Dienstag, 30. Oktober 2018

10 Songs im Oktober 2018 (Charli XCX, Little Dragon, Beirut und und und...)

























1. THOMAS BANGALTER
Riga Take 5
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Man erlebt es selten genug, das eines der Mitglieder von Daft Punk musikalisch mal ohne den jeweils anderen unterwegs ist, da ist ein Stück wie Riga Take 5 schon an sich eine spannende Sache. Dass es dann aber auch noch so ein großartiger geworden ist und dieser stilistisch so weit abseits von Thomas Bangalters eigentlichem Hauptwerk stattfindet, ist selbst bei einem so talentierten Künstler wie ihm ein kleinerer Lottogewinn. Der besagte Titel ist ein viertelstündiger Longtrack, in dem der Franzose seine Nostalgie für dreckig gemachten Acid Techno bemüht und dabei eine sehr schwitzige und düstere Nummer aus dem Hut zaubert, die genausogut aus seiner Zeit vor Daft Punk stammen könnte. Sicherlich eher nichts für die Erolgsfans der Pop-Ikone Bangalter, aber nichtsdestotrotz ein besonderes Kleinod in der Diskografie dieses Typen.

2. KODAK BLACK
If I'm Lyin, I'm Flyin
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Bisher war Kodak Black eigentlich überhaupt nicht der Typ für tiefsinnige Lyrics und ernste Botschaften in seinen Songs, sondern eher der Typ hedonistischer Soundcloud-Rapper, die dieser Tage viel Rauschen produzieren. Nachdem er allerdings den größten Teil der letzten beiden Jahre hinter Gittern verbrachte, scheint er auf seiner ersten Single als freier Mann etwas an Weisheit zugelegt zu haben. If I'm Lyin', I'm Flyin ist dabei nicht nur ein reumütiger Song voller Zugeständnisse, religiöser Läuterungen und neuer Überzeugungen, es ist vor allem auch ein musikalischer Stilbruch für Kodak zu einem erwachseneren, ehrlicherem Künstler, der seinen Erfolg als Chance begreift, vergangenes hinter sich zu lassen. Eine dieser schönen Stories also, die nur Hiphop zu schreiben vermag.

3. CHARLI XCX & TROYE SIVAN
1999
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Neunziger-Nostalgie ist an und für sich eine Sache, die schon ätzend war, als es sie noch gar nicht gab und ich will absolut nicht behaupten, dass dieser Song nicht alles noch schlimmer machen würde. Allerdings ist ja das tolle daran, dass sich Charli XCX und Troye Soivan ihres Tuns durchaus bewusst sind und in 1999 eben diese MTV-Crystal Pepsi-Web 1.0-Sehnsucht auch ein bisschen durch den Kakao ziehen. Im Video sind sie Kate Winslet, TLC, Eminem und Justin Timberlake und der Songtext zitiert Britney Spears und CD-Player. Dass abgesehen davon nur sehr viele hohle Phrasen aufgeschlagen werden, macht das ganze fast schon zur Parodie. Und hätten die beiden sich nicht diese verflucht eingängige Hook ausgeschnapst, ich würde den Track vermutlich hassen. So ist es einer meiner Favoriten des Monats geworden...

4. RUN THE JEWELS
Let's Go (the Royal We)

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Lange schon sind Run the Jewels nicht mehr ausschließlich zwei sehr gute Rapper, die sich Beats schneidern lassen, spätestens seit ihrer zweiten LP sind sie auch die heimlichen Verwalter des Raprock geworden. Und wo ich das bisher eigentlich immer für eine schlechte Idee hielt, machen sie das ganze ausgerechnet auf ihrem Beitrag für den Venom-Soundtrack das erste Mal richtig. Let's Go steigt mit einem bratzigen Gitarrenriff ein, das später in ein fast elektronisch wirkendes Instrumental morpht und die perfekte Basis für die natürlich wie immer großartige Performance von Killer Mike und El-P bereitlegt. Wobei sich noch eine weitere Theorie von mir bestätigt: Ihre besten Stücke machen Run the Jewels auch 2018 außerhalb ihrer eigentlichen Longplayer.

5. LITTLE DRAGON
Lover Chanting
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Nachdem Little Dragon in den letzten Jahren zunehmend ihre elektronisch-experimentelle Seite suchten und sich in kantige Sounds einigelten, tut es unglaublich gut, hier erstmals seit langem wieder einen richtigen Popsong von den Schweden zu hören. Nicht, dass sie zuletzt irgendwie doof gewesen wären, doch es ist schon ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob man mit einem entrückten Indie-Kunstwerk Überzeugungsarbeit leisten muss oder einfach einen Hit abliefert, der direkt in der ersten Minute das gleiche leistet. Und Lover Chanting ist definitiv ein Hit, mehr noch als die früheren Sachen der Band, der mit extrem starker Hook und groovigem Beat keine zwei Meinungen zulässt. Dabei dachte ich schon, Litte Dragon hätten diese Musik verlernt.

6. J MASCIS
Web So Dense

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Man kann mich mittlerweile definitiv nicht mehr von der Meinung abbringen, dass der Solo-Mascis seit einigen Jahren wesentlich bessere Arbeit leistet als der Dinosaur-Jr-Mascis und sich auf seinen Platten Stück für Stück weiter neu entdeckt. Schon Tied to A Star war 2014 klasse und sein bald erscheinendes neues Projekt Elastic Days scheint ähnliches zu versprechen. Vor allem dank Web So Dense, einem der bisher, ähem...energischsten Songs seiner Solokarriere, die mit vollem elektrischem Instrumentarium und Streichern die Gefilde des Songwritertums endgültig verlässt. Dass unser liebster Indie-Opa sich dabei überanstrengt, braucht man trotzdem nicht zu befürchten, Mascis ist hier so schlurksig und schrullig wie eh und je. Und ich hoffe, dass er diese Balance weiterhin hält, denn im Moment trägt diese noch zu ziemlich tollen Tracks bei.

7. JULIA HOLTER
Words I Heard
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Weil es 2018 scheinbar noch nicht genügend tolle Alben von talentierten Kammerpop-Diven gab, hat letzte Woche auch Julia Holter ein neues Projekt veröffentlicht, und weil mein Artikel dazu ganz sicher erst im neuen Monat kommt, kann die beste Single davon genauso gut auch in dieser Rubrik stehen. Words I Heard verlässt in seinen fast sieben Minuten weitgehend die Rustikalität des letzten Longplayers und setzt mit Streichern, Piano und Autotune auf eine deutlich sakralere Ausrichtung, die entgegen aller Vorstellung erstaunlich gut funktioniert. Zwischen Björk, Thom Yorke und John Williams findet die Kalifornierin hier einen wahnsinnig erhabenen Sound und eine Ausdrucksweise, die große Lust darauf macht, sie auf Albumlänge zu hören. Der Beschluss, ihre Musik scheiße zu finden, scheitert damit erneut bereits im Ansatz.

8. BEIRUT
Gallipoli

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Wahrscheinlich bin ich die einzige Person hier, der bei der Ankündigung eines neuen Albums von Beirut noch regelmäßig das Wasser im Mund zusammen läuft und wo ich das beim im Nachhinein eher okayen No No No von 2015 noch irgendwie verstehen konnte, bin ich diesmal entsetzt: Wie kann man eine so großartige Leadsinge wie Gallipoli bitte doof finden? Hat sie doch alles, was an dieser Band nach wie vor so großartig ist: Die leichten elektronischen Tupfer im Hintergrund, Zach Condons klagende Folk-Stimme, die zarten Backing-Vocals und als dicke Sahnehaube einen gigantischen Balkan-Bläsersatz an der Spitze. So wie hier klingen Beirut nur auf ihren besten Tracks und das hier ist endlich mal wieder einer. Warum freut sich niemand darüber?!

9.UNKNOWN MORTAL ORCHESTRA
Hanoi-6

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Ein doofes Album haben Unknown Mortal Orchestra in diesem Jahr schon gemacht, meine Skepsis war also berechtigt, als sie noch in der gleichen Saison das nächste ankündigten, das zudem noch ein instrumentales Psychedelic-Ambient-Projekt sein sollte. Aber was theoretisch nach der größten Schnapsidee der Australier klingt, könnte ihr Weg zurück in die Kredibilität sein. Denn was dieser fast zehnminütige Teasertrack verspricht, ist so einiges. Hanoi-6 ist ein Trance-einflößender, minimalistischer Slow-Jam, der krautrockig Riffs strapaziert, stilvoll eine Maultrommel einzubinden vermag und als kleinen Bonus vielleicht schon jetzt den Preis für das beste Saxofonsolo des Jahres einheimst. Can, Tortoise und Pink Floyd lassen grüßen und wenn die komplette neue Platte so wird, könnte sie doch noch so einiges aufwirbeln. Hoffen wir also das beste.

