Samstag, 16. Januar 2021

Selected Ambient Works

FOUR TET
Parallel
Text Records
2020

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ gemütlich | geduldig | atmosphärisch | minimalistisch ]

Es ist in den meisten Fällen ein eher schlechtes Zeichen, wenn man über eine Platte sagen muss, dass sie sich länger anfühlt als sie eigentlich ist. Gerade dann, wenn das vorliegende Material an sich schon auf eine Spieldauer von 70 Minuten kommt und es sich dabei um ambienten Experimental-Elektropop handelt. Wäre dem aber so, dann hätte ich sicher nicht die Mühe auf mich genommen, besagte Platte hier so ausführlich zu besprechen. Auch nicht deswegen, weil es sich um ein Projekt von Kieran Hebden, dem hochgelobten Magier des seichten Indietronic, handelt. Denn was meine Geduld mit seiner Musik angeht, bin ich schon lange eher Skeptiker als Fan. Zwar gab es von seinem Hauptprojekt Four Tet in den letzten Jahren durchaus die ein oder andere tolle Musik, insgesamt fand die aber in einem doch sehr durchwachsenen Umfeld statt, bei dem auch viel echt seltsamer Kram dabei war. Besonders gilt das auch für die letzte Saison, in der Hebden einmal mehr besonders fleißig und omnipräsent war. Insgesamt fünf Longplayer mit altem und neuem Material veröffentlichte der Brite 2020, zwei davon noch in der letzten Woche des Jahres. Und wenn ich ehrlich bin, dann ist dieses hier wahrscheinlich das einzige, das wirklich der Rede wert ist. Dass es von allen gleichzeitig das unscheinbarste ist, mag da vielleicht überraschen. Als Sammlung von zehn unbetitelten Instrumental-Nummern, die vermutlich auch zu Hälfte aus dem Archiv des Musikers gekramt wurden, versprüht Parallel nicht im Ansatz so viel Prestige wie ein Sixteen Oceans im letzten Frühjahr oder New Energy von 2017. Es ist eher ein sehr ausführliches Spinoff, mit dem Hebden mal ganz in Ruhe seine klangtapetige Seite erforscht. Eine, die ich von ihm noch nie in dieser Intensität gehört habe und die genau dadurch interessant wird. Den Hang zum ätherischen hatte Four Tet ja irgendwie schon immer und nie war der Output des Projekts wirklich hektisch oder intensiv. Doch fehlte stets irgendwie der entscheidende Schritt, der das Prädikat Ambient wirklich rechtfertigte. Und wenn ich ehrlich bin, ist auch Parellel nicht immer so ein Album. In verschienenen Tracks hier gibt es weiterhin die fluffigen Microhouse-Rhythmen und niedliechen Frickeleien, die man von Hebden schon kennt, doch ist es der Rahmen, der den Unterschied macht. Wo es vorher ambiente Ansätze in grundsätzlich nicht-ambienten Alben gab, ist das hier grundsätzlich ein sehr ätherisches Stück Musik, das öfter Mal aus der Rolle fällt. Was dabei aber immer bleibt, ist die Wirkung einer sehr hintergründigen Musik, die gezielt unauffälig bleibt und keine große Bühne will. Was auch viel von ihrer Qualität ausmacht, denn dadurch werden diese langen 70 Minuten zu einem sehr aushaltbaren Backdrop, der kein bisschen anstengend ist. Selbst die Tatsache, dass der Opener mit 26 Minuten fast sein eigenes kleines Album ist, stört im Gesamtkontext kein bisschen. Ein bisschen fühle ich mich dabei an die frühen Alben von Aphex Twin erinnert, die ja auch ziemlich lang und eher wenig ätherisch sind, aber sich trotzdem wie ein großer schnuffeliger Flow anfühlen und darin ihre größte Qualität entfalten. Und obwohl Hebden auch dafür noch ein bisschen zu hibbelig ist, ist der Effekt der gleiche. Das ist vor allem deshalb gut, weil dieses Album nach dem ziemlich chaotischen und wüsten Sixteen Oceans zeigt, dass ästhetischer Fokus eigentlich nicht das Problem dieses Künstlers ist. Was die Wirkung als Gesamtwerk und die Stimmigkeit dieses Projekts angeht, finde ich es sogar noch ein bisschen cooler als damals New Energy. Außerdem kam es Ende Dezember genau zur richtigen Zeit, da es in fast allen Songs ein etwas unterkühltes, aber dennoch heimeliges Wintergefühl vermittelt. Wenn man so will, ist es damit sogar eine ziemlich coole Parallele (haha!) zum sehr frischen und sonnigen Sixteen Oceans, das im vergangenen März erschien. Auch unabhängig von Witterung und Außentemperatur kann ich das hier aber als eine sehr angenehme, weil unkomplizerte Übung in atmosphärischer Chillout-Tapete empfehlen, die einfach wahnsinnig genießbar ist. Es ist lange her, dass ich über Four Tet das letzte Mal so wohlwollend empfand und so wie ich den Briten kenne, wird es auch noch ein Weilchen dauern, bis das das nächste mal so sein wird. Zumindest kann ich mir bei ihm aber immer sicher sein, dass irgendwann wieder so ein Projekt kommt, auf dem es einfach läuft. Zwischendurch müssen wir nur ein paar Tiefflüge ertragen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡⚫⚫ 09/11

Persönliche Höhepunkte
Parallel 1 | Parallel 2 | Parallel 4 | Parallel 5 | Parallel 6 | Parellel 7 | Parallel 8 | Parallel 9 | Parallel 10

Nicht mein Fall
Parallel 3

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen