Donnerstag, 17. Januar 2019

Economies of Babylon




















[ kopflastig | politisch | lyrisch | ökonomisch | poprappig ]

Ich habe echt eine Weile überlegt, ob ich mir die Tortur antun würde, im Nachhinein noch über das neue Album von Lupe Fiasco zu schreiben. Ich wusste, einen Gefallen würde ich mir damit nicht unbedingt tun: Fast eine Stunde und vierzig Minuten geht das siebte Projekt des Rappers aus Chicago, noch dazu ist es unglaublich verkopft und mit vielen Fußnoten versehen, ein politisch gefärbtes Essay von einem Album, für dessen Genuss ein abgeschlossener Bachelor in Wirtschaftsdiplomatie auf jeden Fall von Vorteil ist. Wenn man einfach nur auf der Suche nach einer unterhaltsamen Rap-Platte ist, kann man hier direkt aufhören zu lesen, Drogas Wave ist so ziemlich das Gegenteil davon. Auf der anderen Seite: Wer wenn nicht Lupe Fiasco könnte so ein Ding glaubwürdig über die Bühne bringen? In den vergangegen Jahren ist er bei mir als einer der sicherlich spannendsten MCs aus der Conscious-Nische hängen geblieben, der auch komplizierte Sachverhalte ansprechend in Musik verpacken kann und bereits ein paar tolle Konzeptalben in seiner Vita zu verzeichnen hat. Bestes Beispiel dafür ist sicherlich das grandiose Tetsuo & Youth von 2015, das ich inzwischen für eine der besten Rap-Platten halte, die ich hier je besprochen habe. Wenn es jedoch um seine aktuellste Veröffentlichung geht, scheint sich Lupe an einer anderen Instanz messen zu müssen, nämlich dem direkten Vorgänger dieser LP. Die ist nicht nur deshalb so wichtig, weil sie eben der Vorgänger ist, sondern auch, weil sie quasi als Prequel für Drogas Wave funktionieren soll, passenderweise trägt sie ja auch den Titel Drogas Light. Vergleicht man die beiden Alben aber direkt, fällt doch schnell auf, dass jenes Prequel am Ende nicht mehr als eine kurze Ouvertüre gewesen sein kann. Das gilt vor allem für die lyrische Ebene. Wo sich Light vor zwei Jahren wie viele Rap-Projekte im Moment mit den Zuständen politischer Ungerechtigkeit und Diskriminierung, vor allem von Personen of Color, beschäftigte, und dabei schon sehr tief griff und überraschende Perspektiven aufzeigte, bringt Wave das nun noch einmal auf ein komplett neues Level. Hier sucht Lupe die Wurzel des Problems nicht mehr in der heutigen Gesellschaft der USA, sondern in der globalen Historie. Vom Sklavenhandel über den Kolonialismus und diverse andere Stationen stößt er dabei auf ein ganzes Füllhorn von wahnsinnig komplexen geopolitischen Themen, die zum großen Teil die Basis dieses Albums bilden. Moderne Sklaverei, Sweatshops, internationale Handelsabkommen, panafrikanische Befreiungsbewegungen, Drogenkriege, Fluchtursachen und Blood Diamonds sind nur einige der Sachen, die dabei hier auftauchen und mit denen der Rapper hier versucht, das größtmögliche Bild zu zeigen. Und obwohl dafür selbst 24 Tracks in fast zwei Stunden äußerst knapp bemessen sind und diese gigantische Message mit dem Konzept von Popmusik unvereinbar scheint, muss ich sagen, dass auf Drogas Wave insgesamt ein ganz guter Job gemacht wurde. Sicher, die Platte leuchtet bei weitem nicht alle Ecken aus und bleibt nicht immer konsequent beim Thema, sie ist am Ende aber auch immer noch ein Musikalbum und keine Enthüllungsreportage. Lupe Fiasco schafft es (meistens), die Balance zwischen sachlicher Darstellung und musikalischer Finesse aufrecht zu erhalten und die Stories, die er dabei erzählt, sind ein weiteres Mal beeindruckend. Rein von der lyrischen Seite gesehen ist das hier also ein absolutes Ausnahme-Projekt und vielleicht das bisher nerdigste dieses Künstlers. So sehr, dass es mitunter gerechtfertigt scheint zu ignorieren, wie furchtbar diese Platte mit ihrer Musik umgeht. Man muss fairerweise sagen, dass die klangliche Ausgestaltung einer LP noch nie das größte Talent von Lupe Fiasco war und Drogas Wave ist keinesfalls sein größter Sündenfall (*hust* Lasers *hust*), doch schön ist vieles hier auch nicht. Sein es die ekelhaft belanglosen Poprap-Instrumentals von Tracks wie Imagine, Manilla oder Haile Selassie, viele der vollkommen sinnlosen Interludes oder grauenvolle Feature-Gäste wie Damian Marley, Troi Irons oder ganze sechs Parts(!) von Nikki Jean, für diesen Teil seines Outputs hat dieser Typ einfach kein Händchen. Das Problem ist nicht mal, dass diese Sachen irgendwie schludrig oder langweilig wären, häufig hört man diesen Parts die immese Arbeit an, die in sie investiert wurde. Dass sie am Ende trotzdem so grottig sind, macht selbige aber völlig überflüssig und es ist schade um das ganze Geld, das dafür wahrscheinlich investiert würde. Für den gleichen Zaster hätte man auch eine*n guten Produzent*in engagieren können, die*der Ahnung von der Materiere hat und die spannenden Gedanken von Lupe Fiasco ordentlich vertont. Sorgen wie diese sind aber die von Leuten, denen ein guter Rapper nicht genug ist und ich kann total verstehen, warum Drogas Wave gerade von vielen Hiphop-Medien im letzten Jahr so hofiert wurde. Für mich als musikalischen Generalisten ist es ebenfalls kein Totalausfall und ein weiterer Grund, diesen Typen als das große Talent zu sehen, das er ist. Als jemand, der auch einer Gesamtästhetik viel abgewinnen kann und nicht nur auf den Text hören will, sehe ich hier aber auch viel Luft nach oben. Ich weiß, dass Lupe ein intelligentes Album nachen kann, das gleichzeitig musikalisch ansprechend ist, nur Drogas Wave ist es mal wieder nicht. Beeindruckend ist es trotzdem. Und in dieser Hinsicht muss dieser Typ mir jetzt sicherlich nie wieder was beweisen.


Klingt ein bisschen wie:
PJ Harvey
the Hope Six Demolition Project

Joey Bada$$
All AmeriKKKan Bada$$

Persönliche Highlights: Drogas / Gold vs. the Right Things to Do / WAV Files / Stronger / Sun God Sam & the California Drug Deals / Jonylah Forever / Kingdom / King Nas / Quotations From Chairman Fred / Happy Timbuck2 Day

Nicht mein Fall: XO

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