Secret Life
Text Records
Freddy Gibson aka Fred again.. hat seine in den letzten Jahren mit viralen Singles erarbeitete Plattform in der bisherigen Saison auf jeden Fall effizient genutzt, um vom angesagten Producer, der er Ende 2022 noch war, zu jedandem zu weden, den man durchaus als Popstar bezeichnen kann. Wobei vor allem geschickt platzierte Kollaborationen ein wichtiger Teil dieser Erfolgsformel waren und immer wieder Aktionen sind, mit denen der Brite überrascht. Es ist dabei aber die eine Sache, dass er als magisches Live-Dreieck mit Four Tet und Skrillex gerade zum Shooting Star des Festivalsommers wird, das lässig einen Frank Ocean von der Hauptbühne des Coachella kegelt und eine völlig andere, dass er sich für sein neuestes Album ausgerechnet Ambient-Papst und lebende Legende Brian Eno dazuholt. Dabei ist sicherlich auch dieser an sich kein Neuling in Sachen Kollaborationen, allerdings umgibt er sich normalerweise schon lieber mit illustren Artpop- und IDM-Künstler*innen wie Jon Hopkins oder Laurie Anderson als mit feiertauglichen House-DJs. Und so sehr ich mir anhand dieser ungewöhnlichen Paarung (und der Tatsache, dass ich die Musik von beiden grundsätzlich mag) auch eine gelungene Zusammenarbeit gewünscht hatte, so wenig überraschend ist es am Ende auch, dass Secret Life ziemlicher Kram geworden ist. Dominiert von Enos typischem Ambient-Entwurf und leisetreteisch-schwerfälligen Klangwolken hat Fred hier von vornherein wenig zu melden, was aber auch egal ist, weil das Songwriting trotzdem durchweg stumpf, inkompetent und schnarchig wirkt. Vom peinlichen Craiyon-Artwork bishin zur klinisch toten Produktion fehlt diesem Album so gut wie jegliche Kreativität und ist für mich mal wieder der Beweis dafür, dass nicht jede ungewöhnliche Paarung von Künstler*innen auch entsprechend ungewöhnliche Musik zutage fördert.
🔴🔴🔴🟠⚫⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 04/11
ATUM: A Rock Opera in Three Acts
Martha's Music | Sumerian
Eigentlich hatte Billy Corgan mit der neuesten Inkarnation der Smashing Pumpkins ja bis hierhin viel richtig gemacht: Die dritte (oder vierte?) Reunion der Band im Jahr 2017 holte erstmals seit einer Dekade fast die komplette Originalbesetzung aus den Neunzigern zurück, man backte auf dem ersten gemeinsamen Album Shiny and Oh So Bright Vol. 1 vorsichtshalber kleine Brötchen, die auch ein bisschen tumbe Nostalgie zuließen und nutzte das zweite davon dann für einen experimentellen Exkurs in Richtung Synthpop und New Wave. Vorsichtig optimistisch konnte man zuletzt also durchaus sein, auch wenn man als leidgeprüfter Fan natürlich immer den nächsten Anfall von Hybris an der nächsten Ecke witterte, der in Form von ATUM jetzt auch ganz unmissverständlich gekommen ist. Nicht nur in der Hinsicht, dass wir es hier mit einer dreiaktigen Rockoper von über zwei Stunden Länge zu tun haben, die separat über die letzten paar Monate erschienen, sondern vor allem dadurch, dass Corgan das hier als Finale einer scheinbar spontan aus dem Hut gezauberten Album-Trilogie sieht, deren erste Teile anscheinend Mellon Collie & the Infinite Sadness und die beiden Machina-Teile von der Jahrtausendwende sein sollen. Ja nun. Aber selbst wenn man diese 33 Songs hier nur für sich nimmt und den ganzen konzeptuellen Schnickschnack mal weglässt (der in meinen Augen eh nur existiert, um dem ganzen Bums irgendeine Bedeutung anzuheften), werden die Fragezeichen nicht weniger. Denn nachdem die Pumpkins auf den letzten beiden Platten ja eigentlich zeigten, dass ihr Sound auch in der vierten Dekade ihrer Existenz unpeinlich funktionieren kann, lassen sie hier nur Bruchstücke dieser Ästhetik übrig und bringen stattdessen die proggigen Vibes ihrer unsäglichen Mitte-Zwotausendzehner-Phase zurück, die ich eigentlich überwunden gehofft hatte. Und wo dieser nerdige Artrock-Entwurf an sich schon irgendwie zum Medium der Rockoper passen würde, verpassen die Pumpkins trotzdem so gut wie jede Chance, diesen auch irgendwie groß und operatisch klingen zu lassen. Viel eher stapelt Corgan einfach wieder massenhaft Songs mit durchwachsenem Songwriting und fragwürdigen Produktionsentscheidungen aneinander, von denen am Ende kaum einer wirklich heraussticht und viele klingen wie aufgehübschtes B-Seiten-Material. Geschenkt, dass er dann alle Nase lang mal ein verheißungsvolles "zero" ins Mikro plärrt und ein komprimiertes Hardrock-Riff in den Äther schreddert. Das alles funktionierte auf den letzten beiden Platten wesentlich besser, weil die eben wussten, wie man Ideen ordentlich kuratiert. Hier indes gehen die wenigen starken Songs unter, weil es drumherum so viel Überfluss gibt. Und leider Gottes ist das an dieser Stelle mal wieder typisch für jemanden wie Corgan, der sich am Ende eben doch nicht geändert hat und wieder und wieder dem sinnlosen Größenwahn verfällt. So sehr man auch hoffte, man hätte das jetzt endgültig hinter sich.
🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 05/11
F65
Warner
Sportmetaphern sind im Rap ja an sich nichts neues und zwischen zehn Dutzend x-beliebigen Basketball-, Football- oder Box-Punchlines auch eine der Sachen in der Szene, die gerne mal etwas ausgelutscht rüberkommt. IDK scheint sich dieser Sache bewusst zu sein und macht mit F65 jetzt ein Album, das sich als inhaltliche Unterspannung ein recht willkürliches Formel 1-Motiv zurechtbaut, dem man zumindest zugestehen muss, dass es irgendwie neu ist. Zumindest so lange, wie man darüber hinwegsieht, dass es zu mehr als eingestreuten Sprachsamples, Interludes und ein bisschen Automarken-Namedropping nicht reicht. Ganz davon abgesehen, dass der Kalifornier sich am Ende trotzdem wieder mit Dwayne Johnson vergleicht, der - nur zur Erinnerung - Wrestler und kein Rennfahrer ist. Und leider Gottes beginnen an dieser Stelle erst die Unstimmigkeiten, die diese LP davon abhalten, ein wirklich durchdachtes Werkstück zu sein. So mag ich beispielweise die Entscheidung, viele Instrumentals eher jazzrappig zu gestalten, was zum Narrativ vieler Songs aber so überhaupt nicht passt. Abgesehen davon, dass es IDK in insgesamt 22 Tracks nicht gelingt, mich mit einem davon wirklich festzunageln und ein erinnerungswürdiges Gesamtkonzept zu präsentieren. Ein schlechtes Album ist F65 bei alledem nicht und die Elemente an sich stimmen, nur fehlt der Platte an vielen Stellen leider völlig der Fokus und die meisten Ideen fühlen sich sehr unausgegoren an. Was echt schade ist, weil dieser Typ immerhin schon eines der stärksten Hiphop-Alben der beginnenden Zwotausendzwanziger gemacht hat.
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11
KRALLICE
Porous Resonance Abyss
Die-Ai-Wei
Definitiv die vielseitigste LP von der New Yorker Black Metal-Untergründler seit etlichen Jahren, die komplett instrumental und mit diversen stilistischen Anleihen echt nochmal etwas neues von dieser routinierten Arbeitsband ist. Da klingen einige Stellen postpunkig, andere progrockig und über fast allem liegt in fast jedem Moment ein Schleier verhauchter Synthflächen, der dem ganzen eine durchweg atmosphärische Note verleiht. Wobei einige dieser Momente, besonders im zwanzigmünitigen Closer, definitiv in Richtung Berliner Schule und Siebziger-Protosynth abkippen. Wer sich vielleicht an das geniale Album Celestite von Wolves in the Throne Room erinnert, könnte dabei vielleicht einige Ideen wiederfinden, nur dass Krallice dafür nicht dem Black Metal den Rücken kehren müssen.
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11
Selpuchorporeal / Amore
Dark Descent
Das erste Mal seit Jahren, dass ich hier eine Split-LP bespreche, was grundsätzlich schon mal ein gutes Zeichen ist, weil ich das für gewöhnlich auch wirklich nur bei Platten mache, die strukturell über die pragmatische Zwei-Fliegen-mit-einer-Klappe-Idee einer solchen Unternehmung hinausgehen. Und im Fall von Abyssal und Ellorsith könnte man das als bewusste Entscheidung oder glücklichen Zufall abtun. Denn mit ihrer Stilistik in der Grauzone zwischen Black- und Death Metal, die beide auf sehr ähnliche Weise beackern, passen sie vom Setting her einfach richtig gut zusammen. So gut, dass die beiden Seiten dieser LP an vielen Stellen klingen wie von einer Band, was in diesem Fall definitiv positiv gemeint ist. Der Sound ist dabei durchgehend erdrückend und düster, was vor allem die infernalischen Vocals bei beiden Gruppen nochmal effektvoll unterstreichen und obwohl Selpurchorporeal / Amore am Ende des Tages auch nicht mehr ist als eine sehr kompetent gemachte Metal-Split, kann ich doch auch nichts schlechtes über sie sagen.
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡⚫⚫⚫ 08/11
Turbulence & Pulse
International Anthem
Schon auf seinem Debütalbum von 2020 beeindruckte mich der Südafrikaner Asher Gamedze mit seinem sehr verkopften und bisweilen theoretisch verwobenen Nerd-Ansatz an das Thema Free Jazz und wenn man das auch mochte, dann kann man Turbulence & Pulse als inhaltliches und ästhetisches Sequel davon verstehen. Wieder fühlt sich die Platte an wie eine praktische Doktorarbeit mit den Mitteln des Jazz, bei der es diesmal vor allem über eine tief metaphysische Auseinandersetzung mit Zeit geht, die Gamedze im Opener der LP auch als eine Art Forschungsfrage erklärt. Was danach folgt ist größtenteils instrumentaler Free Jazz, der dieser These folgend sicherlich irgendeine experimentelle Beweisführung ergibt, deren Verständnis aber wie schon beim letzten Mal nicht den Genuss des Produkts ausmacht. Viel eher erleben wir hier eine weitere Portion stark gemachter, sprirituell und kompositorisch entgrenzter Jazzmusik, die auch ohne den ganzen theoretischen Überbau Spaß macht.
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡⚫⚫ 09/11