Sonntag, 31. Januar 2021

Mr. Roboto

Steven Wilson - The Future Bites STEVEN WILSON
the Future Bites
Caroline International
2021

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ klinisch | pretenziös | zukunftspessimistisch ]

Es ist in erster Linie eine naheliegende Vermutung, dass der Steven Wilson der Zwotausendzwanziger kein Interesse mehr daran hat, ein Rockmusiker zu sein. Was sich seit dem letzten Album seiner Hauptband Porcupine Tree und deren inoffizieller Auflösung 2009 bereits andeutete, hat sich in den zwölf Jahren, der nun solo unterwegs ist, noch verhärtet. Seine letzte ansatzweise rockige Platte the Raven That Refused to Sing ist von 2013, und selbst die war nicht gerade ein Pommesgabelbrett. Stattdessen scheint es ihn seitdem vor allem in die Gefilde des Erwachsenenpop und Synth-Prog zu ziehen, immer mal mit ein paar neuen Ausprägungen und Ideen dahinter. Die anschließende Frage, ob das eine gute Nachricht ist, lässt sich indes nicht so leicht beantworten. Zumindest für mich nicht. So hat die Hinwendung weg von Gniedelei und technischer Masturbation auf der einen Seite für das Ende einer sehr anstrengenden Prog-Diskografie gesorgt und resultierte noch vor einigen Jahren in Platten wie Hand.Cannot.Erase oder 4 ½, die ich eigentlich ganz gerne mochte. Auf der anderen neigt Wilson jetzt auch mehr und mehr dazu, diese bestimmte Sorte von neunmalklug-snobistischen, Black Mirror-artigen We Live in A Society-Alben zu machen, die teilweise noch anstrengender sind als die schlimmsten Phasen seiner früheren Bands. Und leider Gottes ist seine neueste LP the Future Bites mal wieder ein ziemlicher Härtefall davon. Ich würde mich sogar dazu hinreißen lassen, sie als die bisher schwächste Soloplatte des Briten zu bezeichnen. Was erneut an zwei Hauptfaktoren liegt, die beide viel mit Haltung zu tun haben. Einfach erklärt sind sowohl Texte als auch Musik dieses Albums aus einer sehr selbstgefälligen Position heraus geschrieben, die einfach sehr schnell nervt. Grundsätzliches Konzept ist dabei mal wieder die moderne, technokratische Gesellschaft und der damit einhergehende, prognostizierte Sittenverfall. In Self geht es um Selbstinzenierung mit einer guten Portion Snowflake-Bashing, Man of the People disst neurechte Fake-News-Politiker*innen, also letztendlich vor allem Boris Johnson und Personal Shopper handelt vom bösen Kapitalismus. Wie schon auf vorigen Alben benennt Wilson diese Probleme dabei grundsätzlich, schafft es allerdings nicht, sie als Teil größerer Probleme zu identifizieren. Viel eher zeigt der anklagende Finger des Albums auf eine empfundene Schlafschafigkeit der Endverbrauchenden, die es hier zu den Hauptverantwortlichen des Untergangs abkanzelt und mit Verheißungen redpillt, die schon in den Neunzigern konservativ gewesen sein dürften. Wobei man ehrlich gesagt froh sein kann, dass Wilson sich wenigstens die aufklärerische Corona-Hymne gespart hat, die seinen boomerigen Ted Talk thematisch noch richtig gut abgerundet hätte. Doch wäre auch das alles nur halb so wild, wenn wenigstens die Umsetzung stimmen würde, die aber ähnlich konservativ und ahnbar ausfällt. Weil das hier ja ein Album über die schlimme Technokratie und Entmenschlichung der Gesellschaft ist, muss es natürlich kalt, maschinell und synthetisch klingen. Wilson macht dabei im Prinzip Popmusik, aber eben nicht die kommerzielle Sorte, die der Plebs hört, sondern eine aufgeklärte Reinform. Was in etwa heißt, dass diese von jeglicher persönlichen Note und Action entkeimt wurde und nun einfach extrem klinisch und langweilig wirkt. In den schlimmsten Momenten klingt das ganze dann aufgebläht-schlagerig wie auf 12 Things I Forgot, in anderen wie Eminent Sleaze versucht die Platte mit Schnapsideen wie Funk-Licks und subtilen Beats, der Sache noch irgendwie Leben einzuhauchen. Trauriger Höhepunkt ist dann das fast zehnminütige Personal Shopper, dessen zweite Hälfte zu sehr großen Teilen aus einer Computerstimme besteht, die wahllos Produktnahmen über ein hektisches New Wave-Motiv intoniert. Eine Idee, die garantiert noch niemand vorher hatte. Die wenigen okayen Momente der LP sind letztendlich die, die am simpelsten gestrickt sind und in denen es mal etwas ruhiger wird. Und auch wenn die allein die Suppe nicht wirklich fett machen, zeigen sie zumindest andeutungsweise, dass Steven Wilson es prinzipiell immer noch drauf hat, wenn er nicht gleich Jesus Ghandi Skywalker sein will. Nur kommen diese Momente auf the Future Bites eher selten vor. Und das ist genau der Punkt, an dem ich keinen Bock auf diese Platte habe, was auch nicht zum ersten Mal der Fall ist. Wäre das hier die Musik des menschlichen Widerstands im Kampf gegen die Maschinen, dann wäre ich für meinen Teil schon lange auf der Seite der Maschinen. Denn wo die wenigstens Hatsune Miku haben, haben wir nur diesen blutleeren Prog-Lauch mit Gottkomplex. Und damit nicht den Hauch einer Chance.

🔴🔴🔴03/11

Persönliche Höhepunkte
Man of the People | Count of Unease

Nicht mein Fall
Self | 12 Things I Forgot | Eminent Sleaze | Personal Shopper

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