Freitag, 27. Februar 2015

Gönn dir!

BILDERBUCH
Schick Schock
Maschin Records
2015















Ich kann immer noch kaum glauben, dass das hier echt die Platte ist, auf die ich mich seit Ende Dezember am meisten freue. Ausgerechnet dieser seltsame Disco-Dekadenz-Artrock-Dualismus, der sich aus dem boomenden Wiener Underground-Szene ins Vorprogramm von Casper und in die österreichischen Charts gebeamt hat. Das dritte Album von Bilderbuch ist eine völlig neue Dimension an Größenwahn im Vergleich zu den schüchternen Vorgängern und will gleichzeitig die Indie- und die Pop-Welt im Sturm erobern. Mit den zahlreichen Singles, die Schick Schock im Vorfeld ankündigten und bei mir in den letzten Monaten auf Dauerschleife liefen, ist der erste Schritt dazu schon gelungen. Jetzt kommt mit dem fertigen Longplayer der ultimative Durchbruch. Oder? Zur Feier des Tages will ich mich hier in etwas intensiverer Form mit diesem Album beschäftigen und habe deshalb jeden Track einzeln unter die Lupe genommen. Was wird aus den großen Ambitionen der Wiener? Lest selbst:

1. Willkommen im Dschungel
Das Drum-Intro und die synthetische Fanfare am Anfang machen schon mal klar, dass Bilderbuch keine Band sind, die Risiken scheut. Der erste Eindruck klingt nach breitem Billig-Pop und ganz dicken Eiern. Erst wenn Maurice Ernst ganz gelassen fragt: "Wo sind die Drinks?" und der Bass im Hintergrund mächtig pumpt, wird das ganze zur wirklich coolen Nummer. Die Funk-Gitarre und der catchy Refrain geben dem Song dann noch den Rest. Das Gefühl ist da, die Leute wollen feiern, also wo sind die verdammten Drinks?

2. Feinste Seide
Vorab-Single, die erste. Auch wenn Bilderbuch schwerfällig klingen wollen, tun sie das immer noch leichtfüßiger als die meisten anderen. Der orientalisch anmutende Gitarrenriff kontert den klotzigen Bass-Beat und wieder ist es Ernst, der das Tempo anzieht. Mit lasziven Schickeria-Lyrics ist es nicht das letzte Mal, dass er uns an Falco erinnert. Trotzdem ist Feinste Seide vielleicht der solideste Rocksong des ganzen Albums mit nur wenig Unterstützung vom Synthesizer, dafür aber mit einem dicken Batzen Doomrock und einem fetten Solo am Ende. Oh, und natürlich der "Deine Mudda"-Zeile, die Bilderbuch jetzt auch noch im Proll-Rap verwurzelt.

3. OM
Vorab-Single, die zweite. Im Gegensatz zum grantigen Feinste Seide ist OM die melodisch-entspannte Esoterik-Hymne, die zeigt, wie ein Cro mit künstlerischem Anspruch klingen würde. Dabei ist der Song vor allem eines: Ein echter Hit. Denn auch wenn Maurice Ernst hier einmal mehr den verzogenen, neureichen Schnösel mimt, ist der Refrain einfach nur unschlagbar. Das einzige, was dabei ziemlich stört, sind die forcierten Backing-Vocals zum Ende hin. Dafür belohnen uns Bilderbuch mit dem ersten verfrühten Sommerhit des Jahres. Oder dem verspäteten vom letzten Jahr.

4. Spliff
Vorab-Single, die dritte und der Song, der wahrscheinlich der größte Hit wird. Spliff lief seit seiner Veröffentlichung auch schon mehrmals im deutschen Radio. Ist aber auch kein Wunder, bei der Killer-Hook, die uns Bilderbuch hier schreiben. Dazu die verteufelt gechillte Perkussion und drei Töne auf dem Bass, fertig ist die Kiffer-Hymne von morgen. Einer der Gründe, warum das hier wirklich Qualitäts-Pop ist.

5. Schick Schock
Das gesprechsungene Intro täuscht leicht darüber hinweg, dass es sich hier um ein echtes Brett handelt. Der fast an Heavy Metal angelehnte Gitarrenriff gniedelt nach kurzer Zeit in schwindelerregende Höhen, bevor der Club-Beat die erste Strophe übernimmt und im Refrain alles zusammen kommt. Das Keyboard fetzt, die Bridge fetzt, Maurice "Antoinette" Ernst ist nicht mehr zu halten. Vielleicht der am dicksten aufgetragene Song, den sich die Band hier gönnt. Und nicht umsonst.

6. Softdrink
Nach fünf sehr tanzbaren Nummern kommt mit Softdrink die erste Ballade zum hinsetzen und Luft holen. Aber ohne es zu wollen wird der Track zum bis hierhin besten Song der Platte. Die Streicher harmonieren hier perfekt mit den Synthesizern und am Ende des Refrains gibt es sogar noch ein hocherotisches Gitarrensolo, für das Prince getötet hätte. Auch Ernst schaltet hier einen Gang zurück und schriebt ausnahmsweise mal tatsächlich romantische Zeilen. Am Ende einer meiner Favoriten auf diesem Album.

7. Maschin
Vorab-Single, die vierte. Gleichzeitig der beste und schlimmste Song auf Schick Schock und ein richtig böser Ohrwurm. Denn obwohl ein lasziver Lovesong für ein Auto zunächst ziemlich prollig und materialistisch klingt, wäre es nicht das erste Mal, dass Bilderbuch daraus einen Hit machen. Zum großartigen Refrain gibt es noch eines von diesen abgefahrenen gepitchten Gitarrensoli und Maurice Ernst auf den Spuren des Soul. Diesen Track als Alles auf einmal zu beschrieben, wäre noch untertrieben.

8. Barry Manilow
Wie der Titel schon vermuten lässt, ist dieser Song der feuchte Traum jedes Fans von Achtziger-Pop und New-Wave-Kitsch. Zumindest, wenn man mal von Ernsts Unterwasserstimme absieht. Aber prominent eingesetzte, mit Effekten überladenen Gitarren machen hier den Hauptteil des Songs aus und symbiotisieren wunderbar mit den Steeldrums und den Keyboards. Am Ende fragt man sich trotzdem, warum Bilderbuch sich nicht öfter so am Retro vergriffen haben.

9. Rosen zum Plafond (Besser, wenn du gehst)
Blöckflöte?! Ernsthaft!? Das kann doch nicht echt sein. Aber tatsächlich: Die erste Strophe dieses Songs hat außer einem leichten Drum-Beat keine andere Begleitung als eine Original-Grundschul-Holzblockflöte. Dass Bilderbuch daraus eine gute erste Strophe machen, bringt ihnen von meiner Seite jede Menge Respekt ein. Ich war bisher der felsenfesten Meinung, dass dieses Instrument gar nicht gut klingen kann. Aber man lernt eben doch nie aus. Und wegen dem durch diesen Effekt verursachten Skandal fällt einem gar nicht auf, dass Rosen zum Plafond auch sonst ein echt guter Song ist.

10. Plansch
Vorab-Single, die fünfte und mein Lieblingssong aus der Zeit vor Schick Schock. Beeindruckend ist vor allem die Dynamik, die die Gitarre hier im Refrain einbringt und die Plansch endgültig zum Rocksong macht. Aber auch textlich macht Maurice Ernst hier mit die beste Performance des ganzen Albums. Nach diesem Track hat man das Gefühl, dass ein Song über den eigenen Swimming Pool das einzige ist, was einem bisher im Leben gefehlt hat. Außer natürlich der Pool selber. Eine besondere Freude ist da natürlich, dass die LP-Version ein kleines Stück länger ist als die Single.

11. Gigolo
Bilderbuch haben ganz schön Eier, sich so kurz vor Schluss noch so einen fetten Song zu leisten. Der Beat übertrifft schon zu Anfang den ganzen Rest des Albums an Schlagkraft und Maurice Ernst wird hier endgültig auch zum MC. Wäre nicht jeder Track auf Schick Schock ein Hit, hätte das hier eine wirklich tolle Single gegeben. Wieder geht es hier um exklusiven Lifestyle, dicke Autos und große Schwänze, aber hier will es die Band nochmal so richtig wissen. Für jedes Element des Songwritings ist das hier noch einmal ein Paradestück, das in Summe vielleicht auch etwas zu viel des guten ist.

12. Gibraltar
Ganz zum Schluss gönnen sich Bilderbuch hier noch einmal eine Ballade. Zwar werden auch hier groß angelegte HipHop-Einflüsse deutlich, aber wenn man den ganzen Affenzirkus von Schick Schock durch hat, kann einen hier nichts mehr überraschen. Die triefenden Gitarrensoli und Maurice Ernsts Boyband-Vocals sind da fast schon konservative Stilmittel. Aber um diesem einzigartigen Album einen angemessenen Schluss zu verpassen, reicht es allemal. Und zum Schluss gibt es den Applaus immerhin als Sample.


