Mittwoch, 27. Januar 2021

Eine Theorie von Blau

Elori Saxl - The Blue of Distance ELORI SAXL
the Blue of Distance
Die-Ai-Wei
2021

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ meditativ | ätherisch | erhaben | konzeptuell ]

Wann immer Musiker*innen aus dem Bereich des instrumentalen Ambient sich anschicken, ihrer Arbeit inhaltliche Konzepte zu verpassen und damit beginnen, einer an sich sehr abstrakten Kompositorik irgendwelche wüsten Prozesse zu erforschen, dann kann es erfahrungsgemäß schnell pretenziös werden. Unabhängig davon, wie gut eine jeweilige Platte rein musikalisch ist, ist es mitunter nochmal eine ganz andere Frage, was ein*e Künstler*in damit aussagen will. Und wenn es dabei an Dingen wie Lyrics oder einer nachvollziehbaren Struktur im Songwriting fehlt, wird es nicht selten schwer, klare Bezüge herzustellen. Und wie bei abstrakter Malerei oder Fluxus-Performances fragt man sich dann manchmal, wie viel von der angehefteten Idee im fertigen Produkt eigentlich drin steckt. Das neue Album von Elori Saxl ist da ein ziemlich gutes Beispiel. In einem sehr ausführlichen Begleittext zu the Blue of Distance beschreibt die New Yorker Künstlerin auf ihrer Bandcamp-Seite ein ziemlich hanebüchenes Konzept hinter dieser LP, das mit virtueller Realitätserfahrung, Projektion von Erinnerung, der Identität von Orten, modularen Synthesizern, Fotos auf Google Maps und dem Sampling von Wasser zu tun hat. Es gibt dabei viele Punkte, die ich offen gesagt nicht verstanden habe und auch wenn ich einige Grundgedanken echt spannend finde, habe ich keinen blassen Schimmer, wie genau sich das ganze nun auf ihre Musik überträgt. Doch habe ich beschlossen, Saxl in dieser Hinsicht einfach mal zu vertrauen. Immerhin ist die Frau in diesem Bereich äußerst erfahren, hat Scores für zahlreiche Dokumentationen komponiert und war sogar schon für Emmys nominiert. Dass sie weiß, was sie tut, kann man also annehmen. Und selbst wenn dem nicht so wäre, wäre es mir persönlich eigentlich egal. Denn was auf the Blue of Distance musikalisch passiert, ist so oder so richtig gut. Auf den sieben Tracks dieses Albums findet die New Yorkerin eine angenehme Balance zwischen elektronischen Ambient-Flächen, zeitgenössischer Klassik und Field Recordings, die insgesamt sehr meditativ und kohärent ist. An vielen Stellen scheint dabei eine gewisse Repetetion eine Rolle zu spielen, außerdem natürlich die bereits angesprochenen Klänge von Wasser, die hier in mannigfaltigen Formen auftauchen. Vieles daran erinnert irgendwie an die sinfonischen Projekte eines James Ferraro, eine weniger aufgekratzte Form des letzten Julia Holter-Albums oder an ätherische Doku-Soundtracks, die irgendwie ein Gefühl von Größe und Erhabenheit vermitteln. Mal sind sie dabei flirrend und detailverliebt, mal spannen sie weite kompositorische Bögen und mal wabern sie einfach vor sich hin. Die Art, wie dabei elektronische Flächen mit Streichern und Holzbläsern interagieren, ist äußerst stimmig und nicht selten echt clever gemacht. Als klangtapetige Chillout-Musik funktioniert the Blue of Distance dabei nur bedingt, da es doch manchmel sehr düster wird und man die clubbigen Einflüsse, von denen Saxl im Begleittext schreibt, ganz subtil mitbekommt. Der grundlegenden Qualität der Platte tut das aber keinen Abbruch, es macht sie vielleicht sogar ein bisschen aktiver als die meisten Ambient-Alben. Und obwohl ich glaube, dass mein persönliches Endresultat sich bei diesem Album erst auf längere Zeit hin wirklich zeigen wird, bin ich im Moment doch gefesselt von den Klängen, die hier fabriziert werden. Den Grund dafür begreife ich wie gesagt noch nicht ganz, aber auch das kann ja noch kommen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡⚫⚫ 09/11

Persönliche Höhepunkte
Blue | Wave I | Memory of Blue | Wave III | the Blue of Distance

Nicht mein Fall
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