Mittwoch, 31. Mai 2017

Dark Twisted Fantasies

Dass sich Deutschrap ausgerechnet den letzten Freitag erwählt hat, um mindestens die Hälfte der Platten-Highlights dieses Jahres zu veröffentlichen, wäre dem guten Audio88 fast zum Verhängnis geworden. Zwischen Marteria, Taktlo$$ und Frauenarzt, SXTN und fetten neuen Singles von Bushido und DCVDNS war ein gerade Mal zwanzigminütiges Mini-Album eines Spartenrappers, den ich eigentlich nicht mal sonderlich mag, auf den ersten Blick nicht unbedingt das attraktivste Objekt für mich. Doch hätte ich mir Sternzeichen Hass durch die Lappen gehen lassen, hätte ich es sicher irgendwann bereut. Denn was der Berliner hier in der kurzen Spieldauer vom Stapel lässt, ist nicht weniger als eine der besten deutschsprachigen Rap-LPs, die dieses Jahr bisher erschienen sind. Es ist für den Künstler selbst vielleicht nur eine Fußnote des eigenen Outputs, aber was Audio88 hier anspricht, ist so ein bisschen das, was ich mir seit einer Weile aus der Szene wünsche. Politik, intelligente Genre-Kritik, Tristesse und das alles komplett frei von irgendwelchem Schnickschnack. Denn obwohl Sternzeichen Hass auch grandiose Beats hat und produktionstechnisch erste Sahne klingt, steht die Message hier eindeutig im Vordergrund. Und Message bedeutet in diesem Fall auch nicht, möglichst clever die bestmögliche Punchline aufzubauen, sondern auch tatsächlich was zu vermitteln. Die Themen, die Audio hier auspackt, sind dabei so vielschichtig wie die Gesellschaft, mit der er sich hier auseinandersetzt und viel positives hat er über sie nicht zu melden. Durch jede Zeile des Rappers zieht sich eine finstere Spur von Misanthropie und die ist nicht von der heiteren Fickt-euch-Allee-Sorte, sondern ungemein sarkastisch und düster. Die meisten Deutschrapper geizen ja schon nicht mit miesen Vibes, aber ich muss schon eine Weile überlegen, wann ich das letzte Mal eine so fiese Platte aus der Szene gehört habe. Dass dieses Rap-Kleinod ausgerechnet von Audio88 kommt, ist für mich ebenfalls eine ziemliche Überraschung. Von seinen letzten beiden Alben, die er gemeinsam mit Yassin aufnahm, hatte ich zuletzt den Eindruck, dass der Berliner nicht wirklich viel zu sagen hätte und seine Themen die gleichen wären wie von allen anderen auch. Doch anscheinend funktioniert sein eigenes Konzept von HipHop solo besser und wenn man sich Songs wie Lied vom Tod auf dem Theremin oder Direkter Vergleich anhört, fragt man sich schon, wo dieses Talent die letzten Jahre gesteckt hat. Denn auf Sternzeichen Hass stimmt wirklich fast alles. Wenn ich irgendetwas kritisieren könnte, dann dass Audio an manchen Stellen etwas altklug rüberkommt, wenn er Cloudrapper disst und über längere Zeit sein Flow ein kleines bisschen nervt. Abgesehen davon ist das hier eine Deutschrap-Perle, wie man sie nur selten hört und ich kann nur jedem, der diese Szene nicht grundsätzlich ableht empfehlen, das hier anzuhören. Auch wenn ihr danach wahrscheinlich erstmal ein paar Stunden ordentlich Welthass schiebt. Das ist am Ende ja auch genau der Plan.





Persönliche Highlights: Dosenpfirsiche / Treibjagd / Lied vom Tod auf dem Theremin / Selfies / Vom Wollen und Brauchen / Ab nach Hause / Direkter Vergleich

Nicht mein Fall: Trottel

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Dienstag, 30. Mai 2017

Papa Bless!

2017 ist Marten Laciny offiziell der erfolgreichste Rapper in der Bundesrepublik Deutschland und als jemand, der HipHop nicht nur aus dem Abendprogramm bei Rock am Ring kennt, könnte man sich fragen, wie das eigentlich sein kann. Seit inzwischen über drei Jahren hat der Rostocker unter dem Namen Marteria kein neues Album mehr veröffentlicht und hätte es 2015 nicht ein Marsi-Tape gegeben, hätte ich um seine Existenz ehrlich gesagt fast vergessen. Klar waren die beiden Zum Glück in die Zukunft-Platten und so Sachen wie Lila Wolken richtig gut und vor allem mega erfolgreich, aber der dickste von allen? Die letzten zwei Jahre Deutschrap sagen gefühlt auf jeden Fall etwas anderes. Und eigentlich finde ich das auch okay so. Mittlerweile hat Marteria in meinen Augen irgendwie den Vibe des friedfertigen Rap-Papas perfektioniert, der in Interviews über seine Leidenschaft fürs Angeln redet und sich am Ostseestrand auf seinen Geldbündeln sonnt. Das ist an sich auch schön so, nur höre ich das in seiner Musik bisher noch zu selten. Schon auf dem letzten Album wirkten einige der hedonistischeren Tracks auf mich ziemlich unglaubwürdig, weil Marteria eben eindeutig keine 20 mehr ist und weil es daneben auch Songs wie Hier kommt Louis oder Die Nacht ist in mir gab, die ganz klar eine andere Sprache hatten. Und für Roswell hatte ich mir erhofft, dass dieses Bewusstsein nun auch auf Albumlänge Einzug in Martens Musik hält. Zumal diese Platte ja nun definitiv kein weiterer ZGIDZ-Teil ist (was eigentlich auch Augenwischerei ist: Produzenten sind nach wie vor the Krauts und auch die Feauture-Klassiker Armin Teutoburg-Weiß, Miss Platnum und Yasha sind wieder vertreten). Diese LP hätte das bezeichnende Moment in Marterias Karriere werden können, in dem er aufhört, Popstar zu sein und endlich mal zum Rapper wird, der er ja nie so richtig war. So zumindest mein kleiner Wunschtraum. Und teilweise ist der hier auch wahr geworden: Stücke wie Blue Marlin oder Tauchstation sind ziemlich introvertierte und intelligente Nummern, die den Rostocker von seiner besten Seite zeigen: Irgendwie entspannt und dankbar, aber trotzdem ein bisschen melancholisch. Auch Skyline mit zwei Türmen, in dem Marten über seine Zeit in New York schreibt, ist ziemlich spannend. Aber es wäre natürlich zu einfach, es einfach dabei zu belassen: Auch Roswell kann eben nicht ohne die obligatorischen Party-Tracks, die Stadion-Brecher und die dämlichen Hedonismus-Lines, die es auch schon bei den letzten Malen gab. Und leider muss ich sagen, dass diese hier noch ein Stück unglaubwürdiger rüberkommen als vorher. Gerade Sachen wie Aliens oder Cadillac wirken irgendwie ein bisschen so, als würde Marteria nicht mehr so richtig wissen, wer eigentlich seine Zielgruppe sein soll. Wobei man ihm generell auch nach wie vor zugute halten muss, dass er diese Art von Songs drauf hat und Radiohits liefert diese Platte nach wie vor genügend für den Rest des Jahres. Das ist nach wie vor vor allem der Arbeit der Krauts zu verdanken, die sich hier mal wieder selbst übertreffen und auf den gesamten zwölf Nummern nicht einen Beat abliefern, der irgendwie mittelmäßig wäre. Mehr denn je sind sie die eigentlichen Helden des Kosmos Marteria. Denn der hat es sich inzwischen im Vibe seines Erfolgs gemütlich gemacht und macht dort safe das, was auf den Vorgängern auch schon funktioniert hat. Am Ende des Tages ist Roswell nicht wirklich anders als die beiden ZGIDZ-Platten und das ist ganz gut, aber eben auch nicht wirklich interessant. Ein weiteres Highlight des deutschsprachigen Poprap hat Marten Lanciny hier nicht veröffentlicht. Auch wenn es ihm trotzdem noch ein paar Jahre die Position als erfolgreichster Rapper dieses Landes einbringen wird.





Persönliche Highlights: Roswell / Tauchstation / Blue Marlin / Skyline mit zwei Türmen / Elfenbein

Nicht mein Fall: Aliens / Scotty beam mich hoch / Cadillac

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Montag, 29. Mai 2017

Cowboys gegen Wikinger

Aus dem einfachen Grund, dass ich selbst nicht der größte Sólstafir-Fan unter der Sonne bin, ignoriere ich immer wieder gern die Tatsache, wie viele es von denen mittlerweile doch gibt. Gerade im Vorfeld dieses Albums, dem sechsten der Isländer, war unter Postrock- und Folkmetal-Freunden mal wieder die Hölle los und alle redeten darüber, wie sie hier ja nun endgültig ihr Opus Magnum machen würden. Ich habe davon wie immer so gut wie gar nichts mitbekommen und war darüber auch ganz froh. Doch weil ich weiß, dass sich auch unter mehr oder weniger regelmäßigen Leser*innen dieses Formats einige befinden, die über eine Nicht-Besprechung von Berdreyminn etwas ungehalten wären, will ich mal nicht so sein. Auch wenn ich nach wie vor nicht verstehe, was man an dieser Band finden kann. Sicher ist es erfrischend, dass in dieser Musik mal nicht das Klischee eines erfolgreichen Projektes aus Island ausgeschlachtet wird, sondern Sólstafir tatsächlich etwas ziemlich originelles machen. Ich frage mich allerdings wieder und wieder, worin dessen Substanz besteht. Seitdem das Kollektiv vor einigen Jahren seine Metal-Einflüsse an den Nagel gehängt hat, trudelt es orientierungslos irgendwo zwischen Dark Ambient, Folkrock, Prog und Hardrock, macht aber nichts so richtig. Das an sich wäre theoretisch auch noch kein existenzielles Problem, wenn sie sich denn wenigstens im Songwriting fokussieren könnten. Und bis auf wenige Ausnahmen höre ich das bei ihnen überhaupt nicht. Zwar haben die meisten Sólstafir-Nummern Längen von weit über fünf Minuten, eine beneidenswerte Instrumentierung und allen Pomp und Gloria, doch fehlt ihnen dabei immer die Richtung und ein starker roter Faden. Für einen kurzen Moment habe ich gedacht, dass das auf Berdreyminn vielleicht anders sein könnte, aber woher auch? Um ehrlich zu sein, ist das hier sogar eine ihrer schwächsten Performances der letzten Jahre. Auf dem Vorgänger Ótta von 2014 schaffte es die Band wenigstens, so etwas wie eine Stimmung aufzubauen und einen Funken Dramatik in die Sache zu bringen. Hier hingegen versuchen die meisten Tracks gar nicht erst, so etwas wie einen Spannungsbogen zu etablieren. In den schlimmsten Fällen, wie in Hula, dümpeln sie über sieben Minuten vor sich hin, ohne auch nur die geringste Regung zu zeigen, in anderen gibt es mitunter ein Aufbäumen, doch ist dieses so unbeholfen und forciert, dass man die Band am liebsten nochmal in den Grundkurs für Postrock-Crescendi schicken würde. An was ich mich außerdem nie gewöhnen werde, ist die ranzige Schwanzrock-Stimme von Sänger Aðalbjörn Tryggvason, der auch nach über 20 Jahren so klingt, als wäre er nur der kurzfristig eingeflogene Ersatzmann für jemanden, dessen Gesang wirklich zur Ästhetik dieser Musik passt. Alles in allem wird Sólstafirs Material über die letzte Zeit also nicht besser, sondern eher andersrum. Berdreyminn ist in meinen Augen in so vielen Hinsichten schlecht, dass ich die Fans dieser Band nur noch weniger verstehe. Dabei hatte ich eigentlich das Gegenteil vor. Die Sache mit dem Opus Magnum müsste sich damit dann ja auch erledigt haben, oder?





Persönliche Highlights: Nárós / Hvít Sæng

Nicht mein Fall: Hula / Dýrafjörður / Ambátt

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Sonntag, 28. Mai 2017

Das Boot ist voll!

Wir leben in schellen Zeiten, liebe Freunde. In Zeiten, in denen eine Band von einer Woche auf die nächste vom Supernewcomer zum Tabuthema wird, in denen einige Künstler*innen dieses Jahr schon drei Longplayer veröffentlicht haben und in denen jemand wie Lil Yachty innerhalb weniger Monate vom Nobody zum Kettensprenger des HipHop wird. Der unbeschreibliche Höhenflug, den der Rapper aus Atlanta 2016 und 2017 hingelegt hat, ist mehr oder weniger ein kleines Wunder, auch wenn er alles andere als unbegründet ist. Wenige Protagonisten in der Szene polarisieren so extrem wie Lil Boat und die Fehde zwischen Fans und Gegnern des MCs ist schon lange nur noch ein minder witziges Meme. Ich persönlich stand in dieser Debatte zugegeben immer ein wenig auf der Seite der Hater. Zwar ist mir klar, dass Yachty vieles revolutioniert und mit Konventionen bricht, was gut und wichtig ist, doch habe ich wenige seiner Sachen bisher wirklich gerne mehr als einmal gehört. Wenn dem so war, dann war er selbst meist nur Feature-Gast, wie bei D.R.A.M.s Broccoli oder dieser seltsamen Target-Werbung mit Carly Rae Jepsen vom letzten Jahr. So richtig überzeugende Singles von ihm waren tatsächlich erst die im Vorfeld von Teenage Emotions wie iSpy, Harley oder Bring It Back, weshalb ich mich letztendlich doch dazu herumreißen konnte, eine Besprechung über ihn zu schreiben. Nach den Turbulenzen um den Künstler im letzten Jahr hatte ich die Hoffnung, dass sich Lil Boat hier ein Herz fasst und sich nun auch bemüht, ein ordentliches Album mit etwas Substanz aufzunehmen. Leider muss ich sagen, dass ich diesen Eindruck hier nicht wirklich gewonnen habe. Viel eher ist Teenage Emotions der Versuch, Yachtys bisherigen Style lediglich auf maximale Größe aufzublasen, sodass er die stattliche Albumlänge von fast 70 Minuten irgendwie ausfüllt. Das Ergebnis ist eine Platte voller austauschbarer, unglaublich öder Trap-Schlonzen, unter denen ab und zu vereinzelte Hits herausstechen. Ein bisschen macht diese LP also den gleichen Fehler wie vor kurzem Ufo361 mit seinem letzten Mixtape. Der einzige Grund, warum er nicht ganz so sehr abkackt, sind die wenigen einzelnen Banger, denn die hauen zumeißt wirklich auf den Putz. Harley ist ein feuchter Autotune-Traum, Bring It Back ein gelungenes Experiment mit Synth-Kitsch und Peek A Boo profitiert vor allem vom 2017 fast schon obligatorischen Gastauftitt der Migos. Das meiste vom Rest des Albums ist die Erwähnung nicht wirklich wert. Richtig furchtbare Tracks gibt es hier auch nicht, nur eben sehr sehr viele seht langweilige. Und wegen solcher Nummern ist Lil Boat weiß Gott nicht der neue Trap-Messias. Statt endlich mal Ordnung in sein Songwriting zu bringen und sich mit substanzieller Produktion zu beschäftigen, sprich Dinge zu tun, die seine bisherigen guten Singles so gut machten, stolpert er hier weiter über orientierungslose Beats und liefert Lines ohne Fokus ab. Teenage Emotions bildet also einen Rapper ab, der den Absprung vom heißen Newcomer zum ernsthaften Künstler nicht auf die Reihe bekommt. Und in den turbulenten Zeiten, in denen sich die Musiklandschaft zurzeit befindet, sollte Yachty das schnellstens tun. Denn sonst ist er ganz schnell auch wieder weg vom Fenster und irgendein dämlicher Soundcloud-Futzi nimmt seinen Platz rein. Was aus meiner Sicht nicht wirklich wünschenswert wäre, denn im Gegensatz zum Großteil der Trap-Landschaft hat dieser Typ hier wirklich mal sowas wie Charakter. Nur eben nicht genügend Songs, die das auch zeigen.





Persönliche Highlights: Peek A Boo / Harley / X Men / Bring It Back / Running With A Ghost / Priorities / Made of Glass

Nicht mein Fall: Like A Star / All Around Me / All You Had to Say / Moments in Time / No More

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Samstag, 27. Mai 2017

I've Become So Numb...

Wenn es um Linkin Parks neues Album One More Light geht, habe ich älteren Musikfans sicherlich eine Sache im Voraus: Ich habe mit dieser Band keine gemeinsame Vergangenheit. Als ihr legendäres Über-Werk Hybrid Theory erschien, war ich keine vier Jahre alt und als ich anfing, mich ernsthaft für Musik zu interessieren, waren die Kalifornier schon die größte Rockband der Welt. Und dass sie 2017 zum EDM-Projekt mutieren, kommt für mich nicht als Überraschung, sondern ist die logische Folge aller Entwicklungen, die sich bei ihnen in den letzten zehn Jahren abgespielt haben. Schon mit den beiden letzten Platten Living Things und the Hunting Party wurden die Songs immer gefälliger, für elektronische Elemente haben sich Linkin Park sowieso schon immer interessiert und eigentlich gehörten sie auch immer schon eher ins Radio als zu den Metalheads. Und statt das schlimmste zu Befürchten, habe ich One More Light theoretisch als Chance für sie gesehen. Denn ihr Vorteil liegt eben genau darin, dass sie nicht die Chainsmokers sind. Wer wissen will, wie gut sie Hits schreiben können, der braucht sich nur mal ihr in meinen Augen bestes Album Minutes to Midnight anhören. Gute Melodien und emotionales Songwiring sollten nicht das Problem sein. Auch die Leadsingle Heavy mit Kiiara fand ich am Ende gar nicht so schlimm, wie alle sagten. Trotzdem ist One More Light deshalb natürlich noch lange keine gute Platte. Dass sie die beste von Linkin Park seit locker sieben Jahren ist, zeigt nur, wie grauenvoll die letzten waren. Die Songs hier zeigen zwar endlich wieder Substanz und einen Funken Leidenschaft, trotzdem sind die Melodien unglaublich generisch, die Texte maximal flach und Chester Bennington hier gesanglich eindeutig fehlbesetzt. Seine nach wie vor sehr rockige Stimme hat für derart stromlinienförmige Musik einfach noch zu viel Kante und Charakter. Da macht Kollege Mike Shinoda seinen Job schon besser, der ohnehin noch nie viel Persönlichkeit in den Vocals hatte. Ganz zu schweigen von Feature-Gast Kiiara, die Heavy mit höchster Professionalität gefühlstot singt. Was die Auftitte von Stormzy und Pusha T in Good Goodbye angeht, so verkaufen sich die beiden hier definitiv unter Wert. Ihre Parts sind einer wie der eine viel zu gut für dieses Album. Linkin Park braten hier eh nur noch in ihrem eigenen Saft. One More Light erinnert mich in gewisser Weise ziemlich an den letzten Longplayer von Bring Me the Horizon. Abgesehen davon, dass die einen immer schon ein bisschen die anderen sein wollten, findet sich auch hier eine witzig-blauäugige Tendenz zu Radiopop, die gerade deshalb so lächerlich ist, weil die jeweiligen Künstler ein bisschen zu talentiert dafür sind. Aber wenn Linkin Park mit diesen Tracks ab jetzt die Welt der noch verbliebenen Rundfunkhörer*innen um ein Minimum bereichern, will ich nicht böse sein. Denn das schöne ist ja eigentlich, dass es 2017 sowas von egal ist, was diese Band macht, dass man sich nicht mehr darüber aufregen muss. Die New Metal-Emo-Teenage-Angst-Rebellen von einst machen jetzt Dad Rock. Und nie war ich darüber glücklicher.





