Montag, 28. September 2020

What's A Bratan Gonna Do?

 


[ kommerziell | forciert | unecht ]

Als Capital Bra und Samra mit Berlin lebt 2 letzte Saison in meinen 30 liebsten Alben des Jahres landeten, war das auch für mich irgendwie eine Überraschung. Es war eine Platte, die in Bereichen eine unfassbare Qualität aufzeigte, in denen ich solche vom Prinzip her gar nicht vermutet hatte und bei der ich schon am Anfang befürchtete, dass ihre Großartigkeit sehr fragil wäre. Die theoretischen Schwächen, die die beiden auf dieser LP so oft haarscharf umschifften und stattdessen in glühendes Deutschrap-Gold verwandelten, zeigten sich später vor allem in den anderen Projekten der beiden Künstler. Sowohl Samra als auch Capi fahren seit BL2 jeweils stilistische Filme, die ihrer Zusammenarbeit von letzter Saison sehr ähnlich sind, nur eben nicht im Mindesten so cool. Wobei sich bei mir mehr und mehr der Verdacht einschleicht, dass jener Überraschungs-Favorit eben nur ein sehr glücklicher Zufall war, bei dem einmal kurz alles stimmte. Und keine Sache ist in dieser Hinsicht ein so deutliches Indiz wie diese neue LP von Capital Bra, die künstlerisch vor allem anderen eine umfassende Orientierungslosigkeit porträtiert. Wobei diese für mich schon ein wenig überraschend kommt. Wenn ich an der Diskografie des Berliners bisher eines immer zu schätzen wusste, war es seine Fähigkeit, gleichzeitig sehr kommerzielle Musik zu machen und dabei trotzdem nicht anbiedernd zu wirken. Nicht nur auf Berlin lebt 2 hatte ich bei Capi immer das Gefühl, dass sein musikalischer Charakter tatsächlich irgendwie sein eigener ist und nur deshalb so erfolgreich, weil er aus sich selbst heraus die richtigen Knöpfe drückte. Das einzige Problem daran war eben, dass diese Stilistik zuletzt auch mehr und mehr zur Formel wurde, die immer wieder relativ identisch klang. CB7 ist nun anscheinend der Versuch, daraus auszubrechen, aber gleichzeitig auch die erste Platte, auf der sich der Berliner nicht mehr ganz so natürlich anfühlt. Dabei ist die Ablösung von alten Angewohnheiten eine, die hier noch sehr zögerlich vonstatten geht und sehr auf Sicherheit spielt. Nicht nur setzt Capi hier mehr denn je auf den inflationären Einsatz seiner etablierten Catchphrases, auch auf der Tracklist verbleibt eine ganze Reihe von Tracks wie Zeit vergeht, Nicht verdient oder 100k Cash, die nach klassischer Bra-Schule klingen und die wahrscheinlich die Fans dort abholen sollen, wo sie sind. Aufbauend darauf wird hier aber an vielen Stellen versucht, die musikalische Identität der letzten Platten aufzuweichen und die Idee Capital Bra zu diversifizieren. Und das geschieht zum Teil mit Methoden, die ich persönlich seltsam bis unpassend finde. Schon auf der Gästeliste dieses Albums wird man dahingehend stutzig, denn neben üblichen Verdächtigen wie Samra, Loredana oder Kalazh44 finden sich hier auch ein paar sehr ulkige Kandidat*innen wie Cro, Sido, SDP, Gestört aber Geil und Clueso, die auf den ersten Blick (und um ehrlich zu sein auch danach) so gar nicht in die stilistische Welt dieses Typen passen. Und schon hier wird klar, dass die musikalische Öffnung vielleicht etwas forciert sein könnte. Ich will an dieser Stelle nicht darüber spekulieren, ob es sich dabei um Label-Entscheidungen handelt oder Capital das alles selbst so wollte, Fakt ist: Es passt vorne und hinten nicht. Es ist die eine Sache, wenn die düstere Ostblock-Badboy-Attitüde hier und da mit ein paar Dancehall- und Latin-Beats aufgelockert wird und obwohl diese meistens sehr billig klingen, funktionieren sie vom Konzept her noch irgendwie. Aber wenn in Frühstück in Paris plötzlich Franz Ferdinand-Gitarren zu hören sind, High Five ein kriminell dreister Klau von Ed Sheerans Shape of You ist (Deutschrap ist fresher denn je!) oder Gestört aber Geil vom gleichnamigen EDM-Duo komplett fremdvereinnahmt wird, ist das schon arg peinlich und fühlt sich an wie im falschen Film. Was letztendlich auch inhaltlich dazu führt, dass CB7 zum ersten Mal sehr anbiedernd klingt. Der allerbeste Texter war Capi ja noch nie, doch hier wirkt vieles ernsthaft hingeschludert und bewusst auf Klischees getrimmt. Zusätzlich sind manche Lyrics diesmal ganz besonders eklig misogyn und es werden teilweise ganze Songs in jener furchtbaren Säuselstimme performt, die wahrscheinlich sexy sein soll, aber im Endeffekt eher creepy rüberkommt. Mein ganz persönliches Kryptonit in dieser Hinsicht ist der Song Virus, der nicht nur mit Abstand der schlechteste Song der Platte ist, sondern auch merklich auf eine sehr offensichtliche saisonale Thematik zugeschnitten wurde, sodass man in jeder Zeile spürt, wie verzweifelt man damit versucht hat, die einschlägigen Spotify-Playlisten zu hitten. Zugegeben, nicht jeder der immerhin 21 Tracks hier ist so schlimm, mit Komm Komm und Makarov Komplex II gibt es zwei ernsthaft gute Banger und auch das Realtalk-Closer-Double aus Der Bratan bleibt der gleiche und Einsam an der Spitze ist ein echtes Highlight. Gefühlt sind diese Stücke aber die Ausnahme und Teilen sich diese Platte mit einem viel größeren Part ganz okayer, mittelmäßiger und peinlicher Stücke, die grundlegend eher das Gefühl vermitteln, dass sich hier mächtig verzettelt wurde. CB7 ist kein Totalschaden, aber ein sehr unfokussiertes, anbiederndes Großprojekt, das nicht so richtig weiß, was es eigentlich von sich selbst will. Capital Bra versucht hier ein bisschen, alle auf einmal glücklich zu machen, endet aber mit einem Haufen Musik, die eher ziemlich egal sind. Was leider bedeutet, dass er sich hier ein bisschen mit der Viel-Material-wenig-Substanz-Krankheit angesteckt hat, die im Mainstream-Rap seit Jahren die Runde macht und gegen die er eigentlich lange immun war. Wenigstens hat er nicht auch noch ein schlechtes Ami-Feature gekauft, das hätte zu dieser Platte eigentlich noch sehr gut gepasst.


Hat was von
Haftbefehl
Das weiße Album

Bonez MC & RAF Camora
 Palmen aus Plastik 2

Persönliche Höhepunkte
Makarov Komplex II | Zeit vergeht | 100k Cash | Komm Komm | Der Bratan bleibt der gleiche | Einsam an der Spitze

Nicht mein Fall
Keine Helden | Nicht verdient | Papas Passat | Früher pleite heute Benz | Frühstück in Paris | Eda Özil | Wenn ich will | Virus | Gestört aber Geil | 1A

Sonntag, 27. September 2020

Just As I Expected...

 Deradoorian - Find the Sun


[ schamanisch | krautig | esoterisch ]

Es ist glaube ich keine Übertreibung zu sagen, dass Find the Sun das von mir am sehnlichsten erwartete Album in dieser Saison ist, das ich nun bereits schon seit Frühjahr ganz oben auf meiner Release-Liste habe. Das hat zugegebenermaßen ein bisschen damit zu tun, dass sich die Promophse dieser LP inklusive Release-Aufschub nun schon weit über ein halbes Jahr hinzieht und eine gewisse Vorfreunde dadurch sehr befeuert wurde, aber es liegt auch daran, dass die Singles, die innerhalb dieser langen Zeit zahlreich veröffentlicht wurden, allesamt großartig waren. Für Angel Deradoorian, die im wichtigen Leben tatsächlich so heißt, ist es dabei insgesamt schon der dritte Langspieler. Nachdem sie in den Zwotausendern zunächst ihre Sporen als Mitglied der Band von Avey Tare und den Dirty Projectors verdiente, ist sie seit etwa zehn Jahren auch solo aktiv und widmete sich innerhalb dieser Beschäftigung schon einer recht bunten Palette aus Indiefolk, experimentellem Electronica und Ambient. Ihr größtes Steckenpferd lag jedoch schon immer im Bereich der soften Psychedelik und mit Find the Sun auch erstmals explizit in dessen Rock-Fraktion. Die genaue Einordnung ist dabei wie immer recht schwierig, doch geht die grobe Marschrichtung definitiv deutlich in Richtung Krautrock und Hippie-Folk, gelegentlich ergänzt durch einen Tupfer New Age. Mich persönlich erinnert vieles daran stark an die Band Goat, die ja auch diese gewisse Art schamanischer Rockmusik mit vielen Folk-Bezügen macht, wenngleich Deradoorian etwas weniger Waldgeist und etwas mehr schwarze Priesterin ist. Find the Sun ist dabei nicht unbedingt ein besonders grooviges oder fetziges Album, dennoch wird es an vielen Stellen dominiert von einem sehr präsenten, Jaki Liebezeit verehrenden Schlagzeug, das in Songs wie the Illuminator oder Saturnine Nights auch gerne mal sehr exklusiv zu hören ist. Dazu spielt oft eine sehr rustikale, rhythmische Variante von Gitarrenarrangement, die ebenfalls stark an Gruppen wie Can oder Amon Düül II erinnert. Besonders mag ich daran den zwar spärlichen, aber klanglich herrlich akzentuierten Bass, der immer wieder auftaucht. Gebrochen wird das ganze dann hin und wieder durch eher folkige Nummern wie Waterlily oder Monk's Robes, die sich dann auch nicht scheuen, ein aufwändiges Topping aus Flöten, Piano-Passagen und ambienten Synths einzubauen. Und obwohl die gesamte Platte dabei eine mehr oder weniger einheitliche Ästhetik fährt, ist man doch immer wieder überrascht, was Deradoorian damit alles anstellen kann und wie vielfältig jeder Song für sich klingt. Wo man in Waterlilys gerade noch eine sanfte Folk-Vignette hatte, steigt It Was Me im nächsten Moment in die Krautrock-Steigbügel, nur um im nächsten Moment in das fast an Samba-Jazz angelehnte Devil's Market überzugehen. Mit Mask of Yesterday driftet die Platte zum Ende hin dann leider etwas ins Dröge ab, was der Closer Sun in seinen fast acht Minuten auch nur schleppend wieder herausholt und mit einem für ein so hochwertiges Album etwas dürftigen Finale beschließt. Das macht die Sache am Schluss ein bisschen madig, ändert aber auch nicht viel daran, dass in diesem Album generell ein großer Haufen gute Arbeit steckt. Klar ist es kein großes Aha-Erlebnis, wenn diese Platte meinen ziemlich hoch gesteckten Erwartungen "einfach nur" entspricht, aber bei meiner krassen Vorfreude ist das auch das schon echt eine Leistung. Und allermindestens gibt es hier eine ganze Reihe von Songs, die wahrscheinlich über kurz oder lang den Weg in meine Heavy Rotation finden. Dringende Empfehlung also, auch wenn Find the Sun mit ziemlicher Sicherheit nicht das Album des Jahres wird. Wäre ja auch langweilig, sich selbst so zu bestätigen.


Hat was von
Goat
Requiem

Amon Düül II
Yeti

Persönliche Höhepunkte
Red Den | Corsican Shores | Saturnine Night | Monk's Robes | the Illuminator | Waterlily | It Was Me | Devil's Market

Nicht mein Fall
Mask of Yesterday

Samstag, 26. September 2020

Keyboardsolo für Jesus

 Neal Morse - Sola Gratia

 
[ musiktheatralisch | retroproggig | religiös ]

Wenn man wie ich jetzt schon ein paar Jahre länger dabei ist, regelmäßig über Musik zu schreiben und dabei auch mehrere stilistische Findungsphasen durchlaufen hat, ist es unabdingbar, dass sich der generelle Musikgeschmack auf dem Weg dahin mitunter dramatisch verändert, und meiner Ansicht nach ist es eine der besten Sachen, die bei einer solchen Beschäftigung passieren kann. Interessant ist, dass es dabei auch immer wieder Marker gibt, die diese Veränderung sehr deutlich spürbar machen. Platten, bei denen man ganz genau weiß, dass man darüber vor wenigen Jahren noch ganz anders gedacht hätte. Und der Hauptgrund, warum ich heute über Sola Gratia von Neal Morse schreiben möchte, ist der, dass sie genau so eine ist und ich mir ziemlich sicher bin, dass vor acht Jahren, als ich diesen Mist hier anfing, so ein Album nicht mal mit dem Arsch angeguckt hätte. Die Parameter, in diesem Falle vor allem ihr Interpret, sprechen hier nämlich schon für sich. Bekannt ist Neal Morse, Sänger, Multiinstrumenalist und Komponist mit einem riesigen musikalischen Œuvre, vor allem durch seine Mitgliedschaft in den Bands Spock's Beard und Transatlantic, beides Formationen aus den tiefsten Tabuzonen des Neunziger-Prog, die ich bis heute tunlichst gemieden habe. Ferner ist sein Solo-Output, der seit 1999 etwa 60 (!) Alben umfasst, zusätzlich dem diffusen Feld der christlichen Rockmusik zuzuordnen, in dem er sich seit einiger Zeit auch zunehmend dem Bereich Musiktheater zuwendet. Und Sola Gratia vereint all diese Unantastbarkeiten als christliches Retroprog-Musical über die Lebensgeschichte des Paulus von Tarsus auch noch konsequent in einem Album. Schon allein diese Beschreibung hätte vor wenigen Jahren gereicht, um mein Interesse direkt im Keim zu ersticken. Glücklicherweise bekam ich diese im Vorfeld dieser LP nicht zugesteckt und hörte vor ein paar Tagen ganz unbescholten erste Teile der Platte, die mich irgendwie begeisterten. Und als ich vor ein paar Tagen dann den ganzen Kontext dazu recherchierte, fand ich das Ding schon zu geil, um irgendwelche Abscheu darüber zu empfinden. Wobei man sich hier definitiv keine Illusionen machen sollte: Sola Gratia ist musikalisch genauso kitschig, wie es von der Idee her klingt. Als Musical mit christlicher Heldenreise als Themenbezug hat es durchaus die großen Schmalz-Momente eines Jesus Christ Superstar und Neal Morse ist nicht gerade ein Sänger, der sich bemüht, diesen Pathos zu schmälern. Nimmt man dazu die verklausulierten Prog-Eskapaden, die hier stattfinden und die etwas billige Hochglanz-Produktion inklusive programmiertem Schlagzeug und minutenlangen Keyboardsolos, ist das hier schon ein ganz schöner Brocken. Ein Brocken allerdings, der sich durch seine vielen Extreme auch selbst angenehm ausbalanciert. Als monumentale Prog-Oper würde das hier normalerweise Gefahr laufen, völlig überkompliziert und technisch zu sein, doch gibt der schnulzige Musical-Aspekt dem ganzen etwas getragenes, das das Tempo wunderbar drosselt. Andersherum ist vieles hier eben nicht ganz so ätzend kitschig wie ein "richtiges" Musical, weil zwischendurch eben doch mal ein freaky Gitarrensolo oder kantiger Metal-Moment reinplatzt. Besonders gelungen finde ich hier jedoch die lyrische Arbeit, die sowohl für die Verhältnisse von Prog-Storykonzepten als auch für Musiktheater extrem gut geworden sind. Dadurch, dass hier eben nicht die Songs missbraucht werden, um eine Handlung voranzubringen, sondern der Fokus auf dem inneren Konflikt der Hauptfigur liegt (die ich vorher auch nur sehr sporadisch kannte, aber es geht wohl irgendwie um die Entdeckung der Bedeutung von Jesus oder so), wirkt das hier wesentlich echter und nicht eine Sekunde lang bemüht. Die biblische Thematik der Geschichte hilft dabei sogar immens, da sie für diese Gedankenwälzungen als Vorlage schon viel hergibt. Klar gibt es dabei ein paar ulkige Momente und das hymnische Ende in the Glory of the Lord ist definitiv überzogen, aber tonal passt wenigstens alles zusammen. Was noch besser dadurch wird, dass fast alle Songs hier extrem smooth ineinander übergehen, klangliche Brücken von einem Punkt der Geschichte zum anderen bauen und es ein kompositorisches Hauptmotiv gibt, dass immer wieder auftaucht. Dramaturgisch ist das hier also auf jeden Fall eine Eins mit Sternchen, in Sachen Prog-Ästhetik zumindest überzeugender als die allermeisten Platten in dieser Stilistik. Sicher bin ich am Ende des Tages noch immer ein bisschen selbst überrascht, wie gut ich diese LP finde, wenn ich mir die innewohnenden Strukturen anschaue, aber auch irgendwie nicht. Sola Gratia nimmt die Attribute, die ich normalerweise an den Bestandteilen Retroprog und modernes Musiktheater hasse und dividiert sie durch sich selbst aus. Womit das hier die Platte wird, die so vielen anderen Versuchen zeigt, wie man es richtig macht. Dass es dabei ausgerechnet ein christliches Rockalbum aus der Feder des Typen von Spock's Beard ist, ist da fast schon ein witziger Nebenaspekt. Und für die eigentliche Qualität des ganzen sowieso völlig unwichtig.




