Sonntag, 6. September 2020

Papa Nasir und der Zeitgeist

 Nas - King's Disease

 
[ sozialkritisch | großkotzig | zeitgeistig ]

Wenn es in der Karriere von Nas in den letzten zehn Jahren eine prägende Eigenschaft gegeben hat, dann am ehesten die einer umfassenden Sinnsuche und musikalischen Neuorientierung. Wo sein Output in den Zwotausendern wesentlich von der nostalgischen Nachbereitung seines einzigen großen Klassikers Illmatic von 1994 gewidmet war, die rückblickend doch etwas sehr verzweifeltes hatte, bestand die vergangene Dekade bei ihm schon merklich aus dem Versuch, sich künstlerisch neu zu definieren. Obgleich es während dieser Phase nur drei richtige Alben des New Yorkers gab und er zwischendurch auch lange inaktiv war, ging das, was er dabei machte, doch größtenteils in neue und teils riskante Richtungen, die ihn unter anderem in die Arme von Damian Marley und Kanye West trieben. Sein diffuser Legendenstatus im Lore des Ostküsten-Rap war dabei immer mindestens ein Nebenschauplatz und der Anspruch des GOAT auch einer, den Nas selbst stellte. Über die Rechtfertigung des ganzen kann natürlich debattiert werden, Fakt ist aber, dass Nas sich spätestens mit dieser LP hier die Krone des Rap aufzusetzen versucht. Sei es auch nur dafür, ein kohärentes Narrativ für selbige zu spinnen. Das Stichwort ist dabei mehr oder weniger auch der Titel des Ganzen und King's Disease ein Album, das sich mit der Rolle des Souveräns in einem empfundenen Rap-Feudalismus auseinandersetzt. Und legitim oder nicht, rein lyrisch ist das kein schlechtes Motiv. Aus der imaginierten Position eines salomonischen Konzepts von Königtum spricht Nas hier über seine Philosophie von Gerechtigkeit, Ägide, Macht, Geld und spititueller Anführerschaft, die den Rahmen dieser LP bilden. Womit King's Disease definitv den Anspruch eines verkopften Thinkpieces hat, wie es in letzter Zeit auch Jay-Z, Kendrick Lamar oder Royce Da 5'9" gemacht haben. Es geht viel um schwarze Geschichte, Afrofuturismus, Exodus-Gedanken und tagespolitische Dinge, aber eben auch um die Art von Storytelling, mit der dieser Typ in den Neunzigern überhaupt erst groß wurde. Doch obwohl ich nicht den Eindruck habe, dass Nas sich damit blamiert - das hier ist sogar seine beste Platte seit einer ganzen Weile - bin ich doch der Meinung, dass sein inhaltlicher Beitrag überschaubar ist. Wie schon gesagt folgt King's Disease mit diesem lyrischen Konzept einer gewissen Spur, die nun auch schon ein paar Jahre alt ist und zu dem er in meinen Augen nicht mehr unbedingt viel hinzuzufügen hat. Klar sind seine individuellen Andockpunkte nicht die gleichen wie von anderen Rapper*innen und er ist ganz und gar er selbst, doch die unterliegende Philosophie eine bekannte Leier: Struktureller Rassismus, Aufarbeitung schwarzer Geschichte, Malcolm X, Rastafarismus, Kolonialismus und so weiter. Nicht, dass es nicht wichtig wäre, diese Themen immer wieder zu behandeln und gerade Nas ist jemand, der sich damit nicht erst seit gestern auseindersetzt, aber gerade da liegt der Hund irgendwie begraben: Denn wo die besten Platten von ihm bereits in den Neunzigern sehr effektiv über diese Dinge sprachen und tatsächlich die Geschichten und Zusammenhänge hinter bekannten Phänomenen erforschten, hört er sich hier plötzlich an, als würde er nur oberflächlich das nachplappern, worüber gerade schon andere Rapper*innen reden, nicht selten auf originellere Weise als er. Das Problem ist somit nicht, dass er sich eines bewährten Narrativ bedient, sondern eher, dass er nichts neues dazu beizutragen hat. Obwohl er das sicherlich könnte, wenn er wollte. Und rein Rap-ökonomisch lässt ihn das gerade nicht wie einen King erscheinen, sondern eher wie jemanden, der mit allen Mitteln an den Themen der Hiphop-Intelligenzia dranbleiben will. Um mich wirklich zu überzeugen, müsste er diese schon wieder selbst einbringen. Denn wie gesagt, es wäre bei ihm nicht das erste Mal.
 

Hat was von
Royce Da 5'9"
the Allegory

Jay Electronica
 A Written Testimony

Persönliche Höhepunkte
King's Disease | Blue Benz | 27 Summers | All Bad | the Cure | Spicy

Nicht mein Fall
Car #85

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