Das Fazit meiner vielen Hördurchgänge letztendlich auf einer Punkteskala festzuhalten, ist in schwieriges Unterfangen. Fest steht, dass Bilderbuch im Jahre 2015 wirklich herausfordernde Popmusik machen, die in Sachen Originalität und Kombination von Stilen auf internationalem Niveau rangiert. Dass die Band hier große Risiken eingeht, bedeutet aber auch, dass einige der Experimente nach hinten losgehen. Das wirklich erstaunliche ist dabei, dass von solchen Stolperern keine ganzen Songs betroffen sind, sondern nur Details. Das macht jeden Track auf Schick Schock gleichzeitig zu einem Hit und zu einer Grenzerfahrung. Aber sorgt auch dafür, dass ein verfehltes Puzzleteil viel kaputt machen kann. Am Ende wird wahrscheinlich die Zeit darüber entscheiden, wie gut ich die Platte wirklich finde. Fürs erste jedoch bestätigt sich der Eindruck, den die Singles auf mich gemacht haben und macht diese LP für mich zu einem Highlight des noch jungen Jahres.
9/11

Weiterlesen:
Review zu Zum Glück in die Zukunft II (Marteria):
zum Review

Review zu Luck (Tom Vek):
zum Review

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Donnerstag, 26. Februar 2015

Für immer breit

COLOUR HAZE
To the Highest Gods We Know
Elektrohasch
2015















Glaubt man kaum, dass es die auch schon seit zwanzig Jahren gibt. Andererseits gab es zumindest für mich auch kaum eine Zeit, in der Colour Haze mal nicht da waren. Unter den bei mir so verpönten Retro-Proto-Metal-Desert-Rock-Acts hat kaum eine Band mit kontinuierlich so zugesagt wie diese drei Münchner. Und dass es alle zwei, drei Jahre ein gutes bis sehr gutes Album gab, ist auch nicht zu verachten. To the Highest Gods We Know ist nun das ganz neue und ein kleines bisschen ein Geschenk der Künstler an sich selbst für zwei Jahrzehnte fesselnden Riffrock. Und wie sollte man so einen Anlass besser feiern als mit noch mehr fesselndem Riffrock? Mit der neuen Platte ist Colour Haze nämlich schon wieder ein echtes Sahneschnittchen gelungen, das überall saftig groovt und vernebelte Hippie-Weihrauch-Romatik atmet. Die sechs Songs in Einundvierzig Minuten machen einem wieder mal klar, warum ausgerechnet das hier die Bluesrock-Band meines Vertrauens ist und auch bleiben soll. Wer sich im Opener so entspannt ganz tief in den Psychedelic-Sumpf kniet und dort auch für ein funkiges Paradise oder ein zu Anfang fast ambientes Überall nicht mehr rauskommen muss, dem hört man einfach gerne zu. Vor allem auch, weil Colour Haze es wie niemand anderes hinbekommen, einen fantastischen Klang zu erzeugen. Es lohnt sich, hier wirklich mal auf Dinge wie die Abmischung oder die Produktion zu hören. Die Gitarre hält sich das ganze Album über hinter dicken Rauchschwaden zurück, aber dominiert trotzdem mit jedem Ton den Song. Nicht zu übersehen sind dabei die flockigen Harmonien, mit denen die Tracks hier auf Abenteuerreise gehen. Und während sich der Sechssaiter in immer tiefere Traumfasern webt, pluckern im Vordergrund der Bass und ein herrlich pappiges Schlagzeug, das man bei Jaki Liebezeit immer so mochte. So klingt psychedelischer Rock am besten. Und Colour Haze müssen dafür noch nicht mal das Instrumentarium erweitern oder in die kunterbunte LSD-Box von Bands wie Radio Moscow oder Spidergawd greifen. Hier klingt auch das bodenständigste Blues-Handwerkszeug irgendwie schwerelos und dauerbreit. Daran sieht man auch, wie wichtig Dynamik in einer solchen Fomation ist. Wer solche Jams basteln will, der muss gut zusammen spielen. Und dieses Trio klingt hier wie aus einem Guss. Mal wieder. Wenn dies hier nicht mein erstes Review zu einer Colour-Haze-Platte wäre, würde ich mich nur wiederholen: Es ist schön, ein mit so viel Herzblut gemachtes Rockalbum zu hören, das von vorne bis hinten einwandfrei funktioniert. Die zwanzig Jahre sind also hoffentlich noch nicht alles, was uns diese tolle Band geboten hat. Denn wenige andere zeigen mir, wie großartig Classic Rock klingen kann, wenn er denn gut gemacht ist. Und jetzt bitte alle aufstehen und applaudieren.
9/11

Beste Songs: Circles / Paradise / Überall

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu II (Spidergawd):
zum Review

Review zu Commune (Goat):
zum Review

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Mittwoch, 25. Februar 2015

Single-Review: apokalyptischer Walzer

GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR
Peasantry or 'Light! Inside of Light!
Constellation
2015













Zunächst muss ich euch hier darüber aufklären, dass die Bezeichnung "Single-Review" im heutigen Zusammenhang etwas irreführend ist. Nicht nur ist der neue Godspeed-Track Peasantry nicht als Single veröffentlicht wurden, es handelt sich hierbei noch nicht mal um einen vollwertigen Song. Die kanadischen Postrock-Epigonen haben über Soundcloud lediglich einen achtminütigen Schnipsel dieses vermutlich mindestens doppelt so langen Stückes geteilt, um die geneigten Hörer schon mal in die neue Platte Asunder, Sweet and Other Distress reinlauschen zu lassen. Das ist wohlgemerkt nicht viel. wenn man die Ausführlichkeit bedenkt, mit der die Band ihre Alben angeht und sich ausmalt, was noch alles passieren kann. Den erwünschten Zweck, nämlich einen kleinen Einblick zu geben, erfüllt der Track-Schnipsel aber ganz gut. Denn wie es aussieht, hat sich bei Godspeed You! Black Emperor so einiges getan. Die letzte LP Allelujah! Don't Bend, Ascend! der Kanadier bestand ja hauptsächlich aus älterem Material, welches noch vor der Reunion im Jahr 2010 geschrieben wurde. Mit Peasantry dürften wir also das erste Mal wirklich frische Ware hören, die sich auch klanglich von der bisherigen Ästhetik unterscheidet. Es beginnt schon mit dem akzentuierten Drum-Fill, das den Song einleitet und erstmal Assoziationen zu Punk oder Reggae aufkommen lässt. Ich nehme mal an, dass es sich hierbei auch um den Anfang des fertigen Tracks handelt, was auf jeden Fall für eine Neujustierung des Godspeed-Sounds spricht. Das wird auch dadurch nicht gemildert, dass die Band danach gleich mit vollem Instrumentarium einsteigt und uns ein dramatisches Opening bietet, dass dem Ende von Mladic nicht unähnlich ist. Nur dass das Finale hier gleich am Anfang des Songs steht und damit die Gewohnheiten der Band komplett umpolt. Was jetzt nach einem mittleren Kulturschock klingt, ist meiner Meinung nach die beste Idee, die Godspeed seit langem hatten. Das Schlagzeug geht in diesem Track mal ausnahmsweise nicht unter und spielt uns dafür den vielleicht apokalyptischsten Walzertakt aller Zeiten. Ebenfalls vorbildlich hat es die Band hinbekommen, den Song Stück für Stück abkühlen zu lassen. Über einen Part, der mit hoch gesetzten Streichern ein wenig an das Game of Thrones-Intro erinnert, kommt der Song schließlich im letzten, eher orchestralen Teil an. Hier beeindrucken die perfekt harmonierten Violinen, die zusammen mit ein paar Bläsersätzen die ultimative Romantik heraufbeschwören, während im Hintergrund noch immer der Drone scheppert. Und während einem die Melodie noch immer das Trommelfell streichelt, trudelt sich der Song die letzten zwei Minuten ganz gemächlich aus und endet relativ unspektakulär. Wer jetzt gut aufgepasst hat, der kann erkennen, was Godspeed hier cleveres gemacht haben. Mit einem Finale furioso am Anfang und einem melodischen Ausgangspart am Ende haben die Kanadier im Prinzip das klassische Postrock-Schema umgedreht. Die gesamte Dramatik des Genres steht damit Kopf und führt es einmal mehr an der Nase herum. Als Revolutionäre des Stils hat sich die Band damit wieder unter Beweis gestellt und das mit nicht mehr als einem Song-Schnipsel. Gleichzeitig ist Peasantry einer der besten Tracks, die ich in diesem Jahr bisher gehört habe. Ob ich mich auf das Album freue? Wie verrückt. Nur noch 34 Mal schlafen.

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Dienstag, 24. Februar 2015

Schatten der Vergangenheit

THE POP GROUP
Citizen Zombie
Freaks R Us
2015















Lieber Axl Rose, lieber Kevin Shields, lieber Geoff Barrow: Ich glaube wir haben einen neuen Rekordhalter in Sachen Zeitspanne zwischen zwei Alben: Citizen Zombie, der dritte Longplayer der Briten the Pop Group erscheint ganze 35 Jahre nach ihrem letzten, We Are Time von 1980. Und da das schon eine ganze Weile her ist, finde ich ein bisschen Hintergrundwissen zur Band angebracht. Die aus Bristol stammende Formation gilt als eine der Initiatoren des Post- beziehungsweise Avantgarde-Punk und ist meiner Meinung nach auch einer der radikalsten Vertreter. Ihr Opus Magnum Y von 1979 ist eines der schauderhaftesten und gleichzeitig genialsten Werke aus der ersten Stunde des Genres. The Pop Group waren damals nicht mehr als ein Haufen Dada-Spinner, die verrückte Rockmusik machten, damit aber einen gigantischen Einfluss auf Leute wie Nick Cave oder Pere Ubu hatten. Bis heute sind ihre wenigen dokumentierten Aufnahmen tragende Säulen des Experimental-Rock. Und an diese will Citizen Zombie im Jahre 2015 anschließen. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man die Veränderung der musikalischen Gegebenheiten und die Bedeutung der Vorgänger bedenkt, die nach 35 Jahren exponentiell größer geworden ist. Dass wir hier also nicht das neue Y vorliegen haben, ist irgendwo nur logisch. Die neuen the Pop Group klingen ein ganzes Stück finsterer, fühlen sich noch mehr zum Avantgarde hingezogen und bedienen sich an wesentlich größerem Instrumentarium. Daneben sind die grundlegenden Elemente der Band aber erhalten geblieben. Ein bisschen komisch ist dabei nur die ziemlich cleane Produktion, die so überhaupt nicht zu den wüsten Kompositionen (wenn man sie so nennen will) passen will. Mark Stewarts Stimme in gutem HiFi-Sound zu hören, ist nicht nur ungewohnt, sondern klingt wirklich falsch. Früher musste er ja nicht singen können, aber so wie er es jetzt versucht, ist es ziemlich peinlich. Das gilt mit gewissen Abstrichen auch für die Rhythmusgruppe, die hier ebenfalls die Bonitäten eines besseren Klangs dafür nutzen will, um rumpeliges Dada-Gedresche besser aufnehmen zu können. Man muss sich eine Horde Schimpansen in einem hochmodernen Studio vorstellen, dann erhält man eine Idee von der Sound-Ästhetik auf Citizen Zombie. Wo man hier aber noch den Schatten der Vergangenheit für den Missmut an der Produktion verantwortlich machen kann, ist das Songwriting ein ganz anderes Problem. The Pop Group klingen hier melodischer als je zuvor und machen teilweise richtige Popsongs aus ihren Postpunk-Konstrukten. Das wirkt irgendwie unschlüssig und so, als wollten sie eine gefälligere Form ihrer selbst sein. Natürlich kann man jetzt sagen, dass das zu großen Teilen dem doch etwas fortgeschrittenen Alter der Akteure wegen so ist. Doch man sollte nicht aus Rücksicht davor niedrigere Ansprüche an eine Band stellen. Es gibt schließlich genügend positive Gegenbeispiele. Wenn man mich fragt, dann kommt das Comeback der Briten ein paar Jahrzehnte zu spät und wird dem großen Erbe von the Pop Group nicht gerecht. Und das ist vollkommen okay, denn daran würde so ziemlich jeder scheitern. Selbst diejenigen, die es erfunden haben.
4/11

Bester Song: the Immaculate Deception

Nicht mein Fall: Citizen Zombie / Echelon

Weiterlesen:
Review zu To Be Kind (Swans):
zum Review

Review zu Barrágan (Blonde Redhead):
zum Review

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Das ist nur so eine Phase...

DAN DEACON
Gliss Riffer
Domino
2015















Dan Deacon ist einer der Künstler der heutigen Zeit, über die man am schönsten Streiten kann. Die Tatsache, dass bei ihm jedes Album anders klingt und seine Herangehensweise an elektronische Musik sowohl äußerst diskutabel als auch revolutionär ist, macht jede neue Platte von ihm zur Zerreißprobe. Und gerade das ist für den gemeinen Blogger auch das aufregende daran. Auch ich bin bisher nicht umher gekommen, beide Seiten des New Yorker Produzenten mitzukriegen und werde von ihm auch gerne mal überrascht. Die Tatsache, dass ich seinen letzten Longplayer, America von 2012, großartig fand, sollte eigentlich nichts über meine Haltung zu Gliss Riffer aussagen. Angesichts der Erfahrungen mit Deacon wäre das absolut unprofessionell. Trotzdem habe ich mich wie ein kleines Mädchen gefreut, als die Platte angekündigt wurde und war mir sicher, dass sie total super werden würde. Und genau hier greift die gerade erklärte Regel, warum man so etwas nicht machen sollte. Denn was der psychoelektronische Tausendsassa uns hier vorsetzt, ist eine ziemliche Katastrophe. Ich versuche es mal mit dem Artwork zu erklären: Auf eine nerdige, zugeglitchte Weise war America das epische, großflächige Abenteuer-Album mit einem Cover, das Canyons und Seen im Sonnenuntergang zeigte. Und nun das hier. Man kann es ruhig so sagen, Gliss Riffer ist Deacons kindischstes Werk bisher. Das merkt man komischerweise aber nicht daran, dass er hier fuchsteufelswild Knöpfchen dreht und knuffige Beats daddelt, sondern daran, dass er versucht, richtige Songs zu schreiben. Und schon im Opener Feel the Lightning scheitert er daran kläglich. Der Song ist ein wackeliger Talking-Heads-Verschnitt mit biederer Keyboard-Begleitung, der durch die wechselnden Gesangsparts nicht besser wird. Überhaupt ist die Einbeziehung von Vocals die Schnapsidee, die viele der Songs auf Gliss Riffer kippen lässt. Instrumental wäre das ganze ja wenigstens noch so mittel, aber Deacons tranige Schlafzimmer-Stimme ist ein klanglicher Schlag in die Magengrube. Dazu kommt auch, dass hier sehr offensichtlich Bands wie Kraftwerk oder eben die Talking Heads kopiert werden und dadurch viel von dem Talent des Künstlers verschwindet, das man wirklich als "schöpferisch" hätte bezeichnen können. Das ist jammerschade, aber man kann sich wenigstens damit trösten, dass es auch nur eine Phase ist. Am Ende wird eines in den Songs von Gliss Riffer ganz deutlich: Dan Deacon sind schlechte Kritiken egal. Wenn er sich in einem Track vor seinen Lieblingsbands verbeugen will, dann tut er das. Und wenn das nicht ganz so gut klingt wie das Original kommt es trotzdem aufs Album. Weil dieser Typ das nicht braucht. Er hat ja sich und seine Knöpfchen. Und mit denen verträgt er sich immer gut.
6/11

Bester Song: Steely Blues

Nicht mein Fall: Feel the Lightning

Weiterlesen:
Review zu Endless Fantasy (Anamanaguchi):
zum Review

Review zu the Church (Mr. Oizo):
zum Review

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Sonntag, 22. Februar 2015

Vom Vintage verweht (II)

BADBADNOTGOOD & GHOSTFACE KILLAH
Sour Soul
Lex Records
2015













Ghostface Killah hat an Retro-Instrumentals scheinbar endgültig einen Narren gefressen. Nachdem er erstmals vor zwei Jahren auf Twelve Reasons to Die mit dem Spaghetti-Western-Komponisten Adrien Younge zusammenarbeitete und beide eine der besten HipHop-Platten der Saison veröffentlichten, kommt der New Yorker MC von den Antik-Samples nicht mehr weg. Erst versuchte er letztes Jahr mit 36 Seasons ziemlich erfolglos, das Rezept des tarantinoesken Rap-Konzeptalbums mit Vintage-Untemalung noch einmal aufzupolieren, wenig später landeten einige alte Soul-Schnipsel auch auf dem neuen Wu-Tang-Longplayer und schließlich und endlich zementierte er sein Faible für nerdigen Oldschool-Kram in einem Schulterschluss mit Badbadnotgood, der vielleicht modernsten Jazz-Band der letzten fünf Jahre. Die Singles 36 Degrees und Ray Gun habe ich im Rahmen meines Blogs beide irgendwo besprochen, wobei rauskam, dass ich die Kollaboration der beiden mit Freude erwartete und ziemlich gespannt darauf war, was diese Platte wohl zum Konzept des Jazz-Rap beitragen würde. Denn eine größere Schlagkraft auf dieses Subgenre wäre bei diesen beiden Parteien durchaus drin gewesen: Ghostface Killah ist eine Legende und ein Wegbereiter des heutigen HipHop und Badbadnotgood einer der fortschrittlichsten Jazz-Acts, die man dieser Tage antrifft. Und auch wenn man sich die Liste der Featured Artists auf Sour Soul ansieht, läuft einem das Wasser im Mund zusammen: Neben den relativ jungen Talenten Elzhi und Tree und einem wie immer überzeugenden Danny Brown staunt man hier vor allem über einen Auftritt von MF Doom, der nicht umsonst als sehr exklusiver Gastkünstler gilt. Sein Part in Ray Gun ist von allen hier genannten Beiträgen allerdings der am wenigsten denkwürdige. Was nicht weiter schlimm ist, denn besonders denkwürdig ist Sour Soul in seiner Gesamtheit nicht wirklich. Die 33 Minuten, die sich die Rap-Epigone und die Jazz-Vordenker hier teilen, enthält so gut wie gar nichts vom Spirit beider Interpreten. Die Teilnahme von Badbadnotgood beschränkt sich im wesentlichen auf die Koordinierung der Ramsch-Instrumentals, die hier vor allem in Form von Samples stattfinden. Die sind zwar allesamt exquisit und gut eingespielt, aber einer Band von ihrem Format hätte ich durchaus ein wenig mehr Partizipation zugetraut. Vor allem weil sie ja durch ihre Zusammenarbeit mit Tyler, the Creator schon ein wenig Erfahrung hatten. Was Ghostface Killah angeht, so bin ich mit seinen Parts nicht im eigentlichen unzufrieden. Nur wird diesen hier bei weitem nicht genug Platz eingeräumt. In manchen Songs hat er nur eine Strophe, bevor entweder einer der Gäste oder die Begleitband den Rest übernimmt. Die Tatsache, dass man von den beiden Hauptinterpreten hier eigentlich nichts hört, macht die Sache mit Sour Soul schon ein bisschen sinnlos. Was bringt eine Kollaboration so talentierter Künstler, wenn man von ihren Talenten auf diesem Album nur sehr wenig mitbekommt. Am Ende klingt diese Platte wieder wie der Versuch, den Sound von Twelve Reasons to Die aufzuwärmen. Zwar diesmal mit etwas mehr Mumm als auf 36 Seasons, aber dieses Ergebnis war es auch nicht wirklich wert. Und dabei hätte die gemeinsame Arbeit dieser beiden Ausnahme-Acts echt etwas großartiges hervorbringen können. Aber es sollte eben nicht sein. Vielleicht die größte verpasste Chance in der Geschichte des Jazz-Rap.
8/11

Bester Song: Gunshowers

Nicht mein Fall: Nuggets of Wisdom

Weiterlesen:
Review zu 36 Seasons (Ghostface Killah):
zum Review

Review zu III (Badbadnotgood):
zum Review

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Freitag, 20. Februar 2015

Single Review: the Shape of Things to Come

BLUR
Go Out
Parlophone
2015















Und da geht es auf einmal wieder los. Noch vor ein paar Tagen schien ein neues Blur-Album unmöglich wie selten zuvor und nun ist seit ein paar Stunden so ziemlich das Gegenteil der Fall. Ja, es wird einen Nachfolger zu Think Tank geben. Noch in diesem Jahr. Diese Worte aus dem Mund der Band, insbesondere von Damon Albarn zu hören, ist für jeden Fan die vielleicht größte Erlösung seit der Reunion der Briten im Jahr 2009. Und um zu unterstreichen, dass es sich diesmal nicht um eine Finte handelt, wurden auch gleich Artwork, Tracklist, Erscheinungsdatum (27. April 2015) und eine neue Single veröffentlicht. Go Out heißt diese und ich werde gleich dazu kommen. Zuerst sollte man sich jedoch im klaren darüber sein, was ein neues Blur-Album bedeutet. Seit zwölf Jahren ist so etwas nicht mehr passiert und dementsprechend wird sich auch die Band verändert haben. Sänger Albarn hat sich mittlerweile auf jede erdenkliche Art und Weise musikalisch ausgetobt und wird wahrscheinlich wenig Lust auf ein weiteres Parklife haben. Auch eine Anlehnung an den Vorgänger Think Tank ist unwahrscheinlich, da Blur 2015 wieder in Originalbesetzung auftreten und ein Graham Coxon sicherlich ein Wörtchen mitzureden hatte, was Songwriting und Kurs der Songs von the Magic Whip angeht. Der Sound der neuen Blur ist also etwas, über das sich spekulieren lässt. Und wer jetzt denkt, dass die erste Single in dieser Hinsicht Licht ins Dunkel bringt, hat leider Unrecht. Go Out ist ein überraschend ereignisarmer Song für ein Comeback dieses Kalibers. Er besteht größtenteils aus flirrendem Synth-Gewaber, einem grantigen Gitarrenriff von Coxon und Albarns stoischem Gesang. Der Text ist schockierend schwach und es gibt nichts, aber auch gar nichts, was auf eine eventuelle Richtung des folgenden Longplayers hinweist. Tja. Und jetzt? Dass ausgerechnet dieser Track der erste Vorbote von the Magic Whip ist, ist meiner Meinung nach kein Zufall. Blur sind keine dumme Band. Die Veröffentlichung einer Single war obligatorisch, um die Weltöffentlichkeit davon zu überzeugen, dass sie das mit dem Album ernst meinen. Zu viel verraten wollen sie allerdings auch nicht. Ein spektakulärer Song, der eher ein gewisses Hit-Potenzial gehabt hätte, wäre daher nicht besonders dienlich gewesen. Was aber nicht heißt, dass es solche Stücke auf der fertigen Platte nicht geben wird. Es wäre sogar relativ unwahrscheinlich, dazu sind Blur einfach ein Stück zu talentiert. Wie genau sich das allerdings auf the Magic Whip zeigen wird, werden wir wahrscheinlich erst Ende April mitbekommen. Und im Vergleich zur bisherigen Wartezeit kann man die paar Monate als Fan sicher verkraften.

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Mehr von Blur:
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Sichere Kiste

SIZARR
Nurture
Four Music
2015















Eigentlich sind Sizarr keine gute Band. Eigentlich sind die drei Jungspunde aus der württembergischen Provinz ihrer Rolle als Exportgut deutscher Underground-Kultur mit ihrem schmalbrüstigen Sound nicht gewachsen, eigentlich schreiben sie nur mäßig gute Songs und eigentlich haben sie sich ihren Style von zig anderen hippen Indiepop-Acts wie Woodkid, Alt-J und the XX zusammengeklaut. Allerdings war ihr Debüt Psycho Boy Happy vor drei Jahren auch in meiner Jahresbestenliste und gefällt mir stellenweise immer noch ganz gut. Die Sache mit Sizarr ist also nicht ganz einfach. Für mich persönlich ist es so, dass ich sie auf eine Weise cool finden, wie ich auch die ersten Polarkreis 18-Platten cool finde. Der Begriff Underground greift eigentlich nicht mehr, doch wir erleben eine Pop-Band, die um unkonventionelle Kunstgriffe nicht verlegen ist. Und auch in Sachen künstlerischer Relevanz scheint es beiden Bands ähnlich zu gehen. Waren beim letzten Mal noch alle ganz euphorisch (Sizarr waren auf Tour mit Woodkid und Bloc Party!), erinnert sich drei Jahre später keiner mehr an die Band. Oder wann hat einer von euch das letzte Mal darüber nachgedacht, was die eigentlich so machen? Auch bei mir ist es eine Weile her. Und jetzt ist auf einmal Album Nummer zwei da und will meine Aufmerksamkeit. Ich habe zu oberst nun eigentlich genügend Gründe versammelt, Nurture nicht in einem ausführlichen Review zu besprechen. Dennoch seht ihr genau das hier vor euch. Der Grund dafür ist im Prinzip, dass ich mich im September 2012 quasi dazu verbürgt habe, mich auch beim nächsten Longplayer noch mit Sizarr zu beschäftigen. Eine Band, die ich mal so sehr mochte einfach zu ignorieren, wäre Selbstbeschiss. Es ist immerhin nicht vollkommen unmöglich, dass sich ein weiteres Mal gewisse Qualitäten beweisen. Und im Prinzip ist bei Nurture genau das passiert. Die Landauer haben wider erwarten ein ziemlich solides Album gemacht. Es ist natürlich weder besonders modern noch originell, abenteuerlich, prägend oder sonst irgendwas. Es besteht einfach aus guten Popsongs, die sich auch nach drei Jahren Abwesenheit gut anfühlen. Dass auch Ausrutscher dabei sind, ist dabei irgendwie klar. Aber die Platte hat keine Längen, nette Melodien und ab und zu auch ein kleines Schmankerl wie die paar Zeilen, die in Baggage Man auf deutsch gesungen sind. Nurture wird Sizarr nicht helfen, wieder an Relevanz zu gewinnen und auch nicht auf irgendeiner Bestenliste landen, aber ich hatte Anfang 2015 eigentlich etwas weniger überzeugendes erwartet. Das hier ist gut. Und es reicht für meine momentanen Bedürfnisse. Jetzt muss ich zu ihrem nächsten Album auch kein ganzes Review mehr machen.
7/11