10. POWERS PLEASANT feat. DENZEL CURRY, IDK, ZOMBIE JUICE & ZILLAKAMI
Please Forgive
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Gute Posse Cuts gab es dieses Jahr eher wenige und wenn, dann eher nicht von den Großen im Business. Und dass mit Powers Pleasant, Denzel Curry, IDK, Zombie Juice und ZillaKami hier eine ganz beachtliche Squad aus Untergrund-Rappern zusammenkommt, ist auch eher wieder ein Pluspunkt für die Generation Bandcamp. Dafür stimmt auf diesem Song dann aber auch wirklich alles: Absolut jeder MC hier bringt einen sehr originellen Beitrag ein und überzeugt mit guten Lines, alle sind stilistisch irgendwie unterschiedlich und der dazugehörige Beat ist ebenfalls ein echter Hingucker. Wer dieses Jahr noch ein gemeinsames Projekt der Rapper hören will, über die spätestens nächstes Jahr alle reden, sollte das nicht verpassen.


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Montag, 29. Oktober 2018

Reproduktionsfunktion





















Als die Cloud Nothings im Januar 2017 das letzte Mal einen vollwertigen Longplayer veröffentlichten, schrieb ich in meinem Post darüber sehr viel darüber, wie die Band sich schwer damit tat, das Vermächtnis ihres einzigen großen Albums Attack On Memory anzutreten. Das zu jenem Zeitpunkt gerade mal fünf Jahre alte Projekt war über die Zeit seiner Existenz zu einer Art Schatten geworden, der Dylan Baldi und seine Kollegen auf Schritt und Tritt folgte und der an jede neue Platte, die das Quartett seitdem veröffentlichte, seine unbarmherzig hohe Messlatte anlegte. Was auch kein Wunder ist: Mit Produktion von Steve Albini, einem extrem energischen Sound zwischen Grunge, Punk, Hardcore und Indierock und zeitlosen Songs wie Stay Useless oder Wasted Days war das Ding eines der wichtigsten Statements lauter Rockmusik in der letzten Dekade. Und wenn man einmal so ein Meisterwerk macht, steht man später auch in dessen Verantwortung. Je nachdem, wie man es interpretiert, war Life Without Sound im letzten Jahr dann entweder die Kapitulation oder das Hinwegsetzen über die zum Fluch gewordene LP und der Zeitpunkt, an dem Cloud Nothings zeigten, dass auch sie keinen Bock mehr darauf hatten. Mit ziemlich seichtem Emorock und einer ganzen Reihe ziemlich öder Tracks war der darauf folgende Neuanfang zwar eher ernüchternd, aber er war immerhin einer und das war auch okay so. Die Gruppe brauchte erstmal wieder einen stilistichen Marschplan und den Platz, in Ruhe Songs zu schreiben. Vor allem sollte das Album aber erstmal klar machen, dass es so etwas wie ein zweites Attack On Memory nicht geben würde. Auch von Seiten der Band aus. Und trotzdem sitze ich knapp zwei Jahre später hier und schreibe einen Artikel über die Platte, die genau das geworden ist: Der wirklich würdige Nachfolger des Opus Magnum von 2012. Nachdem Baldis Jungs mit einem mittelmäßigen Album im Jahr 2014 und danach einer langen stillen Phase zunächst ziemlich erfolglos versucht hatten, den großen Wurf irgendwie zu beerben und Life Without Sound diesem Bestreben eigentlich absagte, kommt das jetzt schon ganz schön überraschend. Zumal die Band die Energie, die ihr anscheinend über Jahre hinweg dazu fehlte, hier einfach aufhebt wie verloren geglaubtes Lieblings-T-Shirt und im gleichen Berserkergang wie vor sieben Jahren weiterzappelt, ohne mit der Wimper zu zucken. Und obwohl ich das grundsätzlich begrüße und das hier ganz klar ihr bestes Material seit Attack On Memory ist, ist eine gewisse Skepsis durchaus nicht unangebracht. Denn eigentlich bringt ihnen dieses Album so gut wie gar nichts. Nicht nur unterbricht es auf komische Weise die begonnene musikalische Neufindung auf dem Vorgänger, es kommt auch ein ganzes Stück zu spät, um wirklich der legitime Nachfolger seines älteren Bruders sein zu können. Wäre so ein Album direkt 2013 oder 2014 gekommen, wäre es vielleicht das Wish You Were Here zu Cloud Nothings Dark Side of the Moon geworden und hätte die Band wirklich weitergebracht. So wie es jetzt steht, ist Last Building Burning nur die LP, die das Wunder der einen großen Platte am effizientesten reproduziert. Das macht sie im eigentlichen nicht weniger gut, aber weniger zu einem Ereignis. Und es wirkt ein bisschen wie der Versuch, es jetzt doch noch mal mit dem alten Kram zu probieren, weil alles danach irgendwie semi funktioniert hat. Es ist, als würde die Nationalmannschaft, nachdem das komplette Spielkonzept auf Nachwuchsspieler umgestellt worden ist und neue Strategien gefunden wurden, jetzt trotzdem wieder Lukas Podolski verpflichten, weil es mit ihm ja immer noch am besten lief. Man kann das machen und Cloud Nothings nutzen es zu ihrem Vorteil, aber es ist auch nicht die schönste Variante, gute Songs zu schreiben. Wobei gute Songs immer noch tausendmal besser sind als schlechte.






Persönliche Highlights: On An Edge / Leave Him Now / Offer An End / Dissolution

Nicht mein Fall: So Right So Clean

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Sonntag, 28. Oktober 2018

Arsch hoch!





















Wenn es darum geht, einen Archetypus für die Art von Musiker*in zu finden, die man landläufig als "Slacker" bezeichnet, dann ist Kurt Vile sicherlich einer der ersten, die mir in den Sinn kommen. Der ehemalige Frontmann von the War On Drugs besetzt mit seinem gesamten Schaffen bereits eine Weile sehr gezielt das Klischee des langhaarigen, entspannten Gitarrensongwriters mit der Attitüde eines Althippies, der vielleicht ein bisschen mürbe in der Birne ist, aber im Allgemeinen trotzdem ein netter Zeitgenosse, dem man auf seinen Songs auch gerne zuhört. Und wo das im großen und ganzen erstmal nach einer ziemlich romantischen Vorstellung klingt, war eben dieser Umstand bei mir auch immer eine Ursache von Kritik an ihm. Denn so locker und gemütlich, wie er seine Stücke stets performte und sich darin zurücklehnte, hatte ich immer ein wenig den Eindruck, dass er es sich ein bisschen zu leicht machte. Klar, gut schreiben konnte er, aber viele seiner Platten erwecken bei mir auch irgendwie den Eindruck, dass er eher selten das beste dabei rausholte. Neben einigen klaren Hits begnügte sich Vile häufig mit blöden Füller-Tracks, langweiliger Klangkulisse und einem sehr festgelegten Stil, der sich über Jahre nicht weiterentwickelte. Sein Solo-Output hat dieses Problem sowieso schon immer und in meinen Augen kommt es auch nicht von ungefähr, dass the War On Drugs erst so richtig gut wurden, nachdem er draußen war. Und gerade in den letzten Jahren hat dieser Eindruck dazu geführt, dass ich für meinen Teil eigentlich nicht mehr viel von ihm erwartete. Seine letzte eigene LP B'lieve I'm Goin' Down von 2015 war nicht der Rede wert, auch Wakin On A Pretty Daze von 2013 empfinde ich als etwas überbewertet und letztes Jahr brauchte es auf Lotta Sea Lice eine übermotivierte Courtney Barnett, um ihn zumindest ein bisschen aus der Reserve zu locken. Und dass ich deshalb auf seine neue Platte Bottle it In nicht wirklich Bock hatte, sollte da klar sein. Ich hatte auch zunächst nicht vor, darüber zu schreiben. Doch scheint es mit diesem Album nun doch erstmals diese Sache zu geben, die ich bei Kurt Vile bisher vermisste, nämlich Ambition. Was wiederum bedeutete, dass es sich vielleicht doch mal lohnen würde, diesem Typen eine Chance zu geben. Mit 78 Minuten Spielzeit ist sie selbst für seine Verhältnisse eine ziemlich umfangreiche LP und dass er mit Bassackwards vor einigen Monaten eine fast zehnminütige Single vorstellte, verdient Respekt. Zumal es Vile darin schaffte, stilistisch auch mal etwas aus seinem Slacker-Kokon auszusteigen und hier eine ziemlich stattliche Psychrock-Nummer abzuliefern. Die Zeichen standen also gut. Und wenn man sich das fertige Ergebnis nun anhört, so kann man den Ausstieg aus der Stagnation auf jeden Fall hören. Von den 13 Songs hier gibt es so gut wie keinen, der halbherzig komponiert wäre, in vielen davon verstecken sich nette klangliche Tricks und Kniffe, die Platte ist durchweg solide produziert und erneut fällt mir der Songwriter sehr positiv durch seine lyrische Arbeit auf. Dass Kurt Vile nicht sein bestes gegeben hätte, kann man ihm diesmal wirklich nicht vorwerfen. Mehr noch, mit diversen Songs über zehn Minuten und nur sehr wenigen klassischen Dreiminütern macht er sich die Arbeit sogar erheblich schwerer. Dass am Ende trotzdem keiner dieser Brocken zur Geduldsprobe wird, ist da einigermaßen beeindruckend. In vielen Elementen ist Bottle it In das Ergebnis von Fleißarbeit und ich bin durchaus gewillt, das anzuerkennen. Und ich würde die Platte sogar richtig gut finden, wäre da nicht nach wie vor das Problem, dass der Künstler dann eben doch nicht so richtig aus seiner eigenen Haut kann. Ein Problem ist das ganze vielleicht nicht mal, eher eine stilistische Gewohnheit, und ich bin mir sicher, dass viele gerade diese Attitüde ganz besonders toll finden. Aber mir persönlich ist Kurt Vile dann doch immer noch zu gechillt. In sorgfältigen Dosen, wie in Mutinies oder Bassackwards ist dieser Vibe musikalisch genau das richtige, aber diesem Typen 78 Minuten lang bei seinem leicht sediert wirkendem Singsang zuzuhören, ist eine Aufgabe. Und wenn es in dieser ganzen Zeit keinen einzigen Moment gibt, in dem er zur Abwechslung mal aussteigt und ein bisschen Action in die ganze Sache bringt, ist mir dass dann doch etwas zu viel easy going. Ich sage nicht, dass Bottle it In deshalb langweilig oder monoton wäre, es ist nur etwas einfältig. Was aber irgendwie auch wieder zu diesem ganzen Projekt passt. Denn es bedeutet, dass Kurt Vile hier eine gute und unterhaltsame LP auf die Beine stellt, auf der er sich dennoch nicht selbst verraten muss. Er kann weiterhin der Tom Bombadil des Garagenrock sein, hat aber wenigstens für diese eine Platte mal den Arsch hochgekriegt und sich Mühe gegeben. Hoffen wir, dass er ob dieser Anstengung jetzt nicht zu sehr in den Entspannungsmodus verfällt, sonst kann ihm diesmal auch keine Courtney Barnett mehr helfen.






Persönliche Highlights: Loading Zones / Bassackwards / Mutinies / Come Again / Cold Was the Wind / Skinny Mini

Nicht mein Fall: Hysteria

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Samstag, 27. Oktober 2018

Er selbst





















Eigentlich wollte ich ja meine Abrechnung mit diesem Album auf meine Weise damit zum Ausdruck bringen, dass ich erst gar nicht groß drüber reden würde. Ein Bruchteil der Platte reichte mir vor zwei Wochen, um das neueste Projekt des Robert Bryson Hall II, auch bekannt als Logic, ohne großes Gewese in die Schnelldurchläufe für Oktober zu verbannen und damit schon mal ein Problem weniger zu haben. Denn wenn ich eines nicht gebrauchen konnte, dann eine 73-minütige Doppel-LP eines Rappers, den ich eh noch nie leiden konnte, auf der dieser auch noch sentimental und nostalgisch wird. Es war nicht nur so, dass mir dieser Typ komplett egal war, er nervte mich inzwischen regelrecht. So gut wie jede Saison erscheint mindestens ein neuer Tonträger von ihm, wobei die qualitative Spannweite zuletzt nur noch zwischen komplettem Müll zu okay, aber pretenziös tendierte. Noch dazu klingt er auch nach Jahren noch immer nach einer lyrisch schlechteren Performance-Kopie von Kendrick Lamar und bringt in seiner Musik so viele originelle Ideen ein wie Hans-Georg-Maaßen in den Verfassungsschutz. Kurz gesagt hatte ich einfach keinen Bock, über noch eine Platte zu reden, die daran absolut nichts änderte und mir auch sonst vollkommen am Arsch vorbeiging. Und tatsächlich kann ich in dieser Hinsicht noch immer keine Entwarnung geben: Vieles an YSIV ist ziemlich schlimm. So feiert sich Logic auf dieser LP notorisch selber, tritt konsequent das Erbe des Neunziger-Boombap mit Füßen, macht sich beim Versuch, bemüht tiefsinnig zu sein, total zum Affen und scheibt dabei bestenfalls durchschnittlich gute Texte. So ist der Opener Thank You für sich schon ein ekliger Song, in dem in den ersten drei Minuten viel dummes Zeig gesagt wird. Aber sich danach noch drei weitere Minuten schleimige Sprachnachrichten aus der Fanbase des Rappers anhören zu müssen, ist nicht weniger als pure Selbtaufgeilung. Und da sprechen wir gerade Mal vom ersten Stück von insgesamt 14. Schlimm ist auch der im Vorfeld groß angeteaserte Posse-Cut Wu-Tang Forever, auf dem sich tatsächlich fast der komplette Clan "die Ehre gibt". Gemessen daran, wie selten diese MCs heutzutage tatsächlich mal für eine gemeinsame Sache zusammenfinden, macht es mich ein bisschen sauer, dass es ausgerechnet bei diesem Hampelmann mal geklappt hat. Zumal der Song selbst eher mittelmäßig gut geworden ist. Würde ich noch weitere Sachen aufzählen wollen, die ich an diesem Album echt blöd finde, es würden sich jede Menge finden. Aber das ist nicht der Punkt, auf den ich hier hinauswill. Denn eigentlich finde ich nämlich, dass YSIV so ziemlich Logics bester Longplayer seit langem ist. Weit entfernt von überzeugend, aber zumindest nicht ganz so scheiße wie seine letzten Projekte. Und das liegt vor allem daran, dass er hier endlich mal wirklich er selbst ist. Ich habe erst beim dritten oder vierten Mal reinhören festgestellt, aber jene ganz schlimme Art von Copy-Paste-Hiphop, vor allem bezogen auf Kendrick Lamar, das bisher immer ein echter Makel war, findet sich hier erstmals so gut wie überhaupt nicht. Logic klingt auf dieser Platte nur noch wie Logic, und überraschenderweise ist das gar keine schlechte Sache. Flowen kann der junge ohnehin und dass er hier ein bisschen mehr die klassische Schiene fährt, passt bei ihm eigentlich ganz gut und lässt seine teilweise sehr simplen Bars nicht ganz so sehr auflaufen. Zwar löst er damit noch lange nicht das Problem, dass er ein pretenziöser Sack ist, langweiligen Pop-Rap macht und in Sachen Spielzeit hier völlig den Rahmen sprengt, aber es ist dennoch eine wesentliche Verbesserung. Logic ist noch lange kein guter Rapper, aber er versucht wenigstens nicht mehr, irgendein anderer zu sein. Und mit 100 Miles & Running, Legacy und dem Jaden Smith-Feature Iconic sind hier durchaus auch ein paar echt gelungene Cuts dabei. Obwohl ich nicht glaube, dass dies nun der Anfang für eine komplette 180-Wendung seiner Karriere ist und jetzt nur noch tolle Alben kommen, YSIV wird wahrscheinlich eher ein einzelnes Leuchtturmprojekt bleiben. Dennoch empfinde ich es als gegebenen Anlass, über diesen Musiker mal nicht immer nur zu meckern, sondern auch mal das positive hervorzuheben. Das Können dazu hat dieser junge Mann nämlich schon lange, es zeigt es nur nicht wirklich gerne.






Persönliche Highlights: Everybody Dies / the Glorious Five / One Day / 100 Miles & Running / Legacy / Iconic

