Freitag, 31. März 2023

Die Wochenschau (25.03.-31.03.2023): Jpegmafia & Danny Brown, Lana del Rey, Black Country, New Road, Depeche Mode, Lil Pump und und und...


 
 
 
 
 
LIL PUMP
Lil Pump 2
Die-Ai-Wei

Lil Pump - Lil Pump 2Die konservative MAGA-Scheiße passt mir bei ihm ja nach wie vor nicht so, aber rein was das musikalische angeht, stehe ich zu Lil Pump und seinen neuen Sachen. Denn zum mittlerweile vierten Mal hintereinander macht der Rapper aus Florida hier ein Album, das in seiner Herangehensweise zwar alles andere als intelligent oder nuanciert ist, mit dem ich kompositorisch und klanglich aber echt einverstanden bin. Bratzig und ungehemmt wie eh und je bleibt Pump hier an dem roughen Sound-Entwurf dran, der schon Harverd Dropout und die 1.5-Kollabo mit Ronny J vom letzten Jahr so gut machten und ergänzt ihn hier und da um ein paar Crossover-Elemente. Das macht Lil Pump 2 zu seiner bisher vielfältigsten LP und stagniert auf einem guten Niveau, das ich von ihm mittlerweile gewohnt bin.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





Emilíana Torrini & The Colorist Orchestra - Racing the StormEMÍLIANA TORRINI & THE COLORIST ORCHESTRA
Racing the Storm
Bella Union

2016 machten Emíliana Torrini und das belgische Colorist Orchestra schon einmal ein gemeinsames Album, auf dem sie alte Songs der Isländerin live neu bearbeiteten und das als solches ganz solide war. Dass sie ihre Zusammenarbeit hier ausgeweitet und nun gemeinsam auch neues Material geschrieben haben, macht die ganze Sache aber erst richtig interessant und resultiert hier in einem der besten Alben beider Acts. Torrini ist dabei auf die übliche Weise durch lebhafte Texte und Performance ein Hingucker, den ich in inzwischen sechs Jahren ohne neue Songs echt ein bisschen vermisst hatte, the Colorist ihrerseits kleiden ihre Songs mit einem wunderbar vielseitigen Instrumentarium aus, von dem der Gesamtklang immens profitiert. Für mich als alter Fan der Isländerin ist das hier also auf jeden Fall eine echt glorreiche Idee und fühlt sich an wie das Comeback, das sie nach so langer Zeit verdient hat.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11






Black Country, New Road - Live at Bush HallBLACK COUNTRY, NEW ROAD
Live at Bush Hall
Ninja Tune


Die erste Platte von Black Country, New Road ohne Isaac Wood und somit die Platte, mit der die Band so langsam eine Emanzipation von der Trennung ihres Frontmanns und Haupttexters beginnt. Und diese Metamorphose geschieht hier auch ganz bewusst. Mit einem Livealbum, das in meinen Augen eine spannende Balance zwischen Vergangenheit und Zukunft findet und vor allem viel Hoffnung auf letztere macht. Gespielt werden alte Songs, allerdings ausschließlich Non-Album-Tracks, die für diese Aufführungen auch eine gewisse Neubearbeitung erfahren haben, im wesentlichen durch die Änderung der Gesangsparts. Schön finde ich dabei, dass die Band die Rolle der Leadvocals hier zwischen allen Mitgliedern rotieren lässt und damit das Vermächtnis von Wood auf verschiedene Schultern verteilt und eben nicht eine bestimmte Person als direkten Nachfolger festlegt. Und es funktioniert auch deswegen so gut, weil alle ihren Job fantastisch machen. Die ausgewählten Stücke sind dann am Ende ebenfalls klasse und vor allem sehr vielfältig, was Live at Bush Hall im Moment vielleicht sogar zu meinem bisher liebsten Album der Londoner macht. Vor allem bringt es aber eine kribbelnde Spannung in die Zukunftsplanung dieser Gruppe, für die ich vorher eigentlich wenige gute Zeichen gesehen hatte. Dass Isaac also ausgestiegen ist heißt für mich, dass ich mich jetzt nochmal etwas mehr für diese Band interessiere und mit ihrer Weiterentwicklung mitfiebere. Und wer weiß, vielleicht komme ich ja mittelfristig auch noch so richtig auf den Geschmack.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11