Beste Songs: Clam / Scooter Accident

Nicht mein Fall: Slender Gender

Weiterlesen:
Review zu An Awesome Wave (Alt-J):
zum Review

Review zu Close to the Glass (the Notwist):
zum Review

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Zero Zucker

TORCHE
Restarter
Relapse
2015















Mit "Sugary Doom Metal Pop" hat Restarter von der Musikseite Noisey schon mal die vielleicht dämlichste Genre-Bezeichnung des Jahres verpasst gekriegt. Nicht nur weil allgemein keine Band auf die Frage, was für Musik sie denn macht, mit "Sugary Doom Metal Pop" antworten würde, sondern auch weil am neuen Album von Torche relativ wenig nach Zuckerwatte klingt. Das ist der Hauptunterschied zum tollen Vorgänger Harmonicraft, mit dem die US-Amerikaner 2012 die Blackgaze-Revolution vorweg nahmen und tatsächlich so etwas wie die Kinderbuch-Variante von Heavy Metal spielten. Nicht zuletzt sorgte das auch jede Menge Publicity, wegen der die Band jetzt scheinbar auf ewig auf die kunterbunte Nyan-Cat-Variante von schwerem Riffrock reduziert wird. Natürlich hätte Restarter da mitmachen können und eventuell eine vollkommen neue Fanbase für Torche erschlossen. Aber so wie es aussieht, ist dem Quartett eher danach zumute, wieder etwas mehr Power in ihre Songs einziehen zu lassen. Das ist einerseits echt schade, denn Harmonicraft war ein wahnsinnig kreatives Album und so einem Identitätsgewinn die Tür vor der Nase zuzuschlagen, hat schon etwas von Verschwendung. Andererseits stand mit Minions auch eine höllisch gute Single im Vorfeld der Veröffentlichung, die mich mit der Entscheidung der Band ein Stück weit versöhnte. Und obwohl selbiger Song für mich noch immer das Highlight der ganzen Platte sein dürfte, haben Torche auch auf den restlichen neun Tracks ein paar ordentliche Bretter zusammen gezimmert. Schon der Opener Annihilation Affair legt da wunderbar vor und auf dem nachfolgenden Bishop in Arms kann man sogar noch einmal die coolen Shoegaze-Hakenschläge des Vorgängers bestaunen. Wer allerdings nach Pop-Ambitionen sucht, der wird weitgehend enttäuscht. Überraschenderweise bin ich das ganz und gar nicht, obwohl ich zumindest ein bisschen auf niedliche Melodien und Regenbogen-Rock erpicht war. Torche gelingt es jedoch, mit ihrer reichhaltigen Sludge-Kraftfutter-Mischung das Fehlen selbiger auszugleichen. Und das schafft nun weiß Gott nicht jeder. Ein paar peinliche Momente leistet sich die Band dabei zwar schon, doch die trüben nicht wirklich den klaren Strom, in dem diese zehn Tracks so kraftvoll fließen. Ein Triumph durch Souveränität ist das, was Restarter am besten beschreibt. In einer Zeit, in der sich die meisten Kollegen von der Rockmusik wegbewegen ein konsequentes und reinrassiges Rockalbum zu machen, beweist einiges an Eiern. Als ob Torche das hätten beweisen müssen.
9/11

Beste Songs: Annihilation AffairMinions / Believe It

Nicht mein Fall: Loose Men

Weiterlesen:
Review zu Once More 'Round the Sun (Mastodon):
zum Review

Review zu Yellow & Green (Baroness):
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Mittwoch, 18. Februar 2015

Sommer-Kollektion

GROOMS
Comb the Feelings Though Your Hair
Western
2015















Was soll 2015 bloß für ein Jahr werden, wenn bereits Mitte Februar die erste Sommerplatte erscheint? Grooms aus Brooklyn wollen aber schon jetzt unbedingt die Vorhänge aufziehen, bunte Eiscreme futtern und sich den ganzen Tag an den Strand legen. Geht alles, wenn man den richtigen musikalischen Instagram-Filter darüber legt. Der besteht im Falle von Comb the Feeling Through Your Hair aus dem gleichen Synthie-Shoegaze-Reverb-Wischiwaschi, auf das ich auch schon bei Alvvays und den Candy Claws reingefallen bin. Warum also nicht gleich nochmal? Hier haben wir eine Band, die das ganze Thema ein bisschen glitchy angeht und auch die notwendigen Songwriting-Skills hat, um so etwas überzeugend zu machen. Außerdem haben Grooms wie es scheint einen Gitarristen, der sich auch mit echter Rockmusik auskennt. Wozu soll ich mich hier also noch falscher Scheu hingeben? Ich will es doch auch. Und die elf Songs hier sollen mir Recht geben, denn sie sind dafür, dass sie schon wieder ein wenig originelles Konzept verwursten, ziemlich originell. Die New Yorker trauen sich dann eben auch, die übliche Drei-Minuten-Standard-Track-Struktur zu überwinden und kommen am Ende sogar einmal bei sechs Minuten an (Im Song Doctor M, der wirklich zu dem besten gehört, was diese Platte hier auffährt). Die elf Stücke haben ziemlich unterschiedliche Charakteristika und sind in Sachen Komposition zumindest um einiges fortschrittlicher als der Durchschnitt der gefühlt fünftausend anderen Shoegaze-Dreampop-Acts. Dass Grooms dafür einen ziemlich langweiligen Sänger haben, muss man dann einfach mal akzeptieren. Wie gesagt, das Rad wird hier trotz aller guten Versuche nicht neu erfunden. Mir reicht es auch vollkommen, dass hier ein solides Maß an Kreativität involviert ist und die Band im Gesamtkontext einen guten Job macht. Wenn das jetzt heißt, dass ich mir hier ein ausgewachsenes Guilty Pleasure zugelegt habe, dann ist das eben so. Und niemand von euch kann etwas dagegen tun. Comb the Feelings Through Your Hair wird dann bestimmt auch nicht die letzte Pastell-Farbfilter-Platte des Jahres sein. Bis zum Sommer sind es ja noch ein paar Monate. Und der kann jetzt definitiv nicht länger warten...
9/11

Beste Songs: Comb the Feelings Through Your Hair / Doctor M / Savage Seminar

Nicht mein Fall: Later A Dream (obwohl der Bass ganz zum Schluss echt fetzt.)

Weiterlesen:
Review zu Alvvays (Alvvays):
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Review zu Ceres & Calypso in the Deep Time (Candy Claws):
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Dienstag, 17. Februar 2015

Gute Aussichten

JOSÉ GONZÁLEZ
Vestiges & Claws
Peacefrog
2015















Wer diesen Blog hier ein kleines bisschen verfolgt, wird um meine Schwäche für minimalistische Akustik-Folk-Barden wissen. 2014 machte so ein Typ das Album des Jahres und zog eine ganze Schar nicht minder guter Kollegen hinter sich her. José González ist auch so einer und er will 2015 zu einem weiteren Jubeljahr des Songwriters machen. Er hat eine Gitarre, eine niedliche Stimme und singt sehnsuchtsvolle Texte über Wälder und das Meer. Damit ist er sozusagen die Light-Variante eines Damien Jurado, der groß angelegte Musik schreiben kann, aber als bodenständiger, dylanesker Typ am besten ist. Zusätzlich erinnert González mit seiner ist-das-wirklich-nicht-gepitcht-?-Stimme teilweise an die ruhigeren Momente von Alt-J, was für die nötige Mainstream-Kompatibilität sorgt. Schließlich kennen die meisten den jungen Amerikaner auch aus dem Soundtrack zu Das erstaunliche Leben des Walter Mitty, zugegebenermaßen nicht der hellste Stern an Himmel seiner noch sehr kurzen Karriere. Da empfiehlt es sich schon eher, in Vestiges & Claws reinzuhören, seinen zweiten Longplayer. Dort zieht sich der Künstler, der Llewyn Davies vielleicht nicht zufällig ziemlich ähnlich sieht, mit seiner Gitarre und den Songs über den Wald und das Meer zurück und nimmt ein sehr zurückhaltendes aber tolles Album auf. Man muss dazu sagen, dass man wirklich spektakuläre Momente hier vergeblich sucht. Vestiges & Claws wirkt durch die Dinge, die es weglässt. In lediglich einem von zehn Titeln geht das Instrumentarium hier über die Kombination von Gesang und Gitarre hinaus, was sehr viel Platz für das wesentliche lässt. Das einzige, was dann noch zwischen der absoluten Natürlichkeit und dem Ergebnis steht, ist die ziemlich perfektionierte Produktion. Das ist wahrscheinlich dem Umstand geschuldet, dass nach der Mitty-Geschichte ein wesentlich größeres Publikum Interesse für José González bekunden wird. Aber natürlich nur für einen mit radiotauglichem Sound. Es ist gut zu wissen, dass so etwas seinen Songs im Kern wenig anhaben kann, was zeigt, dass wir es hier mit einem verdammt starken Songwriter zu tun haben. Vestiges & Claws ist am Ende keine besonders große Sache. Oder sollte man sagen: Noch nicht. Denn als Werkschau eines talentierten Künstlers funktioniert sie durchaus. Und es würde mich nicht überraschen, wenn von dem in Zukunft noch besseres Material kommt. Ihn mir warm zu halten sollte also nicht die schlechteste Idee sein.
8/11

