Mittwoch, 30. Januar 2019

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[ rotzfrech | spaßig | zynisch ]

Wenn Fidlar aus Los Angeles sich in den letzten Jahren als eines etabliert haben, dann als sowas wie die neuen Lifestyle-Experten zum Thema gepflegt kalifornischer Hedonismus. Nachdem die Red Hot Chili Peppers nun mittlerweile endlich auch ruhiger geworden sind, man sich bei Snoop Dogg nicht mehr ganz sicher ist, ob er überhaupt noch kifft und Lana del Rey so ziemlich das Gegenteil von Partylaune verbreitet, ist das Punk-Quartett seit einiger Zeit so ziemlich die beste Anlaufstelle für Songs über belanglosen Suff, räudige Van-Tourgeschichten und adoleszenter Ekstase. Nicht nur, weil sie selbst sehr gut wissen, was Exzess bedeutet und nicht nur darüber singen, sondern auch, weil sie dieses Thema inzwischen sehr reflektiert und aus vielen Perspektiven bearbeitet haben. War ihr selbstbetiteltes Debüt 2013 noch ein jugendliches und bis oben hin mit Bay Area-Klischees überhäuftes Sauf- und Surf-Projekt von vier feierwütigen Teenagern, ging es spätestens zwei Jahre später auf Too schon etwas ernster zu. Es ging zwar immer noch um Party, aber eben auch um die Momente, in denen mal jemand nicht mehr von ein paar Ohrfeigen aufwacht und man schon mal Probleme hat, auf die allmorgentliche Sportzigarette zu verzichten. Fidlar klangen hier wie der eklige Kater am Tag danach, nach Konterbier und Reue. Nicht die Art von Reue, die einen komplett auf den Spaß verzichten lässt, aber auch nicht mehr nach jugendlichem Leichtsinn. Dementsprechend spannend war die Frage, wie diese Entwicklung auf ihrem dritten Album weitergehen würde. Die helle und die dunkle Seite waren beide einmal beleuchtet, welche Schlüsse würde die Band daraus inhaltlich ziehen? Kompletter musikalischer Detox? Ganz neue musikalische Themen? Oder doch wieder zurück zum Party Rock Anthem? Hört man sich Almost Free in seiner Gänze an, rückt diese Frage aber erstmal in den Hintergrund. Das erste, was Fidlar im Vergleich zu den Vorgängern nämlich umgestellt haben, ist ihre musikalische Diversität. Schon auf Too war die klangliche Spanne weit größer als bloß Punk, Surfrock und Hardcore, doch was sie hier machen, ist schon ein starkes Stück: Es gibt Einflüsse aus Hiphop, Country, Nu Metal, Emorock und Garagen-Noise, natürlich zusätzlich zu den bekannten Basis-Styles und Tracks, die abwechselnd an die Beastie Boys (Get Off My Rock), Ty Segall (Called You Twice), Beck (Kick), Blink-182 (By Myself), Weezer (Good Times Are Over) oder sogar Sachen wie Smash Mouth oder Sex-Bob-Omb erinnern. Das klingt alles relativ weit hergeholt, passt im Gesamtkontext aber ziemlich gut zur Ästhetik von Fidlar und wirkt miteinander kombiniert kein bisschen unfokussiert. Und es gestattet der Band, auch lyrisch in ganz verschiedene Richtungen zu gehen. So gibt es Stücke über Beziehungen, die kommunikative Schwierigkeiten behandeln, völlig sinnlose Cuts wie Nuke und den Titeltrack und mit By Myself und Good Times Are Over auch zwei fantastisch zynische Herangehensweisen an das Lieblingsthema aller Musiker*innen seit dem letzten Jahr: Depressionen. Mit Alcohol ist nur ein einziger Track zu finden, in dem es explizit um hedonistische Themen (und um Alkoholismus) geht, aber es ist bei weitem nicht so, als würden Fidlar ihre Beschäftigung damit hier ruhen lassen. Der Party-Lifestyle ist hier viel eher ein unterschwelliger Begleiter, der Entweder Auslöser oder Resultat vieler Dinge auf diesem Album ist. Die Freundin haut ab, weil man die ganze Zeit zugedröhnt ist, man verliert die Kumpels, die erwachsen werden, weil sie nicht Vollzeit-Profimusiker sind, man beginnt sich mit den eigenen Ängsten und Fehlern zu beschäftigen und weil man den ganzen Mist nicht aushält, greift man wieder zum toxischen Getränk. Auf vielen Songs hier wird dieser Teufelskreis ironisch-distanziert und mit reichlich twitterigem Humor vorgetragen, aber man merkt schon, dass es echt ist. Es ist ein bisschen wie in dieser einen Szene aus Rick & Morty, genauergesagt dieser hier. Insbesondere By Myself mit seinem fluffigen Ska-Beat ist unfassbar schmerzhaft und man kann mittlerweile sagen, dass Fidlar diese Art von Hilfeschrei-Rückzug-Songwriting ziemlich bösartig kultiviert haben. Über den Unterhaltungswert dieser Tracks spreche ich lieber nicht, weil das in meinen Augen deren emotionale Unmittelbarkeit diskreditieren würde (a.k.a. darüber zu urteilen wäre über die Echtheit dieser Gefühle zu urteilen, was absolut anmaßend ist). Fakt ist, dass diese Präsentation etwas mit mir macht und meine eigenen Denkprozesse anregt. Und wenn das passiert, kann die Musik so schlecht gar nicht sein. Und das macht Almost Free zu einem besonderen Album, obwohl hier bei weitem nicht jede Idee so genial ist und ich generell sagen würde, dass Too weiterhin das stärkste musikalische Statement der Kalifornier bleibt. Was diese LP schafft, ist die Erzählung von Fidlar um ein paar weitere Facetten zu ergänzen und letztendlich doch das Album zu sein, das wir nach den ersten beiden brauchten. Weil wir jetzt auch wissen, dass der Weg von hier aus dunkler wird...



Klingt ein bisschen wie:
Various Artists
Scott Pilgrim vs. the World O.S.T.

Ty Segall
Ty Segall


Persönliche Highlights: Get Off My Rock / Can't You See / By Myself / Nuke / Kick / Good Times Are Over

Nicht mein Fall: Alcohol / Thought.Mouth.

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