Persönliche Highlights: Nobody Can Save Me / Battle Symphony / Heavy / One More Light

Nicht mein Fall: Good Goodbye / Halfway Right

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Freitag, 26. Mai 2017

Paradoxer Pointillismus

Es war für mich immer ein Rätsel, wie Do Make Say Think das machen, was sie machen. Und warum machen sie es so verdammt gut? Eigentlich spielt das achtköpfige Ensemble aus Toronto ja relativ klassischen Postrock mit klassischem Songwriting, den klassischen Strukturen und einer Instrumentation, die zumindest auf klassischen Schemata beruht. Trotzdem empfand ich ihre Songs immer als so viel ausgereifter und cleverer als die der näheren Verwandtschaft bei Explosions ins the Sky, Caspian oder Maybeshewill. Aus dem Großteil ihrer Platten werde ich noch immer nicht schlau und weiß wenig mehr über sie als die Tatsache, dass ich sie genial finde. Und mit diesen Voraussetzungen sind sie eigentlich die besten, um 2017 ein Postrock-Album zu veröffentlichen. Schon häufig habe ich mich darüber beschwert, dass ich mittlerweile immer weniger spannenden Instrumentalrock höre und ich selbst von ehemaligen Lieblingsbands immer mehr gelangweilt bin. Ich legte also große Hoffnungen in Do Make Say Think, weil diese Band in meinen Augen einfach nicht langweilig werden kann. Und zu meinem großen Glück hatte ich wieder mal Recht damit. Denn obwohl der letzte Longplayer der Kanadier inzwischen acht Jahre auf dem Buckel hat und die Postrock-Landschaft nicht annähernd die gleiche ist wie noch 2009, sind die Qualitäten hier die gleichen geblieben. Wahnsinnig atmosphärische, filigran strukturierte und mit viel Fingerspitzengefühl arrangierte Kompositionen erstrecken sich hier in neun Tracks über eine gute Stunde und bezaubern mit eleganter Zurückhaltung. Wobei der Teufel wie immer im Detail steckt. Was die Songs hier lebendig macht sind nicht die ausladenden Crescendi, die kaskadischen Breaks oder voluminösen Riffs, sondern die Art und Weise, wie sich die Musik jede Sekunde ein kleines bisschen verändert und dabei nie so richtig geradeaus geht. Mal kommt hier für einen Augenblick eine Akustikgitarre dazu, dann ein kurzer Synth-Loop, hier ein Trompetensolo und so weiter und sofort. Repetetiv findet man diese Stücke nur, wenn man nicht richtig hinhört. Und selbst dann sind sie noch immer wahnsinnig schön. Besonderes Highlight ist in meinen Augen das sehr gegensätzliche Paar der Tracks Bound und And Boundless. Was hier an herrlich cleveren Spielereien und verqueren Kompositions-Tools zum Einsatz kommt, ist eine echte Wonne. Aber auch das zehnminütige Horripilation oder das Piano-lastige Shlomo's Son sind definitiv eine Erwähnung wert. Das beste an allen Songs sind aber komischerweise immer die Enden. Do Make Say Think bleiben also weiterhin paradox. Wenn ich der Band eine Sache vorwerfen könnte, dann die offensichtliche Sache, dass sie hier nicht wirklich viel neues machen. Nach acht Jahren Pause hätte man gerade von denen eigentlich einiges mehr verlangen können. Angesichts der Perspektive, dass wir 2017 wahrscheinlich nicht mehr viele bessere Postrock-Alben hören werden, will ich mal nicht so sein. Und Stubborn Persistent Illusions ist auch definitiv mehr als nur den Umständen entsprechend gut. Es ist vielleicht nicht das beste Werk der Kanadier, aber dennoch weit davon entfernt, eine Enttäuschung zu sein. Ehrlich gesagt ist es sogar ziemlich fantastisch, wieder neue Musik von ihnen zu hören. Denn ein bisschen gefehlt haben sie mir schon.





Persönliche Highlights: Horripilation / Bound / And Boundless / As Far As the Eye Can See / Shlomo's Son / Return, Return Again

Nicht mein Fall: A Murder of Thoughts

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Donnerstag, 25. Mai 2017

Platz da

Man weiß nicht genau wie, aber irgendwie haben es Käptn Peng und seine Tentakel in die deutsche Mainstream-Landschaft geschafft. Auf der gerade stattfindenden Tour verkauft das verspulte Weirdo-Kollektiv inzwischen kleinere Hallen aus, in denen auf einmal alle Leute die Texte vom Debüt können und die letzte Peng-Platte Expedition ins O hat es seit ihrer Veröffentlichung 2013 sogar mal kurz in die Albumcharts geschafft. Und der Grund dafür ist eigentlich offensichtlich: die Tentakel sind sympathisch. Robert Gwisdek gibt hier auf sehr eigene Weise den existentiellen Kritiker mit einer gesunden Menge abgefucktem Humor, die Songs dazu sind charmant rustikal, eingängig und bringen den Leuten HipHop näher, die sich eigentlich nicht so richtig trauen, HipHop zu hören. Über die Jahre haben die Berliner damit einen wahnsinnig ansteckenden eigenen Stil entwickelt, der dem Hörenden Respekt abverlangt. Denn so sehr die Tentakel von Rap-Nerds auch verlacht werden, fehlende textliche Tiefe und Schreib-Skills kann man ihnen nicht absprechen. Was für mich in den letzten Jahren viel eher zum Problem geworden ist, ist die Entwicklung der Band hin zur Gemütlichkeit. Schon in meiner Besprechung zu ihrem Live-Album im Januar sprach ich an, dass mir zumindest auf musikalischer Ebene bei ihnen etwas die Vielfalt fehlt. Und meine große Befürchtung für Das nullte Kapitel war, dass diese Mangelerscheinung überhand nehmen würde. Vor allem die erste Single WobWobWob war in dieser Hinsicht ziemlich schlimm, da hier zur ewig gleichen Instumentation und Songwriting-Formel auch noch fehlende textliche Tiefe hinzu kam, was in meinen Augen im bisher schlechtesten Einzeltrack der Tentakel resultierte. Ein Album zu hören, das diesem Beispiel folgte, wäre eine bittere Enttäuschung gewesen. Aber die gute Nachricht ist, dass Das nullte Kapitel zumindest keine komplette Katastrophe geworden ist. Es ist eigentloch sogar ganz okay geworden. Und das, obwohl die Strukturen hier dieselben sind wie schon auf dem Vorgänger. Wer wie ich hier auf neue klangliche Impulse oder ein dynamischeres Songwriting gehofft hat, wird in diesen sechzig Minuten definitiv nicht auf seine Kosten kommen. Allerdings hört ja auch keiner Käptn Peng wegen seines Sound-Erlebnisses. Und was den Inhalt angeht, ist die neue Platte nach wie vor erste Sahne. Zwar muss man auch hier sagen, dass sich Gwisdek mal wieder an einem ziemlich abgegriffenem Vokabular bedient, um die immer gleichen Themen zu bequatschen, aber dafür kann er das dann auch richtig gut. Ein weiteres Mal gelingt es Peng hier, auf hirnrissigen Umwegen das menschliche Wesen zu durchdringen, dabei lyrische Hakenschläge zu veranstalten und auch noch richtig witzig zu sein. Das macht er hier sogar noch besser als auf Expedition ins O, weil man die Themen der einzelnen Songs diesmal konkreter fassen kann und nicht mehr alles nur ein gigantischer Gedankenwust ist. In Neue Freunde und Gelernt wird er sogar sehr explizit politisch. Das ist gut und wichtig, denn so gibt es auch auf dieser LP wieder diese Momente, die man ab jetzt beiläufig in Partygesprächen zitieren kann, um sich verdeckt zu outen. Ohne diese hätten in meinen Augen die ersten beiden Platten nicht funktioniert. Gleichzeitig ist Das nullte Kapitel aber auch das Album, das das neue Publikum der Band jetzt braucht. Ein bisschen eingängiger, ein bisschen substanzieller, aber mit den besten Eigenschaften seiner Vorgänger. Wer mit diesem Langspieler anfängt, Peng zu hören, wird das sicherlich genauso genial finden wie ich, als ich vor vier Jahren das erste Mal die Expedition ins O gehört habe. Als kritischer Alt-Anhänger muss ich aber auch meine Bedenken äußern und sagen, dass hier nicht wirklich ein Fortschritt gemacht wird. Wobei das auch zweitrangig ist, wenn sich alles sowieso im Kreis bewegt.





Persönliche Highlights: Das nullte Kapitel / Im Labyrinth / Neue Freunde / Tango im Treibsand / Pi / Pförtner / MC HomoSapiensSapiens / ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ / Backpfeifenernte auf dem Alphabeet / Tier

Nicht mein Fall: Spiegelkabinett / WobWobWob

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Mittwoch, 24. Mai 2017

Anstelle einer Besprechung: symphatische Sexverbrecher

Meine Einmischung zum in den letzten Wochen überall diskutierten Thema PWR BTTM kommt zugegeben recht spät. Doch abgesehen davon, dass mir gerade in besagter Zeit mein eigener Plan etwas über den Kopf gewachsen ist (schließlich mache ich auch noch was anderes als Texte schreiben), wollte ich auch abwarten, bis die ganze Schererei auch wirklich definitiv zu Ende ist, um wirklich ein umfassendes Bild über das ganze Chaos zu haben. Und mit der praktischen Notschlachtung der Band dürfte dies nun der Fall sein. Ich habe privat dazu schon einige Meinungen geäußert und ich möchte hier noch einmal richtig ausholen und meinen Senf zur Sache dazu geben. Doch für alle, die nicht mitbekommen haben, wie es dazu kam, will ich aus meiner Perspektive noch einmal die ganze Geschichte schlidern. Und die beginnt für mich ungefähr vor zwei Monaten. Es war die Zeit, in der es für jemanden wie mich einfach unvermeidlich wurde, sich mit PWR BTTM zu beschäftigen. Schon vorher hatte ich irgendwann von der Single Answer My Text Wind bekommen und fand sie auch einigermaßen witzig, allerdings waren die beiden für mich bis dahin einfach irgendeine Indieband. Davon, dass es in den Staaten zu diesem Zeitpunkt bereits eine irre Fanbase und so etwas wie einen Hype um ihre neue LP Pageant gab, hatte ich keine Ahnung. Erst als die beiden Ende April plötzlich auf so ziemlich jeder coolen Videoplattform auftauchten, wurde auch ich angesteckt. Ben Hopkins und Liv Bruce wirkten wie die Sorte von Leuten, zu der auch Mac DeMarco und Action Bronson gehören, sprich Leute, die man auf die unpersönliche Distanz eines Webvideos einfach sofort sympathisch findet. Ihr musikalischer Output ist für die meisten dabei eher Nebensache, was zählt ist die überschwängliche Coolness von Liv und Ben, die Klicks verspricht. Wenn eine von beiden sich vor laufender Kamera eine Nase Poppers reinzieht, die andere über ihr Makeup lamentiert, oder alle beide gegenseitig ihre Lieblings-Glitterfarbe erraten müssen, wird einem als Konsument schon warm ums Herz. Gerade weil die zwei eben so eine großartige Chemie zusammen haben und scheinbar keinerlei Showbiz-Maske aufsetzen wollen. Und mir war warm ums Herz. Wenige Interviews und Musikvideos musste ich schauen, um eine ganze Reihe begeisterter Tweets über diese neue, tolle Band loszulassen, die ich gerade entdeckt hatte und Links an alle meine Freunde zu verschicken. Für etwa eine Woche waren PWR BTTM mein absolutes Lieblingsthema. Dass sie zu diesem Zeitpunkt vor allem auch ein wichtiges Sprachrohr der Queer-Community waren, war für mich dabei eher eine schöne Nebensache und etwas, worüber ich mich freute. Ich will diesen Aspekt hier nicht zu sehr vertiefen, zumal Sasha Geffen darüber bereits einen fantastischen Artikel geschrieben hat. Sicher ist das ein extrem wichtiger Punkt, doch meine persönliche Einstellung zu der Band hat das zu keinem Zeitpunkt groß beeinflusst. Für mich ging es an dieser Stelle einfach um zwei sympathische Musiker*innen. Und wie schwer es ist, diese ganz plötzlich nicht mehr zu mögen, musste ich in den letzten vier Wochen einmal mehr feststellen. Etwa eine Woche vor dem Release-Termin von Pageant wurden die ersten Vorwürfe gegen Ben Hopkins laut, die gleich mal ziemlich deftig waren. Die Gitarrist*in sollte innerhalb der Szene queere Menschen mehrfach sexuell belästigt und angegriffen haben, darunter auch häufiger Minderjährige. Ein Facebook-Post, veröffentlicht bei Jezebel warnte davor, die Shows der Band zu besuchen, ihre Platten zu kaufen und sie in Safe Spaces zu lassen. Es wurde von Hopkins als "known sexual predator" gesprochen. Weitere Anschuldigungen, demnach diese auch antisemitische Äußerungen verbreitet hätte, wirkten daneben schon fast wie Peanuts. Und von da an zog sich die Schlinge um PWR BTTM immer weiter zu. Aufgrund der ersten Vorwürfe, die die Band dementierte, wurde von ihnen selbst eine Mailadresse eingerichtet, an die sich Opfer sexueller Angriffe wenden konnten. Nur wenige Tage später hatten weitere Personen aus dem Umfeld der beiden die schweren Anschuldigungen bestätigt. Die Sache war also nun nicht mehr aufzuhalten. Auch gegen Liv Bruce wurde nun ausgesagt, sie hätte von den Übergriffen gewusst und diese nicht verhindert, weitere Beteiligte sollen von Hopkins' Umtrieben gewusst haben. Was zunächst wie die Arschigkeit eines Einzelnen aussah, entwickelte sich nun zum Szene-Skandal. Es stank zum Himmel. Und die Reaktionen der meisten waren entsprechend schnell gefasst: Beide Tour-Supports sprangen ab, Polyvinyl kündigte den Vertrag, Festivals strichen die Band vom Line-Up, Shows wurden abgesagt, Platten nicht mehr verkauft, Streaming-Anbieter löschten die Diskografie aus den Katalogen. Innerhalb weniger Tage versuchte man mehr oder weniger erfolgreich, PWR BTTM komplett aus der Öffentlichkeit zu tilgen und so zu tun, als wären sie nie da gewesen. Und denen, die vorher den Hype angefacht hatten, war natürlich alles furchtbar unangenehm. Inzwischen scheint über das komplette Thema ein Mantel des Schweigens zu fallen, den auch die (tatsächlich ziemlich dämliche und feige) offizielle Stellungnahme der Band nicht aufhält. Trotzdem hinterlassen Ben Hopkins und Liv Bruce jede Menge verbrannte Erde. Nachdem der erste Scherbenhaufen in Form der beiden Musiker*innen aufgekehrt wurde, wird die Spurensuche sicher auch vor ihrem Umfeld nicht halt machen. Zu Recht, wie ich finde, denn eine Szene, die über Jahre hinweg den kommerziellen Aufstieg einer unter sich bekannten Sexualverbrecherin deckt, hat irgendwo ein schweres Problem. Was jetzt keinesfalls ein Affront gegen die Queer-Community sein soll, denn solcherlei Delikte gibt es leider Gottes überall. Es ist eben einfach Mist, dass die ganze Sache erst geplatzt ist, als es schon fast zu spät war und man das hätte verhindern können. Gewisse Dinge können jetzt einfach nicht mehr rückgängig gemacht werden und ein paar tausend Fans, ich eingeschlossen, sind gerade um eine Lieblingsband ärmer geworden. Sowas ist immer doof. Man muss allerdings auch sagen, dass es genau so deutlich schlimmer hätte laufen können. Die radikale Sanktionierung der Band war in dieser Situation für mich leider die einzig richtige Maßnahme und im Vergleich zu anderen Fällen gab es überhaupt mal eine. Wie viele Jahre ist beispielsweise Bill Cosby ein beliebter Promi gewesen, während er andere Menschen vergewaltigte? Und Swans-Frontmann Michael Gira wird trotz eines medial bestens aufgearbeiteten Skandals noch immer von den meisten Leuten gefeiert. An PWR BTTM sieht man nun endlich mal, dass es auch anders geht. Unschön ist es trotzdem irgendwie. Man kommt inzwischen selbst als einwöchiger Fan so vor wie in Fernsehsendungen immer die Nachbarn der Killer, die verdutzt gucken und sagen: "Das waren doch sooo nette Leute..."

P.S.: In den meisten Interviews verwenden Hopkins und Bruce für sich gegenseitig weibliche Pronomen, also war ich so frei, das für diesen Artikel so zu übernehmen.

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Montag, 22. Mai 2017

You're A Rockstar, Harry!

Viele Musikfans mussten in den letzten paar Wochen zugeben, dass Harry Styles sie alle kalt erwischt hatte. Als der gerade mal 23 Jahre alte ehemalige One Direction-Star Anfang April seine Debütsingle Sign of the Times veröffentlichte, stockte selbst den prätenziösesten Stylern und Weirdo-Hipstern der Atem: Da schrieb so ein Typ, der eben erst eine der nervigsten Boybands der letzten Dekade verlassen hatte und den allermeisten vor allem durch seine gescheiterte Liebschaft zu Taylor Swift medienbekannt war, eben mal eine dermaßen grandiose Rockballade, die in den besten Momenten selbst Prince und Robert Plant an die Wand spielte. Es war überraschend, es war hochwertig, es war faszinierend. Mit seinem allerersten Song als Solokünstler hat Harry Styles direkt eine der Sensationen des Jahres erschaffen. Und in Bezug auf sein kommendes Album war plötzlich alles anders: Plötzlich interessierten sich seriöse Leute für den Mann und es gab auf einmal so etwas wie Erwartungen an ihn. Styles hatte nun den Anspruch, eine stilistisch ansprechende Platte zu bringen. Und vielleicht war genau das auch von mir persönlich ein bisschen viel verlangt. Denn ein Prince oder ein Robert Plant ist der Engländer eben doch nicht. Nur jemand, der genau weiß, wer diese beiden Leute sind. Was bedeutet, dass diese LP auch nicht mehr ist als ein ziemlich gut zusammengeklautes Rockalbum. Die vierzig Minuten Spielzeit klingen dabei mehr oder weniger nach allem: Keith Richards, Paul McCartney, Eric Clapton, ein bisschen Neil Young und David Gilmour. Nur die ganz großen sozusagen. Und das ist schon irgendwie okay. Harry Styles weiß, wie man mit diesen Elementen einen guten Track schreibt und keines der zehn Stücke ist zu dreist von einer bestimmten Künstler*in geklaut. Auch versteht es die Platte, dem ganzen einen modernen Einschlag (vor allem klanglich) zu verpassen, ohne gleich langweilig-paparockig zu klingen oder wie ein schlechter Versuch, Vintage-Musik zu spielen. Kleinere Passagen schlagen immer wieder eine zeitgenössische Pop-Ästhetik an, die erfrischenderweise kein bisschen an One Direction erinnert. Ein ehemaliges Teenie-Sternchen, dass sich Classic Rock annimmt, klingt also im Optimalfall genau so. Nur wer große Siebenmeilenschritte erwartet, wird hier nicht weiter kommen. Zuerst mal, weil das hier einfach zu sehr Retro-Zeug ist, als das es wirklich originell sein könnte und zweitens, weil Harry Styles am Ende eben doch nur ein etwas besserer Lenny Kravitz ist. Global gesehen macht dieses Album also nicht viel aus. Wenn man es allerdings aus der Perpektive des Akteurs betreibt, könnte es alles bedeuten. Zum einen schafft Styles sich hier eine Basis als ernstzunehmender Künstler und setzt einen noch schwereren Anker ins Game als vor einem Jahr sein Bandkollege Zayn Malik, andererseits schränkt er seine kommerzielle Zielgruppe vielleicht ein wenig ein. Zum einen gewinnen wir einen Künstler, der selbstbewusst mit seiner Musik ungeht und weiß, was Qualität bedeutet, dafür schreibt dieser jetzt auch Songs wie ein Sechzigjähriger. Harry Styles' Karriere ist zum jetzigen Zeitpunkt so offen wie vielleicht noch nie zuvor. Doch das ist mir ehrlich gesagt viel lieber als die sichere Variante, die uns noch weitere zehn Jahre Mädchenmusik beschert hätte. Und ab jetzt bleibt uns nur übrig, die Daumen für Harry zu drücken.