Beste Songs: the Forest / Every Age / Afterglow

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Brothers & Sisters of the Eternal Son (Damien Jurado):
zum Review

Review zu This is All Yours (Alt-J):
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Du darfst

GOODBYE
Goodbye
Other People
2015















Es ist schön zu hören, dass die besten Stilmittel des Electronica, nämlich fette Drops und zackige Breaks nicht nur von gehypten Stadion-DJs und Radio-Produzenten eingesetzt werden, weil sie den wirklich fähigen Künstlern mittlerweile zu peinlich sind. Denn aufrund vieler Entwicklungen innerhalb des Mainstream und Underground wäre fast der Eindruck entstanden, als wäre Spaß an elektronischer Musik eine Sünde. Dass das nicht der Fall ist, beweist jetzt das zweite Album von Goodbye. Natürlich bin ich jetzt selbst ein Heuchler, weil ich die letzte Platte von Thom Yorke ja auch gut fand, aber für mich erfüllen Beats nebenbei immer noch den Zweck, dass man dazu tanzt. Und obwohl das hier auch nicht immer der Fall ist, bringt dieses Album trotzdem ein ganzes Stück Hedonismus zurück in die alternative Popmusik, die ich schon ein bisschen vermisst habe. In letzter Zeit waren viele Künstler dieser Richtung entweder total Bierernst oder versuchten krampfhaft, sich vom unergiebigen Starbucks-Klientel prostituieren zu lassen. Goodbye machen weder das eine noch das andere, sondern finden Spaß daran, sich große Freiheiten zu nehmen. Unkonventionell zu klingen ist für die Band kein intellektuelles Understatement, eher eine Art Freifahrtschein zur Blödelei. Im Grunde genommen schreiben sie dabei Popsongs, die jedoch so ziemlich das Gegenteil von der üblichen Definition von Popsongs sind. Die billigen Keyboard-Sounds und Drumcomputer bohren sich förmlich durch die Trommelfelle des geneigten Hörers und tun danach so, als wäre nichts gewesen. Garniert wird dazu mit sanften Gesangs-Parts und ab und an auch mal Klavier oder Gitarre. Würde man die Live-Instrumente oder die Vocals jedoch weglassen, hätte man eine den Death Grips nicht unähnliche Ästhetik. Und wo der Opener Forgiveness diese noch relativ offen zur Schau stellt, wird diese in den folgenden Songs von eben dieser Garnitur kaschiert. Die Schnittmenge aus beidem ist dann den Songs von Deerhoof nicht unähnlich. Und was die Breaks und Drops angeht, so versteckt sich hier auch eine heimliche Leidenschaft für House und EDM. Und Goodbye schaffen es, diese in ihre Tracks einzubauen und dabei trotzdem artsy wie Sonstwas zu klingen. Und Vergleiche mit Calvin Harris wird man im Zusammenhang mit dieser Platte ganz bestimmt keine finden. Wer also Lil B nicht unbedingt total schlimm findet und seine Justice-DVDs nicht länger verstecken will, für den gibt es mit Goodbye jetzt die edgy Affenzirkus-Variante von Elektropop, die nicht an der Credibility zweifeln lässt. Also genau das richtige für mich.
9/11

Beste Songs: Ring / We'll Be Free

Nicht mein Fall: Suffer

Weiterlesen:
Review zu La Isla Bonita (Deerhoof):
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Review zu Fashion Week (Death Grips):
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Samstag, 14. Februar 2015

Prominenz der Unterwelt

SUMAC
the Deal
Profound Lore
2015















Meine Probleme mit dem Output an Metal-Platten im letzten Jahr habe ich bereits zur Genüge kundgetan und möchte darauf nicht viel länger eingehen. Höchstens, um einmal zu betonen, was für eine Ausnahme die Bands des Labels Profound Lore dabei darstellten. Die wenigen Alben, die ich im letzten Jahr wirklich gern mochte, kamen fast alle von dort. Full of Hell, Artificial Brain oder Murmur waren dabei, um jetzt nur mal einige zu nennen. Folglich habe ich seitdem gewisse Sympathien für die Arbeit dieser Firma entwickelt und bin gewillt, dieser hier auch weiterhin eine Projektionsfläche zu bieten. Sumac heißt Anfang 2015 die neue heiße Nummer des Labels und ihr Debüt the Deal ließt sich auch gleich wie der rote Teppich der alternativen Metal-Szene. Der Kern der Band sind Aaron Turner von Isis und Nick Yacyshin von den Baptists, was schon mal einiges über den Sound ihres Projekts aussagt. Hier trifft tonnenschwerer Doom Metal auf knisternden Sludge-Core, für den sich die beiden das beste Personal herausgepickt haben, das man dieser Tage finden kann. Am Bass hört man niemand geringeren als Brian Cook, der normalerweise für die Russian Circles Sound-Bretter stämmt. Unterstützt werden sie außerdem von Mell Dettmer, der auch schon mit Sunn O))) und Wolves in the Throne Room in Studio war. Die Sahnehaube setzten sich Sumac allerdings mit der Anstellung von Kurt Ballou als Produzent selbst auf und machen das Promi-Treffen damit perfekt. Wer das jetzt eine Supergroup nennen will, kann das tun. Fakt ist, dass man the Deal seine Ambitionen anhört. Wem bei Isis immer der Punch fehlte und wer die Baptists immer zu hektisch fand, der bekommt hier ein Wunschkonzert auf sechs Tracks vorgespielt, das Doom Metal mal völlig anders präsentiert. Wer hätte gedacht, dass solch schwere Riffs so wendig und beweglich vorgetragen werden können? Wer hätte gedacht, dass solch massive Songs in über zehn Minuten eine so große Stimmungs-Palette durchlaufen können? Wer hätte gedacht, dass ein Klavier genau das ist, was ein Track wie Thorn in the Lion's Paw braucht? The Deal ist ganz offensichtlich eine von Experimenten geprägte Platte, die auch unumgänglich ist, wenn so viele so verschiedene Parteien zusammen kommen. Da kommt ab und zu mal ein bisschen Sunn O))) durch, dann wird es wieder lebendiger und eh man sich's versieht, übernimmt ein komplett neues Thema den Song. Dass dabei manche Momente etwas chaotisch sind und nicht immer alles zusammen passt - geschenkt. Denn angesichts der großartigen Arbeit, die hier sowohl Instrumentalisten als auch Produktion leisten, ist the Deal ein sehr zufriedenstellendes Ergebnis. Klangtechnisch ist die Platte ein Traum und die etwas skizzenhaften Kompositionen werden durch das harmonische Zusammenspiel der Akteure wieder gut gemacht. Im großen und ganzen sind Sumac die Band, mit der Profound Lore 2015 einen Kandidaten in den Ring schickt, der auch für das kommende Jahr viel verspricht. Weiter so, würde ich mal sagen.
8/11

Beste Songs: Hollow King / the Radiance of Being

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Tempest (Lycus):
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Review zu Terrestrials (Sunn O))) & Ulver):
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Ich leake, also bin ich

