Sonntag, 7. Oktober 2018

Die schlimmste Zeitachse



Für den weltgewandten Metal-Fan von heute ist es definitiv eine Art Ehrenpflicht, vor einer Band wie Voivod jede Menge Respekt zu haben. Denn nicht nur sind die Kanadier seit inzwischen sage und schreibe 36 Jahren aktiv, in der sie alle Höhen und Tiefen des Künstlerdaseins durchstiegen haben (inklusive Jason Newsted als Bassisten), sie sind definitiv auch einer der ältesten Namen, die man mit der Begrifflichkeit des progressiven Metal assoziiert. Wo Gruppen wie Slayer, Iron Maiden und Metallica den Sound des Thrash für sich gerade mal ausdefinierten, war diese Formation gedanklich immer schon einen Schritt weiter. Früh bezogen sie Themen aus Industrial und Electronica in ihre Musik ein, bearbeiteten ausgefuchste Story-Konzepte und wagten sich in teilweise avantgardistisches Territorium hervor und wären sie damals nicht gewesen, hätten andere Legenden wie Queensrÿche oder Gojira vielleicht nie existiert. Außerdem sind Platten wie Rrrröööaaarrr, Nothingface und Dimension Hatröss für viele Kenner*innen ziemliche Klassiker. Ähnlich wie viele Bands ihrer Generation hatten sie aber vor allem in den letzten Jahren immer wieder Probleme, dieses qualitative Level zu halten. Um ehrlich zu sein, sind Voivod sogar eine von denen, die es richtig schlimm erwischt hat. Denn wo ihre technisch aufwändigen Prog-Epen mit dystopischen Stories und politisch brisantem Inhalt in den Achtzigern und Neunzigern eine Riesensache waren, sind diese zuletzt immer mehr zu polemischen Verschwörungs-Märchen geworden, die auch musikalisch nicht mehr viel zu bieten haben. Es ist noch nicht ganz so heftig wie bei Megadeth, aber der direkte Vergleich kommt an dieser Stelle nicht umsonst: Die Voivod von 2018 sind ausgelaugt und langweilig. Und wo ihre bisher letzte LP Target Earth von 2013 diesen Trend lediglich befürchten lies und sich irgendwie noch vor dem Totalausfall erretten konnte, sitzen die Kanadier spätestens mit the Wake richtig tief in der Kacke. Ich will keine voreiligen Schlüsse ziehen, aber wir reden hier vielleicht vom schlechtesten Album ihrer gesamten Karriere. Und dabei entpuppt sich die noch immer stark veräußerte Experimentierfreude der Band hier als tückische Falle. Mit Experimenten ist es ja im Regelfall so: Gehen sie gut, zeigen sie eindrucksvoll, wie geschickt ein*e Künstler*in arbeitet und exponenzieren die Kreativität eines Projekts. Gehen sie stattdessen in umfassendem Maße schief, ist schnell mal alles ruiniert und komplett unhörbar. Letzteres wird hier zum Hauptproblem. Metallica oder Anthrax werden dadurch zusehends schlecht, dass sie sich nur noch wiederholen und auf ihren Platten immer formelhafter klingen, aber wenigstens schreiben sie noch nachvollziehbare Songs. Voivod hingegen werfen hier scheinbar wahllos irgendwelche Riffs, Strophen und Motive auf einen Haufen, die sie dann zu fünf- bis zwölfmiütigen Track-Mutanten zusammenschrauben, ein bisschen Text dazu, fertig ist der Lack. Nur dass eben genau das nicht klappt. The Wake klingt grauenvoll, aber nicht auf die clevere, gruselige Weise wie auf den alten Alben, sondern einfach nur noch schlecht. Um eine Atmosphäre aufzubauen, nehmen sich die Kanadier ja nicht mal die Zeit, weil sie binnen Sekunden wahllos von einem verschrobenen Motiv zum anderen springen und dabei nichts wirklich konsequent machen. Hier mal ein bisschen King Crimson- und Primus-Anbiederung, da ein bisschen Weltuntergangs-Philosophie, dort einen Gitarren-Purzelbaum und zwischendurch ist immer noch Zeit für ein paar richtig miese Klangcollagen. Es ist enervierend. Und dafür, dass Voivod in ihre Stücke absolut keine Ordnung reinbekommen, wiederholen sie sich dann doch ganz schön oft. Das alles ist aber noch nicht das schlimmste an dieser LP. Denn die absolute Sahnehaube setzt der Platte Sänger Denis Belanger auf, der hier ganz klar eine der miestesten Vokalperformances des Jahres abliefert. Wahrscheinlich will er singen wie Greg Lake, aber meistens klingt er eher wie eine Art kehlkopfkranker James Hetfield oder die völlig unmotivierte Version von Les Claypool. Sicher, auch er hätte dieses vollkommen an die Wand gefahrene Album nicht mehr retten können, aber wie viel schlimmer er das ganze macht, ist dann schon ziemlich beeindruckend. Sein Beitrag zu diesem Projekt ist mehr oder weniger dessen endgültiger Todesstoß. Ob aber nun mit oder ohne ihn, es ist eine absolute Tortur, sich the Wake anzuhören. Wir reden hier definitiv nicht von einer clever eingefädelten Disharmonie, die auf geschickte Weise mit Hörgewohnheiten bricht, wir reden von einem fast gänzlich unerträglichen Stück Musik. Voivod waren mal eine Band, die aus ebendiesen klanglichen Bestandteilen faszinierende Alben machen konnte und ich weiß nicht, was seitdem passiert ist, aber diese LP ist ein Tiefpunkt. Zumindest hoffe ich das inständig, denn die Alternative würde bedeuten, dass es noch schlimmer geht als das hier. Und das kann ja nun wirklich niemand wollen.

Persönliche Highlights: -

Nicht mein Fall: Obsolete Beings / the End of Dormancy / Spherical Perspective / Sonic Mycelium

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