Hat was von
Andrew Lloyd Webber & Tim Rice
Jesus Christ Superstar

Rush
2112

Persönliche Höhepunkte
Overture | In the Name of the Lord | Ballyhoo (the Chosen Ones) | March of the Pharisees | Overflow | Warmer Than the Sunshine | Never Change | Seemingly Sincere | the Light On the Road to Damascus | Now I Can See / the Great Commission

Nicht mein Fall
-

Freitag, 25. September 2020

Die Würde des Manson

 Marilyn Manson - We Are Chaos

 
[ theatralisch | erwachsen | düster ]
 
Marilyn Manson ist in dem knappen Vierteljahrhundert, das ich nun bereits auf dieser Erde wandle, bisher nie ein Künstler gewesen, für den ich mich auch nur ein kleines bisschen interessiert hätte. Sicher, als Angehöriger meiner Generation ist das auch eine Sache, die relativ einfach ist, denn als Mitte der Neunziger Geborener war ich nicht wissentlich mit der Omnipräsenz dieses Musikers in genau dieser Zeit konfrontiert, aber kann man mir glauben, dass es dennoch genug Gelegenheiten gegeben hätte, ihm auch nachträglich anheim zu fallen. In der Metal- und Punker-Bubble, in der ich als Teenager hauptsächlich unterwegs war, mochten viele den Antichrist Superstar nach wie vor sehr gerne, nur ich fand ihn irgendwie schon damals eher ziemlich clownesk und überzogen und fühlte mich eher zu bodenständigen, tragischen Figuren wie Kurt Cobain und John Frusciante hingezogen. Und auch in all den Jahren danach habe ich nie ernsthaft die Neugier verspürt, mich mit Manson so ausführlich zu beschäftigen wie ich es hier erstmals tue. Die Gründe dafür haben dabei letztendlich auch nicht nur mit mir zu tun. Zunächst mal ist es ein bisschen Fanservice, da viele meiner Freund*innen, die das hier vielleicht lesen, diese Platte wahrscheinlich ernsthaft interessiert, des weiteren beobachte ich an der Figur des Marilyn Manson in den letzten Jahren zusehends, wie sein früher Katalog und somit der Künstler als Gesamtheit zu einer Art Klassiker wird. Dass der Trend dahin geht, ist wahrscheinlich unvermeidbar, ist dieser Typ doch einer der prominentesten Popmusiker*innen, die je als Elternschock und Jugendgefährdung ein ernsthaftes Renommee hatten und damit irgendwie auch eine Symbolfigur der Generation X. Dass dieses Image nun, da er selbst über 50 ist, langsam Staub ansetzt, versteht sich natürlich von selbst. Wobei sich Manson und seine Kompositionspartner*innen in den letzten Jahren anscheinend Mühe gegeben haben, ebendieses hinter sich zu lassen und mit ihren letzten beiden Alben einen erwachseneren, versierteren Sound aufzubauen. Ich selbst kenne diese bis jetzt nur auszugsweise, doch reden wir über die Dinge, die hier auf We Are Chaos passieren, muss ich angetan zugeben, dass dieser Übergang bisher fabelhaft gelungen ist. Zumindest ist das hier ein besseres Gesamtergebnis, als ich es mir im Jahr 2020 von jemandem wie Marilyn Manson hätte träumen lassen. Diese LP schafft das große songwriterische Kunststück, gleichzeitig die klangliche Grundidee weiterzuführen, die den Charakter und die Marke dieses Künstlers ausmacht (ihr wisst schon, die schmissigen Industrial-Beats, die Endneunziger-Gitarrengrooves und vor allem die räudige Horrorclown-Stimme), aber diese auch abzumildern und reifer zu machen. Wenn ich hier Songs wie Infinite Darkness, Don't Chase the Dead oder Perfume höre, denke ich noch immer an die gleiche musikalische Type, bin aber nicht ansatzweise so genervt, weil hier nicht jede kreative Entscheidung der Maximierung des Schockeffekts dient. Im Gegenteil: Auf We Are Chaos erkenne ich erstmals eine halbwegs ernsthafte Düsternis und eine romantische Tragik, die seine Songs (zumindest die, die ich kenne) vorher selten hatten. Natürlich ist diese noch immer sehr theatralisch und aufgebrezelt, aber lange nicht so bescheuert Pennywise-mäßig wie früher. Ästhetisch erinnert mich hier vieles an die Gothrock/Industrial-Phase der Smashing Pumpkins in den späten Neunzigern oder die perfekte Mischung aus Poppy und Glenn Danzig und generell habe ich den Eindruck, dass diese Platte eher in Richung Gothrock geht als Industrial oder Alt-Metal. Den affigen Matrix-Mantel hat Mansons Sound dabei noch nicht ganz abgelegt, aber ihn zumindest schonmal mit Hemd und Krawatte kombiniert, sodass die Eltern, die ihn früher so furchtbar fanden vielleicht nicht mehr direkt auf die Barrikaden gehen. Nicht, dass das je irgendwie das Ziel gewesen wäre, aber man muss eben schauen, wo man bleibt, wenn man nicht mehr 30 ist. Und es ist erstaunlich zu sehen, dass ein ausgrechnet Künstler wie dieser es tatsächlich hinbekommt, einigermaßen in Würde zu altern. In meinen Augen sogar mit dem Bonus, dass er gerade zum ersten Mal insteressant wird. Wer weiß, wo uns das noch hin bringt.


Hat was von
Slipknot
We Are Not You Kind

the Smashing Pumpkins
Adore

Persönliche Höhepunkte
Red Black and Blue | Don't Chase the Dead | Infinite Darkness | Perfume | Keep My Head Together | Solve Coagula | Broken Needle

Nicht mein Fall
-

Donnerstag, 24. September 2020

Das große Besteck

Conway the Machine - From King to a GOD


[ traditionell | badass | ernsthaft ]