DRAKE
If You're Reading This, It's Too Late
Motown
2015















So läuft das im Jahr 2015. Die wirklich dicken Fische kündigen Platten nicht mehr an, sondern veröffentlichen sie einfach so. Da ist dann plötzlich ein neuer Longplayer verfügbar, ohne dass jemand einen Ton gesagt hätte. Die Leaks erledigen den Rest, es gibt einen Mords-Hype und alle nur so yeah. Das hat bei den Death Grips geklappt, bei Radiohead, Björk und zuletzt sogar bei Beyoncé. Und was für ein Popstar wäre Drake, wenn er es nicht wenigstens mal versuchen würde. Seine brandneue Platte If You're Reading This, It's Too Late ist folglich auch so ein forcierter Selbstläufer. Nur dass es in seinem Fall irgendwie das erste Mal nicht so richtig funktioniert. Zumindest ins Verhältnis gesetzt. Zwar spektakelt es aus allen Ecken des Internets, dass diese Platte da ist, aber darüber reden will keiner so richtig. Dem Umstand entsprechend, dass wir hier von Drake reden, der einer der wichtigsten Leute für den modernen R'n'B ist und sowohl die Aufmerksamkeit des Mainstream als auch die des Underground auf sich zieht, ist das ganz schön lahm. Da hätte man vielleicht doch lieber nachhelfen sollen. Allerdings kann man auch ein bisschen froh sein, dass es nicht so ein Brimborium um das neue Brainchild des Kanadiers gibt. Aus einem ganz einfachen Grund: Es ist ziemlich lahm. Man kann es generell als Schwäche der Leak-Kultur ansehen, dass Popstars auf solchen Platten auch immer gleich versuchen, plötzlich künstlerisch anspruchsvoll zu klingen und experimentell zu sein. Im Fall von Beyoncé ging das noch glimpflich aus, aber Drake hat es ganz schön böse erwischt. Ich mochte ihn immer als einen Musiker, der mit seinen aufregenden Sounds den Mainstream tatsächlich zu bereichern wusste. Thank Me Later und Take Care sind durchweg tolle Alben und Nothing Was the Same hatte immerhin ein paar gute Singles. If You're Reading This... versucht hingegen, mit den wenigsten Mitteln den gleichen Effekt zu erzeugen und scheitert dabei kläglich. Die schwachbrüstige Produktion von Partynextdoor rettet da sogar noch viel. Die minimalistischen Trap-Beats sind nichts besonderes, aber immerhin passend. Was mich wirklich stört ist, wie unmotiviert der Künstler selbst hier klingt. Seine Stimme hat über weite Teile hinweg die Ästhetik einer verkaterten Session um sechs Uhr morgens. Was durch die Texte nicht unbedingt besser gemacht wird. Halbgare Brag-Tracks wechseln sich mit stupiden Rants ab, die ja noch nie zu den Dingen gehört haben, die Drake besonders gut rübergebracht hat. Das Fehlen von vernünftigen Balladen verstärkt diesen Effekt nur noch. Alles in Allem wirkt es, als hätte der MC nicht wirklich Lust auf dieses Album gehabt. Der versierten Produktion ist es zu verdanken, dass If You're Reading This... nicht komplett versackt. Langweilig wird die Platte mit ihren fast 70 Minuten trotzdem viel zu schnell. So gerne ich mich auch für diese Songs begeistern würde, es wird einfach nichts. Von dem einen richtig tollen Longplayer, den ich mir von Drake schon so lange wünsche, ist das hier sehr weit entfernt. Meiner Meinung nach ist das hier sogar seine schlechteste Arbeit bisher. Und bei sowas ist es dann auch egal, wie man die Sache nun PR-technisch angegangen ist. Da kann einer von Beyoncé echt noch was lernen.
6/11

Beste Songs: Know Yourself / Madonna / 6 God

Nicht mein Fall: Energy / Preach

Weiterlesen:
Review zu Yeezus (Kanye West):
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Review zu Dead (Young Fathers):
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Freitag, 13. Februar 2015

Playlist: Valentinstag

Okay, dieses Jahr komme ich ohne nicht mehr durch. Schon in den letzten Jahren glotzten einen von allen Seiten und Blogs die Valentins-Playlisten an und all die Jahre saß ich wieder da und überlegte, so was auch zu machen. Nur um mich letztendlich dagegen zu entscheiden. Denn obwohl in den breiten des World Wide Web durchaus auch jede Menge wirklich niedliche Ausführungen zu finden sind, ist es doch ganz schön albern, wenn sich sogar der letzte Vegan-Core-Trottel an einer Liste mit kitschigen Lovesongs versucht. Letztendlich habe ich mich trotzdem dazu überrumpeln lassen, meinen Teil zum Romatik-Rausch beizutragen. Ladies und Gentleman, meine Valentinstags-Playlist 2015. Habt euch lieb!

ARCTIC MONKEYS
She's Thunderstorms
In Sachen Lovesongs hat sich bei Alex Turner seit den ziemlich unsensiblen ersten Versuchen viel getan. Vor den diesbezüglichen Highlights auf AM kam aber noch She's Thunderstorms, das einem in den richtigen Momenten schon mal direkt aus der Seele sprechen kann. Hat zumindest bei mir funktioniert.

Niedlichste Songzeile: "she came and substituted the peace and quiet for acrobatic bloodflow"

BUDDY HOLLY
Everyday
Kennt man aus der Big Fish-Szene, in der Edward seiner Frau Sandra einen Antrag macht. Und funktioniert als extrem niedlicher Zweiminüter perfekt für den Ohrwurm zum bunten Blumenstrauß und der Pralinenschachtel. Das ist nicht oldschool, das ist verdammt noch mal ein Klassiker!

Niedlichste Songzeile: "everyday, it's a-gettin' faster / everyone said / go ahead and ask her"

BJÖRK
Like Someone in Love
Am schönsten sind Liebeslieder manchmal, wenn sie gar nicht als solche geplant sind. Und natürlich, wenn Björk sie singt. Wie spontan das nur mit Gitarre eingespielte Stück auf dem pompösen Debut wirkt und wie mitgenommen die Isländerin hier klingt, möchte man am liebsten derjenige sein, für den das hier geschrieben wurde.

Niedlichste Songzeile: "sometimes the things I do astound me / mostly, whenever you're around me"

ZOMBIE JOE
Leg dich zu mir (Wüste)
Dieser Song ist Conny Ochs so gut gelungen, dass er ihn gleich zweimal geschrieben hat. Einmal als diese Fassung für Zombie Joe und einmal ganz ähnlich als Naked and Crying für Baby Universal. Wer sich an erstere hält, bekommt den schönsten erotischen Schmalz, den je ein deutschsprachiger Song fabriziert hat.

Romantischste Songzeile: "der Himmel schreit nach blau / in deinen Augen"

DINAH SHORE
Somebody Loves Me
Eine samtweiche Jazz-Ballade wie die von Dinah Shore ist Balsam für die Seele und vom Candle-Light-Dinner bis zur Kamin-Idylle vielseitig einsetzbar. Der Allrounder mit Charme und Streichquartett. Klappt auch dann, wenn Frank Sinatra mal nicht verfügbar ist.

Romantischste Songzeile: "hey, maybe / you are meant to be / my loving baby"

BOB MARLEY & THE WAILERS
Is This Love
Die viel besungene Liebe ist dem Herrn Marley eine religiöse Angelegenheit, die er mitunter auch vorschnell politisiert. Was nicht heißt, dass nicht auch er mal einen romantischen Lovesong schreiben kann. Is This Love ist davon vielleicht der bekannteste. Und handelt von der wunderbaren Überzeugung, sich auch dann noch zu lieben, wenn alle anderen Stricke reißen. Also ich finde das ziemlich süß!

Andächtigste Songzeile: "we share the same room / and Jah provide our bread"

AL GREEN
Let's Stay Together
Auch der alte Schmusebär Al Green schwört hier auf die Liebe als standhafter Schutz in guten wie in schlechten Zeiten. Dass man ihm dabei trotzdem nicht so richtig glaubt, dass er morgen früh noch mal anruft, sei mal dahingestellt. Ich für meinen Teil könnte keine Valentins-Playlist ohne Let's Stay Together aufstellen. Dieser Track ist Pflichtprogramm

Romantischste Songzeile: "loving you wether, wether / the times are good or bad or happy or sad"

MASSIVE ATTACK
One Love
Romantische Songs haben Massive Attack über die Jahre zahlreiche gemacht. Doch der Topspot gehört nach wie vor Horace Andys bodenständigem Liebesschwur. Womit wir in dieser Liste noch jemanden hätten, der an die wahre und einzige Liebe glaubt. Wäre ja auch Quatsch sonst.

Niedlichste Songzeile: "don't lay all your eggs in one basket / if the basket should fall, all the eggs will be broken"

THE CURE
the Kiss
Die hoffnungslos Verliebten haben the Cure in über dreißig Jahren immer sehr gut gespielt, so auch in diesem fantastischen Track. The Kiss zeigt uns sogar, was die Briten aus der wilden Liebe in Verbindung mit finsterem Düsterkram machen. Einen unendlichen Gitarrenjam und einen der hingebungsvollsten Lovesongs überhaupt.

Dramatischste Songzeile: "kiss me, kiss me, kiss me / your tongue is like poison"

BLUR
Good Song
Romantisch veranlagt ist Damon Albarn selten genug. Doch wenn er es ist, dann liefert er uns schon mal einen wortwörtlich richtig guten Song. Der hier eigentlich nur wegen dieser einen großartigen Zeile steht. Also bitte:

Romantischste Songzeile: "I could be lying on an atom bomb / I'll take care / cause I know you'll be there / you seem very beautiful to me"

EELS
Spectacular Girl
Dieser Song hätte eigentlich auch von den Beach Boys sein können, aber Mark Everetts Holzfäller-Stimme macht das spektakuläre daran aus und ist zusammen mit dem Mellotron der Grund, warum ich auch gerne so einen Track geschrieben hätte. Zum dahinschmelzen. Wirklich.