Persönliche Highlights: Meet Me in the Hallway / Carolina / Sweet Creature / Only Angel / From the Dining Table

Nicht mein Fall: -

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Sonntag, 21. Mai 2017

Björn bleibt dran

Als ich vor einigen Wochen irgendwo im Internet die Ankündigung las, dass es ein neues Album von Mando Diao geben würde, war meine erste Reaktion zugegeben nicht wirklich euphorisch. Mando Diao? Die gibt es noch? Wo kommen die denn plötzlich her? Es war ein bisschen wie eine Begegnung aus einer anderen Welt. Die Band, die einst den dick aufgetragenen Pop-Konter zum Randale-Indierock der Hives im Schweden-Hype der Zweitausender lieferte, waren so ziemlich das letzte, was ich 2017 erwartete. Und tatsächlich ist bei ihnen auch nichts mehr wie früher: Mit Gustaf Norén warf 2015 der neben Björn Dixgård wichtigste Hauptsongwriter der Gruppe das Handtuch, was die ganze Unternehmung zunächst ein bisschen kopflos machte. Doch nach einer kurzen Schockstarre holte sich Dixgård einfach neue Leute ins Boot und machte dort weiter, wo er mit Norén aufgehört hatte. Normalerweise ist ein solcher Move für eine Band das aus und gerade Mando Diao lebten immer vom Wechselspiel der beiden Alphatiere Björn und Gustaf. Andererseits war ich gerade deshalb der Idee neuer Songs von ihnen erstmal nicht abgetan. Dass Dixgård gute Melodien schreibt, dürfte allen bewusst sein, die schon einmal Dance With Somebody gehört haben und seine Arbeiten waren mir sowieso fast immer die liebsten. Außerdem sind Mando Diao inzwischen stilistisch so bewandert wie wenige Stars ihrer Generation: In den fast 20 Jahren ihres Bestehens hat sich die Band durch diverse Stile gehangelt, Besetzungen eingekürzt und wieder aufgestockt und ihre Popularität für zahlreiche kreative Ausbrüche genutzt. Schon allein ihr letzter Longplayer Aelita reicht dafür als Beweis. Die Wahrscheinlichkeit, dass Good Times ein langweiliges, nichtssagendes Werk eines gealterten Acts werden würde, war also entsprechend gering. Und tatsächlich hat die Platte nach wie vor einige spannende Facetten zu bieten. Sicher macht vieles hier nicht mehr so viel her wie früher und es werden keine Konventionen gesprengt, doch man hört Mando Diao nach wie vor den Elan an, mit dem sie ihre Musik schreiben. Good Times ist eine herrlich entspannte Sammlung fantastischer Popsongs, die nicht mehr von sich verlangt, als genau das zu sein. In gewisser Weise erinnert mich die LP damit an das kürzlich erschienene Album von Kasabian oder auch die letzten Sachen der Kooks. Man erlebt hier ein Kollektiv, das zwar seine Heydays eindeutig hinter sich hat, aber das daraus die besten Schlüsse zieht und, statt weiter auf den unbedingten Anschluss an die erfolgreiche Vergangenheit zu spekulieren, in sich selbst hineinhört. Im Vergleich zu extrem verkrampften (und deshalb auch schwachen) Vorgänger ist hier plötzlich so viel Platz da, in dem sich die Band ein wenig selbst verwirklicht. Good Times ist die Spielwiese, auf der Mando Diao einfach nur ein paar nette Tracks schreiben können, von denen einige eher zufällig ihre besten seit Jahren sind. In Watch Me Now und Dancing All the Way to Hell kanalisieren die Schweden ihre auf Aelita gefundene Liebe für Funk-Licks und Vintage-Synthesizer in ein energisches Indierock-Songwriting, Money zeigt eine nie gekannte instrumentale Vituosität und mit Break Us und Hit Me With A Bottle gelingen der Band zwei unglaublich starke Balladen, die ohne Diskussion zum besten gehören, was Mando Diao jemals abgeliefert haben. Solltet ihr euch dafür entscheiden, irgendetwas von dieser Platte anzuhören, dann bitte diese beiden Stücke! Sie sind es wirklich wert. Überhaupt gibt es hier bis kurz vor Schluss so gut wie keinen einzigen wirklich schechten Song und das ist schon echt bemerkenswert. So ein geschlossen gutes Album habe ich von ihnen seit dem großen Hit-Longplayer Give Me Fire nicht mehr gehört. Und besonders Fans dieser Phase ihrer Karriere sollte Good Times wieder sehr zusagen. Es ist allerdings auch spannend, hier gleichzeitig eine alte und eine neue Band zu hören und wie alles hier so harmonisch zusammen findet. Es wäre gut möglich, dass Mando Diao von hier an noch einmal Atem holen und wir die richtig geilen Sachen noch vor uns haben. Andernfalls ist diese LP trotzdem ein sehr überzeugender Auftritt einer Band, die ihren Zenit am Ende doch überschritten hat. Und auch das wäre okay, denn brauchen tut diese Jungs keiner mehr wirklich. Es ist nur hin und wieder schön zu hören, dass es ihnen gut geht.





Persönliche Highlights: Break Us / Good Times / Money / Hit Me With A Bottle / Dancing All the Way to Hell

Nicht mein Fall: One Two Three / Voices On the Radio

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Mittwoch, 17. Mai 2017

Attacke!

Ich würde nicht behaupten, dass Love A bisher eine meiner Lieblingsbands gewesen wären. Zwar habe ich, seitdem ich mit schreiben angefangen habe, die Kölner regelmäßig mit Erwähnungen bedacht, doch wirklich euphorisch war ich dabei nie. Mit ihrem Sound un ihrer Attitüde bedienten sie sich lediglich ziemlich gut an der Elite der guten deutschen Punkbands wie Captain Planet, Turbostaat oder Muff Potter und ihre Platten waren an sich auch nur okay. Und spätestens mit ihrem letzten Longplayer Jagd & Hund war ich eigentlich überzeugt, dass es jetzt auch okay war, sich nicht mehr für diese Band zu interessieren. Aber wie es immer so ist, war das letzte Wort hier noch nicht gesprochen. Diese Erkenntnis kam für mich, als im Februar dieses Jahres die Single Nichts ist leicht als Vorprescher dieses neuen Albums veröffentlicht wurde. Nach den eher lauen letzten Sachen der Kölner springt einen dieser Track förmlich an, regt zum Mitdenken an, hat eine hammermäßige Melodie, die Hook zum heulkrampfend mitbrüllen und nicht zuletzt auch eines der besten Videos des bisherigen Jahres. Dass ich da über die neue LP sprechen musste, war natürlich sofort klar. Ein bisschen rechnete ich noch damit, dass das ganze vielleicht ein One-Hit-Wonder werden könnte, aber insgeheim hoffte ich, dass diesmal wirklich was los ist. Und ich kann mit Freude verkünden, dass ich Nichts ist neu als das bisher beste Love A-Album befinde. Zwar tut die Band hier nicht wirklich etwas anderes als bereits vor vier Jahren auf Irgendwie, doch ist es diesmal so etwas wie die Deluxe-Version dieser Ästhetik. Die Songs klingen bissiger, Jörkk Mechenbiers sehr eigenwilliger Humor kommt großartig zur Geltung und nicht zuletzt hat die Rhythmusgruppe ordentlich aufgerüstet. 2017 klingen Love A deshalb zwar poppiger, aber auch fokussierter als vorher. Und das erste Mal gelingt es ihnen hier, wirklich großartige Tracks zu produzieren. Neben dem bereits angesprochenen Nichts ist leicht gibt es da noch das schwarzhumorige Nachbarn II und mit Kanten einen überraschend motivierenden Optimus-Song. Mein persönlicher Favorit der Platte ist jedoch Unkraut, eine ungeschminkt politische Nummer, die nicht nur wahnsinnig gut gemacht ist, sondern auch irgendwie den Anschein erweckt, wichtig zu sein. Wichtig, weil hierzulande eben immer noch Geflüchtetenunterkünfte brennen und die Alternative für Deutschland weiterhin Zulauf verzeichnet. Und weil man von den Kölnern unter diesen Umständen auch mal hört, dass sie nicht nur introvertierten Identitäts-Emo-Mist schreiben. Einen solchen Erkenntnisgewinn hat Nichts ist neu seinen Vorgängern voraus und macht es zu etwas besonderem in der Diskografie von Love A. Dass am Ende die Produktion nicht so wirklich meine Welt ist und es doch ein, zwei plakative Stücke gibt, kann man da schon eher verzeihen. Denn hier hat die Band gezeigt, dass sie mit Sicherheit noch jede Menge Energie hat. Und das ist dann doch etwas neues.





Persönliche Highlights: Nichts ist leicht / Nachbarn II / War klar / Die Anderen / Unkraut / Löwenzahn / Kanten / Verlieren

Nicht mein Fall: Sonderling / Weder noch

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Dienstag, 16. Mai 2017

Eigentlich logisch

Logic und ich haben es nicht leicht miteinander. Jedes Mal, wenn wieder ein neues Album des Marylander Rappers erscheint, habe ich irgendetwas zu nörgeln und das, obwohl der Junge meiner Meinung nach keine schlechte Musik macht. Wenn es darum geht, fantastische HipHop-Hits und durchdachte Konzeptplatten zu schreiben, ist er vielleicht einer der besten. Reden wir allerdings von Originalität, einer künstlerischen Vision und davon, wirklich etwas zu vermitteln, enttäuscht er mich jedes Mal wieder zutiefst. Sein letztes Mixtape Bobby Tarantino bekam von mir deshalb auch die rekordverdächtig niedrige Wertung von drei Punkten und ich dachte eigentlich, zwischen Logic und mir wäre alles gesagt. Doch dann hat es mich hier irgendwie doch wieder gepackt. Seine Kommentare über soziale Idetität, die in den letzten Monaten überall auftauchten, waren durchaus nicht ohne und ich wünschte mir einfach nur, auf Everybody noch mehr davon zu hören. Ferner war der vorab veröffentlichte Track Black Spiderman überraschend gut und ich räumte Logic ein, dass er unter Umständen eine ziemlich gute und vielsagende Platte machen könnte. Leider bleibt davon auf der Umsetzung wie immer wenig übrig. Zwar erschaffen die Songs hier erneut ein ziemlich umfangreiches Story-Konzept, das primär einen Dialog zwischen einem Typen namens Adam und Gott beinhaltet. Allerdings fällt schon das deutlich weniger kreativ aus als auf dem Vorgänger und bleibt am Ende trotzdem die größte Stärke der LP. Denn musikalisch ist Everybody nach wie vor ziemlich furchtbar. In ermüdenenden 70 Minuten Spielzeit erklärt uns Logic in aller Ausführlichkeit, was sein Erfolg ihm bedeutet, warum er es ja ach so schwer damit hat und verweist dabei ständig auf seinen afroamerikanisch-schwarz-weißen ethnischen Hintergrund. Dabei klingt er noch immer wie ein schlechter Kendrick Lamar und nervt die meiste Zeit einfach nur kolossal. Was diesmal übrigens auch dazu führt, dass die ganzen tollen Beats und Features nicht viel helfen. Die prätenziöse Geschichte, die beispielsweise Take It Back erzählt, ist so ekelhaft, dass man nicht lange davon getäuscht wird, was für ein hammermäßiger Banger der Track ist. Und um das mal klarzustellen: Ich nehme Logic nicht seine an sich sehr noblen Absichten übel, sondern dass er sie einem so plakativ aufs Brot schmieren muss. Ich finde es eigentlich sogar wahnsinnig toll, dass hier nicht so viel angegrenzt wird und stattdessen Versöhnung gepredigt wird. Allerdings ist die Umsetzung Stoff für einen Nachmittag bei RTL 2. Natürlich hat der MC bei der Gelegenheit auch noch einen Anti-Trump-Song im Gepäck. Wie originell! Ganz abgesehen davon, dass Logic hier seine eigene Message immer wieder durch blödes Angeber-Gewäsch und Fame-Gehabe verwässert. Das hat zuletzt nicht mal KDot ordentlich hinbekommen. So richtig überzeugt von seiner Message scheint er also selbst nicht zu sein. Und das ist am Ende das hauptsächliche Manko: Was dieses Album im Grunde sagen will ist etwas sehr wichtiges und tolles und vielleicht etwas, das Logic dem Rest der HipHop-Welt voraus hat. Doch er verpackt es hier in soviel Kram, dass man von der eigentlichen Intention nur noch wenig mitbekommt. Insbesondere auf einer Platte, die über eine Stunde geht. Wenn euch interessiert, was dieser Typ zu sagen hat, lest euch seine Interviews durch, denn in der Musik lenkt von diesem harten Kern einfach zu viel ab. Und es ist traurig, so etwas über Musik, insbesondere über Rap, sagen zu müssen. Aber Logic schafft es eben mal wieder, womit sich vielleicht erklärt, weshalb ich seine Songs immer so frustrierend finde. Wobei es andererseits wahrscheinlich auch diesmal wieder ein nächstes Mal geben wird. Ich will einfach ein gutes Album von ihm hören. Und Everybody ist diesem Ziel trotz allem ein weiteres Stückchen näher gekommen.