Nicht mein Fall: Thank You / Wu-Tang Forever

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Freitag, 26. Oktober 2018

Im Dienste der Skepsis





















Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass eine junge Band namens Karies bei mir zur großen Hoffnung der deutschsprachigen Postpunk-Bewegung wurde. Die Gruppe stammte aus derselben berühmt-berüchtigten Stuttgarter Zelle, die uns in den Jahren zuvor schon großartige Acts wie Die Nerven und Human Abfall beschert hatte und sich mit ihrem zweiten Longplayer Es geht sich aus anschickte, nun selbst eine der wichtigsten Kräfte dieses Movements zu werden. Und zum damaligen Zeitpunkt war das absolut keine Frage: Besagte Platte war eines meiner persönlichen Highlights der Saison, Songs wie Keine Zeit für Zärtlichkeit oder Es wird ein Fest liefen bei mir in Dauerschleife und weil es von vielen anderen Szene-Bands zu dem Zeitpunkt gerade nichts besseres gab, kannte mein kleiner Hype um Karies eine Weile keine Grenzen. Allerdings ist das alles schon zwei Jahre her. Geht man vom jetzigen Zeitpunkt aus, ist meine Liebe für sie schon deutlich verhaltener geworden. Wenn ich Es geht sich aus heute höre, so muss ich doch feststellen, dass einige Passagen vielleicht doch nicht ganz so clever sind, wie ich sie damals fand, die Texte durchaus ein bisschen stumpf wirken und die LP sich insgesamt schon einem relativ klassischen Standard hingibt. Sie ist nach wie vor gut, aber die zehn Punkte in der Besprechung und einen neunten Platz in der Jahresbestenliste würde sie inzwischen sicher nicht mehr bekommen. Was nicht zuletzt auch dazu führt, dass ich ihrem neuen Output nun mit einer gesunden Skepsis entgegenkomme. Als vor einigen Monaten Alice angekündigt wurde, habe ich mich definitiv gefreut, war aber auch vorsichtig: Auf keinen Fall würden Karies diesmal mit noch so einem Album wie Es geht sich aus durchkommen, zumal sich auch um sie herum sehr viel verändert hat. Um die Stuttgarter Zelle, 2016 noch ein großes Thema, ist es mittlerweile ziemlich still geworden, lediglich die nimmermüden Nerven haben sich aus der Szene erfolgreich herausemanzpiert und sind zu einem internationalen Pop-Phänomen aufgestiegen. Mit stupidem Fehlfarben-Postpunk wäre diesmal also sicher kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Und glücklicherweise denken auch Karies diesmal so. Alice geht in wesentlichen musikalischen Schritten nunmehr einen eigenen Weg, der insgesamt wesentlich kompromissbereiter, sanfter und ebenfalls Pop-orientierter ist. Die kantigen Bass-Bretter des Vorgängers haben sich hier in intelligente New Wave-Tracks verwandelt, die auch vor Genre-fremden Stilmitteln wie Shoegaze-Gitarren, Plucker-Synths, Ambient-Passagen und Autotune nicht zurückschrecken. Damit gehen sie zwar auch einen ähnlichen Weg wie die Nerven auf ihrer neuen LP, doch bleiben auch ihren eigenen Talenten treu. So ist hier nach wie vor das exzellente Bassspiel einer der Hingucker der Platte, Benjamin Schröters Punchline-Texte sind unverkennbar und das versteckte Faible für Funk-Gitarren wird hier sogar noch offensichtlicher. Und im großen und ganzen führt das auch wieder mal zu einer LP, die mich zu überzeugen versteht. Die neuen kreativen Impulse funktionieren, das Songwriting ist stark und mit Stücken wie Pebbo, Holly oder 1987 sind durchaus ein paar Hits dabei. Wobei es auch definitiv falsch wäre, Alice deshalb ausnahmslos über den grünen Klee zu loben. Denn genauso gibt es hier auch viele Momente, die ein bisschen unentschlossen und awkward wirken. Zum Beispiel der Song Projekt Aufgabe, in dem die eckig-kafkesken Dada-Lyrics von Schröter schon ziemlich bemüht wirken oder Altar, das eiskalt die Bassline von Keine Zeit für Zärtlichkeit vom letzten Album recyclet. Mit gerade mal 36 Minuten Spieldauer und jeder Menge Füller-Cuts ist die LP außerdem kein wirklich gewissenhafter Nachfolger, sondern eher eine Art Vorschub, um neues Material zu präsentieren, das Karies als progressive Band zeigt. Im Endeffekt ist Alice also ein Album, das zwar im Ansatz zeigt, was stilistische Weiterentwicklung für die Stuttgarter heißt und das auch ziemlich beeindruckend durchführt, das aber in Kleinigkeiten noch immer irgendwo in der Zwischendimension festhängt und eher sowas wie eine Alibi-Funktion einnimmt. Hätte die Band noch ein halbes Jahr gewartet und dafür noch etwas an den Stücken gefeilt, wäre unter Umständen wieder ein Longplayer vom Format eines Es geht sich aus rausgekommen. So kriegen wir eine nette neue Platte, die aber auch hinter dem eigentlichen Potenzial ihrer Musiker zurückbleibt. Oder wie man in Baden-Württemberg sagen würde: Es geht sich nicht aus.






Persönliche Highlights: Holly / Pebbo / Nebenstraßen / 1987 / Ansichten

Nicht mein Fall: Projekt Aufgabe / Altar

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Donnerstag, 25. Oktober 2018

Not Your Darling





















Das Konzept von Indie-Darlings, sprich von Künstler*innen, die zwar nicht kommerziell erfolgreich sind, aber in der alternativen Szene eine ziemlich große Anhänger*innenschaft haben, sollte mittlerweile soweit bekannt sein. Acts wie Animal Collective, Courtney Barnett oder Beach House haben diesem Image schon lange einen Ruf gemacht und dass ein solcher in Zeiten den Web 4.0 zum Teil besser ist als tatsächliche Plattenverkäufe, ist mittlerweile auch im Mainstream angekommen. Doch wirft ebendieses Phänomen der Industrialisierung des Indie-Darlings, auch eine ziemlich witzige Nebenwirkung auf: Indie-Künstler, die nie zu Darlings geworden sind, obwohl eigentlich alles gepasst hätte. Leute wie Kevin Morby, Damien Jurado, Baths oder Woods, die schon seit einer Weile Musik machen und damit auch regelmäßig gute Kritiken einfahren, aber trotzdem nie so richtig den Sprung zum Publikum schaffen. Und wenn es so etwas wie den ungekrönten König dieser Leute ist, dann ist das Matthew Houck alias Phosphorescent. Schon seit 2005 taucht dieser regelmäßig auf irgendwelchen Pitchfork-Bestenlisten auf, macht von der Blogosphere auch sonst gefeierte Alben, ist seit acht Jahren beim Nobel-Label Dead Oceans zu Hause und hätte bereits zu mehreren Zeitpunkten den großen Durchbruch in die Hipster-Playlisten schaffen können, was aber nie so richtig passierte. Große Nummern schreibt er nach wie vor nur in der Kritik, während andere Künstler*innen wie the War On Drugs oder Kurt Vile mit einem sehr ähnlichen Sound Karrieren aufbauen. Dabei ist Houcks Sound keine Spur weniger hochwertig: Seit einer ganzen Weile schon vermengt er den Anspruch eines ehrlichen Indie-Songwriters, mit US-amerikanischer Folklore von Dylan bis Springsteen, einer großen Prise Country und ein bisschen New Wave als Bindemittel. Seine Texte sind dabei ziemlich poetisch, wenn auch immer ein bisschen schrullig, aber gerade dadurch eigentlich genau das richtige für die Zielgruppe junger Gitarrenmusikhörer*innen, die auch viele ähnliche Bands ansprechen. Und nachdem schon seine letzte LP Muchacho von 2013 daran nur haarscharf vorbeischrammte, ist es mit C'est La Vie erneut so ein Ding der Unmöglichkeit. Zwar ist die neue Platte klanglich ein bisschen verhaltener und melancholischer als die letzte, aber dennoch ist sie klanglich wahnsinnig ausgefuchst, macht mutige Anspielung an vergessene Helden des Achtziger-Americana und macht lyrisch ebenfalls was her. Rupert Holmes und Mark Knopfler scheinen dabei ebenso große Einflüsse zu sein wie Bob Dylan oder Willie Nelson und von allen bisherigen Phosphorescent-Alben ist dieses hier mit ziemlicher Sicherheit das Country-lastigste. Der größte Teil der Songs könnte auch nachts um drei in einer mit rauchigem Neonlicht beleuchteten Midwestern-Bar laufen, in dem die Kundschaft ausschließlich aus geisterhaften Jack Kerouac-Figuren besteht. Matthew Houck macht diese Musik dabei vollkommen unironisch, mit einer tiefen Empfindsamkeit für die Seele des ganzen, weshalb er auch nur sehr wenig auf Klischees setzt. Sicher, die typischen Hall-Getränkten Slide-Gitarren und Zweivierteltakte finden sich hier überall, aber der Künstler nutzt sie als Stilmittel, nicht als Grundsetting. Dass hin und wieder ein kantiger Synthesizer aufploppt, afrikanische Folk-Percussion eingesetzt wird oder es einen kurzen Funk-Einschlag gibt, macht die Sachlage schon klar. Vor allem sind es aber Houcks Texte, die den größten Unterschied bedeuten: Im Gegensatz zu den meisten Country-Acts sind seine Lyrics ziemlich artsy und weird, was eine ganz klare Abstraktion ausmacht. Wenn man so will, dann ist C'est La Vie so etwas wie das kunstvollste Country-Album, das ich je gehört habe und gerade deshalb auch so gut. Phosphorescent denkt diese Art von Musik nicht als festen Begriff, sondern weiß sehr gut, wie man damit spielt und experimentiert, sodass am Ende etwas dabei rauskommt, was zumindest relativ neu ist. Auf jeden Fall kann ich für mich sagen, dass ich selten so eine uneingeschränkt gute Meinung von einer (unironischen) Country-Platte hatte und dass ich nun endlich auch mal sagen kann, dass ich nicht nur schlechte Sachen aus dieser Nische kenne. Man stelle sich mal vor, sowas würde jemand hierzulande mit Schlagermusik machen, dieser Mensch wäre definitiv ein Visionär. Und ist das nicht noch viel besser als zum zehnten Mal von Pitchfork den Arsch geküsst zu bekommen?






Persönliche Highlights: C'est La Vie 2 / There From Here / Around the Horn / My Beautiful Boy / These Rocks / Black Waves/Silver Moon

Nicht mein Fall: Christmas Down Under

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Mittwoch, 24. Oktober 2018

Der Mann mit dem Koks ist da





















Ich muss zu meinem großen Unbehagen gestehen, dass ich es bis heute nicht geschafft habe, so richtig Anschluss an den ganzen 187-Zug zu bekommen, der ja nun immerhin schon seit geraumer Zeit den deutschsprachigen Poprap uneingeschränkt dominiert. Die Musik der vier Hamburger Rapper hört man überall, regelmäßig ist die Crew mit mehreren Songs in den Singlecharts vertreten, Stand 2018 klingt jede*r zweite Hiphop-Künstler*in in Deutschland nach ihnen und wer sich über den kulturellen Impact dieser Jungs trotzdem noch im unklaren ist, braucht bloß mal die Tags an der nächsten Bushaltestelle zu checken. Nichtsdestotrotz hat es lange gedauert, bis auch ich mich endlich dazu herabließ, mich im Rahmen dieses Formats damit zu beschäftigen. Vielleicht liegt es daran, dass ich so ein beknackter Gymnasiast bin oder weil das Thema Deutschrap sowieso gerade ein bisschen ein heißes Eisen ist, aber faktisch ist meine erste Besprechung eines Longplayers aus dem 187-Kosmos vom Juni diesen Jahres. Im Klartext heißt das vor allem, dass ich an einem Punkt mit der ganzen Sache anfange, an dem der ganz große Hype eigentlich schon lange vorbei ist. Die großen Platten wie Ebbe & Flut, die gesamten Label-Sampler und insbesondere der erste Teil von Palmen aus Plastik sind eine ganze Weile her und bei den Akteuren selbst geht es inzwischen darum, aus dieser temporären Aufmerksamkeit eine nachhaltig funktionierende Mainstream-Karriere zu machen. Und auf diesem Weg ist nach Compilations und Solo-Spinoffs diese LP hier der nächste große Schritt. Denn nicht nur ist Palmen aus Plastik 2 die direkte Fortsetzung der bisher wichtigsten Platte von Bonez MC & RAF Camora, sondern als solche auch konsequenter als es scheint. Dass die 187-Crew Serien-Releases mag, ist auch mir schon lange klar und nachdem mit High & Hungrig auch die ersten beiden Kollabo-Alben dieser beiden MCs zwei Teile hatten, bedeutet das PAP-Franchise nicht weniger, als dass sie an ihrer Sache dran bleiben. Und das bedeutet in diesem Fall vor allem auch klangliche Weiterentwicklung. Nachdem bereits der Vorgänger sich mit seinen sommerlich-melodischen Trap-Sounds deutlich von der härteren Gangart der sonstigen Veröffentlichungen abhob, schlägt Teil Zwei nun noch deutlicher diesen Weg ein. Die Frage, wieviel hier noch Afro-Trap und wieviel schon Neo-Dancehall beziehungsweise Mallorca-Schlager ist, kann man am Ende individuell selbst entscheiden, doch bis auf vereinzelte Banger ist das hier Sound-technisch eher ein smoothes Album. Textlich kann man das natürlich schon weniger behaupten. PAP2 ist wie schon alles zuvor geprägt vom typischen 187-Narrativ, das irgendwo zwischen Gangsterrap, Hedonismus und Automarken-Namedropping stattfindet und an sich nichts neues ist. Was mich hier allerdings positiv überrascht ist, dass die beiden es zumindest in groben Zügen schaffen, einzelne Songs thematisch abzutrennen. Zwar ist die Message noch immer ziemlich konstant, doch geht es nicht in jedem Track um das gleiche. Alien handelt von Fame-bedingter Paranoia, Risiko vom YOLO-Lifestyle, Krimineller vom hinderlichen Gangster-Image und Nummer unterdrückt, nun ja, von Problemen mit dem Handyvertrag. Innerhalb des Albums sorgt das für eine angenehme Vielfalt, die viele Vorgänger dieser LP nicht hatten und macht zwischen Realtalk und Spaß-Rap einen thematischen Spagat auf, den ich von 187 eigentlich nicht erwartet hätte. Und obgleich das alles heißt, dass ich von Bonez und RAF generell positiv überrascht bin, muss ich doch sagen, dass die ganze Sache an sich mir nach wie vor fremd ist. Dass die beiden ein ziemlich gutes Afro-Trap-Projekt machen, hält mich in keinster Weise von der Überzeugung ab, dass Afro-Trap generell eine blöde Idee war. Dass sie ihre Texte besser strukturieren, ändert nichts daran, dass diese ziemlich substanzlos, pubertär und ekelhaft sind. Und dass sie hier ihren Erfolg zementieren, macht nicht den scheußlichen Umstand wieder gut, dass besagter Erfolg überhaupt erst möglich war. Sicher gönne ich den Jungs ihre Lorbeeren, denn dahinter scheint tatsächlich harte Arbeit zu stecken. Doch glaube ich inzwischen immer mehr, dass sie in den letzten Jahren das schlimmste waren, was Deutschrap passiert ist. Palmen aus Plastik 2 ist definitiv eines der besten Alben aus dem gesamten 187-Universum, aber es ist eben trotzdem nicht gut. Und das erklärt vielleicht auch ein bisschen, wieso ich mit ihrer Musik so lange gebraucht habe.






Persönliche Highlights: 500 PS / Nummer unterdrückt / Kompanie / Prophezeit / Alien

Nicht mein Fall: Kokain / Krimineller

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Dienstag, 23. Oktober 2018

Kleinigkeiten





















Folk-Platten, die sich auf nicht wesentlich mehr verlassen als den Klang einer Stimme, die Melodie einer Gitarre und die Magie, die im Optimalfall zwischen diesen beiden Polen stattfindet, haben es nicht immer leicht. Nicht jede*r, der sich diesem Konzept annimmt, ist automatisch ein Art Garfunkel oder eine Joni Mitchell und gerade in Zeiten, in denen sich selbst der größte Idiot mit einer Ukulele vor die Webcam setzen und die ohne großen Aufwand die ureigene Version von La Vie En Rose trällern kann, hat das Songwriter*innen-Genre viel von seiner Besonderheit verloren. Dennoch gibt es ohne Zweifel immer noch, diese zauberhaften Platten, die ohne viel Zinnober schaffen, große Gefühle zu wecken und das Vinyl wert zu sein, auf das sie gepresst werden. Platten wie Bon Ivers For Emma, Forever Ago, Sun Kil Moons Benji, Emíliana Torrinis Fisherman's Wife oder Arch Garrisons I Will Be A Pilgrim sind für mich gänzlich oder zumindest zum Teil solche Beispiele. Und auch wenn ich damit jetzt nicht sagen will, dass Adrianne Lenker mit Abysskiss direkt in diese noble Liga geadelt wird, so denke ich doch, dass sie prinzipiell das Potenzial dazu hat. Von den drei Mini-Alben, die sie bis dato unter eigenem Namen veröffentlicht hat (hauptberuflich ist sie ja eigentlich Sängerin von Big Thief) ist jedes vor allem durch seine kahlschlagende Intimität auffällig. Lenker ist eine dieser Künstler*innen, die für diese Art Musik die perfekte Stimmlage schon in den Erbanlagen hat, einer akustischen Gitarre jeden noch so kleinen Ton wirkungsvoll entlocken kann und darüber hinaus ein fabelhaftes Ohr für minimalistisches Songwriting hat. Und auf Abysskiss, ihrem mit 33 Minuten bisher umfangreichsten Projekt, kommt dieses Talent noch einmal ein kleines bisschen besser zur Geltung. Denn nicht nur ist die Auswahl der zehn Tracks hier unglaublich erlesen, es gibt auch abseits vom eigentlichen Songwriting einiges zu entdecken: Kleine Details wie die ganz subtile Drum-Machine in Symbol oder das Klavier am Ende von Terminal Paradise sind Dinge, für die viele andere Künstler*innen sicherlich gar nicht die Mühe verschwendet hätten, weil sie am Ende eh nur mit Kopfhörer überhaupt vernehmbar sind. Wären sie allerdings als vollwertige Elemente Teil des Songs, hätten sie diese vielleicht auseinander gerissen. Adrianne Lenker weiß hier also schon sehr genau, was sie tut. Und das unterscheidet Abysskiss letztendlich von eben jenen Leuten vor der Webcam: Dieses Album ist nicht das Projekt einer Sängerin, die sich eines Tages mit ihrer Gitarre hinsetzt, eine Handvoll Stücke schreibt und diese nicht weiter entwickelt. Es sind zu hundert Prozent Songs, die genau auf diese Weise performt gehören und in denen jede Nuance, jedes Schnarren der Stahlsaiten und jede Atempause eine Bedeutung hat. Womit Lenker am Ende doch viel gemeinsam hat mit den großen Held*innen des Akustik-Folk, die ich eingangs nannte. Ob Abysskiss für mich eines Tages ein solches Meisterwerk sein wird, kann letztendlich nur die Zeit entscheiden, für den Moment jedoch ist es ein sanfter Monolith, der mich erstmal für eine Weile beschäftigen wird. Und damit hat diese Sängerin bei mir schonmal mehr erreicht als die meisten anderen Singer-Songwriter*innen.