JPEGMAFIA x Danny Brown - Scaring the HoesJPEGMAFIA
DANNY BROWN
Scaring the Hoes
AWAL


Den Ruf als eine Art Watch the Throne des Underground-Rap hatte Scaring the Hoes schon im Moment seiner ersten Ankündigung und ist vom Prestige her definitiv eines der wichtigeren Hiphop-Releases der laufenden Saison. Dass es bei mir trotzdem ein bisschen mit Bauchschmerzen verbunden war, hat vor allem damit zu tun, wie unstet mein Verhältnis zu beiden beteiligten Rappern in den vergangenen Jahren war. Wo ich bei Danny Brown zuletzt das Problem hatte, von seinem Output mehr und mehr gelangweilt zu sein und nicht wirklich viel daraus mitzunehmen, ist es bei Jpegmafia insofern quasi umgekehrt, dass ich mich in seinen Vibe erst langsam so richtig eingroove. Großes Potenzial sah ich in dieser Kollaboration trotzdem und hatte vor allem die Hoffnung, dass beide Künstler sich hier gegenseitig etwas befruchten. Was meines Erachtens auch genau das ist, was auf Scaring the Hoes passiert. Ahnbarerweise ein ziemlich trashiges und unerstes Projekt, sind diese 36 Minuten doch ein bisschen das beste aus beiden Welten dieser Acts, auf dem sie sich fantastisch die Klinke in die Hand geben. Zwar liegt es auch in ebenjener ungestümen Natur des Projekts begründet, dass es eben kein Meisterwerk ist, sondern nur eine ziemlich gute LP, im Grunde trägt das aber nur zu ihrem sympathischen Eindruck bei. Und macht die Aussicht, dass es in unbestimmter Zukunft noch einen zweiten Teil geben könnte, zu einer ziemlichen Verheißung.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11



Lana Del Rey - Did you know that there's a tunnel under Ocean BlvdLANA DEL REY
Did You Know That There's A Tunnel Under Ocean Blvd
Interscope


Es war für mich ein schwieriges Herankommen an das neue Album von Lana del Rey mit vielen Zweifeln und Fragezeichen und so richtig ist das letzte Wort auch hier noch nicht gesprochen. Doch kann ich im Moment zumindest sagen, dass es ihre starke Phase der letzten Jahre meiner Meinung nach fortführt. Obwohl ich am Anfang einen ziemlich desaströsen Eindruck von der ganzen Sache hatte und eigentlich dachte, Lana wäre hier in alte Muster zurück verfallen. Auf diesem fast anderthalbstündigen Werkstück mit vielen sehr langatmigen, monotonen und weirden Tracks kamen bei mir zunächst böse Erinnerungen an das in meinen Augen noch immer völlig überbewertete und schnrachlangweilige Norman Fucking Rockwell hoch und es brauchte eine eingehende Beschäftigung mit dem Material, um mich doch noch dafür zu erwärmen. Hilfreich waren dabei vor allem Lanas ziemlich beeindruckende Leistung als Sängerin sowie die übergreifende Thematik des Alterns und der Progression von Sexualität, die sie hier spinnt, wobei ich noch immer sagen würde, dass ihr Job als Lyrikerin kein überragender ist. Viel eher fasziniert mich Ocean Blvd dadurch, wie es der Sängerin hier gelingt, zu einer dieser Songwriterinnen zu werden, die keinen großen Zinnober für starke Kompositionen brauchen und die auch aus zehn konsekutiven Klavierballaden Spannung herausholen können. Die vielen Interludes und Features auf der Platte tragen dabei nicht zwingend viel bei, stören aber auch nicht wirklich und dass es ulkige Nummern wie A&W oder Taco Truck x VB gibt, sorgt zumindest für Abwechslung. Und obwohl es sein kann, dass mein momentan stabiler Eindruck von dieser LP mittelfristig ins Wanken gerät, ist das hier doch allemal ein Album, das mich zum nachdenken bringt und mich nachhaltig beschäftigt. Was erfahrungsgemäß dafür spricht, dass Lana hier an etwas dran ist. Auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, an was eigentlich.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





