Freitag, 25. September 2020

Die Würde des Manson

 Marilyn Manson - We Are Chaos

 
[ theatralisch | erwachsen | düster ]
 
Marilyn Manson ist in dem knappen Vierteljahrhundert, das ich nun bereits auf dieser Erde wandle, bisher nie ein Künstler gewesen, für den ich mich auch nur ein kleines bisschen interessiert hätte. Sicher, als Angehöriger meiner Generation ist das auch eine Sache, die relativ einfach ist, denn als Mitte der Neunziger Geborener war ich nicht wissentlich mit der Omnipräsenz dieses Musikers in genau dieser Zeit konfrontiert, aber kann man mir glauben, dass es dennoch genug Gelegenheiten gegeben hätte, ihm auch nachträglich anheim zu fallen. In der Metal- und Punker-Bubble, in der ich als Teenager hauptsächlich unterwegs war, mochten viele den Antichrist Superstar nach wie vor sehr gerne, nur ich fand ihn irgendwie schon damals eher ziemlich clownesk und überzogen und fühlte mich eher zu bodenständigen, tragischen Figuren wie Kurt Cobain und John Frusciante hingezogen. Und auch in all den Jahren danach habe ich nie ernsthaft die Neugier verspürt, mich mit Manson so ausführlich zu beschäftigen wie ich es hier erstmals tue. Die Gründe dafür haben dabei letztendlich auch nicht nur mit mir zu tun. Zunächst mal ist es ein bisschen Fanservice, da viele meiner Freund*innen, die das hier vielleicht lesen, diese Platte wahrscheinlich ernsthaft interessiert, des weiteren beobachte ich an der Figur des Marilyn Manson in den letzten Jahren zusehends, wie sein früher Katalog und somit der Künstler als Gesamtheit zu einer Art Klassiker wird. Dass der Trend dahin geht, ist wahrscheinlich unvermeidbar, ist dieser Typ doch einer der prominentesten Popmusiker*innen, die je als Elternschock und Jugendgefährdung ein ernsthaftes Renommee hatten und damit irgendwie auch eine Symbolfigur der Generation X. Dass dieses Image nun, da er selbst über 50 ist, langsam Staub ansetzt, versteht sich natürlich von selbst. Wobei sich Manson und seine Kompositionspartner*innen in den letzten Jahren anscheinend Mühe gegeben haben, ebendieses hinter sich zu lassen und mit ihren letzten beiden Alben einen erwachseneren, versierteren Sound aufzubauen. Ich selbst kenne diese bis jetzt nur auszugsweise, doch reden wir über die Dinge, die hier auf We Are Chaos passieren, muss ich angetan zugeben, dass dieser Übergang bisher fabelhaft gelungen ist. Zumindest ist das hier ein besseres Gesamtergebnis, als ich es mir im Jahr 2020 von jemandem wie Marilyn Manson hätte träumen lassen. Diese LP schafft das große songwriterische Kunststück, gleichzeitig die klangliche Grundidee weiterzuführen, die den Charakter und die Marke dieses Künstlers ausmacht (ihr wisst schon, die schmissigen Industrial-Beats, die Endneunziger-Gitarrengrooves und vor allem die räudige Horrorclown-Stimme), aber diese auch abzumildern und reifer zu machen. Wenn ich hier Songs wie Infinite Darkness, Don't Chase the Dead oder Perfume höre, denke ich noch immer an die gleiche musikalische Type, bin aber nicht ansatzweise so genervt, weil hier nicht jede kreative Entscheidung der Maximierung des Schockeffekts dient. Im Gegenteil: Auf We Are Chaos erkenne ich erstmals eine halbwegs ernsthafte Düsternis und eine romantische Tragik, die seine Songs (zumindest die, die ich kenne) vorher selten hatten. Natürlich ist diese noch immer sehr theatralisch und aufgebrezelt, aber lange nicht so bescheuert Pennywise-mäßig wie früher. Ästhetisch erinnert mich hier vieles an die Gothrock/Industrial-Phase der Smashing Pumpkins in den späten Neunzigern oder die perfekte Mischung aus Poppy und Glenn Danzig und generell habe ich den Eindruck, dass diese Platte eher in Richung Gothrock geht als Industrial oder Alt-Metal. Den affigen Matrix-Mantel hat Mansons Sound dabei noch nicht ganz abgelegt, aber ihn zumindest schonmal mit Hemd und Krawatte kombiniert, sodass die Eltern, die ihn früher so furchtbar fanden vielleicht nicht mehr direkt auf die Barrikaden gehen. Nicht, dass das je irgendwie das Ziel gewesen wäre, aber man muss eben schauen, wo man bleibt, wenn man nicht mehr 30 ist. Und es ist erstaunlich zu sehen, dass ein ausgrechnet Künstler wie dieser es tatsächlich hinbekommt, einigermaßen in Würde zu altern. In meinen Augen sogar mit dem Bonus, dass er gerade zum ersten Mal insteressant wird. Wer weiß, wo uns das noch hin bringt.


Hat was von
Slipknot
We Are Not You Kind

the Smashing Pumpkins
Adore

Persönliche Höhepunkte
Red Black and Blue | Don't Chase the Dead | Infinite Darkness | Perfume | Keep My Head Together | Solve Coagula | Broken Needle

Nicht mein Fall
-

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