Mittwoch, 10. Oktober 2018

Revival





















In den vier Jahren, die Tha Carter V seit seinem ursprünglichen Release-Termin vor sich hin gebrütet hat, sind jede Menge Sachen passiert. Und damit meine ich weniger den Rechtsstreit zwischen Lil Wayne um Birdman um den Chefsessel bei Young Money Records, der für sich schon Stoff für eine komplette Netflix-Serie bieten würde, sondern eher die Entwicklung, die der Leumund seines Schöpfers seitdem gemacht hat. 2014 galt Weezy noch als der peinliche Typ mit der nervigen Stimme und den Gesichtstattoos, der sich spätestens mit seiner Karriere als Rock-Gitarrist selbst ins künstlerische Abseits gekegelt hatte, sodass die Ankündigung seiner nächsten Carter-Reihe eigentlich wenig von Belang war. 2018 hingegen sind nervige Stimmen und Gesichtstattoos das aktuelle Nonplusultra im Hiphop, ehemalige Padavane von Lil Wayne prägen das Gesicht der Szene und der Meister selbst genießt inzwischen den Status eines kulturellen Visionärs. Zu Recht, denn er war nicht unwesentlich daran beteiligt, die Trendwende von Rapmusik von der Bling-Ära zur ersten Mainstream-Welle des Trap einzuleiten und wurde darüber hinaus eigentlich nur dehalb verspottet, weil er im Gegensatz zu vielen anderen Künstler*innen seiner Zeit auch Mut zur Hässlichkeit hatte. Und obwohl es natürlich viele Platten von ihm gibt, die stilistisch eher zweifelhaft sind, hat er sich zuletzt zu einer mittelgroßen Kultfigur entwickelt. Was mich zu dem Schluss bringt, dass es eigentlich sogar besser ist, dass Carter V erst jetzt erscheint. Vor allem auch aus dem Grund, weil wir hier in keinster Weise ein Album hören, das nur ein Relikt einer eher doofen Phase von Weezys Karriere ist, sondern die LP über den gesamten Zeitraum der letzten sechs Jahre weiter gewachsen ist. Ganz oberflächlich schlägt sich zunächst das in der massiven Spieldauer von 87 Minuten nieder, aber auch ganz andere Elemente wie die Gästeliste oder die weitere Aufarbeitung der Young Money-Story zeigen das auf. Carter V ist also nicht nur ein großes Projekt, sondern auch ein ziemlich emotionales. Man konnte also viel gutes von der ganzen Sache erwarten. Leider prägt sich Lil Waynes Hingabe dafür jedoch ein wenig in die falsche Richtung aus und sorgt hier eher für ein ziemlich anstrengendes Erlebnis. Ich habe beschlossen, die Ästhetik im folgenden als seine Eminem-Phase zu bezeichnen. Denn ähnlich wie Slim Shady in den letzten Jahren macht Weezy hier ein sehr aufgekratztes, großkotziges Album, das gleichzeitig versucht, epochal, bodenständig, Szene-konform und maximal Pop-orientiert zu sein. Dabei gelingen ihm ein paar ziemlich coole Crossover-Momente und Songs, in denen sein Talent unmissverständlich deutlich wird, im großen und ganzen ist die Nummer aber ziemlicher Schrott. Carter V hat beim Hören einen ähnlich bleiernen Geschmack wie die Re-Serie von Eminem: Es klingt insgesamt ziemlich wüst, verlässt sich fast überall zu sehr auf schlechte Produzent*innen, schneidert mit heißer Nadel große emotionale Pop-Dramen und kontrastiert große lyrische Ergüsse mit dumben Party-Tracks. Indem diese LP alles versucht, ist die Möglichkeit, dabei quasi aus Versehen ein paar echte Kracher zu schreiben, durchaus gegeben, allerdings fällt auch viel hinten über. Und das bisschen, was einen hier wirklich berührt oder mitnimmt, steht in keinem Verhältnis zu dem großen Berg Müll, der hier produziert wurde. Abgesehen davon ist auch Waynes Performance hier durchweg eher dürftig. Sein Flow ist irgendwie schwammig, seine Texte ziemlich durchwachsen und insgesamt ist er hier mitunter weniger präsent als einige seiner Gäste. Nicht immer merkt man das so deutlich wie in Mona Lisa, das Kendrick Lamar mit einem Husarenstreich im zweiten Teil noch zu einer ansprechenden Nummer herumreißt, aber auch auf Songs ohne Features wirkt er ziemlich abwesend. Und es sind diese Dinge, in denen man Carter V seinen langen und beschwerlichen Werdegang immens anhört. Indem Weezy vier Jahre Zeit hatte, an allen Stellen hier noch Kleinigkeiten zu verändern, die Tracklist anzupassen und Stücke komplett neu aufzunehmen, ist das Ergebnis am Ende ein überbordendes, kaputtoptimiertes Frankenstein-Album, das so klingt wie eine Person nach zu vielen Schönheits-OPs aussieht. Ich hatte sehr auf die glorreiche Rückkehr des Lil Wayne mit dieser LP gehofft, doch was ich bekommen habe, ist ein bestenfalls durchschnittlich gefertigter Flickenteppich. Ich bin strikt dagegen, Weezy deshalb auf seinen nostalgischen Wert zu reduzieren, denn eine gute Platte steckt am Ende vielleicht doch noch in ihm. Allerdings setze ich dafür im Moment weniger auf solche Prestige-Projekte wie die Carter-Reihe, sondern vielleicht eher auf eine EP oder ein Mixtape. Denn an seinen großen Sachen gemessen wird er gerade mehr und mehr zu Eminem. Ihm fehlt eigentlich nur noch der Trump-Diss.






Persönliche Highlights: Uproar / Let It Fly / Can't Be Broken / Dark Side of the Moon / Mona Lisa / What About Me / Famous / Problems / Open Safe / Start This Shit Off Right / Used 2

Nicht mein Fall: I Love You Dwayne / Dedicate / Dope N🙊🙊🙊z / Mess / Perfect Strangers

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