Persönliche Highlights: From / Out of Your Mind / Cradle / Symbol / Blue & Red Horses / Abysskiss

Nicht mein Fall: -

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Montag, 22. Oktober 2018

Schwarzer Block (feat. kleiner Exkurs über Antifaschismus im Black Metal)





















Es muss schon irgendwie etwas an der Sache dran sein, wenn fast die gesamte Metal-Presse seit einiger Zeit völlig verrückt nach einer jungen Band aus Köln ist. Überall in der Szene, ob in den USA, Frankreich oder Japan, sprechen Platten-Nerds aktuell über Ultha, eine gerade seit vier Jahren bestehende Gruppe aus der Rheinmetropole, die anscheinend der neue heiße Scheiß in den Tiefenlagen des traditionellen Black Metal sein soll. Und obwohl dabei nicht selten auch ihre Musik ein wesentliches Thema ist, sind es vor allem ihre Ideale, die sie innerhalb ihrer Community so cool machen. Wer sich in der düsteren Realität des Untergrunds, der unter anderem Acts wie Burzum oder Peste Noire hervorgebracht hat, ein bisschen auskennt, weiß, dass rassistisches, antisemitisches und ganz offen faschistisches Gedankengut in weiten Teilen der Szene noch immer akzeptiert oder zumindest ignoriert wird. Kontroverse Bands spielen auf großen Festivals, sich auf jemanden wie Varg Vikernes als Einfluss zu berufen, zieht selten Fragen nach sich und sogar rassistische Lyrics und Symbole werden mitunter verwendet. Da man bei alledem stets schwer zwischen provokativer Pose und tatsächlicher Überzeugung trennen kann, bleiben einerseits viele sogenannte NSBM-Bands (Abkürzung für National socialist black metal) unerkannt, andererseits geraten dadurch auch Mainstream-Acts wie Deafheaven oder Myrkur ins politische Kreuzfeuer. Diverse Gruppen positionieren sich dabei auch absichtlich nicht, um potenzielle Fans aus dem rechten Lager nicht zu vergraulen oder sich ihre Trueness nicht absprechen zu lassen. In dieser Welt der zweideutigen Signale und stilistischen Fallen sind Ultha diejenigen, die Klarheit schaffen wollen. Seit Beginn ihrer Karriere positionieren sie sich deutlich gegen NSBM, arbeiten aktiv gegen Nazi-Strukturen in der Szene und machen sich damit auch gerne Mal unbeliebt. Innerhalb der Community sind sie damit sowas wie die Feine Sahne Fischfilet des Black Metal. Und das erntet auch international Applaus. Zumal auch die Musik qualitativ ziemlich gut passt. Unter Sammler*innen ist das Debüt der Band, Pain Cleanses Every Doubt von 2015 mittlerweile ein kleines Highlight geworden, der Ultha nunmehr einen Deal beim Nobel-Label Century Media einbrachte, wo ihr inzwischen schon drittes Album the Inextricable Wandering veröffentlicht wird. Wobei Album es eigentlich weniger trifft als eine Art erstes kleines Epos. Mit sechs Songs in 66 Minuten ist die neue Platte nicht nur konzeptuell clever getimt, sondern vor allem auch ganz schön lang, und was den Sound hier angeht, so greifen Ultha hier ebenfalls tief in die Trickkiste. Wo man die Ästhetik ihrer Vorgänger bestenfalls als atmosphärisch, erhaben und düster bezeichnen könnte, nehmen die Kompositionen hier fast schon sakrale Ausmaße an, inklusive Songlängen von über 18 Minuten, prominent gesetzten Synthesizern und Track-Namen wie With Knives to the Throat and Hell in Out Heart und We Only Speak in Darkness. Die Kölner wollen hier die große Show und nehmen dafür einiges an Aufwand auf sich. Was in diesem Fall aber leider auch heißt, dass sie in Punkto Songwriting gewisse Abstriche gemacht haben. Um die tiefenschwarze, langsam aufgebaute Grusel-Struktur zu erschaffen, die sie beabsichtigt haben, verzichten Ultha zu großen Teilen auf Riff-basierte Motive und fokussieren sich eher auf Klangflächen, die auch in der Produktion weniger scharfkantig und grob wirken. In den meisten Fällen bekommt das Album dadurch eine ziemlich generische Teppich-Ästhetik, es führt aber auch zu echten Ausreißern wie dem ambient-elektronischen There is No Love, High Up in the Gallows oder der siebenminütigen Gothrock-Etüde We Only Speak in Darkness. Und genau hier erwischt mich die LP ein bisschen auf dem falschen Fuß. Das witzige hier ist, dass Ultha ganz klar besser darin sind, aus dem vorgefertigten Korsett des Black Metal-Sound auszusteigen, als darin, ihm zu entsprechen. Die klassischen Momente hier sind nicht schlecht, aber bei weitem nicht so energisch wie beispielsweise bei Wiegedood oder Der Weg einer Freiheit. Dafür brillieren die Kölner eben genau in jenen Momenten, in denen sie neues probieren und sich stilistisch abkapseln. Ich bin mir nicht sicher, ob the Inextricable Wandering für mich deswegen eher gescheitertes Traditionsprojekt sein soll oder visionärer Eskapismus. Wenn ich ehrlich bin, stimmt beides eigentlich nicht so ganz. Das hier ist eher ein Album, das keine wirkliche Richtung findet, aber das wenigstens nicht als Entschuldigung nimmt, deshalb unkreativ zu sein. Ultha können das alles besser, aber sie machen wenigstens nicht das gleiche wie immer. Und am Ende des Tages ist das trotzdem eine Platte, die man ziemlich gerne hört. Nicht zuletzt auch deshalb, weil man sich hier sicher sein kann, dass die Aussagen dahinter vertretbar sind. Denn ähnlich wie bei Feine Sahne kann ich auch hier Fan dieser Band sein, wenn ich ihre Musik nicht supergeil finde. Mir reicht es zu wissen, dass sie ihrer Szene zumindest versuchen, eine Art Gewissen zu geben. Das reicht als Motivation, sie zu unterstützen.






Persönliche Highlights: With Knives to the Throat and Hell in Our Heart / There is No Love, High Up in the Gallows / We Only Speak in Darkness / I'm Afraid to Follow You There

Nicht mein Fall: -


Sonntag, 21. Oktober 2018

Flutsch und weg





















Dafür, dass Chan Marshall aka Cat Power eigentlich auch nur eleganten Indiepop mit clever gesetztem Understatement macht, wird sie von der Welt der Kritik nun schon sehr lange ganz schön hofiert. Spätestens seit ihrem "großen Album" the Greatest von 2006 gilt sie als quirlige Koryphäe des modernen Songwriter*innen-Genres, ein Status, der mir persönlich nie so richtig aufgegangen ist. Sicher, auch ich liebe Tracks wie Cross Bones Style und kann ihrem klischeefreien Image durchaus etwas abgewinnen, doch bin ich auch nicht so dumm, mich davon trügen zu lassen. Denn rein musikalisch gab es bei Cat Power ehrlich gesagt nichts, was ich nicht auch bei Feist, Dear Reader oder Emíliana Torrini finde. Zumindest nicht nach dem Jahr 2000. Folglich habe ich auch diesmal lange überlegt, ob ich über diese neue Platte von ihr überhaupt schreiben möchte, denn schon die Vorboten waren in den letzten Wochen und Monaten nicht besonders vielversprechend. Die Promo-Singles waren eine wie die andere nicht weiter erwähnenswert und spätestens als Marshall für den feministisch angehauchten Song Woman ausgerechnet Lana del Rey mit ins Boot holte, kam mir schon mächtig das Grübeln. Dass ich letztendlich doch für die Besprechung entschieden habe, lag eher daran, dass Wanderer beim ersten Reinhören wieder etwas erdiger klang als seine Vorgänger und tatsächlich auch wieder ein bisschen den Stil ihres in meinen Augen besten Albums Moon Pix von 1998 zurückholte. Vielleicht war Cat Power nach so vielen Jahren im Form eines zurückgenommenen Folk-Albums à la Alison Krauss ja doch wieder ein Treffer gelungen. Doch schon kurz danach zeigte sich dieser kurze Hoffnungssreif als grobe Fehleinschätzung: Die neue Platte von Marshall ist ebenso eintönig, pretenziös und übermäßig aufgehübscht wie schon so vieles zuvor und hat auch nicht wirklich ein Statement zu machen. Weder klanglich noch kompositorisch. Wanderer ist Musik, wie sie häufig in Kulturradios läuft: So ein bisschen ab vom Mainstream und classy mit luftigem Piano oder Gitarre vorgetragen, aber so dermaßen stromlinienförmig und abgeschliffen, dass man nicht wirklich dazu motiviert ist, sich dem zu widmen. So gut wie alle der elf Titel auf diesem Album sind vollkommen austauschbar, lediglich ein ganz vorsichtig eingestreuter Autotune-Background oder eine Synth-Line lässt mich mal kurz aufhorchen. Aber selbst diese Elemente sind eher Kosmetik als ernst gemeintes künstlerisches Mittel. Dafür allerdings, dass hier in der Komposition so wenig passiert, ist die Platte fast überall hoffnungslos überproduziert und klinisch mit nachträglichen Effekten bis zur Erstickung versiegelt. Ausnahmen sind drei Songs relativ am Ende, die ein wenig Intimität zulassen und damit ganz sicher die besten auf dieser LP sind, doch auch sie erinnern mich nur daran, wie viel besser diese Dinge eine Emíliana Torrini kann. Denn was all diesen Stücken in ihrem Kern fehlt, ist das Potenzial, mich musikalisch direkt anzusprechen und im Kopf zu verharren. Wanderer ist ein Album, das für mich ungefähr so einprägsam ist wie eine Straßenkarte von Sumatra. Es bleibt nicht hängen, sondern rutscht mit seinen kantenlosen Format-Sounds direkt wieder weiter. Es ist nicht komplett beschissen, nur eben irgendwie ereignislos. Und insgeheim sind das ja eigentlich immer die schlimmsten Platten. Denn sie werden nicht mal ihrer Peinlichkeiten wegen erinnert.






Persönliche Highlights: Wanderer / Black / Robbin Hood / Nothing Really Matters / Wanderer/Exit

Nicht mein Fall: Woman / Me Voy

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Samstag, 20. Oktober 2018

Jan Frisch wundert sich über die Popmusik





















In einer Welt, die aus gutem Grund voll ist mit Leuten, die sich als "Singer-Songwriter*innen", "Produzent*innen" und dergleichen bezeichnen, packt ausgerechnet der Leipziger Jan Frisch, einer der coolsten und unkonventionellsten von ihnen, die plumpe Vergangenheit aus. Als "Liedermacher" bezeichnet er sich jüngst, ein Begriff der anbiedernd nach dem Hawaiihemd tragenden Jürgen von der Lippe oder dem moralapostolischen Gerhard Gundermann klingt und meiner Meinung nach nicht umsonst aus dem Vokabular der deutschen Popkultur verschwunden war. Aber es ergibt Sinn, denn die Musik, die Frisch zuletzt vom Stapel gelassen hat, wird dieser Bezeichung in ihrer eigentlichen Etymologie durchaus gerecht. Dieser Typ macht Lieder, er schreibt sie nicht. Er plant sie nicht. Er arrangiert sie nicht. Und gerade auf dem Debüt seiner neuesten Band Aua Aua wird das so deutlich wie nie zuvor. Gemeinsam mit Philipp Martin und Johannes Döpping hat der Leipziger hier ein Projekt geschaffen, dass versucht, Popmusik in polyperspektivische Bestandteile aufzulösen und klassisches Songwriting mit einer Art Decollage-Prinzip zu verfremden. Der Ansatz ist dabei durchaus ein sehr experimenteller und er führt dazu, dass diese zehn Tracks auf keinen Fall unkompliziert sind, dennoch ist Alles gut auch weit davon entfernt, ein völlig bezugsloses Klangkunstprojekt zu sein. Das bestimmende Element hier sind tatsächlich Melodien, wiederkehrende Motive und bisweilen sogar klassische Strophe-Refrain-Strukturen. Doch wo diese sonst gerne als gegeben hingenommen werden, sorgen Aua Aua hier dafür, dass man aufmerksam bleibt: Hier und da ein arythmisches Drumfill, dort die Mantra-artige Wiederholung einer Songphrase, ungewöhnlich metrierte Texte und plötzliche Tempowechsel sind die Waffen dieser Band, die dieses Album zu einer kleinen Entdeckungsreise machen. Diese kann mitunter stressig sein, wie im ewig monoton rotierenden Titelsong, und täuscht bisweilen ziemlich clever Easy Listening an, es belohnt geduldiges Hören aber auf, wie beispielsweise im herrlichen Outro von Die Party, in dem sogar eine Querflöte zum Einsatz kommt. Und wo immer Jan Frisch seine sehr grob gefeilten und brockigen Texte zum besten gibt, tut er dasselbe auch mit den lyrischen Mitteln dieser Musik. Man könnte jetzt sagen, dass das Dada ist, aber tatsächlich bin ich eher der Meinung, dass hinter diesen verhackstückten Experimental-Songs durchaus ein Plan steckt. Indem Aua Aua die Popmusik erst auseinandernehmen und dann ohne Anleitung neu verschrauben, lassen sie ein Bewusstsein für das Geschaffene entstehen, das sonst vielleicht nicht da gewesen wäre. Wären das hier "ganz normale" Stücke, hätte ich deren Komposition vielleicht keines Wortes gewürdigt und nur über Jan Frischs Texte geredet oder so. Indem das ganze Album nach Baustelle klingt, muss man auch das reflektieren. Und zu meinem Erstaunen sorgt genau diese Arbeitsweise am Ende sogar für den ein oder anderen Ohrwurm: Ein Track wie Mein Freund bohrt sich penetrant in jedes Trommelfell, Spät tut das auf etwas subtilere Weise und mit dem ersten Teil von Fahren & Spielen gelingt der Band hier fast so etwas wie eine kleine Stadion-Hymne. Dass dabei noch nicht jede Idee wirklich aufgeht und manche Momente dann doch etwas dämlich rüberkommen ist schade, aber man hat nicht das Gefühl, dass das ein prinzipielles Problem von Aua Aua ist. Viel eher ist das hier eben ein Debütalbum dreier Musiker, die sich vielleicht in einigen Dingen noch nicht hundertprozentig eingegroovt haben. Trotzdem würde es sich sicher lohnen, gerade dieses Projekt als eines der vielen von Jan Frisch weiter zu verfolgen, denn hier habe ich das Gefühl, dass es mehr ist als die Summe seiner Teile und allein vom Ansatz her unglaublich spannend arbeitet. Ich kann mir gut vorstellen, noch viele Songs dieser Band hören zu wollen und würde mich freuen, wenn man das hier nicht gleich wieder an den Nagel hängt. Auch wenn das Bedeutet, dass wir ab jetzt wieder "Liedermacher" dazu sagen müssen.






Persönliche Highlights: Spät / Was solls / Die Party / Aua 7 / Chaos / Fahren & Spielen / Ganz am Schluss

Nicht mein Fall: Alles gut

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Freitag, 19. Oktober 2018

Das Geld muss weg





















Es gibt wohl aktuell kaum eine andere Band auf der Erde, bei der die Schere zwischen den inhaltlichen Aspekten ihrer Musik und dem Erfolg, den sie damit hat, größer klafft als bei Behemoth. Als ziemlich unzweideutig ausgerichteter Black- und Death Metal-Act mit offen okkulter und satanischer Message sind sie seit einer halben Ewigkeit schon die bestverkaufte Marke in ihrer Heimat Polen, einem traditionell erzkatholischen Staat und dort bereits lange so etwas wie Popstars. Sänger Nergal übt neben seiner Haupttätigkeit als Dämonenprediger in dieser Formation das Amt eines Jurors in einer bekannten Castingshow aus und ist auch sonst so ziemlich alles andere als ein Underground-Phänomen. Und nicht zuletzt haben diese mittlerweile auch ihre Spuren im Schaffen von Behemoth hinterlassen. Spätestens seit ihrem letzten Longplayer the Satanist von 2014 ist das Kollektiv aus Danzig nicht nur die vielleicht reichste Black Metal-Band der Welt, sie klingt auch danach. Ihre Platten haben nichts zu tun mit dem schlecht produzierten, auf das wesentliche reduzierte und absichtlich lumpig gehaltenen Getue vieler anderer Acts, denn sie können sich die Großkotzigkeit leisten. Ihr Selbstverständnis im Jahr 2018 besteht in Alben mit mindestens dem Produktionsaufwand von Mariah Carey, Musikvideos auf Hollywood-Niveau und Live-Shows mit Pyrotechnik und aufwendiger Garderobe. Und wo ich diese neue Protzigkeit zunächst doch ein wenig fragwürdig fand, bin ich inzwischen ganz klar zum Fan geworden. Wann hat man schon mal das Glück, die Vertreter einer solch extremen Gattung von Pop mit allen nötigen finanziellen und PR-technischen Mitteln zu sehen, denen noch dazu künstlerisch freie Hand gelassen wird? Solche Fälle sind selten geworden seit den Neunzigern und mit Behemoth hat es eine Band erwischt, die mit dieser Verantwortung umgehen kann. Schon the Satanist war vor vier Jahren zum Bersten voll mit dicken Streicher-Arrangements, Chören, Bläsersätzen und dergleichen. Und mit I Loved You At Your Darkest scheinen die Polen gleich nochmal einen draufzusetzen. Gleich der erste Track Solve steigt mit einem Kinderchor ein und findet damit aus dem Stand das denkbar am meisten makabre Stilmittel für ein okkultes Black Metal-Album. Wenig später geht es in God = Dog nochmal zur Sache, in Sabbath Mater gibt es subtil aufgestellte Fanfaren und in Havohej Pantocrator sogar eine Drum-Machine. Stilistisch sind die neuen Songs dabei sehr nah am Vorgänger angesiedelt, das hier ist ganz klar in mehr als nur einer Hinsicht die Quasi-Fortsetzung von the Satanist. Mit einem Unterschied: Wo vor vier Jahren die vielen kleinen Extras auch als solche dienten und an sich schon gut geschriebene Songs an strategisch günstigen Stellen stützten, scheinen sie hier ein bisschen Mittel zum Zweck zu sein. Denn an der kompositorischen Front zeigen sich Behemoth auf dieser LP zum größten Teil ratlos. Es gibt zwar tolle Momente wie das infernale God = Dog, Rom 5:8 oder das sehr geduldige Intro zu Bartzabel, doch den überwiegenden Teil der Songs holzt die Band hier mehr oder weniger rum. Schon beim letzten Mal hatten sie ein wenig das Problem, dass durch die vielen Spuren und die Super-HiFi-Produktion einige Elemente untergingen und mit dem dazukommenden unfokussierten Songwriting klingen viele Parts dieser Platte dann einfach nur noch chaotisch, vermatscht und ohne jede klangliche Richtung. Dass Nergal noch nie mein liebster Metal-Vokalist war, kommt da erschwerend hinzu. Schlussendlich versuchen Behemoth dann auch noch, die fehlende Ausrichtung durch allerhand Gniedelei zu kaschieren, was alles nur noch verschlimmbessert. Vergleicht man einen Rohrkrepierer wie Wolves Ov Siberia dann mit einem Über-Song wie Blow Your Trumpets Gabriel vom letzten Album, werden schon sehr deutliche Diskrepanzen sichtbar. Ich will I Loved You at Your Darkest eigentlich nicht so in die Waagschale mit seinem Vorgänger legen, doch man merkt in vielen Dingen hier schon sehr deutlich, wie die Band versucht, diese LP stilistisch zu wiederholen. Und da, sorry für die harten Worte, kackt die neue Platte eben ganz schön ab. Da helfen auch all die Bläsersätze, Kinderchöre und teuren Videos nichts. In so einem Fall ist es einfach nur schade um das viele Geld. Aber davon hat man ja eh genug, wenn man mit dem Teufel im Bunde ist. Oder wahlweise auch mit Nuclear Blast.






