Mittwoch, 13. Januar 2021

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Katia Krow - I've Called Off the Search, I Know Exactly Where You AreKATIA KROW 
I've Called Off the Search, I Know Exactly Where You Are
Die-Ai-Wei
2021



 
 
 
 
[ ätherisch | abstrakt | tragisch ]

Achtung! Achtung! Die Platte, die hier besprochen wird beschäftigt sich intensiv mit den Themen Trauer, Tod und Verlust, weshalb auch in diesem Text darüber geschrieben wird. Wenn das also Sachen sind, über die du gerade lieber nicht lesen willst, dann hör besser einfach auf.
 
Über Ambient-Platten zu schreiben ist für mich persönlich immer eine Herausforderung, da es ja irgendwie in der Natur der Sache liegt, das die Methoden Worte und Sprache generell nicht die beste Annäherung an solche Musik sind. Wenige stilistische Bereiche der Popmusik sind so konsequent ungreifbar, durchsichtig und mit klaren kompositorischen Entscheidungen geizig, dass man sich an jeden noch so kleinen Fetzen konkreter Information klammert, um das musikalische Erlebnis irgendwie in eine beschreibende Form zu bringen. Was die Sachlage bei jemandem wie Katia Krow noch schwerer macht, denn hier sind selbst die grundlegenden Ansatzpunkte recht schleierhaft. Was ich über I've Called Off the Search, I Know Exactly Where You Are sicher weiß ist, dass es das offizielle Solodebüt des Projekts aus Dubai ist, das normalerweise eine Hälfte des experimentellen Electronica-Duos Odi ist und seit letztem Jahr auch alleine Musik macht. Ob es sich dabei wirklich um eine Einzelperson mit weiblicher Identität handelt, was diese genau macht und welche Bedeutung dieses Album für sie als Künstlerin und Person hat, bleibt aber zur Spekulation offen. Wobei man sagen muss, dass die vorliegende Platte wenigstens dazu reichlich Anlass gibt und ein äußerst stringentes Konzept präsentiert, das auch inhaltlich nicht ohne ist. Ich habe zu folgendem bisher zwar nirgends eine Bestätigung gefunden, doch lässt das, was Krow hier blicken lässt, eigentlich keine zwei Interpretationen zu. Denn was in ihren langen und lyrischen Songtiteln sowie einem kurzen Gedicht auf der Bandcamp-Seite der LP an Informationen gegeben wird, macht sehr deutlich klar, dass I've Called Off the Search die musikalische Dokumentation eines Trauerprozesses ist, bei dem vor allem das Erlangen von Einsicht eine wichtige Rolle spielt. Die neun sehr abstrakten, instrumentalen Tracks verfolgen Stück für Stück die Wahrnehmung, dass eine bestimmte Person nicht mehr Teil des eigenen Lebens ist. Vor allem die Titel der Songs erzählen dabei die Geschichte dieses Albums. Von der anfänglichen Verdrängung und Sehnsucht in Everything I've Seen Needs Rearranging oder I See Your Picture, It's in the Same Old Frame geht es über eine schockierenden Wahrnehmung in When the Cold Hit und After the Cold Hit hin zur finalen Akzeptanz im Titeltrack sowie dem unmissverständlichen Closer You Are Dead. Der Begriff der Suche, das Aufkommen von Unklarheiten und Fragen sowie Teile des beigefügten Gedichts lassen zudem vermuten, dass eventuell Gewalt eine Rolle gespielt hat. Mit jeglicher klaren Information geht Katia Krow hier aber weite Umwege und versteckt so gut wie alles hinter einem Schleier aus Poesie und Klangkunst. Womit wir auch zur eigentlichen Musik kommen. Grundsätzlich kann man sich die einzelnen Tracks dabei vorstellen wie abstrakte Gemälde, die ihre Bedeutung über Titel kommunizieren und erst damit wirklich Kontext entfalten. Denn hat man den Inhalt dieser LP erstmal durchschaut, merkt man schnell, wie auch die Komposition den Beschreibungen folgt. Strukturell hat I've Called Off the Search gewisse Ähnlichkeiten mit der Everywhere at the End of Time-Serie von the Caretaker, bei dem ebenfalls ein fortschreitender Prozess instrumental beschrieben wird, und auch hier geschieht das vor allem mit Mitteln der Dekonstruktion von Songwriting. Soll heißen, dass diese LP vor allem von der Veränderung lebt, die ihr Sound in den verschiedenen Stadien durchläuft. So ist der Beginn der Platte im Opener It's Apparent That a Dream That Was Once Shared Died ist mit den soften Gitarrenharmonien sehr melancholisch und fast noch romantisch, verliert aber im weiteren Verlauf immer mehr an Struktur und Farbe. Aus den dreampoppigen Klangflächen werden sukzessive flirrende Ambient-Passagen, wirre Avantgarde-Konstrukte und in den letzten beiden Tracks schließlich düstere, leere Schatten von Songs, die ganz am Schluss in einem vernichtenden Drone gipfeln. Nicht immer ist die Veränderung dabei komplett linear und einige Richtungen der Platte sind mir äußerst rätselhaft, doch wird die Idee grundsätzlich klar: Mit dem Verlust der Person und der Einsicht des Todes verschwindet auch das Leben aus dem Klang dieser Stücke und beschreibt das farblose und klamme Loch der Trauer. Und allein für diesen dokumentarischen Eifer finde ich Katia Krow beeindruckend. Doch auch wenn ich ihr Konzept grundsätzlich verstehe und die LP künstlerisch keinesfalls misraten oder pietätlos ist, fällt es mir doch schwer, mich wirklich in die Geschehnisse davon einzufühlen. Das liegt keinesfalls daran, dass die Künstlerin hier rein instrumental arbeitet, genau diese Art von Platten finde ich eigentlich immer besonders ansprechend. Und über das Thema Trauer gab es in den letzten Jahren viele echt ergreifende Alben. Viel eher habe ich das Gefühl, dass die Musik (und in gewisser Weise auch die lyrischen Beschreibungen dazu) am Ende doch ein bisschen zu wenig klar machen, was eigentlich gemeint ist. Oft habe ich den Eindruck, dass diese Songs mir starke Emotionen abverlangen, doch weiß ich oft nicht, welche das genau sind. Und wo sich solche Sachen bei the Caretaker oder auch William Basinski immer stringent anfühlen, variiert auf diesem Album zu oft die Intensität und der Fokus der Tracks. Das alles macht I've Called of the Search nicht zu einem mittelmäßigen Projekt und ich will dem hier weiß Gott nicht vorwerfen, dass irgendwelche individuellen Empfindungen von Trauer illegitim wären. Viel eher möchte ich sagen, dass das hier ein schweres Thema ist und damit auch schwer künstlerisch zu kommunizieren geht. Wenn dieses Album für Krow selbst oder jemand anderen eine persönliche Aufarbeitung war, dann hat es seinen Zweck subjektiv gesehen schon mehr als erfüllt. Dass es mir als unbeteiligte Person den gleichen Effekt gibt, kann man aber einfach nicht erwarten. Und das ist auch okay so.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
It is Apparent That the Dream We Once Shared Died | Everything I've Seen Needs Rearranging | After the Cold Hit | You Are Dead

Nicht mein Fall
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