Ich finde es ja selbst ein bisschen boomermäßig, dass einer der wenigen jungen Rapper, die ich in diesem Jahr wirklich interessant finde, schon wieder einer ist, der klingt wie irgendjemand aus den Neunzigern. Es mag daran liegen, wie sehr mich Ende des letzten Jahren das kollaborative Debüt des Griselda-Clans vom Hocker gehauen hatte oder daran, dass ich meinen Hiphop nach wie vor am allermeisten in Form von altertümlichem Ostküsten-Boombap mag, aber alle Dinge, die in dieser Saison von der musikalischen Bubble um Westside Gunn, Benny the Butcher und Conway kamen, hatten irgendwie meine ganz besondere Aufmerksamkeit. Dieser Output bestand bis dato zwar nur aus einer ganzen Reihe von kleineren Releases, die ich zum Ende der Saison gerne noch als Bundle-Spezial besprechen würde (ist in Arbeit) und der neuesten LP von Westside Gunn, die ahnbar gut war, aber aus den Platten dieses Jahren ergab sich für mich auch relativ schnell, dass es eindeutig Conway war, für den ich am allermeisten Neugier und Hoffnung empfand. Seine im März veröffentlichte gemeinsame EP LuLu mit the Alchemist ist wahrscheinlich nach wie vor das beste Kleinformat, das ich dieses Jahr überhaupt gehört habe und überall, wo dieser Typ in der Zwischenzeit auftauchte, rasierte er souverän. Dass er gute Texte schreibt, ist dabei nur ein Teil der Formel, denn wenn Conway eine Qualität von Griselda ganz besonders gut durchsetzt, dann ist es das Verständnis von Rap als Gesamtkunstwerk. Bei ihm gibt es nicht nur eine gute Line, sondern immer auch eine charakteristische Performance, sorgfältig handverlesene Instrumentals, talentierte Features und jene arschcoole Attitüde, die ihn losgelöst von Inhalten und Trends hörenswert macht. Und natürlich ist das alles ein bisschen konservativ und mit der romantischen Patina von Neunziger-Eastcoast angetan, aber wenige beweisen dabei soviel Liebe zum Detail und gleichzeitig so viel frische Energie wie Conway, auch auf diesem Album. Formell gesehen ist das hier ja sowas wie das Debüt des New Yorkers, praktisch gesehen ist es seine lang ersehnte erste große Nummer, die auch mal länger geht als 30 Minuten. Und als solche erfüllt sie definitiv alle Erwartungen, die ich an so eine Platte im Vorfeld hatte. Zuerst mal ist da der unglaublich starke Oldschool-Vibe, der die Legende von Biggie, Pac, Wu-Tang und Nas atmet und irgendwie das Kunststück fertig kriegt, trotz seiner offensichtlichen Bezüge nicht altbacken und auf Sicherheit gespielt zu klingen. Mit Beat Butcha, Hit-Boy, the Alchemist, DJ Premier und Westside Gunn sitzen hier folglich auch Leute an den Beats, die nicht nur prinzipiell vertrauenswürdig sind, sondern auch schon vorher für Griselda produzierten und sich daher in die Ästhetik eindenken konnten, die hier aufgebaut werden sollte. Auf dieser Vorarbeit platziert sich dann the Machine selbst mit einem Sammelsorium von Texten, die eines kommerziellen Debüts würdig sind und ebenfalls irgendwie klassisch wirken. Es geht um seinen Erfolg und Durchbruch, um die Themen der Straße, ein bisschen um Angeberei, aber dann und wann auch um aktuelle Sachen. Vor allem Front Line überrascht ein wenig als explizit politischer Track über Polizeigewalt, der die Platte ganz plötzlich sehr brutal in die Gegenwart holt. Und wieder stimmt bei dieser ganzen Sache auch das Drumherum ganz wunderbar, vor allem in Sachen Features. Conway bekommt es wunderbar hin, hier sowohl ordentlich Starpower zu versammeln (Method Mans Part in Lemon ist eine der besten Strophen des ganzen verdammten Jahres), aber auch unbekanntere Künstler*innen wie Dej Loaf und Lloyd Banks auf die Platte zu holen. Ganz besonders freut mich aber, dass in einigen Songs hier schon die nächste Generation des Clans eine wichtige Rolle spielt, mit tollen Zuarbeiten von El Camino, Flee Lord und Armani Caesar. Zwar gibt es mit den beiden Interludes von DJ Shay (R.I.P.) und dem thematisch verknüpften Forever Droppin Tears einen relativ wichtigen Batzen des Albums, den leider ich etwas forciert und tränendrüsig finde, doch schafft auch der es nicht, die LP ernsthaft schlechter zu machen. Am Ende des Tages ist From King to A God also alles, was ich mir von dieser LP erhofft habe und vielleicht sogar ein wenig mehr. Spätestens hier habe ich trotz aller vorherigen Erfolge, die das prinzipiell schon rechtfertigen würden irgendwie das Gefühl, dass Conway nicht länger einer dieser neuen, jungen DIY-MCs ist, die Mixtapes im Internet veröffentlichen, sondern dass er sein erstes großes Solo-Statement veröffentlicht hat. Das hier ist eine Platte wie Rodeo von Travis Scott, B4.DA.$$ von Joey Bada$$ oder Section.80 von Kendrick Lamar, die einfach klar macht, dass dieser Typ jetzt bei den großen mitspielen kann. Auch wenn ich inständig hoffe, dass er sich den untergrundigen Vibe trotzdem noch ein bisschen beibehält.


Hat was von
Armand Hammer
Rome

Griselda
WWCD

Persönliche Höhepunkte
From King | Fear of God | Lemon | Dough & Damani | Front Lines | Anza | Spurs 3 | Jesus Khrysis

Nicht mein Fall
Words From Shay (alle beide) | Forever Droppin Tears

Mittwoch, 23. September 2020

Es sind die Jugend, sind die Drogen

 The Flaming Lips - American Head

 
[ pathetisch | schmalzig | maximalistisch ]
 
Stand 2020 ist es lange keine Übertreibung mehr zu behaupten, dass die Flaming Lips eine der wesentlichen Triebfedern psychedelischer Musik in den letzten 30 Jahren sind, vielleicht sogar die wesentlichste Überhaupt. Mit the Soft Bulletin oder Yoshimi Battles the Pink Robots veröffentlichten sie Platten, die mittlerweile ziemlich unbestreitbar als Klassiker gelten, ihr Rennomee als exzentrisches Kollektiv professioneller Vollzeit-Weirdos eilt ihnen seit Dekaden voraus und ihr Dunstkreis namhafter Kollaborateur*innen reicht von Kesha bis zu Henry Rollins und zurück. Und als besonders schöne Eigenschaft ihrer Karriere befinde ich prinzipiell nach wie vor, dass sie auch nach gut vier Jahrzehnten Bandgeschichte keinen Gedanken daran verschwenden, in die Phase eines beruhigten Spätwerks überzugehen. Gerade die letzte Dekade ihres Katalogs hat sich im Gegensatz dazu noch einmal ein paar extra schräge Projekte einfallen lassen, unter denen ein Album mit Miley Cyrus, eine komplette Coverversion von Dark Side of the Moon und die Gründung der skurrilen Fake-Bands Electric Würms und Imagene Peise nur die absoluten Spitzen waren. Der qualitative Ertrag dieser kreativen Eskapaden war dabei zwar bestenfalls durchwachsen, doch kann man definitiv nicht behaupten, dass es mit dieser Gruppe langweilig werden würde. Auch nicht dann, wenn sie das fünfte Jahrzehnt ihrer Karriere hier mit ihrem moderatesten Werk seit langem beginnen, das tatsächlich ein kleines bisschen auf den Grundfaktor Nostalgie aufbaut. American Head ist in seinen wesentlichen Zügen ein Dreampop-Album mit nur leichten Zügen der üblichen Psychedelik, das in vielen Punkten stark an den Neunziger-Output der Lips erinnert und sich auch lyrisch mit Themen von Jugend und Erinnerung (vor allem in Bezug auf Drogen for some reason) auseinandersetzt. Das passt nicht nur thematisch, sondern ist auch ein wirkungsvoller Throwback in Richtung dessen, was einem "klassischen Sounds" dieser Band am nächsten kommt. Und grundsätzlich finde ich das auch gar nicht verkehrt. Nach fast 40 Jahren progressivem Mindset und tausend verrückten Geschichten haben es sich die Flaming Lips mehr als verdient, hier mal ein Album zu machen, das klanglich wie inhaltlich zurückblickt. Wobei ich die eigentliche Idee grundsätzlich auch nicht übel finde. Nur habe ich bei vielem hier den Eindruck, man hätte wesentlich mehr daraus machen können. Das Setting der Platte unterstützt diese Wirkung definitiv, denn sie ist vom Aufbau her sehr maximalistisch. Mit dem groß angelegten, oft orchestral unterstützten Pop-Maximalismus, den die Lips hier auffahren, forcieren sie die große Bühne, die an Sachen wie Oasis, Elton John oder nicht selten mal wieder Pink Floyd denken lässt. Was diese LP im Gegensatz dazu aber nicht hat, ist das entsprechende Songwriting, mit dem solche Hymnen auch funktionieren würden. In den Lyrics vieler Stücke erzählt Wayne Coyne surreale Episoden mit autobiografischer Note, die an sich ja gar nicht verkehrt sind, nur eben nicht so wirklich in das großkotzige Setting passen, das einen großen Refrain braucht, um es auszufüllen. Es gibt Tracks wie Flowers of Neptune 6 oder Watching the Lightbugs Glow, in denen dieser Sound eher auf eine ätherische, Primal Scream-mäßige Art funktioniert, was wesentlich besser ist. Doch sobald der Fokus auf Coyne und seinen Texten liegt, wird es meistens Mist. In den schlimmsten Momenten kann American Head dann auch sehr monoton werden, was eine Sache ist, die so eine Band erstmal schaffen muss. Insgesamt ergibt sich dabei ein wenig der Eindruck, dass die Flaming Lips hier zwar eine gute Idee verfolgen, sich aber mit der Umsetzung ziemlich verhoben haben. Es ist eine Sache, die Register zu haben, um so ein pompöses Album auf die Beine zu stellen, das Handwerk muss aber auch stimmen. Und das fehlt eben an vielen Stellen ein bisschen. Das macht American Head nicht zu einem Totalausfall, ich finde es sogar ein ganzes Stück besser als die letzten beiden Alben der Band, es ist aber auch nicht der große, hymnische Nostalgie-Moment, der vor allem von vielen alten Fans der Lips gerade heraufbeschworen wird. Es wäre etwas anderes gewesen, wäre das hier ein totaler Hingucker geworden, aber so sind mir dann doch die freakigen Flaming Lips lieber, die zwar ab und zu mit fliehenden Fahnen scheitern, aber dabei wenigstens das größtmögliche Chaos angezettelt haben. Das passt besser zu ihnen als planlos ihrer Jugend nachzutrauern.