Persönliche Highlights: God = Dog / Ecclesia Diabolica Catholica / Havohej Pantocrator / Rom 5:8

Nicht mein Fall: Wolves Ov Siberia / Angelvs XIII

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Donnerstag, 18. Oktober 2018

Summer Never Ends





















So ist das eben immer mit den ewig obskuren Künstler*innen aus Down Under: In ihrem Heimatland Australien stehen Last Dinosaurs mit diesem Longplayer aktuell in den Top Ten der Albumcharts und sind innerhalb des letzten Jahren richtiggehende Berühmtheiten geworden. Da möchte man meinen, dass man von ihnen hierzulande zumindest mal gehört haben könnte. Tatsächlich habe nicht mal ich eine Ahnung, wo ich ihre Musik eigentlich zum ersten Mal gehört habe. Fakt ist, dass ihre unglaublich gute Single Eleven im Frühjahr einer meiner Lieblingssongs dieses Jahres wurde und dass ich mich seitdem auf diese LP hier gefreut habe. Der Rest der Welt, zumindest außerhalb von Australien, scheint davon noch immer nichts zu wissen. Dabei dürfte dieses junge Quartett aus Brisbane eines der wirklich großen Indiepop-Highlights von 2018 sein. Sicher, ihr etwas altbackener Stil klingt wie der verzögerte letzte Atemzug der Generation Post-Strokes, der inzwischen schon fast wieder als Retro-Retro durchgeht, aber dass die von ihnen gespielte Musik dabei leblos oder unkreativ wäre, kann man ihnen weiß Gott nicht vorwerfen. Yumeno Garden ist eine kunterbunte Wundertüte irgendwo zwischen den Smith Westerns, Phoenix, den Wombats und Two Door Cinema Club, und erinnern einen nicht nur daran, dass es all diese Bands irgendwann mal gab, sondern auch, wie gut die damals eigentlich waren. Last Dinsaurs haben dabei auch keine Angst vor dicken Synth-Flächen, sommerlichen Clean-Gitarrenriffs, Disco-Anspielungen und der Gesangsstimme von Frontmann Sean Caskey, der für 2018 eigentlich viel zu niedlich klingt. Aber sie nutzen all diese Elemente, um damit in knapp 40 sehr angenehmen Minuten langsam aber bestimmt nach vorn zu preschen. Und sie können Songs schreiben. Sie verstehen es, mit einer fetten Keyboard-Passage mitten durch einen Track zu schneiden, den Einsatz von Reverb vernünftig zu dosieren, kleine lustige Gimmicks mit Synthesizern einzubauen und eine Hook zu fabrizieren, die über Stunden hinweg steckenbleibt. Nicht immer funktioniert das so gut wie beim großen Kronjuwel Eleven, doch es gibt auch keine einzige schlechte Nummer. Außerdem baut die Band über die komplette LP hinweg eine ziemlich starke Ästhetik auf, die den lauschigen, frischen und gemütlichen Eindruck weiterführt, den das Cover schon so gut einfängt. Dass es da manchmal an bisschen an Tempo und Action fehlt und Sean Caskeys Gesang manchmal doch ein bisschen sehr klinisch wirkt, sind da eher kleinere Probleme. Yumeno Garden ist eben ein Album, das am besten bei langen Tagen am Strand, lümmeligen Sonntagnachmittagen oder generell am besten bei über vierzig Grad Celsius läuft. Dafür ist es Mitte Oktober zwar leider wirklich ein bisschen spät, aber vielleicht kommen wir ja dieses Jahr zumindest nochmal über 20 Grad. Und falls nicht, der nächste Sommer kommt bestimmt. Und bis dahin haben sich die Last Dinosaurs vielleicht auch bei uns breitgemacht.






Persönliche Highlights: Eleven / Sense / Happy / Forget About / Italo Disco / Shallow Boy / Non Lo So

Nicht mein Fall: -

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Mittwoch, 17. Oktober 2018

Schon okay





















Gäbe es sowas wie ein Wettbüro, bei dem man darauf setzen könnte, wie gut oder schlecht kommende Projekte von Musiker*innen werden, dann wären die Gewinnquoten für eine richtig gute LP von High On Fire ganz sicher nicht die besten. Denn dass ihre Platten gut werden, darauf kann man mittlerweile echt einiges in den Lostopf setzen. In den inzwischen schon fast 20 Jahren, in denen die Kalifornier Musik veröffentlichen, konnte man sich qualitativ schon immer komplett auf sie verlassen und gerade in den letzten zehn davon haben sie sich endgültig zu einer der großen Adressen im Bereich des Sludge entwickelt. Die beiden Longplayer die in dieser Zeit erschienen, De Vermis Mysteriis von 2012 und Luminiferous von 2015, dürften so ziemlich jeden Fan exzellent gearbeiteter und trotzdem gewaltiger und brutaler Metalmusik beflügeln und seien an dieser Stelle wärmstens empfohlen. Vielleicht sollte man sie auch erstmal hören, bevor man sich ohne Vorwarnung auf ihre neueste LP Electric Messiah stürzt, damit kein falscher Eindruck entsteht. Denn wenn man, egal ob Fan oder nicht, direkt hier entsteigt, könnte es möglicherweise sein, dass man von dieser Band das erste Mal in seinem Leben ein bisschen enttäuscht ist. Man muss jetzt nicht gleich Panik bekommen: Weder ist diese neue Platte bedeutend schwächer als ihre Vorgänger (sie ist sogar eigentlich nicht schlecht), noch muss man große stilistische Umstellungen hinnehmen. Und wenn man nicht so genau hinhört, dann ist Electric Messiah wahrscheinlich auch ein High On Fire-Projekt wie jedes andere. Erst wenn man etwas genauer hinhört und wirklich abwägt, was hier die Unterschiede zu den letzten Malen sind, merkt man, dass der Teufel im Detail steckt. Und dieser hört in diesem Fall nicht selten auf den Namen Sleep. Es ist reine Spekulation, aber es scheint, dass nach dem unlängst veröffentlichten Comeback-Album der Stoner-Legenden, aus deren Bongwasser High On Fire ja ursprünglich hervorgingen, auch sie wieder ein Stück weiter in Richtung Kifferrock rutschen. An sich ist das ja auch überhaupt kein Beinbruch, allerdings merkt man auch deutliche Veränderungen: Im Vergleich zu Luminiferous sind die Riffs nicht mehr ganz so scharf, das Tempo ist überall ein bisschen raus und die Qualität der Aufnahmen ist eine ganze Ecke schmutziger. Gleichzeitig will die Band aber nicht den ganzen Weg gehen und bindet nach wie vor großzügig Elemente aus Thrash-, Doom- und Heavy Metal ein, die das ganze ein bisschen ins Wanken bringen. Mit dem Effekt, dass Electric Messiah insgesamt deutlich weniger nach vorne geht. Tracks wie the Pallid Mask und House of Enlil spielen darüber hinaus noch mit komischen Songstrukturen herum, die nicht immer aufgehen. Klanglich hat die Platte dadurch das Problem, dass Matt Pikes Gesangsperformance häufig nicht zu den melodischen Parts passt und wer auch immer die Idee hatte, das Schlagzeug so pampig und klobig abzumischen, trägt mit Sicherheit die Hauptschuld am Scheitern einiger im Ansatz toller Ideen. All diese Makel sind durchaus nicht unauffällig, man kann aber auch in keinster Weise davon sprechen, dass sie die LP irgendwie ruinieren. Das Niveau, auf dem ich hier jammere, ist auf der Höhe einer der besten Sludge-Formationen der letzen 20 Jahre angelegt und dass hier einmal nicht jede einzelne hinhaut, ist mehr als verzeihlich. Zwar ist es ein kleiner Wermutstropfen, Electric Messiah nicht unter den Highlights von 2018 zu sehen (Es sei denn wir reden vom extrem gelungenen Artwork der Platte, das noch immer eine Chance auf die Liste hat!), doch dafür ist die Wahrscheinlichkeit, in drei Jahren dafür ein umso geileres Projekt von ihnen zu erleben, äußerst realistisch. Und selbst wenn das nichts wird haben die Kalifornier immer noch den vielleicht besten Backkatalog ihres Fachbereichs. Ein nur okayes Album von ihnen werden wir also überleben.






Persönliche Highlights: Electric Messiah / God of the Godless

Nicht mein Fall: the Witch & the Christ

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