Niedlichste Songzeile: "she's a spectacular girl"


MOTORPSYCHO
Kill Some Day
Liebe ist Euphorie. Liebe ist Chaos. Keiner versteht das besser als Motorpsycho, die hier einen der lautesten und energischsten Lovesongs spielen, die trotzdem noch total romantisch sind. Das verloren sein ist hier das Thema und Bent Saether windet ich in Selbstzweifeln. Das machen verliebte Jungs eben so.

Romantischste Songzeile: "all I know is that I dreamt of you / I somehow can't wipe you off my eyes"

TOM VEK
The Girl You Wouldn't Leave for Any Other Girl
Tom Vek ist vielleicht kein Mann großer Worte, wenn es um das schönste Thema der Welt geht. Dennoch findet er in diesem Song genau die richtigen. Und die wiederholt er dann auch ganze drei Minuten lang. Ist sowas jetzt romantisch? Unbedingt!

Einzige Songzeile: "the girl you wouldn't leave for any other girl"


FRANK OCEAN
Thinkin' About You
Frank Ocean kann mehr als nur gute Liebeslieder schreiben, aber Liebeslieder schreiben kann er am besten. Dieser Song präsentiert einen wahnsinnig intimen Künstler, der sich hier wirklich von der Seele spricht. Ob es dabei um einen Mann, eine Frau oder ein Stachelschwein geht, ist übrigens vollkommen irrelevant.

Romantischste Songzeile: "since you think I don't love you, I just thought you were cute, that's why I kissed you"

RADIOHEAD
Lucky
Einer der wenigen wirklich euphorischen Momente von Radiohead ist gleichzeitig einer der besten und es Wert, diese Liste abzuschließen. Als schnöder Verliebter ist Thom Yorke dramatisch wie immer und spricht sich in der tiefsten Krise selbst Mut zu. Der Grund: Eine Frau namens Sara. Das Ergebnis: Einer der besten Radiohead-Songs aller Zeiten.

Romantischste Songzeile: "I'm on a roll this time / I feel my luck could change"

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Mittwoch, 11. Februar 2015

Single-Review: Say It Loud!

KENDRICK LAMAR
the Blacker the Berry
Top Dawg
2015















Einer der Gründe, warum HipHop in letzter Zeit so politisch wurde wie selten zuvor, waren die Todesfälle von schwarzen Jugendlichen durch amerikanische Polizisten, die in den Protesten von Ferguson und deren Folgen weltweit mediale Aufmerksamkeit auf sich zogen. Zum ersten Mal seit Martin Luther King waren systematischer Rassismus und Vorurteile gegenüber US-Bürgern schwarzer Hautfarbe so ein großes Thema wie im letzten Jahr. Auch in der Musik. Bereits sehr früh wurden die Motive der Polizeigewalt und der Ungerechtigkeit Themen von Songs, vor allem im Bereich des HipHop. Clipping veröffentlichten außerhalb ihres letzten Albums die Single Knees On the Ground, um sich mit den Demonstranten zu solidarisieren und eine Supergroup um T.I. und J.Cole veröffentlichte ein ganzes Album, um den Toten zu gedenken. Einer der kontroversesten und meistdiskutierten Teilnehmer an der Debatte war nicht zuletzt auch Rapper Kendrick Lamar, der in Interviews gerne das Thema ansprach und die für viele unangenehme Wahrheit aussprach: Rassismus im System ist ein Problem, aber Gangkriminalität auch. Gewalt im Kampf gegen Gewalt zu säen, ist sinnlos. Das Resümee dieser Probleme breitet der MC jetzt in dieser neuen Single aus, die das Geschehene über ein halbes Jahr nach den Protesten bilanziert. The Blacker the Berry ist vordergründig ein Song über afroamerikanische Identität, die Lamar hier aber in den Kontext der jüngsten Ereignisse stellt. Er bezeichnet sich hier selbst als "the biggest hypocrite of 2015". Er selbst war als Teenager in Gangkriminalität involviert (sein letztes Album Good Kid, M.A.A.D. City handelt davon) und positioniert sich hier als Gegner selbiger. Gleichzeitig ist der Track gepfefferte Systemkritik, in der er durchblicken lässt, dass unsere Gesellschaft noch immer latenten Rassismus gegen Schwarze hegt. "I'm black as the heart of a fucking aryan" oder "my hair is nappy, my dick is big, my nose is round and wide" spottet der MC hier und provoziert hier sehr bewusst. Gleichzeitig wird in diesem Song klar, was für eine umfassende Meinung Lamar zu diesem Thema hat und dass am Ende eigentlich nur sein Wunsch nach Freundschaft zwischen allen Menschen steht. Die allgemeine Düsternis von the Blacker the Berry lässt davon jedoch nicht viel übrig. Dies wird auch musikalisch sehr stark untermalt: Lamar nutzt hier einen nervenaufreibenden Beat, der jede Menge Spannung erzeugt und lässt die Hook von Assassin einsingen, der dem Song einen ziemlich überraschenden Dancehall-Vibe verpasst. Musikalisch wie politisch ist dieser Track also ein ordentliches Stück Arbeit, das mich mit der etwas schwachen ersten Single I versöhnt und mich neugierig auf das (hoffentlich) kommende Album macht.

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Dienstag, 10. Februar 2015

Er singt wieder!

WILLIAM RYAN FRITCH
Revisionist
Lost Tribe Sound
2015















Das Gefühl, das allererste Mal die Musik von William Ryan Fritch zu hören muss ungefähr mit dem der Leute vergleichbar sein, die damals Ágætis Byrjun von Sigur Rós entdeckten. Die tiefe Überzeugung, gerade einen musikalischen Schatz gehoben zu haben, den niemand vor einem selbst zu Ohren bekommen hat. Das waren beim Erstkontakt mit diesem Künstler tatsächlich meine Eindrücke. Und dass dies so geblieben ist, beweist ein Bewertungsdurchschnitt von 10,5 Punkten im letzten Jahr und die Silbermedaille auf dem Podest des besten Albums 2014 für Leave Me Like You Found Me. Weil William Ryan Fritch aber nicht nur besonders gutes, sondern auch besonders viel neues Material schreibt, ist nach gut acht Monaten schon wieder ein neuer Longplayer des US-Amerikaners da. Dieses besteht zugegebenermaßen nicht komplett aus brandneuem Stoff, einige Neubearbeitungen alter Stücke und Überbleibsel von den EPs Heavy und Empty sind hier ebenfalls vertreten. Doch den wirklich interessanten Teil machen hier eh die Premieren aus. So hat sich Fritch hier erstmals seit der Emptied Animal-EP wieder an seinen alten Erzfeind herangetraut: Vocals. Das sind auf Songs wie dem Opener In Denial dann teilweise seine eigenen, doch auch Featured Artists kann man hier hören. Man muss der Fairness halber sagen, dass Gesang noch immer ein immenser Störfaktor für die filigranen Arrangements der Tracks ist, dennoch hat sich hier einiges getan. Die Reprise von With the Winds Against Us beispielsweise bringt Musik und Stimme sehr gut in Einklang und überzeugt am Ende durch ein großartiges neues Streicher-Outro. Generell hat Fritch in Sachen Orchester hier einen ordentlichen Zahn zugelegt: Viele Stücke klingen wesentlich größer und voller als die des Debüts. Von Folk kann stellenweise gar nicht mehr die Rede sein. Dennoch wirkt das ganze hier eher wie ein Song-Album als der Vorgänger und somit bescheidener. Ich muss zugeben, dass mich das an Revisionist auch ein Stück weit zurückhält. Ich hätte jetzt gerne die Platte gehabt, die noch epischer und noch bombastischer ist. Fritch zeigt ja mit seinen Sinfonie-Eskapaden, dass es theoretisch möglich gewesen wäre. Aber anscheinend ist ihre Zeit noch nicht gekommen. Ohnehin habe ich das Gefühl, dass hier noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Dass das "richtige" Album des William Ryan Fritch 2015 noch kommt. Das hier hat mit all seinen Reworks und Kollaborationen noch nicht das Gusto des Nachfolgers von Leave Me Like You Found Me. Ein potenzieller Jahresend-Kandidat ist es zumindest keinesfalls. Wobei ich diese Platte gerne noch hören würde. Hoffentlich noch 2015.
9/11

Beste Songs: Revisionist / Unholy Frames / Gloaming Light

Nicht mein Fall: In Denial / Still

Weiterlesen:
Review zu Leave Me Like You Found Me (William Ryan Fritch):
zum Review

Review zu Emptied Animal (William Ryan Fritch):
zum Review

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