Hat was von
Oasis
Heathen Chemistry

Pink Floyd
Wish You Were Here

Persönliche Höhepunkte
Watching the Lightbugs Glow | Flowers of Neptune 6 | Dinosaurs On the Mountain | When We Die When We're High

Nicht mein Fall
At the Movies On Quaaludes | Mother, I've Taken LSD | Mother Please Don't Be Sad | God and the Policemen

Dienstag, 22. September 2020

Löcher im Brett

All Them Witches - Nothing as the Ideal

 
[ groovy | rockig | intelligent ]

Eine Sache, die ich an der Kultur des Stonerrock schon immer ziemlich verachte, ist die Art und Weise, wie die Szene um diese Musik herum oft eine zutiefst konservative und ätzend pragmatische ist. Zumindest ergibt sich dieser Eindruck sehr häufig, wenn man dann und wann mit den Menschen spricht, die diese Szene ausmachen. Die Parameter sind dabei simpel und was als gut befunden wird, hat sich in den letzten 25 Jahren kaum verändert. Wer Punkte bei Hardcore-Fans holen will, klingt am besten auch 2020 immer noch wie eine eineiige Kopie von Kyuss oder Fu Manchu, setzt auf dicke Riffs und bassige Grooves und lässt an diesen kompositorischen Prozess zumeist nur ausgewählte Effektpedale und/oder obszöne Mengen Gras. Ich will an dieser Stelle nicht behaupten, dann nicht auch ich ab und an genau diese Formel sehr ansprechend finde und zahlreiche Lieblingsalben aus diesem spezifischen Bereich sind in den vergangenen Jahren der eindeutige Beweis, nur ist es auffällig, wie wenig experimentelle Energie in gerade in diesem Subgenre existiert, wo seine wesentlichen Akteur*innen doch nicht selten technisch versierte Dauerkiffer sind, die eigentlich dazu prädenstiniert wären, kreative Grenzen zu durchbrechen. Und so kommt es, dass ein Album wie Nothing As the Ideal, dass sich zumindest anmaßt, mit den Grundideen des Stonerrock ein bisschen spielerisch umzugehen, gleich als große Transzendenz-Leistung angesehen wird. Passenderweise waren es in den letzten Tagen keine Stoner-Fans, von denen ich diese Einschätzung hörte, sondern eher Leute wie ich, die von solchen Platten positiv überrascht sind. Ich kann es nur vermuten, aber die puristische Community hasst All Them Witches deswegen vermutlich gerade wie die Pest. Denn genau auf die typischen Parameter, die diese Leute so mögen, verlässt diese Band sich hier nicht. Klar gibt es auch hier noch jene dicken Grooves, die das ganze Projekt stilistisch verorten und definitiv zum Vorteil der meisten Songs funktionieren, doch sind sie weitaus nicht deren einzige Stärke. In vielen Momenten habe ich sogar den Eindruck, dass All Them Witches absichtlich ein bisschen den Fuß vom Gas nehmen und zarter werden, um die Dinge zu zeigen, die sie abseits ihrer Riffs aufgebaut haben. Und da findet sich dann tatsächlich so einiges. Nicht wenige Tracks punkten in den 43 Minuten dieser LP mit starken Melodien, wunderschönen akustischen Passagen, ambitionierten experimentellen Einschüben und Verbindungen zu Folk, Country, Electronica und Noise. Auch sind All Them Witches eine der wenigen Bands in den Gefilden des psychedelischen Rock, die ernsthaft Wert auf gute Texte legt, was von mir definitiv Bonuspunkte gibt. Es sind an sich keine großen Höhenflüge, die hier gemacht werden und würde diese Gruppe Indierock oder Hiphop machen, würde man das Fehlen gewisser Parameter als Mangelerscheinung deuten, hier jedoch machen sie das ganze irgendwie besonders. Und es ist ernstlich schön, das alles mal zu erleben. Denn klar wäre diese LP auch dann okay und hörenswert, wenn All Them Witches Dienst nach Vorschrift gemacht hätten und das hier einfach ein gutes Brett wäre. Aber nein, dieses Album geht das Risiko ein, auf die Details zu achten. Es steckt seine Aufmerksamkeit nicht in einen plumpen Makrokosmos, sondern in minutiöse Zwischentöne und erfrischende Verspieltheit. Die packt zugegebenermaßen nicht ganz direkt wie ein guter Banger und einige der hier anberaumten Experimente funktionieren eher holprig, doch ist es die Motivation, es überhaupt zu tun, die mich irgendwie begeistert. Und es zeigt einmal mehr, dass es nicht unmöglich ist, Stonerrock zu diversifizieren. Es braucht nur jemanden, der sich traut, auch mal leise zu sein und im ersten Moment für Verwirrung zu sorgen. Ich hoffe, All Them Witches nehmen diese Verantwortung auch in Zukunft wahr.


Hat was von
Kadavar
Kadavar

Long Distance Calling
the Flood Inside

Persönliche Höhepunkte
Saturnine & Iron Jaw | Everest | See You Next Fall | 41 | Rats in Ruin

Nicht mein Fall
-

Montag, 21. September 2020

Afterdark

沙漠鱿鱼 - 上海/香港
 

[ urban | melancholisch | mystisch | nachtaktiv ]

Eine ganze Weile ist es her, dass ich auf diesem Format über so ein Album gesprochen habe. Und für diejenigen, die jetzt nicht wissen, was ich meine: Ihr wisst es eigentlich ganz genau. Die Indizien sind nämlich alle da. Gestelzte Titel auf Hanzi-Schrift, ein melancholisch wirkendes, großstädisches Covermotiv mit verhaltenen Blau-, Türkis- und Rosatönen, dazu ein gewisser Hauch des mystischen, der das ganze umgibt: Mit dieser LP haben wir einen offenkundigen Fall von Vaporwave vor uns. Nicht nur das, eben genannte Umrisspunkte legen sogar die Vermutung nahe, dass es sich hier um eines jener besonders atmosphärischen Produkte handelt, die seit etwa 2014 eher dem Ambient-Ableger der Szene vorbehalten sind. Langwierige, synthetisch angefütterte Melancholie-Projekte, die nach verregneten Nächten in ostasistischen Metropolen klingen und nach der Romantik des Anonymen. Platten, die mich immer ein bisschen an die Bücher von Haruki Murakami erinnern, in denen seltsame Figuren sich nächtens an gesichtslosen Orten begegnen und von Fremden zu Vertrauten werden. Ich erkläre das so ausführlich, weil 上海/香港 genau so ein Album ist, und ihm zumindest oberflächlich diese sonderbare Eigenschaftslosigkeit und Fremdartigkeit anhaftet, die diese Musik häufig mit sich bringt. Ein ätherisches Ambient-Album mit urbanen Vibes, das man auf den ersten Blick mit keinem Namen oder Charakter verbindet und das so flüchtig zu sein scheint wie eines von Millionen Gesichtern im Trubel einer Großstadt. Schaut man etwas genauer nach, ist es jedoch ziemlich einfach, hinter den Vorhang zu blicken: 沙漠鱿鱼 oder "Desert Squid" ist ein Zusammenschluss des US-Amerikanischen Producers Uncle Squidz und dem britischen Künstler Desert Sand Feels Warm at Night, beide ihrerseits relativ junge Gesichter in der Szene-Landschaft und durch keine nachvollziehbare stilistische Bande verknüpft. Wo der eine bereits seit 2018 einen ähnlich ambienten Stil pflegt, ist der Andere im wesentlichen durch einen trashigen Youtube-Kanal und einen zwanzigminütigen Vapor-Remix von Kanye West-Songs bekannt. Aber wie auch immer die beiden hier zueinander gefunden haben, was sie gemeinsam hier aufbauen, ist einigermaßen erstaunlich. Nicht nur deshalb, weil sie als zwei eher grünohrige Künstler*innen gerade ein bisschen aus dem inneren Kreis der Vaporwave-Blase ausbrechen, sondern auch, weil das seine Gründe hat. Wenn man will, funktioniert 上海/香港 auch genauso gut ohne jeglichen Szene-Kontext als gute synthetische Ambient-Platte, die es großartig schafft, einen fesselnden Vibe aufzubauen. Dabei helfen Desert Squid hier nicht nur ätherische Samples und Synths, bei denen vor allem die romantischen Piano-Passagen glänzen, sondern auch durch Field Recordings von belebten Straßen, Nieselregen und U-Bahnhöfen, die das ganze fast ein bisschen cineastisch wirken lassen. Auch gewinne zumindest ich durch die Anordnung der Tracks das Gefühl, hier den Soundtrack einer Nacht von Sonnenuntergang bis zum Morgengrauen zu erleben, auch wenn das an dieser Stelle reine Interpretationssache ist. Das ist aber auch irgendwie der Punkt des Ganzen: 上海/香港 definiert seinen Vibe gerade so sehr aus, dass es beim Hören jede Menge Fantasie anregt und Assoziationen zulässt, die an vielen Punkten die Deutungsklarheit eines typischen Ambient-Projektes übersteigen. Für manche ist es vielleicht ein Problem, ich hingegen finde es in den besten Momenten inspirierend. Und es wird am Ende des Tages ja niemand gezwungen, hier an Murakami oder Coppola zu denken. Es ist eben nur sehr naheliegend.
 