Depeche Mode - Memento moriDEPECHE MODE
Memento Mori
Columbia


Das erste Depeche Mode-Album seit nunmehr sechs Jahren ist in erster Linie als letzte Ehre für den erst kürzlich verstorbenen Andy Fletcher eine wichtige Sache und zeigt die beiden verbliebenen Mitglieder Dave Gahan und Martin Gore in innerer Einkehr und musikalischem Trauerflor, zu der der bittersüße Goth-Sound ihrer neueren Platten ja an sich auch sehr gut passt. Und wo ich ob der menschelnden Atmosphäre und der schweren Thematik eigentlich gerne sagen würde, dass sie damit auch gute Musik machen, fügt sich Memento Mori musikalisch leider in die Serie ziemlich unschöner Werke ein, die die Briten nun schon fast eine Dekade lang machen. Kompositorisch ausgebrannt, klanglich gelähmt und mit einem immer langweiliger klingenden Dave Gahan am Mikro tun Depeche Mode hier ihr bestes, kommen aber nicht über ein in den besten Momenten unspektakuläres und in den schlechtesten awkwardes Albumerlebnis heraus. Ich schätze hier am Ende also die Geste, kann mich für die Umsetzung aber so gar nicht erwärmen. Und mit einem Mitglied weniger verliere ich auch mehr und mehr die Hoffnung, dass das bei ihnen irgendwann nochmal besser wird.

🔴🔴🔴🟠⚫⚫⚫⚫ 04/11




Sonntag, 26. März 2023

Review: Stolz wie ein Göttinger

GUANO APES
Walking On A Thin Line
Supersonic
2003














[ energisch | bratzig | rockig ]