Persönliche Highlights: Ink Blot / Mos Definitely / Black Spiderman

Nicht mein Fall: Hallelujah / Take It Back / Anziety

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Sonntag, 14. Mai 2017

In Echt: Guccibäuche aller Länder...

Die Guccibäuche sind mittlerweile echt. Immer, wenn an diesem Nachmittag einer der beiden Rapper die Arme etwas weiter hebt, um die fünfhundertste Bierdusche über das Publikum regnen zu lassen oder das Mikro in die Menge zu halten, baumelt unten eine stattliche Plauze aus dem schwarzen Shirt und über Testos Versace-Schlüpper. Schöne Popstars sind Zugezogen Maskulin nun wirklich nicht, aber gerade das macht sie irgendwie auch aus. Wobei man das gestern in Chemnitz manchmal hätte denken können. Wer so gegen 15 Uhr den Platz vor dem Karl-Marx-Städter Nischel betritt, erlebt ein eher gemütlich-familiäres Event. Ein DJ legt Trap auf, die lokale Brauerei hat einen Bierstand installiert und junge Eltern haben den Nachwuchs mit zum Konzert gebracht. Man selbst trifft auch erstmal jede Menge Leute (Shoutout an Fabi und Daniel!) und lässt sich von der Gelassenheit anstecken. Wenig deutet darauf hin, dass hier gleich die Band spielt, die durch Lines wie "wir drehen den Swag auf, vom Maas bis an die Memel" bekannt geworden ist. Zumindest noch. Denn Zugezogen Maskulin wissen, weshalb sie hier sind. Chemnitz, insbesondere die bedeutungsschwangere Location zu Füßen von Kalle Marx, bietet den perfekten Schauplatz für die grotesk-ironische Inszenierung des ZM-Zirkus. Eine Zeile wie "die Kritik an Hipstern kann die Hipster der Kritik nicht ersetzen" quasi live dem Typen im Munde herumzudrehen, der über einem in Stein gemeißelt steht, ist schon savage. Und die beiden Rapper sind sich dessen bewusst. Dass es dazu Sektduschen, Goldketten und Markenjeans gibt, ist in diesem Zusammenhang nur konsequent. Opener des ungefähr einstündigen Sets ist Endlich wieder Krieg, mit dem vielleicht gleich etwas viel Pulver für ein noch viel zu chillaxtes Publikum verschossen wird. Spannend ist jedoch, dass man hier, so wie später auch noch in vielen weiteren Songs, komplett neue Instrumentals hört. Tour-Beatmeister Kenji (der im übrigen Geburtstag hat) steuert die Tracks damit teilweise in komplett andere Richtungen als vorher. So wird besagter Opener eine ganze Ecke epochaler, Grauweißer Rauch kippt rhythmisch total um und Alles brennt bekommt einen deftigen Dancehall-Spritzer ab. Diese Neuerungen sind mitunter richtig genial, teilweise aber auch eher seltsam. Auf jeden Fall scheint das Publikum damit weniger überfordert als die Rapper selbst. Und gerade im Fall von Alles brennt kommt am Ende doch noch der Album-Beat und alle sind glücklich. Überhaupt ist Kenji an diesem Nachmittag vielleicht die größte Überraschung des Konzerts. In Plattenbau O.S.T. und Schiffbruch packt er zum Beispiel ganz plötzlich eine Geige aus und fidelt nebenbei noch ein stimmiges Outro zusammen. Im Vergleich zu Grim und Testo begeistert er damit sicherlich am meisten. Die beiden Rapper lassen, gerade zum Ende der Show, immer wieder leichte Patzer zu: Einsätze kommen nicht, es muss aufs Textblatt geschaut werden, ein- oder zweimal rettet das Playback. Besonders Agenturensohn wird Skill-technisch zur ziemlichen Katastrophe, aber wenigstens können es alle mit Humor nehmen. Und abgesehen davon ist der größte Teil des Konzertes mehr als solide. Die vielen wahnsinnig gutes Songs des letzten Albums sind auch live der absolute Bringer, darüber hinaus ist das Publikum textsicher und mosh-freudig unterwegs. Die Band unterstützt das mit zahllosen Getränkeduschen und Wall-of-Death-Aufrufen und am Ende wird das ganze trotz der frühen Uhrzeit eine ziemliche Party. Mit Gemütlichkeit hat das dann nicht mehr viel zu tun. Unter vier Zugaben kommen Zugezogen Maskulin nicht von der Bühne und zwischendurch kommt auch noch die ersehnte Ansage, dass die beiden ja wieder im Studio sind und es jetzt bald vielleicht auch was neues zu hören gibt. Es dürfte schlussendlich also keinen geben, den das gestrige Konzert nicht in irgendeiner Form glücklich gemacht hat. Als zum Finale der gesamte Platz die Hook von Alles brennt mitsingt, kann man den Worten "Wir sind eine Gang" somit durchaus Glauben schenken. Und vielleicht hätte das sogar Karl Marx ganz gut gefunden.

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Freitag, 12. Mai 2017

Das literarische Duett

Es läuft schon wieder bei Mark Kozelek. Es ist gerade mal Anfang Mai und der Songwriter veröffentlicht jetzt schon sein drittes Album dieses Jahr. Nachdem im Februar das lang erwartete neue Sun Kil Moon-Projekt erschien, schob er vor ein paar Wochen noch eher beiläufig ein weiteres Soloprojekt hinterher und letzten Freitag ging es mit 30 Seconds to the Decline of Planet Earth schon wieder weiter. Diese letzte Tatsache ist allerdings durchaus nicht nur eine Fußnote, da Kozelek hier seine Zusammenarbeit mit Jesu-Mastermind Justin Broadrick fortsetzt. Schon deren erstes gemeinsames Projekt vom Frühjahr 2016 war eine spannende Angelegenheit, obgleich ich es nicht besonders mochte. Kollaborationen sind in der bisherigen Diskografie von Sun Kil Moon keine Ausnahme, bereits in der Vergangenheit erschienen beispielsweise Platten mit the Album Leaf oder Desertshore. Was allerdings neu ist, ist die Wiederholung einer solchen Arbeit. Und obwohl die LP vom letzten Jahr nicht mein Fall war, empfinde ich Broadrick als genau den richtigen Partner, um genau das zu tun. Zum ersten, da dieser mit Kozelek scheinbar schon seit längerem befreundet ist und die beiden sich künstlerisch gegenseitig sehr gut befruchten. Zum anderen, weil ihr Output zumindest immer für Diskussionspotenzial sorgt und man sich gerne damit befasst. Selbst wenn man es am Ende scheiße findet. Und mit dieser zweiten Platte scheint die Partnerschaft nun nur noch besser zu funktionieren. Sicher, nachdem man einmal gehört hat, zu was diese zwei Parteien fähig sind, ist der Überraschungseffekt nicht mehr so präsent und man kann sich besser mit dem wesentlichen auseinandersetzen. Doch ich glaube, Broadrick und Kozelek sind hier auch tatsächlich aneinander gewachsen. Denn 30 Seconds... ist nicht mehr nur die gleichberechtigte Symbiose zweier einzigartiger Stile, sondern wirklich etwas ziemlich neues, das aus dem kreativen Potenzial der Zusammenarbeit entstanden ist. Natürlich erkennt man dabei das typische Songwriting und gesangliche Lamento von Sun Kil Moon und die ätherischen Ambient-Flächen von Jesu, doch sie gehen hier mehr und mehr aufeinander zu. So entstehen hier auch wesentlich stärkere Songs als auf dem Debüt, die nicht nur eine Seite der Kollaboration herauskehren, sondern die Arbeit beider Künstler zeigen. Auf der einen Seite werden Kozeleks wie immer umfangreiche und detaillierte Stories durch einen spannungsvollen, harmonisierenden Sound präsentiert, der diesmal auch wirklich passt. Auf der anderen schafft Jesu eben nicht nur Untermalung, sondern selbstständige Musik, die einen Großteil des Gesamteindrucks ausmacht. Broadwick ist auch der erste, der es in meinen Augen schafft, Sun Kil Moon mit elektronischer Instrumentation zu versöhnen, daran sind in der Vergangenheit schon ganz andere gescheitert. In the Greatest Conversation Ever in the History of the Universe beispielsweise gibt es diesen schicken, von Kraftwerks Europa Endlos geklauten Beat, von dem man erstmal überhaupt nicht denken würde, dass er mit Kozeleks Stimme funktioniert. Aber seltsamerweise findet genau das statt und man vermisst überhaupt nichts. Im 17-minütigen Monsterstück Wheat Bread wiederum passiert es andersherum: Jesus ambientes Instrumental ist eher monoton, aber die wahnsinnig komplexe und fesselnde Geschichte, die hier erzählt wird, gleicht diese Wirkung ziemlich gut aus. Eine ziemliche Überraschung war es für mich, den bereits 2016 veröffentlichten Michael Jackson-Diss He's Bad hier in der Tracklist zu finden, doch auch er passt erstaunlich gut in den Kontext des Albums. Der gelungene rote Faden ist überhaupt der größte Vorteil, den 30 Seconds... gegenüber seinem Vorgänger hat. Aber Nachteile gibt es natürlich auch ein paar. Der sicherlich größte ist, dass diese Platte im Prinzip nichts weiteres ist als ein weiteres As Common As Light and Love Are Red Valleys of Blood ist. Das musikalische Konzept hier ist dem des letzten Sun Kil Moon-Projektes sehr ähnlich und auch hier nutzt Kozelek den Großteil der inhaltlichen Ebene, um sich über Gott und die Welt aufzuregen und blöde Witze zu machen. Vielleicht ist das hier in bestimmten Punkten das bessere Album von beidem, aber in den meisten sind die Platten in Grunde ziemlich deckungsgleich. Wer Common As Light... also mochte, könnte hier zweierlei Erfahrung haben: Er könnte sich freuen, dass es dasselbe Projekt jetzt nochmal gibt, oder er könnte es überflüssig finden. Ich persönlich befinde mich irgendwo dazwischen, was vermutlich nur daran liegt, dass 30 Seconds... mir ein wenig sympathischer ist. Am Ende sind aber trotzdem beide Alben ziemlich gut und zeigen, dass Sun Kil Moon dieses Jahr echt zu Hochform aufläuft. Der Amerikaner macht 2017 in meinen Augen die beste Musik, die er seit Benji gemacht hat und bei seinem Output ist das schon eine Errungenschaft. Und das, obwohl wir gerade Mal Anfang Mai haben...





Persönliche Highlights: You Are Me & I Am You / Wheat Bread / Needles Disney / He's Bad / Bombs / Twenty Something / A Dream of Winter

Nicht mein Fall: Hello Chicago

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Donnerstag, 11. Mai 2017

Der Frust kommt in die Mitte

Als ich Ende des Jahres 2014 das erste Mal über eine Platte von Full of Hell schrieb, war die Band aus Ocean City, Maryland ein Newcomer-Act. Ihr Black Metal- und Noise-infizierter Grindcore war maximal brutal, ihre Songs selten über eine Minute lang, ihr Auftreten extrem und ihr größter Fan eher zufällig die japanische Noise-Legende Merzbow. Mit jenem selbstbetitelten Kollaborationsalbum begann vor zweieinhalb Jahren ein zunächst verhaltener Szene-Talk über das Quartett, der sich mittlerweile jedoch zum Lauffeuer verbreitet hat. Inzwischen sind Full of Hell beim Edel-Indie Profound Lore unter Vertrag, machen Musik mit Nails und the Body und ihre Konzerte gelten als Ereignis. Und mit ihrem ersten Soloalbum seit nunmehr bereits vier Jahren wird die Band dieser Tage gleich noch einmal extra geadelt: Für die Produktion des neuesten Longplayers zeigt sich niemand geringeres verantwortlich als Converge-Gitarrist und Hardcore-Eliteproduzent Kurt Ballou. Und wenn dieser sich junge Acts vornimmt, kann man meistens Wetten darauf abschließen, dass diese Leute es im Business zu etwas bringen werden. In den letzten Jahren hat er heutige Erfolgsmodelle wie Swain oder Code Orange bertreut, also stehen die Zeichen für Full of Hell hier gut. Zumindest, wenn man die künstlerische Ebene mal ausblendet. Denn hier hat die Zusammenarbeit mit Ballou viele erhebliche Nachteile. In ihrer Frühphase wurden Full of Hell sehr häufig mit Converge verglichen, was man ihnen in meinen Augen noch immer ziemlich anhört. Und wenn nun auch noch das Mastermind jener Band hier hinterm Mischpult steht, ist die Sachlage klar: Auf Trumpeting Ecstasy klingen die Jungs nicht mehr so richtig nach sich selbst. Der zermalmende, nervensprengende Sound, der damals auf dem Merzbow-Album etabliert wurde und den ich so unglaublich gerne mochte, wird hier durch die Signature-Elemente einer Ballou-Produktion abgelöst. Pumpendes Schlagzeug, viele Bässe, aufgeräumte Ästhetik. Bei den meisten anderen Künstler*innen führt dies dazu, dass die Musik druckvoller und klarer klingt, hier hingegen wird sie dadurch eher schwammiger und öder. Vor allem fällt dadurch aber die Einzigartigkeit des Full of Hell-Klangs weg. Auf Trumpeting Ecstasy gibt es wenig, was es nicht auch bei tausend anderen Bands dieses Kalibers wie Nails oder Wormrot gibt und alles ist ein bisschen mehr 08/15. Das liegt zu einem nicht unwesentlichen Teil auch daran, dass Full of Hell eben nicht die besten Komponisten sind, aber bisher wussten sie sich damit ja trotzdem immer zu helfen. Was hier passiert ist, könnte man als einen dumm gelaufenen in Erfüllung gegangenen Traum für die Amerikaner bezeichnen, weil hier einer ihrer musikalischen Helden eines ihrer bisher schwächsten Releases produziert. Aber naja. Diejenigen, die die Band hier zum ersten Mal hören, werden wahrscheinlich trotzdem von den Socken sein und Full of Hell mit Pauken und Trompeten in die Mitte der Hardcore-Gesellschaft aufnehmen, so wie man das mit Ballou-Platten eben macht. Nur dass diese Jungs in meinen Augen nie so richtig dahin gehören werden. Dafür habe ich von ihnen schon zuviel gehört. Und als Outsider haben sie mir besser gefallen.





Persönliche Highlights: Branches of Yew / the Cosmic Vein / Crawling Back to God / Trumpeting Ecstasy / At the Cauldron's Bottom

Nicht mein Fall: Deluminate / Digital Prison / Ashen Mesh

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Mittwoch, 10. Mai 2017

Sonnenstrahlen auf der Haut

Nach ein paar technischen Unwägbarkeiten in den letzten Tagen kann ich heute endlich wieder über neue Musik schreiben und gerade die letzte Woche ist daran ja nicht zu kurz gekommen. Nachdem am gleichen Tag bereits At the Drive-In eine lange Schaffenspause von immerhin 17 Jahren beendeten, waren es bei den Briten von Slowdive ganze 22. Und weil sie deshalb vielleicht die wenigsten von euch kennen, ist an dieser Stelle vielleicht eine kleine Einführung angebracht: Das Trio aus Reading gilt als eines der Vorzeigeprojekte der ersten richtig großen Shoegaze-Welle Anfang der Neunziger, als man mit solcher Musik noch zum Popstar werden konnte. Gemeinsam mit Bands wie Ride, Swervedriver und natürlich My Bloddy Valentine prägten sie die Blaupause des ätherischen, psychedelischen Noise-Sounds, der Mitte der Achtziger von the Jesus & Mary Chain und den Cocteau Twins skizziert wurde. Das 1993 veröffentlichte Souvlaki gehört mittlerweile zum klassischen Albumkanon vieler Shoegaze-Fans und ist auch definitiv eine Hörerfahrung wert. Aber was bedeutet das 25 Jahre danach noch? Ich habe ganz ehrlich den Eindruck, dass eine Slowdive-Reunion mittlerweile eigentlich keiner mehr braucht. Die alten Platten sind gut so, wie sie sind und alle drei Mitglieder der Formation stehen inzwischen ziemlich erfolgreich auf eigenen Beinen. Wirklich notwendig ist diese LP also nicht. Allerdings gab es Anfang Januar die erste Single Star Roving und diese machte mir klar, dass ich diese LP trotzdem unbedingt wollte. Denn so dermaßen nahtlos, wie die Briten hier an ihren Neunziger-Output anschlossen, musste man einfach baff sein. Der sechsminütige Song schuf exakt wieder die Atmosphäre, mit der Slowdive auch schon vor 25 Jahren so begeistert hatten und klang trotzdem kein bisschen gealtert. Noch immer bin ich jedes mal geflasht, wenn ich das Ding höre und auch auf dem fertigen Album bleibt es das unbestreitbare Highlight. Der Rest der Platte kann da zwar nicht ganz mithalten, verstecken muss er sich aber auch nicht. Von hübschen Pop-Melodien (Sugar for the Pill) über an Kate Bush erinnernde New Wave-Anleihen (Slomo) und Klavierballaden (Falling Ashes) bishin zu Reverb-Monstern (Everyone Knows) ist hier jede Menge dabei und in dem 46 Minuten Spielzeit wird einem trotz des sehr milden und warmen Sounds nicht langweilig. Im Gegenteil: Gerade die sehr klare und offene Produktion machen die Platte zu dem sommerlichen Indiepop-Erlebnis, das ich mir so ein bisschen erhofft hatte. An manchen Stellen verfällt die Band zwar in einen etwas the-XX-artigen Schlafwandel, dem sie aber jedes Mal, wenn es schlimm zu werden droht, durch einen beherzten Tritt aufs Effektpedal Einhalt gebieten. Wer hier große stilistische Herausforderungen oder neue Horizonte sucht, wird vielleicht nicht unbedingt fündig werden, dafür gibt es aber jede Menge richtig gute Songs. Slowdive klingen hier keinen Deut schlechter als vor einem Vierteljahrhndert und haben immer noch das Zeug, absolut jeden zum Shoegaze-Fan zu machen. Wer schon einer ist, sollte dieses Album trotzdem umso mehr anhören. Es dürfte eigentlich jeden glücklich machen, der auf gute Gitarrenmusik steht. Und mich macht es glücklich, weil ich jetzt vielleicht so ein bisschen erlebe, wie sich das alles 1993 angefühlt haben muss.





Persönliche Highlights: Slomo / Star Roving / Sugar for the Pill / Everyone Knows / Falling Ashes

Nicht mein Fall: No Longer Making Time

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Sonntag, 7. Mai 2017

Tears of A Clown

Eines meiner Lieblingsvideos im ganzen Intertet zeigt die ungefähr dreiminütige Aufnahme eines Konzertabends in Seattle, in der ein halbnackter Mac DeMarco gemeinsam mit seiner Band zur Musik von Haddaways What is Love über die Bühne tanzt und sich selbst feiert. Es ist ein so ulkiges, aberwitziges Spektakel, das mehr oder weniger das Bild zusammenfasst, das ich über die letzten drei bis vier Jahre von diesem Typen hatte. Schon in meiner letzten Besprechung über ihn regte ich mich, ein bisschen mit dem Finger an der eigenen Nase, darüber auf, dass das Image des Kanadiers mittlerweile kaum noch mit dessen Musik zu tun hatte, sondern er zu einer Art Pausenclown der hippen Indiepresse geworden war. Zu Recht, musste man sagen. DeMarco war zuletzt sehr viel besser darin, auf Abruf schlechte AIDS-Witze zu erzählen, vor laufender Kamera seine Homies abzuschlabbern und sich dann und wann eine Marlboro zwischen seine Schneidezähne zu stopfen, als darin, Musik zu schreiben. Sein gediegener, sonniger Slacker-Garagenrock, einst noch von Blogosphere und Fans gefeiert, wurde irgendwann immer belangloser und unwichtiger. In gewisser Weise erlebte DeMarco in den letzten Jahren also eine Art Fler-Effekt, bei dem durch die wahnsinnig unterhaltsamen Interviews und Albereien das eigentliche Hauptprodukt mehr und mehr in den Hintergrund rückte. Bis zum Punkt, wo es dem Songwriter irgendwann selbst zu viel wurde und er eben dieser Pausenclown nicht mehr sein wollte. Man muss ihm auf jeden Fall Probs dafür geben, dass er diesen Imagewandel sehr erfolgreich vollzogen hat. Ab Ende 2016 tauchte Mac kaum noch in Videos auf und wenn, dann redete er viel mehr über sich, seine Erlebnisse und vor allem seine Songs. Gleichzeitig erschienen zu dieser Zeit auch Singles wie This Old Dog und My Old Man, die deutlich subtilere Töne anschlugen und deren Texte sich mit dem Älterwerden, dem Tod und ähnlich düsteren Sachen auseinandersetzten. Der Kanadier war auf dem besten Weg, ein seriöser Künstler zu werden. Und diese neue LP sollte diesen Stilbruch manifestieren. Wenn man mich fragt, ist dieses Vorhaben gelungen, auch wenn das nicht bedeutet, dass Mac DeMarco jetzt interessantere Musik schreibt. Sicher, This Old Dog ist thematisch wie klanglich vielfältiger und eher melancholisch gehalten, doch hört man hier stellenweise doch noch eine gewisse Überforderung mit dem Material heraus. Über die kompletten 43 Minuten des Albums ist nie so etwas wie ein stilistischer roter Faden zu erkennen, das ganze klingt eher wie eine unmotivierte Mischung von Einzeltracks. Und auch die sind in sich ziemlich unstet. Mal als bloße Gitarrensongs konzipiert, fehlt ihnen irgendwie eine ordentliche Substanz, damit man wirklich zuhört. Setzen sie neue Elemente wie Synthesizer oder Piano ein, passiert das meist zu zögerlich, um wirklich eine Wirkung zu entfalten. Wollen Stücke subtil und vorsichtig klingen, enden sie meistens einfach nur öde. Unstimmigkeiten finden sich in vielen Momenten. Was mich an This Old Dog aber am meisten ärgert, ist Macs Gesangsperformance. In fast allen Tracks wispert er hier über eine minimalistische Instrumentalbegleitung, sodass man meinen könnte, er würde zum ersten Mal ein Mikrofon sehen. Vor drei Jahren klang das noch ganz anders. Die besten Momente sind hier dann tatsächlich wieder die wie One Another oder Moonlight On the River, in denen er zu altbewährten Mitteln greift. Nicht weil die per se besser sind (eigentlich dachte ich sogar, ich hätte ein für alle mal genug davon), sondern einfach weil man merkt, dass er sich hier sicher fühlt und ordentlich performen kann. Wobei es auch ein paar Nummern gibt, in denen der Plan einigermaßen aufgeht: In Sister und Watching Him Fade Away funktioniert das Konzept des balladesken Understatements fabelhaft und man bekommt einen Eindruck, wie dieses Album hätte werden können. Außerdem gibt es da den Track A Wolf Wears Sheeps Clothes, in dem Mac die Mundharmonika für sich entdeckt, was auf Anhieb super klingt. Solche Songs würde ich gerne sehr viel mehr von ihm hören. Und ein Teil von mir glaubt, dass das der Fall sein wird. Denn gute Ansätze sind hier durchaus vorhanden. Aber wenn ein Künstler einen Stilbruch wagt, wie DeMarco es hier tut, ist es normal, dass man nicht sofort alles auf die Ketten kriegt. This Old Dog könnte das Album sein, auf dem der Kanadier sich vorsichtig an eine neue Ästhetik herantastet, die er zu einem späteren Zeitpunkt erst richtig ausformuliert. So zumindest der Optimalfall. Es könnte allerdings auch sein, dass Mac DeMarco tatsächlich der maßlos überbewertete Spaßclown ist, der einfach nur tierisches Glück hatte und irgendwie zur Teenie-Ikone geworden ist und hier versucht, seine Rest-Credibility noch irgendwie zu retten, bevor alle den Braten riechen. Aber sowas würde ich natürlich niemals denken...





Persönliche Highlights: Baby You're Out / One Another / Sister / A Wolf Wears Sheeps Clothes / Moonlight On the River / Watching Him Fade Away

Nicht mein Fall: For the First Time / Dreams of Yesterday / One More Love Song / On the Level

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Samstag, 6. Mai 2017

I'm Getting Re-Wired

Die Pflicht, über eine Band zu schreiben, die ich während meiner frühen Teenagerjahre für absolut genial hielt, ruft mal wieder. Weil man ja immer noch irgendwie gespannt ist, wie das ganze inzwischen klingt und weil man sich selbst belügen würde, hätte man sich die neue LP nicht wenigstens mal angehört, macht man den Weg zu den verflossenen Helden ein weiteres Mal. Schon mit dem Vorurteil im Kopf, am Ende so etwas zu sagen wie "Damals hätte ich das bestimmt auch gemocht" oder "Eigentlich waren sie ja nie wirklich gut". Mittlerweile ist man ja geschmacklich so viel weiter. Bei Kasabian habe ich diese Prozedur schon ein paarmal durchgemacht. Spätestens seit dem Totalflop ihres letzten Albums 48:13 von 2014 sind die Briten bei mir unter dem Begriff "Jugendsünde" abgespeichert und es erscheint mir ein bisschen dämlich, wie ich einst bestenfalls okaye Platten wie Velociraptor! oder Empire so feiern konnte. Und mit jedem Jahr, das ins Land geht, wirkt ihre Musik ein Stückchen anachronistischer und gestelzter. Der grandiose Star-Status der Formation schrumpft stetig weiter und die von mir einmal höllisch verehrten Frontmänner Tom Meighan und Sergio Pizzorno sind zwei blasierte Vollpfosten, die sich für Jimi Hendrix und Mick Jagger halten, wobei der eine dabei immer mehr aussieht wie der Anführer eine lokalen Hooligan-Gruppierung und der andere wie eine exotische Vogelgattung. Dementsprechend überraschend ist es, dass Kasabian mit For Crying Out Loud doch eine ziemlich passable und unpeinliche Performance abliefern. Nach Jahren der völligen Überhöhung der eigenen Rolle und Musik, die dazu sehr wenig passte scheinen die Briten hier den Boden der Tatsachen wiedergefunden zu haben. Wir erleben hier ihre sicherlich unspektakulärste LP seit langem, aber wenigstens ist diese Wirkung diesmal Absicht. 2017 gehen Kasabian den Weg der Gemütlichkeit. Während bei anderen Künstler*innen wie den Kaiser Chiefs oder Maximo Park dieser Weg damit einhergeht, immer langweiliger und gewollter zu klingen, erleben wir auf For Crying Out Loud eine ganz neue Spielfreude und Spontaneität, die ansteckend ist. Die schmissigen, drolligen Popsongs, die einen Großteil der Tracklist ausmachen, sind fast immer gelungen, ziemlich kreativ und machen Bock auf dieses Album. Sie sind nicht mehr so dramatisch und bombastisch wie die der vorherigen Platten, aber das wollte doch eigentlich eh nie jemand hören. Und ihr Talent für tanzbare Upbeat-Hits ist bestechend. Denn es gibt einfach so viele gute Songs hier: Der Opener Ill Ray (the King) mit seiner mitreißenden Eröffnungs-Hook, Comeback Kid und Good Fight, die mal wieder herrlich an die besten One-Hit-Wonder der Sixties erinnern oder die simple Ballade All Through the Night, bei der auch Fans der "alten" Kasabian auf ihre Kosten kommen. Die Krönung des Albums ist jedoch ohne jeden Zweifel die fast neunminütige Madchester-Hymne Are You Looking for Action, die auch den letzten Skeptiker überzeugen sollte, dass die Band es noch drauf hat. Der Track ist tanzbar und fluffig, dabei unglaublich vielseitig und knallig, kurzum einer der besten Songs in der Karriere der Briten. Auf einem ihrer besten Alben. So etwas über For Crying Out Loud zu sagen, daran hätte ich mir bis vor wenigen Tagen noch keinen Gedanken verschwendet, doch es ist irgendwie passiert. Und es macht mich glücklich. Eine ehemalige Lieblingsband zu sehen, die einen dermaßen geilen U-Turn hinbekommt und dadurch neue Souveränität und Spielfreude findet, ist wunderschön. Nicht nur hat es sich gelohnt, aufmerksam zu bleiben und die Treue zu halten, man kann jetzt auch wieder sagen, dass man vielleicht ein bisschen stolz darauf ist, Kasabian-Fan zu sein. Obwohl ich das mittlerweile nicht mehr von mir behaupten würde.





Persönliche Highlights: Ill Ray (the King) / Good Fight / Comeback Kid / the Party Never Ends / Are You Looking for Action / All Through the Night / Bless This Acid House / Put Your Life On It

Nicht mein Fall: Sixteen Blocks

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