 
Hat was von
2814
新しい日の誕生
 
Hong Kong Express
浪漫的夢想
 
Persönliche Höhepunkte
早上通勤 | 徐家汇 | 廟街 |
 
 Nicht mein Fall
-

Sonntag, 20. September 2020

Tendenz steigend

 

Bill Callahan - Gold Record

 
[ erzählerisch | langsam | monoton ]

Es ist eine wilde Achterbahnfahrt von Eindrücken, die der Songwriter Bill Callahan bei mir hinterlassen hat, seit ich ihn vor circa neun Jahren das erste Mal hörte. Und wenn es um die Erwartungen geht, die ich an seine Musik habe, kann ich nach all dieser Zeit noch immer keine endgültige Aussage treffen. Es gibt Platten von ihm, die zu den schlimmsten Sachen zählen, die ich in meinem ganzen bisherigen Leben gehört habe (kein Scheiß!) und die mir regelmäßig das künstlerische Prinzip dieses Typen madig machen, andere wiederum finde ich ernsthaft inspirierend. Und obgleich die letzte Dekade in der Karriere des Texaners ein relativ kleines Zeitfenster darstellt, ist dieses doch zumindest für mich recht polarisierend gewesen. Wobei die Formkurve anhand dieser neuesten LP in meinen Augen eine weitere scharfe Kurve nimmt, indem er hier eines seiner besten Alben direkt auf einen absoluten Totalausfall folgen lässt. Über Shepherd in A Sheepskin Vest, besagte Katastrophe von letzter Saison, möchte ich an dieser Stelle nicht reden, nur soviel sei gesagt: Es ist ziemlicher Kram. Was mich ob einer neuen Platte in so kurzer Zeit natürlich extra misstrauisch machte. Und wiederum überrascht, als ich feststellte, dass die Sache mit Gold Record nicht nur glimpflich ausgeganen war, sondern nicht weniger als die gelungenste LP, die ich von Callahan überhaupt je gehört hatte. Das an sich bedeutet nichts großes, denn so viele kenne ich wie gesagt nicht, aber nicht nur in relativen Bezügen ist das hier ein Aha-Erlebnis, sondern auch von seiner Diskografie losgelöst. Soll heißen, das hier ist mit ziemlicher Sicherheit eines der spannenderen Singer-Songwriter-Alben dieser Saison. Wobei an dieser Stelle vielleicht nochmal kurz erläutert werden sollte, wo dieser Bill Callahan musikalisch steht und wie wichtig sein gesamter Output pophistorisch ist. Gemeinsam mit Leuten wie Jim O'Rourke und Daniel Johnston gehört er zu den prägenden frühen Figuren des LoFi-Folk in den Achtzigern und frühen Neunzigern und hat sich aus dieser Bubble heraus einen ziemlich individuellen, gerne etwas schrägen Stil angeeignet. Besonders auf den Alben, die er seit 2007 unter seinem eigenen Namen veröffentlicht, hat sich ein Verständnis von Minimalismus durchgesetzt, das nicht selten zur Skurrilität neigt. Instrumentierung ohne viel Kokolores, sehr direkte und häufig erzählerische Lyrics sowie eine Kompositorik die nicht selten die Grenze der Monotonie überschreitet. Und wo es so einige Platten gibt, auf denen sich dieses Konzept als furchtbare Idee herausgestellt hat, funktioniert es hier doch einmal mehr ziemlich gut. So gut, dass es fast egal ist, worüber Callahan schreibt. Im Opener Pigeons erzählt er eine Art Anekdote aus Sicht eines Limousinenfahrers bei Hochzeiten, Cowboy und Let's Move to the Country handeln vom verklärten Landleben, Protest Song ist - wie der Name vielleicht suggieriert - eine Art Meta-Protestsong und in Breakfast geht es einfach mal darum, was für eine Freude ein gutes Frühstück ist. Viel erzählerisches Hexenwerk ist dabei meistens nicht dahinter und anders als ein Phil Elverum muss Callahan nicht ständig eine größere Geschichte erzählen, um die Wertigkeit eines Songs zu finden. Er ist sich auch nicht zu schade, ab und zu ein paar sehr billige Lines zu bringen (Ry Cooder sollte dafür als Beweisstück reichen) und einen sehr klobigen Humor zur Schau zu stellen. Und wo ich bisher häufig nur feststellen konnte, wie diese Parameter zu seinem Nachteil funktionierten, haut hier einmal alles irgendwie hin. Zwar ist auch Gold Record kein besonders actionreiches Album, doch ist es in vielen Dingen zumindest sehr würdevoll, was Callahan bisher doch eher selten war. Damit ist es keinesfalls das erste, doch irgendwie schon das vollkommenste und ähnlich wie bei den Mountain Goats im letzten Jahr endlich eine LP, die mich voll und ganz von einem Act überzeugt, den viele andere schon seit Jahren abfeiern. Nicht, dass ich es bei diesem Typen gebraucht hätte, aber schön ist es trotzdem. Mal schauen, ob es vielleicht sogar ein bisschen anhält.


Hat was von
Damien Jurado
the Horizon Just Laughed

the Wave Pictures
If You Leave It Alone

Persönliche Höhepunkte
Pigeons | Another Song | 35 | the Mackenzies | Let's Move to the Country | Breakfast | As I Wander

Nicht mein Fall
-

Samstag, 19. September 2020

Schöner Leben mit Death Metal

 Necrot - Mortal

 
[ brutal | altmodisch | zackig ]

Es überraschte mich vor einigen Tagen nicht wenig, als ich erfuhr, dass die Band Necrot aus Oakland gerade mal seit etwa neun Jahren existiert und dieses hier erst ihr zweites offizielles Album ist. Denn nimmt man sich der Eindrücke an, die diese Gruppe so aussendet, wirkt alles so, als wäre es schon ewig da. Die kitschigen Artworks, das dilletantisch-provokante Bandlogo, die ständigen Verbindungen zu Punkrock und Hardcore und natürlich der leidenschaftlich retro-ästhetische Sound der Band, der klingt wie Mitte der Neunziger stehen geblieben: Was diese Formation antreibt, ist Death Metal aus dem Lehrbuch mit einer glühenden Hingabe zum romantisch verklärtem Vintage. Zumindest kompositorisch, denn dass Necrot die Klassiker des vergangenen Jahrtausends verehren, nehmen sie glücklicherweise nicht als Anlass dafür, weniger fett zu klingen. Ähnlich anderer Retro-Acts wie Havok oder Toxic Holocaust übersetzen auch sie die Kompositorik der großen Altvoderen der Szene in einen klanglichen Bumms, der ganz und gar zeitgenössisch und durchproduziert klingt. Was Mortal in seiner Gesamtheit zu einem absoluten Selbstläufer macht. Denn Necrot müssen nicht sehr lange überlegen, was es für ihre Musik braucht und die Grunddevise ist simpel: Gut ist, was fetzt. Auch wenn das hier ab und an bedeutet, dass sich der eingangs erwähnte Purismus ein bisschen hinten anstellen kann. Die Riffs vieler Songs hier haben sich gerne ein paar Kniffe vom Black Metal abgeschaut, genauso gibt es klassisches Shredding und ein Schlagzeugspiel, das mit seinem Mangel an technisch verklausuliertem Hexenwerk fast schon an Siebziger-Metal erinnert. Von der aufwändigen Rock-Produktion sprachen wir ja bereits. Und klar sind das alles eher Details, doch tragen die alle dazu bei, dass Mortal als Gesamtheit ein kleines bisschen interessanter wird und sich vielleicht nicht vom Genre-Standard abhebt, aber ihm zumindest die richtigen Stützräder verpasst, um so simpel auch für die Death Metal-Laufkundschaft zu funktionieren, zu der ich mich immer noch irgendwie zähle. Am Ende des Tages schaffen Necrot damit vor allem eines: Ein richtig gutes Krach-Album, das mit klassischen Methoden funktioniert und vordergründig den Spaß am Heavy Metal im Sinn hat. Mit dem schönen Nebeneffekt, dass es auf für diejenigen empfehlenswert ist, die mit Death Metal vielleicht noch kein so intimes Verhältnis haben: Es bedient sich eines klassischen Sounds, schreckt aber beim Erstkontakt nicht so ab wie das klobige alte Zeug von Death oder Possessed und hat außerdem ein paar helfende klangliche Brücken zu Black-, Thrash- und Heavy Metal. Wäre das hier mein erstes Szene-Album gewesen, hätte ich mich vermutlich nicht so schwer damit getan. Es ist bei alledem kein Meisterwerk, es ist kein authentisches Retro-Produkt und es ist kein technisch oder spielerisch hochwertiges Monstrum. Es versucht aber auch nicht, irgendeines dieser Dinge zu sein und gerade das macht es in meinen Augen ganz besonders sympathisch. Und wo andere Necrot das vielleicht vorwerfen würden, finde ich darin viele ernsthafte Stärken, die meine ganz persänliche Welt des Metal besser machen. Und ich bin mir sicher, damit bin ich nicht der einzige.


