Sonntag, 3. Januar 2021

Überall Gespenster

Phoebe Bridgers - Punisher PHOEBE BRIDGERS
Punisher
Dead Oceans
2020
 











 
[ düster | seicht | melancholisch ]

Dass Phoebe Bridgers eine Künstlerin war, deren Beliebtheit und einwandfreies Standing in der Indieszene ich seit jeher unterschätzt hatte, rächte sich spätestens in den letzten Wochen von 2020. In dem Moment, als es anscheinend keine Jahresbestenliste irgendeines Musiknerd-Outlets dieser Welt gab, auf dem Punisher, das zweite Album der 26-jährigen Kalifornierin, nicht auftauchte. Und dass es eine Überraschung war, konnte man auch nicht gerade sagen: Nicht nur gab es bereits im Juni, als die LP ursprünglich erschien, einen äußerst positiven Grundkonsens darüber, auch ist Bridgers seit Jahren eine Künstlerin, die mehr und mehr Aufmerksamkeit in der Bubble auf sich zieht. Seit ihrem noch eher geheimtippigen Debüt Stranger in the Alps von 2017 hat sie unter anderem mit Hochkaräter*innen wie Lucy Dacus, Julien Baker, Mercury Rev und Matt Berninger zusammengearbeitet und sogar mit Conor Oberst eine Band gegründet. Selbst in der übersättigten Welt der Indie-Songwriterinnen gibt es wenige Newcomer, die so einen Raketenstart hinlegen. Und spätestens auf Punisher scheint sich die Welt einig zu sein, dass sie Phoebe Bridgers liebt. Was ich objektiv gesehen auch verstehen kann, vor allem in Hinblick auf die lyrischen Narrative, die sie aufbaut. Schon auf ihren früheren Songs hatte sie einen gewissen Hang zu Symbolen aus der Geisterwelt und zu übernatürlichen Referenzen, die sie auf diesem Album wirkungsvoll ausbaut. Die elf Tracks auf Punisher handeln zwar auf den ersten Blick wieder von ganz normalen Sachen wie Beziehungskrisen, Familie oder Tourgeschichten, doch umschwebt viele davon eine Art gespenstische Aura, die wie ein doppelter Boden wirkt. Bridgers' Texte verwenden metaphorisch oft Bilder von Geistermasken, UFOs, Traumwelten und Vorsehungen, die allem ein bisschen das Gefühl geben, dass dunkle Mächte in diesen Songs ihr Unwesen treiben. Vieles erinnert mich dabei an die Art, wie Thom Yorke in den Neunzigern Stücke schrieb, nur dass auf musikalischer Seite hier eine ganz andere Kontrastierung stattfindet. Die lässt mich dann eher an Leute wie Sharon van Etten, Elliott Smith oder Sophie Allison denken. Oft schreibt Bridgers dabei weiterhin leichte Gitarrensongs, mehr und mehr traut sie sich aber auch aufwändigere Arrangements. So ist Kyoto ein einigermaßen schmissiger Rocksong, in Chinese Satellite und DVD Menu hört man teils sehr schicke Bläser- und Streicherarrangements und im sechsminütigen Closer I Know the End wird sogar nochmal das ganz große Indiepop-Besteck ausgepackt, das nach den großen Momenten von Arcade Fire, Neutral Milk Hotel oder Sufjan Stevens klingt. Gerade an diesen Stellen muss man dann auch deutlich sagen, dass Phoebe Bridgers hier mehr ist als nur eine duselige Gitarrensongwriterin, sondern eine durchaus ambitionierte Gesamtkünstlerin. Aber empfinde ich das hier deshalb als ein geniales, wichtiges Statement im Indierock der letzten Jahre? Leider noch immer nicht wirklich. Der Hype um Punisher hat es geschafft, dass ich mich diesmal ernsthaft mit dieser Musikerin auseinandersetzen wollte und auch finde, dass sie gute Songs schreiben kann. Noch immer könnten diese aber textlich wie musikalisch etwas runder und fokussierter sein und ich habe nach wie vor das Gefühl, dass Bridgers Kompositorik nicht zu hundert Prozent meine Aufmerksamkeit einfordert. Besonders im lyrischen hat diese LP auch immense Ähnlichkeit mit einem Album wie Color Theory von Soccer Mommy, das mich musikalisch einfach mehr Gewicht hebt und immerhin von einer Künstlerin kommt, die nochmal fünf Jahre jünger ist. So gesehen habe ich einfach nicht den Eindruck, hier viel verpasst zu haben. Wenn überhaupt, dann bin ich gespannt darauf, was Bridgers mit den hier gesteckten Parametern in Zukunft anstellt und wie sie die hier behandelten Konzepte vielleicht noch ausbaut. Denn ein richtig gutes Album kann sie, nur ist es das hier in meinen Augen noch nicht ganz.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11


Persönliche Höhepunkte: Kyoto | Punisher | Chinese Satellite | I Know the End

Nicht mein Fall: -

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