Mittwoch, 24. Mai 2017

Anstelle einer Besprechung: symphatische Sexverbrecher

Meine Einmischung zum in den letzten Wochen überall diskutierten Thema PWR BTTM kommt zugegeben recht spät. Doch abgesehen davon, dass mir gerade in besagter Zeit mein eigener Plan etwas über den Kopf gewachsen ist (schließlich mache ich auch noch was anderes als Texte schreiben), wollte ich auch abwarten, bis die ganze Schererei auch wirklich definitiv zu Ende ist, um wirklich ein umfassendes Bild über das ganze Chaos zu haben. Und mit der praktischen Notschlachtung der Band dürfte dies nun der Fall sein. Ich habe privat dazu schon einige Meinungen geäußert und ich möchte hier noch einmal richtig ausholen und meinen Senf zur Sache dazu geben. Doch für alle, die nicht mitbekommen haben, wie es dazu kam, will ich aus meiner Perspektive noch einmal die ganze Geschichte schlidern. Und die beginnt für mich ungefähr vor zwei Monaten. Es war die Zeit, in der es für jemanden wie mich einfach unvermeidlich wurde, sich mit PWR BTTM zu beschäftigen. Schon vorher hatte ich irgendwann von der Single Answer My Text Wind bekommen und fand sie auch einigermaßen witzig, allerdings waren die beiden für mich bis dahin einfach irgendeine Indieband. Davon, dass es in den Staaten zu diesem Zeitpunkt bereits eine irre Fanbase und so etwas wie einen Hype um ihre neue LP Pageant gab, hatte ich keine Ahnung. Erst als die beiden Ende April plötzlich auf so ziemlich jeder coolen Videoplattform auftauchten, wurde auch ich angesteckt. Ben Hopkins und Liv Bruce wirkten wie die Sorte von Leuten, zu der auch Mac DeMarco und Action Bronson gehören, sprich Leute, die man auf die unpersönliche Distanz eines Webvideos einfach sofort sympathisch findet. Ihr musikalischer Output ist für die meisten dabei eher Nebensache, was zählt ist die überschwängliche Coolness von Liv und Ben, die Klicks verspricht. Wenn eine von beiden sich vor laufender Kamera eine Nase Poppers reinzieht, die andere über ihr Makeup lamentiert, oder alle beide gegenseitig ihre Lieblings-Glitterfarbe erraten müssen, wird einem als Konsument schon warm ums Herz. Gerade weil die zwei eben so eine großartige Chemie zusammen haben und scheinbar keinerlei Showbiz-Maske aufsetzen wollen. Und mir war warm ums Herz. Wenige Interviews und Musikvideos musste ich schauen, um eine ganze Reihe begeisterter Tweets über diese neue, tolle Band loszulassen, die ich gerade entdeckt hatte und Links an alle meine Freunde zu verschicken. Für etwa eine Woche waren PWR BTTM mein absolutes Lieblingsthema. Dass sie zu diesem Zeitpunkt vor allem auch ein wichtiges Sprachrohr der Queer-Community waren, war für mich dabei eher eine schöne Nebensache und etwas, worüber ich mich freute. Ich will diesen Aspekt hier nicht zu sehr vertiefen, zumal Sasha Geffen darüber bereits einen fantastischen Artikel geschrieben hat. Sicher ist das ein extrem wichtiger Punkt, doch meine persönliche Einstellung zu der Band hat das zu keinem Zeitpunkt groß beeinflusst. Für mich ging es an dieser Stelle einfach um zwei sympathische Musiker*innen. Und wie schwer es ist, diese ganz plötzlich nicht mehr zu mögen, musste ich in den letzten vier Wochen einmal mehr feststellen. Etwa eine Woche vor dem Release-Termin von Pageant wurden die ersten Vorwürfe gegen Ben Hopkins laut, die gleich mal ziemlich deftig waren. Die Gitarrist*in sollte innerhalb der Szene queere Menschen mehrfach sexuell belästigt und angegriffen haben, darunter auch häufiger Minderjährige. Ein Facebook-Post, veröffentlicht bei Jezebel warnte davor, die