Hat was von
Vader
Solitude in Madness

Death
Symbolic

Persönliche Höhepunkte
Your Hell | Dying Life | Asleep Forever | Malevolent Intentions

Nicht mein Fall
-

Samstag, 12. September 2020

No Strings Attached

 Angel Olsen - Whole New Mess

 
[ rudimentär | rustikal | minimalistisch ]
 
Es brauchte letzten Winter erst die Liste meiner Lieblingsalben der vergangenen Dekade und die damit einhergehende erneute intensive Beschäftigung mit ihrem 2014 veröffentlichten zweiten Album Burn Your Fire for No Witness, um überhaupt wieder festzustellen, was Angel Olsen eigentlich für eine geniale Künstlerin sein kann. Und ferner, wie skeptisch gegenüber ihrem Output mich die umfassende musikalische Sinnsuche ihrer letzten fünf Jahre gemacht hatte. Es liegt mir dabei fern, sie für die Sache an sich zu kritisieren, denn wenn sie als Songwriterin damit eins geschafft hat, dann ihr kreatives Spektrum zu erweitern und nach einer Stimme zu forschen, die ihre eigene ist. Der einzige Haken daran ist, dass es ihr bisher nie so richtig gelungen ist, dabei so cool und formvollendet zu sein wie auf ihren beiden ersten Projekten. My Woman war 2015 eine LP mit Ansage und Charakter, die aber kompositorisch unfassbare Längen hatte und All Mirrors vom letzten Jahr übte mit seinen Streicherflächen und der mondänen John Cogleton-Produktion zwar effektiv den pompösen Stilbruch, vergaß darüber aber ein bisschen das gute Songwriting. Das frustrierende war dabei, dass beide Platten eigentlich sehr gut zeigten, wie talentiert diese Frau in Wahrheit ist und seit Jahren wünsche ich mir mit jedem neuen Projekt, dass jetzt endlich mal alle Teile zusammenpassen. Was witzig ist, denn mit Whole New Mess ist es ausgerechnet ein Album voller Altlasten und Bonusmaterial, mit dem sie diesem Ziel bisher am nächsten kommt. Ehrlich gesagt dachte ich zunächst, das hier wären einfach nur die nachträglich veröffentlichten Demos ihrer letzten LP. Aber nein, das hier ist tatsächlich ein struktureller Neuaufbau, mit dem bewusst Kontraste geschaffen werden soll. Die Bestandteile sind dabei einige Songs, die bereits auf All Mirrors waren sowie ein paar gänzlich neue, alle eingespielt mit besonderem Augenmerk auf möglichst grantige und minimalistische Garagen-Ästhetik. Was dann eben nicht nur bedeutet, dass man häufig nur Olsen mit simpler Gitarrenbegleitung hört, sondern auch, dass dabei mitunter nicht alles einzeln mikrofoniert ist, der Gesang hier und da ein bisschen vernuschelt bleibt, Anschlaggeräusche und Raum-Echo nicht gefiltert werden und einige Spuren sogar eiskalt übersteuern. Es ist der komplette Gegenentwurf zum klinisch perfektionierten Hochglanz-Sound des Vorgängers und definiert eine allumfassende LoFi-Konsequenz, die sehr ins Jahr 2020 passt. Mit dem überraschenden Nebeneffekt, dass einige Stücke von All Mirrors hier nicht unwesentlich an Charakter und Tiefe gewinnen. So wird beispielsweise Impasse hier zur nagenden Grunge-Nummer, (Summer Song) (aka Summer) zur melancholischen Hope Sandoval-Shoegaze-Ballade und What It Is als leichtes Country-Motiv zum optimalen Rausschmeißer. Selbst ein Song wie All Mirrors, den ich in seiner pompösen Synthpop-Aufarbeitung eigentlich total mochte, ist als rudimentäres Garagenbrett keinen Deut weniger cool. Wobei es in den meisten Fällen nicht mal unbedingt den bewussten Kontrast braucht, um sich zu strahlen. Als ich Whole New Mess letztens das erste Mal hörte, konnte ich mich an viele Tracks in ihrer ursprünglichen Version kaum erinnern und fand sie trotzdem gut. Wenn überhaupt hat diese Platte dazu geführt, dass ich All Mirrors kurz danach nochmal mit anderen Ohren hörte. Was ein bisschen schade ist, denn wenn ich mir einer Sache ziemlich sicher bin, dann dass Angel Olsen kein Interesse daran hat, zu diesem Sound wieder zurückzukehren. Was ja auch völlig klar ist, denn inzwischen arbeitet sie als Künstlerin extrem vielseitig und erforscht immer wieder neue Seiten. Eine umfängliche Rückkehr zum Garagenrock wäre daher nicht nur konservativ und feige, sondern auch ziemlich langweilig. Doch sind es eben Platten wie diese, die mir zeigen, dass ich diese Art von Songs von ihr immer noch am besten finde, zumindest im Moment. Auch wenn ich wünschte, es wäre andersherum.
 

Hat was von
Mitski
Bury Me at Makeout Creek

Damien Jurado
Waters Avenue S.

Persönliche Höhepunkte
Too Easy (Bigger Than Us) | (We Are All Mirrors) | (Summer Song) | Waving, Smiling | Impasse (Workin' for the Name)

Nicht mein Fall
Tonight (Without You)

Freitag, 11. September 2020

Born to be Basic


 
[ indiepoppig | geradeaus | öde ]
 
Wenn man sich zehn Jahre später die Frage stellt, was eigentlich geblieben ist von der großen Indiepop-Welle Ende der Zwotausender, ist die sicherste Antwort die man geben kann: Auf jeden Fall nicht nichts. Denn auch wenn diese Art von Pop inzwischen lange schon nicht mehr die Idee von cooler, intelligenter Musik für junge Leute ist, ist sie doch aus den einschlägigen Formaten nicht weg zu kriegen. Noch immer ist es nicht schwer, auf Spotify viele Klicks für eine abgewandelte Form dessen zu akkumulieren, was Anfang des Jahrzehnts mit den Wombats, Phoenix oder Alt-J richtig groß war. Und konkrete Beispiele gibt es zu Hauf: Mac DeMarco wird seit einigen Jahren quasi offiziell als der Last Man Standing der alten Indie-Blase gehandelt, in Deutschland sind Annenmaykantereit, Von Wegen Lisbeth und Faber extrem erfolgreich und Leute wie Metronomy oder Portugal.the Man erzielten zuletzt späte Achtungserfolge. Aber auch wenn sich ein Stück des Hypes von 2010 noch immer am Leben hält, qualitativ reden wir hier von ganz anderen Maßstäben. Wobei in meinen Augen das beste Beispiel dafür der jüngste Aufstieg einer Band wie Giant Rooks ist. Einer Band, die irgendwie anachronistisch ist, aber die vielleicht gerade dadurch ganz gut das Wesen von Indiepop 2020 wiederspiegelt. Erstaunlich ist dabei vor allem ihr immenser Erfolg. Seit spätestens letzter Saison findet man Songs wie Wild Stare oder New Estate auf jeder dämlichen Playlist und für eine Gruppe aus NRW, die bisher noch ohne Album tourte und auf keinem Majorlabel ansässig ist, waren sie auch international ziemlich dicke da. Was sie in die seltsame Position bringt, jetzt irgendwie Botschafter der Indieszene im Mainstream zu sein, und das obwohl ihre Musik ungefähr so spannend und innovativ ist wie der Gedanke von massenkompatiblem Indierock an sich. Fragt man mich persönlich, stehen Giant Rooks stilistisch ganz klar in der Tradition von Bands wie Leoniden, Of Monsters & Men und Milky Chance, die Anfang der letzten Dekade das Ergebnis des Hypes waren, von dem sich ihre Zielgruppe selbst aber entfernte, weshalb sie jetzt Musik für Leute schreiben, denen Musik an sich meistens eher egal ist. Ihr Sound ist ein verwaschenes Amalgam aus Alt-J, Annenmaykantereit und diversen schnuckeligen Nonames aus der Hochzeit der Welle, dem jegliche Energie und jeglicher Antrieb fehlt. Er ist die musikalische Entsprechung von Holzfällerbärten, Beanies und Eulentattoos: Wer es damals cool fand, war vielleicht ein bisschen vorhersehbar, wer es heute macht, dem ist Geschmack gleichgültig. Mein Problem ist dabei gar nicht mal, dass Giant Rooks kommerzielle Musik machen, dass sie ein bisschen basic sind oder zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Das gleiche "Problem" haben the Naked & Famous auch, und die sind gerade besser als je zuvor.. Die Rooks hingegen bedienen sich den billigsten Klischees der frühen Zwotausendzehner, die schon damals ziemlich abgegriffen waren, singen ein bisschen im niedlichen Bariton und garnieren das ganze mit ein paar Woo-Hoo-Refrains. Dazu leisten sie sich die denkbar gewöhnlichste Waschlappen-Produktion, die vorstellbar ist und singen auf offensiv peinlichem Englisch. Da ist keine Tiefe da, keine spürbare Kompositorik, keine kreative Ausarbeitung. Nur oberflächliche Ästhetik, und selbst die kennen wir inzwischen schon tausendfach. Und an dieser Stelle ist das ganze bei mir eben auch ein bisschen schlimmer als nur langweilig, sondern dezent enervierend. Der unerklärliche Erfolg, den die Band mit diesem Mist hat, macht es nicht eben besser. Ich bin mir sicher, sie haben dafür hart geschuftet und ich will an dieser Stelle um Gottes Willen nicht missgünstig sein. Wenn eine junge Gruppe Musik aus Leidenschaft schreibt und sich damit so großer Beliebtheit erfreut - noch dazu ohne Major-Backing - empfinde ich sogar das Gegenteil. Nur ist es anhand dieser LP evident, in welchen Zustand die Sache Indiepop inzwischen ist, und musikalisch sind die Giant Rooks da definitiv Teil des Problems. Und da wäre es mir inzwischen fast lieber, wenn sich tatsächlich keine Sau mehr für den Scheiß interessieren würde.
 
