Mittwoch, 23. September 2020

Es sind die Jugend, sind die Drogen

 The Flaming Lips - American Head

 
[ pathetisch | schmalzig | maximalistisch ]
 
Stand 2020 ist es lange keine Übertreibung mehr zu behaupten, dass die Flaming Lips eine der wesentlichen Triebfedern psychedelischer Musik in den letzten 30 Jahren sind, vielleicht sogar die wesentlichste Überhaupt. Mit the Soft Bulletin oder Yoshimi Battles the Pink Robots veröffentlichten sie Platten, die mittlerweile ziemlich unbestreitbar als Klassiker gelten, ihr Rennomee als exzentrisches Kollektiv professioneller Vollzeit-Weirdos eilt ihnen seit Dekaden voraus und ihr Dunstkreis namhafter Kollaborateur*innen reicht von Kesha bis zu Henry Rollins und zurück. Und als besonders schöne Eigenschaft ihrer Karriere befinde ich prinzipiell nach wie vor, dass sie auch nach gut vier Jahrzehnten Bandgeschichte keinen Gedanken daran verschwenden, in die Phase eines beruhigten Spätwerks überzugehen. Gerade die letzte Dekade ihres Katalogs hat sich im Gegensatz dazu noch einmal ein paar extra schräge Projekte einfallen lassen, unter denen ein Album mit Miley Cyrus, eine komplette Coverversion von Dark Side of the Moon und die Gründung der skurrilen Fake-Bands Electric Würms und Imagene Peise nur die absoluten Spitzen waren. Der qualitative Ertrag dieser kreativen Eskapaden war dabei zwar bestenfalls durchwachsen, doch kann man definitiv nicht behaupten, dass es mit dieser Gruppe langweilig werden würde. Auch nicht dann, wenn sie das fünfte Jahrzehnt ihrer Karriere hier mit ihrem moderatesten Werk seit langem beginnen, das tatsächlich ein kleines bisschen auf den Grundfaktor Nostalgie aufbaut. American Head ist in seinen wesentlichen Zügen ein Dreampop-Album mit nur leichten Zügen der üblichen Psychedelik, das in vielen Punkten stark an den Neunziger-Output der Lips erinnert und sich auch lyrisch mit Themen von Jugend und Erinnerung (vor allem in Bezug auf Drogen for some reason) auseinandersetzt. Das passt nicht nur thematisch, sondern ist auch ein wirkungsvoller Throwback in Richtung dessen, was einem "klassischen Sounds" dieser Band am nächsten kommt. Und grundsätzlich finde ich das auch gar nicht verkehrt. Nach fast 40 Jahren progressivem Mindset und tausend verrückten Geschichten haben es sich die Flaming Lips mehr als verdient, hier mal ein Album zu machen, das klanglich wie inhaltlich zurückblickt. Wobei ich die eigentliche Idee grundsätzlich auch nicht übel finde. Nur habe ich bei vielem hier den Eindruck, man hätte wesentlich mehr daraus machen können. Das Setting der Platte unterstützt diese Wirkung definitiv, denn sie ist vom Aufbau her sehr maximalistisch. Mit dem groß angelegten, oft orchestral unterstützten Pop-Maximalismus, den die Lips hier auffahren, forcieren sie die große Bühne, die an Sachen wie Oasis, Elton John oder nicht selten mal wieder Pink Floyd denken lässt. Was diese LP im Gegensatz dazu aber nicht hat, ist das entsprechende Songwriting, mit dem solche Hymnen auch funktionieren würden. In den Lyrics vieler Stücke erzählt Wayne Coyne surreale Episoden mit autobiografischer Note, die an sich ja gar nicht verkehrt sind, nur eben nicht so wirklich in das großkotzige Setting passen, das einen großen Refrain braucht, um es auszufüllen. Es gibt Tracks wie Flowers of Neptune 6 oder Watching the Lightbugs Glow, in denen dieser Sound eher auf eine ätherische, Primal Scream-mäßige Art funktioniert, was wesentlich besser ist. Doch sobald der Fokus auf Coyne und seinen Texten liegt, wird es meistens Mist. In den schlimmsten Momenten kann American Head dann auch sehr monoton werden, was eine Sache ist, die so eine Band erstmal schaffen muss. Insgesamt ergibt sich dabei ein wenig der Eindruck, dass die Flaming Lips hier zwar eine gute Idee verfolgen, sich aber mit der Umsetzung ziemlich verhoben haben. Es ist eine Sache, die Register zu haben, um so ein pompöses Album auf die Beine zu stellen, das Handwerk muss aber auch stimmen. Und das fehlt eben an vielen Stellen ein bisschen. Das macht American Head nicht zu einem Totalausfall, ich finde es sogar ein ganzes Stück besser als die letzten beiden Alben der Band, es ist aber auch nicht der große, hymnische Nostalgie-Moment, der vor allem von vielen alten Fans der Lips gerade heraufbeschworen wird. Es wäre etwas anderes gewesen, wäre das hier ein totaler Hingucker geworden, aber so sind mir dann doch die freakigen Flaming Lips lieber, die zwar ab und zu mit fliehenden Fahnen scheitern, aber dabei wenigstens das größtmögliche Chaos angezettelt haben. Das passt besser zu ihnen als planlos ihrer Jugend nachzutrauern.


Hat was von
Oasis
Heathen Chemistry

Pink Floyd
Wish You Were Here

Persönliche Höhepunkte
Watching the Lightbugs Glow | Flowers of Neptune 6 | Dinosaurs On the Mountain | When We Die When We're High

Nicht mein Fall
At the Movies On Quaaludes | Mother, I've Taken LSD | Mother Please Don't Be Sad | God and the Policemen

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