Es geht in den letzten fünf Jahren auf diesem Format ja immer wieder um die seit einiger Zeit stattfindende Reevaluierung des kulturellen Phänomens New Metal und wie eine Generation junger Hörer*innen, die sich in der ewigen Tradition des Zwei-Dekaden-Nostalgieloops nun mit der Szene beschäftigt, langsam die Spreu vom Weizen trennt. Die bestimmt, welche Bands und Platten diejenigen sein werden, auf die die Geschichte wohlwollend zurückblickt und zu ewigen Klassikern macht (bis dato vor allem System of A Down, die Deftones, Linkin Park, vielleicht Limp Bizkit und für mich persönlich auch Soulfly) und welche peinliche Ausrutscher eines adoleszenten Pop-Trends bleiben, die aus gutem Grund vergessen werden (am ehesten Disturbed, Marylin Manson, Drowning Pool und sehr wahrscheinlich Limp Bizkit)? Über viele dieser Bands und ihr langfristiges Erbe habe ich in den vergangenen Jahren geschrieben und mutegemaßt, heute soll es aber um eine Gruppe gehen, die eigentlich schon lange zu den Vergessenen gehört und an die viele gar nicht denken würden. Und das obwohl sie einst zumindest in Deutschland der größte Exportschlager dieser Szene waren: die Guano Apes. Bevor jetzt jemand fragt: Ja, ich liebe es, alte Kamellen wie diese aus der Versenkung zu holen und über deren Coolness zu debattieren. Selbst wenn (oder gerade weil) ich die eigentlichen Heydays dieser Formation nie selbst miterlebt habe. Walking On A Thin Line kenne ich aus der präpubertären CD-Sammlung meines großen Bruders (der Ecke mit den Platten, die ihm wahrscheinlich inzwischen sehr peinlich wären), aus der ich es irgendwann während meiner Teenagerzeit freimütig in meine beförderte. Zu einer Zeit, in der die Guano Apes selbst nur noch die 16 Uhr-Slots bei Rock am Ring bekamen und furchtbare Sachen wie Offline vielleicht noch bei nostalgischen Millenials im Radio liefen. Als eine ernsthaft coole Band habe ich die Göttinger also niemals erlebt, was aber nichts daran änderte, dass ich Walking On A Thin Line immer echt gerne mochte. Wobei ich auch sagen muss, dass er Hauptgrund für meine Besprechung an dieser Stelle ist, dass ich die Platte inzwischen auch wieder fast zehn Jahre nicht gehört habe und einfach mal wissen wollte, wie mies sie inzwischen gealtert ist. Die erstaunliche Feststellung dabei: Das Ding fetzt immer noch. So sehr, dass ich es in meinem anfangs aufgestellten Himmel-Hölle-Spiel der New Metal-Nostalgie ganz klar unter den cooleren Sachen einordnen würde. Denn auch wenn Guano Apes musikalisch nie wirklich eine innovative oder spezielle Band waren, gibt es hier durchaus ein paar Sachen, die mich an dieser Platte haben aufhorchen lassen und die ich so nicht bei vielen Acts ihrer Periphärie feststellen kann. Wobei die erste und wichtigste davon in Sandra Nasic als Frontfrau dieser Band begründet liegt, die hier in vielerlei Hinsicht eine sehr besondere Performance leistet. Zum einen ist sie als Frau im testosteronangereicherten Anabolika-Cocktail des New Metal natürlich eine seltene Erscheinung, die die Guano Apes schon im Vornherein anders machte und immer wieder Thema war. Was mich dabei aber vor allem interessiert ist, dass sie als solche auch ein verdammtes Brett ist und in jedem Moment der Mittelpunkt dieser Band. In so gut wie allen Songs auf diesem Album sind es ihre Hooks und ihr Gesang, die das Geschehen der Tracks lenken und das definitiv zu recht. Ein unfassbar eingängiger Song jagt auf dieser LP den nächsten und egal ob das ganze brachial stattfindet wie in Diokhan und Storm oder melodisch-verwunschen wie in Kiss the Dawn, Nasic rasiert konsequent. Dabei mag sie als Lyrikerin nicht so talentiert sein wie als krachige Rampensau, trotzdem stelle ich - und das ist die zweite wichtige Besonderheit - in ihrer Attitüde etwas fest, das vielen Zeitgenoss*innen in der Szene häufig abging: Spaß. Und das ist für das gelingen dieser LP ein extrem wichtiger Faktor. Denn wo viele andere Bands Anfang der Zwotausender sich in grummeliger Teenage Angst und finsterer Schwarzmalerei ergossen, sind diese Göttinger angenehm rockig und souverän unterwegs. Klar gibt es auf Thin Line auch einige negative Gefühle, die gehen dann aber eher in die Richtung einer gerechten Wut und sind immer mit Galle und gestrecktem Mittelfinger performt. Und vor allem musikalisch drücken die Apes aufs Gaspedal. Zwei Drittel der Songs hier sind komplette Bretter, der Rest kriegt zumindest in der Hook einen ordentlichen Energieboost. Einzig das etwas lauwarme Pretty in Scarlet scheidet in der Hinsicht aus, was es aber auch konsequenterweise zum schwächsten Song der Platte macht. Ansonsten geht es ordentlich zur Sache: Dick, Diokhan und Storm kann man quasi in einen Topf als Druckmacher des Albums werfen, Kiss the Dawn ist der sich anschleichende Slowburner, Quietly die Powerballade mit Single-Potenzial und You Can't Stop Me - soviel zum Thema Optimismus -  das selbstbewusste Eingangsstatement einer Band, die sich musikalisch gefunden hat. Plastic Mouth war früher mein Lieblingssong, jetzt finde ich ihn eher okay. Ein Meisterwerk oder großes künstlerisches Erlebnis ist Walking On A Thin Line bei alledem nicht, dafür ist es zu bodenständig und zu poppig und an manchen Stellen hätte ich mir auch gewünscht, dass die Produktion dem Songwriting ein bisschen mehr nachhilft und gerade Bass und Schlagzeug im Mix mehr hervorhebt. Was die Platte aber gut und wertvoll macht ist, dass sie gut gealtert ist und 2023 zwar definitiv ein Produkt ihrer Zeit bleibt, diese aber gut repräsentiert und selten peinlich oder überkandidelt wird. Und das ist für Sachen aus dieser Zeit und aus dieser Szene schon einiges wert, besonders wenn die Band aus Deutschland kommt. Zumindest für dieses Album würde ich deshalb also sagen, dass die Guano Apes zu den coolen zählen dürften. Sicherlich auch aus dem Grund, weil es hiervon ganz bestimmt nicht so eine komische Sonder-Jubiläumsedition geben wird.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11


Persönliche Höhepunkte
You Can't Stop Me | Dick | Kiss the Dawn | Diokhan | Sing That Song | Scratch the Pitch | Storm

Nicht mein Fall
Pretty in Scarlet


Hat was von
Incubus
Make Yourself

KoRn
KoRn


Samstag, 25. März 2023

Die Wochenschau (17.03.-24.03.2023): 100 Gecs, Yves Tumor, Trettmann, M83, Pöbel MC

 
 
 
 
100 gecs - 10,000 gecs100 GECS
10000 Gecs
Dog Show
 
Das Debüt von 100 Gecs vor vier Jahren war quasi sowas wie das Nevermind der damals aufkeimenden Hyperpop-Bewegung und für die frühen Zwotausendzwanziger sicherlich eines der bisher einflussreichsten Alben. Logisch haben sich Dylan Brady und Laura Les also schwergetan mit einem Nachfolger und pendeln im letztendlichen Ergebnis 10000 Gecs auch ein bisschen untentschlossen zwischen erfolgreicher und erzwungener Reproduktion des Vorgängers herum. Wobei auf jeden Fall klar ist, dass die Orientierung am Debüt in großem Maße stattfinden. Nicht nur in Form des allgemeinen Sounds und der Ästhetik der Songs, sondern auch durch effektive Wiederholungen bestimmter Parameter. So gibt es in Hollywood Baby wieder starke Pop Punk-Einflüsse oder mit Frog On the Floor erneut eine quotensichernde Skapunk/Polka-Nummer. Und wo diese Art und Weise an vielen Stellen potenziell kreativ ausgebrannt wirken konnte, kann man auch nicht bestreiten, dass die Gecs mit diesen Bausteinen immer noch gute Songs schreiben können, die trotzdem jede Menge Spaß machen. Was wir hier haben ist also ein bisschen eine Room on Fire-Situation, in der die Band den legendären Vorgänger vielleicht ein bisschen nachmacht, das aber wenigstens auch hinkriegt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




Trettmann & KitschKrieg - 6 NullenTRETTMANN
KITSCHKRIEG
Insomnia
Soulforce


Sechs Jahre nach dem ja-schon-irgendwie-Überraschungserfolg #DIY von 2017, dem Album, das das Chemnitzer Szene-Urgestein Ronny Trettmann in seinem Karrierefrühherbst zum Megastar machte, folgt 2023 nun das letzte gemeinsame Album des Leipzigers mit seiner besseren Hälfte Kitschkrieg, die in der letzten Dekade Deutschrap sicherlich eine der berühmtesten Rapper-Producer-Symbiosen überhaupt war. Und obwohl ich beide Acts und ihre gemeinsamen Alben bisher eher okay als umwerfend fand und Grauer Beton noch immer sehr überschätzt finde, schaffen sie mit diesem Schwanengesang doch ein echtes Highlight, dass mich besser spät als nie mit ihrem beständigen Signature-Sound versöhnt. Das ist insofern ungewöhnlich, da die Kollaboration der beiden diesmal angeblich sehr viel loser war als auf den zwei Vorgängern, hatte aber vielleicht auch den Effekt, dass einige der eingefahrene Verhaltensmuster aus den letzten Jahren hier aufgebrochen wurden. Vor allem die Beats gefallen mir mit ihrer sehr minimalistischen und teilweise technoiden Art und Weise oft gut und auch die Texte von Trettmann sind durch eine tiefere Melancholie geprägt und stärker als je zuvor. Was aber nicht heißt, dass die beiden nicht trotzdem irgendwie Party machen und/oder den ein oder anderen souligen Deutschrap-Schärgstrich-Pop-Moment heraufbeschwören. So sind auch die Features diesmal wieder ein besonderer Hingucker und mit Lena Mayer-Landrut, Herbert Grönemeyer, Nina Chuba und Henning May jede Menge Starpower vertreten. Der große Unterschied zu den letzten Malen ist aber, dass all diese Gastbeiträge - so marginal sie manchmal auch sein mögen - gut zur jeweiligen Musik passen und die Platte eher abrunden als sie auszureißen. Mit dem letzten gemeinsamen Werkstück gelingt es dem Konglomerat hier also noch, mich von sich zu überzeugen und die Platte zu machen, die ich mir ein bisschen schon immer von ihnen gewünscht habe. Ein guter Abschied.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




