was sie musikalisch attraktiv macht, ist hier schon hinreichend ausformuliert und entsprechend in Szene gesetzt. Зола-земля könnte für die Ukrainer definitiv die Rolle eines Maßstabs-Releases annehmen, das zu toppen die Aufgabe ist. Für mich reicht es auf jeden Fall, dass ich jetzt sehr neugierig geworden bin.


Hat was von
Viet Cong
Viet Cong
 
Goat
Commune

Persönliche Höhepunkte
Все будто сон | Зола-Земля | Волны | Где-то там вдали

Nicht mein Fall
-

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