Shows der Band zu besuchen, ihre Platten zu kaufen und sie in Safe Spaces zu lassen. Es wurde von Hopkins als "known sexual predator" gesprochen. Weitere Anschuldigungen, demnach diese auch antisemitische Äußerungen verbreitet hätte, wirkten daneben schon fast wie Peanuts. Und von da an zog sich die Schlinge um PWR BTTM immer weiter zu. Aufgrund der ersten Vorwürfe, die die Band dementierte, wurde von ihnen selbst eine Mailadresse eingerichtet, an die sich Opfer sexueller Angriffe wenden konnten. Nur wenige Tage später hatten weitere Personen aus dem Umfeld der beiden die schweren Anschuldigungen bestätigt. Die Sache war also nun nicht mehr aufzuhalten. Auch gegen Liv Bruce wurde nun ausgesagt, sie hätte von den Übergriffen gewusst und diese nicht verhindert, weitere Beteiligte sollen von Hopkins' Umtrieben gewusst haben. Was zunächst wie die Arschigkeit eines Einzelnen aussah, entwickelte sich nun zum Szene-Skandal. Es stank zum Himmel. Und die Reaktionen der meisten waren entsprechend schnell gefasst: Beide Tour-Supports sprangen ab, Polyvinyl kündigte den Vertrag, Festivals strichen die Band vom Line-Up, Shows wurden abgesagt, Platten nicht mehr verkauft, Streaming-Anbieter löschten die Diskografie aus den Katalogen. Innerhalb weniger Tage versuchte man mehr oder weniger erfolgreich, PWR BTTM komplett aus der Öffentlichkeit zu tilgen und so zu tun, als wären sie nie da gewesen. Und denen, die vorher den Hype angefacht hatten, war natürlich alles furchtbar unangenehm. Inzwischen scheint über das komplette Thema ein Mantel des Schweigens zu fallen, den auch die (tatsächlich ziemlich dämliche und feige) offizielle Stellungnahme der Band nicht aufhält. Trotzdem hinterlassen Ben Hopkins und Liv Bruce jede Menge verbrannte Erde. Nachdem der erste Scherbenhaufen in Form der beiden Musiker*innen aufgekehrt wurde, wird die Spurensuche sicher auch vor ihrem Umfeld nicht halt machen. Zu Recht, wie ich finde, denn eine Szene, die über Jahre hinweg den kommerziellen Aufstieg einer unter sich bekannten Sexualverbrecherin deckt, hat irgendwo ein schweres Problem. Was jetzt keinesfalls ein Affront gegen die Queer-Community sein soll, denn solcherlei Delikte gibt es leider Gottes überall. Es ist eben einfach Mist, dass die ganze Sache erst geplatzt ist, als es schon fast zu spät war und man das hätte verhindern können. Gewisse Dinge können jetzt einfach nicht mehr rückgängig gemacht werden und ein paar tausend Fans, ich eingeschlossen, sind gerade um eine Lieblingsband ärmer geworden. Sowas ist immer doof. Man muss allerdings auch sagen, dass es genau so deutlich schlimmer hätte laufen können. Die radikale Sanktionierung der Band war in dieser Situation für mich leider die einzig richtige Maßnahme und im Vergleich zu anderen Fällen gab es überhaupt mal eine. Wie viele Jahre ist beispielsweise Bill Cosby ein beliebter Promi gewesen, während er andere Menschen vergewaltigte? Und Swans-Frontmann Michael Gira wird trotz eines medial bestens aufgearbeiteten Skandals noch immer von den meisten Leuten gefeiert. An PWR BTTM sieht man nun endlich mal, dass es auch anders geht. Unschön ist es trotzdem irgendwie. Man kommt inzwischen selbst als einwöchiger Fan so vor wie in Fernsehsendungen immer die Nachbarn der Killer, die verdutzt gucken und sagen: "Das waren doch sooo nette Leute..."

P.S.: In den meisten Interviews verwenden Hopkins und Bruce für sich gegenseitig weibliche Pronomen, also war ich so frei, das für diesen Artikel so zu übernehmen.

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen