Samstag, 12. September 2020

No Strings Attached

 Angel Olsen - Whole New Mess

 
[ rudimentär | rustikal | minimalistisch ]
 
Es brauchte letzten Winter erst die Liste meiner Lieblingsalben der vergangenen Dekade und die damit einhergehende erneute intensive Beschäftigung mit ihrem 2014 veröffentlichten zweiten Album Burn Your Fire for No Witness, um überhaupt wieder festzustellen, was Angel Olsen eigentlich für eine geniale Künstlerin sein kann. Und ferner, wie skeptisch gegenüber ihrem Output mich die umfassende musikalische Sinnsuche ihrer letzten fünf Jahre gemacht hatte. Es liegt mir dabei fern, sie für die Sache an sich zu kritisieren, denn wenn sie als Songwriterin damit eins geschafft hat, dann ihr kreatives Spektrum zu erweitern und nach einer Stimme zu forschen, die ihre eigene ist. Der einzige Haken daran ist, dass es ihr bisher nie so richtig gelungen ist, dabei so cool und formvollendet zu sein wie auf ihren beiden ersten Projekten. My Woman war 2015 eine LP mit Ansage und Charakter, die aber kompositorisch unfassbare Längen hatte und All Mirrors vom letzten Jahr übte mit seinen Streicherflächen und der mondänen John Cogleton-Produktion zwar effektiv den pompösen Stilbruch, vergaß darüber aber ein bisschen das gute Songwriting. Das frustrierende war dabei, dass beide Platten eigentlich sehr gut zeigten, wie talentiert diese Frau in Wahrheit ist und seit Jahren wünsche ich mir mit jedem neuen Projekt, dass jetzt endlich mal alle Teile zusammenpassen. Was witzig ist, denn mit Whole New Mess ist es ausgerechnet ein Album voller Altlasten und Bonusmaterial, mit dem sie diesem Ziel bisher am nächsten kommt. Ehrlich gesagt dachte ich zunächst, das hier wären einfach nur die nachträglich veröffentlichten Demos ihrer letzten LP. Aber nein, das hier ist tatsächlich ein struktureller Neuaufbau, mit dem bewusst Kontraste geschaffen werden soll. Die Bestandteile sind dabei einige Songs, die bereits auf All Mirrors waren sowie ein paar gänzlich neue, alle eingespielt mit besonderem Augenmerk auf möglichst grantige und minimalistische Garagen-Ästhetik. Was dann eben nicht nur bedeutet, dass man häufig nur Olsen mit simpler Gitarrenbegleitung hört, sondern auch, dass dabei mitunter nicht alles einzeln mikrofoniert ist, der Gesang hier und da ein bisschen vernuschelt bleibt, Anschlaggeräusche und Raum-Echo nicht gefiltert werden und einige Spuren sogar eiskalt übersteuern. Es ist der komplette Gegenentwurf zum klinisch perfektionierten Hochglanz-Sound des Vorgängers und definiert eine allumfassende LoFi-Konsequenz, die sehr ins Jahr 2020 passt. Mit dem überraschenden Nebeneffekt, dass einige Stücke von All Mirrors hier nicht unwesentlich an Charakter und Tiefe gewinnen. So wird beispielsweise Impasse hier zur nagenden Grunge-Nummer, (Summer Song) (aka Summer) zur melancholischen Hope Sandoval-Shoegaze-Ballade und What It Is als leichtes Country-Motiv zum optimalen Rausschmeißer. Selbst ein Song wie All Mirrors, den ich in seiner pompösen Synthpop-Aufarbeitung eigentlich total mochte, ist als rudimentäres Garagenbrett keinen Deut weniger cool. Wobei es in den meisten Fällen nicht mal unbedingt den bewussten Kontrast braucht, um sich zu strahlen. Als ich Whole New Mess letztens das erste Mal hörte, konnte ich mich an viele Tracks in ihrer ursprünglichen Version kaum erinnern und fand sie trotzdem gut. Wenn überhaupt hat diese Platte dazu geführt, dass ich All Mirrors kurz danach nochmal mit anderen Ohren hörte. Was ein bisschen schade ist, denn wenn ich mir einer Sache ziemlich sicher bin, dann dass Angel Olsen kein Interesse daran hat, zu diesem Sound wieder zurückzukehren. Was ja auch völlig klar ist, denn inzwischen arbeitet sie als Künstlerin extrem vielseitig und erforscht immer wieder neue Seiten. Eine umfängliche Rückkehr zum Garagenrock wäre daher nicht nur konservativ und feige, sondern auch ziemlich langweilig. Doch sind es eben Platten wie diese, die mir zeigen, dass ich diese Art von Songs von ihr immer noch am besten finde, zumindest im Moment. Auch wenn ich wünschte, es wäre andersherum.
 

Hat was von
Mitski
Bury Me at Makeout Creek

Damien Jurado
Waters Avenue S.

Persönliche Höhepunkte
Too Easy (Bigger Than Us) | (We Are All Mirrors) | (Summer Song) | Waving, Smiling | Impasse (Workin' for the Name)

Nicht mein Fall
Tonight (Without You)

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