Sonntag, 14. Mai 2017

In Echt: Guccibäuche aller Länder...

Die Guccibäuche sind mittlerweile echt. Immer, wenn an diesem Nachmittag einer der beiden Rapper die Arme etwas weiter hebt, um die fünfhundertste Bierdusche über das Publikum regnen zu lassen oder das Mikro in die Menge zu halten, baumelt unten eine stattliche Plauze aus dem schwarzen Shirt und über Testos Versace-Schlüpper. Schöne Popstars sind Zugezogen Maskulin nun wirklich nicht, aber gerade das macht sie irgendwie auch aus. Wobei man das gestern in Chemnitz manchmal hätte denken können. Wer so gegen 15 Uhr den Platz vor dem Karl-Marx-Städter Nischel betritt, erlebt ein eher gemütlich-familiäres Event. Ein DJ legt Trap auf, die lokale Brauerei hat einen Bierstand installiert und junge Eltern haben den Nachwuchs mit zum Konzert gebracht. Man selbst trifft auch erstmal jede Menge Leute (Shoutout an Fabi und Daniel!) und lässt sich von der Gelassenheit anstecken. Wenig deutet darauf hin, dass hier gleich die Band spielt, die durch Lines wie "wir drehen den Swag auf, vom Maas bis an die Memel" bekannt geworden ist. Zumindest noch. Denn Zugezogen Maskulin wissen, weshalb sie hier sind. Chemnitz, insbesondere die bedeutungsschwangere Location zu Füßen von Kalle Marx, bietet den perfekten Schauplatz für die grotesk-ironische Inszenierung des ZM-Zirkus. Eine Zeile wie "die Kritik an Hipstern kann die Hipster der Kritik nicht ersetzen" quasi live dem Typen im Munde herumzudrehen, der über einem in Stein gemeißelt steht, ist schon savage. Und die beiden Rapper sind sich dessen bewusst. Dass es dazu Sektduschen, Goldketten und Markenjeans gibt, ist in diesem Zusammenhang nur konsequent. Opener des ungefähr einstündigen Sets ist Endlich wieder Krieg, mit dem vielleicht gleich etwas viel Pulver für ein noch viel zu chillaxtes Publikum verschossen wird. Spannend ist jedoch, dass man hier, so wie später auch noch in vielen weiteren Songs, komplett neue Instrumentals hört. Tour-Beatmeister Kenji (der im übrigen Geburtstag hat) steuert die Tracks damit teilweise in komplett andere Richtungen als vorher. So wird besagter Opener eine ganze Ecke epochaler, Grauweißer Rauch kippt rhythmisch total um und Alles brennt bekommt einen deftigen Dancehall-Spritzer ab. Diese Neuerungen sind mitunter richtig genial, teilweise aber auch eher seltsam. Auf jeden Fall scheint das Publikum damit weniger überfordert als die Rapper selbst. Und gerade im Fall von Alles brennt kommt am Ende doch noch der Album-Beat und alle sind glücklich. Überhaupt ist Kenji an diesem Nachmittag vielleicht die größte Überraschung des Konzerts. In Plattenbau O.S.T. und Schiffbruch packt er zum Beispiel ganz plötzlich eine Geige aus und fidelt nebenbei noch ein stimmiges Outro zusammen. Im Vergleich zu Grim und Testo begeistert er damit sicherlich am meisten. Die beiden Rapper lassen, gerade zum Ende der Show, immer wieder leichte Patzer zu: Einsätze kommen nicht, es muss aufs Textblatt geschaut werden, ein- oder zweimal rettet das Playback. Besonders Agenturensohn wird Skill-technisch zur ziemlichen Katastrophe, aber wenigstens können es alle mit Humor nehmen. Und abgesehen davon ist der größte Teil des Konzertes mehr als solide. Die vielen wahnsinnig gutes Songs des letzten Albums sind auch live der absolute Bringer, darüber hinaus ist das Publikum textsicher und mosh-freudig unterwegs. Die Band unterstützt das mit zahllosen Getränkeduschen und Wall-of-Death-Aufrufen und am Ende wird das ganze trotz der frühen Uhrzeit eine ziemliche Party. Mit Gemütlichkeit hat das dann nicht mehr viel zu tun. Unter vier Zugaben kommen Zugezogen Maskulin nicht von der Bühne und zwischendurch kommt auch noch die ersehnte Ansage, dass die beiden ja wieder im Studio sind und es jetzt bald vielleicht auch was neues zu hören gibt. Es dürfte schlussendlich also keinen geben, den das gestrige Konzert nicht in irgendeiner Form glücklich gemacht hat. Als zum Finale der gesamte Platz die Hook von Alles brennt mitsingt, kann man den Worten "Wir sind eine Gang" somit durchaus Glauben schenken. Und vielleicht hätte das sogar Karl Marx ganz gut gefunden.

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