Freitag, 18. Januar 2019

Weil es immer noch weh tut




















[ emotional | schwermütig | synthetisch ]

Dass Sharon van Etten nicht zum Spaß auf dieser Welt ist und sie ihre Musik nicht aus bloßer Langeweile schreibt und singt, ist in ihrer bisherigen Diskografie vielleicht die wichtigste Konstante überhaupt gewesen. Seit ihrem Debüt Because I Was in Love vor zehn Jahren ist sie definitiv eine der ernsthaftesten und humorlosesten Songwriterinnen ihrer Zunft, die in ihren Stücken stets aufarbeitet, ausblutet und Herzen auf den Tisch knallt, und das auch immer aus gutem Grund. Das produzieren von Kunst dient für sie nicht primär dem Zweck der Unterhaltung, sondern vor allem der eigenen Katharsis, was über lange Zeit ein wenig für den Eindruck gesorgt hat, dass mit dieser Frau nicht gut Kirschen essen ist. Auf der anderen Seite hat sie das aber zu einer faszinierenden Musikerin gemacht, der man wahnsinnig gerne zuhört, weil es einfach so schön weh tut. Das Drama in ihren Texten ist stets irgendwie real, die Dringlichkeit ihrer Anliegen durchweg überzeugend, die Schwermut tief gesät. Nicht zuletzt deshalb wirken ihre Alben auf mich noch immer so munumental und respekteinflößend. Ihr letzter Longplayer Are We There? von 2014 spielte zwar mit einer Form von Optimismus, hatte aber zuletzt doch ein bisschen zu sehr das Messer an der Kehle, um das wirklich eindeutig zu verkaufen. Was im Hiblick auf ihr neues Werk nun die Frage aufwirft: Kann diese Künstlerin überhaupt eine Platte machen, die nicht total aufgekratzt und gramvoll klingt? Meiner Meinung nach zumindest nicht einfach so. Und weil das scheinbar auch Sharon van Etten begriffen hat, ist Remind Me Tomorrow nach fast fünf Jahren ohne neues Material von ihr jetzt der Versuch, auch musikalisch einen etwas anderen Ansatz zu finden. Der Großteil der zehn Tracks auf dieser LP wurde mit einem Roland Jupiter 4-Synthesizer geschrieben, einem ungewohnten, weil synthetischen Instrument für die Künstlerin, der dazu dienen sollte, neue Mittel und Wege für sie zu eröffnen. Diese wiederum waren notwendig, weil van Etten sich hier erstmals dazu entschieden hat, Songs über ihr Glück zu schreiben. Über ihre tolle Beziehung, ihr Kind, ihr gefundenes Leben. Remind Me Tomorrow ist nach der langen Pause sozusagen ein neues Kapitel, das gefälligst auch wie eines klingen sollte. Gelungen ist das am Ende aber eher so semi. Denn wie zu erwarten war, steht sie sich dabei ein bisschen selbst im Weg. Die Songs hier behandeln zwar all diese schönen Dinge und man hat mitunter auch den Eindruck, dass vieles hier weniger schwarzmalerisch ist als auf den Vorgängern, doch werfen all diese Texte noch immer Schatten, die man einfach nicht übersehen kann. Das für sich ist aber kein Grund, diese Platte doof zu finden. Im Gegenteil, es schafft Nuancen, hat Verbindungen zu ihrem früheren Output und wirkt nicht so gestellt wie eine forciert optimistische LP. Eine Sharon van Etten kann eben nicht aus ihrer Haut und das ist auch total in Ordnung so. Was nicht so in Ordnung ist, ist das ziemlich chaotische Songwriting, das in Zusammenhang damit stattfindet. Vergleicht man die Musik, die die Künstlerin hier geschrieben hat mit der, die auf Are We There zu hören war, kann man fast nicht anders, als Remind Me Tomorrow als gewaltigen Rückschritt zu bezeichnen, der noch dazu völlig sinnlos ist. Wo vor fünf Jahren ein lange gezogener, ziemlich kreativ produzierter Band-Sound stand, gibt sie sich hier einer klammen, in der Studio-Retorte gezüchteten Synthetik-Brühe hin, die nicht nur viel düsterer klingt als die letzte Platte, sondern auch noch komplett ihren Charakter als Sängerin verfehlt. Dass ihr neues Lieblingsinstrument, der ach so großartige Jupiter 4, dabei klingt wie ein 150-Euro-Kinderspielzeug, kommt erschwerend hinzu. Man könnte das alles sicherlich als kompositorische Experimente ansehen, doch wenn, dann wurde letztendlich nicht viel daraus gemacht. Nicht ein Song hier schafft es, die Tragweite seines lyrischen Inhalts anständig fortzusetzen und was die Produktion angeht, so wurde ebenfalls mächtig geschludert. Letzteres ist besonders verwunderlich, da mit John Congleton hier einer der bemerkenswertesten Indie-Produzenten der letzten Jahre hinter den Reglern saß. In seinen besten Momenten ist Remind Me Tomorrow musikalisch eine billige Synthpop-Born to Run-Kopie oder akzeptabler Marissa Nadler-Kammerpop, in den schlechtesten der Versuch, auf einem Keyboard rumzudrücken und dabei wie Kate Bush zu klingen. Wäre es nicht um die noch immer tief greifenden und passionerten Lyrics, das hier wäre ein ziemlicher Totalausfall geworden. So ist es das bisher schwächste Album von Sharon van Etten, aber wenigstens kein peinliches.


Klingt ein bisschen wie:
Mitski
Be the Cowboy

Marissa Nadler
For My Crimes

Persönliche Highlights: Comeback Kid / Seventeen / Hands / Stay

Nicht mein Fall: I Told You Everything / No One's Easy to Love / You Shadow


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