M83 - FantasyM83
Fantasy
Mute


Die erste tolle Sache an Fantasy ist für mich ja schon, dass sich hier zum ersten Mal seit Junk von 2016 eine Platte von M83 wieder nach einem richtigen Album anfühlt. Denn so spannend und abwechslungsreich die ganzen Soundtracks, Remix-EPs und Spielereien wie DSVII zuletzt auch gewesen sein mögen, am Ende schätze ich die Franzosen doch noch am meisten als LP-Künstler. Wobei dahingehend direkt die nächste tolle Nachricht folgt, denn mit dieser neuen Platte ist das Duo aus Antibes klanglich zurück in der Dreampop- und Indie-geschwängerten Sphäre von Elektropop, die zuletzt Hurry Up, We're Dreaming von 2011 hatte, das eines meiner absoluten Lieblingsalben aller Zeiten ist. Und obwohl es auch ein bisschen quatsch wäre, es in direkten Vergleich damit zu setzen, macht es die ganze Nummer doch ein weiteres Mal ziemlich vernünftig. Diesmal ein bisschen mehr in den Siebzigern bei Einflüssen wie Tangerine Dream oder Brian Eno unterwegs und wesentlich ruhiger, macht es sich nicht so viel aus flamboyanten Einzeltracks, sondern wirkt eher als ganzes und überzeugt durch einen ansprechenden Flow. Ein Favorit wird es für mich dadurch zwar nicht unbedingt, es ist aber auch definitiv das stärkste Stück Musik von M83 seit gut und gerne sieben Jahren.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




YVES TUMOR
Praise a Lord Who Chews but Which Does Not Consume; (Or Simply, Hot Between Worlds)
Warp
 
Yves Tumor - Praise a Lord Who Chews but Which Does Not Consume; (Or Simply, Hot Between Worlds)Bekannte Probleme beim neuen Album von Yves Tumor: Wie schon 2020 auf Heaven to A Tortured Mind versucht und missglückt, probiert auch diese neue LP wieder, stilistisch sehr viel mitzunehmen und eine Idee von Monogenre zu verkaufen, scheitert dabei aber an der technischen Umsetzung. Was im Klartext heißt, dass sie vielen Einflüsse aus Soul, Jazz, Postpunk, Elektropop und Glamrock zwar auf dem Papier beeindruckend sind, allerdings immer wieder an einem nicht ganz so spannenden Songwriting und vor allem einer eher matschigen Produktion hängen bleiben, bei der einzig die Basslines wirklich fett sind. Wenn stilistische Fluidität in diesem Fall also mal wieder heißt, sich auf nichts so richtig festzulegen und stattdessen permanent in irgendeiner Grauzone festzuhängen, kann ich ein weiteres Mal sehr gut darauf verzichten. Und es schade finden, dass diese Art von Arbeit bei Yves Tumor langsam zum Trend wird.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 06/11




PÖBEL MC
Pöbel Sports Tape II
Audiolith

Schön zu sehen, dass Pöbel MC aka der MVP aus MVP weiterhin weiß, was er tut und es hier sogar noch ein bisschen verfeinert. Wie schon der Vorgänger Stress & Raugln von 2021 ist das neue Tape - der zweite Teil des Pöbel Sports Tape von 2019 - wieder eine sehr kurze, aber profunde Angelegenheit. In tighten 22 Minuten bringt der Rapper aus Rostock hier seine wie immer überaus begründeten und korrekten Standpunkte zu Szene und Gesellschaft aufs Band und findet dabei die richtige Balance aus Ansage und Spaß. Nicht mehr ganz so auf Party gepolt wie der Vorgänger (einzig Niemals sitt macht nochmal das buchstäbliche Fass auf) und in Songs wie Zyankalikink auch mit düsteren Kommentaren zu Themen wie Krieg und Militär ist PS2 damit vielleicht ein bisschen ernster, allerdings auch kein total verkopftes Thinkpiece und bietet abgesehen davon auch ordentlich Bangerpotenzial. Wobei der Hit, den ich wahrscheinlich noch den Rest des Jahres als Referentpunkt anbringen werde, hier auf den Namen Bock auf Crime hört und der eine Track ist, den man definitiv von dieser Platte hören sollte.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11