 
Hat was von
Alt-J
This is All Yours
 
Imagine Dragons
Smoke & Mirrors
 
Persönliche Höhepunkte
Head By Head
 
Nicht mein Fall
Watershed | Rainfalls | Wild Stare
 

Donnerstag, 10. September 2020

Wir haben es kapiert


[ ambitioniert | retroproggig | routiniert ]

Ich höre die Musik von Motorpsycho inzwischen lange und intensiv genug, um darin gewisse Trends erkennen zu können, wobei eine der wesentlichsten Angewohnheiten der Norweger bereits seit geraumer Zeit die ist, dass sie in sich abwechselnden Perioden von Umbruchs- und Routinephasen bewegen. Auslöser ist dabei meistens eine personelle oder kreative Neuordnung, die frische und experimentelle Strukturen motiviert und die über kurz oder lang meistens in einer kompositorischen Leitidee münden. In diese wird sich in der zweiten Phase dann über mehrere Stationen eingegroovt, bis sie irgendwann nicht mehr wirklich interessant ist und wieder ein konsequenter Tapetenwechsel her muss. Es ist müßig zu sagen, dass es dabei die Umbruchsphasen sind, die in der Diskografie der Gruppe die wirklichen Highlights hervorgebracht haben. 1992 verloren sie fast ihren Plattenvertrag, kurz danach entstand Demon Box. Fünf Jahre später krankte die Band an ihrer entstehenden Popstarwerdung und dem musikalischem Burnout, die folge war Phanerothyme. Ende der Zwotausender warf Langzeit-Drummer Gebhardt das Handtuch, ein paar Jahre später kam Heavy Metal Fruit. Es sind immer wieder krisenbedingte Befreiungsschläge, die diese Band braucht, um aus ihrem hochprofessionellen Uhrwerk-Mechanismus herauszukommen, der ihnen zeitweise zueigen ist. Ich will nicht sagen, dass in der Zeit zwischendurch alles Mist ist, was sie veröffentlichen, doch es ist eben nur noch selten überraschend. Aus den stabilen Phasen des Kollektivs stammen zumindest für mich ihre eher uninteressanten Platten: Angels and Daemons at Play, It's A Love Cult, Let Them Eat Cake. Und leider muss ich sagen, dass sich Motorpsycho aktuell gerade wieder sehr tief in einer solchen Phase befinden, vielleicht sogar in ihrer bisher schlimmsten. Stand 2020 doktern die Norweger nach wie vor an einer Variante des Sounds herum, der zehn Jahre vorher mit dem Einstieg von Kenneth Kapstad einhielt. Und das, obwohl der schon lange wieder durch einen neuen Drummer abgelöst wurde. Zu Anfang war dieser Sound genial und nicht weniger als eine kreative Renaissance für die Band, der nach Heavy Metal Fruit tolle Platten wie Behind the Sun oder the Death Defying Unicorn folgten. Es war ein opulenter Sound, der gemacht war für große Prog- und Psychrock-Opern und mit dem Motorpsycho mehr denn je zum Maximalismus tendierten. Gerade darin lag aber auch das Problem, denn das Limit war mit dieser Herangehensweise sehr schnell erreicht. Schon nach the Death Defying Unicorn, auf dem die Band endgültig überlebensgroß wurde, glaubte ich, dass die Idee ausgereizt war, was zunächst eine krasse Fehleinschätzung war. Aber irgendwann begann die Sache eben doch, Patina anzusetzen. Ungefähr ab Here Be Monsters von 2016 hatte man zur Genüge gehört, wie diese drei Musiker die schweren Gewichte heben konnten und war von den Ergebnissen einfach übersättigt. Motorpsycho waren der FC Bayern geworden, der immer wieder toll und clever war, aber darin auch immer routinierter und vorhersehbarer. Und wenn ich 2020 von einem weiteren 90-Minuten-Epos mit haufenweise intelligenten Prog-Hakenschlägen ernüchtert bin, brauche mich darüber nicht zu wundern. Denn auch wenn die Tricks der Band hier vielleicht nicht die gleichen sind wie beim letzten oder vorletzten Mal, die Handgriffe sind es. Und die wirken mittlerweile so mechanisch und emotionslos wie bei einer K-Pop-Boyband. Wobei es nicht hilft, dass Motorpsycho es uns direkt wieder auf alle erdenklichen Arten besogen müssen. Auf the All is One finden sich alle proggigen Königsdisziplinen, teilweise sogar ineinander verschachtelt. 15-minütiger Longtrack? Check! Fünfteiliger, operatischer Song-Opus? Check! Tausend verjammte Solo-Eskapaden? Aber hallo! Dieses Album ächzt unter seinen Ambitionen. Es ist schon gar nichts besonderes mehr, hier knappe 90 Minuten neue Musik von den Norwegern zu bekommen und die ganzen schönen Kniffe und Motive verkommen auf einem Album wie diesem in den schlimmsten Momenten zu völligem Rauschen. Vor allem die ersten drei Songs klingen für mich mehr oder weniger komplett gleich und auch wenn sich die Band danach zumindest etwas locker macht, verschwindet nie so richtig der olle Mief des Streberhaften und Hochnäsigen, der für diese Jungs ganz nebenbei auch recht neu ist. Klar waren diese Musiker, vor allem die Teamspitze Saether und Snah, schon immer obszön talentiert, aber hatten sie dabei dieses angenehme Zappa-Gen und einen erfrischenden Humor, der sie vom bierernsten Rest der Prog-Community ein bisschen abhob. Auf the All is One ist davon nichts mehr zu spüren, nur noch Pomp und aufgedunsener Pathos. Dabei steckt darin womöglich eine gute Platte, der man nur mal ordentlich das Fett absaugen müsste. Allein das fünfteilige Kernstück N.O.X. kommt auf eine Länge von 42 Minuten, für normalsterbliche Bands hätte das als Album genügt (und hat es ja tatsächlich auch ihn ähnlicher Weise letztes Jahr bei the Crucible, dem wahrscheinlich besten der jüngeren Motorpsycho-Alben). Aber nein, hier muss natürlich noch eine weitere Dreiviertelstunde drumherum genudelt werden, damit es den Größenverhältnissen dieser drei entspricht. Und bei allem gebotenen Respekt und aller Liebe, die ich für diese Gruppe habe, dafür ist mir mein Leben gerade zu kurz. Es wäre etwas anderes, wenn es von ihnen wirklich mal wieder eine große Platte mit Statement gäbe, so wie the Death Defying Unicorn es war, aber das hier ist nur noch Größe um der Größe Willen. Und diese Attitüde ruft bei mir inzwischen nur noch eine Reaktion hervor: Wir haben es geschnallt, das mit der Progoper habt ihr echt drauf. Ihr könnt jetzt langsam aufhören damit. Bitte.


Hat was von
Porcupine Tree
In Absentia

Polis
Weltklang

Persönliche Höhepunkte
N.O.X. I: Circles Around the Sun, Pt. 1 | N.O.X. II: Ouroboros (Strange Loop) | N.O.X. IV: Night of Pan | N.O.X. V: Circles Around the Sun, Pt. 2 | A Little Light

Nicht mein Fall
the All is One | the Same Old Rock (One Must Imagine Sysiphus Happy) | the Magpie