Montag, 28. September 2020

What's A Bratan Gonna Do?

 


[ kommerziell | forciert | unecht ]

Als Capital Bra und Samra mit Berlin lebt 2 letzte Saison in meinen 30 liebsten Alben des Jahres landeten, war das auch für mich irgendwie eine Überraschung. Es war eine Platte, die in Bereichen eine unfassbare Qualität aufzeigte, in denen ich solche vom Prinzip her gar nicht vermutet hatte und bei der ich schon am Anfang befürchtete, dass ihre Großartigkeit sehr fragil wäre. Die theoretischen Schwächen, die die beiden auf dieser LP so oft haarscharf umschifften und stattdessen in glühendes Deutschrap-Gold verwandelten, zeigten sich später vor allem in den anderen Projekten der beiden Künstler. Sowohl Samra als auch Capi fahren seit BL2 jeweils stilistische Filme, die ihrer Zusammenarbeit von letzter Saison sehr ähnlich sind, nur eben nicht im Mindesten so cool. Wobei sich bei mir mehr und mehr der Verdacht einschleicht, dass jener Überraschungs-Favorit eben nur ein sehr glücklicher Zufall war, bei dem einmal kurz alles stimmte. Und keine Sache ist in dieser Hinsicht ein so deutliches Indiz wie diese neue LP von Capital Bra, die künstlerisch vor allem anderen eine umfassende Orientierungslosigkeit porträtiert. Wobei diese für mich schon ein wenig überraschend kommt. Wenn ich an der Diskografie des Berliners bisher eines immer zu schätzen wusste, war es seine Fähigkeit, gleichzeitig sehr kommerzielle Musik zu machen und dabei trotzdem nicht anbiedernd zu wirken. Nicht nur auf Berlin lebt 2 hatte ich bei Capi immer das Gefühl, dass sein musikalischer Charakter tatsächlich irgendwie sein eigener ist und nur deshalb so erfolgreich, weil er aus sich selbst heraus die richtigen Knöpfe drückte. Das einzige Problem daran war eben, dass diese Stilistik zuletzt auch mehr und mehr zur Formel wurde, die immer wieder relativ identisch klang. CB7 ist nun anscheinend der Versuch, daraus auszubrechen, aber gleichzeitig auch die erste Platte, auf der sich der Berliner nicht mehr ganz so natürlich anfühlt. Dabei ist die Ablösung von alten Angewohnheiten eine, die hier noch sehr zögerlich vonstatten geht und sehr auf Sicherheit spielt. Nicht nur setzt Capi hier mehr denn je auf den inflationären Einsatz seiner etablierten Catchphrases, auch auf der Tracklist verbleibt eine ganze Reihe von Tracks wie Zeit vergeht, Nicht verdient oder 100k Cash, die nach klassischer Bra-Schule klingen und die wahrscheinlich die Fans dort abholen sollen, wo sie sind. Aufbauend darauf wird hier aber an vielen Stellen versucht, die musikalische Identität der letzten Platten aufzuweichen und die Idee Capital Bra zu diversifizieren. Und das geschieht zum Teil mit Methoden, die ich persönlich seltsam bis unpassend finde. Schon auf der Gästeliste dieses Albums wird man dahingehend stutzig, denn neben üblichen Verdächtigen wie Samra, Loredana oder Kalazh44 finden sich hier auch ein paar sehr ulkige Kandidat*innen wie Cro, Sido, SDP, Gestört aber Geil und Clueso, die auf den ersten Blick (und um ehrlich zu sein auch danach) so gar nicht in die stilistische Welt dieses Typen passen. Und schon hier wird klar, dass die musikalische Öffnung vielleicht etwas forciert sein könnte. Ich will an dieser Stelle nicht darüber spekulieren, ob es sich dabei um Label-Entscheidungen handelt oder Capital das alles selbst so wollte, Fakt ist: Es passt vorne und hinten nicht. Es ist die eine Sache, wenn die düstere Ostblock-Badboy-Attitüde hier und da mit ein paar Dancehall- und Latin-Beats aufgelockert wird und obwohl diese meistens sehr billig klingen, funktionieren sie vom Konzept her noch irgendwie. Aber wenn in Frühstück in Paris plötzlich Franz Ferdinand-Gitarren zu hören sind, High Five ein kriminell dreister Klau von Ed Sheerans Shape of You ist (Deutschrap ist fresher denn je!) oder Gestört aber Geil vom gleichnamigen EDM-Duo komplett fremdvereinnahmt wird, ist das schon arg peinlich und fühlt sich an wie im falschen Film. Was letztendlich auch inhaltlich dazu führt, dass CB7 zum ersten Mal sehr anbiedernd klingt. Der allerbeste Texter war Capi ja noch nie, doch hier wirkt vieles ernsthaft hingeschludert und bewusst auf Klischees getrimmt. Zusätzlich sind manche Lyrics diesmal ganz besonders eklig misogyn und es werden teilweise ganze Songs in jener furchtbaren Säuselstimme performt, die wahrscheinlich sexy sein soll, aber im Endeffekt eher creepy rüberkommt. Mein ganz persönliches Kryptonit in dieser Hinsicht ist der Song Virus, der nicht nur mit Abstand der schlechteste Song der Platte ist, sondern auch merklich auf eine sehr offensichtliche saisonale Thematik zugeschnitten wurde, sodass man in jeder Zeile spürt, wie verzweifelt man damit versucht hat, die einschlägigen Spotify-Playlisten zu hitten. Zugegeben, nicht jeder der immerhin 21 Tracks hier ist so schlimm, mit Komm Komm und Makarov Komplex II gibt es zwei ernsthaft gute Banger und auch das Realtalk-Closer-Double aus Der Bratan bleibt der gleiche und Einsam an der Spitze ist ein echtes Highlight. Gefühlt sind diese Stücke aber die Ausnahme und Teilen sich diese Platte mit einem viel größeren Part ganz okayer, mittelmäßiger und peinlicher Stücke, die grundlegend eher das Gefühl vermitteln, dass sich hier mächtig verzettelt wurde. CB7 ist kein Totalschaden, aber ein sehr unfokussiertes, anbiederndes Großprojekt, das nicht so richtig weiß, was es eigentlich von sich selbst will. Capital Bra versucht hier ein bisschen, alle auf einmal glücklich zu machen, endet aber mit einem Haufen Musik, die eher ziemlich egal sind. Was leider bedeutet, dass er sich hier ein bisschen mit der Viel-Material-wenig-Substanz-Krankheit angesteckt hat, die im Mainstream-Rap seit Jahren die Runde macht und gegen die er eigentlich lange immun war. Wenigstens hat er nicht auch noch ein schlechtes Ami-Feature gekauft, das hätte zu dieser Platte eigentlich noch sehr gut gepasst.


Hat was von
Haftbefehl
Das weiße Album

Bonez MC & RAF Camora
 Palmen aus Plastik 2

Persönliche Höhepunkte
Makarov Komplex II | Zeit vergeht | 100k Cash | Komm Komm | Der Bratan bleibt der gleiche | Einsam an der Spitze

Nicht mein Fall
Keine Helden | Nicht verdient | Papas Passat | Früher pleite heute Benz | Frühstück in Paris | Eda Özil | Wenn ich will | Virus | Gestört aber Geil | 1A

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen