Mittwoch, 9. September 2020

Spüre deinen Schmerz

 Katy Perry - Smile

[ psychologisch | aufarbeitend | catchy ]
 
Dass ich 2020 meine allererste Besprechung über ein Album von Katy Perry schreibe, ist eigentlich ein Unding. Nicht nur ist diese Frau eine Künstlerin, die in meiner musikalischen Biografie irgendwie schon immer da gewesen ist (und in dieser Zeit ein beachtliches Stehvermögen bewiesen hat), auch kann ich nicht von mir behaupten, mich bisher so gar nicht für sie interessiert zu haben. Klar, unter den vielen spannenden Popstars der letzten Dekade war sie immer irgendwie ein Relikt der Zwotausender und gerade zuletzt auch nicht selten cringy, aber in den etwa zwölf Jahren, in denen sie jetzt Musik macht, war sie zumindest nie ausschließlich peinlich. Songs wie Teenage Dream, This is How We Do oder California Gurls sind für mich persönlich noch immer ziemlich cool und auch wenn es in ihrer Karriere mindestens genauso viele dämliche Momente gab, reichen diese noch lange nicht, Perry als Phänomen an sich abzuschreiben. Ganz zu schweigen davon, dass sie mit mehr oder weniger gleichen Ausführung von Geradeaus-Pop nach wie vor immens erfolgreich ist. Weshalb Smile als Einstiegspunkt in ihre Diskografie auch so gut ist wie jede andere ihrer Platten. Für mich persönlich fand die Motivation dazu konkret durch einige ihrer in meinen Augen stärksten Singles wie Never Really Over und Harleys in Hawaii statt, die mich zum ersten Mal ernsthaft neugierig auf die volle Dröhnung Katy Perry machten, und das anscheinend genau zum richtigen Zeitpunkt. Denn mit dieser fünften LP scheint die Künstlerin erstmals eine Art Konzeptalbum anzugehen. Ganz im Stil der gerade trendigen Narrative im Pop geht es dabei auch hier um den großen Themenkomplex mentale Gesundheit, in diesem Fall vor allem um das Aufarbeiten schlechter Zeiten, sowohl in Bezug auf Beziehungen als auch auf Karriere. Und obwohl das prinzipiell ja eine gute Richtung ist und ich Perry nicht vorwerfen möchte, diese Songs wären aus bloßer Trend-Anbiederung entstanden, ist die inhaltliche Ausrichtung von Smile doch ein potenzielles Problem. Denn wenn ich eines an der Musik dieser Frau schon immer ganz furchtbar fand, dann ihr künstlerischer Ansatz an das Thema Empowerment. Bekannt aus Stücken wie Firework oder Roar, die sich in den letzten zehn Jahren als fester Teil von Perrys Repertoire entwickelt haben, in ihrer Message jedoch maximal oberflächlich und platt sind. Und ein Konzept über mentale Gesundheit würde natürlich bedeuten, dass es davon mehr automatisch mehr gibt. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass die Sache hier dadurch etwas besser aussieht, da das Album Platz gibt, das allgemeingültige Empowerment-Lied thematisch zu diversifizieren und Tracks wie Daisies oder der Titelsong gar nicht mal so schlimm sind. Doch sollte man sich keine Illusionen machen, andere Nummern wie Resilient, What Makes A Woman oder Teary Eyes sind nach wie vor ziemliche Katastrophen. Um ehrlich zu sein mag ich auf diesem Album am meisten die Songs, in denen das lyrische Ich gerade nicht die Weisheit auf seiner Seite hat und Perry über eigenes Fehlverhalten und Schwäche schreibt. Hier entstehen nämlich Momente, in denen sie musikalisch an Charakter gewinnt und tatsächlich etwas aus diesem Konzept macht. Und obwohl Harleys in Hawaii mit seinem hedonistischen Sommervibe thematisch der einzige Song ist, der aus dieser LP herausfällt, ist er trotzdem einer meiner Favoriten. Dass die Platte musikalisch wahnsinnig catchy ist und quasi nur aus Ohrwürmern besteht, muss ich bei dieser Frau sicherlich nicht erwähnen. Wobei sich am Ende des Tages irgendwie der Eindruck bestätigt, den ich von ihr sowieso schon hatte. Katy Perry kann eine ziemlich geniale Popmusikerin sein, die extrem coole Hits schreibt, aber eben auch wahnsinnig anstrengend. Einen Themenkomplex wie diesen hier albumübergreifend zu behandeln gelingt ihr, wenn auch nicht ohne ein paar gewaltige Fremdscham-Momente und einer generellen Attitüde von Oberflächlichkeit. Wie alles, was ich von ihr bisher kannte, ist Smile dadurch definiert, wie durchwachsen es ist. Und mit diesem Ergebnis kann ich zumindest sagen, dass ich bisher wohl nichts verpasst habe. Wobei ich auch irgendwie froh bin, hier endlich mal die Probe aufs Exempel gemacht zu haben.


Hat was von
Taylor Swift
1989

Carly Rae Jepsen
Dedicated

Persönliche Höhepunkte
Never Really Over | Daisies | Harleys in Hwaii | Only Love

Nicht mein Fall
Cry About It Later | Teary Eyes | Resilient | What Makes A Woman

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen