Sonntag, 5. März 2023

Review: Die Wunder im Dunkeln

Pink Floyd - The Dark Side of the Moon
PINK FLOYD
the Dark Side of the Moon
Harvest
1973











 
 
[ überlebensgroß | bedeutungsschwanger | legendär ]

Es ist 50 Jahre nach dem Release eine überaus müßige Aufgabe, eine veritable Kritik über the Dark Side of the Moon zu verfassen und in vielen Belangen etwas, das ich mir an dieser Stelle auch sparen könnte. Denn zu einem Album wie diesen, das quasi objektiv einer der größten Klassiker in der Geschichte der Popmusik ist, ist natürlich schon alles gesagt. Und ich für meinen Teil habe darauf weder eine neue Perspektive zu bieten noch eine persönliche Story oder wenigstens einen gepfefferten Hot Take, den ich loswerden möchte. Ich mag Dark Side of the Moon ziemlich gerne, finde aber auch, dass es bessere Platten von Pink Floyd gibt. Ich finde kein digitales Remaster der Platte so gut wie das ausgeleierte Vinyl, das Papa damals von der Westverwandtschaft zugesteckt bekommen hat und meine Lieblingssongs sind the Great Gig in the Sky, Money und Time. Meine Ansichten zu diesem Album sind alles in allem also ziemlich gewöhnlich. Das hier ist in meinen Augen ein Stück Musik, dessen Ruf in der Musiknerd-Szene ich in vielen Punkten gerechtfertigt finde und das seinen Status als einer der ultimativen Eckpfeiler der Rockmusik mit starken Attributen vertritt. Durch seinen nachhaltigen kommerziellen Erfolg, durch seine Bedeutung für die Diskografie von Pink Floyd, durch seine innovative Strahlkraft im Prog der frühen Siebziger und durch alles, was hier musikalisch ganz einfach gut gemacht wird. Wobei die Aussage, dass Dark Side of the Moon vor allem die Instanz des Albums an sich mit großer Kunst erfüllt, ebenfalls so alt ist wie das Ding selbst. Ein paar der üblichen Narrative aufzudröseln, wird mir also in diesem Text nicht erspart bleiben. Und wenn ich mir die Frage stelle, was diese Platte nach fünfzig Jahren für mich noch zu einer besonderen Entdeckung gemacht hat, dann fallen mir vor allem drei Sachen ein: Ihr Sound, ihre innere Struktur und ihre Bedeutung für das Medium Pink Floyd und damit Progrock und im weiteren Rockmusik an sich. Weshalb meine "Kritik" an Dark Side of the Moon im weiteren daraus bestehen soll, zu diesen drei Attributen nochmal ausführlicher klar zu machen. In der Hoffnung, am Ende meine Ansicht dazu zumindest ein bisschen individuell gestalten.
 
 

1. DER SOUND
Dark Side of the Moon ist in meinen Augen nicht das Pink Floyd-Album mit dem besten Sound oder der besten Produktion, das sollte ich direkt zu Anfang klarstellen. Gerade sein direkter Nachfolger Wish You Were Here war in vielen Belangen nochmal wesentlich besser darin, den weiträumigen, atmosphörischen Vibe aufzubauen, der die Musik der Briten bis heute so einzigartig macht und auch von den Alben davor gibt es zumindest Einzeltracks, die das bereits sehr erfolgreich taten. Trotzdem kann man sagen, dass Dark Side of the Moon der Moment war, in dem Pink Floyd ihre klangliche Identität nochmal entscheidend festigten und zu der Band werden, als die man sie heute kennt. Komplett losgelöst vom den psychedelischen Kapriolen ihrer Frühphase und gestärkt durch ausführliches Durchexerzieren der neuen Songs auf Tour sind diese zehn Tracks ein auf den Punkt austariertes ästhetisches Konglomerat, das künstlerische Entscheidungen ganz bewusst tätigt. Wobei ein Teil des Ruhms definitiv auch Soundingeneur Alan Parsons zugerechnet werden muss, der hier eine Glanzleistung im Schichten und abmischen dieser ganzen wild verquickten Elemente abliefert. Wie in Breathe am Anfang das erste Gitarrenmotiv eingefahren wird, wie am Ende von On the Run ganz subtil die laufenden Schritte zu hören sind, wie Time das erste Schlagzeugfill gemixt ist, wie orgasmisch sich der Drop in the Great Gig in the Sky entlädt oder wie ganz am Ende nochmal der Herzschlag zu hören ist, der die Platte eröffnet, ist technisch brilliant gelöst und auch nach zigmaligem Hören kann Dark Side of the Moon dadurch noch immer überraschend sein. Die großartige Postproduktion dieses Albums ist sicherlich einer der Gründe, weshalb es für viele damals eine ziemliche Offenbarung war und Pink Floyd noch immer als eine der größten Heldengestalten der audiophilen Vinyl-Community gelten. Und selbst ich als notorischer Schallplatten-Skeptiker muss zugeben, dass diese Platte auf zwölf Zoll nach wie vor am besten klingt. Auch wenn eben genannte Grandiosität sich auch problemlos auf alle anderen Formate überträgt.


2. DIE INNERE STRUKTUR
Wenn es nach mir geht, dann sind Pink Floyd eines der frühesten und nach wie vor besten Beispiele für eine Band, die ihre Alben als künstlerische Einheiten denkt und die Songs innerhalb dieser lediglich als Elemente dieses größeren, übergreifenden Konzepts versteht. Womit ich gar nicht so sehr meine, dass sie viele Konzeptplatten gemacht haben (von denen vorliegende die erste und vielleicht wichtigste ist), sondern dass eine LP bei ihnen immer klang wie aus einem Guss. Ein Anspruch, der in diesen zehn Songs technisch wie kompositorisch absolut brilliant gelöst ist. Häufig gehen songwriterische Motive ganz verschiedener Songs hier direkt ineinander über oder funktionieren Field Recordings oder Trackvignetten wie On the Run als Kleber zwischen den Hauptstücken, die häufig auch die eigentlichen Highlights ausmachen. So erinnerte ich mich nach meinen ersten Hördurchläufen vor allem an Sachen wie die Kakophonie aus Uhren am Anfang von Time, wie in Money das eingamplete Kassengeräusch in den Siebenviertelrhythmus des eigentlichen Songs übergeht oder daran, wie das Thema von Breathe in das mechanische Pluckern von On the Run verschwimmt. Anhand solcher Denkarten von Popmusik sollte der Einfluss nicht verwunderlich sein, den Pink Floyd Ende der Achtziger auf die aufkeimende Postrock-Bewegung, die Kompositorik von Electronica oder vielleicht sogar für klangcollagige Acts wie DJ Shadow oder die Avalanches hatte. Ganz zu schweigen von der immer wieder aufgegriffenen Andeutung, die Platte würde mit diesem oder jenem Film in perfekter Synchronität laufen. Vor allem ist Dark Side of the Moon für mich aber ein Album für Liebhaber*innen des Formats Album, das der innewohnenden Idee eines Longplayers seine ganze Sorgfalt zukommen lässt. Und weil ich definitiv ein solcher bin, ist das hier für mich ein sehr wertvolles Stück Musik.


3. DIE BEDEUTUNG
Ein bisschen hat sich dieser Argumentationspunkt ja schon mit den vorhergehenden überschnitten, was ja auch logisch ist, weil es ja eben genau die Elemente des Sounds und des Songwritings sind, die Dark Side of the Moon seine weiterführende Bedeutung geben. Doch möchte ich auch definitiv nochmal die Rolle hervorheben, die Pink Floyd durch diese Platte in der Musikgeschichte einnehmen und warum diese bis heute so besonders ist. Wobei man mittlerweile fast schon objektiv feststellen kann, dass diese LP das Prädikat eines klassischen Albums erfüllen wie wenige andere. Neben dieser hier fallen mir vielleicht noch drei oder vier weitere Longplayer ein, die man auf dem gleichen Level als ultimative Standardwerke des Pop ansehen würde, ganz unabhängig davon, ob ich das nun gerechtfertigt finde oder nicht. Der Hauptgrund dafür dürfte dabei nach wie vor der sein, dass Dark Side of the Moon kommerziell unfassbar erfolgreich war und ist. Obwohl seine Position auf Platz Drei der meistverkauften Alben aller Zeiten aktuell nicht mehr von allen Quellen unterstützt wird und es sehr darauf ankommt, welche Zählweise und welches Marktsegment man darauf anwendet, taucht es doch immer noch regelmäßig zumindest in den Top Ten solcher Listen auf. Und dass es sich in Großbritannien bis dato fast 1000 Wochen in den offiziellen Albumcharts aufhielt, ist ebenfalls der Stoff von Legenden. Auch seine künstlerische Bedeutung zeigt sich immer wieder durch Platzierungen der Platte auf diversen Bestenlisten und wenn man danach fragt, ob es nach wie vor andere Künstler*innen beeinflusst, braucht man nicht weiter als ein paar Wochen auf das neue Album von Lil Yachty zurückzuschauen. Selbst wenn Dark Side of the Moon also keine Platte ist, deren Einfluss so direkt nachzuvollziehen ist wie der eines Nevermind oder Sgt. Pepper, ist er doch nach wie vor ziemlich gut messbar. Und auch wenn ich nicht unbedingt sagen würde, dass es deswegen noch heute ein wichtiges oder relevantes Werkstück ist, ist es doch auch eines, dessen besondere Aura in einem halben Jahrhundert nicht nachgelassen hat und das nach wie vor so bombastisch und weltumspannend klingt wie am ersten Tag. Weshalb es zweifelsohne auch der Grund sein wird, die nächsten fünfzig Jahre über diese Band zu reden. Daran besteht ebenfalls kein Zweifel.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11


Persönliche Höhepunkte
On the Run | Time | the Great Gig in the Sky | Money | Any Colour You Like

Nicht mein Fall
-


Hat was von
King Crimson
In the Court of the Crimson King

Okta Logue
Ballads of A Burden


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